06.01.16 GdP_SN Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie

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06.01.2016
HM-
Entwurf eines Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für
Beamtinnen und Beamte des Bundes
Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern (Stand 16.12.2015)
Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei (GdP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Gewerkschaft der Polizei bezieht zu o. g. Entwurf wie folgt Stellung:
Art. 1 (Änderung des Bundesbeamtengesetzes): Nr. 9 (§ 78a Erfüllungsübernahme bei
Schmerzensgeldansprüchen)
Grundsätzliches
Die GdP begrüßt die Regelung grundsätzlich, soweit dadurch insbesondere bei Polizeibeamtinnen und –beamten, die im Dienst oder aufgrund ihrer dienstlichen Stellung Opfer
von Gewalt werden, eine Erfüllungsübernahme durch den Dienstherrn von rechtskräftig
festgestellten aber nicht erfolgreich vollstreckbaren Schmerzensgeldansprüchen gewährleistet wird.
Bereits seit Jahren macht die GdP auf die dramatisch steigende Gewalt insbesondere gegenüber Polizistinnen und Polizisten aufmerksam. Gewalt gehört zum ständigen Begleiter
im Berufsalltag von Polizistinnen und Polizisten: Dabei reichen die Angriffe von Beleidigungen über einfache und schwere Körperverletzungen bis zu Tötungsdelikten – unter
Umständen nur wegen einer Verkehrskontrolle. Die Gewalt gegenüber Menschen in Uniform in Deutschland nahm in den vergangenen fünf Jahren stark zu. Die 2011 erstmals in
der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) extra ausgewiesenen Zahlen, eine jahrelange GdP-
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Forderung, sprechen für sich: 62.770 Straftaten gegenüber Polizeibeamtinnen und beamten im Jahr 2014 sind über 7.900 mehr als 2011.
Allerdings bilden die Zahlen die Wirklichkeit nicht vollständig ab. Zunehmende Aggressionen und ein starker Autoritätsverlust prägen die Wahrnehmungen der Kolleginnen und
Kollegen. Feststellbar ist eine wachsende Resignation, die viele Beamtinnen und Beamte
davon abhält, bei Beleidigungen oder Angriffen überhaupt Anzeige zu erstatten, da sie
sich oft von ihren Dienstvorgesetzten, aber auch von der Justiz allein gelassen fühlen.
Die Polizeibeamtinnen und -beamten wissen, dass die wachsende Staatsferne, die Missachtung von Regeln und Gesetzen, die sinkende Hemmschwelle, auch erhebliche Gewalt
anzuwenden, sich nicht nur gegen Polizeibeamtinnen und -beamte richtet, sondern gegen
jede Person, die eine staatliche oder gesellschaftliche Institution vertritt und Autorität im
Rahmen ihrer Aufgaben ausüben muss. Sie wissen auch, dass nicht eine einzelne gesetzgeberische Maßnahme dieser Entwicklung Einhalt gebieten kann, sondern es eines ganzheitlichen Ansatzes bedarf.
Es ist wichtig, dass der Gesetzgeber ein deutliches Zeichen setzt, dass diejenigen besonders geschützt werden, die Aufgaben für alle, insbesondere für das friedliche Zusammenleben aller übernehmen. Polizeibeamtinnen und -beamte können Konflikten nicht ausweichen.
Deshalb fordert die Gewerkschaft der Polizei bereits seit längerem einen eigenen Straftatbestand im Strafgesetzbuch, der jeden tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und
Rettungskräfte ahndet.
Die durch die Einfügung eines § 78a vorgesehene Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen stellt eine dringend notwendige Reaktion auf die geschilderten besonderen Belastungen insbesondere von Polizeibeamtinnen und –beamten dar und orientiert
sich im Übrigen ebenfalls an einer langjährigen Forderung der GdP.
Im Einzelnen
Der Gesetzentwurf rechnet für die Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen
mit geschätzten 40 Fällen, die Mehrkosten in Höhe von 200.000 Euro verursachen. Dies
ist deutlich zu niedrig veranschlagt. Die Fallzahlen dürften erheblich über den vermuteten
40 Fällen pro Jahr liegen. Die dafür veranschlagte Summe sollte dementsprechend nach
oben angepasst werden. Die GdP befürchtet, dass anderenfalls berechtigte Anträge auf
Erfüllungsübernahme zu restriktiv entschieden werden könnten.
Der Referentenentwurf sieht darüber hinaus unter Nr. 9 einige Einschränkungen vor, die
das begrüßenswerte Ziel einer Unterstützung von Gewalt betroffener Beamtinnen und
Beamten letztlich konterkarieren:
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- Ermessen des Dienstherrn (§ 78a Abs. 1 Satz 1 „kann“)
Zum einen gebietet es die Fürsorge- bzw. Schutzpflicht des Dienstherrn für seine Beamten
(§ 45 BeamtStG), dass die Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen nicht in
das Ermessen des Dienstherrn gestellt werden sondern grundsätzlich in allen Fällen möglich sein sollte, in denen ein Vollstreckungsversuch durch den geschädigten Beamten erfolglos geblieben ist.
- „unbillige Härte“ (§ 78a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2)
Die GdP lehnt insoweit auch die Einschränkung und die Definition einer „unbilligen Härte“
gemäß § 78a Abs. 1, 2 des Referentenentwurfs ab. Danach soll eine Erfüllungsübernahme
nur zur Vermeidung einer unbilligen Härte möglich sein. Eine solche liege insbesondere
dann vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500 Euro erfolglos
geblieben ist.
In der Praxis liegen ca. 30 % aller erwirkten Schmerzensgeldtitel unterhalb der 500 EuroGrenze. Die Höhe vieler Schmerzensgeldansprüche für „typische“ durch Rechtsbrecher
verursachte Verletzungen, wie Platzwunden, Blutergüsse, Schädelprellungen und Gesichtsschwellungen sowie Ober- und Unterlippenverletzungen, beträgt häufig nicht
mehr als 500 Euro. Für das leider häufig vorkommende Spucken ins Gesicht eines
Vollzugsbeamten sind beispielsweise lediglich 250 Euro Schmerzensgeld zu veranschlagen
(Urteil des LG Münster vom 29.08.2002).
Es ist weder nachzuvollziehen noch den Betroffenen zu vermitteln, dass gerade diese alltäglichen Schmerzensgeldereignisse dann nicht von einer Erfüllungsübernahme erfasst
wären und als „Bagatellen“ entschädigungslos hinzunehmen sind. Da die Rechtsprechung
Schmerzensgelder unter 500 Euro nur in begründeten Einzelfällen zuspricht würde eine
Erfüllungsübernahme auch bei Schmerzensgeldansprüchen unter 500 Euro den Dienstherrn finanziell nicht stark belasten.
Die GdP spricht sich deshalb für eine Streichung der Einschränkung der „unbilligen Härte“
aus.
Sollte es dennoch bei der Einschränkung der „unbilligen Härte“ bleiben, sollte diese nicht
an einer betragsmäßigen Grenze für die Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs festgemacht werden.
Eine „unbillige Härte“ liegt nach Auffassung der GdP vielmehr bereits darin begründet,
dass die betroffenen Beamtinnen und Beamten über einen längeren Zeitraum nochmals
mit diesem belastenden Vorfall konfrontiert werden, dass sie den Aufwand der Zwangsvollstreckung erneut betreiben müssen, dass sie für die anfallenden Kosten wieder in Vorleistung treten und dass aufgrund des Verfahrens die Kolleginnen und Kollegen über einen längeren Zeitraum das ihnen gerichtlich zugesprochene Schmerzensgeld nicht erhalten.
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Die Einschränkung, dass eine Vollstreckung einzig an der fehlenden Liquidität des Schädigers scheitern muss (S. 24 der Begründung zum Referentenwurf) erachtet die GdP darüber hinaus als zu eng. Neben der Mittellosigkeit von Schädigern kann eine Vollstreckung
im Einzelfall ebenso auch aus anderen Gründen scheitern. Hier spricht sich die GdP für
eine entsprechende Ergänzung des Gesetzestextes bzw. eine Klarstellung in der Begründung aus.
- Versorgungsrechtliche Unfallentschädigung/Unfallausgleich (§78a Abs. 2 Satz 2)
Der Dienstherr kann die Erfüllungsübernahme ablehnen, wenn auf Grund desselben
Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (§ 43 BeamtVG) oder Unfallausgleich (§
35 BeamtVG) gezahlt wird.
Die GdP lehnt diese Einschränkung ab. Wenn Vollzugsbeamte durch Gewaltakte Dritter
derart schwer verletzt werden, dass sie eine versorgungsrechtliche Unfallentschädigung
oder einen Unfallausgleich erhalten, sollte dies eine Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen nicht ausschließen, da diese davon unabhängig sind. Im Übrigen wird
nach Ansicht der GdP durch Unfallfürsorgeleistungen kein Schmerzensgeldanspruch abgegolten.
- Ausschlussfrist (§ 78a Abs. 3 Satz 1)
Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach
Rechtskraft titulierter Ansprüche (…) schriftlich oder elektronisch unter Nachweis der
Vollstreckungsversuche zu beantragen.
Die GdP lehnt die Nachweispflicht über mehrere Vollstreckungsversuche im Hinblick auf
die für eine erfolglose Zwangsvollstreckung vom Betroffenen selbst zu tragenden Rechtsanwalts- und Gerichtsvollzieherkosten als nicht zumutbar ab. Der Dienstherr darf den
Geschädigten dieses Kostenrisiko nicht mehrmals aufbürden. Ein erfolgsloser Vollstreckungsversuch muss hierbei ausreichend sein.
Art. 1 (Änderung des Bundesbeamtengesetzes): Nr. 10 (§ 80 Entwurf)
- § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 5 S. 2 Nr. 5 (Entwurf)
Nach derzeitiger Fassung des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BBG sind grundsätzlich notwendige
und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen zur Vorbeugung und Behandlung von
Krankheiten oder Behinderungen beihilfefähig.
Der Referentenentwurf plant eine Neufassung des § 80 BBG. Insbesondere regelt § 80
Abs. 2 S. 1 Nr. 2 (Entwurf), dass nur noch Aufwendungen für die Behandlung von Behinderungen beihilfefähig sind. Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen zur Vorbeugung von
Krankheiten soll zukünftig nur noch per Rechtsverordnung geregelt werden. § 80 Abs. 5 S.
2 Nr. 5 (Entwurf) erwähnt demnach die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken.
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Aus Sicht der GdP stellt die Krankheitsprävention einen essentiellen Bestandteil der Gesunderhaltung der Beamtinnen und Beamten dar. Darüber hinaus kann eine frühzeitige
und umfassende Prävention bekanntlich dabei helfen etwaige spätere Krankheits- und
Pflegekosten im Rahmen zu halten. Für notwendige wie wirtschaftlich angemessene Aufwendungen im Bereich der Prävention bzw. Krankheitsvorbeugung sollte deshalb auch
zukünftig grundsätzlich Beihilfe gewährt werden. Jegliche Änderungen der derzeitigen
Gesetzeslage, die zu Einschränkungen und Schlechterstellung der Beihilfeberechtigten
führen, sind demnach abzulehnen. Dies gilt insbesondere auch für eine Beschränkung der
Beihilfefähigkeit auf Maßnahmen der primären Prävention nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
- § 80 Abs. 4 S. 1 (Entwurf)
Steht einer beihilfeberechtigten oder berücksichtigungsfähigen Person gegen eine Leistungserbringerin oder einen Leistungserbringer wegen einer unrichtigen Abrechnung ein
Anspruch auf Erstattung oder Schadensersatz zu, kann der Dienstherr durch schriftliche
oder elektronische Anzeige gegenüber der Leistungserbringerin oder dem Leistungserbringer bewirken, dass der Anspruch insoweit auf ihn übergeht, als er auf Grund der unrichtigen Abrechnung zu hohe Beihilfeleistungen erbracht hat.
Die GdP begrüßt diese Regelung, die zugunsten der beihilfeberechtigten oder berücksichtigungsfähigen Personen einen gesetzlichen Forderungsübergang vorsieht. Allerdings sollte der Forderungsübergang von Erstattungs- und Schadensersatzansprüchen bei beihilfeberechtigten und berücksichtigungsfähigen Personen auf den Dienstherrn nicht nur ins
Ermessen gestellt werden, sondern rechtlich bindend formuliert werden.
Art. 2 (Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes): Nr. 2 (§ 7 Vorschussgewährung während der Familienpflegezeit und Pflegezeit, Verordnungsermächtigung)
Art. 5 (Änderung der Beamten-Pflegezeitvorschuss-Verordnung): Nr. 2, 3, 4
Die GdP begrüßt es ausdrücklich, dass ein Rechtsanspruch der Beamtinnen und Beamten
auf Familienpflegezeit und Pflegezeit eingeführt werden soll (Art. 1 Änderung des Bundesbeamtengesetzes, Nr. 11, 12, 13). Angesichts der kontinuierlich zunehmenden Zahl
der Pflegebedürftigen in unserer Gesellschaft stehen auch immer mehr Beamtinnen und
Beamte vor der Aufgabe, sich innerhalb der Familie aktiv in die Pflege einzubringen. Rahmenbedingungen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf gewährleisten, sind deshalb unbedingt positiv zu bewerten.
§ 7 Bundesbesoldungsgesetz (Entwurf) sieht vor, dass Beamtinnen und Beamte, die Pflegezeit (§ 92b BBG neu) oder Familienpflegezeit (§ 92a BBG neu) in Anspruch nehmen,
einen Vorschuss zur besseren Bewältigung des Lebensunterhalts während der (teilweisen)
Freistellung erhalten, der mit einer Gehaltsreduzierung verbunden ist.
§§ 2, 3 und 4 Beamten-Pflegezeitvorschuss-Verordnung (Entwurf) regeln die Rückzahlung
des Vorschusses bzw. Härtefallregelungen. Danach ist der Vorschuss mit Beginn des Monats, der auf die Beendigung der Familienpflegezeit oder Pflegezeit folgt, über einen Zeit-
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raum, der dem der Familienpflegezeit und Pflegezeit entspricht, in gleichen Monatsbeträgen mit den laufenden Dienstbezügen zu verrechnen (§ 2 Abs. 1 S. 1 (Entwurf)). Auf Antrag kann der Vorschuss auch in einer Summe zurückgezahlt werden (§ 3 Abs. 2 (Entwurf)). Auch der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, dass auf Antrag der Beamtin
oder des Beamten die Dienststelle im Fall der Verrechnung niedrigere als die sich aus § 2
Absatz 1 Satz 1 ergebenden Monatsbeträge festsetzen oder im Fall der Rückzahlung Monatsraten bewilligen soll, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich
ist (§ 4 Abs. 1 S. 1).
Andererseits ist der Vorschuss auch zukünftig gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 auch in den Fällen des
Absatzes 1 vollständig zu verrechnen oder zurückzuzahlen. Dies unterscheidet den Vorschuss von einem zinslosen Darlehen des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, wie es das Familienpflegezeitgesetz für Tarifbeschäftigte vorsieht. Das
FPflZG sieht Härtefallregelungen vor, wann ein solches Darlehen gestundet oder nicht
mehr voll zurückgezahlt werden muss (§ 7 Abs. 1 und 2 FPflZG). In Fällen, in denen nach
der 24-monatigen Teilzeit immer noch weiter gepflegt wird, sind danach „fällige Rückzahlungsraten zu einem Viertel zu erlassen (Teildarlehenserlass) und die restliche Darlehensschuld für diesen Zeitraum bis zur Beendigung der häuslichen Pflege auf Antrag zu stunden.“
Die GdP fordert, dass entsprechende weitreichende Härtefallregelungen analog auch für
den Beamtenbereich gelten sollten.
Die GdP bittet um Berücksichtigung dieser Anmerkungen in der abschließenden DGBStellungnahme.
Mit freundlichen Grüßen
Der Bundesvorstand
i. A.
Horst Müller