Wie die Althütter einst zum „Rechenspitzer“ wurden

Wie die Althütter einst zum „Rechenspitzer“ wurden
Der Erholungsort Althütte mit seinen Teilortschaften gehört heute in vielerlei Hinsicht
zu den bevorzugten Gemeinden im Schwäbischen Wald.
Die Entwicklung der Gemeinde Althütte bis ins 19. Jahrhundert
Die Geschichtsquellen beschränken sich auf wenige Gemeinderatsprotokolle und
Oberamtsbeschreibungen aus dem 19.Jahrhundert, auf Pfarrberichte und einige private Aufzeichnungen. Die meisten Akten sind verloren gegangen. Nach einem Pfarrbericht wurden die historischen Ortsakten eines Tages von Unterweissach nach
Backnang geschafft und gingen dort bei einem Brandunglück in Flammen auf.
Als gesichert kann gelten, dass die Althütter Gegend bereits im Jahr 1252 an das
Adelsgeschlecht der (Alt-)Württemberger fiel. Nach einer Zeitperiode spärlicher Besiedlung mit ackerbautreibenden Bewohnern gab es nachweislich von ca. 1450 bis
1550 n.Ch. Glashütten bei Althütte, Schöllhütte und Fautspach. Nach einem Pfarrbericht stand der Hüttenbetrieb unter staatlich belehnten Hüttenmeistern. Einige Hüttenarbeiter, darunter wohl etliche aus Böhmen eingewanderte Glasfacharbeiter, ließen sich dort auch nieder. Grund und Boden gehörten aber weinigen größeren Hofbauern und dem Staat. Dieser Erwerbszweig kam jedoch bereits Ende des
16.Jahrhunderts wegen Absatzschwierigkeiten und vor allem wegen Holzmangel
zum Erliegen. Ohne genügend Brennstoff ließ sich keine Glashütte betreiben. Der
Waldbestand war größtenteils einfach radikal abgeholzt worden.
Die Wirren des 30jährigen Krieges löschten dann die Spuren der Glashütten fast
gänzlich aus. In der Markung Althütte überlebten den furchtbaren Krieg nur 54 Personen. Im 18.Jahrhundert unterstanden die einzelnen Gemarkungen Althütte,
Schöllhütte, Voggenhof, Lutzenberg und Kallenberg dann der Stabs- und Gerichtshoheit Unterweissach. Erst im Jahre 1819 wurde die politische Gemeinde Althütte
gegründet. Eine eigene Pfarrei bekam der Ort viel später: im Jahre 1853.
Während des 18.Jahrhunderts hatte die Landwirtschaft die weinigen Einwohner des
kleine Orts im Schwäbischen Wald zu ernähren vermocht. Insgesamt war die Landwirtschaft in Althütte aber im Vergleich mit anderen Orten, die bereits in den Tälern
lagen, benachteiligt. Sie brachten nur kleine Erträge. Ein Haupthindernis war dabei
der Mangel an Streu und infolgedessen eine ungenügende Düngung des ohnehin
düngerbedürftigen Bodens. Denn der Boden in Althütte ist sandig, deshalb für Kartoffelanbau geeignet ;für Weizen und Gerste bedarf er aber starker Düngung. Ganz
allgemein liegt die Gemeinde Althütte auf Stubensandstein und nur die westlichen
Gemeindezipfel haben einen kleinen Bodenanteil an Buntem Mergel.
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts stand man vor der Situation, dass die Bevölkerung
innerhalb kurzer Zeit erheblich angewachsen war. In der Gemeinde lebten um die
Jahrhundertwende ca. 800 bis 900 Einwohner. Die Tragfähigkeit der Ernährung- und
der Erwerbsmöglichkeiten aus der Landwirtschaft war überschritten worden. Zudem
entstanden durch die Erbteilungen immer kleiner Landparzellen. Auf Dauer fehlende
Rentabilität und der Mangel an Ackerland zwang viele Einwohner , sich nach anderen Verdienstmöglichkeiten umzusehen. In dieser Zeit kam der „Beruf“ des Tagelöh-
ners mehr und mehr auf. Diese Arbeiter waren vielfach bei den Bauern der Umgegend beschäftigt und leisteten dort Gelegenheitsarbeitern. In Althütte waren so zu
Beginn des 19.Jahrhunderts eine größere Zahl von wenigbegüterten Tagelöhnern
ansässig, die sich durch große Kinderzahlen rasch und stetig vermehrten. Sie
mussten oft in kümmerlichen Häuschen (den „Selden“) wohnen. Diese Tagelöhnerhäuschen befanden sich fast nur auf der Markung Althütte, da diese die geringste
Bodenqualität der Gesamtgemeinde aufwies. Da standen einst in Lutzenberg, Kallenberg und Voggenhof die normalen Bauerngehöfte, in Althütte und Schöllhütte mit
wenigen Ausnahmen aber Seldenhäuschen. Die Tagelöhner arbeiteten bei den größeren Bauern des Umlandes; daneben betrieben sie meist noch ein wenig eigene
Landwirtschaft. Die Erträge aus Fremdarbeiten und eigener Landwirtschaft reichten
für diese Menschen oft kaum zum Überleben. Der einzige Reichtum der Gegend war
das Holz der jungen Wälder, die in den letzten Jahrzehnten verstärkt aufgeforstet
worden waren. So versuchten einige Einwohner durch handwerkliche Heimarbeit
samt deren Vertrieb ihren Verdienst zu verbessern. Zunächst wurden diese nur im
Winter und bei schlechten Wetter zum Eigenbedarf betrieben. Bald ging man jedoch
auch zum Verkauf im näheren Umland über. Die aufgeforsteten Holzbestände des
Welzheimer Waldes boten sich zu einer handwerklichen Verarbeitung des Holzes
geradezu an. Als neuer Wirtschaftszweig etablierte sich deshalb die Holzverarbeitung.
Die Fertigung von Waren erfasste großer Teiler der Bevölkerung in Althütte etwa in
den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. An der Spitze standen offenbar die
Herstellung von Rechen sowie Produkte, die aus der Verarbeitung von Flachs zu
Leinen standen: Säcke, Hemden, Handtücher u.a.. Eine Statistik von 1829 besagt,
dass damals in Althütte als Handwerksbetriebe fünf “Brechenmacher“ (Breche = Vorrichtung zum Brechen von Flachs), 17 Rechenmacher, 26 Leineweber, sechs Brotbäcker sowie drei Kohlebrenner arbeiteten, die Holzkohlen erzeugten. Daneben wurden in einigen Familien in Heimarbeit auch Leitern, Dachrinnen, Besen Laibschießer
(mit Ihnen schoben die Bäcker den Teig in der Ofen), Spatzenbrettle, Rührlöffel und
Wäscheklammern gefertigt. Da in früheren Zeiten ein landwirtschaftlicher Hof z.B.
zwischen 25 und 50 Rechen benötigte, war zunächst der Verkauf in der näheren
Umgebung gesichert und brachte den erhofften Verdienst ein.
Die schweren Notzeiten im 19. Jahrhundert und ihre Folgen
In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts war zugleich der An- und Verkauf von
Grundstücken in Gang gekommen. Für viele Tagelöhner schien ihre Chance zum
sozialen Aufstieg in die Schicht der Bauern gekommen zu sein. Land wurde auf Kredit hin gekauft, viele bauten sich ein bescheidenes Haus. Der „Boom“ erwies sich
jedoch aus nur kurzlebig. Die Güterpreise sanken erheblich, eine Not- und Teuerungszeit brach an. Ab 1835 wird von Verpfändungen berichtet. Die in damaligen
Pfarrberichten genannte Kartoffelerkrankung ab dem Jahr 1844 vernichtete dann auf
Jahre die Ernten und nahm dazu noch die Arbeitsstellen auf den Höfen weg, die
ebenfalls durch die Missernten in Not gerieten. Die Not steigerte sich rasch. Besonders seit 1848 gab es Missernten und in den Folgjahren Mangel an Saatfrüchten.
Schlechtwetter und Teuerungen setzten sich bis in die 50er Jahren fort. Ende 1851
prägten Regenfluten und schreckliche Gewitter den Jahresverlauf. So war das Jahr
1852 die schlimmste Zeit für die Bevölkerung der Gegend.
Schon seit den 40er Jahren hatten viele Einwohner von Althütten damit begonnen,
aus dem vorhandenen Waldholz in großem Stil Waren für den Verkauf herzustellen.
Das Holz wurde dabei oft auf nicht legale Weise beschafft. Man griff zu einem „frevelhaften Holzhandel“ aus dem benachbarten Staats- und Forstwaldungen und verkaufte die teils roh, teils bearbeiteten Holzwaren durch patentierten Hausierhandel.
So konnte zwar schneller Verdienst geschaffen werden- die Felder aber blieben unbestellt. Eine Verarmung vieler Gemeindeglieder trat ein. 1855 musste die Gemeinde
unter Staatsfürsorge gestellt werden. Schon 1847, 1852 und 1854 waren öffentliche
Armenunterhaltungsanstalten wie z.B. Suppenanstalten vom „Württembergischen
Wohltätigkeitsverein“ eingerichtet worden.
Nach Aussagen einiger Pfarrberichte sowie der Gemeinderatsprotokollen bestand in
diesen Notjahren die Hauptbeschäftigung der Bevölkerung in der Herstellung von
Holzwaren, hauptsächlich Rechen. Durch entsprechende Regierungserlasse war die
Zeit eigentlich ungünstig für eine Ausdehnung der Verkäufe in Form des „Hausierens“. Nur ein geografisch recht begrenztes Gebiet war damals für Verkaufstätigkeiten zugelassen. In der großen Notlage waren diese Tätigkeiten aber für viele die einzige Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen. Fast jede Familie fertigte in der Zeit
von 1845 – 1855 Rechen oder andere Holzwaren an. Aus dem Jahren 1853 ist eine
Bewohnerzahl von 1313 Personen überliefert.
Was früher zuerst ein Nebenerwerb von Tagelöhnern gewesen war, wurde jetzt zum
Handwerk mit verfeinerten Herstellungstechniken und Werkzeugen ausgebaut. Jedes
Familienmitglied wurde zur Produktion herangezogen. Innerhalb der Familien kam es
zudem zu geregelten Arbeitsaufteilungen. Kinderarbeit war dabei an der Tagesordnung; auf den zweisitzigen „Böcken“ gab es extra einen Kinderplatz. Dabei wurde auf
dem Vordersitz der Rechen von einem Erwachsenen montiert, hinten wurden die Rechenzinken gespitzt: dies war in aller Regel – neben anderem – die Aufgaben der
Kinder. Als Werkstatt zur Rechen – und Holzwarenherstellung diente oft einfach das
Wohnzimmer („die Stube“) oder die Küche der kleinen Häuschen.1850 gab es nach
Bericht der Kirchengrundsteinlegungsurkunde in Althütte allein
40 hauptberufliche Rechenmacher, die jährlich mehr als 20.000
Rechen fertigten. Die Rechen
wurden damals für 4 bis 8 Pfennige verkauft. Daneben wurden
auch noch einen große Anzahl
von Leitern, Brechen, Besen und
kleineren Holzwaren hergestellt.
Viele der Männer waren nun Rechenmacher; andere Handwerksberufe wurden um diese Zeit nur
noch vereinzelt ausgeübt. Nur in Kallenberg und Lutzenberg waren die Menschen
noch vorwiegend Bauern.
Aus der Not geboren: Althütter Bürger auf der Wanderschaft
Für das Aufkommen des so genannten Hausierergewerbes in Althütte war also die
überaus harte Not in den 40er bis 60er Jahren des 19. Jahrhunderts verantwortlich.
Die hergestellten Holzwaren benötigten neue Absatzmärkte. Denn der Verkaufsmarkt
in der näheren Umgebung war bald gesättigt; man musste sich neue Käuferkreise
erschließen.
So versuchten ein oder mehrere Familienmitglieder, die Holzwaren von Haus zu
Haus gehend zu verkaufen. Dabei verkauften die Frauen vor allem kleiner Holzwaren, während die Männer in der Hauptsache mit größeren Karren mit Rechen umherzogen. Diese Wagen nannte man im Volksmund einfach auch „Leuteschinder“. Die
zweirädrigen Karren waren zumeist mit über 100 Rechen beladen. Diese wurden dabei kunstvoll auf den Karren gestapelt. Nur wenige konnten es sich leisten, dem Karren einen Esel vorzuspannen. Wenn man sich dazu eine Vorstellung von den damaligen Zuständen der Straßen macht, die bestenfalls grob geschottert waren, kann
man ein wenig von den Mühen erahnen, welche die Menschen aus Althütte bei ihren
Verkaufreisern erwartetet. Verkaufsfrauen hatten es nur unwesentlich leichter.
Sie hatten meist einen etwas kleineren Karren mit Waren wie Schindeln, Wäsche
klammern, Besen, Rührlöffel und Spatzenbrettle beladen, durch die Lande zu ziehen.
Die Männer waren in der Regel bis maximal 14 Tage unterwegs. Nach Verkauf ihrer
mitgeführten Waren mussten sie sich zu Hause mit Nachschub für die nächst Reise
eindecken. Im Museum von Althütte ist heue ein zweirädriger Hausierer-Rechenkarren ausgestellt; er ist mit ca. 55 Rechen beladen. Ebenso kann ein Karren, den die
Frauen damals mit sich führten, bestaunt werden.
Dies alles geschah in einer Zeit, da die königliche Württembergische Regierung noch
stark einschränkend auf dieses Gewerbe einwirkte. Mancher Althütter kam damals
sogar deswegen mit dem Gesetz in
Konflikt, wenn er keine ausreichenden
Papiere mit sich führte. Denn zuerst
mussten die Leute um ein Verkaufpatent bei den öffentlichen Behörden
nachsuchen. Ein Nachweis, dass eine
Tätigkeit in der Landwirtschaft nicht
mehr möglich sei, musste erbracht
werden. In der Regel war es zunächst
so, dass diejenigen, die das Patent erhielten, ihre Waren auch selbst herstellten. Erst später kam es auch hier
zur „Arbeitsteilung“. Die einen produzierten, die anderen gingen mit den
Waren auf Verkaufreisen.
Die Althütter – bald auch die ganze
Gemeinde – wurde so damals mit dem
Spottnamen der „Rechenspitzer“ bedacht. Denn Rechen wurden von jedem
Karren aus Althütte verkauft. Vom
Schwäbischen Wald bis zum Bodensee hinunter war damals die Bevölkerung von
Althütte bekannt für ihre Holzwaren – und für ihren Einfallsreichtum, was man aus
dem Material Holz alles herstellen konnte.