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Ausgabe Nr. 14 | 25. September 2015
Zeitschrift
Heilsames Tun
Liebevolle Menschen und ihre Projekte oder Methoden der Heilung
Im Fluss des Lebens
1.Künstlerischer Ausdruck und Spiritualität
2.Drei Strömungen in meinem Lebensfluss
3.‘Das Lied des Flössers’ als Bildimpuls
4.Leserforum: Der Dalai Lama ist 80 Jahre alt geworden
Künstlerischer Ausdruck und Spiritualität
Die Inspiration
Peter und Brigitte haben in den neunziger Jahren das Institut für Kunst und menschliche Entwicklung in Amerika besucht, das von Paolo Knill mitgegründet wurde. Nach diesen Ideen wurden in Europa am Institut ISIS der
Stiftung EGIS viele Kunsttherapeuten ausgebildet. Brigitte und Peter haben an diesem Institut in Cambridge
USA ein Jahr lang studiert und diese vielfältigen Inspirationen in Ihr Leben, in ihre Beziehungen, in ihre Arbeit
und in ihren Fluss des Lebens konsequent integriert. Daraus sind vielfältige Aktivitäten entstanden, wie malen,
dichten, Collagen, unterrichten, Kurse und Seminare, an der Ausbildung mitwirken und in der Berufsarbeit,
Peter als Pädagoge und Brigitte als Psychotherapeutin.
In den verschiedenen Gesprächen, die wir jetzt miteinander haben durften, ist mir viel klarer geworden, was
mir vorher wie verborgen war. Ich hatte im Internet recherchiert, vieles gefunden, konnte es aber nie richtig
zusammen bringen. Durch diese Gespräche hat sich nun ein Gesamtbild geformt, das mich tief beeindruckt und
bewegt: Wie Brigitte und Peter durch das Loslassen und die Inspiration aus dem Vollen schöpfen können, weil
die geistigen, künstlerischen und emotionalen Grenzen sehr weit geworden sind. Etwa im Gedicht: ‚Poesie des
Gewöhnlichen’ drückt dies Peter sehr schön aus.
Paolo Knill ist übrigens ein Schaffhauser, und ich kenne ihn noch von früher.
Beide, Brigitte und Peter, haben auch Bücher publiziert, Brigitte zum Beispiel: ‚Ein Stück Himmel, bitte’, zusammen mit Margo Knill, und Peter zB. ‚Unterrichten als Kunst’. Sie sind beide sehr bescheiden, hängen ihr Tun
nicht an die grosse Glocke, und man muss eher selber herausfinden, was alles ihre Fähigkeiten und Begabungen sind und was sie alles in ihrem Leben erwirkt haben. Der Urgrund von Allem war immer ihre Spiritualität.
Dieser Abend wird sehr befruchtend und erfreuend sein, und ich hoffe, dass möglichst viele von Euch sich diese
Gelegenheit wirklich gönnen, dabei zu sein und die Tiefgründigkeit und die Vielfältigkeit von Brigitte und Peter
selber zu erfahren, auch als Wertschätzung für die beiden und das, was sie uns schenken.
Text: Christine Müller-Plüss
Poesie des Gewöhnlichen
Wo immer
Dein Blick hinfällt
lass ihn dort ruhen
Etwas länger
als gewöhnlich
Setz dich
dem Innehalten aus
Lass dich überraschen
Wart ab, was geschieht
Ergreif keine Initiative
Bleib verwirrt
Staune,
ob dem Unerwarteten
Halt dich bereit
für das Ungewöhnliche,
das dann geschieht
Gedicht: Peter Wanzenried 2009
Einladung zum Blickwechsel
Collage Peter Wanzenried
Drei Strömungen in meinem Lebensfluss
Peter Wanzenried
„Die Kunst ist das innerste Wesen des Lebens. Unsere Worte und Taten sollten von Kunst erfüllt sein. Das
innerste Wesen der Kunst ist das wache Bewusstsein“
(Thich Nhat Hanh)
Dieser Leitgedanke umreisst treffend, wie die Impulse, welche wir 1991 am „Institut for the Arts and Human
Development“ in Cambridge USA erhalten haben, in unserem Lebensfluss nachhaltig wirksam wurden. Unsere
Entwicklungen, unsere Beziehungen, unsere Berufstätigkeiten wären wohl anders verlaufen ohne diese eindrücklichen Erfahrungen. Ich möchte aus meiner Sicht drei Akzente setzen:
• Um künstlerisch tätig zu werden, musste ich meine Aufmerksamkeit schärfen: den Blick verlangsamen, in der
Stille lauschen, sich hingeben an die Gunst des Augenblicks mit voller Präsenz. Im Getöse unseres Alltags gilt
es, sorgfältig auf das zu achten, was gewöhnlich unbeachtet bleibt und dort etwas zu verweilen. Ästhetische
Erfahrung, als bedeutsame Grundlage unserer Entwicklung, nimmt das Wort bei seiner ursprünglichen Bedeutung: „Aisthesis“ als umfassende sinnliche Wahrnehmung im Gegensatz zu „Anaisthesis“ als Anästhesierung d.h.
unempfindlich machen gegenüber der Welt in der wir leben. Diese Tugend in meinem Alltag zu pflegen, stellt für
mich eine stete Herausforderung dar.
• Dann gilt es, sich der Kunst der Improvisation zu stellen. Mich einlassen auf das Ungeplante, Unberechenbare
und Überraschende. Das heisst zunächst, ins Spiel kommen und neugierig annehmen, was auch immer entstehen mag. Dabei auch Widersprüchliches und Chaotisches aushalten. All meine Konzepte im Hinterkopf und die
damit verbundenen Erwartungen und Ängste mit einem Lächeln beiseite legen und mich vertrauensvoll von
Überraschendem bewegen lassen. Dies alles zu üben und dabei immer wieder ein neues Gleichgewicht zu
suchen, habe ich in meinem Berufsleben als Lehrer, in meinen Auftritten als Improvisationsschauspieler und in
meinem privaten Alltag ausreichend Gelegenheit erhalten.
• Um all diese Erfahrungen zu reflektieren, ihre Spuren zu sichern und sie mit andern auszutauschen, wurden
mir die Sprachen der Künste zum unverzichtbaren Ausdrucksmittel. In meinen Geschichten, in poetischen
Verdichtungen und vielschichtigen Collagen versuche ich immer wieder zu ordnen und zu verstehen, was
meinen Geist bewegt. Mehr als 20 leere Bücher habe ich damit in den vergangenen 25 Jahren gefüllt. Die Arbeit
mit meinen Studierenden reflektierte ich über Jahre in eigenen Journalen und verpflichtete auch sie, solche zu
führen. Unsere Reisen wurden in besonderen Reisetagebüchern nachgezeichnet und z.T. auch andern zugänglich gemacht. Auch Begegnungen mit künstlerischen Werken, Literatur – Filme – Ausstellungen, finden ihren
Niederschlag und werden so zu Impulsen fürs eigene Schaffen. Und selbstverständlich versuche ich auch spirituelle Erfahrungen und Denkanstösse mit diesen Ausdrucksformen für mich zu fassen. Die Nachlese in meinen
Spurenbüchern ist für mich ein wertvoller Schatz, aus dem ich immer wieder schöpfen kann.
Achtsame Wahrnehmung – Mut zur ungeplanten, spielerischen Improvisation – Reflexion der Erfahrungen in
Sprachen der Künste: dies also drei Strömungen, die den Fluss meines Lebens unverkennbar geleitet haben.
und die für mich wohl zeitlebens eine Herausforderung bleiben werden.
Das Lied des Flössers als Bildimpuls
Brigitte Wanzenried
„Flussabwärts fahre ich mit meinem Floss .... singe ich mit Herzblut mein Lied ... ich folge deinem flüchtigen
Horizont ... Spiegelungen, die nie weggehen ... es verzehrt mich die Leidenschaft, auf dem Fluss zu fahren.“
(El Jangadero, argentinisches Flösserlied)
Dies sind einige Zeilen aus dem argentinischen Lied des Flössers, welches mich zu meiner neusten Bilderserie
inspiriert hat. An diesem Beispiel möchte ich Einblick geben in meine Arbeit als Malerin. Meine Freundin hat
das Lied für mich gesungen an meinem Geburtstag am Rhein. Es hat mich begleitet durch ein Jahr voller
Herausforderungen. Meine Gedanken kreisten immer wieder um den Fluss, den Fluss des Lebens, das Floss,
welches mich durch viele Klippen hat schiffen lassen. Immer wieder setze ich mich ans Ufer des Rheins, schaue
dem Fliessen des Wassers zu, den Aesten, den Blättern, welche er auf seiner Reise mitträgt. Meine Gedanken
schweifen an Quellen und bis zum Meer, wo er münden wird in der Weite und Unendlichkeit.
Im Atelier ist eine Serie von Bildern entstanden, eins zu jeder Zeile des Flösserlieds, eins zu den Aspekten des
Fliessens, Stockens und Reissens, eins zu Tag und eins zur Nacht, eins zu den Träumen und eins zum Wachen
am Fluss. Der Fluss, welcher mir von der steten Veränderung und der Konstanz singt. Der Fluss, welcher meine
Augen hinüberträgt ans andere Ufer. Der Fluss, welcher mich trägt, wenn ich mich ihm überlasse.
Ich arbeite gerne an Bilderserien. Sie lassen mich eintauchen in ein Thema, sie lassen mich träumen und
fliessen damit. Sie lassen mich üben, die Technik zu finden, die mir für die Bilder zu passen scheint. Durch das
Wiederholen in immer neuen Variationen erlauben mir die Bilder, tiefer und näher zu kommen. Sie erlauben
sich auch, mich zu verändern. Es sind die Bilder, die mit der Zeit die Führung übernehmen. Es entsteht ein
Dialog, die Bilder haben mir etwas zu sagen. Ich komme in Fluss, ich überlasse mich dem Fluss. Meine Blickrichtung verändert sich im Spiel mit Materialien, Farben, Formaten: Ich finde einen neuen, frischen Blick voller
Ueberraschungen und Wunder.
Beim Malen beschreite ich geheimnisvolle Wege: Ich kann teilhaben an etwas, das grösser ist als ich. Ich fühle
mich mit dem Leben in besonderer Weise verbunden. Das hat wohl zu tun damit, dass die Hand malt: Das Bild
entwickelt sich unabhängig von meinen Vorstellungen und Ideen in überraschende Richtungen. Ich erlebe eine
Seinsweise, die ich Selbstvergessenheit nennen könnte, eine Hingabe ans Tun, ans Spiel, ans entstehende Werk.
Ich tauche ein in die Zeitdimension von Kairos, welche mir ein Erleben von Zeitlosigkeit ermöglicht, ein Erleben
von Verbundenheit mit dem Lebendigen.
Poetische Verdichtungen
An den Fluss
Lied der Brandung
Oh Fluss
Nimm mich mit
Schenk mir dieses sichere Gefühl
Dass du mich trägst
Und ich in dir treiben kann
Die Ufer wechseln sich ab
Zeichen der unaufhaltsamen Veränderung
Und du bleibst Fluss
Gleich und immer in Bewegung
Einmal nur
schlägt jede Welle
an die Felsenklippe.
Mit aller Gewalt
klatscht sie hochaufspringend
von der Wand zurück
und verstummt.
Wohin trägst du mich, Fluss?
Trägst du mich zum Meer?
Trägst du mich ans andere Ufer?
Trägst du mich über Untiefen?
Trägst du mich durch Stromschnellen?
Trägst du mich in die Mitte?
Trägst du mich, Fluss?
Wie soll ich dir danken, Fluss,
dass ich mich auf den Rücken legen kann,
den Blick in den Himmel gerichtet?
Dass du mich trägst,
ein Stück weit abwärts?
Wie soll ich dir danken,
dass ich mich treiben lassen darf?
Dass du meine Gedanken kühlst?
Dass du meinen Blick himmelwärts richtest?
Dass ich mit dir fliessen kann?
Dass du meinen Blick hinüber schweifen lässt,
ans andere Ufer?
Dass du stets da bist?
Dass du dich stets veränderst?
Dass ich dich besuchen kann,
wann immer mir danach ist?
Gedicht: Brigitte Wanzenried
Und doch
erklingt ewiglich
das Lied der Brandung
der Wechselgesang
des Rauschens und Schlagens
der immer wiederkehrenden
Ankunft am Ziel
Ewige Einmaligkeit
wiederkehrender Ankunft
Einmalige Ankunft
wiederkehrender Ewigkeit
Ewige Ankunft
Gedicht: Peter Wanzenried, 1993
Dem Fluss folgen - Brigitte Wanzenried
Leserforum und Informationen
Der Dalai Lama ist am 6. Juli 2015 80 Jahre alt geworden
Zu diesem Anlass hat er, zusammen mit Franz Alt, ein Büchlein herausgegeben, sozusagen als Appell an alle
Menschen. Es ist gleichzeitig in vielen Sprachen auf der ganzen Welt herausgekommen, mit dem Titel: ‚Ethik ist
wichtiger als Religion’.
In einer Zeit, in der die Menschen immer noch glauben, sie könnten Konflikte mit Gewalt lösen, will der Dalai
Lama uns und allen Menschen nahebringen, dass nur Gewaltlosigkeit und Dialog die Probleme und Konflikte
lösen können. Er stützt sich dabei auf die Erfahrung, die Weisheit und das Wissen, dass wir Menschen mit einer
ursprünglichen Natur für Liebe, Mitgefühl, Fürsorglichkeit und Empathie zur Welt kommen. Man muss nur
ganz kleine Kinder beobachten, und kann dann erfahren, wie sie von Liebe geprägt sind, die noch aus einer
natürlichen, unverbogenen menschlichen Natur kommt. Natürlich ist dem Dalai Lama, und auch uns klar, dass
es noch viel Zeit brauchen wird, bis sich diese uns angeborene ethische Mitmenschlichkeit auf unserer Erde
verbreiten kann. Er ist sich ganz sicher, dass dies geschehen wird. Und er sagt etwas ganz Erstaunliches : Säkulare, also weltliche Ethik ist wichtiger als Religion! Er vergleicht das mit Tee und Wasser. Tee hat zum Wasser noch einige gute Zutaten, aber er besteht vornehmlich aus Wasser. Wasser hat diese Zutaten nicht, aber ist
nötig für unser Leben. Ohne Tee (Religion) können wir leben, ohne Wasser (Ethik) aber nicht.
Im Lesen des Büchleins ist mir plötzlich zutiefst bewusst geworden, wieviel Leid Religionskriege auf der ganzen
Welt verursacht haben und immer noch verursachen. Eine Religion, die in der Tiefe immer mit Liebe zu tun
hat, mutiert oft zu einem Dogma und zu einem Machtanspruch oder wird für Machtansprüche missbraucht.
Ein Zitat aus dem Büchlein:
‚Ich sehe immer deutlicher, dass unser spirituelles Wohl nicht von der Religion abhängig ist, sondern der uns
angeborenen menschlichen Natur, unserer natürlichen Veranlagung zu Güte, Mitgefühl und Fürsorge für andere entspringt. Unabhängig davon, ob wir einer Religion angehören oder nicht, haben wir alle eine elementare
und menschliche Urquelle in uns. Dieses gemeinsame ethische Fundament müssen wir hegen und pflegen.
Ethik, nicht Religion, ist in der menschlichen Natur verankert. Und so können wir auch daran arbeiten, die
Schöpfung zu bewahren. Das ist praktizierte Religion und praktizierte Ethik. Das Mitfühlen ist die Basis des
menschlichen Zusammenlebens. Es ist meine Überzeugung, dass die menschliche Entwicklung auf Kooperation
und nicht auf Wettbewerb beruht. Das ist wissenschaftlich belegt’.
Das Büchlein ist sehr zu empfehlen:
Es ist klein, handlich, kostbar. Es ist billig, ca CHF 4.50. Aller Verdienst vom Dalai Lama, von Franz Alt und vom
Verlag geht an die Tibethilfe! Gutes getan auf mehreren Ebenen....
Text: Christine Müller
Informationen
Ausstellung ‚Das Lied des Flössers’
Die Bilderserie von Brigitte Wanzenried ist vom 4. August bis 30. Oktober im Netzwerkraum ausgestellt.
Spiritueller Filmabend
4. Dezember 2015 um 19.30 im Netzwerkraum. Möglicher Film: Segantini und die Magie des Lichts’, von
Christian Labhart
Redaktion und Herausgabe
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Vordergasse 31/33
8200 Schaffhausen
Vision und Entwicklung
Christine Müller-Plüss
Ärztin und Psychotherapeutin
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