Evangelisches Frankfurt Zeitung für Mitglieder der evangelischen Kirche in Frankfurt am Main Februar/März 2016 · 40. Jahrgang · Nr. 1 Gutmenschen sind wichtig Was ist guter Sex? Fromm und virtuos Der Sänger Campino von den „Toten Hosen“ ist erklärterweise einer, und viele andere auch: Warum „Gutmenschen“ für unsere Gesell> Seite 4 schaft wichtig sind. Die Antwort auf diese Frage suchen vermutlich nur wenige bei den Religionen. Über ein schwieriges Verhältnis am Beispiel von Christentum > Seite 5 und Buddhismus. Max Reger war einer der bedeutendsten Kirchenmusik-Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Eine Würdigung und Konzertreihe > Seite 6 zum 100. Todestag. Für einen fairen Wahlkampf ohne Populismus ▶Die Frankfurter „Willkommenskultur“ und das große Engagement für Flüchtlinge darf im Kommunalwahlkampf nicht unter die Räder kommen: Das fordern Gunter Volz, Pfarrer für Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche, und Thomas Wagner von der Katholischen Akademie Rabanus Maurus in einer Stellungnahme. Im Namen des Bündnisses „Sozialpolitische Offensive“, deren Sprecher sie sind, fordern sie von den Parteien einen „sensiblen und konstruktiven Umgang mit den Herausforderungen von Zuwanderung“. Sie schlagen ein Fairness-Abkommen vor, das die „Verständigung von neuen und eingesessenen Frankfurtern und Frankfurterinnen über religiöse, kulturelle und ideologische Grenzen hinweg“ gestalten soll. Es könne ein „Beitrag gegen die Versuchung sein, Flucht und Migration zu instrumentalisieren“. Im Wahlkampf sollten nur gute Ideen zur Integration im Vordergrund stehen, nicht aber Polarisierung und Schüren von Befürchtungen. Zur Sozialpolitischen Offensive gehören auch der Frankfurter Jugendring, die Arbeiterwohlfahrt, der Deutsche Gewerkschaftsbund sowie andere zivilgesellschaftliche Akteure. Redaktion Kapitalanlage Kein Kapital mehr für Kohle, Gas und Öl ▶Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) will kein Kapital mehr in fossile Brennstoffe investieren. Die Kirche werde ihre Anlagen aus Unternehmen abziehen, die vorwiegend mit Kohle, Gas oder Öl Geschäfte machen, sagte Finanzdezernent Heinz Thomas Striegler. Insgesamt sollen in den kommenen fünf Jahren 45 Millionen Euro neu angelegt werden. Redaktion Höchste Konzentration: Claudia Schupp klöppelt in der Erlösergemeinde in Oberrad filigrane Engelmotive. Das traditionsreiche Handwerk finden inzwischen sogar Foto: Rolf Oeser Schülerinnen wieder attraktiv. Lesen Sie mehr dazu auf Seite 9. Höher und transparenter Das Gebäude der Evangelischen Akademie am Römerberg wird bis 2017 umgebaut ▶Ein „Forum für gesellschaftlichen Diskurs in evangelischem Horizont“ ist die Evangelische Akademie am Römerberg laut Stadtdekan Achim Knecht, und bis nächstes Jahr wird sie völlig umgebaut und vergrößert. Das Gebäude über dem Durchgang zur Alten Mainzer Gasse bekommt ein spitzer zulaufendes Dach und wird dadurch fünfeinhalb Meter höher. So entsteht Platz für ein zusätzliches Stockwerk. Zukünftig gibt es dann auf drei Etagen vier Seminarräume und zwei Veranstaltungssäle, von denen der größte 200 Personen Platz bietet. Der Eingang wird von derzeit links auf die rechte Seite des Durchgangs (vom Römerberg aus gesehen) verlegt, die Büros werden im direkt anschließenden Gebäude in der Alten Mainzer Gasse untergebracht. Mit Fluren, Toiletten und anderen Nebenräumen ergibt sich eine Gesamtnutzfläche von gut 1800 Quadratmetern. Geplanter Einzug ist im Frühjahr 2017. „In dem Bau spiegelt sich die Idee der Akademie in der Architektur“, lobte Akademiedirektor Thorsten Latzel den Entwurf des Architekturbüros Meixner Schlüter Wendt, das bereits 2006 den Umbau zur jetzigen Akademie realisiert hatte. Damals konnte nur ein Teil des Gebäudekomplexes einbezogen werden, weil die Räume teilweise noch von der Paulsgemeinde genutzt wurden. Die Gemeinde ist jetzt übergangsweise in einem Haus in der benachbarten Saalgasse untergebracht und wird nach Fertigstellung der historischen Altstadtbebauung das rekonstruierte Haus So soll es ab 2017 am Römerberg aussehen: Das Torhaus der Evangelischen Akademie mit einer Fassade aus Glas über dem Durchgang zur Alten Mainzer Gasse. „Klein Nürnberg“, Hinter dem Lämmchen 8, beziehen. Mit dem erweiterten Standort werde die Idee der evangelischen Akademien fortgeführt, so Latzel, nämlich „die Begegnung von Menschen über Grenzen hinweg, um über die großen und wichtigen Fragen der Zeit zu sprechen.“ Architekt Florian Schlüter erläuterte das bauliche Konzept. Der Bau nehme die Traditionen des Fachwerks sowie der 1950er Jahre auf, führe sie aber zu einem eigenständigen Erscheinungsbild weiter. Der Zwischenbau mit den Veranstaltungräumen zeige mit seiner ornamental bedruckten Glasfassade Transparenz. So werde die Akademie als öffentliches Gebäude erkennbar profiliert. Die Baukosten von rund sieben Millionen Euro teilen sich der Evangelische Regionalverband Frankfurt und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in etwa hälftig. Antje Schrupp ▸ Menschen und Meinungen Seite 2 Glauben auf Äthiopisch Kommentar Wertevermittlung ist nicht Sache der Polizei Gudetu Etichu engagiert sich gleich in zwei Kirchenvorständen ▶Die Polizei soll es also richten. Nach den sexualisierten Übergriffen gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof fordern viele mehr Polizistinnen und Polizisten. Keine Frage: Wo Menschen bedroht, beklaut oder gar Opfer sexueller Gewalt werden, muss die Polizei einschreiten. Dazu muss sie personell und materiell gut ausgestattet sein – die jetzt zu Tage tretenden Defizite sind auch das Ergebnis der Sparwut derer, die so gerne einen schlanken Staat wollten. Aber die Ausschreitungen in Köln stehen keineswegs isoliert. Seit Jahren erleben wir einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung, der Ich-Bezogenheit. Die Gesellschaft scheint auseinanderzufallen. Sie ist schon lange keine Werte-Gemeinschaft mehr. Eine Branche wie die der „Security“ gab es vor vier Jahrzehnten nicht, da sind höchstens nachts einige Männer der Wach- und Schließgesellschaft durch leere Büroräume gelaufen. Heute gibt es kaum noch einen Kaufhauseingang ohne Security. Eine funktionierende Gesellschaft benötigt Verbindlichkeit. Wenn nur ein Prozent sich nicht an Regeln hält, wird es schwierig – man muss sich nur einmal das Chaos vorstellen, wenn jedes hundertste Auto bei Rot über die Ampel fahren würde. So ähnlich ist es auch mit anderen Regeln: Sie müssen beachtet werden, auch wenn keine Polizei in der Nähe ist. Regeln lernt man vor allem in der Familie, aber auch in der Schule. Erwachsene, die in ein fremdes Land kommen, müssen sich in die dortigen Regeln erst einfinden. Vieles ist zunächst fremd, es bedarf der Erklärung und Einübung. Vorfälle wie die in Köln zeigen, dass der Respekt vor der Würde anderer Menschen oft fehlt. Aber ein Blick in die Kriminalstatistik belegt auch, dass dies keineswegs nur ein Problem „nordafrikanischer“ Männer ist. Wir brauchen in vielerlei Hinsicht mehr selbstverständliche Rücksichtnahme im Alltag, mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander. Sicher: Die Polizei soll und muss helfen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Aber wir alle müssen dafür sorgen, dass es gar nicht erst hineinfällt. „Behandle andere Menschen so, wie du von ihnen gern behandelt werden möchtest“ – diese so genannte „Goldene Regel“ gilt in allen Weltreligionen. Insofern kann die Religion helfen, eine Gesellschaft zu einer menschlichen zu machen. Sicher brauchen wir eine starke Polizei. Aber vor allem brauchen wir verbindliche Werte. Die Polizei wird Werte nicht vermitteln können. Kurt-Helmuth Eimuth Beratung und Information Info-Telefon/Kircheneintrittsstelle Kurt-Schumacher-Straße 23, Telefon 069 21651111 Auskunft über alle Fragen rund um die Frankfurter evangelische Kirche. Evangelische Propstei Rhein-Main Rechneigrabenstraße 10, Telefon 069 92107388 In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gibt es keinen Bischof, sondern sechs regionale Pröpstinnen und Pröpste im Kirchengebiet. Pröpstin in Rhein-Main ist Gabriele Scherle. Evangelischer Regionalverband/ Evangelisches Stadtdekanat Kurt-Schumacher-Straße 23, Telefon 069 21650 www.frankfurt-evangelisch.de Der Evangelische Regionalverband Frankfurt ist ein Zusammenschluss von Kirchengemeinden und Stadtdekanat und verantwortet die übergemeindlichen Angebote der Kirche. Das Stadtdekanat ist für die Entwicklung der Arbeitsbereiche in Gemeinden und kirchlichen Diensten zuständig. Beide werden von einem gemeinsamen Vorstand geleitet, Vorstandsvorsitzender ist Stadtdekan Dr. Achim Knecht. Spendenkonto Evangelische Bank Kassel, IBAN DE64 5206 0410 0004 0002 00 Mit einem Stichwort (wie „Obdachlosenarbeit„ oder „Gemeinde XY“) können Sie bestimmen, wem Ihre Spende zugute kommt. Wenn Sie Ihre Adresse angeben, bekommen Sie eine Spendenquittung für das Finanzamt. Beratung Telefonseelsorge 0800 1 11 01 11 Beratungsstelle für Frauen 94350230 Evangelisches Zentrum für Beratung und Therapie 5302–222 Paar- und Lebensberatung 5302–222 Familienberatung 5302–220 Migranten und Flüchtlinge 5302–291 Evangelisches Zentrum für Beratung Höchst 7593672–10 Begegnung und Bildung Evangelisches Frauenbegegnungszentrum 9 20 70 80 Evangelische Akademie 17 41–5260 Kontaktstelle für Körperbehinderte und Langzeitkranke 24751494003 Familienbildung 605004–0 -Höchst 759367280 Reisen 29723911 Jugend Stadtjugendpfarramt 959149–0 Sankt Peter 2972595100 Jugendreisen 959149–22 Evangelisches Jugendwerk 9521830 Diakonie Geschäftsstelle Evangelisches Pflegezentrum Hauskrankenpflege Demenz-Projekte Betreuungsdienst Kleider- und Möbelspenden Evangelisches Frankfurt 24751490 254920 2492121 25 4921 40 25 4921 31 90 436780 Sucht Alkoholfreie Begegnungsstätte Dominikanergasse 295456 Suchtkrankenberatung 1505–9030 -Höchst 759367260 ▶„Hier fühle ich mich zuhause“, sagt Gudetu Etichu, „das ist meine Herkunft, meine Identität.“ Die Rede ist von der äthiopischen Oromo-Gemeinde im Ökumenischen Zentrum Christuskirche am Beethovenplatz. „Unser Gottesdienst beginnt sonntags um ein Uhr und dauert zwei Stunden. Mindestens fünfzig Menschen nehmen teil, es werden Gospels aus meiner Heimat gesungen, und viele bereiten die Predigt mit vor“, sagt die 37 Jahre alte Ärztin, und fügt gleich hinzu: „Wenn Sie mal teilnehmen wollen, sind Sie herzlich eingeladen!“ Schon als Kind wollte Gudetu Etichu Medizin studieren. „Ärztin ist in Afrika und auch unter den Oromo, der größten Volksgruppe Äthiopiens, ein sehr angesehener Beruf.“ Dass ihr Onkel eine deutsche Frau geheiratet hatte und in Berlin lebte, war ihre Chance: 1997, mit 19 Jahren, ging Etichu zum Studium nach Deutschland. Schon als Kind war sie über ihre beste Freundin zur evangelischen Mekane Yesus Gemeinde gekommen. In Berlin schloss sie sich der dortigen Oromo-Gemeinde an, während des Medizinstudiums in Göttingen, wo es keine Oromo-Gemeinde gab, war sie in der evangelischen Studierendengemeinde aktiv. „Mein Glaube“, sagt sie, „ist fest. Er trägt mich, und ich versuche, danach zu leben.“ Bei ihrer ersten Stelle als Ärztin in einer Kinderklinik in Salzgitter hatte Etichu keinen Kontakt zu einer Gemeinde und vermisste Menschen aus ihrer Heimat. Dann hörte sie über Freunde von der Oromo-Gemeinde in Frankfurt. Sie bewarb sich in der Kinderklinik Offenbach und zog ins Rhein-Main-Gebiet. Brückenbauerin zwischen äthiopischer und deutscher Kultur: Die Ärztin Gudetu Foto: Rolf Oeser Etichu im Ökumenischen Zentrum Christuskirche. Mittlerweile arbeitet Etichu als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin im Gesundheitsund Pflegezentrum Rüsselsheim. Sie liebt die kleine Klinik und die Arbeit mit den Kindern. „Dabei geht mein Herz auf“, sagt sie. „Und ich habe unter den Kollegen Freude und Freundinnen und auch sonst Freunde unterschiedlicher Nationalität.“ In Afrika seien aber die Familienbande viel stärker. „Und man kennt alle Nachbarn und unterstützt sich gegenseitig. Die Leute leben nicht so isoliert wie hier.“ Trotz Schichtdienst ist Etichu seit knapp einem Jahr Mitglied im Ältestenrat der Frankfurter Oromo-Gemeinde und seit September auch im Kirchenvorstand der Christus-Immanuel-Gemeinde, die ebenfalls in der Christuskirche zuhause ist. Schon seit den 1970er Jahren ist das Ökumenische Zentrum mitten im Westend ein Ort der Begegnung für christliche Gemeinden unterschiedlicher kultureller Herkunft. „Dass Frau Etichu bei uns im Kirchenvorstand mitarbeitet, ist sehr kostbar“, freut sich Pfarrerin Gisela Egler-Köksal. „Mit ihrem Engagement und ihren guten Deutschkenntnissen ist sie eine wichtige Brückenbauerin.“ Auch privat lässt Etichu die Brücken nicht abreißen: Mindestens einmal im Jahr fährt sie nach Afrika. Sie freut sich, dass inzwischen auch ihre jüngere Schwester Negasse bei ihr in Rödelheim lebt, die Mathematiklehrerin werden möchte. An Deutschland schätzt Etichu die Rechtssicherheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung. „Äthiopien ist nur vordergründig eine Demokratie“, sagt sie. „Wenn man seine Meinung sagt, kann man ins Gefängnis kommen. Das ist sehr traurig.“ Stephanie von Selchow Lebenslagen Draußen schlafen ist lebensgefährlich ▶Um kurz nach elf kam der Notruf. Die Bundespolizei sperrte den Seiteneingang des Hauptbahnhofs an der Poststraße. Ein Mann lag bewegungslos da, der alte Schlafsack konnte ihn nicht genug wärmen. Der Arzt konnte nur noch den Tod des 39-Jährigen feststellen. Vermutlich ist der obdachlose Mann mitten in Frankfurt erfroren. An kalten Wintertagen, und vor allem in kalten Winternächten, leben Menschen ohne festen Wohnsitz in großer Gefahr. Einige von ihnen ziehen es trotz eisiger Kälte vor, keine Unterkunft aufzusuchen. Rund 150 Obdachlose schlafen nach Zählungen der Stadt auf Frankfurts Straßen – auch bei eisiger Kälte. Jeder kennt sie, aber nicht jeder will sie sehen. Manch einer wechselt scheinbar unauffällig das Zugabteil, wenn ein Obdachloser zusteigt, läuft einen großen Bo- gen um jemanden, der auf dem Asphalt sitzt. „Es gibt Menschen, die am Rande der Gesellschaft sind , obwohl sie mitten unter uns leben. Ihnen fehlt es oft an Grundsätzlichem wie Nahrung und Kleidung“, erklärt Pfarrer Michael Frase. Als Leiter des Diakonischen Werks für Frankfurt kennt er die Bedürfnisse derer, die Not leiden und Hilfe brauchen. Mit Einrichtungen wie dem Tagestreff im Diakoniezentrum Weser5 will die Diakonie diese Armut lindern und auch im Winter ein Dach über dem Kopf bieten. Doch jeder kann helfen. Was tun, wenn man sieht, wie ein Mensch im Freien übernachtet? Die erste Anlaufstelle in Frankfurt ist der Kältebus des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten, der rund um die Uhr erreichbar ist (Telefon 069 431414). An Bord des Kältebusses sind heißer Früchtetee, Decken, Schlafsäcke und zwei Sozialarbeiter. Sie suchen auf Anrufe hin, aber auch zur Vorsorge bekannte Schlafstätten wohnsitzloser Menschen auf. Gut hundert Kilometer legt der Kältebus im Winter jede Nacht zurück. Hauptwache und Kaisersack sind feste Haltestellen, ansonsten richten sich die Fahrer nach Hinweisen von Sozialarbeiterinnen, Polizei und Bevölkerung. Sogar Förster melden ihnen Schlafplätze aus dem Wald. Alternativ kann man auch den Notruf 112 oder die städtische Hotline 21270070 für soziale Notlagen wählen, die ebenfalls rund um die Uhr besetzt sind. „Wer einen Menschen bei Kälte im Freien übernachten sieht, sollte auf jeden Fall Hilfe rufen“, appelliert Frankfurts Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld. Anne Lemhöfer Evangelisches Frankfurt ▸ Migration Seite 3 „Haben Sie nicht so viel Angst!“ Gefährden die vielen Flüchtlinge die Stabilität Deutschlands? Schaffen wir das – oder sind wir mit der Integration der Neuankömmlinge überfordert? Ein Podium im Evangelischen Stadtdekanat versuchte, mehr Nüchternheit und Sachlichkeit in die Debatte zu bringen. ▶Ohne Zweifel: Die Herausforderungen durch die vielen Flüchtlinge momentan sind groß. „Ohne das starke ehrenamtliche Engagement aus der Bevölkerung würden wir es nicht schaffen“, gestand Armin von Ungern-Sternberg, der Leiter des Frankfurter „Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten“, ein. Er war zu einer Podiumsdiskussion auf Einladung des Evangelischen Stadtdekanats ins Dominikanerkloster gekommen: Wo verläuft die Grenze zwischen berechtigter Sorge und populistischer Hysterie? Wie viel „Fremdes“ verträgt die deutsche Gesellschaft, ohne ihre eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen? Zunächst einmal sei gar nicht so klar, was genau Einheimische und Fremde voneinander unterscheidet, erläuterte der Soziologe Constantin Wagner von der Goethe-Universität. Welches Aussehen, welcher Dialekt, welche Religion jeweils als „fremd“ wahrgenommen wird, sei eine Frage der Perspektive: Dass für viele ein türkischer Akzent fremder klingt als ein sächsischer und der wieder fremder als ein schwäbischer, hat nichts mit dem Akzent zu tun. Gerade was die Integration von Neuankömmlingen in Deutschland betrifft, so seien die „Einheimischen“ keineswegs nur solche mit langer deutscher Familiengeschichte. Viele, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren, hätten selbst eine Migrationsbiografie, unterstrich Ungern-Sternberg. Sie seien zum Beispiel beim Übersetzen sehr wichtig: „Wir haben da in Frankfurt einen klaren Vorteil gegenüber Städten mit geringerem Migrationsanteil. Multikulturalität ist die beste Voraussetzung für Integration.“ „Historisch und global betrachtet sind Migration und Flucht nichts Außergewöhnliches, sondern normal“, erläuterte der Soziologe Wagner. Gleichzeitig muss man sich aber auch darüber im Klaren sein, dass Migration nicht konfliktfrei und immer harmonisch vonstatten geht. Diesen Aspekt betonte Peter Scherle, Professor am Theologischen Seminar Herborn. Er forderte ein, dass Debatten über Rechte und Pflichten unter dem Stichwort des „gemeinsamen Wohls“ geführt werden. Weder könnten Einheimische verlangen, dass die Neu- Die Journalistin Canan Topçu, der Soziologe Constantin Wagner und der Theologe Foto: Rolf Oeser Peter Scherle (von links nach rechts). „Das Eigene und das Fremde“ heißt das aktuelle Theaterprojekt der Interkulturellen Werkstatt in der Nordweststadt, ein gemeinsames Kulturprojekt von Deutschen, Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen in Kooperation mit der DietrichBonhoeffer-Gemeinde. Die nächste Aufführung ist am Sonntag, 21. Februar, um 18 Uhr in der Cyriakuskirche in Rödelheim, Foto: Ulrich Schaffert Auf der Insel 5 (Eintritt frei). ankömmlinge sich völlig den vorgegebenen Regeln und Gebräuchen anpassen, noch könnten Zugewanderte alles beibehalten, was sie bisher gewohnt waren. „Persönliche Gefühle des Unbehagens sind auf beiden Seiten kein Argument“, betonte Scherle. Vielmehr müssten sich alle an einem „gemeinsamen Wohl“ orientieren und dieses miteinander neu definieren. Das erfordere auch Konfliktbereitschaft, und darauf sollten Kirchengemeinden ihre Mitglieder einstimmen. Christinnen und Christen müssten darauf hinwirken, dass Konflikte sachlich und respektvoll ausgetragen werden. Rückwärts gewandte Sehnsüchte nach einer idealisierten „Heimat“ hätten im christli- chen Glauben keinen Rückhalt, so Scherle: „Gott sagt uns: Eure Heimat ist im Himmel. Also dort, wo es keine Heimatlosen, keine Flüchtlinge, keine Bittsteller gibt, nur Schwestern und Brüder.“ Bei all diesen schwierigen Auseinandersetzungen spielten die Medien im Moment keine sehr hilfreiche Rolle, sagte die Journalistin Canan Topçu. Die frühere Redakteurin der Frankfurter Rundschau nahm zwar ihre Zunft gegen populistische Angriffe in Schutz. Ein Problem sei jedoch der harte Konkurrenzkampf. „Dadurch entsteht in den Redaktionen ein ungeheurer Druck, immer wieder etwas Neues zu bringen, egal ob es überhaupt neue Fakten und Erkenntnisse gibt.“ Wer sich wirklich informieren will, so ihr Rat, solle bei aktuellen Ereignissen erst einmal weniger Nachrichten lesen. „Wenn sich alle so schnell auf ein Thema stürzen, sorgt das nicht für Klarheit, sondern für Verwirrung.“ Einige Tage später, wenn sich die Wogen dann wieder beruhigt haben, kämen durchaus auch differenzierte und sachliche Analysen. Leider würden sie meist nur noch ein kleines Publikum finden, weil das Interesse der Mehrheit bereits weitergewandert sei. Vor allem solle man angesichts der Herausforderungen nicht in Alarmismus verfallen. Deutschland sei ein reiches Land mit vielen Ressourcen: „Haben Sie doch nicht so viel Angst!“ Antje Schrupp Interkulturelle Kompetenz der Polizei stärken ▶Herr Hinz, was ist Ihre Aufgabe als Polizeipfarrer? Berufsbegleitung. Mein kirchlicher Auftrag und der meiner drei Kolleginnen und Kollegen ist es, die Polizei in ihrer Arbeit zu begleiten, zu beraten und in Ausund Fortbildung berufsethisch zu „ertüchtigen“. Mein Schwerpunkt liegt dabei in Frankfurt und bei den gesamthessischen Einrichtungen wie Landeskriminalamt, Polizeiakademie und Landespolizeipräsidium. Außerdem leite ich das Polizeipfarramt. Braucht es nach den Ereignissen von Köln eine andere Form der Begleitung? Wie werden die Polizistinnen und Polizisten mit der zunehmenden Respektlosig- keit ihnen gegenüber fertig? Dieses Thema beschäftigt uns nicht erst seit Köln. Hier in Hessen stehen wir momentan noch unter dem Eindruck des brutalen Polizistenmordes in Herborn am Heiligen Abend. Da habe ich in der Nacht noch Gespräche in Frankfurter Revieren geführt. Mein Kollege wirkte bei der Trauerfeier mit, und ich war auch vor Ort. Der differenzierte Umgang mit dem „polizeilichen Gegenüber“, wie das in Amtssprache heißt, also zum Beispiel mit Tatverdächtigen, wird in der Ausbildung trainiert. Aber auch die Polizeiseelsorge bemüht sich, im berufsethischen Unterricht und durch eigene Angebote die inter- kulturelle Kompetenz der Polizistinnen und Polizisten zu stärken. Die Kenntnis kultureller und religiöser Prägungen stärkt die eigene Souveränität im Umgang damit und gibt Handlungssicherheit. Die Lage in Köln war neu und ist in ihrem Ausmaß zu spät erkannt worden. Einsatzstärke und öffentliche Vermittlung waren unzureichend, das wird allen Länderpolizeien zu denken geben. Die Polizei beanstandet allerdings schon länger ihre Personalausstattung und die politische wie juristische Handhabung von Straftaten mit Migrationshintergrund. Da scheint sich ja nun was zu bewegen. Wenn man wiederholt gegen dieselben Täter ermit- teln muss, fördert das nicht die eigene Autorität und Effektivität. Sind die Polizistinnen und Polizisten zunehmend frustriert, weil Wolfgang Hinz ist evangelischer PoliFoto: privat zeipfarrer in Hessen. die Mühlen der Justiz so langsam, zu langsam mahlen? Nicht nur die Langsamkeit, auch die Nachhaltigkeit richterlicher Verfügungen gibt zu denken. Wobei die Polizei in Frankfurt gute Erfahrungen mit den Häusern des Jugendrechts macht. Diese Vernetzung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Täter-Opfer-Ausgleich beschleunigt Verfahren und macht Hoffnung. Die enge Begleitung potenzieller Straftäter scheint aber auch präventive Wirkung zu haben – für die Betroffenen und für die Gesellschaft. Das motiviert dann wieder die Polizeibediensteten in ihrer Arbeit. Interview: Kurt-Helmuth Eimuth ▸ Pro und Contra Seite 4 Evangelisches Frankfurt Der Samariter als Vorbild „Gutmensch” ist das Unwort des Jahres 2015. Das Wort soll engagierte Menschen als naiv und gutgläubig diffamieren. Dabei ist die Gesellschaft auf Gutmenschen dringend angewiesen. ▶Wie die Jury in Darmstadt mitteilte, werden besonders Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren oder sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte stellen, als „Gutmenschen” beschimpft. Im rechtspopulistischen Lager wird ihnen vorgeworfen, sie würden die angebliche Bedrohung durch „Ausländer”, „Kriminelle” oder „den Islam” ignorieren. Die Jury rügt aber auch den Wortgebrauch durch Journalisten in Leitmedien. Toleranz und Hilfsbereitschaft würden pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiert. Die Verwendung des Ausdrucks „Gutmenschentum“ verhindere „einen demokratischen Austausch von Sachargumenten”, so die Jury: Der „Gutmensch” gilt von vornherein zumindest als verkehrt, wenn nicht gar als bedrohlich. Mit seiner Motivation und seinen Zielen muss man sich dann gar nicht mehr auseinandersetzen. Es gibt aber auch schon einen Gegentrend, nämlich den, das Wort „Gutmensch” umzudeuten als Symbol für eine gute und gerechte Sache, ähnlich wie auch ehemals abwertende Begriffe wie „Suffragette“ oder „Schwuler“ von den so Titulierten selbstbewusst angeeignet wurden. So hat sich die Punkrock-Band „Die Toten Hosen” bereits die Markenrechte am Wort „Gutmensch” gesichert; sie wollen das Wort wieder aktiv positiv besetzen. Eine Aufwertung verdient hätten die Gutmenschen sicherlich. Wenn in Politik und Gesellschaft Pragmatiker und Bedenkenträger das Sagen haben, wenn dringende Entscheidungen erst in alle Richtungen diskutiert werden müssen, wenn es obendrein noch an den erforderlichen Strukturen Die Punkrockband „Die Toten Hosen“ will den Begriff „Gutmenschen“ wieder ins Positive wenden. Hier Frontmann Campino bei der Verleihung einer Auszeichnung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf für das Engagement gegen der Band RechtsexFoto: Hans-Jürgen Bauer/epd-Bild tremismus und Rassismus. fehlt, bleiben Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe leicht auf der Strecke. Zum Beispiel waren beim starken Andrang Geflüchteter vergangenes Jahr die offiziellen Stellen oft überfordert. Spontanes ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement im Sinne christlicher Nächstenliebe hat in dieser Situation viel gerettet: Es lag auf der Hand, dass den notleidenden Menschen zunächst einmal geholfen werden musste unabhängig von allen Fragen und Problemen, die sich dadurch natürlich auch ergeben haben. Ein solches „Gutmenschentum“ geht fast zwangsläufig mit einer gewissen Portion Gutgläubigkeit einher. Aber auch der barmherzige Samariter aus dem Lukasevangelium – der Gutmensch schlechthin – hat nicht erst lange darüber nachgedacht, ob der Verletzte am Wegesrand vielleicht eine Falle sein könnte, was ihn der Mann an Die Umfrage Sind „Gutmenschen“ naiv? Gisa Luu (65), Rentnerin Na klar. Naiv das kommt von „natum“ – geboren. Naivsein ist also eine geburtliche Haltung und die entspricht mir. Jesus hat gesagt: So ihr nicht werdet wie Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Der Vertrauensüberschuss, offen auf die Welt zuzugehen – diese Haltung bringt uns voran. Ich war Lehrerin, und meine Lebenserfahrung ist: Wenn ich Gutes in jemandem sehe, bringe ich auch Gutes zur Entfaltung. Das geht unter Umständen nicht sofort, es kann Jahre dauern, aber es lohnt sich. Es fängt schon mit den Worten an. Nicht sagen: „Es wird nicht geprügelt“, sondern: „Du gehst freundlich mit ihm um.“ Bei Erwachsenen ist es schwieriger, aber auch möglich. Das Wort „Gutmensch“ gebrauche ich nie. Es wird heute so hämisch verwendet. Schon beinahe ein Schimpfwort. Aber immer noch besser als Schlechtmensch. Katharina Peters (20), zwischen Schule und Studium Man muss doch nicht naiv sein, um etwas Gutes zu tun! Vielleicht muss man manchmal etwas aufpassen, dass man nicht ausgenutzt wird, aber das kann man ja. Ich helfe immer, wenn ich kann. Seit September habe ich in der Flüchtlingsunterkunft in Kalbach gearbeitet. In der Kinderecke, bei der Kleiderausgabe und an der Infotheke. Teilweise als 450-Euro-Job, aber auch ehrenamtlich. Das war total interessant und spannend. Ich konnte dort selbst sehen, wie Flüchtlinge sind, und muss nicht alles glauben, was in den Medien steht. Ich bin beeindruckt davon, wie schnell die allermeisten lernen. Sie wollen unbedingt Deutsch lernen und sich hier einleben. Davon kann man sich was abgucken. Vielleicht ist es naiver, zuhause zu hocken, Fernsehen zu gucken und Angst zu haben, statt sich ein eigenes Bild von der Realität zu machen. Werner Gross (68), Psychotherapeut Christine Salmen (35), Kundenberaterin Das Wort „Gutmensch“ ist nicht neu. Schon die Karthager kannten es. Früher war es ein klein wenig ironisch gemeint, wenn jemand es verwendete. Die massive Abwertung, die es heute impliziert, ist ein neues Phänomen. Niemand nennt sich selbst so. „Gutmensch“ ist immer ein Urteil von außen. Aus psychologischer Sicht ein wenig sinnvolles. Gibt es Menschen, die zuviel helfen wollen? Das denke ich nicht. Es ist allerdings durchaus gesund, sich zu fragen, wie viel man leisten kann, ohne sich zu überfordern, physisch und psychisch. Man sollte sich nicht in Hilfsprojekte stürzen, um anderen zu signalisieren: Schaut, ich helfe, ich bin etwas Besseres. Die Möglichkeit, dass extremes Engagement für andere auch verwendet wird, um das eigene Selbstbild zu stärken, ist immer gegeben. Da muss jeder eine Balance für sich finden. Für mich sind Gutmenschen im negativen Sinn Menschen, die sich nur punktuell und mit viel Brimborium engagieren. Damit meine ich zum Beispiel diejenigen, die zu den Bahnhöfen gelaufen sind und Flüchtlinge willkommen geheißen haben, ihnen Lunchpakete und Colaflaschen überreichten, ohne dauerhaft zu helfen. Das ist mir zuviel Aktionismus. Oder auch Leute, die auf Facebook politische Parolen posten, die zeigen sollen, wie sehr sie sich für Benachteiligte einsetzen. Das finde ich naiv und ärgerlich. Respekt habe ich dagegen für Menschen, die einfach so helfen – etwa Kleidung sortieren, ohne das gleich an die große Glocke zu hängen. Gesellschaftliches Engagement finde ich wichtig. Ich selbst engagiere mich zwar nicht für Flüchtlinge, bin aber ehrenamtlich im Sportverein und in meiner Kirchengemeinde aktiv. Geld kosten und welche Verzögerung das Helfen für seine Geschäftsreise bedeuten würde. Er hat auch nicht das fehlende Netz von Unfallärzten und die unzulänglichen Transportmöglichkeiten beklagt, sondern einfach und gutmenschlich zugepackt. Und diesen „Samariter“ hat Jesus als Vorbild hingestellt, weil er zur richtigen Zeit das Richtige und Angemessene getan hat. Menschen, die im kindlich-reinen Bewusstsein einer moralischen oder ethischen Verpflichtung die Initiative ergreifen, machen dabei gewiss auch Fehler und haben nicht alle Folgen ihres Handelns im Blick, aber sie zeigen gerade dadurch in erfrischender Weise, dass die Gesellschaft noch nicht ganz von Gleichgültigkeit, Bürokratie und Strategiedenken ausgehöhlt ist. Und sie bringen oft genug Positionen ins Spiel, die in der gesellschaftlichen Diskussion unterzugehen drohen. Wie weit wären wir denn wohl, wenn es keine Gutmenschen, keine Suffragetten, Nachrüstungsgegner oder Umweltaktivisten gegeben hätte? Wilfried Steller Evangelisches Frankfurt ▸ Das Thema Seite 5 Was ist guter Sex? Was guter Sex ist, das wollen viele gerne wissen. Aber vermutlich nur wenige suchen die Antwort ausgerechnet bei der Religion. Ein Thementag im Haus am Dom beschäftigte sich mit „Eros, Sexualität und Körper“ aus buddhistischer und christlicher Perspektive. ▶Eigentlich könnten die großen Weltreligionen echte Beziehungsratgeber sein. Sie vereinen Millionen, wenn nicht gar Milliarden unterschiedlichster Menschen im Glauben und breiten sich über Milieus, Einkommensschichten und Erdteile hinweg aus. Sie brauchen Nachwuchs und stehen deshalb der Vermehrung ihrer Angehörigen durchaus aufgeschlossen gegenüber. Es könnte also alles ganz einfach sein. Ist es aber nicht. Fast alle Glaubensgemeinschaften versuchen, die Sexualität ihrer Anhängerinnen und Anhänger zu regeln und tun sich dabei mit der sexuellen Freiheit der modernen Welt oft schwer. Aber wie verhärtet sind die Fronten zwischen Religion und Sexualität wirklich? Ist Religion per se sexfeindlich, wie der Soziologe Max lebte Sexualität nicht nur von konservativer Seite lange tabuisiert wurde. Sexuelle Lust galt sowohl im Katholizismus als auch im Protestantismus vielen als Strafe, nicht als Segen Gottes. Sie war nur dann erlaubt, wenn sie den natürlichen Zweck der Fortpflanzung erfüllen konnte. Das soll heute offenbar anders sein. „Der Mensch ist ein sinnlich-spirituelles, ein körperliches, erotisches und sexuelles Wesen“, heißt es in der Ankündigung der Tagung, die von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam veranstaltet wurde. „Immer und überall, außer in der modernen Welt, war Sexualität eine ‚Erscheinung des Heiligen‘ und war der Geschlechtsakt ein all umfassender Akt, also auch ein Hilfsmittel im Dienste der Erkenntnis“, wird der Religionshistori- „Erotik und Sex sind nicht nur Geschlechtsverkehr, sondern eine Lebensart.“ ker Mircea Eliade zitiert. Das stößt beim Publikum offenWarum wollen Religionen ei- fühlsam und mit Verantwortungsbar auf viel Interesse, denn der gentlich die Macht über die Kör- bewusstsein mit sich selber und große Saal im Haus am Dom ist per ihrer Gläubigen? Beurteilen seinem Partner umgeht.“ Um eine Weber andeutete, als er „Sexuali- voll besetzt. Zumal die christli- sie Sexualität, weil sie diese etwas sozusagen buddhistisch einwandtät als irrationalste Macht über chen Vorstellungen von „Eros, unheimliche Kraft kontrollieren den Menschen“ bezeichnete und Sexualität und Körper“ mit denen möchten? Woher kommt die sie im Zwist mit dem Kontroll- des Buddhismus verglichen wer- Angst vor der Begierde? Und was wunsch der Kirche sah? Oder den sollen. Denn darüber, wie Se- genau ist denn nun nach Ansicht kann die Sexualmoral der großen xualität „zur Quelle einer lebendi- der beiden Religionen „guter Weltreligionen Christentum, Ju- gen Spiritualität werden“ könne, Sex“? dentum, Islam, Hinduismus und gibt es in den beiden Religionen „Im Buddhismus wird Sex nicht Buddhismus einen Beitrag zu ei- unterschiedliche Traditionen und geregelt, das bleibt einem selber nem bewussten Umgang mit Se- Lehren. „Repressive wie befreien- überlassen“, erklärt die Feminisde Traditionen sind lebendig. Ri- tin und Buddhistin Sylvia Wetzel, xualität liefern? Ein Thementag in Frankfurt hat gide Sexualmoralen leben im die einige Zeit in buddhistischen freie Sexualität auszuleben, solle sich den mutigen Titel „Guter Buddhismus wie im Christentum. Klöstern verbracht hat. „Dennoch immer wieder nach den IntentioSex“ gegeben. Aber warum ei- Eine erotisch-spirituelle Lebens- sprach Buddha Empfehlungen nen gefragt werden, nach der gentlich mutig? Weil in der kunst ist aber auch in beiden We- aus. Bei der Sexualität soll darauf Ursache und Wirkung. „Der geachtet werden, dass man ein- Buddhismus verbietet oder erchristlichen Welt lustvoll ausge- gen zu entdecken.“ laubt explizit nicht. Stattdessen wird an die Einsicht appelliert.“ Man solle sich fragen, was der Beweggrund für die eigene Handlung ist und welche Folgen sich daraus ergeben. Gefahren bestehen aus einer buddhistischen Sicht höchstens dann, wenn Sexualität zu sehr an die Sinneserfahrung gefesselt wird und damit eine Abhängigkeit vom Körperlichen entsteht. „Was in anderen Religionen die Keuschheit ist, ist im Buddhismus die Askese.“ Der Ratschlag „Geh mal raus aus der Familie, geh raus in den Wald, setz dich unter einen Baum“ sei im alten Indien auch dazu da gewesen, sich der eigenen Individualität bewusst zu werden, sagt Wetzel. „Alle religiösen Regeln führen zu einer Bewusstwerdung, wenn wir sie annehmen. Wer Impulse unterdrückt, kann emotional reifen.“ Relief ohne Scham, gefunden in Khajuraho, Madhya Pradesh, Indien. Foto: Jack Zalium, Flickr.com (cc-by-sa) Das Prinzip der Askese sei nicht Warum haben die Religionen so viel Angst vor der Begierde? „Dies ist mein Leib“, sagt Jesus. Wie erotisch ist das denn bitte? Foto: Z S, Flickr.com (cc-by) Verzicht um des Verzichts oder abstrakter Regeln willen. „Ich vermeide dabei punktuell die Auslöser aufwühlender Emotionen, um meine Energien besser kennenzulernen.“ Leider entstünden Probleme, wenn solche Regeln institutionalisiert werden. Denn: „Man verpasst das eigene Leben, wenn man nur die Regeln der anderen einhält.“ Die katholische Theologieprofessorin Hildegund Keul brachte den Begriff der Hingabe ins Spiel. „Hingabe ist sowohl in religiösen als auch in erotischen Belangen entscheidend.“ Sie sieht eine klare Verbindung zwischen Religion und Erotik. „Dies ist mein Leib, sagt Jesus. Wie erotisch ist das denn bitte?“ Keul lobte „das positive Verhältnis zur Körperlichkeit“, das sich etwa in den Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingens finde. „Erotik und Sex, das meint nicht nur den Geschlechtsverkehr, sondern eine Lebensart.“ Die Frage, die sich Christen und Christinnen stellen müssten, sei auch die: „Sind wir bereit zu mehr Offenheit, mehr Verletzbarkeit?“ Die Diskussion im Anschluss an die Vorträge war sehr rege. Ein Teilnehmer merkte an, dass die Sexualität „in schamanischen Naturreligionen“ noch heilig gewesen, das Tabu erst im Mittelalter entstanden sei. Ein anderer berichtete, wie ihm die prüde Sexualmoral in den 1970er Jahren die Lust an Kirche und Glauben für lange Zeit verdorben habe: „Und das haben viele aus meiner Generation so erlebt. Dabei bedeutet Sexualität so viel, wenn es um die Freude am Leben geht.“ Anne Lemhöfer ▸ Kirche und Kultur Seite 6 Evangelisches Frankfurt Fromm und hoch virtuos Konzertreihe in St. Katharinen zum 100. Todestag von Max Reger ▶In diesem Jahr jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag des Komponisten Max Reger, geboren 1873 in der Oberpfalz und gestorben 1916 in Leipzig. Der geläufige Musikbetrieb wird dieses Datum eher beiläufig zur Kenntnis nehmen, die Organisten jedoch werden ihm Hommage zollen und ihre großen Kirchenorgeln mit Reger-Werken beleben. Denn der Vollender der chromatischen Polyphonie war für viele von ihnen ein Vorbild: Vielschreiber, fromm, mitunter streitbar in seiner Persönlichkeit, aber hochvirtuos in den kompositorischen Anlagen. Im Jahr 1907 erhielt Reger die Berufung zum Universitätsmusikdirektor und nahm gleichzeitig eine Professor am königlichen Konservatorium in Leipzig an. Daneben ging der Künstler aber auch seiner laufenden Konzert- und Kompositionstätigkeit nach. Schon ein Jahr später beendete er diese Leipziger Aufgabe, um 1911 einer neuen sich zu widmen, nämlich jener des Hofkapellmeisters bei der damals schon berühmten Meininger Hofkapelle, seines Wunsch-Orchesters. Bereits in jungen Jahren hatte der Tondichter besondere Vorliebe für protestantische Choräle entwickelt, die ihn mit seinem großen Vorbild Johann Sebastian Bach verband. Reger entdeckte die alten barocken Gattungen Choralvorspiel, Fantasie und Fuge sowie Passacaglia wieder und entwickelte sie weiter. Besonders zu erwähnen sind seine kühnen Portrait von Max Reger (1873–1916) eines unbekannten Künstlers, PrivatsammFoto: Costa/Leemage, picture alliance lung München. Choralfantasien. Aber auch in den Bereichen Kammermusik (unter anderem mit Literatur für Streichersolo), Lied, Chor- und Orchestermusik hat er Bedeutendes geleistet. In seinen letzten Schaffensjahren bemühte sich Reger um eine Vereinfachung des musikalischen Satzes zugunsten größtmöglicher formeller Klarheit und Struktur. Regers Musik weist zuweilen eine überaus ausschweifende Chromatik auf – in der tonalen Musik wird damit die „Umfärbung“ diatonischer Tonstufen durch Erhöhung oder Erniedrigung eines Halbtons bezeichnet. Deshalb sind seine Werke in vielerei Hinsicht eine Herausforderung für die Ausführenden. Der Abwechslungsreichtum von Regers Arbeiten ist zudem furios. Es gibt in seinem Repertoire ein paar kompositorische Mammutwerke und Ungetüme, etwa die so genannte „Inferno-Phantasie“, die kaum jemand zu üben wagt, weil zu schwer zu bewältigen, aber auch gut Spielbares wie etwa die Choralphantasie „Wachet auf“, ein Werk, das von der kompositorischen Raffinesse her durchaus mit den großen Orgel-Kompositionen Bachs zu vergleichen ist. In Frankfurt widmet der Organist von Sankt Katharinen an der Hauptwache, Martin Lücker, dem Komponisten in einem Zyklus das gesamte Jahr über thematische Konzertblöcke. Beim ersten Recital im Januar, „Max Reger und seine Väter“ überschrieben, zeigte sich der Organist in Werken von Bach, Mendelssohn Bartholdy, Brahms, Liszt und natürlich von Reger selbst als souveräner und mit frappierender Brillanz gesegneter Interpret. Martin Lücker scheute weder schnelle noch rhapsodische Tempi, gliederte Choralverläufe sehr überzeugend und führte sie mit großer gestalterischer Kraft aus. Das nächste Konzert der Reihe findet am 28. Februar um 18 Uhr in der Katharinenkirche an der Hauptwache statt. Dann lautet das Thema „Max Reger und die Tondichter“, ab 17.15 Uhr wird auf der Empore eine Konzerteinführung angeboten. Joachim Schreiner Erste Liebe, letzte Liebe Das Theaterstück „Fack ju Henry“ in Sankt Peter erzählt von krebskranken Jugendlichen ▶Hazel Grace ist siebzehn und krebskrank. Henry – das ist der Name ihres Schilddrüsenkarzinoms. Eigentlich hält Hazel nichts davon, aber weil alle in der Gruppentherapie das so machen, fügt sie sich dem Trend. Henry „ist schon ok, er ist nur eine Nebenwirkung des Sterbens“. Es ist diese Mischung aus Poesie und Pragmatismus, die einen mehr als einmal schlucken lässt auf den Zuschauerrängen der Jugendkulturkirche Sankt Peter. Das Stück „Fack ju Henry oder das Funkeln von Sternenstaub“ der Frankfurter Regisseurin Sarah Kortmann basiert auf der Romanvorlage „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ von John Green. Die Produktion ist eine Kooperation von Sankt Peter und dem Theater Landungsbrücken. Die Fallhöhe des Themas ist natürlich riesig, die Gefahr, in melodramatischem Todeskitsch zu versacken, ebenso: Hazel und Augustus, beide todkrank, lernen sich in einer gruseligen Selbsthilfegruppe kennen und verlieben sich ineinander und fahren ge- meinsam nach Paris. Lakonisch und anrührend mit vorgeblich abgeklärter Ironie („Im Krebsgeschäft geht es um Wachstum“) über das Leben und den Tod. Eine erste Liebe – und eine letzte. Dank des spartanischen Bühnenbildes von Prisca Ludwig bleibt viel Raum für Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Geborenwerden und Sterbenmüssen. Der Erlös geht an den Verein Herzenswünsche, der todkranken Kindern Schönes ermöglicht, selbst das bleibt vor beißendem Witz nicht verschon bleibt. Hazel: „Am Ende landen doch alle im Europapark Rust.“ Anne Lemhöfer Pragmatisch und poetisch: Das Theaterstück „Fack Ju Henry“ erzählt die Geschichte zweier krebskranker Jugendlicher, die Foto: Rolf Oeser sich ineinander verlieben. Die nächste Vorstellung ist am 5. März um 16 Uhr. Gerald Hintze: Eine Vision von Stadt ▶„Ansatzweise etwas von der kulturellen Leistung festzuhalten, die Gerald Hintze dieser Stadt und der evangelischen Kirche gegeben hat“ – dieser Wunsch war nach den Worten von Herausgeber Christian Kaufmann Anlass für ein Buch über den vor drei Jahren verstorbenen Kurator der Weißfrauen Diakoniekirche. Der schön gestaltete Band aus dem Kann-Verlag enthält viele Bilder und teilweise sehr persönliche Erinnerungstexte von Menschen, die Hintze gekannt und mit ihm zusammengearbeitet haben. „Kunst und Design gehörten für Gerald zwingend zur sozialen Gestaltung der Stadt dazu“, sagte Kaufmann bei der Buchvorstellung im Dominikanerkloster, zu der weit mehr Gäste gekommen waren, als im Forumsraum Platz fanden. Zumal dort auch noch eine Dia-Installation mit neun Projektoren gezeigt wurde, die der Frankfurter Künstler Jens Lehmann aus Fotos zusammengestellt hatte, die Gerald Hintze selbst aufgenommen hatte. Genau in diesem Raum hatte Hintzes Laufbahn bei der Frankfurter evangelischen Kirche begonnen. Mitte der 1980er Jahre entwickelte er hier als Bildungsreferent der Erwachsenenbildung das „Forum im Dominikanerkloster“. Schon damals brachte er in zahlreichen Formaten sehr unterschiedliche kulturelle und weltanschauliche Szenen miteinander in Kontakt. „Gerald war ein Grenzgänger“, sagte Kaufmann, „er kannte alle und alles, er brachte die unterschiedlichsten Gruppen zusammen und zwang sie, sich auf Augenhöhe zu begegnen.“ Leider sind von Hintzes damaligem Wirken kaum Erinnerungen und Dokumente überliefert. Das jetzt erschienene Erinnerungsbuch konzentriert sich daher auf sein Wirken als Kurator der Weißfrauen Diakoniekirche im Bahnhofsviertel. Dorthin war er im Jahr 2002 gewechselt, und für seine innovativen Ansätze bei der Verknüpfung von Kunst und Diakonie mit konkretem Bezug zum Stadtteil hat er sich besonders einen Namen gemacht. „Er hatte eine Vision von Stadt und darin eine Mission“, sagte Kaufmann. Dazu gehörte auch, Armut und Obdachlosigkeit nicht zu verstecken, sondern im Gegenteil sichtbar und zum Thema zu machen. Gerald Hintze: Stadt Mensch, 162 Seiten, 18 Euro, Ev. Regionalverband, zu bestellen bei karin. [email protected]. Antje Schrupp ▸ Theologie und Leben Evangelisches Frankfurt Gott im Internet Johanna Haberer über digitale Theologie ▶Dass das Internet eine Medienrevolution mit sich gebracht hat, die in ihrer gesellschaftsverändernden Wirkung der Erfindung des Buchdrucks gleichkommt, ist inzwischen fast schon eine Binsenweisheit. Auch auf die „reformatorische Kraft“ wird dabei oft verwiesen. Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik in Erlangen-Nürnberg, hat nun unter dem Titel „Digitale Theologie. Gott und die Medienrevolution der Gegenwart“ zahlreiche weitere Verbindungen zwischen biblischer Überlieferung und theologischer Tradition und Phänomenen und Trends im Internet nachgezeichnet. Beim Lesen erfährt man nicht nur Interessantes über die sozialen Medien (von Mc Luhan bis Janier) sondern auch über die Reformation und andere kirchliche und theologische Wendepunkte, (von Augustinus bis Bonhoeffer). Im letzten Teil buchstabiert Haberer schließlich noch „Zehn Gebo- Johanna Haberer: Digitale Theologie. Kösel 2015, 201 Seiten, 16,99 Euro. te für die digitale Welt“ durch und erläutert, worauf es beim Umgang mit der Technologie aus christlicher Sicht ankommt. Die Lektüre regt grundsätzlich zum Nachdenken an und unterstützt den Versuch, christlichen Glauben und Internetkommunikation zusammen zu denken. Allerdings liest sich das Buch streckenweise doch wie von Bibelzitaten durchzogener Kulturpessimismus. Inwiefern der Bezug auf christliche Überzeugungen konkret Antworten gibt auf die zahlreichen und ja durchaus realen Fallstricke des Internet, bleibt letztlich unklar. Antje Schrupp Luther & Co. Volkskrankheit Enge ▶„Wie geht’s?” „Muss!” – auf so einen Gesprächsanfang folgen meist Klagen über Unzufriedenheit und gefühlten Druck von außen: „Ich bin nicht Herr meiner selbst, ich muss tun, was andere sagen, auch wenn ich selbst das nicht für zielführend halte...” Die ungünstigen Umstände, die missgünstigen Anderen: Zwang von außen bewirkt Enge innendrin. Bedenken und Blockaden werden errichtet, und der Energieaufwand zur Erfüllung der Aufgaben steigt. Alles wird zur Mühe. Die Enge kann sich einnisten und zur Lebenshaltung werden, ja, zu einer hoch ansteckenden Befindlichkeitsstörung. Und das nicht nur individuell, sondern auch in einem größeren gesellschaftlichen Kontext: Nicht umsonst spricht alle Welt von der „German Angst”. Enge erdrückt Kreativität, Lebensfreude und Offenheit. In Organisationen kennt man zudem die „anxious leaders”, Führungskräfte also, die von Ängsten getrieben werden, weil sie Kontrollverlust und Misserfolg fürchten, mit fatalen Folgen für die Unternehmenskultur. Der Weg heraus führt kaum über simple Lebensrezepte. Empfehlungen wie: „Sieh das doch nicht so eng!” „Mach doch mal dein Herz weit!” „Lad dir doch einfach mal Leute ein!” „Gönn der doch ihren Erfolg!” „Mach dir doch mal einen schönen Tag!” erhöhen den Druck eher noch, wenn die Enge tief sitzt. Achtsamkeitsübungen können nützlich sein. Wer übt, bewusst wohltuenden und stärkenden Erfahrungen nachzugehen, kann Lebensfreude neu entdecken und die eigenen Kräfte und Inspirationen mobilisieren. Ziel ist, Energie und Motivation nicht für den Widerstand aufzubrauchen, sondern für ein Weiterkommen zu nutzen: Aus dem „Muss” soll ein freier und souveräner Wille werden. Ein solcher Perspektivenwechsel geht oft auch mit einer persönlichen Neuorientierung in Beruf oder Beziehung einher. Religion kann ebenfalls helfen, die Enge zu vertreiben, indem sie die fürsorgliche und befreiende Nähe Gottes zur Sprache bringt. So öffnet die biblische Schöpfungsgeschichte den Blick auf die Schönheit der Natur und auf die vielen Lebensmöglichkeiten von Wasser und Licht über Raum und Nahrung bis hin zu Sexualität und Familie. Als Ebenbild Gottes ist dem Menschen Kreativität mitgegeben. Die Geschichte von Jesus antwortet auf das Erschrecken über Böses mit dem Zuspruch: Es gibt die Chance des Neuanfangs. Die Heilige Geisteskraft schließlich ist Garantin dafür, dass die Weltgeschichte sich am Ende als Heilsgeschichte erweist. In diesem Licht sind auch die Zehn Gebote nicht als Engführung des Lebens zu sehen, sondern als ein Ruf in die Freiheit: Sie ermöglichen Leben in Gerechtigkeit. „7 Wochen ohne”, die Fastenaktion der evangelischen Kirche, steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge”. Näheres im Internet unter 7-wochen-ohne.de. In einigen Gemeinden gibt es dazu in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern Andachten und Aktionen. Wilfried Steller Seite 7 Christliche Perspektiven Wie eine Mutter Üblicherweise wird Gott als Mann – gerne auch als alter Mann mit weißem Bart – dargestellt. In der Bibel geht es allerdings vielfältiger zu. Die aktuelle Jahreslosung aus dem Buch des Propheten Jesaja vergleicht Gott mit einer tröstenden Mutter. ▶Ich sehe die Szene vor mir: Das Kind läuft über den Platz, den rechten Arm in die Höhe gestreckt, in der Hand ein Band. Am Ende des Bandes hängt ein Luftballon. Je schneller das Kind läuft, umso besser und höher fliegt der Ballon hinter ihm her. Das ist schön anzusehen und macht dem Jungen anscheinend große Freude. Ein wunderbares Geschenk ist dieser Luftballon! Plötzlich stolpert der Kleine und fällt. Weinend läuft er seiner Mutter entgegen, die schon auf dem Weg zu ihm ist. Sie nimmt ihn auf den Arm, pustet in seine Hand, schimpft das Straßenpflaster aus und singt ihm ins Ohr: „Heile, heile Gänschen, ist bald wieder gut.“ Eigentlich es unsinnig, was die Mutter da tut. Die Schramme in der Hand verschwindet ja nicht vom Streicheln und Singen. Aber trotzdem ist es heilend, denn das Kind beruhigt sich, der Schrecken und die Schmerzen scheinen weniger schlimm zu sein. Trost bewirkt Wunder. „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ So lautet die evangelische Jahreslosung für das Jahr 2016. Es ist der 13. Vers aus dem Kapitel 66 des Buches vom Propheten Jesaja im Alten Testament. Aber was genau ist das, Trost? Man könnte definieren: eine der Situation angemessene empathische Zuwendung an je- manden, der oder die seelischen oder körperlichen Schmerz zu ertragen hat. Oder es, weniger theoretisch, mit einem Beispiel erklären: Trost ist, wenn dir jemand nach einer durchzechten Nacht eine Kopfschmerztablette reicht und sich bemüht, nicht allzu laut zu sprechen. Trost kann durch Handeln, Gesten oder Worte gespendet werden. Wer andere trösten möchte, muss vor allem aufmerksam sein: Nicht alles ist in jeder Situation hilfreich. Und nicht jeder Schmerz lässt sich wegpusten oder wegsingen. Wer Trost braucht, will ernst genommen werden. Das bedeutet, die Verzweiflung oder Trauer des anderen so anzunehmen, wie sie zum Ausdruck gebracht wird – und nicht gleich zu betonen, dass man selbst die Situation ja gar nicht soooo schlimm findet, oder mit guten Ratschlagen zu kommen, was bei einer selbst schon mal geholfen hat. Der Vers über das Trösten beim Prophet Jesaja steht im Zusammenhang mit einer Gesellschaftsordnung, die der Gerechtigkeit und dem Recht Gottes entspricht. Gott ist laut Jesaja die Macht über das Leben, die Trost und Heil schaffen kann, und die Kraft, die sich auf die Seite der Armen und Elenden stellt. Und in diesem Zusammenhang beschreibt Jesaja Gott mit Hilfe zahlreicher weiblicher Bil- Monika Astrid Kittler ist Gemeindepädagogin im Gallus und im EuropaFoto: Ilona Surrey viertel. der: Gott schreit wie eine Gebärende, hilft als Hebamme, oder tröstet eben wie eine Mutter. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Wie tröstet eine Mutter eigentlich? Tröstet sie anders oder besser als ein Vater? Es gibt sicher viele Menschen, die ihre Mütter als wenig tröstlich erfahren haben. Nicht selten folgt nach einem Sturz oder Missgeschick von Seiten der Mutter nicht etwa Trost, sondern Schelte: Man hätte besser aufpassen sollen und sei am Missgeschick selber schuld! Womöglich hat das Bild von der tröstenden Mutter, das Jesaja wählt, erst einmal ganz banale Ursachen: Die Männer waren damals auf dem Feld oder bei der Jagd, während sich die Frauen tagsüber in der Nähe des Zeltes oder der Hütte aufhielten. Deshalb waren sie es, die schnell zur Stelle waren, wenn ein Kind getröstet werden musste. Trotzdem erfüllt das Bild der allgegenwärtigen Mutter ein universelles Bedürfnis. Niemand möchte allein sein, wenn er oder sie Trost braucht. Und: Auf Trost will man nicht erst warten müssen, sondern man möchte sofort getröstet werden – wie von einer Mutter, die gleich zur Stelle ist. So kann uns die Jahreslosung eine freundliche Stütze sein in Zeiten, in denen unsere Gastfreundschaft, unsere Barmherzigkeit und unsere Nachbarschaftlichkeit besonders gefordert sind. Für die, die wenig haben, die ausgeWer andere trösten möchte, muss vor allem aufmerksam sein: Nicht alles ist in jeder grenzt oder fremd sind. Foto: Colourbox Monika Astrid Kittler Situation hilfreich. Und nicht jeder Schmerz lässt sich wegpusten. ▸ Kirche aktuell Seite 8 ■ Winterspeisung mit Bata Illic Nachdem im Januar die Katharinenkirche an der Hauptwache tagsüber geöffnet war und für Bedürftige ein warmes Mittagessen ausgegeben wurde, wird die Aktion im Februar in der Weißfrauen Diakoniekirche im Bahnhofsviertel fortgeführt. Schon eine eingespielte Tradition ist dabei der jährliche Auftritt des Schlagersängers Bata Illic – hier ein Foto vom vorigen Jahr. Diesmal kann man ihn live am Sonntag, 7. Februar, um 14 Uhr erleben. Und vielleicht, das stand bei Foto: Folf Oeser Redaktionsschluss allerdings noch nicht fest, bringt er sogar Roberto Blanco mit. Das Gemeindeporträt Evangelisches Frankfurt Tee und Baclava Interkultureller Austausch für Väter ▶Väter in Migrantenfamilien wollen, wie alle Väter, das Beste für ihr Kind. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung werden sie oft nicht als liebevolle, interessierte und den Kindern zugewandte Männer wahrgenommen. Über Vorurteile, Hintergründe und positive Beispiele seiner interkulturellen Väterarbeit sprach der Pädagoge Cengiz Deniz im Ökumenischen Zentrum Christuskirche. „Wir brauchen mehr Väterbildung“, sagte Deniz, der seit Jahren zum Thema Integration und Bildung forscht und publiziert. Er bietet auch selbst Vätergruppen an und ist beratend tätig. „Es ist nicht einfach, Väter zu finden, die an einer Gruppe teilnehmen wollen“, sagt Deniz. Doch dann spreche sich in der Regel schnell herum, dass es hier eine Gruppe gibt, in der man bei Tee, Couscoussalat und Baclava über seine Probleme als Vater in der Familie reden kann. Türöffner ist für Deniz die einfache Frage: „Wie kann ich ein Petersgemeinde im Nordend Gegenüber vom Bio-Supermarkt ▶Wo feiert die Frankfurter Petersgemeinde ihre Gottesdienste? In der Peterskirche jedenfalls nicht, denn die wird seit acht Jahren als Jugendkulturkirche genutzt. Wer eine Predigt von Pfarrerin Lisa Neuhaus oder Pfarrer Andreas Hoffmann hören möchte, muss ein bisschen weiter nach Norden zur Epiphaniaskirche an der Ecke Oeder Weg/Holzhausenstraße. Dorthin, wo das urbane Nordend ganz bei sich ist. „Ich sage immer, unsere Kirche ist die gegenüber vom Bio-Supermarkt“, sagt Andreas Hoffmann und lacht freundlich. „Dann wissen alle sofort, wo das ist.“ Die Epiphaniaskirche wurde Anfang der 1950er Jahre aus der Ruine der alten Immanuelkirche nach Plänen des Architekten Karl Wimmenauer neu erbaut und ist heute Kulturdenkmal. Hoffmann freut sich immer wieder aufs Neue über den luftigen, hellen Charakter des Raumes. „Ein sehr schöner, attraktiver Ort.“ Mit rund 4500 Mitgliedern ist die Petersgemeinde, deren Gebiet vom Ostteil der Zeil bis zum Hauptfriedhof reicht, eine der großen in Frankfurt. Ihren Charakter hat sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verändert, berichtet Lisa Neuhaus, die vor 21 Jahren als Pfarrerin hier anfing. „Damals wohnten in der Gegend viele alte Menschen, es gab weitaus mehr Beerdigungen als Taufen.“ Doch als in Frankfurt wie in den meisten Großstädten die Mieten in den innenstadtnahen Quartieren anstiegen, erlebte die Pfarrerin hautnah, was „Gentrifi- zierung“ bedeutet: Menschen mit weniger hohen Einkommen ziehen weg, während Singles, Paare und Familien mit guten Gehältern in solchen urbanen Gründerzeitvierteln ihr Zuhause suchen und finden. Bio-Supermärkte, Galerien und teure Autos tauchen im Straßenbild auf. Für die Petersgemeinde brachte das durchaus positive Entwicklungen. Das gut situierte Bildungsbürgertum schätzt Kunst und Tradition, es steht der Kirche eher nahe, was nicht nur mit der anspruchsvollen Kirchenmusik zu tun hat, für die in der Petersgemeinde Kantor Michael Riedel sorgt. Oder damit, dass renommierte Künstlerinnen und Künstler in der Epiphaniaskirche ausstellen. „Wir erleben einen richtigen Boom bei den Taufen“, sagt Andreas Hoffmann. „Auch in die normalen Gottesdienste kommen achtzig bis hundert Leute.“ Hoffmann, der wie viele im Nordend die meisten Wege mit dem Fahrrad zurücklegt, war vor seiner Zeit in der Petersgemeinde Museumspfarrer in Frankfurt. Der 50 Jahre alte gebürtige Münchner fand über ein Kunststudium zur Theologie. Im Sommer wird er einen neuen Kollegen oder eine neue Kollegin bekom- men, denn Lisa Neuhaus geht in den Ruhestand. Wer auch immer es sein wird, findet eine quicklebendige Gemeinde vor, voller Menschen, die sich engagieren. Nicht nur für Kunst und Kultur, sondern auch für Benachteiligte. Obdachlose und Menschen mit wenig Geld können im Turmcafé essen, außerdem gibt es mehrmals pro Woche Deutschunterricht für Flüchtlinge. Und es gibt „Lebenswortgruppen“ aus jeweils etwa sieben Personen, die sich einmal im Monat treffen, um über einen bestimmten Text oder einen kurzen Ausschnitt aus der Bibel zu sprechen. Anne Lemhöfer Mitten im Gentrifizierungsgebiet: Pfarrer Andreas Hoffmann vor der Epiphaniaskirche im Nordend. Foto: Rolf Oeser guter Vater sein?“ Denn das wollen die Männer für ihre Kinder, gleich, welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Er lässt sie in seinen Gruppen erzählen von ihren Söhnen, die nicht auf sie hören, und von den Töchtern, um die sie sich sorgen. Er fragt, warum im Wohnzimmer die ganze Zeit der Fernseher läuft und erklärt, dass die Kinder dabei Sachen aufschnappen können, die nicht gut für sie sind. Er versucht, den Männern zu vermitteln, wie wichtig gemeinsame Zeit und gemeinsame Erlebnisse mit ihren Kindern sind. Auch Gewalt in der Familie ist ein Thema, angefangen vom Streit zwischen Sohn und Tochter bis zu Wutausbrüchen eines Vaters, der dabei das Smartphone seines Sohnes zerschmettert. In den Vätergruppen bietet Deniz an, über all das zu diskutieren: Was für ein Vater will ich sein, welche Werte vermittele ich meinen Kindern? Wie verhalte ich mich gegenüber meinen Kindern und meiner Frau? „Ein langfristig engagierter Vater spielt eine enorme Rolle für die Bildungsentwicklung der Kinder“, sagt Deniz, und plädiert deshalb dafür, dass Väter möglichst früh auch von Kindergärten und Schulen einbezogen werden sollten. Untermauert werde diese Notwendigkeit in aktuellen Bildungsstudien. Konkretes Material und Hilfen liefern Bücher wie das kürzlich erschienene „Stark für Kinder – Väter in interkulturellen Familien“, das der Verband binationaler Familien und Partnerschaften herausgegeben hat. Anne Rose Dostalek Gustav-AdolfKirche wird renoviert ▶Die 1928 erbaute Gustav-AdolfKirche in Niederursel wird in diesem Jahr für 1,45 Millionen Euro renoviert und rekonstruiert. Der Innenraum ist seit langem überholungsbedürftig, auch die technischen Anlagen sind nicht mehr zeitgemäß. Zudem sollen Zugang und Toiletten barrierefrei werden. Die von Martin Elsässer entworfene Kirche gilt als ein Meilenstein des Kirchenbaus im 20. Jahrhundert. Elsässer, der zuvor schon zahlreiche Kirchen gebaut hatte, entwickelte hier einen ganz neuen Kirchentypus nach dem Grundsatz „Für eine Gemeinschaft zu bauen“. Die Kirche entstand zeitgleich mit der Großmarkthalle und weist ähnliche Gestaltungselemente auf. Im Lauf der Zeit ist die Kirche immer wieder verändert worden. Nun wird auf Grundlage historischer Befunde die ursprüngliche Fassung wieder rekonstruiert. An Weihnachten soll die Kirche wieder nutzbar sein. Redaktion Evangelisches Frankfurt ▸ Kirche aktuell Seite 9 Kreuzen, drehen, kreuzen In der Erlösergemeinde in Oberrad kann man gemeinsam klöppeln „Heilsames Singen“ im Haus der Stille ▶Ein Wald aus silbrigen Stecknadeln steckt dicht an dicht im Klöppelbrett von Gisela Peickner. Dazwischen spannen sich feine weiße Fäden, die um hölzerne Klöppel gelegt sind. Die Klöppel klackern kaum merklich, wenn Peickner sie, nach einem genauen Blick auf die technische Zeichnung, je zwei und zwei blitzschnell umeinander wirft. Ganz langsam entsteht ein unglaublich zarter, ganz fein gewebter Rand aus flandrischer Spitze, der später einmal eine Decke einfassen wird Es ist Donnerstagnachmittag im Gemeindesaal der Erlösergemeinde in Oberrad. Zehn Frauen sitzen um einen langen Tisch herum, die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert, Gesprächsfetzen fliegen hin und her. Manche kommen schon seit vielen Jahren, alles gestandene Frauen, die meisten schon aus dem Berufsleben ausgeschieden. Unter Claudia Schupps Händen entstehen fein gewirkte Engel aus weißen und golden schimmernden Fäden. Auch als sie noch LKW fuhr und schwere Kisten auf Wochenmärkten schleppte, hatte die schlanke Frau mit den dunklen Haaren die Kunst des Klöppelns schon erlernt: Seit dreißig Jahren ist sie dem Handwerk treu geblieben: „Das ist mein Hauptding“, sagt sie und lacht. „Beim Klöppeln vergisst man alles, da darf man nichts auf dem Herd haben“, ergänzt Gisela Peickner. Besonders reizt sie, „dass man sich beim Klöppeln konzentrieren und logisch denken muss.“ Eine zauberhafte Zeichnung mit Hänsel und Gretel ziert die Rolle, an der Ilse Weiß klöppelt. ▶Singen sei ein „Heilungserreger und natürliches Antidepressivum“, verspricht das Veranstaltungsprogramm vom Haus der Stille in der Cronstettenstraße 61. Im ersten Halbjahr 2016 findet an jedem ersten Mittwoch im Monat unter der Leitung der Kirchenmusikerin Karen Schmitt das einstündige „Heilsame Singen“ statt. Im Januar trafen etwa 25 Menschen, angemeldet oder spontan, zusammen. In großer Runde wurden dunkle, helle, lichte Töne gesucht und gefunden, weitergetragen und umspielt. Der Körper als Resonanzraum – ein besonderer Ort der Einkehr – wie der Kreis mit seiner tönenden Klangkuppel, der sich immer wieder auflöste und neu zusammenschloss. Niemand sollte denken, nicht singen zu können, und wer es dachte, war hier genau richtig. Gesungen wurde ohne Noten und Textblatt – durch Wiederholung und kurze Formen auch für Ungeübte gut machbar. Im Gang durch den Kirchenraum entfaltet sich in Verbindung mit den anderen und doch für sich allein die Stimme, Schritt für Schritt, in meditativen, einfachen Melodien, kleinen Kanons. Lösen, um sich neu zu binden. Gemeinsam schwingen, der eigenen Stimme nachsinnen, ausprobieren, lauschen, Töne aussenden und aufnehmen. Raum bilden für alles Neue und Alte, Vergangene und Kommende. Die Teilnahme kostet nach Selbsteinschätzung 5 bis 10 Euro. Anmeldung unter Telefon 069 24799583 oder schmitt.karen@ t-online.de. Informationen unter www.hausderstille.net. Silke Kirch Sieht ganz schön kompliziert aus: Ilse Weiß klöppelt ein Märchenmotiv für ihre Enkelin. Die Frankfurterin arbeitet frei nach Märchenmotiven an fein gewirkten Bildern für ihre Enkelin. Auch beinahe täglich zuhause: „Ich finde es sehr entspannend, an meinem Klöppelkissen zu sitzen. Mich faszinieren alte Techniken, und es macht Spaß, zu sehen, wie etwas entsteht.“ Vom Korbflechten über Schmuck Herstellen bis hin zu Handarbeiten hat sie vieles ausprobiert, „aber man muss sich auf eine Sache konzentrieren, sonst kann man sich nicht weiterentwickeln.“ Leinenschlag, dann Halbschlag, Ganzschlag, kreuzen, drehen: Birgit Lenz steht mit Grubenlampe über ihr Klöppelbrett gebeugt, neben sich Erika Buchwald, die das Klöppeln für Kinder und Erwachsene in der Erlösergemeinde anleitet. Die blonde Frau ist neu dabei, hat in Büchern nachgelesen über die Haltung der Klöppel, die Haltung der Hände. Gerade fertigt sie ein Lesezeichen. Auf dem Museumsuferfest hat sie die Oberräder Klöppelgruppe entdeckt und war sofort fasziniert. „Am Anfang braucht man eine große Frustrationstoleranz, das geht nicht zack, zack…“ Birgit Lenz kommt aus der Nuklearmedizin und hatte dort mit den kleinsten Einheiten zu tun. Jetzt ist sie auch handwerklich beim ganz Feinen angekommen. Foto: Rolf Oeser Zum Klöppelkreis in Oberrad reisen Frauen aus Riedstadt und Neu-Isenburg an, denn im RheinMain-Gebiet gibt es nur wenige Orte, wo Gleichgesinnte gemeinsam klöppeln können. Wer neu beginnt, kann Kissen und Klöppel erstmal leihen. Von nebenan kommen Schulkinder, die gerade ihre Klöppelkissen auspacken. „Die Gruneliusschule bietet Klöppeln in der Nachmittagsbetreuung an“, erklärt Erika Buchwald. Die Schülerinnen klöppeln besonders gerne Freundschaftsbändchen und lernen so die alte Technik. Auch sie sind fasziniert: „Wer kommt, bleibt dabei.“ Susanne Schmidt-Lüer Ein Leben als Kindersoldat Junior Nzita aus dem Kongo berichtete in Frankfurt von seinen Erfahrungen ▶Junior Nzita war Kindersoldat im Kongo. In Frankfurt erzählte er auf Einladung des Internationalen Versöhnungsbundes und der Friedensgruppe der Französisch-reformierten Gemeinde von seinen Erfahrungen. Geboren 1984, wurde Nzita im Alter von zwölf Jahren gemeinsam mit anderen Kindern verschleppt und zwangsrekrutiert. Im kongolesischen Bürgerkrieg musste er gegen seine eigenen Landsleute kämpfen. Wer sich Befehlen widersetzte, erzählt er, wurde umgebracht; das galt auch für Freunde oder Familien, die Kindersoldaten bei sich aufnahmen, um sie zu schützen. Nzita erzählt von erlittener Folter ebenso wie von dem Triumph, aus der Ohnmacht Macht zu gewinnen, sich aufzuschwingen zum Herrscher über das Leben anderer – und zugleich doch niemals den Wunsch verloren zu haben, ein ganz normales Kind zu sein, das zur Schule geht und eine fürsorgende Familie hat. Für Nzita hat sich dieser Wunsch wie durch ein Wunder tatsächlich erfüllt: Mit 16 Jahren wurde er von einer neuen Familie adoptiert. Es ist ein weit gespanntes Leben, das sich kaum buchstabieren lässt. Junior Nzita zupft Fäden aus seinem Leben, die zu Sprache gezwirbelt werden, um Verbindung zu schaffen. Die Not, das ist spürbar, ist nicht vergangen – und doch sitzt da ein Mensch, der fröhlich lachen kann. Nzita spricht auch über seine Schuldgefühle. Und über die Versäumnisse einer Gesellschaft, die in den ehemaligen Kindersoldaten nicht traumatisierte Menschen sieht, sondern Dämonen, und oft unfähig ist, die Heranwachsenden zu integrieren: Viele Kindersoldaten würden nach ihrer Entlassung aus dem Militär erneut Opfer. „Sie werden mit einem Hundert-Dollar-Schein nach Hause geschickt, ohne zu wissen, was und wo zuhause ist.“ Heute ist Junior Nzita ist ehrenamtlicher UN-Botschafter, er hat mehrere Organisationen gegründet, die sich für die Anliegen von Kindersoldaten einsetzen. Am Ende hat das Publikum ein Bündel Fäden in der Hand, Erzählstränge aus einem Leben, das einen offenen Horizont, Besonnenheit und Anteilnahme braucht, um mitteilbar zu bleiben. Das allein, so wurde an diesem Abend deutlich, ist viel. Silke Kirch ■ Das Smartphone verstehen In diesem Seminar werden alle Funktionen des Smartphones ganz genau erklärt: Freitag, 26. Februar, von 17 bis 20 Uhr und Samstag, 27. Februar, von 10 bis 16 Uhr im Spenerhaus, Dominikanergasse 5, am Börneplatz (60 Euro). ■ Party für alle über 60 Tanzen mit oder ohne Partner oder Partnerin am Montag, 22. Februar, von 17 bis 20 Uhr im Gesundheitsamt, Breite Gasse 28. Anmeldung unter 069 921056678. ▸ Kirche aktuell Seite 10 Zankapfel Kulturcampus Was heißt Teilhabe, wenn eigentlich alles schon feststeht? ▶Wie veräppelt fühlten sich die Teilnehmenden gegen Ende der Diskussion „Urban Culture 21 – Kultur – Wandel Bockenheim“, zu der die Evangelische Akademie und der Bund Deutscher Architekten ins Studierendenhaus auf dem Bockenheimer Campus eingeladen hatten: Nachdem sie sich drei Stunden lang über Ideen zum Kulturcampus Bockenheim ausgetauscht hatten, teilte ihnen der Sprecher der Grünen im Ausschuss Planen, Bauen und Woh- Tisch für alle Beteiligten gefordert, möglichst viele offene Räume und Orte der Begegnung auf dem Campus. Heiner Blum, Konzeptkünstler und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, hatte betont, wie wichtig unverplante Spielräume seien, weil sich Kunstschaffende am wohlsten an Orten fühlten, die „noch nicht fertig“ sind. Esther Gebhardt, die frühere Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, hatte herausgestri- Alle sprechen vom „Kultur-Campus“ in Bockenheim. Aber zwischen Freiheit und Foto: Ilona Surrey Kommerz gehen die Ansichten auseinander. nen der Stadt, Ulrich Baier, mit, dass der Bebauungsplan für den Kulturcampus 2018 längst feststehe; nur die Außenanlagen seien noch nicht verplant. Dabei hatten die Diskussionsteilnehmer – Architekten, Vertreterinnen von Institutionen und Stiftungen – gerade einen runden chen, dass der Kulturcampus eine „Jahrhundertchance“ sei. Das müsse man klar kommunizieren, um in Zeiten, wo eigentlich jeder Meter für sozialen Wohnungsbau benötigt wird, rechtfertigen zu können, dass man dieses große Gelände für Kultur nutzen will. Thomas Rietschel, Präsident der Hochschule für Gestaltung, die sich auf dem Campus ansiedeln wird, brach eine Lanze für die „traditionelle Ausbildung“ seiner Institution. Auch Theater und Oper hätten ihre Berechtigung, auch wenn sie nur einen kleinen bürgerlichen Kreis ansprächen. Der Kulturcampus solle aber ein möglichst offener Ort der Begegnung sein, wo Studierende und Künstler aus dem In- und Ausland, Wissenschaftlerinnen und Menschen aus Bockenheim und ganz Frankfurt sich treffen. Linda Reisch (SPD), ehemalige Frankfurter Kulturdezernentin, beschrieb, wie in einem Berliner Musikkindergarten Kinder aller Schichten vor allem über Musik (und nicht über Sprache) Zugang zu Bildung fänden. Kunst und Musik müssten „selbstverständlich dort sein, wo Kinder und Jugendliche sind“ – also in Kindergärten und Schulen, auch über den Kulturcampus hinaus. „Teilhabe ist Ansehen, Anhören und eigene Gestaltungsmöglichkeiten“, betonte auch Melanie Wald-Fuhrmann, wissenschaftliches Mitglied und Direktorin am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. „Für viele Menschen ist das Hinkommen zur Kultur ein Problem.“ Deshalb müssten architektonisch offene Räume geschaffen werden, die den Zugang erleichtern. Frauke Burgdorff vom Vorstand der „Montag Stiftung urbane Räume“ aus Bonn, empfahl, den Bebauungsplan der Stadt „produktiv zu stören“. Thomas Rietschel schrieb eifrig mit. Da ließ das Gefühl, veräppelt zu werden, ein wenig nach. Stephanie von Selchow Reichtum des Alters Seit zehn Jahren „Aktiv leben im Frankfurter Nordwesten“ ▶Ein kleines Fest war angekündigt, aber das zehnjährige Jubiläum der Gruppe „Aktiv Leben im Frankfurter Nordwesten“ wurde ein großes: Damals, im Januar 2006, trafen sich 14 Aktive zu einem Spaziergang durch das historische Frankfurt. Angeregt hatte den Ausflug der Pfarrer der Thomasgemeinde, Alexander Kaestner, der ältere Menschen aus dem Frankfurter Nordwesten zusammenbringen wollte. Zehn Jahre später schaut Kaestner, inzwischen selbst im Ruhestand, auf gut und gerne hundert graue Köpfe. Aus der kleinen Gruppe ist eine „große Familie“ geworden, die sich zu Ausflügen, Besichtigungen oder Literaturabenden trifft. „Eine feine Sache, so eine Gruppe hier zu haben, die sich selber verwaltet und Leben in die Gemeinde bringt“, freut sich die Vorsitzende des Kirchenvorstandes Christine Tries. Pfarrer Kaestner empfahl älteren Menschen, sich nicht aus der Spur bringen zu lassen von guten Ratschlägen, Normen und Idealen, mit denen sie oft überschüttet werden. „Der Reichtum des Alters liegt in den Beziehungen, an denen wir teilhaben können“, war sein Fazit. Es komme nicht allein darauf an, wie aktiv und produktiv jemand ist. Gefeiert wurde das Jubiläum mit Sekt, viel guter Laune, einigen Reden und dem „Evangelischen Kabarett Heiterkeit und Niedertracht“ (das „EKHN“) Wer beim „Aktiv Leben“ dabei sein möchte: Kontakt über Ingrid Sziedat, [email protected], Telefon 069 579894. Anne Rose Dostalek Antonia Jacob und Ute Niedermeyer zeigten zum Jubiläum von „Aktiv Leben“ ihr Foto: Rolf Oeser kabarettistisches Programm „Absurdistan bei Kirchens“. Evangelisches Frankfurt ■ Irmela von Schenck bleibt Präses der Stadtsynode Im Amt als stellvertretende Vorsitzende bestätigt: Irmela von Schenk ist die oberste Ehrenamtliche der Evangelischen Kirche in Frankfurt. Fotos: Rolf Oeser ▶Irmela von Schenck bleibt auch für die nächsten sechs Jahre oberste Ehrenamtliche der Evangelischen Kirche Frankfurts. Die 54 Jahre alte Betriebswirtin ist von der Stadtsynode im Januar mit großer Mehrheit als Präses und stellvertretende Vorsitzende – neben dem Stadtdekan – bestätigt worden. In den Vorstand gewählt wurden außerdem Christian Brause (68) von der Gemeinde Bockenheim, pensionierter leitender Angestellter, Wolf Gunter Brügmann-Friedeborn (69) von der Wicherngemeinde in Praunheim, pensionierter Journalist, Stefan Majer (57) von der Hoffnungsgemeinde in der Innen- stadt, Frankfurter Verkehrsdezernent, Wolfram Sauer (56) von der Gemeinde Niederursel, Richter am Landgericht, Wolfram Schmidt (55) von der Katharinengemeinde im Westend, leitender Angestellter und Christine Ulmke (47) von der Gemeinde Unterliederbach, Lehrerin und tätig für das Hessische Kultusministerium. Von den Pfarrerinnen und Pfarrern wurden gewählt: Andrea Braunberger-Myers (57) von der Paulsgemeinde in der Innenstadt, Rüdiger Kohl (45) von der Gemeinde Bockenheim und Christine Streck-Spahlinger (54) von der Nazarethgemeinde in Eckenheim. Redaktion 200 Jahre Bibelgesellschaft ▶Sie ist der älteste kirchliche Verein der Stadt, und in diesem Jahr wird sie 200 Jahre alt: die Frankfurter Bibelgesellschaft. 1816 wurde sie auf Initiative des Juristen und Theologen Johann Friedrich von Meyer gegründet. Neben seinen politischen Ämtern – als Frankfurter Senator und später als Bürgermeister – arbeitete Meyer an einer Revision der Lutherbibel. Seine Übersetzung, in der er neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Urtextforschung berücksichtigte, erschien 1819. Weil sich damals noch kaum jemand ein Buch leisten konnte, verschenkte die Bibelgesellschaft in den Anfangsjahren vor allem Bibeln, zuerst an arme Dienstbotinnen auf dem Römerberg, später an Schulkinder oder Menschen in Krisensituationen. Auch die jeweils zeitgemäße Vermittlung biblischer Inhalte war Anliegen des Vereins. Im zwanzigsten Jahrhundert war die Arbeit der Bibelgesellschaft vor allem mit den Namen der Pröpste Karl Goebels und Dieter Trautwein verbunden. Heute ist die Trägerschaft des 2003 gegründeten Bibelhaus Erlebnis Museums in Sachsenhausen das Hauptbetätigungsfeld des Vereins. Antje Schrupp Evangelisches Frankfurt ▸ Kirche aktuell Seite 11 Gemeinsam faltenfrei Die „Ironmen“ in Griesheim machen Bügeln zum geselligen Männer-Event ▶Erst der Kragen, dann die Ärmel und die Schulterpartie, die eine Seite, die Mitte und dann die andere Seite. So, hab ich mal gelernt, bügelt man ein Hemd. Aber Werner Watzik, Claus Kronenberg, Fred Kortzendörfer und Gerhard Pfahl, die jeder mit einem Korb Bügelwäsche ins Gemeindehaus Griesheim gekommen sind, haben ihre eigenen Methoden. Der eine bügelt sein Hemd zugeknöpft von vorne, der andere fängt in der Mitte an, und die beiden anderen bügeln gar kein Hemd, sondern Bettbezüge und lassen dabei die Dampfbügeleisen zischen. „Das ist auch der Grund, warum wir als Ironmen eine Männergruppe sind“, sagt Gemeindepädagoge Gerhard Pfahl. „Die meisten Frauen würden uns wahrscheinlich sofort sagen, das muss man so und so machen.“ Als Pfahl die „Ironmen“ vor knapp zwei Jahren gegründet hat, ging es ihm nicht um das perfekt gebügelte Wäschestück. Der Gemeindepädagoge wollte vor allem, dass Männer über 55 etwas gemeinsam machen und dabei ein Gespräch entsteht. Und es funktioniert. „In der Silvesternacht in Köln hätte mehr Polizei da sein müssen“, sagt Watzik soeben. „Ja sicher, aber Herr Schäuble spart auch an den falschen Stellen“, schimpft Kronenberg. „Bei der Polizei, bei Kindergärten und sozialen Einrichtungen. Während in der Wirtschaft Steuern gespart werden dürfen. Das ist doch nicht gerecht!“ Zum Thema Sparen haben die anderen auch etwas zu sagen. Schon ist eine lebhafte Diskussion im Gang. Später erzählt Watzik einen Witz. ■ Neuer Zuschnitt für Propstei Ende 2017 wird die Propstei RheinMain neu organisiert: Die südöstlich von Frankfurt liegenden Dekanate Rüsselsheim, Groß Gerau, Dreieich und Rodgau kommen zur Propstei Starkenburg, dafür erweitert sich „Rhein-Main“ Richtung Westen und umfasst Kronberg, Wiesbaden, Bad Schwalbach, Idstein und den Hochtaunus. Vorher wie nachher dazu gehören Frankfurt und Offenbach. ■ Tehillim-Psalmen Chorprojekt Im Januar ist das siebte TehillimPsalmen-Chorprojekt gestartet. Diesmal werden jüdische und christliche Vertonungen von Psalm 104 gesungen. Proben sind immer mittwochs von 19.30 bis 22 Uhr, Aufführungen im April und Mai. Die Teilnahme kostet 50 Euro für Material, bis Mitte Februar kann man noch einsteigen. Infos bei Bettina Strübel, [email protected]. Treffen sich einmal im Monat zum Bügeln im Griesheimer Gemeindehaus: die „Ironmen“. Hier im Bild sind Werner Watzig, Foto: Rolf Oeser Claus Kronenberg und Fred Kortzendörfer. Die Frankfurter „Eisenmänner“ sind mittlerweile berühmt. Die Nachrichtenagentur dpa hat einen Artikel über die bügelnden Männer neunzig Mal verkauft, Zeitungen haben Artikel geschrieben, RTL und ZDF gefilmt. Auf einer Messe der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, bei der gute Ideen für die Gemeindearbeit prämiert wurden, gewann die Gruppe einen Preis. Jetzt duftet es im Gemeindehaus nach frisch gebügelter Wäsche. Kronenberg füllt destilliertes Wasser in sein Bügeleisen nach. Watzik führt den anderen eine Methode vor, mit der man ein T-Shirt mit nur einem Hand- griff zusammenlegen kann. „Das hat ein Japaner erfunden“ erzählt er. „Das kann man sich auch auf Youtube ansehen.“ Die Ironmen, sagt er, seien sein Hobby. Irgendwie scheint es auch 2016 noch ungewöhnlich zu sein, wenn Männer Spaß am Bügeln haben. Ein Nachbar habe ihn („im Scherz, aber immerhin!“) gefragt, ob er „vom anderen Ufer“ sei, erzählt Watzig. Pfahl sagt, manche ältere Männer, die er zur Gruppe eingeladen hat, hätten bloß gesagt: „Wofür hab ich denn eine Frau?“ Die Jüngeren wiederum würden behaupten, sie hätten gar nichts zu bügeln. „Aber ich kenne viele Singles, die natürlich ihre Hemden für den Job bügeln müssen“, sagt Kronenberg. „Nur bekennen sie sich nicht dazu.“ Pfahl erzählt aber auch von einem Mann, der eine Zeitlang bei den Ironmen die Blusen für seine Frau gebügelt hat. Die arbeitete bei Lufthansa und musste jeden Tag perfekt aussehen. „Damit hat der zuhause echt gepunktet“, sagt der Pädagoge. Die anderen drei Ironmänner schmunzeln. Wer selbst in Gesellschaft bügeln möchte: Treffen sind jeden zweiten Freitag im Monat um 19.30 Uhr im Gemeindhaus Griesheim, Jägerallee 28. Willkommen sind Männer jeden Alters und aus allen Stadtteilen. Stephanie von Selchow „Wir brauchen das Alte Testament“ ▶Braucht die Kirche das Alte Testament? Nein, meint der Berliner Theologieprofessor Notger Slenczka, es sei lediglich das Zeugnis einer kleinen Stammesreligion ohne allgemeinen Anspruch. Der Frankfurter Theologe Friedhelm Pieper widerspricht ihm klar: Das Alte Testament gehöre ebenso zum Christentum wie das Neue. Das Thema berührt direkt das Verhältnis von Christentum und Judentum. In der evangelischen Kirche tobt der Streit um den ersten Teil der Bibel, seit Slenczka 2013 in seiner Abhandlung „Die Kirche und das Alte Testament“ eine These des Kulturprotestanten Adolf von Harnack wieder aufgegriffen hat, wonach das Alte Testament eigentlich nicht in die Bibel gehöre, sondern unter die Apokryphen, also die nicht zum offiziellen Glaubenskanon gehörenden Schriften. Slenczka fasst die Überzeugungen seiner Gewährsleute in markanten Sätzen zusammen: „In sei- Kurz notiert Friedhelm Pieper bei seinem Vortrag in Frankfurt. ner Gänze ist das Alte Testament kein Zeugnis der Universalität des Gottesverhältnisses, sondern ein Zeugnis einer Stammesreligion mit partikularem Anspruch.“ Das klingt nicht nur für jüdische Ohren abwertend. Friedhelm Pieper vom Zentrum Ökumene in Frankfurt erläuterte bei einem Vortrag im Haus am Foto: Rolf Oeser Dom, warum er Slenczkas Thesen so entschieden öffentlich zurückweist. Was wir heute „Altes Testament“ nennen sei eine „im Kern feststehende Schrift, sie war für die Urkirche allein Heilige Schrift. Die Schriften des Neuen Testaments entstanden dann nach und nach in den ersten zwei Jahrhunderten und beziehen sich durch- gängig auf dieses erste Testament… Diese Tatsache hat zu der bekannten Formel geführt: Juden und Christen gründen sich auf ein gemeinsames Buch.“ Die Texte des Alten Testaments seien wichtig für die christliche Identität. „Man denke etwa an die universale Wirkung der Exodusgeschichten“: Der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten sei „im Kampf der Sklaven in Nordamerika um Anerkennung ihrer Menschenwürde“ zentral gewesen. Pieper konstatierte eine „Schieflage der Diskussion“, die entstehe, „wenn man meint, die Textteile des ersten und des zweiten Testaments jeweils für sich als Ganzes einordnen und werten zu sollen“. Im Anschluss an den Vortrag, zu dem die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eingeladen hatte, äußersten sich viele aus dem Publikum zustimmend. Eine Frau sagte: „Ich kann mir meinen Glauben einfach nicht vorstellen ohne beide Testamente.“ Anne Lemhöfer ■ Hass und Hetze Eine 24-Stunden-Tagung im Haus der Jugend beschäftigt sich am 19. und 20. Februar (von 17 bis 17 Uhr) mit der Frage, wie man Demokratiefeindlichkeit im Internet begegnen kann. Mitveranstalter ist die Evangelische Akademie, Infos unter www.evangelische-akademie.de. ■ Weltgebetstag zu Kuba Die Liturgie des Weltgebetstages am 4. März kommt in diesem Jahr von Frauen aus Kuba. Gottesdienste in zahlreichen Gemeinden werden sich dann mit der Situation von Gemeinden und speziell von Frauen in diesem Land beschäftigen. Termine unter www.frankfurt-evangelisch.de. ■ Tarifverträge für Diakonie Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat eine Neufassung des Arbeitsrechts für die Diakonie Hessen beschlossen. In Zukunft können hier auch Tarifverträge eingeführt werden, sagte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Diethelm Harder. Allerdings sollten sie „kirchengemäß“ sein. Ein Streikrecht ist weiterhin nicht vorgesehen. ■ Mode und Menschenrechte Mode ist etwas Schönes, aber wenn sie auf Kosten anderer Menschen geht, ist das ein Problem. Was Mode mit Menschenrechten zu tun hat, ist Thema bei einem Studientag für 16- bis 20-Jährige am Donnerstag, 18. Februar, von 9 bis 14 Uhr in der Jugendkulturkirche Sankt Peter, Stephanstraße 6 (Eintritt frei, Anmeldung: Telefon 069 174152613, [email protected]) ■ Thementag über Barmherzigkeit Was bedeutet es, christlich zu leben in einer Zeit von Selbstbehauptung, Konsum und Wettbewerb? „Barmherzigkeit“ ist das Thema eines theologischen Seminartags mit dem evangelischen Theologen Fulbert Steffensky am Samstag, 20. Februar, von 9.30 bis 17 Uhr im Haus am Dom (19/10 Euro, Tickets unter www.adticket.de). Februar/März 2016 · 40. Jahrgang · Nr. 1 · www.evangelischesfrankfurt.de ▸ Panorama Seite 12 Kurt-Schumacher-Straße 23 · 60311 Frankfurt/Main Evangelisches Frankfurt Veranstaltungen Terminkalender City-Kirchen sind bei der Luminale dabei ■ Begegnung Büttenpredigt – mit dem früheren Dekan Jürgen Reichel-Odié am Sonntag, 7. Februar, im Gottesdienst um 10 Uhr in der Friedenskirche im Gallus, Frankenallee 150. Rauchzeichen – AschermittwochsGottesdienst für Jugendliche am 10. Februar um 12 Uhr in Sankt Peter, Stephanstraße 6. Frankfurter Mundart – mit Rainer Weisbecker am Freitag, 26. Februar, um 19.30 Uhr in der Gemeinde Sindlingen, Sindlinger Bahnstraße 44 (Eintritt frei). Regenbogengottesdienst – nicht nur für Lesben und Schwule am Freitag, 26. Februar, um 20 Uhr in der Lutherkirche im Nordend, Martin-Luther-Platz 1. Internationaler Frauentag – Ökumenischer Gottesdienst am Dienstag, 8. März, um 19 Uhr in der Alten Nikolaikirche am Römerberg. ■ Konzerte Blechblas-Fasching – am Dienstag, 9. Februar, um 20 Uhr in der Heiliggeistkirche, Börneplatz (15 Euro). Klarinette und Fagott – Werke von Bach und anderen am Donnerstag, 11. Februar, um 19.30 Uhr in der Thomaskirche, Heddernhemer Kirchstraße 2b (Eintritt frei). Nordische Songs – Konzert des Folk-Trios Strömkarlen am Montag, 15. Februar, um 20 Uhr in der Johanniskirche in Bornheim, Turmstraße 10 (16 Euro). Junge Sinfoniker – Werke von Brahms und Bruckner am Samstag, 13. Februar, um 19.30 Uhr in der Wartburgkirche in Bornheim, Hartmann-Ibach-Straße 108 (Eintritt frei). Klaviermusik zu vier Händen – Werke von Bach, Reger und Ligeti am Sonntag, 14. Februar, um 11.30 Uhr in der Festeburgkirche in Preungesheim, An der Wolfsweide 58 (Eintritt frei). Fokus Max Reger – Konzert mit jungen Organistinnen und Organisten am Sonntag, 14. Februar, um 18 Uhr in der Katharinenkirche an der Hauptwache (10/8 Euro). Klavierkonzert – mit Werken von Strauss, Brahms, Albeniz und Piazzolla am Sonntag, 21. Februar, um 17 Uhr, Erlöserkirche in Oberrad, Melanchthonplatz (Eintritt frei). Orgelkonzert – Werke von Tunder, Bach und Reger am Sonntag, 21. Februar, 17 Uhr, Dreikönigskirche am Sachsenhäuser Ufer (8 Euro). Werke von Fauré – mit der Miriamkantorei am Sonntag, 21. Februar, um 18 Uhr in der Auferstehungskirche in Praunheim, Graebestraße 8 (Eintritt frei). Orgelkonzert – Musik und Wort am Sonntag, 21. Februar, um 18 Uhr in der Stephanuskirche in Unterliederbach, Liederbacher Straße 36b. Cemballissimo – Konzert zur Vorstellung des neuen Cembalos in der Epiphaniaskirche, Oder Weg/Ecke Holzhausenstraße am Montag, 22. Februar, um 20 Uhr (Eintritt frei). Mehr unter www.frankfurt-evangelisch.de. ▶Vom 13. bis 18 März ist in „Fair Trade“, fairer Handel – was genau ist das? Worauf sollten wir achten beim Kauf von Produkten aus Afrika, Asien oder Südamerika? Wie sieht eine „faire“ Handelskette aus, und lässt sich das schwierige Thema schon Kindern und Jugendlichen vermitteln? Solche Fragen diskutierten Haupt- und Ehrenamtliche aus der Kinder- und Jugendarbeit gemeinsam mit FachFoto: Ilona Surrey leuten im Bornheimer Weltladen. Eingeladen hatte das Evangelische Stadtjugendpfarramt. Las Vegas in Bornheim Kirchengemeinde bietet regelmäßige Bühne für Kleinkunst ▶ „Was ist Las Vegas gegen Bornheim?“ Sören Pohl ist zwar erst 17 Jahre alt, aber das Publikum im Saal der Gemeinde Bornheim hat er von der ersten Sekunde an im Griff. Lässig und selbstbewusst, ironisch und mit ausgeprägtem Sinn für Dramatik und Spannungsbögen: Sören Pohl ist Zauberkünstler, und spätestens, als er einen Zehn-Euro-Schein in einen Hunderter verwandelt, zwei kleinen Söhnen als StandUp-Comedy, bei der man einiges Neues erfährt: „Mit Schlappen schmeißen, darin sind wir orientalischen Mütter Weltklasse.“ Im bürgerlichen Leben arbeitet die Frankfurterin mit den hüftlangen Haaren als Altenpflegerin. Moderiert wird der Abend von Dieter Becker aus Bad Vilbel, der als „Kai Ahnung“ in der Rolle des etwas schussligen Conférenciers Erst 17 Jahre alt und hat doch das Publikum schon fest im Griff: Der ZauberFoto: Rolf Oeser künstler Sören Pohl bei seinem Auftritt in Bornheim. schauen alle verblüfft. Raunen: „Wie hat er das jetzt gemacht?“ Alles wie bei einer Profi-Show also, oder zumindest fast. Denn die Künstlerinnen und Künstler, die bei der „BKKB“, der Bornheimer Kleinkunstbühne, auftreten, sind keine Profis. Trotzdem ist das Niveau teils beeindruckend, das auf der Bühne im Bornheimer Gemeindehaus geboten wird. Die Kabarettistin Aynur („So heiße ich, das ist nicht die Uhrzeit“) erzählt ihren Alltag mit den mit launigen Wortspielen und viel Witz durchs Programm führt: „Was ist der Unterschied zwischen Kabarett und Comedy? Der Comedian macht es wegen dem Geld. Der Kabarettist wegen des Geldes.“ Eintritt kostet die Show nicht, es wird aber um Spenden für einen guten Zweck geworben. Der gute Zweck ist in diesem Fall die denkmalgerechte Sanierung der Johanniskirche, für die die Gemeinde rund 400 000 Euro auf- bringen muss. „Wir haben es geschafft, mit dem Kindertheater der Kita Johannis einen Fahrstuhl zu finanzieren“, sagt Gemeindemitarbeiter Peter Habermehl, der in der Johanniskirche kulturelle Events organisiert. „Da die Bornheimer gerne feiern und Spaß an kurzweiliger Unterhaltung haben, werden die Publikumsspenden sicher dazu beitragen, dass wir die Restaurierungskosten bald decken können“, sagt er. Gleichzeitig können bei den Shows auch Menschen Kultur genießen, die sich einen Ausgehabend normalerweise nicht leisten können. Der Gemeindesaal lässt sich mit mindestens hundert Stühlen bestücken, im Januar – dem dritten Kleinkunstabend – ist er etwa zur Hälfte gefüllt. Regelmäßig soll es jetzt jeden zweiten Sonntag im Monat in der Großen Spillingsgasse 24 „Bühne frei!“ heißen. Was genau geboten wird, ist eine Überraschung – aber immer eine vielfältige. Akrobatik, Kabarett, Zauberei, Musik, Literaturlesungen: Alles ist möglich. Und alle dürfen mitmachen, wie Habermehl betont. „Ein paar Tage vorher anmelden genügt. Wir sind uns sicher, dass viele Bornheimer etwas können, das sie vorführen mögen.“ Die Künstlerinnen und Künstler treten nachmittags bereits im Kleinkunstcafé in Bad Vilbel auf und kommen anschließend nach Bornheim. Zur Einstimmung öffnet um 19 Uhr eine Bar, die Show selbst startet um 20 Uhr. Die nächsten Termine sind am 14. Februar und 13. März, wer etwas vorführen möchte, mailt an [email protected]. Anne Lemhöfer Frankfurt und Offenbach wieder Luminale – und auch viele CityKirchen sind dann mit einem eigenen Programm dabei. In der Katharinenkirche an der Hauptwache werden renommierte Künstler und Künstlerinnen eine Installation mit dem Titel „Lichtbeugung“ aufbauen. In der Alten Nikolaikirche am Römerberg planen Studierende der Hochschule für Gestaltung in Offenbach ein Objekt mit Sensoren im Kirchenraum, das Lichteffekte erzeugt. In der Dreikönigskirche am Sachsenhäuser Ufer gibt es eine „Enlightenment Machine“ mit Tönen und Stelen. Und auch in der Weißfrauen Diakoniekirche im Bahnhofsviertel startet jeden Tag bei Anbruch der Dunkelheit eine Licht-Klang-Installation. In der Lutherkirche im Nordend, Martin Luther Platz, wird eine Licht-Bild-Installation von Textrezitationen begleitet. Zum Auftakt und zum Abschluss der Luminale sind zusätzlich Konzerte geplant. Jeweils um 20 Uhr am 13. und 18. März führt die Lutherkantorei dort das Oratorium „The Armed Man – A Mass For Peace“ des zeitgenössischen Komponisten Karl Jenkins (geboren 1944) auf (18/15 Euro). Das komplette Programm steht ab Anfang März im Internet unter www.luminale.de. Redaktion Das Letzte Obergrenzen ▶Alle Welt diskutiert momentan über Obergrenzen für den Zuzug bestimmter Bevölkerungsgruppen. In Frankfurt kennen wir uns damit aus, wir hatten das nämlich schon mal: Vor genau 400 Jahren, im Jahr 1616, wurde in der Stadt eine Obergrenze eingeführt für die erlaubte Anzahl der ansässigen jüdischen Familien: Mehr als 500, so beschlossen es damals die kaiserlichen Kommissare aus Hessen und Kurmainz, seien der Stadt wirklich nicht zuzumuten. Impressum Herausgeber: Der Vorstand des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt am Main. [email protected] Redaktion: Pfarrer Ralf Bräuer (Redaktionsleitung), Dr. Antje Schrupp (Geschäftsführung), Kurt-Helmuth Eimuth, Stephanie von Selchow, Anne Lemhöfer, Pfarrer Wilfried Steller Geschäftsstelle/Anzeigen: Kurt-Schumacher-Straße 23, 60311 Frankfurt am Main, Telefon 069 21 65–13 83, Fax 21 65–23 83, Druck: Axel Springer AG – Druckhaus Spandau Brunsbütteler Damm 156–172, 13581 Berlin Die Zeitung wird kostenlos an Frankfurter Mitglieder der evangelischen Kirche verteilt. ISSN 1438–8243 Februar/März· 40. Jahrgang · Nr. 1 Die nächste Ausgabe erscheint am 20. März 2016. www.facebook.de/evangelischesfrankfurt
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