18 brennpunkt In kantonalen Umweltlabors wird ermittelt, ab wann ein Gewässer zu stark mit Schadstoffen belastet ist. Das Bundesamt für Umwelt will diese Grenzwerte dem EU-Niveau anpassen, was dem Bundesamt für Landwirtschaft, dem Bauernverband und der Chemielobby aber zu weit geht. Das grosse Seilziehen um griffige Pestizid-Grenzwerte Die Schweizer Gewässer sind oft massiv mit Pestiziden belastet, doch die Kantone können wenig gegen diese Missstände unternehmen. Dies will der Bundesrat mit einer Verschärfung der GewässerschutzVerordnung ändern, die aber just vom Bundesamt für Landwirtschaft torpediert wird. Im Mai 2014 redete der Bundesrat Klartext in Bezug auf die ren». Daraus folgerte der Bundesrat: «Ohne neue und wir- Pestizidbelastung der Gewässer durch die Landwirtschaft. In kungsvolle Massnahmen werden die Gewässer daher weiter- seiner Antwort auf eine Interpellation von SP-Nationalrätin hin stark mit PSM belastet werden.» und Pro Natura Präsidentin Silva Semadeni hielt er fest, dass die Vorschriften des ökologischen Leistungsnachweises (ÖLN) Alarmierende Überschreitungen «wenig Einfluss» auf eine verringerte Belastung der Gewäs- In seiner Analyse stützte sich der Bundesrat auf eine Studie der ser durch sogenannte Pflanzenschutzmittel (PSM) hatte. Auch ETH-Forschungsanstalt für Wasserversorgung, Abwasserreini- die zusätzlich ergriffenen Massnahmen seit 2005 konnten «die gung und Gewässerschutz (Eawag), welche in fünf mittelgro- Einträge von PSM in die Gewässer nicht signifikant reduzie- ssen Fliessgewässern «sehr hohe Konzentrationen» an PestiziPro Natura Magazin 5/2015 Christian Flierl brennpunkt den gemessen hatte und zusätzlich festhielt, «dass Maximal- de in den Gewässern «griffige Massnahmen getroffen werden». konzentrationen in diesen Gewässern um ein Vielfaches höher lagen und dass Maximalkonzentrationen in kleineren Gewäs- Nur ein kleines Spektrum wird erfasst… sern nochmals höher sind». Ein weiterer Grund für den mangelhaften Vollzug ist das un- vollständige Monitoring der Pestizidbelastung der Fliess Den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) erfüllen rund 98 Prozent der Schweizer Bauernbetriebe; dieser ist die Be- gewässer. Laut einem Eawag-Bericht im Magazin «Aqua & Gas» dingung für die Auszahlung von jährlich rund 2,8 Milliar- (Nr. 4/2015) werden auch bei den neusten, aufwändigen Messungen der Herbizide «etwa den Franken Direktzahlungen. Die darin festgelegten Standards entsprechen aber nur einer guten landwirtschaftlichen Praxis und bringen kaum ökologische Verbesserungen Verursacher sind schwierig aufzuspüren Doch nicht nur der Öko-Leistungsnachweis hatte bisher wenig Einfluss auf die Pestizidbelastung der Fliessgewässer, sondern auch die Gewässerschutz-Verordnung. Diese nimmt die Verursacher von Umweltschäden grundsätzlich in die Pflicht. Doch in der Praxis gestaltet es sich schwierig, die Verursacher den Belastungen zuzuordnen. Laut Christian Stamm, Co-Autor der erwähnten Eawag-Studie, ist dies in der Regel «nicht möglich, (…) weil in den meisten Fällen Felder zahlreicher Landwirte beitragen. Zudem werden – ausser bei akuten Vergiftungsfällen – Überschreitungen erst Monate nach ihrem Auftreten anhand von Laboranalysen aus den Routinemessungen bekannt». Deshalb ist es laut Stamm «für die Kantone als Vollzugsbehörde schwierig, konkrete Massnahmen zu ergreifen». Letztere müssten folglich «systemisch sein und nicht auf einen Einzelfall bezogen». Dafür aber sei in den Kantonen der «politische Druck zu gering», zumal «einfache Lösungen nicht zur Hand sind». Aus diesem Grund sei es sehr wichtig, dass im Rahmen des zukünftigen Aktionsplans des Bundes zur Reduktion der PestiziPro Natura Magazin 5/2015 Stark belastete Gewässer: Bafu schlägt Alarm Vor allem in kleinen und mittleren Fliess gewässern im Schweizer Mittelland würden Konzentrationen gemessen, bei denen eine Beeinträchtigung von Wasserlebewesen nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Dies hält eine Situationsanalyse des Bafu zu Mikroverunreinigungen in Fliessgewässern unmissverständlich fest. Laut der im September erschienenen Analyse führen die «oft hoch dynamischen Einträge» vor allem in kleinen Fliessgewässern häufig zu Überschreitungen der ökotoxikologisch hergeleiteten Qualitätskriterien. Dadurch werde die Biodiversität in den Schweizer Fliessgewässern beeinflusst. Als wichtigste Quelle der Mikroverunreinigungen nennt der Bericht die Landwirtschaft. Von dort gelangt eine Vielzahl verschiedener Stoffe wie Pestizide, Biozide, Tierarzneimittel, natürliche Hormone, Schwermetalle und natürliche Toxine in die Gewässer. Davon seien die Pestizide die für Wasserlebewesen kritischste Stoffgruppe – und auch jene, bei der die Grenzwerte am häufigsten überschritten werden. In den kleinen Gewässern des Mittellands, Juras und der Tal ebenen liegt der Anteil der potenziell belasteten Fliessstrecken bei über 80 Prozent. Solange aber die Interpration der Gewässer untersuchungen weiterhin «landnutzungs basiert» erfolge, müssten solch kritische Situationen auf weiten Strecken des Schweizer Fliessgewässernetzes weiterhin erwartet werden, warnt das Bafu deutlich. Stattdessen schlägt das Bafu «insbesondere wirkungsvolle Massnahmen im Bereich Landwirtschaft» vor, um die Gewässerbelastung deutlich zu reduzieren. Dazu gehören primär Stoffverbote oder Anwendungseinschränkungen. raw www.bafu.admin.ch/publikationen > Mikroverunreinigungen (suchen) die Hälfte der detektierten Substanzen und knapp die Hälfte des Risikos verpasst». Zudem umfassen typische bisherige kantonale Monitoringprogramme bei Fungiziden aufgrund des Aufwands «nur fünf Substanzen». Deshalb erstaune es nicht, dass «die Fungizidbelastung stark unterschätzt» werde. Und auch die Insektizide seien für die Gewässer «viel wichtiger, als bisher durch Monitoringprogramme bestätigt werden konnte». Es sei daher nötig, «in Zukunft je nach Landnutzung mehr Insektizide routinemässig zu analysieren». …mit einem veralteten Einheitswert Ein Hauptgrund für den mangelhaften Vollzug des Gewässerschutzes sind die fehlenden stoffspezifischen Pestizid-Grenzwerte. Er- staunlicherweise fehlen in der aktuell gültigen Gewässerschutz-Verordnung Grenzwerte für die einzelnen Pestizid-Wirkstoffe gemäss ihrer unterschiedlichen Giftigkeit. Stattdessen ist nur ein einheitlicher Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter (μg/l) für alle Pestizide verankert, ungeachtet deren unterschiedlichen Giftigkeit für die Wasser-Lebewesen. 19 20 brennpunkt Deshalb will der Bundesrat im Rahmen der laufenden Re- vision der Gewässerschutz-Verordnung diesen unpraktikablen Einheitsgrenzwert durch Grenzwerte für die einzelnen Pestizide ersetzen. Diese sogenannten «ökotoxikologischen Qualitätskriterien» (EQS) wurden vom Oekotoxzentrums der Eawag auf der Grundlage internationaler Forschung entwickelt. Strengere Grenzwerte für Gewässer In der EU gelten strikt getrennte Grenzwerte einerseits für die Pestizid-Zulassung und andererseits für die Beurteilung der Gewässerqualität. Für die Zulassung sind es die weniger strengen RAC-Grenzwerte (Regulatory Acceptable Concentrations) und für die Beurteilung der Gewässerqualität die strengeren EQS-Grenzwerte. Die RAC-Grenzwerte gelten in der Schweiz bereits für die Pestizid-Zulassung. Jetzt will der Bundesrat entsprechend der EU die EQS-Grenzwerte für die Beurteilung der Gewässer in der Gewässerschutz-Verordnung festschreiben. Beide Grenzwerte stützen sich grundsätzlich auf dieselben wissenschaftlichen Grundlagen. Der Unterschied liegt darin, dass die RACGrenzwerte eine vorübergehende Schädigung der Wasserlebewesen in Kauf nehmen, wenn diese sich innert einer gewissen Zeit wieder erholen. Die EQS-Grenzwerte hingegen akzeptieren keine Beeinträchtigung der Organismen in den Gewässern. Seilziehen zwischen Bundesämtern Zur Zeit ist hinter den Kulissen ein Seilziehen um die Festle- Die Verlautbarung des BLW trifft auf Kritik der Eawag und des gung der neuen Grenzwerte im Gang. Auf der einen Seite for- Bafu. Auf Nachfrage stellt Eawag-Mitarbeiter Stamm fest: «Das dern das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), der Schweize- BLW stützt sich bei seiner Analyse auf die sogenannten RAC- rische Bauernverband (SBV) und die Pestizidindustrie unter Werte, wir ziehen (wie das Bafu) für die Gewässerbewertung der Federführung von «Scienceindustries» die weniger stren- die Environmental Quality Standards (EQS) heran.» Die RAC- gen RAC-Grenzwerte. Auf der anderen Seite treten der Bundes- Grenzwerte für Pestizide, wie sie das BLW verwende, seien rat, das Bundesamt für Umwelt (Bafu) und die Kantone für die «in der Regel deutlich höher als die EQS-Werte.» Im Gegensatz EQS-Grenzwerte ein. zu den EQS-Grenzwerten liessen sie «höhere Pestizidkonzen- Da ist es wohl kein Zufall, dass BLW in seinem Newslet- trationen zu, wenn sich die Lebewesen innert einer gewissen ter vom letzten März einen gezielten Schuss vor den Bug der Zeit wieder erholen». EQS-Befürworter setzte und eine grosszügige Entwarnung be- Auch Christian Leu, Chef der Sektion Wasserqualität beim züglich der Pestizid-Belastung in den Schweizer Gewässern Bafu, teilt die Folgerungen der BLW-Verlautbarung vom März publizierte: «Die derzeitige Auswertung zeigt, dass die gerin- 2015 nicht und hält auf Nachfrage fest: «Die Beurteilung der ge Anzahl an Überschreitungen der RAC-Werte (0.075 % al- Wasserqualität mit RAC-Werten lehnen wir im Bereich des ler Messungen) ein gutes Zeichen für die Situation der Ober- Gewässerschutzes ab. Diese Werte dienen der Zulassung von flächengewässer ist.» Damit dehnte das Bundesamt für Land- Pflanzenschutzmitteln. Für die Beurteilung der Wasserqualität wirtschaft die RAC-Grenzwerte eigenmächtig auf die Beurtei- gemäss Gewässerschutzverordnung sind sie aber nicht relevant, lung der Gewässerqualität aus und gab damit implizit seine da sie nicht gesetzlich verbindlich sind.» Forderung für die Revision der Gewässerschutz-Verordnung bekannt. Die Pestizidlobby quittierte die gute Nachricht aus Spitzenbelastungen werden nicht erfasst dem BLW dankbar auf der Internetseite www.pflanzenschüt- Zudem ist die genannte Auswertung des BLW so angesetzt, zer.ch: «Wiederholte Messungen staatlicher Stellen belegen, dass sie das Pestizidproblem stark verwässern. Laut Stamm dass diese Grenzwerte nur in den seltensten Fällen überschrit- «stellt die Analyse (des BLW, Anm. der Redaktion) zwar fest, ten werden.» dass Überschreitungen hauptsächlich in kleinen Gewässern Pro Natura Magazin 5/2015 Christian Flierl brennpunkt 21 BLW, Pestizidlobby und SBV lobbyieren für Lockerung festgestellt wurden, unterschlägt aber bei der Interpretation, dass beim Monitoring diese kleinen Gewässer massiv unterrepräsentiert sind. Denn für sie liegen nur rund 9 Prozent der Anzahl Messungen wie für grosse Flüsse vor». Tatsächlich aber machen Kleingewässer 75 Prozent des Schweizer Gewässernetzes aus. Aus der BLW-Auswertung folgt deshalb das verharmlosen- de Resultat, dass nur 0,075 Prozent aller Messungen die RACWerte überschritten haben. Zudem werde nicht berücksichtigt, dass die meisten Monitoring-Strategien nicht in der Lage sind, «kurzfristig auftretende Spitzenkonzentrationen zu erfassen». Deshalb unterschätze diese Analyse «systematisch die tatsächliche Belastung, wie sie in kleinen Gewässern landwirtschaftlich genutzter Einzugsgebiete auftreten können». Der Bundesrat sollte im Herbst über die Änderungen in der Gewässerschutzverordnung entscheiden. Dann wird sich zeigen, welchem Bundesamt er mehr Gehör verschafft. KURT MARTI arbeitet als freier Journalist. Dieser Beitrag ist der letzte einer dreiteiligen Serie über Pestizide in der Schweiz. Die anderen Beiträge und zahlreiche weitere Fakten finden sich auf: www.pronatura.ch/pestizide Pro Natura Magazin 5/2015 Konfrontiert mit dem Vorwurf, unverbindliche Grenzwerte im Gewässerschutz durchsetzen zu wollen, erklärt BLW-Mitarbeiterin Katja Knauer, Fachbereich Nachhaltiger Pflanzenschutz: «Die einzelnen RAC-Werte sind nicht in der Gewässerschutz-Verordnung festgehalten, sondern in der Gewässerschutz-Verordnung wurde nur die Anforderung an Pestizide festgelegt: Vorbehalten bleiben andere Werte auf Grund von Einzelstoffbeurteilungen im Rahmen des Zulassungsverfahrens.» Damit habe der Bundesrat «nur die Anforderung an Pestizide festgelegt». Die einzelnen RAC-Grenzwerte hingegen ergeben sich laut Knauer «aus den ökotoxikologischen Gutachten, die von Experten bei Agroscope im Rahmen der Zulassung erstellt werden». Damit bestätigt Knauer zwar die Feststellung von Bafu-Mitarbeiter Leu, dass die RAC-Werte nicht gesetzlich verbindlich für die Beurteilung der Gewässerqualität festgelegt sind. Doch das soll sich jetzt offenbar ändern: BLW-Expertin Knauer schlägt auf Anfrage vor: «Will man in der Schweiz in der Zukunft auch die Anforderungen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie einführen, aber auch die Kohärenz mit geltendem Bundesrecht (Pflanzenschutzmittel-Verordnung PSMV) erhalten, dann wäre es denkbar, dass zwei Geltungsbereiche für Anforderungen an die Oberflächengewässerqualität eingeführt werden; der RACWert könnte für die kleinen Gewässer als Massstab gelten (nach PSMV), während die EQS-Werte für die grösseren Gewässer als Vergleichsgrösse herangezogen werden.» Damit kämen die weniger strengen RAC-Werte ausgerechnet für die stark belasteten kleinen Gewässer zum Einsatz und die strengeren EQS-Werte für die wenig belasteten grösseren Gewässer. Mit diesem Verwässerungs-Vorschlag liegt das BLW exakt auf der Linie der Pestizidindustrie. In der Vernehmlassungsantwort von Scienceindustries zur Gewässerschutz-Verordnung steht fast wortgleich zu den Aussagen von BLW-Mitarbeiterin Knauer: «Für die Beurteilung von grösseren Gewässern werden die EQSWerte und für die Beurteilung von kleineren Fliessgewässern (…) die RAC-Werte beigezogen.» Falls dieser Vorschlag umgesetzt würde, hätte die Schweiz deutlich weniger strenge Anforderungen an die Wasserqualität als die EU. Während also der Bundesrat in seinem Verordnungs-Entwurf klare Verhältnisse schaffen wollte und den Satz «Vorbehalten bleiben andere Werte auf Grund von Einzelstoffbeurteilungen im Rahmen des Zulassungsverfahrens» gestrichen hatte, treten die Pestizidlobby und der Bauernverband explizit gegen diese Streichung ein. km
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