AUFWACHEN IM PARADIES

UMWELT
AUFWACHEN IM PARADIES
Die Biologen Claudio Sedivy und Thomas Strobl züchten einheimische Wildbienen, um
Obstbauern einen nachhaltigen Bestäubungsservice anbieten zu können. Dass Wildbienen-Göttis in der Stadt dabei eine wichtige Rolle spielen, ist Teil der Geschäftsidee von
«Wildbiene + Partner». Text: Carmen Hocker; Bilder: Archiv Wildbiene + Partner
Es ist sieben Uhr morgens. Ein kühler Frühlingstag, der kaum Frühlingsgefühle aufkommen lässt. Und dennoch ist die Kirschplantage von Hans Bischof in Mörschwil
voller Leben. Hunderte einheimischer Gehörnter Mauerbienen (Osmia cornuta) fliegen von Blüte zu Blüte. Grund dafür ist
eine Geschäftsidee von Claudio Sedivy und
Thomas Strobl. Mit «Wildbiene + Partner»
bieten die beiden einen Bestäubungsservice
an, der gegenüber den gängigen EinwegHummelboxen viele Vorteile hat. Davon
ist auch Hans Bischof überzeugt, einer von
sechs Obstbauern, die im Frühling 2014
am Pilotprojekt teilnahmen: «Ich bin im
nächsten Jahr auf jeden Fall wieder mit dabei!», erzählt er einem Reporter von Tele
Ostschweiz in einem Interview.
Von der Theorie zur Praxis
Zu Beginn ihres Biologiestudiums wurde
das Thema Bienen nur gestreift. Bei Claudio Sedivy entfachte die Masterarbeit die
Begeisterung für Bienen. Seine Aufgabe war
es, den Stammbaum einer Bienengattung
zu erstellen, die vor allem im mediterranen
Raum lebt. Um auf Bienenfang zu gehen,
bereiste er den griechischen Peloponnes –
ein wahres Wildbienenparadies. Auf dieser
Reise sprang der Funke über und gab den
Auslöser, sich zukünftig ganz den Wildbienen zu widmen. Doch wie lässt sich der
Bogen von der Grundlagenforschung zur
Praxis schlagen? Während seiner Dissertation erfuhr Claudio Sedivy von den Einweg-Hummelboxen zur Bestäubung von
Obstplantagen und fragte sich, ob man mit
Wildbienen nicht einen nachhaltigeren Bestäubungsservice anbieten könnte. Damit
war der Grundstein für die heutige Geschäftsidee gelegt. Doch bald stellte sich die
Frage, wie man genügend Wildbienen züchten kann, um mit einer grösseren Zahl an
Obstbauern kooperieren zu können. Diese
Überlegung führte schliesslich zur Idee der
Patenschaften.
In Kreisläufen denken
Noch während seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH entwarf
Claudio Sedivy den Prototyp des heutigen
«BeeHome». Die Idee war, eine Nisthilfe
samt Wildbienen-Kokons anzubieten. Die
ersten 250 Häuschen verteilte er 2012 unter
Freunden und Bekannten, meist Städtern.
Ein Vorteil der Gehörnten Mauerbiene ist,
dass sie atypisch für Wildbienen ist. Da sie
bereits früh im Jahr fliegt, muss sie für unterschiedliche Blüten offen sein, um genügend Nahrung zu finden. Und deshalb
funktioniert das «BeeHome» auch im urbanen Raum, sogar auf dem Balkon. Die
geschlüpften Bienen schwärmen aus und
kommen anschliessend wieder zur Basis,
dem «Bee-Home» zurück, um ihre Eier in
die Niströhren zu legen.
Die Resonanz der ersten Paten war so
positiv, dass viele fragten, weshalb Claudio
diese Bienenhäuschen gratis anbiete. Könnte man mit dem Verkauf von Patenschaften
nicht einen Teil der Finanzierung des Bestäubungsservices sicherstellen? Das war der
Zeitpunkt, als Claudio seinen ehemaligen
Mitstudenten Thomas wiedertraf – und ihn
für seine Geschäftsidee gewann. Von nun
Die Kokons der Mauer­
bienen sind klein wie
eine Erdnuss, aber stark.
Deshalb eignen sie sich
gut für den Versand.
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© Nicolas J. Vereecken
Oben: Aufgrund der frühen Blütezeit ist die Schneeheide (Erica carnea) eine wichtige Bienenweide für
die Gehörnte Mauerbiene (Osmia cornuta). Unten: Der «BeeFarmer» ist Teil des Bestäubungsservices für
Obstbauern (links). Das «BeeHome» ist sein kleinerer Bruder für den Privatgarten (rechts).
an planten sie gemeinsam, wie daraus ein
tragfähiges Unternehmen werden könnte.
Als sie sich 2013 für ein «HUB Fellowship
for a green economy» – eine WWF-Starthilfe
für Jungunternehmen – bewarben und gewannen, war die erste Hürde genommen.
Offizieller Start der «Wildbiene + Partner
GmbH» war September 2013.
Leihangebot mit Rundumservice
Wie tragen die Paten zur Vermehrung der
Wildbienen bei? Im Schnitt legt jede Biene
rund 10 bis 15 Eier. Zudem locken die Tiere
der Startpopulation auch wilde Mauerbienen an, die nach geeigneten Nistplätzen
suchen. Ein «BeeHome» kann so bis zu
400 Nachkommen beherbergen. Im Herbst
senden die Paten die mit Kokons gefüllten
Röhrchen zurück an «Wildbiene + Partner».
Dort werden die Kokons von Parasiten gereinigt und überwintert. Im Folgejahr erhalten
die Paten wieder eine neue Startpopulation
von 15 Kokons, die überzähligen werden
für die grösseren «BeeFarmer»-Nisthilfen
Geschenkgutschein-Aktion
Schenken Sie Ihren Kunden nach Vollendung einer Neu- oder Umgestaltung eine Wildbienenpatenschaft. Der auf Holz gedruckte
Geschenkgutschein enthält einen persönlichen Gutscheincode, mit
dem das «BeeHome» online bestellt werden kann.
Gutscheine zum Vorzugspreis (CHF 110.– anstatt CHF 120.–) unter
Angabe des Stichworts «g’plus» an [email protected]
auf Obstplantagen eingesetzt. Die Gehörnte
Mauerbiene (Osmia cornuta) liebt Obstblüten, ignoriert aber andere Massentrachten wie Löwenzahn oder Hahnenfuss. Bei
Sonnenschein fliegt sie bereits ab vier Grad
Celsius, ab einer Temperatur von zwölf Grad
Celsius fliegt sie von Sonnenaufgang bis in
die Abenddämmerung und auch bei starkem
Wind und Nieselregen. Mit einem Flugra­
dius von rund 100 Metern ist garantiert,
dass die Wildbienen dort bestäuben, wo
sie gebraucht werden – vorausgesetzt, sie
wachen zum richtigen Zeitpunkt auf. Und
dafür sorgen Claudio Sedivy und Thomas
Strobl. Sie stehen mit den Obstbauern in
Kontakt, um den Schlupfzeitpunkt zu planen. Werden die Biologen fünf bis zehn Tage
vor Blühbeginn informiert, können sie die
Bienen rechtzeitig aus dem Winterschlaf
holen und versenden. Auf der Obstplantage
wachen die Bienen quasi im Paradies auf.
Sie bestäuben die Blüten und legen ihre Eier
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Die Biologen Claudio Sedivy (links) und Thomas Strobl sind die Gründer von «Wildbiene + Partner».
im Niststand ab. Nach der Bestäubung werden die gefüllten Niströhrchen abgeholt, die
Kokons von Parasiten gereinigt und überwintert – wie beim kleineren «BeeHome».
Mit Leben erfüllte Kundengärten
Durch den Verkauf von rund 1000 «Bee­
Homes» im Jahr 2014 haben die beiden
Biologen eine wichtige Erfahrung gemacht:
Dass die Bienenhäuschen von Anfang an
«bewohnt» sind, steigert ihre Attraktivität gegenüber anderen Wildbienenhotels.
Manche Kinder bezeichneten die Wildbienen sogar liebevoll als ihre Haustiere. «Die
Verbindung zu den Wildbienen macht unser Dienstleistungsangebot sexy», erklärt
Claudio Sedivy mit einem Augenzwinkern.
Doch so provokativ das klingen mag, so
viel Wahres ist damit gesagt. Naturnahe
Gärten wären weniger attraktiv, würden
die einheimischen Pflanzen nicht Vögel,
Schmetterlinge und Bienen anziehen. Und
wenn es dafür in Form des Bienenhäuschens «BeeHome» eine Art Startgarantie
gibt, dann ist das ein Verkaufsargument.
Am Beispiel der Wildbienen können Landschaftsgärtner ihren Kunden anschaulich
vermitteln, weshalb einheimische Pflanzen
dafür sorgen, dass ein Garten in relativ kurzer Zeit mit Leben erfüllt wird. So kann eine
Wildbienenpatenschaft vielleicht der Beginn einer Bewusstseinsänderung sein und
den Wunsch fördern, im eigenen Garten ein
kleines, blühendes Paradies zu schaffen – für
Wildbienen und sich selbst.
www.wildbiene-und-partner.ch
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Bienenpflanzen fürs ganze Jahr
Die 600 in der Schweiz heimischen Wildbienenarten fliegen zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres. Wer möglichst vielen von ihnen Nahrung
bieten möchte, sollte Pflanzen haben, deren Blütenabfolge vom Frühjahr bis
in den Spätherbst reicht. Allerdings sind nicht nur die Pflanzen, sondern
auch die offerierten Nisthabitate von Bedeutung: Tockenmauern, Totholz
und vor allem tiefgründiges, sandiges Substrat (30 bis 40 cm), denn über
die Hälfte aller Wildbienenarten nistet im Boden.
Frühjahr (Februar bis April)
Blumenzwiebeln: Blaustern (Scilla bifolia), Elfenkrokus (Crocus tommasianus), Narzisse (Narcissus pseudonarcissus lobularis), Schneeglöckchen
(Galanthus nivalis), Traubenhyazinthe (Muscari)
Gehölze: Felsenbirne (Amelanchier rotundifolia), Purpurweide (Salix purpurea), Saal-Weide (Salix caprea), Schwarzdorn (Prunus spinosa), Wildapfel
(Malus sylvestris), Wildrosen in Arten
Sommer (Mai bis September)
Einheimische Stauden: Aufrechter und Deutscher Ziest (Stachys recta/
germanica), Blutweiderich (Lythrum salicaria), Färberkamille (Anthemis
tinctoria), Futter-Esparsette (Onobrychis viciflora), Gelber Wau (Reseda
lutea), Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corniculatus), Glockenblumen (so
viele Arten wie möglich), Moschus-Malve (Malva moschata), Nachtviole
(Hesperis matronalis), Natternkopf (Echium vulgare), Ochsenauge (Buphthalmum salicifolium), Wilde Platterbse (Lathyrus sylvestris)
Gehölze: Rote Johannisbeere (Ribes rubrum), Feldahorn (Acer campestre),
Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)
Herbst (bis September/Oktober)
Einheimische Stauden: Disteln in Arten, Kalk-Aster (Aster amellus), Echter
Thymian (Thymus vulgaris), Oregano (Oreganum vulgare), Färberkamille
(Anthemis tinctoria), Heilziest (Stachys officinalis), Rainfarn (Tanacetum
vulgare), Teufelsabbiss (Succisa pratensis), Edel-Gamander (Teucreum chamaedrys)
Kletterpflanzen: Platterbsen (Lathyrus latifolius/sylvestris), Weisse Zaunrübe (Bryona alba)