Film als Werkzeug in der Sozialarbeit – Partizipatives Videotraining für soziale Veränderung (PVT) Ursula und Renate Sova Ursula und Renate Sova von Twinsolutions Organisationsberatung präsentierten ihre Methode des „Partizipativen Videotrainings für soziale Veränderung“ als Good-Practice-Beispiel. Die Methode haben sie bereits mehrfach mit/für Asylwerbende, MigrantInnen, AltenbetreuerInnen und gemischte Gruppen von Jugendlichen, ÖsterreicherInnen und Asylwerbende, angeboten. Erstmals fand im Herbst 2012 auch ein „Train-the-Trainer für soziale Berufe“ statt. In diesem dreitägigen Workshop lernen die Teilnehmenden, wie sie selbst ein „partizipatives Videotraining“ mit ihrer Zielgruppe durchführen können, sodass diese ihre Situation reflektieren und durch kurze Filme darstellen können. Die Methode „Partizipatives Videotraining für soziale Veränderung“ Partizipative Videotrainings sind eine Methode, mit der Kamera in der Hand die eigene Stimme zu erheben und seine Sicht auf die Welt bzw. auf die eigene Position darzustellen. Die WorkshopTeilnehmerInnen stellen sich Fragen wie „Wer bin ich?“, „Wie geht es mir?“ und „Wie kann ich das ausdrücken?“. Viele Menschen haben aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation wenig Möglichkeit, gehört zu werden oder ihre Stimme zu erheben. Oft sind sie auch gar nicht gewohnt, dass sich jemand für ihre Sicht auf die Welt interessiert oder dass sie selbst bestimmen, was über sie berichtet wird. Durch PVTs ist es möglich, seiner eigenen Geschichte auf die Spur zu kommen und diese auch zu erzählen – vor der Kamera und hinter der Kamera. In Workshops lernen die TeilnehmerInnen Grundkenntnisse des Filmschaffens: Kameraführung, Tongestaltung und filmischen Aufbau. Ziel ist es, sich und die anderen besser kennenzulernen und eine Ausdrucksmöglichkeit für die eigene Situation zu finden. PVTs sind somit eine Möglichkeit des Self-Empowerments. Man lernt viel über sich selbst, wenn man beginnt, Teile seiner eigenen Geschichte darzustellen. Dadurch entwickeln die TeilnehmerInnen langfristig Kompetenzen, Selbstvertrauen und Eigenverantwortung. Das Training ist effizient, lustvoll und kreativ. Es entstehen kurze Filme, also vorzeigbare Ergebnisse. Die eigenen Grenzen werden erweitert, die eigene Rolle in einer Gruppe und das Selbstverständnis als Individuum in einer Gruppe gestärkt. Inhalte des „Partizipativen Videotrainings für soziale Veränderung“ Im PVT lernen die TeilnehmerInnen rasch und einfach, mit spielerischen Übungen Video als Handwerkzeug zu verwenden: Von Anfang an werden Kamera und Mikrofon verwendet. Durch das Tun entsteht Wissen. Jede der gefilmten Übungen wird sogleich gemeinsam in einem „Screenback“ am | 37 BILDUNG UND LEBENSLANGES LERNEN OHNE GRENZEN Bildschirm analysiert. Aus den selbst gemachten Bildern wird gelernt, aus dem, was funktionierte bzw. nicht funktionierte, gemeinsam eine Liste von Regeln erarbeitet. Jede Person übernimmt zumindest einmal die Aufgabe der Regie und leitet die anderen an. In „Magic Game“ werden lebende Standbilder gebaut, die den TeilnehmerInnen Kameraführung, Kadrierung und Regieaufgaben vermitteln. Als Nebeneffekt wird die Möglichkeit aufgezeigt, mithilfe von vorgeblich „realen“ Bildern eine „eigene Wahrheit in Bildern“ darzustellen. Die TrainerInnen helfen den Gruppen dabei, ihre Themen und Schwerpunkte zu finden und zu analysieren. Übungen zur Selbstwahrnehmung öffnen den TeilnehmerInnen Eindrücke ihrer eigenen Wünsche, Grenzen und Bedürfnisse. Eine der Übungen ist es, sich in einer geführten Meditation als Baum wahrzunehmen (wie sind meine Wurzeln, welche Talente habe ich, wo stehe ich im Verband der anderen Bäume) und darüber erste Interviews zu geben. Das Fragen und Erzählen vor der Kamera wird geübt. Das Storyboard – Erstellen eines einfachen Drehbuchs: In einfachen Skizzen werden Geschichten in sechs bis acht Bildern dargestellt und dann möglichst abbildungsgetreu umgesetzt. Was ist im Bild, in welcher Größe, in welcher Reihenfolge? Wer gestaltet das Bild? Wer oder was ist Objekt und was will man mit dem einzelnen Bild und insgesamt erzählen? Welche Wahrheit lässt man durch die Auswahl und Abfolge von Bildern entstehen? Es wird mit einfachen fiktiven „Comic Strips“ angefangen, bevor eigene Geschichten erzählt werden. Schließlich entstehen kurze Videos und Nachrichten, die von den TeilnehmerInnen hergestellt werden. Die Ergebnisse werden mit einem breiteren Publikum geteilt. Durch gemeinschaftliches Lernen, Erklären und Weitergeben entsteht ein dynamischer Prozess. Wichtig bei dieser Form des Filmschaffens ist, dass die Gemeinschaft die Kontrolle über das Ergebnis hat. Teilnehmende werden von Objekten zu Subjekten. Wer erzählt was im Film und wie werden die Bilder montiert? Grundlage der Methode ist dabei das von Chris und Nick Lunch entwickelte Konzept „Participatory Video Trainings for Social Change“.1 Partizipation heißt Beteiligung Der Workshop ist partizipativ, d. h., alle TeilnehmerInnen sind Lernende und Lehrende. Hat eine Person eine Sache erfahren und verstanden, gibt sie diese an eine nächste weiter. Der Umgang mit einfachen Kameras und Mikrofonen sowie der Aufbau von Geschichten werden gemeinsam erarbeitet, erfahren und an andere weitergegeben. Partizipation bedeutet die Einbeziehung von Individuen und Gruppen in Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse. Es geht um die gemeinsame Prozessgestaltung und das Finden von gemeinsamen Regeln und Arbeitsschritten. Partizipation gilt als gesellschaftlich relevant, weil sie zur Stärkung der Individuen und der Gruppe führen kann und damit soziales Vertrauen vermehrt. Methode „Film schaffen“ Filmarbeit ist fast immer Gruppenarbeit. An einem Filmset gibt es viele verschiedene Aufgaben und Funktionen, die miteinander kooperieren. Klare Anleitungen und Kommunikation sind ebenso wichtig wie rasches Zuarbeiten und Kreativität. Ein Regisseur ohne Team kann nicht arbeiten. Jede Rolle hat ihren Platz und ist gleichermaßen relevant. Es braucht Motivation, sich vor und hinter der Kamera 1 Mehr dazu auf www.insightshare.org. 38 | FILM ALS WERKZEUG IN DER SOZIALARBEIT – PARTIZIPATIVES VIDEOTRAINING FÜR SOZIALE VERÄNDERUNG einzubringen. Alle Teilnehmenden schlüpfen in diesem Workshop von Beginn an in alle Rollen – sie spielen mit, geben Regieanweisungen, erarbeiten gemeinsam Storyboards, bauen das Stativ auf, filmen, machen Ton, entscheiden über Drehort, Setting, Kostüm, Requisite. Sie entscheiden, ob sie eine Dokumentation, einen Spielfilm oder einen Trickfilm machen. Die Teilnehmenden erlernen durch kurzweilige und kreative Übungen, wie ein Film aufgebaut wird, wie eine Reportage oder ein Spielfilm erarbeitet wird, Kameraführung, Ton, Lichtverhältnisse, Kameraeinstellungen und Filmen eines Filmes. Durch das regelmäßige, gemeinsame Betrachten und Analysieren des Materials ist viel Raum zur Selbstreflexion geboten. Die Projektbegleiterinnen bauen dabei auf den Effekt, dass jede Gruppe selbst ihre Ideen weiterentwickelt und es durch die Gruppendynamik zu immer neuen Ideen kommt. Die Entscheidung, welcher Film mit wem und in welcher Art durchgeführt wird, erarbeiten alle gemeinsam. Jede Person hat jede der Rollen (Regie, Darstellende, Kamera, Ton) mindestens einmal innegehabt. Auch die Entscheidung, was mit den Ergebnissen passieren soll und ob es zu einer Präsentation kommen soll oder nicht, liegt bei der gesamten Gruppe. Der Fokus des Workshops liegt nicht auf dem Umgang mit der Technik, sondern auf Partizipation, Kreativität und Innovation. Die technischen Geräte (Kamera, Tonequipment und Stativ) sind einfach zu handhaben. Zielgruppen Marginalisierte Gruppen und Minderheiten in unserer Gesellschaft haben oft nicht den Raum oder die kommunikativen Möglichkeiten, ihren Bedürfnissen und Ideen Ausdruck zu verleihen. Behinderte, ältere Menschen in Pflegeheimen, Asylwerbende, Mütter und Hausfrauen mit migrantischem Hintergrund oder Jugendliche aus sozial prekärem Umfeld sind einige Beispiele dafür. Ursula und Renate Sova haben vor allem angesichts ihrer Nähe und Erfahrung mit Asylwerbenden einen Schwerpunkt auf Videotrainings im Asylheim der Österreichischen Jugendarbeiterbewegung (ÖJAB) in Greifenstein gesetzt. Die Teilnehmenden sprachen meistens wenig oder kein Deutsch. Durch die gegenseitige Übersetzung in der Gruppe konnten die einzelnen Personen ihre Rolle stärken. Die Filme wurden mehrsprachig oder in Englisch, Deutsch, Farsi und Somali gedreht. Die Entscheidung darüber trafen die jeweiligen Filmteams. Aufgrund der Erfahrung in mehreren Filmworkshops, dass sich Frauen wegen des unterschiedlichen Umgangs mit Kommunikation weniger beteiligten, wurde ein eigenes Training nur für Flüchtlingsfrauen angeboten. Zu den Workshops wurden teilweise auch Jugendliche aus der Montessori-Freiraumschule in Kritzendorf, NachbarInnen des Asylheims oder InteressentInnen aus Wien und Umgebung eingeladen. Weitere Videotrainings mit AltenpflegerInnen in Linz wurden durchgeführt und dabei erarbeitet, wie das Medium auch zur Reflexion von Arbeitssituationen eingesetzt werden kann. Ein Training wurde mit SchülerInnen im Alter von 13–17 Jahren aus verschiedenen österreichischen Schulen durchgeführt, wobei das partizipative Arbeiten hier zur Teamstärkung und zum gemeinsamen Lösen von Konflikten diente. Ziel des Train-the-Trainer-Workshops für MultiplikatorInnen im Herbst 2012 Zielgruppe des Train-the-Trainer-Workshops sind FlüchtlingsbetreuerInnen, SozialarbeiterInnen, (Sozial-)PädagogInnen, AltenfachbetreuerInnen und MultiplikatorInnen in sozialen Bereichen. Nach dem dreitägigen Training sind die Teilnehmenden in der Lage, eigenständig mit ihren KundInnen/ KlientInnen partizipative Videotrainings durchzuführen. | 39
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