Barfuss - Vereinigte Bühnen Bozen

22.2.2016
Besuch eines besonderen Theaterprojekts: Bombenjahre im Remake ­ BARFUSS: Das Südtiroler Onlinemagazin
Besuch eines besonderen Theaterprojekts
Bombenjahre im Remake
„Bombenjahre“ bringt Zeitzeugen, Journalisten, Historiker und Jugendliche auf eine
Bühne. Ihre kontroversen Meinungen formen ein detailliertes Bild Südtiroler
Zeitgeschichte.
Ein Teil der Jugendlichen
FOTO: Lisa Maria Kager
„Die Südtiroler Autonomie wurde versprochen, aber nicht eingehalten. Hätte man damals dieses Zeichen nicht gesetzt,
wären wir heute die Minderheit im eigenen Land. Die Freiheitskämpfer haben uns Werte vermittelt, die wir heute noch
leben“, sagt Paul Decarli. Gerade läuft die Generalprobe zum Stück „Bombenjahre“, Paul sitzt hinter der Bühne und
zupft seinen Pulli zurecht. Als Schütze der Schützenkompanie Auer und Politikwissenschaftsstudent hat er sich bereits
des Öfteren mit dem Thema Feuernacht auseinandergesetzt.
Zusammen mit elf anderen Jugendlichen, die Regisseur Alexander Kratzer in das aktuelle
Theaterprojekt „Bombenjahre“ der Vereinigten Bühnen Bozen (VBB) geholt hat, trägt Paul am Ende des Stücks auf
einem Gerüst mitten auf der Bühne seine Meinung zum Thema dem Publikum vor. Die habe er sich vor allem durch
Gespräche mit Zeitzeugen gebildet, erzählt der junge Mann. Teil dieses Theaters zu sein, habe ihn in seinem Denken
einen Schritt weitergebracht. „Im Dialog mit anderen Mitwirkenden lernt man, auch gegenteilige Meinungen besser zu
verstehen“, sagt er.
„Facendo degli attentati pensavano e pensano ancora oggi, 50 anni dopo, di dimostrare forza e
supremazia. Invece fanno esattamente il contrario.“ Maheen Fatima
Mit ihm gehört auch Maheen Fatima zu der Gruppe junger Menschen, die im Bozner Stadttheater auf der Bühne stehen.
Mit 14 Jahren ist sie die jüngste unter ihnen, doch in ihren Gedanken schon weit voraus. Seit sieben Jahren lebt das aus
Pakistan stammende Mädchen in Südtirol. Für sie ist der Terror ein Thema, das aktueller ist denn je. Als Muslimin
würde sie von den Leuten oft schief angesehen und könne sich daher gut in Sepp Kerschbaumer und die übrigen
Mitglieder des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) hineinfühlen. Trotzdem seien Anschläge in ihren Augen nicht die
Lösung von Problemen. „Facendo degli attentati pensavano e pensano ancora oggi, 50 anni dopo, di dimostrare forza e
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supremazia. Invece fanno esattamente il contrario“, zieht sie im Interview ihren Schluss.
Eine Meinung, die auch Hamza Munir Akhtar teilt. Seit zwei Jahren
lebt der junge Mann in Südtirol, sein Interview gibt er in
fließendem Deutsch. Er mache beim Projekt mit, um die Position
eines Menschen mit Migrationshintergrund zu repräsentieren. Im
Stück sage er auch einen Satz in seiner eigenen Sprache, erzählt der
Pakistani etwas stolz. Das Problem der nicht durchgesetzten
Autonomie hätte er mit einem Streik gelöst, Gewalt sei für ihn
absolut keine Lösung.
Paul Decarli und Hamza Munir Akhtar
FOTO: Lisa Maria Kager
Kontroverse Meinungen
„Die sollten fühlen, was Todesangst ist. Von der Feuernacht an war
unser Vater Staatsfeind Nummer eins in Italien“, erzählt Eva Klotz vom Anfang der Bombenjahre. Mit
zusammengefalteten Händen und zittriger Stimme steht sie auf der rechten Seite der Bühne. Ihr Vater Georg Klotz war
ein führendes Mitglied des Befreiungsausschusses Südtirol. Als es in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1951 einen
lauten Knall gab und der BAS insgesamt 37 Hochspannungsmasten, zwei Hochdruckleitungen und einige
Eisenbahnmasten in die Luft jagte, war sie elf Jahre alt.
Die Schilderungen von Eva Klotz auf der großen Bühne des Bozner Stadttheaters folgen auf den Auftritt von Rolf
Steininger. Der emeritierte Professor für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck ist ein bekannter Kritiker der
Bombenjahre und der Meinung, dass die Bombenleger dem Land weit mehr geschadet als genützt haben.
Das Theaterstück „Bombenjahre“ bringt die Geschichte als Dokumentartheaterprojekt auf die Bühne. Nicht
Schauspieler sind Protagonisten des Stücks, sondern Historiker, Journalisten und Zeitzeugen. Sie erzählen von den
Geschehnissen der 50er­ und 60er­Jahre und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. So wie Ubaldo Bacchiega.
Bacchiega ist ein Opfer der Attentate in der Feuernacht. Als es in der Bozner Industriezone knallte, war er noch im
Bauch seiner Mutter. Er erzählt von Steinstücken, die seine Mutter gegen die Rollläden fliegen sah. Ein Bild von Feuer,
Flammen und fliehenden Menschen bot sich ihren Augen. Sieben Monate später kam Bacchiega zur Welt und musste
sofort operiert werden. Heute sitzt er im Rollstuhl – Grund ist die Feuernacht.
So prallen die Meinungen in diesem Theaterprojekt nach und nach aufeinander und malen dem Zuschauer ein Bild der
damaligen Geschehnisse. Der ehemalige Polizeibeamte Vincio Marcomeni kommt zu Wort, der Exilist Siegfried Steger
wird via Live­Schaltung nach Bozen auf die Bühne geholt. Nach einer halben Stunde ist der erste Teil des Stücks vorbei
und das Publikum – aufgeteilt in vier Gruppen – bricht auf zu einer „Ausstellung der Meinungen“. In und um das
Bozner Stadttheater kann sich der Zuschauer hier in 14 Stationen frei bewegen. In grauen Blechboxen lauscht er den
Erzählungen von ehemaligen BAS­Mitgliedern und ihren Frauen, aber auch jenen des Journalisten und
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Dokumentarfilmers Christoph Franceschini oder Elmar Thalers,
dem Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes. Eine
Geschichte fließt so in die nächste und setzt das Mosaik der
Vergangenheit zusammen.
Eine Brücke in die Zukunft
Der dritte Teil des Theaters schlägt schließlich die Brücke zur
Zukunft. Regisseur Alexander Kratzer hat dazu zwölf Jugendliche
Christoph Franceschinis Box
FOTO: Lisa Maria Kager
mit ins Boot geholt, die ebenfalls keine Schauspieler sind. „Mir war
es wichtig, dass man nicht nur über Vergangenes spricht, sondern
sich auch Gedanken macht über das Jetzt und über die Zukunft“,
erklärt Kratzer.
Paul, Maheen und Hamza haben sich eine klare Meinung über die
Akteure der Bombenjahre gebildet. Dagegen weiß Bühnenkollegin
Maria Lang noch nicht, ob die Mitglieder des BAS für sie
Aktivisten, Freiheitskämpfer oder doch Terroristen waren. „Jede
Begrifflichkeit, die man in diesem Zusammenhang verwendet,
wertet“, meint die 20­jährige Rittnerin im Interview hinter der
Bühne. Doch für Maria sei diese Form des Theaters ein idealer
Weg, um Meinungsbildung zu fördern und zu unterstützen. Weil
nicht Schauspieler die Geschichte nachspielen, sei sie in ihren
Fabiana Maglio, Maria Lang und Maheen Fatima
FOTO: Lisa Maria Kager
Augen echt, könne das Stück ganz besonders berühren. „Wir
Jungen sind am Ende des Stückes eine schöne Abrundung. Man
blickt in die Vergangenheit, man schaut, was davon übrig geblieben ist und wie die Leute jetzt zum Thema Feuernacht
stehen“, erklärt Maria. Mehr Infos zum Stück und die weiteren Aufführungstermine gibt eshier.
veröffentlicht am 15. Februar 2016
Paul Decarli und Hamza Munir Akhtar
FOTO: Lisa Maria Kager
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LISA MARIA KAGER
ist ein Plappermaul. Hat immer eine Antwort parat und schweigt
eigentlich nur beim Schreiben. Verbraucht durchschnittlich mehr Wolle
und Kaffeepulver als Luft und trinkt lieber ein kühles Bierchen als
schicken Prosecco.
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