Der Wirtschaftsversteher

BÖRSIANER & ANLEGER | NOURIEL ROUBINI
Der Wirtschaftsversteher
NOURIEL ROUBINI
ist Ökonomieprofessor an der New York
University. Aktuell nimmt der 52-Jährige
ein Sabbatical-Jahr, um sich seinem Researchhaus Roubini Global Economics zu
widmen, für das in New York und London
rund 100 Menschen arbeiten. Roubini war
von 1998 bis 2001 unter Präsident Bill
Clinton wirtschaftlicher Berater. Der Starökonom absolvierte die Luigi-BocconiUniversität in Mailand und machte seinen
Doktor in Harvard.
Die Euro-Krise kommt Nouriel Roubini gelegen. Der Pessimist ist nun weltweit wieder stark gefragt. Doch
dem New Yorker Ökonomieprofessor geht es um mehr, als nur berühmt zu sein. Mit seiner Beratungsfirma
Roubini Global Economics will er nicht in erster Linie Geld verdienen, sondern die Welt verbessern
laif/Tim Wegner
D
er Mann ist müde. Richtig müde.
Gerade ist Nouriel Roubini von
einem Überseeflug in New York gelandet. Morgen muss er schon wieder los
– nach Europa, Asien, in den Mittleren
Osten. Dort geht der 52-Jährige dieser Tage
bei Regierungschefs, Notenbankpräsidenten und Oppositionspolitikern ein und aus.
Der Ökonomieprofessor der New York University (NYU) ist berühmt, seine Meinung
zur Zukunft der Weltwirtschaft und den
Leitwährungen gefragt.
Natürlich könnte sich Roubini auch auf
seinen Lorbeeren ausruhen, ein paar Millionen im Jahr mit Vorträgen verdienen,
seine berühmten Hauspartys feiern und
ansonsten ein ruhiges Leben als Professor
führen. Doch der Krisenguru will mehr. Für
ein Jahr hat er deshalb eine Auszeit von
seiner Universitätsarbeit genommen, um
seine Researchfirma Roubini Global Economics (RGE) aufzubauen. Jeden Dollar, den
er verdient, investiert er in seine neueste
Vision: eine Denkfabrik, die unverblümt
sagt, wie die Dinge stehen. „Unser Anspruch ist es, richtig zu liegen“, sagt Roubini. „Nicht mehr und nicht weniger.“
Berühmt geworden ist Roubini in der
Finanzkrise als Schwarzseher der Nation.
Das hört der Amerikaner mit dem starken
ausländischen Akzent gar nicht gern: „Wir
sind nicht Dr. Doom oder Dr. Boom. Wir
haben aktuell 50 Experten, die objektive,
rigorose Analyse betreiben.“ Der Erfolg gibt
ihm bislang recht. Gut tausend Kunden –
darunter Institute wie der Weltwährungsfonds, der Geheimdienst CIA, die Fed, die
Bundesbank, Hedge-Fonds oder Investmentbanken – abonnieren sein Research. Das
Besondere: RGE deckt nicht nur die Volkswirtschaften in Europa und den USA ab,
sondern auch entlegene Regionen wie Algerien, Ghana oder Oman. „Wir verfolgen 150
Volkswirtschaften weltweit“, sagt Roubini.
Globalisierung ist ihm in die Wiege
gelegt. Roubini, geboren in Istanbul, ist der
Sohn eines persischen Teppichhändlers,
Ältester von vier Geschwistern. Seine Familie zog oft um, in den ersten fünf Jahren
lebte Roubini im Iran, in Israel und Italien.
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Später ging er nach Harvard und machte
unter Lawrence Summers, dem Ex-Wirtschaftsberater von US-Präsident Barack
Obama, seinen Doktortitel. Roubini spricht
fließend Englisch, Italienisch, Hebräisch
und Farsi.
Roubinis Denkfabrik liegt in einem renovierten Loftgebäude im Westvillage, dem
New Yorker Trendviertel, in dem die Starfotografin Annie Leibovitz wohnt und die
Schauspielerin Julianne Moore – als wolle
er sich von der Wall Street mit ihren nagelneuen Hochhäusern im Finanzviertel oder
in Midtown bewusst abgrenzen. Von seinem
Zimmer aus blickt Roubini auf den Hudson
River, auf dem die ersten Entdecker per
Schiff eintrafen. Abgesehen von der Führungsriege arbeiten die Analysten in einem
Großraumbüro mit großzügigen Sitzecken,
wie sie an der Wall Street selten sind.
„Unser Anspruch ist es,
richtig zu liegen.
Nicht mehr und nicht
weniger“
Die Idee für sein Unternehmen hatte
Roubini schon 1997, als er als NYU-Professor eine Website über die Krise in Asien ins
Leben rief. Sieben Jahre später riet ihm ein
Freund, diese Website zu einem Geschäft
auszuweiten. Zunächst baute Roubini sein
kostenloses Onlineangebot als Sammelbecken von Ideen anderer auf – eine Art
Online-Newsletter der jüngsten Meinungen über die Wirtschaftslage, in zwei bis
drei Sätzen zusammengefasst. „Mit der Zeit
fragten unsere Abonnenten aus der Finanzwelt, was denn unsere Meinung zum
Thema wäre“, erinnert sich Dean Daniels,
ein ehemaliger Journalist, der heute die
Geschäfte von RGE führt und seit vier Jahren an Bord ist.
Seit 2006 produziert RGE eine vierteljährliche makroökonomische Studie, in der
die Experten verschiedene Szenarien für
die Zukunft der Weltwirtschaft entwerfen
und diesen bestimmte Wahrscheinlichkeiten zuordnen. Eine höhere Erscheinungsfrequenz hält Roubini für Unsinn: „Wer
seine Meinung von Tag zu Tag anpasst,
macht nur eine Menge Lärm.“
Der endgültige Durchbruch kam 2008
mit der Immobilien- und Finanzkrise in
den USA. Schon lange hatte sich Roubini
mit Krisen auseinandergesetzt. Als Berater
des Weltwährungsfonds sammelte er aus
erster Hand Erfahrungen mit Finanzkrisen
wie in Asien 1997 oder Argentinien 2001.
Schon 2004 warnte er vor der hohen Verschuldung der USA. Legendär ist eine Diskussion von 2006, in der er die Finanzkrise
detailliert vorhersagte. Als sie tatsächlich
eintrat, schnellte die RGE-Website mit
500 000 täglichen Besuchern zur Nummer
eins auf ihrem Gebiet hoch. Roubini lacht,
dass er als Krisengewinner kritisiert wird:
„Klar habe ich von der Krise profitiert, aber
das ist ein albernes Argument.“
Daniels ist der Meinung, dass die wahre
Leistung seines Chefs viel weiter ging:
„Roubini sagte nicht nur die Krise vorher,
sondern er verstand auch genau, welche
furchtbaren Auswirkungen sie auf die Weltwirtschaft haben würde.“ Doch der eine
Treffer reicht nicht, um die Aufmerksamkeit der institutionellen Kunden zu halten,
er muss langfristig gute Arbeit leisten. „Als
Analysten sind wir immer nur so gut wie
unsere jüngste Vorhersage. Wir müssen
recht behalten – jeden Tag“, so Roubini.
Wie will er das erreichen? „Ich trainiere
meine Leute in integriertem Research.“
Damit meint der Professor: Er nutzt seinen
Zugang zu den Entscheidungsträgern der
Welt, fügt diese exklusiven Erkenntnisse
zu mehr als 50 ökonomischen Indikatoren
hinzu und addiert dazu die persönlichen
Beobachtungen, die er auf seinen zahllosen
Reisen macht, sowie historische Erfahrungen aus der Wirtschaftsgeschichte. Aus
diesem Potpourri entsteht Roubinis Weltsicht: „Ich will alle kleinen Puzzlestücke
über die Welt aufsaugen – so bekomme ich
von Tag zu Tag ein besseres Gefühl dafür,
was wirklich passiert.“ Für ihn definiert
sich Ökonomie nicht durch komplexe ma59
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Forschung ein „wahnsinniger Vorteil, dass
Roubini regelmäßig mit Notenbankern und
Staatsoberhäuptern spricht“.
Wer Roubini aus der Ferne beobachtet,
könnte ihn als arrogant einstufen. Mal
gähnt er, während seine Diskussionspartner auf dem Podium langatmig ausholen.
Dann spurtet er nach einem Vortrag davon,
ohne Zeit für Fragen des Publikums einzuplanen. Doch seine Mitarbeiter schwören, dass es sich um den angenehmsten
Chef handelt, den man sich vorstellen kann:
„Nouriel würde einem nie über den Mund
fahren. Vertritt jemand eine andere Meinung als er selbst, wird das in Ruhe diskutiert. Und derjenige mit dem besseren
Argument gewinnt“, sagt RGE-Geschäftsführer Daniels. „Roubini ist sehr leidenschaftlich, hat einen großartigen Intellekt
und ist einer der charmantesten Leute, die
man sich vorstellen kann.“
Bei den Montags- und Freitagskonferenzen, die Roubini regelmäßig besucht
oder sich zumindest per Telekonferenz
zuschaltet, kommen zunächst alle Analysten zu Wort, ehe sich Roubini als Letzter
äußert. So stellt er sicher, dass er mit seiner
Meinung die Diskussion nicht zu stark bestimmt. „Selbst bei den abstrusesten Ideen
lacht niemand“, versichert Daniels. „Ich bin
kein Diktator“, sagt Roubini, „es ist wichtig,
ein Spektrum von Meinungen kennenzulernen.“ Zugleich ist ihm wichtig, mit
seiner Forschung Konsistenz zu wahren:
„Wir diskutieren so lange, bis wir einen
Konsens finden.“
Roubini nutzt seine Erfahrung als Professor, im Team zu denken und seinen
Ansatz ohne Dünkel an seine Mitarbeiter
zu vermitteln. „Roubini hat 50 handverle-
sene Leute, denen er vertraut und die er
schult, die Welt so anzusehen wie er selbst“,
sagt Daniels. Das scheint den Geschulten
Spaß zu machen. „Freunde von mir, die bei
den großen Investmentbanken arbeiten,
stöhnen permanent über ihren Job. Ich
dagegen kann frei arbeiten und sagen, was
ich denke“, sagt Christian Menegatti, Leiter
des Global Research von RGE. „Weil wir
keine Gebühren aus dem Investmentbanking verdienen, erhalten wir keine mit
der Wall Street vergleichbaren Boni“, ergänzt Menegatti, „aber dafür arbeiten wir
mit Nouriel zusammen.“
Alle bei Roubini betonen, wie wichtig
unabhängiges Research ist – und wie selten
man das an der Wall Street bekommt: „Wie
kann man erwarten, dass einem ein Analyst
einer Investmentbank wirklich die Wahrheit über Griechenland sagt, wenn die Banker gleichzeitig deren Anleihen vermarkten?“, fragt Daniels.
Derzeit schreibt RGE eine schwarze
Null. „Wenn wir nicht weiter investieren,
können wir Gewinn machen“, erklärt Daniels. Für Roubini geht es aber nicht ums
Geld oder den finanziellen Erfolg. „Ich war
20 Jahre lang in der Forschung, jetzt lebe
ich meinen großen Traum als Unternehmer.“ Roubini will sein Research nutzen,
um seine Forschung noch tiefgreifender
durchzuziehen: „Ich verfolge meine Leidenschaft: Ich will die Welt verstehen – aber
sie zugleich verbessern.“
NELE HUSMANN
berichtet seit dem Jahr 2000 für
BÖRSE ONLINE aus New York.
[email protected]
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thematische Formeln, sondern eher als
Geisteswissenschaft: „Es handelt sich um
ein lebendiges, atmendes Wesen.“
Diesen „ganzheitlichen“ Ansatz halten
nicht alle Experten für die richtige Methode.
„Er fängt an mit einer Schlussfolgerung
und sucht dann nach Fakten, um sie zu
stützen“, sagt Anirvan Banerji vom Forschungsinstitut Economic Cycle. „Seiner
Nase“ zu folgen sei lächerlich, findet Banerji:
„Was ist, wenn man Schnupfen hat?“
Bei RGE sitzt ein inzwischen zehnköpfiges Strategieteam, das die Meinung von
Roubini und seinen Kollegen in Handelsstrategien an den Weltmärkten umsetzt, die
Kunden dann per E-Mail zugehen – Eigenhandel findet in seinem Haus nicht statt.
Kommt RGE etwa zu der Ansicht, dass es
wahrscheinlich ist, dass die Euro-Zone zerbricht, dann könnte das Strategieteam empfehlen, dass man am besten vom Euro in
den australischen Dollar wechselt – eine
Währung, die von Rohstoffen gestützt ist.
Zugang zu den Analysen haben die Kunden je nach Größe ihres Geldbeutels. Die
teuerste Kategorie für mehr als 100 000
Dollar pro Jahr – genaue Zahlen will RGE
nicht preisgeben – enthält regelmäßige
Telefonate mit dem Chef. Wer eine der billigeren Varianten wählt, muss mit Roubinis
Angestellten vorliebnehmen, die je nach
Hierarchie etwas mehr oder weniger kosten
– oder er bezieht gleich für rund 700 Dollar
im Jahr nur die schriftliche Fassung der
Analysen.
Die Telefonate mit den Kunden bringen
Roubini und seinen Analysten eine wichtige Rückkopplung: „Die Fragen und Ideen
der Klienten befruchten auch uns“, sagt
Daniels. Nach seiner Meinung ist es für die