R E P O R TA G E Bettina Schmidt durfte Brutus (Foto l.) mit zur Reha nehmen. Ihre Spaziergänge führten sie oft zum Kloster Hirsau, das gegenüber dem Klinikgelände liegt (r.) Erinnerungsfoto vor dem Eingang der Klinik Dr. Römer. Das Gebäude liegt inmitten eines Parkgeländes „Gassigehen“ mit Pferde-Oma Gipsy. Auf Wunsch werden die Patienten in die Versorgung der Kliniktiere eingebunden Kurschatten mit vier Pfoten Weil die meisten Kliniken Hunde verbieten, bedeutet das für ihre Halter, wochenlang auf ihren Hund oder die Reha-Maßnahmen verzichten zu müssen. Bettina Schmidt und ihr vierbeiniger Begleiter Brutus haben erfahren, dass es auch anders geht 12 partner hund V iele Menschen scheuen sich davor, eine dringend nötige Kur oder Reha-Behandlung in Anspruch zu nehmen, weil sie ihren Hund nicht so lange allein lassen oder von ihm getrennt sein möchten. Auch Bettina Schmidt aus Regensburg ging es so. Die junge Frau leidet an Pseudotumor Cerebri, einer chronischen Erkrankung, die sich unter anderem durch plötzlich auftretende starke Kopfschmerzen und eine Einschränkung des Gesichtsfelds äußert. Außerdem hatte sie vor einiger Zeit ihre Mutter verloren und den tiefen Verlust noch nicht verkraftet. „Ich hätte nie fünf Wochen ohne meinen Hund verbringen können. Ich hätte keine Ruhe gehabt und ständig überlegt, was mit Brutus ist, und es nicht geschafft, mich auf die Therapien einzulassen. Ich hänge sehr an ihm, er ist quasi meine Familie“, erklärt sie dies. Das Warten hat sich gelohnt Bettina Schmidt stellte bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf eine Kur und machte sich im Internet auf die Suche nach einer Klinik, in der sie ihren Brutus mitnehmen durfte. Bei ihren Recherchen im Internet stieß sie schließlich auf die Webseite der Klinik Dr. Römer im württembergischen Luftkurort Hirsau und war sofort begeistert. „Schon die Homepage fand ich sehr sympathisch, weil man seinen Hund mitnehmen darf und die Klinik auch selbst Vierbeiner hat, da der Seniorchef Tiere über alles liebt“, erzählt sie mir. Obwohl sie acht Monate auf einen Platz warten musste, da es nur eine begrenzte Anzahl Zimmer für Hundeleute gibt, stand die Entscheidung ▶ partner hund 13 R E P O R TA G E für sie fest. Sie wollte warten. Zum Glück spielte auch die Versicherung mit. Nachdem sie den ersten Antrag abgelehnt hatte, genehmigte sie schließlich den Aufenthalt. Vom ersten Moment an fühlte sich Bettina Schmidt in der Klinik sehr wohl. Sie und Brutus bekamen ein hübsches Einzelzimmer mit Dusche, WC und großer Gemeinschaftsterrasse in einem Nebengebäude, in dem noch andere Hundehalter untergebracht waren. Gleich daneben gab es einen eingezäunten Auslauf, in dem sich die Vierbeiner austoben durften, und rundherum ein weitläufiges Park- und Gartengelände mit alten Bäumen, einem kleinen See, Scha- „Ohne Brutus hätte ich es nicht geschafft, mich auf die Klinik und die Therapien einzulassen. Ich hänge sehr an meinem Hund. Er ist quasi meine Familie“ Auch Musik stand auf dem Therapieplan. Wenn gesungen wurde, durfte Brutus mit, wenn getrommelt und „gezupft“ wurde, musste er auf dem Zimmer bleiben In der Ergotherapie machte Bettina einen Gipsabdruck von Brutus’ Pfote. Er hängt jetzt bei ihr dahei fen, Kaninchen, unterschiedlichsten Rassehühnern, Tauben und einer Gänsefamilie. „Auf dem Klinikgelände musste Brutus natürlich an der Leine laufen, aber man brauchte nur über eine kleine Brücke zu gehen und schon war man im Kurpark. Da bin ich abends immer die letzte Abendrunde mit ihm gegangen. Ein Stück weiter war man gleich im Wald, wo man auf eigene Verantwortung die Hunde frei laufen lassen konnte. Wir haben auch Leckerli-Suchspiele gespielt und ein wenig Grundgehorsam geübt. Es war ein Traum“, schwärmt sie. „Für Brutus war das fremde Zimmer zunächst zwar ungewohnt, ich habe ihm aber eigene Bettwäsche und diverse Körbchen und Spielsachen von daheim mitgenommen, damit er sich heimischer fühlt. Nach ein bis zwei Tagen war es auch kein Problem mehr, dass er bei einigen Therapien im Zimmer bleiben musste.“ Brutus vor den beeindruckenden Ruinen des Klosters St. Peter und Paul in Hirsau. Es gehört zu den bedeutendsten mittelalterlichen Klöstern Deutschlands Ein Besuch beim berühmtesten Sohn von Calw ist natürlich Pflicht. Bettina und Brutus am Hermann-HesseDenkmal Blick auf das Kloster, den Eulenturm, die Marienkapelle und das Jagdschloss von Hirsau. Die Klinik liegt gegenüber dem Kloster. Der idyllische Luftkurort ist eingebettet in den Nordschwarzwald und gehört heute zur Kreisstadt Calw Brutus darf mit zur Therapie Besonders schön fand es der siebenjährige Pinscher-Mix natürlich, wenn er sein Frauchen zu Therapiestunden begleiten durfte. Zum Beispiel zur Ergo- und Kunsttherapie, wo gebas telt, gefilzt, mit Ton gearbeitet, gemalt oder mit Gips gearbeitet wurde. Hier durfte der Rüde sogar selbst „Hand anlegen“. Bettina verewigte seine rechte Vorderpfote in einem Gipsabdruck, der an der Bilderwand zu Hause inzwischen einen Ehrenplatz bekommen hat. „Ich habe dort ▶ 14 partner hund partner hund 15 R E P O R TA G E „Der Aufenthalt in der Klinik hat mir viel Kraft gegeben“ einige Schnappschüsse aus der Klinik aufgehängt und in einen Bilderrahmen Puzzleteile eingefügt, die wir dort geschenkt bekamen“, erzählt sie. Auch bei den Therapiestunden, bei denen die Patienten auf Wunsch in die Versorgung der Kliniktiere eingebunden werden, war Brutus dabei. Da Bettina früher viel geritten ist, kümmerte sie sich um Gipsy, ein altes Pferd, das in der Römer-Klinik bis zu seinem Tod im Dezember das Gnadenbrot bekam. „Man konnte Gipsy nicht mehr reiten, aber ich habe die Pferde-Oma zu den Wiesen geführt, damit sie frisches Gras fressen konnte“, sagt Bettina. Bettina und Mario. Die beiden lernten sich kurz nach der Kur kennen. Brutus ist natürlich stets mit von der Partie wenn mehrere Hunde in einer Gruppe zusammenkommen, verstand er sich super mit den anderen Vierbeinern. „Der Aufenthalt in der Klinik hat mir viel Kraft gegeben“, sagt Bettina heute, sechs Monate nach der Reha. „Ich habe gelernt, ein Schmerztagebuch zu führen oder was ich tun kann, wenn die Schmerzen wiederkommen. Auch autogenes Training oder ‚Gehen Hintergrund-Infos Die Klinik Dr. Römer und ihr Therapie-Programm Die Klinik Dr. Römer in Calw-Hirsau im Nordschwarzwald ist spezialisiert auf Patienten mit psychischen und psychosomatischen Störungen und Krankheiten. Neben psychotherapeutischen Einzel- und Gruppentherapien werden Entspannungsverfahren, Körpertherapien, Bewegungstherapien, kreativitätsfördernde Therapien wie Malen oder Tonen, Naturtherapie mit Gartenarbeit und Tierpflege, Ergotherapie oder Musiktherapie angeboten. Außerdem stehen Ausflüge in die Umgebung, geführte Wanderungen, Spielnachmittage, Filmvorführungen und Kegeln an den Wochenen- 16 partner hund den auf dem reichhaltigen Programm. Nach Absprache mit der Verwaltung können in den Reha-Bereich Hunde mitgebracht werden. www.klinik-dr-roemer.de in der Stille’ haben mir oft geholfen runterzukommen, und es hat mir gut getan, in der Einzeltherapie oder den Gesprächen mit der Seelsorgerin über den Tod meiner Mama zu sprechen.“ Die vorher schon sehr enge Bindung zu Brutus ist durch den fünfwöchigen Aufenthalt noch enger geworden. „Ich würde jedem empfehlen, die sechs bis acht Monate Wartezeit in Kauf zu nehmen“, empfiehlt sie. „Auch wenn ich für den Hund pro Tag zehn Euro zahlen musste, war mir das egal. Ohne ihn hätte ich die Reha nicht gepackt.“ Die Reha und ihre „Folgen“ Auch die schrittweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben klappte reibungslos. Denn die 34-Jährige hat in der Reha auch gelernt, besser mit Druck und Stress umzugehen. Und noch etwas hat sich in ihrem Leben verändert. „Ich habe einen sehr lieben Mann kennengelernt“, sagt sie. „Wir hatten beide keine Beziehung geplant, es ist einfach so passiert. Auch Brutus akzeptiert er vollkommen, gleich vom ersten Tag an. Es passt einfach! Es passt sogar so gut, dass wir jetzt zusammenziehen.“ Saskia Brixner Foto:: xxxxxxxxxxxxxx Nach den Therapiestunden verabredete sie sich mit anderen Hundehaltern auch oft zum gemeinsamen Gassigehen oder im Fernsehzimmer, außerdem gab es Film- und Tanz abende und von der Klinik organisierte Wochenend-Ausflüge in die idyllische Umgebung. Mit einigen Patienten ist Bettina bis heute noch über Facebook und WhatsApp in Kontakt. Auch Brutus war von den gemeinsamen Unternehmungen begeistert. Obwohl er von Haus aus ängstlich ist, Fotos: Bettina Schmidt (10), Stadt Calw/ulrike klumpp Erholsame Wochenend-Ausflüge partner hund 17
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