Lose Ware

Markt & Management
Vermarktung
Lose Ware
Immer mehr Einwegverpackungen entsprechen nicht der Umwelt- und
Bio-Idee. Verpackungsfreie Geschäftskonzepte machen daher zunehmend
von sich reden. Was ist für Bioland-Direktvermarkter umsetzbar?
vieles mehr wird entweder lose oder in Spendern oder Behältern
angeboten. Die Kunden können die Ware in gewünschter Menge
in mitgebrachte Behälter abfüllen. Auf Einwegverpackungen
kann der Laden so komplett verzichten. Wer nichts Passendes
parat hat, kann sich im Laden mit Dosen, Flaschen oder Gläsern
eindecken. Das System wirkt auch der Lebensmittelverschwen­
dung entgegen. Denn Kunden können exakt die Menge eines Pro­
duktes einkaufen, die sie tatsächlich benötigen. Inzwischen hat
das verpackungsfreie Verkaufskonzept diverse Nachahmer ge­
funden: so etwa in Berlin, Dresden, Mainz und Bonn. Laut der In­
ternet­Plattform best­practice­business.de sind bundesweit wei­
tere Neueröffnungen geplant.
Verpackungsfreier Konsum fängt im Kopf an
Verpackungsfreies Einkaufen beim Kieler Supermarkt „unverpackt“:
Über 400 Produkte können Kunden hier selbst abfüllen.
„Zero Waste“ heißt die Vision, das hinter dem Unverpackt­
Geschäftsmodell steht. Die Grundidee ist, Verpackungsmüll erst
gar nicht entstehen zu lassen. Anders als beim Recycling geht
es beim Precycling nicht darum, „Abfall im Wirtschaftskreislauf
nutzbringend wiederzuverwerten, sondern weitestgehend zu
vermeiden“, so Anja Kirig, Trendforscherin beim Zukunftsinsti­
tut. Somit betreffe das Thema zu allererst die Konsumwirtschaft
und erst dann die Abfallwirtschaft. Entscheidend ist es hier, dass
alle Beteiligten mitdenken: der Verarbeiter oder Lebensmittel­
hersteller, der Abfall weitestgehend im ersten Schritt vermei­
det, der Handel, der verpackungsarmes Einkaufen ermöglicht
und toleriert, und der Kunde, der sich die Mühe macht, stets mit
verschiedenen Behältern und Flaschen einkaufen zu gehen.
Fotos: unverpackt
Lose Ware – was anderes gab´s früher nicht
D
er Kieler Supermarkt „unverpackt“ macht´s vor: Verpa­
ckungsfreies Einkaufen ist keine Utopie, sondern jetzt
schon möglich. An die 400 Produkte umfasst das Sorti­
ment des deutschlandweit ersten Supermarktes, der komplett
auf Einwegverpackung verzichtet: Nüsse, Oliven, Nudeln, Müsli,
Öle, Fruchtsäfte, Reinigungsmittel, Pflegeprodukte – dies und
Als vor rund 30 Jahren die ersten Bioland­Hofläden ihre Pforten
öffneten, war lose Ware normal: Getreide oder Kartoffeln aus
dem Jutesack oder Haferflocken, verpackt in Papiertüten. Selbst
Bio­Haarshampoo oder Bio­Reinigungsmittel wurden durch­
weg in Nachfüllsystemen angeboten, erinnert sich Irene Leifert,
Bioland­Beraterin für Direktvermarktung. Schließlich gab es
in den Anfängen der Bioläden vieles nur in Großgebinden. Erst
mit wachsendem Bio­Sortiment und steigender Nachfrage hat
sich das grundlegend geändert: Inzwischen kann der Hofladner
im Großhandel fast alles fix und fertig konfektioniert und ver­
packt bestellen. Doch allmählich setzt sich die Einsicht durch,
wie wichtig es ist, den Verpackungsmüll auf ein Mindestmaß ein­
zudämmen. Im Gegensatz zu den Bio­Supermärkten bevorzugen
viele Hofladner bei der Auswahl ihrer Produkte Pfandsysteme.
So sind hier oft mehr Glasverpackungen bei den Molkereiproduk­
ten und Getränken zu finden.
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Dennoch ist aus Sicht von Leifert das Geschäftsmodell der un­
verpackt­Läden mit ihren rund 400 Produkten nur bedingt für
Direktvermarkter geeignet: „Damit kommt ein Hofladen, der im
Schnitt bis zu 2.500 Produkte anbietet, nicht klar“, ist die Berate­
rin überzeugt. Die Direktvermarkter sollten sich auf das fokus­
sieren, was sie bereits umgesetzt haben und anbieten, und dies
auch bewusst den Kunden vermitteln: loses Obst und Gemüse
ebenso wie Fleisch, Wurstwaren und Käse aus der Frischtheke
und eben keine vakuumverpackten Salami­ oder Goudascheiben
aus dem Kühlregal. Lediglich für Grundnahrung wie Ceralien,
Nüsse, Reis, Müsli und Nudeln sieht sie Containerlösungen
als praktikabel und bei ausreichendem Absatz als sinnvoll an.
„Damit kann sich ein Bio­Hofladen zusätzlich profilieren“, sagt
die Vermarktungsexpertin. Allerdings ist das Spektrum der
Bioland­Hofläden groß. Wer nur eine Auswahl von Grundnah­
rungsmitteln anbietet, kann nach Ansicht von Leifert eher auf
Einwegpackungen verzichten. Völlig verpackungsfrei geht also in
den meisten Fällen nicht, wohl aber verpackungsarm.
Das Angebot verpackungsfreier Waren ist bei „Hildes
Grünzeug“ zunächst auf vier Produkte beschränkt. Sind
die Erfahrungen positiv, wird das Angebot erweitert.
Mit verpackungsarmem Einkaufen setzen sich die Betriebsleiter
vom Bioland­Betrieb „Hildes Grünzeug“ aus Geilenkirchen
intensiv auseinander. Anlässlich des diesjährigen zehnjähri­
gen Bestehens des Hofladens ist jeder Monat einem bestimm­
ten Motto gewidmet, im Februar war es die Müllvermeidung.
„Seit dem ersten Februar liegen bei uns nun konsequent keine
gewöhnlichen Plastiktüten mehr aus“, sagt Annika Ludewig, die
als Vollzeitkraft im Hofladen „Hildes Grünzeug“ arbeitet. Kleine
Papiertüten sind kostenlos, für die kompostierbaren Frischebeu­
tel müssen die Kunden zehn Cent berappen, für die Papiertra­
getaschen 25 Cent. „Seit wir dieses Thema bewusst angehen, ist
der Verbrauch von Tüten, Beuteln und Tragetaschen deutlich zu­
rückgegangen“, freut sich Ludewig. „Unser Obst und Gemüse le­
gen die Kunden nun meist lose in den Einkaufskorb oder Wagen
und verpacken diese an der Kasse für den Heimweg in mitge­
brachte Taschen oder Körben. Viele bringen auch eigene Behält­
nisse und Schüsseln mit.“ Als Anreiz schenken die Ladner den
Kunden die robuste Bioland­Tragetasche.
Allerdings brauchte es eine gewisse Zeit, bis die Kunden verinner­
licht hatten, dass manche Produkte wie Basis­Müsli, Naturreis,
Essigreiniger oder Spülmittel nun zusätzlich auch zum selbst Ab­
füllen angeboten werden. Anfangs vergessen viele Kunden, Be­
hältnisse mitzubringen, so die Erfahrung der Verkäuferinnen.
Positives Feedback kommt insbesondere von den Kunden, die
gerne zunächst ein Produkt ausprobieren möchten, bevor sie
eine größere Menge kaufen. „Das bietet sich bei den unverpack­
ten Waren natürlich an“, sagt Ludewig. „Zudem haben wir an den
Regalen kleine Hinweise angebracht, dass jenes Produkt auch
lose zu haben ist – dies hat sich zusätzlich positiv ausgewirkt.“
Generell sei bei den Kunden ein großes Problembewusstsein in
Bezug auf Müllvermeidung zu beobachten, ebenso die Bereit­
schaft, die entsprechenden Anstrengungen des Hofladens mitzu­
Fotos: V. Kirschbaum
„Hildes Grünzeug“ teils unverpackt
tragen. Nichtsdestotrotz bietet „Hildes Grünzeug“ die oben ge­
nannten Waren zugleich in verpackter Form an. Man wolle, so
Ludewig, erst abwarten, wie gut sich die lose Produktvariante
etabliert. Anstelle von speziellen Produktspendern behilft man
sich zunächst mit lebenmittelechten Boxen mit Deckel, die über
einen Gastro­Versand zu kaufen sind. Ob man die im Bioland­
Servicehandel neu eingeführten Polyester­Netzbeutel einsetzen
wird, ist noch nicht entschieden. Der erste Eindruck sei positiv
und man könne sich, so Ludewig, durchaus vorstellen, dass sie
gut in das Sortiment und Ladenkonzept passen.
„Bei uns kann man nicht containern“
Wie Verpackungsmüll vermieden werden kann, treibt die
Bewirtschafter von Hofgut Oberfeld in Darmstadt schon lange
um. „Ein wichtiger Ansatz ist bei uns die Gestaltung des Sorti­
ments. 90 Prozent der Milchprodukte sind in Mehrwegform
abgepackt. Milch in Tetrapak­Kartons haben wir komplett
abgeschafft“, sagt Vivian Glover, die auf dem Hofgut für die
Vermarktung verantwortlich ist. Um auch Kunststofftüten oder
Papierbeutel einzusparen, ermutigt das Verkaufspersonal die
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Kunden, ihr Obst und Gemüse lose an der Kasse abwiegen zu
lassen. Bei nicht druckempfindlichem Obst oder Gemüse ist das
problemlos machbar.
Etwas umständlicher ist das Prozedere im Frischebereich.
Schließlich ist es aus lebensmittelhygienischen Gründen nicht
zulässig, von den Kunden mitgebrachte Behälter hinter der
Frischtheke zu befüllen. Was sich vor der Theke abspielt, sei da­
gegen nicht reglementiert, erläutert Glover: „Wir behelfen uns
damit, dass wir eine Folie auf die Theke legen und dann die
Käse­ oder Wurststücke auf die Folie legen. Das ermöglichst es
den Kunden, ihre Produkte in die eigenen Gefäße zu legen, was
viele gerne annehmen.“
Etwas Besonderes hat sich das Darmstädter Hofgut auch zum
Verpacken von Brot einfallen lassen: einen Brotbeutel aus Stoff –
die Idee dazu hatte vor gut drei Jahren eine Mitarbeiterin, die an
der Backwarentheke arbeitet. Entwickelt wurde der Beutel zu­
sammen mit der Heydenmühle, einer Werkstatt und Lebensge­
meinschaft für Menschen mit geistiger Behinderung in Südhes­
sen. In der Handweberei wird der Stoff, eine Spezialmischung
aus Baumwolle und Leinen, gewebt. „Der Zusatz von Leinenfa­
sern sorgt dafür, dass das Brot nicht so schnell austrocknet wie
in einem reinen Baumwollbeutel“, sagt Glover. Der Beutet kostet
22 Euro. Leider ist die Akzeptanz geringer als erhofft. „Das liegt
entweder an dem relativ hohen Preis oder auch daran, dass die
Kunden beim Einkaufen nicht immer planvoll vorgehen“, vermu­
tet Glover.
Das Hofgut Oberfeld setzt alles daran, neben Verpackungsmüll
auch keine Lebensmittelreste zu hinterlassen. „Bei uns kann
man nicht containern, weil wir keine Lebensmittel wegwerfen“,
versichert die Vermarkterin. Nach Möglichkeit wird auf dem Hof­
gut alles gesunde, aber überreife und optisch nicht mehr anspre­
chende Gemüse und Obst weiterverarbeitet. Da es nicht immer
möglich ist, sämtliche Fleischteile zu verkaufen, landen Über­
mengen oder unansehnliches Gemüse in Suppen oder Eintöpfen,
die für das Hofcafé oder die Verpflegung der Mitarbeiter zuberei­
tet werden. Die hofeigene Bäckerei backt aus Teigresten Fladen.
„Und wenn der Käse in der hofeigenen Käserei nicht so reift, wie
er soll, wird er als Pizzazutat eingesetzt“, so Glover.
Nina Weiler, Journalistin aus Karlsruhe
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