Aus der Trauer ins Leben - ECP

Aus der Trauer ins Leben
EU-Arbeitsgruppe entwickelt drei Schritte zur Unterstützung der Verlustverarbeitung
Bei Verlust und Tod werden Menschen mit ihren Gefühlen konfrontiert. Ähnlich wie bei einer
Geburt, die bei den meisten Menschen überwältigende Gefühle des Glücks auslösen, ist der
Schock bei der Diagnose einer terminalen Krankheit oder einem erlebten Verlust unerwartet
stark. Trauer trifft mit ihrer ganzen emotionalen Härte.
Viele Menschen versuchen den Schmerz zu verdrängen und flüchten in blinden und unnötigen
Aktivismus, falsche Rücksichtnahme oder Rückzug. Aber auch bei einer aktiven
Auseinandersetzung, bzw. wenn der Tod als Erlösung erwartet wurde, werden Angehörige
trotzdem buchstäblich aus ihrer Bahn geworfen.
Der Verlust eines geliebten Menschen muss verarbeiten und die Lebensumstände neu geordnet
werden. Hilfsangebote orientieren sich überwiegend an den Phasenmodellen von Elisabeth
Kübler-Roß bis Verena Kast und an religiösen Weltanschauungen. Diese fokussieren das
Verlusterleben, das Abschiednehmen und bieten Raum und Zeit die Trauer durchleben zu
können.
Sterben und Tod: Wie gehen unsere europäischen Nachbarn damit um? Wie verhalten sie sich,
um den Schmerz erträglicher zu machen? Gibt es Gemeinsamkeiten, gleiche bzw. ähnliche
Probleme oder vielleicht auch Lösungen, die übernommen werden können? Um Antworten auf
diese Fragen zu finden wurde 2009 das EU-Partnerschaftsprojekt „Dying & Death in Europe" ins
Leben gerufen. In ihm beobachteten Psychologen, Ärzte sowie Krankenhaus- und
Hospizmitarbeiter aus Frankreich, Polen, Spanien und Deutschland Trauerprozesse. Sie
erörterten Probleme der Sterbebegleitung und beobachteten Menschen bei erfolgreicher
Verlustverarbeitung.
Dabei wurde das Projekt durch die tragischen Ereignisse in Polen, die Staatstrauer für die 96
Verstorbenen des Flugzeugabsturzes und sechs Monate später durch die Demonstrationen für
und gegen ein Kreuz, maßgeblich beeinflusst. Durch eine transkulturelle Diskussion und
empathische Auseinandersetzung mit den Ereignissen, wurden die konkreten
Unterstützungsmöglichkeiten für Trauernde entdeckt.
Die Ereignisse zeigten, dass Trauer immer auch ein „Auftrag" an Hinterbliebene ist, das eigene
Umfeld neu zu sortieren. Im Idealfall schon lange vor dem Sterbeprozess mit dem Bewusstsein
verbleibende gemeinsame Lebenszeit sinnvoll nutzen zu müssen. Im Falle eines unverhofften
plötzlichen Todes jedoch mit einem Schock.
Geboren werden, älter werden, Erfahrungen machen und sterben, ist ein natürlicher Prozess.
Trotzdem will der Verstand mit dem Gefühl nicht übereinstimmen. Während die Vernunft
beginnt den Tod zu akzeptieren, rebelliert das Gefühl dagegen. Gedanken wie, nein, es war zu
früh, es hätte nicht passieren dürfen, kämpfen mit der Vernunft.
Aber selbst wenn die Trauer vergeht, wird das Verlustgefühl insbesondere dann deutlich, wenn
Erinnerungen hervorgerufen werden. Der Schmerz wird dann vermutlich durch eine
Wertschätzung des Erlebten verursacht. Es wird bewusst, diese Erlebnisse mit der
verstorbenen Person zukünftig nicht mehr erleben zu können.
Das ist gesunde Trauerarbeit und diese Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation, hilft die
Gegenwart anzunehmen. Reicht das wertschätzende Gefühl aus der Vergangenheit nicht mehr
aus, weil der Trauernde mehr reale Begegnung wünscht, entsteht eine neue positive
Ausrichtung in die Zukunft. Dann erfolgt ein Perspektivenwechsel von der
Vergangenheitsorientierung über die Gegenwart zur Zukunft. Bedürfnisse werden gegenwärtig
und vergangene Erfahrungen können dabei in liebevoller Erinnerung behalten werden.
Die Eu-Arbeitsgruppe schlägt drei konkrete Schritte für den Perspektivenwechsel vom passiven
Verlusterleben zur aktiven Annahme des Lebens vor. Diese können im aktivem Austausch mit
einer sterbenden Person und/oder als anschließende Selbstreflexion gegangen werden.
Im ersten Schritt soll die Akzeptanz des Wandels als einzige Lebensbeständigkeit unterstützt
werden. Als Zweites gilt es die vergangenen Erfahrungen als Geschenk für das eigene Leben
positiv und wertschätzend anzunehmen. Der dritte Schritt unterstützt die sonst unbewusst
ablaufenden natürlichen Prozesse der Neuordnung des Trauerpanoramas.
Mit Hilfe der drei Schritten können aus tiefer Trauer und Schmerz eine liebevolle Erinnerung
sowie neue Lebendigkeit und Glück erwachsen.
Schritt 1: Gefühl und Verstand in Einklang bringen.
Die meisten Menschen, die mit Sterben und Tod konfrontiert werden, leiden, weil sie die
Wahrheit nicht akzeptieren wollen oder können. Sie hadern und glauben, dass das
Bevorstehende oder bereits Geschehene nicht hätte passieren dürfen, dass es ungerecht oder
einfach noch zu früh sei. Die Natur des Lebens wird nicht akzeptiert, Verdrängung der Realität
verursacht die negativen Folgen.
Der erste unterstützende Schritt ist, daher nicht die Frage nach dem erlebten Leiden, sondern
die Aufforderung, die eigenen Überzeugungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Wenn schmerzliche und glückliche Erfahrungen als natürlichen Teil des Lebens akzeptiert
werden, beginnt sich die Wahrnehmungsperspektive im Trauerprozess zu verändern. Jeder
Mensch kennt die Erfahrung, dass ein unerwünschtes und oft auch schmerzvolles
Lebensereignis sich für die Persönlichkeitsentwicklung als wertvolles Geschenk entpuppte. Wird
dieser tiefere Sinn erkannt, können auch Sterben, Tod und Abschiedserfahrungen anders
eingeordnet werden. Realitätsklärung schafft die Basis für neue Perspektiven. Damit
verbundene Gedanken und Erkenntnisse über das Leben im Allgemeinen und eigene
Erfahrungen im Spezifischen, verändern die Gefühlslage, und helfen den persönlichen
Wendepunkt ins Leben zu finden.
Schritt 2: Die Kernbotschaft der Beziehung formulieren.
Wenn Sterben und Verlust als natürlicher Prozess des Lebens verinnerlicht und akzeptiert
wurden, kann der daraus entstehende Schmerz als eine Einladung für ein Resümee
angenommen werden.
Aus der gemeinsamen Lebenserfahrung mit der verstorbenen Person soll ein Sinn als
Kernbotschaft für die eigene Entwicklung erkannt und als Geschenk angenommen werden.
Wenn gemachte Erfahrungen für das Leben wertgeschätzt werden können - und sei es als
schlechtes Beispiel, können diese als Lebensunterstützung für das weitere Leben angenommen
und eingeordnet werden.
Das gilt nicht nur für Hinterbliebene, sondern auch für den Sterbenden selbst. Wer ein ehrliches
Resümee - eine wertschätzende Kernbotschaft - annehmen kann, akzeptiert den Wandel und
wird bei noch so tiefer Trauer gestärkt.
Angehörige können gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen einordnen und die vergangene
wie auch noch verbleibende Zeit als Geschenk erleben lernen. Trauer wird gemeinsam als
Zeichen tiefer Liebe und Verbundenheit erlebt und Schritte für die Zukunft können unterstützend
besprochen und eingeleitet werden. Pflegende werden entlastet und können entsprechend der
Wünsche des Sterbenden handeln. So kann dem Recht auf Selbstbestimmung, Liebe und
angemessene Versorgung Rechnung getragen werden.
Entweder, weil Menschen sich in Versöhnung, Liebe und Frieden verabschieden können, oder
sogar in Zwietracht, Streit und Hass den Kontakt beenden. Beide Wege führen am Ende zu
einer Neuordnung der Beziehungsmuster und somit zu einer Versöhnung. Falls diese
Versöhnung nicht zwischen den Menschen möglich ist, dann kommt sie zumindest innerhalb
der widerstreitenden Wertvorstellungen des Hinterbliebenen zum tragen. Beide Wege helfen
über die Definition einer Kernbotschaft den Verlust zu verarbeiten.
Schritt 3: Das Trauerpanorama bearbeiten und ins Leben finden.
Verstorbene Personen bestehen in unserer Erinnerung weiter. Ohne diese Erinnerung könnten
wir einen Menschen gar nicht vermissen oder Sehnsucht empfinden. Folglich leben auch alle
ungeklärten Themen in den Hinterbliebenen weiter, bis diese versöhnend abgeschlossen und
eingeordnet werden können.
Trauer ist Verlustverarbeitung, die erst zu einer unbewussten und später auch bewussten
Neuordnung der sozialen Beziehungen führt. Dieser individuelle Neuordnungsprozess wird
durch das Trauerpanorama abgebildet und führt letztlich zu einer Harmonisierung von Verstand
und Gefühl.
Mit der aktiven Anregung das Trauerpanoramas herauszuarbeiten und zu verändern wird ein
Modell angeboten, die geliebte Beziehung zur verstorbenen Person anzunehmen, wert zu
schätzen, neu zu ordnen und Sicherheit zu finden. Schuldgefühle oder andere Blockaden
können aufgedeckt und bearbeitet werden.
Die drei Schritte bieten lösungsorientierte Unterstützung zur Verlustverarbeitung und reichen
von der Anleitung zur Selbsterfahrung und Hilfe zur Selbsthilfe, über die Auflösung von
Trauerblockaden und Schuldgefühlen bis zur Therapie pathologischer Trauer.
Weitere Informationen bekommen Sie beim Autor unter [email protected],
www.trauerpanorama.de und in den Veröffentlichungen: Aus der Trauer ins Leben. Den Verlust
überwinden und wieder glücklich werden. Anregungen und Übungen zur Trauerbegleitung. Witt
Klaus (ISBN 978-3-941903-06-7) sowie in Englisch in dem Manual to Support Professionals
During Their Work With Dying And Bereaved Persons (ISBN-978-3-941903-12-8)
Praxis Palliative Care Ausgabe 14/2012 in der Rubrik Modelle guter Praxis