Sachbericht zum Projektabschluss

Euthanasie-Gedenkstätte
Lüneburg e.V.
Endnachweis
Sachbericht Projektzeitraum 1.9.2013 -31.08.2015
Projekt: „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ Lüneburger Inklusionsschulung
Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“ Lüneburg/
“Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg e.V.
Thematischer Hintergrund und Schwerpunktthemen
Die Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“, seit 1.9.2015 „Euthanasie“-Gedenkstätte
Lüneburg, befindet sich am Ort der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg, die 1901 errichtet wurde.
1935 übernahm Dr. Max Bräuner die Anstaltsleitung als Ärztlicher Direktor. Bräuner befürwortete die
Zwangssterilisation gemäß dem Gesetz zur Verhütung erbranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 und war
ab 1. Januar 1934 u.a. gutachterlich für das Erbgesundheitsgericht Lüneburg tätig. Mit Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich die Versorgung der Erkrankten in der Heil- und Pflegeanstalt
Lüneburg eklatant. Die Sterberate stieg sprunghaft und erreichte mit nahezu 27% im Jahr 1945 den
Höhepunkt.
Im Frühjahr 1941 ließ Bräuner 481 Erkrankte, d.h. nahezu die Hälfte seiner damaligen Patientinnen und
Patienten im Rahmen der „Aktion T4“ in vier Transporten von Lüneburg in die Tötungsanstalten
Sonnenstein-Pirna und über die Zwischenanstalt Herborn nach Hadamar deportieren. Niedersachsenweit
entsendete die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg damit die meisten Patientinnen und Patienten in die
„Aktion T4“.
Auf Initiative der Kanzlei des Führers nahm im Oktober 1941 die „Kinderfachabteilung“ in der Heil- und
Pflegeanstalt Lüneburg ihre Arbeit auf. Das Einzugsgebiet der „Kinderfachabteilung“ erstreckte sich über
Niedersachsen hinaus bis nach Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen. Von den insgesamt 5.000
Kindern, die ab 1938 in 31 „Kinderfachabteilungen“ in den deutschen Reichsgrenzen getötet wurden,
wurden rund 300-350 Kinder in der „Kinderfachabteilung“ Lüneburg ermordet. Die Zahl entspricht sieben
Prozent aller Kindermorde, die im Rahmen der NS-„Euthanasie“-Maßnahmen bis 1945 durchgeführt
wurden. Weitere rund 100 Kinder starben zwischen 1941-1945 in der „Kinderfachabteilung“ Lüneburg in
Folge von Mangel- und Fehlversorgung in der „dezentralen Euthanasie“. Insgesamt starben in der
„Kinderfachabteilung“ Lüneburg 60% der Kinder und Jugendlichen im Alter von drei Monaten bis 16 Jahren.
Ab dem 14. Lebensjahr wurden die Kinder und Jugendlichen in der Regel einer Zwangssterilisation
unterzogen. Todesfälle aufgrund dieses Zwangseingriffs sind belegt.
Die Anstalt in Lüneburg war darüber hinaus im Jahr 1943 Zwischenanstalt im Rahmen der „Aktion Brandt“
(„dezentrale Euthanasie“). Viele Patienten wurden in andere Anstalten verlegt, in denen sie nach kurzer Zeit
mit Hilfe von Medikamentenmissbrauch oder durch Mangel- und Fehlversorgung getötet wurden.
1944 diente die Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg als zentrale Sammelstelle für ausländische PsychiatriePatientinnen und Patienten aus dem gesamten norddeutschen Raum. Nach der Sammlung in der Heil- und
Pflegeanstalt Lüneburg wurden viele Patientinnen und Patienten im November 1944 deportiert und
ermordet. Von den nichtdeportierten ausländischen Patientinnen und Patienten überlebte jeder zweite den
Lüneburger Anstaltsaufenthalt nicht.
Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens (1961) und eines Ermittlungsverfahrens (1962-1966) gestanden die für
diese „Euthanasie“-Maßnahmen verantwortlichen Ärzte Bräuner und Dr. Willi Baumert den Mord an
Kindern und Jugendlichen. Sie gestanden auch ihre Beteiligung an der „Aktion T4“. Zur Beteiligung an der
„dezentralen Euthanasie“ und zur Behandlung der ausländischen Patientinnen und Patienten machten sie
im Rahmen von Ermittlungen keine Aussagen.
Auf Basis dieser Geschichte der systematischen und planmäßigen Entrechtung von Menschen mit
Behinderung und psychischer Erkrankung wurde im Projekt das Themenfeld Inklusion, inklusives
Geschichtslernen am historischen Ort, Menschenrechte für Menschen mit Behinderung, Menschenrechte
für Kinder und zukünftige inklusive Gesellschaft geöffnet und zum Schwerpunkt erhoben. Mit engen
Bezügen zur psychiatrischen Praxis und Gegenwartspsychiatrie, mit engen Bezügen zu inklusiver
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Kinderbetreuung und inklusiver Schule und zu Leben mit Behinderung heute, wurden verschiedene
Bildungsangebote mit diesem Themenschwerpunkt entwickelt und durchgeführt.
Projekt- und Querschnittsziele
Das Projekt »Vielfacht achten, Teilhabe stärken – Lüneburg Inklusionsschulung« verfolgte drei
übergeordnete Projektziele: (1) die »Teilhabe« und Förderung von »Inklusion«, (2) die »Qualifizierung«,
»Reduktion von Vorurteilen und Tabus« und »Empowerment« sowie (3) die »Netzwerkbildung« und das
Schaffen einer »inklusiven Bildungskultur«:
Durch das Projekt »Vielfalt achten, Teilhabe stärken« sollte die Teilhabe an Bildung und Arbeit für
Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderung verbessert, Bewusstseinsprozesse angestoßen
und Inklusionsprozesse verstärkt werden. Mit einer Qualifizierung von Fachkräften aus der
Behindertenarbeit, (Sozial-)Pädagogik, Psychiatrie und Pflege sowie durch die Qualifizierung von Menschen
mit Behinderung oder einer psychischen Erkrankung und von Multiplikatoren sollte Diskriminierung,
Isolation, Exklusion und Chancenungleichheit entgegengewirkt werden, so der Zielzustand.
Projektteilnehmende sollten in Qualifizierungsmaßnahmen und mit Hilfe geeigneter Materialien darüber
hinaus befähigt werden, Benachteiligung und Entrechtung abzubauen und als Ansprechpartner und
Prozessbegleiter Inklusions- und Enkulturationsprozesse zu fördern. Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung
und Menschen mit einer Behinderung wiederum sollten durch ihre Teilnahme und durch ihre Mitgestaltung
der Projektinhalte zudem unmittelbare Teilhabe erfahren und zur Qualifizierung der Fachkräfte und der
Projektinhalte beitragen.
Strukturelles Ziel war es, mit bestehenden und neuen Kooperationspartnern und den verschieden
Zieleinrichtungen ein inklusives Bildungsnetzwerk zu entwickeln, das dauerhaft Inklusionsprozesse fördert.
Mit Hilfe im Projekt gefestigter Kooperationen sowie der Wegbereitung einer dauerhaften Trägerstruktur
sollte wiederum für eine menschenrechtsreflektierte, inklusive historisch-politische Bildungsarbeit am
historischen Ort ein zukünftig tragfähiges Gerüst entstanden sein. Es sollte im Zuge des Projektes eine
belastbare Struktur entstehen, die die Fortführung der Projektinhalte und Maßnahmen auch über das
Projektende hinaus gewährleisten sollte.
Die Projektziele sollten durch dreitägige Qualifizierungsmaßnahmen (siehe Abschnitt Projektinhalte), die
sogenannte Lüneburger Inklusionsschulung, durch Begleitveranstaltungen sowie durch die Herstellung und
Vermittlung bzw. Publikation von geeigneten Bildungsmaterialien erfolgen. Es wurden
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14 dreitägige Schulungen,
1 Erprobungsseminar und
6 Begleitveranstaltungen
mit insgesamt 7.500 Teilnehmer-Stunden avisiert und beantragt worden.
Die Qualifizierungsmaßnahmen und Bildungsmaterialien sollten auf die Zielgruppen abgestimmt und
barrierefrei entwickelt werden. Sie sollten erprobt, intern und extern evaluiert, implementiert und der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sie sollten zudem im Kurrikulum von Ausbildungsstätten und
Bildungseinrichtungen Eingang finden.
Die Bildungsangebote (Maßnahmen, Materialien und Workshops) des Projektes sollten darauf abzielen,
Grund- und Vertiefungswissen über den historischen Ort und die Entrechtung von Menschen mit
Behinderung/seelischer Erkrankung sowie Grund- und Vertiefungswissen über Menschenrechte für
Menschen mit Behinderung/Menschenrechte für Kinder und Inklusion zu vermitteln bzw. zu festigen. Des
Weiteren sollte Interesse und ein Bewusstsein für Entrechtungserfahrungen in der Vergangenheit und
Gegenwart geweckt werden.
Alle diese Projektziele wurden erreicht, siehe m Folgenden. Dies belegen interne und externe Evaluationen,
eine hohe Nachfrage der einzelnen Maßnahmen, die gesteigerte öffentliche Wahrnehmung der
Gedenkstätte in der Region und überregional, nicht zuletzt ein tragfähiges bestehendes
Kooperationsgeflecht und eine Verstetigung der Projektarbeit durch Einrichten eines Dauerbetriebes der
Gedenkstätte über das Projektende von „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ hinaus. Näheres wird im
Folgenden ausgeführt.
Projektinhalte und Projektmethoden
Projektinhalt war die (1) (Weiter-)Entwicklung und Veröffentlichung von Bildungsmaterialien, Methoden
und Workshops, (2) die Erprobung von Materialien, Methoden und Workshops, (3) die Durchführung von
Lüneburger Inklusionsschulungen, (4) die Durchführung von Begleitveranstaltungen und die Publikation von
Projektergebnissen sowie (5) der Aufbau und die Pflege von Kooperationen mit dem Ziel der Entwicklung
einer tragfähigen Struktur über das Projektende hinaus.
Zu (1) (Weiter-)Entwicklung und Veröffentlichung von Bildungsmaterialien, Methoden und Workshops:
Projektinhalt sollte die Weiterkonzeption von Bildungsmaterialien und Vermittlungsmethoden zum Thema
„Euthanasie“ und NS-Psychiatrie in Verbindung mit Menschenrechten, Inklusion und
Entrechtungserfahrungen heute auf Basis der 2013 vorgelegten 151-seitigen pädagogischen Konzeption
(vgl. Pädagogische Konzeption „Vielfalt achten, Teilhabe stärken. Lüneburger Inklusionsschulung“ vom
31.3.2013). Zu bereits bestehenden Workshops und Materialien (Biografien-Mappen, Themenmappen,
Rollenspielen, Einstiegsmethoden, etc., vgl. Sachbericht „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ 1.9.201231.8.2013) sollten weitere Workshops und Methoden erarbeitet werden. Insbesondere sollten Materialien
und Methoden zur Vertiefung einzelner Themenbereiche sowie für die Nutzung von Menschen mit
Behinderung entstehen. Es sollten also auch Materialien und Methoden entwickelt, erprobt und
implementiert werden, die barrierefrei sind und Teilhabe für alle ermöglichen. Schließlich sollten die
Projektergebnisse zur Dokumentation sowie für die weitere Verwendung über das Projektende hinaus
publiziert werden (analog und ggf. auch digital).
Zwischen dem 1.9.2013 und dem 31.8.2015 konnten folgende Themenmappen (themenspezifische
Materialiensammlungen mit Einführungs-/Überblickstext) realisiert werden:
-
Kinder- und Jugend-„Euthanasie“
Geschichte und Beschaffenheit des
Kindergräberfeldes
Aufarbeitung der Verbrechen und
Gedenken
-
Opfergruppen
Der Präparate-Fund
Der Friedhof Nord-West
Die Entstehung der Kriegsgräberstätte
Zwischen dem 1.9.2013 und dem 31.8.2015 konnten folgende Biografie-Mappen realisiert werden:
-
Ohne Kriegseinwirkung gestorbene
Patienten
An Nahrungsmangel und Erschöpfung
Gestorbene
An Tuberkulose Gestorbene
Die am 14.12.1944 Deportierten
-
Vier abweichende Fälle
„Vergessene Kinder“
„Vergessene erwachsene Opfer“
Erika und Margarete Buhlrich
Rudolf Hagedorn
Abraham Kamphuis
4
-
Berend Hiemstra
Rosa Reinhard
Dieter Lorenz
-
Therese Schubert
Heinrich Herold
An Materialien und Methoden zur Nutzung durch Menschen mit einer Behinderung, die auch Einsatz in
Grund- und Förderschulen finden, wurden unter dem Titel „Die Würde des Menschen ist (an-)tastbar“
folgende Produkte entwickelt, erprobt und implementiert:
-
Objekte- und Bildereinstieg
Werteversteigerung in einfacher Sprache
Menschenrechte-Quiz für Kinder/in einfacher Sprache
Ene meine muh – Recht hast du (ein Brettspiel zu den Menschenrechten für Menschen mit
Behinderung)
Rechte-Karten (mit Bildern)
Rechte-Übersicht (mit Bildern und in einfacher Sprache)
4 Biografien in leichter und in kindgerechter Sprache (3 Kinder: Heinz Schäfer, Dieter Lorenz,
Friedrich Daps; 1 Erwachsene: Therese Schubert)
4 Quellensammlungen mit Übersetzungen in leichter Sprache
1 Begriffe-Glossar in einfacher Sprache
1 Lexikon Menschenrechte für Kinder in einfacher Sprache
1 Lexikon Menschenrechte für Menschen mit Behinderung in einfacher Sprache
1 Powerpoint-Vortrag „Die Vergangenheit von Menschen mit Behinderung und ihre Rechte“ in
einfacher Sprache und bildbasiert
3 Werkstätten zu Audioguide, Lexikon, und Bildergeschichten-Produktion
8 Arbeitsblätter zu Biografien-Forschung in Verbindung mit Menschenrechten
1 Audioguide mit Anybook-Reader
3 Bildergeschichten (zu Heinz Schäfer, Dieter Lorenz, Therese Schubert)
Da diese Materialien und Methoden für den Einsatz in der Grund- und Förderschule geeignet sein sollten,
wurden sie in 4 Klassensätzen produziert. Die Materialien finden aber seither auch Einsatz in der
Bildungsarbeit am historischen Ort in der Gedenkstätte.
Neben den neuen Materialien/Methoden und Workshops wurden auch bereits bestehende
Materialien/Workshops/Methoden ergänzt bzw. optimiert, z.B.:
-
Postkarten-Einstieg
Bildereinstieg
MOBILE LERNSTATION (Material-Koffer bestehend aus inzwischen 26 Workshops und dazugehörige
Materialien, wie Biografien-Mappen, Themen-Mappen, Einstiege, Rollenspiele, etc.)
7 zusätzliche Biografie-Stationen
Die MOBILE LERNSTATION befand sich zwischen Februar und August 2014 sowie zwischen Oktober 2014
und August 2015 kontinuierlich entliehen. Voraussetzung für die Leihgabe war die Teilnahme an einer
Inklusionsschulung für Multiplikatoren, in der die Workshops und Materialien vermittelt wurden.
Zu (2) und (3) Erprobung der Materialien und Durchführung von Inklusionsschulungen:
Neben der Materialentwicklung, Erprobung und Implementierung sollten im Rahmen des Projektes vor
allem dreitägige Inklusionsschulungen als Fortbildungen/Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte aus der
Behindertenarbeit, der (Sozial-)Pädagogik, der Psychiatrie und der Pflege sowie für Multiplikatoren
durchgeführt werden. Zwei Veranstaltungen sollten in Kooperation mit dem Kooperationspartner Stiftung
niedersächsische Gedenkstätten stattfinden. Im Rahmen eines Erprobungsseminars sollte zudem die
Erprobung der Materialien für Menschen mit Behinderung unter Einbeziehung von Menschen mit
Behinderung erfolgen.
Insgesamt sollten
-
10 dreitägige Inklusionsschulungen
5 zweitägige Inklusionsschulungen sowie
1 Erprobungsseminar mit
-
insgesamt maximal 375 TN
mit rund 7.500 TN-Stunden
stattfinden (siehe auch Abschnitt Projektziele).
In einer separaten Schulung für Peers und Aktive sollten Ehrenamtliche und Absolventen der Fortbildung
qualifiziert werden, die Schulungen zukünftig alleine bzw. als Zweitkraft durchführen zu können.
Weil die Nachfrage nach den Inklusionsschulungen und Materialien sehr hoch war, konnten bzw. mussten
nicht nur die angesetzten, sondern zusätzliche Veranstaltungen bzw. Maßnahmen durchgeführt werden, die
dem Projektziel direkt zugutekamen.
Innerhalb des Projektzeitraumes und abweichend vom Projektantrag/Projektziel wurden daher zwischen
dem 16.10.2013 und dem 30.7.2015 insgesamt folgende Inklusionsschulungen durchgeführt:
-
14mal dreitägige Inklusionsschulungen (9-17 Uhr)
3mal zweitägige Inklusionsschulungen (9-17 Uhr)
10mal eintägige Inklusionsschulungen (9-17 Uhr)
2mal dreivierteltägige Inklusionsschulung (8-14 Uhr)
Des Weiteren wurde zwischen den Herbst- und den Winterferien 2014 (vgl. Sachbericht 2014) über einen
Zeitraum von 6 Wochen ein gesamter 6. Jahrgang (über 100 Schülerinnen und Schüler) der IGS Embsen (LK
Lüneburg) für drei Unterrichtsstunden/Woche betreut, um für Menschen mit Behinderung o.g. BegriffeGlossar, o.g. Audioguide und o.g. drei Bildergeschichten im Projektorientierten Schulunterricht (PORTA) zu
erarbeiten. Diese Maßnahme kam neu hinzu, weil projektseitig der Anspruch erhoben wurde, dass die
Materialien aufgrund bestehender „inklusiver Beschulung“ auch für die Zielgruppe 4.-6. Klasse geeignet sein
müssten und die Entwicklung der Materialien nur in Rücksprache und unter Einbeziehung der
„Endabnehmer“ bzw. „Nutzer“ erfolgen könne. Demgemäß wurden die Materialien und Methoden durch
Schülerinnen und Schüler der IGS Embsen erarbeitet und erprobt. Parallel wurden die Materialien und
Methoden von Lehrkräften der An Boerns Soll Förderschule in Buchholz (LK Harburg) kommentiert und
lektoriert.
Der Entwicklung und Erprobung in der IGS Embsen schloss sich eine Erprobung der Materialien und
Methoden nicht im Rahmen einer Inklusionsschulung, sondern viel nachhaltiger durch die gesamte
Schülerschaft der An Boerns Soll Förderschule Buchholz im Rahmen einer Projektwoche im Januar 2015 an
(ca. 200 Schülerinnen und Schüler). Die Schülerinnen und Schüler ab Klasse 4 arbeiteten in einer ganzen
Projektwoche mit den verschiedenen Materialien und Methoden und stellten ihre Arbeit im Rahmen einer
Abschlussveranstaltung am internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2015 in Buchholz der
Öffentlichkeit vor. Die Materialien und Methoden, zusammengefasst unter dem Titel „Die Würde des
Menschen ist (an-)tastbar“, sind oben bereits aufgelistet worden.
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Zu den zweitägigen Veranstaltungen zählten die Veranstaltungen, die in Kooperation mit der Stiftung
niedersächsische Gedenkstätten (Projekt „Entrechtung als Lebenserfahrung“) durchgeführt wurden, sowie
eine Veranstaltung mit 65 Auszubildenden der Heilerziehungspflege der Lüneburger BBS II. Die Verkürzung
war möglich, da das Fortbildungsprogramm bei den Kooperationsveranstaltungen ohnehin nur einzelne
Workshops der Inklusionsschulung berücksichtigen konnte. Die zweitägige Verkürzung bei den angehenden
Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern war nur dadurch möglich, dass die beiden Berufsschullehrkräfte
zuvor an einer Inklusionsschulung für Multiplikatoren teilgenommen hatten, sodass einzelne Workshops der
Schulung an der Berufsschule im Unterricht durch die Lehrkräfte selber durchgeführt werden konnten.
Die eintägigen Veranstaltungen wurden ab Juni 2014 erforderlich, weil eine hohe Nachfrage bestand.
Zudem stellte sich heraus, dass es viele geschlossene Gruppen und neue Zielgruppen gab (Erzieherinnen
und Erzieher, Menschen mit Behinderung, Multiplikatoren), die ein besonderes Fortbildungsinteresse
mitbrachten, auf das nur durch ein eintägiges Angebot auf die verschiedenen Bedarfe gruppenspezifisch
reagiert werden konnte. Teilnehmende der eintägigen Inklusionsschulungen waren:
-
Mitarbeiter der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, die ein „Schnupperangebot“ interessierte und
deren Dienstplan eine dreitägige Fortbildung nicht zuließ,
angehende Lehrkräfte der Förderschule/Studienseminar Lüneburg (als Multiplikatoren-Fortbildung
ausschließlich zu dem Thema „inklusives Geschichtslernen“)
Lehrkräfte/Multiplikatoren der Grund-, Förder- und Hauptschule (als Multiplikatoren-Fortbildung
ausschließlich zu dem Thema „inklusives Geschichtslernen“)
Gruppen mit Menschen mit Behinderung
Gruppen mit Menschen mit Psychiatrieerfahrung
Erzieherinnen und Erzieher aus dem Kita-Bereich und aus der Behindertenarbeit
Inklusive Gruppen
Aufgrund der zahlreichen zusätzlichen Inklusionsschulungen wurden
-
30 Inklusionsschulungen (ein- bis dreitägig) mit
insgesamt 1.129 TN
20.939,5 TN-Stunden
durchgeführt.
Obwohl am Ende jeder Schulung auf Teilnehmerseite große Bereitschaft signalisiert wurde, sich weiterhin
für die Gedenkstätte zu engagieren, wurden aus den Reihen der Teilnehmenden nur zwei Aktive rekrutiert,
die seither dauerhaft unentgeltlich für die Gedenkstätte arbeiten. Sie übernehmen Führungen von
Schulklassen, helfen bei Sonderausstellungen und übernehmen einzelne Workshops aus der
Inklusionsschulung.
Es wurden in den Inklusionsschulungen zudem einzelne Lehrkräfte als Multiplikatoren für die
Gedenkstättenarbeit und sporadische Unterstützer für einzelne Maßnahmen der Gedenkstätte gewonnen.
So wurden die Materialien für Menschen mit einer Behinderung vollständig durch ehemalige
Schulungsteilnehmende der An Boerns Soll-Förderschule lektoriert, damit die in den Materialien
Anwendung findende leichte Sprache korrekt ist. Dieses Angebot wird auch für zukünftige
Materialentwicklungen aufrecht gehalten.
Ehemalige Schulungsteilnehmende vermitteln zudem zu Privatarchiven oder führen eigene Forschungen
fort, die der Gedenkstätte zugutekommen. Oder sie werben für die Veranstaltung und vermittelten
geschlossene Gruppen für eintägige Inklusionsschulungen.
Durch ehemalige Teilnehmende sind zudem feste Kooperationen zu einzelnen Schulen und zu Institutionen
der Behindertenarbeit entstanden.
Eine Schulung nur für Peers und Aktive ließ sich nicht realisieren. Fünf Aktive nahmen jedoch an einer
Inklusionsschulung für Multiplikatoren teil, sodass sie seither auch einzelne Workshops der Schulung
übernehmen (s.o.).
Zu (4) Durchführung von Begleitveranstaltungen und die Publikation von Projektergebnissen:
Neben der Durchführung der ein- bis dreitägigen Inklusionsschulungen, der Erprobung der
Materialien/Methoden und der Kooperationsveranstaltungen sollten zudem Begleitveranstaltungen in Form
von sechs Expertengesprächen und Vorträgen, aber auch ein theaterpädagogisches Angebot
(Theaterwerkstatt Göttingen) stattfinden. Die Projektergebnisse sollten überdies öffentlich präsentiert
werden, z.B. in Form von Beiträgen zu Gedenkfeierlichkeiten 2013, 2014 und 2015, einer Sonderausstellung
und Publikationen.
Aufgrund der hohen Nachfrage an Schulungen, standen keine Mittel mehr zur Verfügung für gesonderte
Expertengespräche. Um sie dennoch stattfinden zu lassen, wurden sie in das Schulungsangebot integriert
und wurden zielgruppenspezifisch nur Experten aus der Praxis eingeladen, die bereit waren ohne Honorar
ein rund einstündiges Gespräch mit den Teilnehmerinnen im Rahmen der Inklusionsschulung zu führen. In
nicht jeder mehrtägigen Schulung konnte hierdurch ein Expertengespräch realisiert werden, dennoch
fanden im Rahmen der Inklusionsschulungen auf diese Weise insgesamt neun Expertengespräche, d.h. drei
mehr als beantragt statt. Die geladenen Experten waren/sind:
-
Arne Both, Richter am Amtsgericht Lüneburg, zuständig für Betreuungsverfahren zum Thema:
Menschenrechte für Menschen mit einer Behinderung und seelischen Störung in der
Gegenwartspsychiatrie/aktuelle Rechtslage zu Zwangsmaßnahmen (30.10.2013, 20.5.2014,
23.6.2014, 11.5.2015, 22.6.2015)
-
Dr. Sebastian Stierl, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, zum Thema:
Menschenrechte für Menschen mit einer seelischen Störung in der Gegenwartspsychiatrie
(15.1.2014)
-
Christina Meyn/Martina Ulmer, Peer-Beraterinnen der Psychiatrischen Klinik Lüneburg
(www.pk.lueneburg.de/peer-beratung/) zum Thema: Psychiatrieerfahrene und Inklusion in der
Gegenwartspsychiatrie (21.2.2014)
-
Martin Boeing (Pädagoge, Berater der Inklusionsstrategie des Bildungs- und Integrationsbüros des
Landkreises Lüneburg) und Anna Boeing (mit Schwerst-Mehrfachbehinderung seit 6 Jahren inklusiv
beschult in Regelschulen), Praxis-Pioniere der inklusiven Beschulung zum Thema: inklusive Schule
gestern, heute und morgen (29.3.2014)
-
Helmut Lorenz und Mario Nitzsche (Zeitzeuge und Angehörige des Kind-Opfers Dieter Lorenz) zum
Thema: Die Lebensgeschichte und die Suche nach Dieter Lorenz im Rahmen der Gedenkfeier 2015
in der Gedenkstätte in Lüneburg (27.9.2015)
Als Begleitveranstaltung wurden 14 öffentliche Vorträge von Frau Dr. Rudnick gehalten, in der die
Inklusionsschulung und Ergebnisse der Seminararbeiten sowie Bildungsprodukte exemplarisch vorgestellt
wurden:
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6.11.2013 mit dem Titel „Was ist ‚Vielfalt achten, Teilhabe stärken‘ – die Lüneburger
Inklusionsschulung?“ im Rahmen des Projektträgertreffens „Inklusion durch Enkulturation“
-
23.1.2014 mit dem Titel „Beisetzung sterblicher Überreste von Kindern aus der Lüneburger
‚Kinderfachabteilung‘ und die neue Gedenkanlage auf dem Friedhof Nord-West“ auf der Tagung der
AG Friedhöfe der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Hannover
8
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7.1.2014 mit dem Titel „Nicht immer nur reden“ am Holocaust Gedenktag, ausgerichtet von der
Hansestadt Lüneburg in Lüneburg
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8.2.2014 mit dem Titel „Den Opfern ein Gesicht, den Namen wieder geben“, im Rahmen einer
Tagung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg
-
15.6.2014 mit dem Titel „Den Opfern ein Gesicht, den Namen wieder geben. Lebens- und
Familiengeschichten von Kindern des Lüneburger Patientenmordes, eingeladen vom Kulturverein
Betzendorf in Betzendorf (LK Lüneburg)
-
24.8.2014 mit dem Titel „Den Opfern ein Gesicht, den Namen wieder geben“ aus Anlass der
Neueröffnung der Sonderausstellung mit gleichnamigen Titel in der Gedenkstätte Lüneburg in
Lüneburg
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6.10.2014 mit dem Titel „Was ist das PORTA-Projekt ‚Menschenrechte für Kinder – Menschenrechte
für Menschen mit einer Behinderung 4.-6- Klasse an Regel- und Förderschulen‘?“, eingeladen von
der IGS Embsen in Embsen (LK Lüneburg)
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15.12.2014 mit dem Titel „Praxisbericht: ‚Die Würde des Menschen ist (an-)tastbar‘. Vorstellung von
Lernmaterialien“, im Rahmen eines eintägigen Workshops des Projektes „Menschen achten, Rechte
verstehen“ eingeladen von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle
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25.1.2015 mit dem Titel „Die Würde des Menschen ist antastbar“, eingeladen von der vhs Lüneburg
zur Ausstellungeröffnung „Den Opfern ein Gesicht den Namen wiedergeben“ in Lüneburg
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27.1.2015 mit dem Titel „Die besondere Geschichte der Menschen mit Behinderung oder: über die
Selbstverständlichkeit kein Recht auf Rechte und kein Recht auf die eigene Geschichte (gehabt) zu
haben“, am Holocaust Gedenktag, ausgerichtet von der An Boerns Soll Förderschule Buchholz und
der Stadt Buchholz in Buchholz
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18.3.2015 mit dem Titel „Vom Wandel im Umgang mit ‚Krankheit‘ und ‚Behinderung‘“ am Fachtag
Inklusion, ausgerichtet von den Studienseminaren Lüneburg und dem Kompetenzzentrum für
Lehrerfortbildung der Leuphana Universität Lüneburg in Lüneburg
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7.5.2015 mit dem Titel „Die kleine Geschichte von Menschen mit Behinderung und psychischer
Erkrankung in Lüneburg“, eingeladen von der Lebenshilfe Lüneburg-Stade in Lüneburg
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18.6.2015 mit dem Titel „Über das Denken, Entscheiden und Handeln und ihre Folgen in der
psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg
zwischen 1941 und 1946“, eingeladen vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in Hamburg
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21.7.2015 mit dem Titel „Wie kann ‚inklusives Geschichtslernen‘ funktionieren? Bildungsprodukte
aus dem Projekt ‚Vielfalt achten, Teilhabe stärken‘“, eingeladen vom Historischen Seminar der
Leibniz-Universität Hannover in Hannover.
Des Weiteren wurden Bildungsprodukte und das Projekt am 26.6.2014 auf der DGPPN-Tagung (Tagung der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie Niedersachsen) in der Psychiatrischen Klinik
Lüneburg im Rahmen eines Workshops öffentlich vorgestellt.
Wie beantragt, fand das theaterpädagogische Angebot „Fridas Weg“ am 25.6.2015 im Gesellschaftshaus der
Psychiatrischen Klinik Lüneburg statt. Es handelte sich um ein Theaterstück mit anschließender
Macherrunde und Gespräch über Inklusion heute und „Euthanasie“-Maßnahmen früher – mit einem
Schwerpunkt auf die Ereignisse in Lüneburg. 132 Personen nahmen das Angebot wahr. Die Veranstaltung
war damit sehr erfolgreich.
Zusätzlich zu „Fridas Weg“ konnte in Kooperation mit der katholischen Kirchengemeinde St. Marien in
Lüneburg ein zweites theaterpädagogisches Angebot eingeworben und am 23.6.2014 in der Musikschule
Lüneburg veranstaltet werden: „Der Brief“ vom theater36 aus Hamburg, eine Theatergruppe aus
Schauspielern mit und ohne geistige Behinderung der Hamburger Einrichtung „Leben mit Behinderung“.
An dieser Veranstaltung nahmen mindestens 60 Personen teil. Thematisch ging es in dem pädagogisch
ausgerichteten Stück um die Frage, ob Menschen mit einer geistigen Behinderung sich mit der Verfolgung
und dem Mord von Menschen mit Behinderung in der Nazi-Zeit auseinandersetzen sollten. Im Anschluss
folgte eine rege Diskussion. Durch die Erarbeitung von Materialien für Menschen mit Behinderung durch die
Gedenkstätte und durch die Veranstaltung von inklusiven Fortbildungen, entfaltete dieses Angebot einen
besonderen Reiz und eine breite Tragweite.
Beide theaterpädagogischen Angebote wurden als kleines Lüneburger „Theaterfestival“ beworben und war
mit insgesamt rund 200 Teilnehmenden sehr erfolgreich.
2014 wurde im Rahmen des Projektes „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ unter Mitwirkung von
Teilnehmenden eine Sonderausstellung erarbeitet. Die Sonderausstellung „Den Opfer ein Gesicht, den
Namen wieder geben. Zwölf Lebensgeschichten von Kindern und Jugendlichen der Lüneburger ‚Euthanasie‘Maßnahmen“ erzählt auf insgesamt 13 Stelen die Biografien von zwölf Kindern und Jugendlichen, deren
Gehirnpräparate 2013 im Beisein von Angehörigen bestattet wurden. Ein erster Teil der Ausstellung (fünf
Biografie-Stationen, eine Einführungs-Stele und Erinnerungszeichen zu den fünf Kindern, die die
Teilnehmenden im Rahmen einer Schulung kreativ erarbeitet hatten) wurde bereits ab August 2013 im
Wasserturm der Psychiatrischen Klinik Lüneburg gezeigt. 2014 erfolgte dann die Vervollständigung um
weitere sieben Biografie-Stationen, Erinnerungszeichen für sieben Kinder sowie eine Aktualisierung der
Einführungs-Stele im Rahmen der Inklusionsschulungen. Aufgrund dieser Vergrößerung der Ausstellung,
musste die Ausstellung umziehen. 2014 fand die Neueröffnung der nun vollständigen Ausstellung im
Rahmen der Gedenkfeier am 24.8.2014 in den Räumen der Gedenkstätte statt, wofür die Dauerausstellung
temporär abgehängt und eingelagert wurde. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde die Ausstellung über das
eigentliche Ende am 18.10.2014 hinaus bis zum 20.12.2014 in der Gedenkstätte gezeigt. Die Ausstellung
wurde dann ab dem 25.1.2015 bis zum 20.3.2015 für acht Wochen in der vhs Lüneburg gezeigt. Die
Sonderausstellung hatte bislang hunderte Besucher und wird als Wanderausstellung wiedereröffnet, u.a. in
der Klinik in Uelzen und in der Pestalozzi-Stiftung Burgwedel (2016).
Schließlich wurden die Ergebnisse und Arbeiten, die in den Inklusionsschulungen erarbeitet wurden auch als
Gedenktafeln sowie als Broschüren publiziert.
Zu der Sonderausstellung wurde unter dem Titel
-
„Den Opfern ein Gesicht, den Namen wieder geben. Zwölf Lebensgeschichten von Kinder- und
Jugendlichen der Lüneburger ‚Euthanasie‘-Maßnahmen“ (ISBN 978-3-92263-924-4)
ein 144-seitiger Katalog veröffentlicht, der die Forschungsarbeiten der Schulungsteilnehmenden, ihre
kreativen Arbeiten sowie die Sonderausstellung dokumentiert. Der Katalog ist im Buchhandel oder beim
Verlag für die Lüneburger Zeitung erhältlich.
Auf dem Friedhof Nord-West wurden am 24.8.2014 bei der Gedenkfeier der Gedenkstätte im Beisein der
Schulungsteilnehmer zudem zwei Gedenktafeln enthüllt, die die Teilnehmenden in ihrer Inklusionsschulung
(2014) erarbeitet hatten. Zudem präsentierten Sie die Inhalte durch einen eigenen Wortbeitrag (eine
Lesung) im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK)
übernahm die Kosten für Tafel-Produktion, sodass projektseitig hier keine Zusatzaufwendungen entstanden.
Auch 2015 erarbeiteten die Teilnehmenden zweier Schulungen weitere Gedenktafeln, diesmal zu ausländischen Patientinnen und Patienten. Sie setzten sich erneut kreativ mit dem Thema auseinander. Die Arbeiten
der Teilnehmenden waren derart umfangreich, dass auch hier eine Dokumentation in Form einer 14410
seitigen Publikation nahelag. Die Ergebnisse der Schulungen erscheinen im Buchhandel als Broschüre im
September 2015 zum Projektabschluss unter dem Titel
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„ ‚Leistet nichts. Zu schwach. Nicht einsatzfähig.‘ – Hintergründe zu den Gräbern ausländischer Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg“ (ISBN 978-3-89876-810-8).
Das Buch ist ab 28.9.2015 auch beim Husum-Verlag direkt erhältlich. Die Gedenktafeln werden im Rahmen
der Gedenkfeier 2015 am 27.9.2015 enthüllt und die Schulungsteilnehmer werden auch an dieser Veranstaltung die Inhalte durch einen eigenen Wortbeitrag im Programm (eine Lesung) vorstellen.
Sehr öffentlichkeitswirksame Begleitveranstaltungen weit über die Region hinaus, waren die Gedenkfeiern
2014 und 2015, in denen Teilnehmende der Schulungen im Programm fest eingebunden waren. Die Gedenkfeier 2015 ist die Abschlussveranstaltung des Projektes „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“. Sie findet am
27.9.2015 statt. Neben dem obligatorischen Beitrag der Schulungsteilnehmenden werden in den Räumlichkeiten der Gedenkstätte alle Projektergebnisse (Elemente der Sonderausstellung, Publikationen, Bildungsmaterialien, Entwürfe der Gedenktafeln, etc.) präsentiert. Zudem sind der Zeitzeuge und die Angehörigen
Helmut und Marylin Lorenz sowie Mario Nitzsche geladen, deren Bruder, Schwager und Großcousin eines
von vier Kind-Opfern der Lüneburger „Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie“-Maßnahmen ist, deren Gräber
heute noch existieren. Helmut und Marylin Lorenz sowie Mario Nitzsche werden am Tag der Gedenkfeier
für Teilnehmende der Schulungen, die auch die Gedenktafeln erarbeitet haben und zum Programm beitragen, ein Experten- bzw. Zeitzeugengespräch führen.
Neben den o.g. wissenschaftlichen Dokumentationen „Den Opfern ein Gesicht, den Namen wieder geben“
und „Leistet nicht. Zu schwach. Nicht einsatzfähig“ veröffentlicht/e die Gedenkstätte im Rahmen des
Projektes fortlaufend neueste Forschungsergebnisse in Aufsatzsammlungen, u.a.
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Vielfalt achten, Teilhabe stärken. Menschenrechts- und gegenwartsreflektierte historisch-politische
Bildungsarbeit an Orten der NS-Psychiatrie und „Euthanasie“, in: Fleßner, Alfred/Harms, Ingo/Keller,
Rolf (Hg.): Forschungen zur Medizin im Nationalsozialismus. Vorgeschichte – Verbrechen –
Nachwirkungen, Göttingen 2014, S. 182-210.
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Den Opfern ein Gesicht, den Namen wiedergeben. Der wissenschaftliche und erinnerungskulturelle
Umgang mit den sterblichen Überresten getöteter Kinder der »Kinderfachabteilung« Lüneburg, in:
KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Gedenkstättenpolitik und Geschichtspolitik. Beiträge zur
Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 17, Bremen [im
Erscheinen]
Durch Presse- (DIE ZEIT, Die Welt, HAZ, Nordhannoversche Zeitung, Hamburger Abendblatt, Cellesche
Zeitung, Kreiszeitung Buchholz, Landeszeitung für die Lüneburger Heide u.a.), Radioberichterstattung (NDR,
Radio ZuSa, Radio LeineHertz) sowie eine Dokumentar-Filmproduktion der Filmhochschule BadenWürttemberg (Filmtitel „Unnütze Esser. Lüneburg 1945“, ein Film von Moritz Jacobi) war das Projekt
„Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ überregional präsent und wurde sie in der breiten Öffentlichkeit
wahrgenommen.
Zu (5) der Aufbau und die Pflege von Kooperationen mit dem Ziel der Entwicklung einer tragfähigen
Struktur über das Projektende hinaus siehe Abschnitt Innovationen und Vernetzungstätigkeit.
Innovationen und Vernetzungstätigkeit
Bei der Erarbeitung und Gestaltung der Inhalte der Workshops, Materialien und Methoden sollten Ansätze
der herkömmlichen Gedenkstättenpädagogik und historisch-politischen Bildungsarbeit um „DiversityAnsätze“, Ansätze der „Disability History“, sonderpädagogische Ansätze und Ansätze der
Menschenrechtspädagogik innovativ weiterentwickelt werden.
Die Bildungsangebote (Seminare, Workshops, Materialien, Veranstaltungen) sollten inklusives
Geschichtslernen ermöglichen und im Unterschied zur bisherigen Praxis in Gedenkstätten und an Orten der
zeitgeschichtlichen historisch-politischen Bildungsarbeit für Menschen mit einer seelischen Störung und
geistigen Behinderung zugänglich sein, um gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Die Materialien und
Methoden sollten aufgrund dieses Innovationspotenzials extern evaluiert werden.
Für die Durchführung und Zielerreichung sollten Kooperationen zwischen verschiedenen Bildungsträgern
und psychiatrischen bzw. sonderpädagogischen Einrichtungen (nämlich Kliniken, Berufsausbildungsstätten,
Einrichtungen der Erwachsenenbildung und Berufsqualifikationen, Schulen) das Realisierungszenario bilden.
Hierdurch sollte eine über die herkömmlichen musealen Netzwerke hinausreichende Vernetzungsstruktur
und entstehen.
Bei der Entwicklung, Erprobung und Implementierung der Workshops, Materialien und Methoden fanden
der „Diversity Ansatz“, der Ansatz der „Disability History“, sonderpädagogische Methoden und Ansätze der
Menschenrechtspädagogik konsequent Anwendung. Der Diversity Ansatz fand sich nicht nur im
multiperspektivischen Geschichtslernen in Bezug auf Beteiligte/Täterschaft/Verantwortliche/Zuschauer/
Mitläufer/verschiedene Opfer wieder, sondern auch in der Übertragung von Inklusion auf andere Gruppe in
der Gesellschaft, die Entrechtung/Exklusion erfahren (Flüchtlinge/Migranten, Sterbende, etc.). Der Ansatz
der Disability History floss insbesondere in die Rollenspiele und in Workshops zum Wandel von
Normen/Werten/Umgang mit Menschen mit Behinderung in der Geschichte ein. Sonderpädagogische
Methoden und Ansätze flossen sich in die Materialproduktion für Grund- und Förderschule unter dem Titel
„Die Würde des Menschen ist (an-)tastbar“ umfangreich ein. Menschenrechtspädagogische Elemente
prägten die Produktion der Materialien zum Thema Menschenrechte für Kinder und Menschenrechte für
Menschen mit einer Behinderung.
Insbesondere mit dem Material- und Methoden-Set „Die Würde des Menschen ist (an-)tastbar“ wurde ein
Bildungsangebot geschaffen, das es Menschen mit einer geistigen Behinderung und Kindern ab Klasse 4
ermöglicht, sich mit den Menschenrechten für Menschen mit Behinderung, mit den Menschenrechten für
Kinder, mit der Geschichte von Menschen mit Behinderung einschließlich ihrer Ermordung im NS auf
verschiedenen Lernniveaus zu beschäftigen. Nach Erprobung des Materials durch die An Boerns Soll
Förderschule Buchholz, wurden diese Materialien bislang von drei verschiedenen Einrichtungen für
Menschen mit Behinderungen bei ihrem eintägigen Besuch der Gedenkstätte eingesetzt (Pestalozzi-Stiftung,
Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, Lebenshilfewerke Mölln-Hagenow). Auch der Einsatz der Materialien im
Unterricht, stellte sich für das Studienseminar Förderschule Lüneburg als innovativ heraus. Die externe
Entwicklungsbegleitung und Evaluation durch GHRS-Lehramtsstudierende der Leuphana-Universität
Lüneburg im Rahmen ihrer Masterarbeit unterstrichen diesen Innovationscharakter.
Die Materialien und Methoden in einem Schulbuchverlag, bei der Bundeszentrale für politische Bildung
oder im Wochenschauverlag in einer Fachzeitschrift für Lehrer veröffentlicht und beworben werden, erste
Gespräche und Kontakte sind bereits aufgenommen worden.
Die Kooperation einer Gedenkstätte mit Schulen der Regelschulen ab Jg. 9 und außerschulischen Akteuren
der historisch-politischen (Erwachsenen-) Bildungsarbeit (Volkshochschulen, Tagungshäusern,
Universitäten, andere Gedenkstätten) ist nicht ungewöhnlich. Die Kooperation einer Gedenkstätte mit
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Grund- und Förderschulen, mit Kliniken und Berufsschulen, mit Einrichtungen der Behindertenarbeit usw.
hingegen schon. Solche Kooperationen und Netzwerke entstanden mit der Psychiatrischen Klinik Lüneburg,
der Krankenpflegeschule Uelzen, mit den Krankenpflegeschulen Lüneburg, mit der Krankenpflegeschule
Celle, mit der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, mit der An Boerns Soll Förderschule Buchholz, mit dem
Studienseminar Förderschule Lüneburg, mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Diese
Kooperationen konnten nur im Rahmen des Projektes entstehen und sich entfalten. Es entstand auf diese
Weise eine innovative Kooperationsstruktur, die nachhaltig dazu führte, dass die Schulung bei den
Pflegeschulen in das Ausbildungskurrikulum aufgenommen wurde, dass Elemente der Schulung bei der
kooperierenden Förderschule und ihren Kooperationsklassen Eingang finden und die Psychiatrische Klinik
Lüneburg seit dem 1.9.2015 den Dauerbetrieb der Gedenkstätte durch die Förderung einer halben Stelle
mittelfristig sicherstellt. Die offen ausgeschriebenen Angebote haben zudem zur Vernetzung der
Teilnehmenden selbst beigetragen.
Evaluation und Indikatorik
Das Konzept und die Basismodule wurden bereits im Projekt „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ (1.9.201231.8.2013) umfangreich evaluiert. Neben einer internen Evaluation durch eine Teilnehmenden-Befragung
bzgl. der neuen Vertiefungsmodule für Multiplikatoren und Peers, sollte im Projekt zudem eine externe
Evaluation stattfinden bzgl. der im Projekt „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ entstehenden
Bildungsangebote für Grund- und Förderschüler bzw. für Menschen mit Behinderung. Die Ergebnisse der
internen Evaluation lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Peers
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Rund 50% der Peers beurteilten die einzelnen Workshops der Inklusionsschulung als „sehr gut“,
rund 35% als „gut“.
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Nahezu allen gefiel besonders die biografische Arbeit.
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Viele wünschten sich noch mehr zu Täterschaft/Verantwortung und zum Thema Inklusion heute.
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Die Auswahl der Themen beurteilen rund 50% als „sehr gut“, rund 40% als „gut“.
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Die Methoden wurden von 66% als „sehr gut“ beurteilt, 25% fanden die Methoden „gut“.
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Die eingesetzten Materialien beurteilen 64% als „sehr gut“, 33% als fanden die Materialien „gut“.
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Kritik wurde vor allem am Zeitmanagement geübt (zu viel in zu kurzer Zeit, mehr Zeitbedarf) mit
dem Wunsch, eine Schulung müsste über 5 Tage angesetzt sein.
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Bei 91% der Teilnehmenden wurde die Erwartung an das Seminar erfüllt.
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72% der Peers äußerten, sich zukünftig für Inklusion einzusetzen und zu engagieren.
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52% konnten sich ein ehrenamtliches Engagement für die Gedenkstätte vorstellen.
Multiplikatoren
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Rund 70% der Multiplikatoren beurteilten die einzelnen Workshops der Inklusionsschulung als „sehr
gut“, rund 25% gaben die Note „gut“.
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Nur die Methoden „Schreibgespräch“, „Kunstausstellung“ und „Presseschnipsel“ bekamen eine
mittelmäßige Bewertung, woraufhin diese Workshops ab April 2014 nicht mehr angeboten wurden.
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Nahezu allen gefielen besonders der Methodenmix, die Biografien-Forschung und die Arbeit mit
Quellen.
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Die Auswahl der Themen beurteilten 80% als „sehr gut“, auch die Gewichtung wurde zu rund 50%
mit „sehr gut“ und zu rund 45% mit „gut“ bewertet.
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Über 80% bewerteten die Methoden mit „sehr gut“, unter 20 % mit „gut“.
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Auch die Materialien wurden mit durchschnittlich 64% „sehr gut“ und 36% „gut“ beurteilt.
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Das Zeitmanagement wurde zu 50% als „gut“ bewertet.
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77% waren mit der Fortbildung „sehr zufrieden“ und gaben ein „sehr gut“, und 23% beurteilten sie
als „gut“.
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Nahezu alle fanden die berufliche Nähe gegeben, bei 96% wurde die Erwartung erfüllt.
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95,5% wollten sich nach der Fortbildung für Inklusion einsetzen.
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Für 52,5% kam sogar ein Engagement in der Gedenkstätte in Betracht.
Die Teilnehmenden hatten auch die Möglichkeit, inhaltliche Anregungen zu geben. Diese wurden in den
weiteren Veranstaltungen berücksichtigt, so wurde das Thema Menschenrechte/Menschenrechte für
Menschen mit Behinderung/Menschenrechte für Kinder vom dritten auf den ersten Tag verlegt, um noch
mehr Raum zu haben für das Thema Inklusion und inklusive Gesellschaft von morgen. Dafür wurde die
Methode „Schreibwerkstatt“ aus dem Programm genommen. Diese Umstellung wurde im Folgenden sehr
gut angenommen. Die internen Evaluationen der Peer- und Multiplikatoren-Veranstaltungen liegen im
Anhang vor. Des Weiteren wurde mit eintägigen Seminaren spezifischer auf Gruppenbedarfe geschlossener
Gruppen reagiert.
Die externe Evaluation der Materialien und Methoden „Die Würde des Menschen ist (an-)tastbar“ wurde als
Magisterarbeit der Leuphana Universität Lüneburg vorgelegt (mit der Note 1 benotet) und befindet sich im
Anhang. Eine Zusammenfassung ist aufgrund der Komplexität kaum möglich. Im Wesentlichen erhielten die
Materialien und Methoden die Bestnote „sehr gut“. Angeregt wurde die Ergänzung um ein erläuterndes
Handbuch und um eine Übersicht aller Materialien sowie die Veröffentlichung in einem Schulbuchverlag
o.ä.
Auf Basis der Evaluationen sowie auf Basis der hohen Nachfrage der Angebote und oben dargestellten
erreichten Ziele lässt sich hinsichtlich der Indikatorik bilanzieren:
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Die Schulungen trugen zu einer Erhöhung der Angebote an Zusatzqualifikationen bei,
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Das Projekt schloss an bestehende Netzwerke an und verhalf der Weiterentwicklung dieses
Netzwerkes.
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Das Projekt sorgte dafür, dass die Gedenkstätte als Akteur auf dem Gebiet der Inklusion
wahrgenommen und einbezogen wird.
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Die Maßnahmen trugen nachhaltig zur Verhaltensänderung bei, hinsichtlich des Demokratielernens,
des Wissens um Menschenrechte, der Inklusionsbereitschaft und der Bereitschaft sich für
Inklusionsprozesse einzusetzen.
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Die Maßnahmen trugen nachhaltig zur Bewusstseinsveränderung bei, indem Absolventen zu
Multiplikatoren für Inklusionsprozesse ausgebildet wurden.
Aussagen über Erfolg und Verlauf des Projektes
Alle beantragten o.g. Vorhaben, Maßnahmen und Ziele wurden mit einem großen Erfolg im zugrunde
gelegten Zeitplan realisiert. Dies ist die Grundlage gewesen für die seit 1.9.2015 angestrebte Neugestaltung
der Gedenkstätte unter Einbeziehung der Projektergebnisse. Der Erfolg ist auch Grundlage gewesen für die
Bereitschaft des Landes und der Kommune, die Einrichtung als einen Pfeiler der historisch-politischen
Bildungsarbeit an der Schnittstelle Menschenrechte/Inklusion/Zeitgeschichte/Gegenwartspsychiatrie
dauerhaft zu betreiben und hierfür Strukturen, die im Projekt „Vielfalt achten, Teilhabe stärken“ entstanden
sind, zu fördern. Mit diesen oben berichteten Arbeiten wurden alle projektierten Projektquerschnittsziele
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(s.o.) erreicht und lief das Projekt nach Plan. Es wurden alle Arbeitspakete durchgeführt und alle
Meilensteile erreicht. Bezüglich der Teilnehmer-/Veranstaltungsfrequenz, Kooperationsbereitschaft und
öffentlichen Wahrnehmung wurden gesetzte Ziele sogar weit übertroffen.
Der zahlenmäßige Nachweis in den Vordrucken zu entnehmen.
Lüneburg, 20.9.2015
Dr. Sebastian Stierl
Vorsitzender des PSV e.V.
Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“/
„Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg e.V.
Dr. Carola S. Rudnick
Projektleitung