Second Screen – Fernseherlebnis der besseren Art?

Second Screen –
Fernseherlebnis der besseren
Art?
kommunikation.medien
Onlinejournal des Fachbereichs
Kommunikationswissenschaft
Universität Salzburg
ISSN 2227-7277
Sonderausgabe / Juni 2015
Katharina Köhn und Hannah Lindermayer
http://www.kommunikation-medien.at
Abstract
Immer häufiger beschäftigen sich Nutzerinnen und Nutzer neben dem laufenden TVProgramm mit Smartphone, Laptop oder Tablet. Bezieht sich ihre Handlung zudem auf
das laufende Programm, ist von Second Screen zu sprechen. Eine Vielfalt an Angeboten
bietet den Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, ihren individuellen Bedürfnissen, wie
dem nach Information oder Interaktion, nachzugehen. Auch die TV-Sender entwickeln
eigene Second Screen-Unterhaltungsangebote, um die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht zu verlieren. Die vorliegende Arbeit untersucht, auf welche Weise
und aus welchen Gründen Rezipientinnen und Rezipienten die entsprechenden Angebote
der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender nutzen. Zwei Befragungen – eine quantitative Vorstudie mittels Online-Fragebogen und die darauf aufbauende qualitative Befragung – bilden die Basis der empirischen Untersuchung. Verknüpft werden die Ergebnisse
mit dem Uses-and-Gratifications-Ansatz und dem Konzept der Kommunikationsmodi. Die
Ergebnisse zeigen, dass die einzelnen Angebote äußerst vielfältig sind und die unterschiedlichsten Ausprägungen aufweisen. Genauso vielfältig sind die Nutzungsmöglichkeiten der
Rezipientinnen und Rezipienten. Die Auswahl der Second Screen-Angebote erfolgt schließlich aufgrund der individuellen Bedürfnisse und Erwartungen der Rezipientinnen und
Rezipienten. Diese nutzen die Angebote zum Großteil nicht während der ganzen Sendungsdauer und meist unbewusst.
Keywords
Second Screen, Unterhaltungsangebote, Fernsehnutzung, Kommunikationsmodi, Usesand-Gratifications-Ansatz
kommunikation.medien Sonderausgabe: Change – Wandel der Leitmedien
Zitiervorschlag
Köhn, Katharina/Lindermayer, Hannah (2015): Second Screen – Fernseherlebnis der
besonderen Art? In: kommunikation.medien, Sonderausgabe: Change – Wandel der
Leitmedien [journal.kommunikation-medien.at].
Einführung
Dass das Fernsehen immer noch ein bedeutendes Medium in der heutigen Mediengesellschaft ist, zeigt nicht nur seine rasante Entwicklung, sondern auch die steigenden
Investitionen in neue multimediale Angebote. Die Entwicklung und den Fortschritt des
Fernsehmarktes hat vor allem das Internet beeinflusst. Dieses trägt somit zu einem
tiefgreifenden Wandel im Mediennutzungsverhalten bei. Der Großteil der Medienaufmerksamkeit liegt nicht mehr beim Fernsehen, sondern am PC und seinen neuen Formen der medialen Unterhaltung. (Vgl. Kaumanns/Siegenheim/Sjurts 2008: 5) Auch
Medienunternehmen und Sendeanstalten sehen in den multimedialen Angeboten eine
neue Erlösquelle. „Dazu sollen Fernsehen, Radio, Print und Internet systematisch miteinander verknüpft und neue Inhaltsformen gefunden werden“. (Kors 2005: 214) Folgende Beispiele zeigen die Entwicklung und eine Auswahl der Möglichkeiten, die das
Internet mit der Verknüpfung von Fernsehinhalten auf dem deutschsprachigen Markt
aktuell bietet.
Im März 2015 strahlte das ZDF zur Primetime die Krimiserie Schuldig aus. Diese bestand aus sechs Folgen und warb mit einem besseren Fernseherlebnis durch die zeitgleiche Nutzung einer digitalen App für Smartphones oder Tablets.
Im Second Screen der ZDF-App erhält der Zuschauer vertiefende Einblicke in
die Welt des Verteidigers und seiner Mandanten. Juristische Begriffe aus der Serie
werden parallel zur Ausstrahlung von Ferdinand von Schirach [, der Bestsellerautor der Serie,] erläutert. Doch auch der Zuschauer selbst ist gefragt, sich ein Urteil
zu bilden und in Abstimmungen in die Rolle des Richtenden zu schlüpfen. (ZDF
2015: online, H. i. O.)
Ein weiteres Beispiel ist die Show Quizduell, die im Mai 2014 in der ARD auf Sendung
ging. Quizduell ist vielen aufgrund der erfolgreichen App für Smartphones und Tablets
bekannt. Die Userinnen und User der App können im Einzelduell gegeneinander antreten und Fragen in den unterschiedlichsten Kategorien beantworten. In der LiveSendung spielen die Zuschauerinnen und Zuschauer via App und versuchen, die Fragen
der Show richtig zu beantworten.
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kommunikation.medien Sonderausgabe: Change – Wandel der Leitmedien
Doch nicht nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist Second Screen, also die „Parallelnutzung von Internet und Fernsehen mit Bezug zur aktuellen Sendung [via zweiten
Bildschirm]“ (Sattler 2014: online), angekommen, sondern auch bei den privaten Sendern. Diese Angebote reichen von diversen Talent Shows mit Voting-Funktion, wie beispielsweise Rising Star auf RTL bis zu Berlin Tag & Nacht, einer Reality-Seifenoper
des Senders RTL II. Auf der Facebook-Seite dieser Reality-Sendung tauschen sich täglich mehr als drei Millionen Fans über Stars und Handlung aus (vgl. Facebook 2015:
online).
Ergebnisse der aktuellen Second Screen-Forschung zeigen, dass sich Nutzerinnen und
Nutzer während der TV-Rezeption immer häufiger mit Smartphone, Laptop oder Tablet beschäftigen. Um die Aufmerksamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht zu
verlieren oder zurückzugewinnen, entwickeln Fernsehsender passend zu ihrem Offlineangebot eigene Onlineangebote. (Vgl. Hemmes 2013: online)
Die vorgestellten Beispiele verdeutlichen, dass es sich hier um die unterschiedlichsten
Angebote handelt. Mit der vorliegenden Forschungsarbeit soll untersucht werden, auf
welche Weise und aus welchen Gründen Rezipientinnen und Rezipienten die entsprechenden Angebote der öffentlich-rechtlichen und/oder der privaten Sender nutzen.
Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wird folgendermaßen definiert:
Wie und warum nutzen Rezipientinnen und Rezipienten im Alter von 20 bis 29 Jahren
die Second Screen-Unterhaltungsangebote verschiedener Fernsehsender in Deutschland und Österreich?
Wie die Forschungsfrage zeigt, untersucht die vorliegende Arbeit die aktive Nutzung
eines zweiten Bildschirmes (via Smartphone, Tablet-PC oder Notebook) parallel zu der
Zuwendung zum laufenden TV-Programm.
Der Aufbau der Arbeit wird folgendermaßen gestaltet: Im Kapitel 2 werden zuerst die
theoretischen Grundlagen der Forschung zu Second Screen erläutert. Weiters werden
der Uses-and-Gratifications-Ansatz und das Konzept der Kommunikationsmodi nach
Hasebrink (2004, 2013) vorgestellt. Die Verknüpfung dieser beiden wissenschaftlichen
Ansätze hilft bei der Beantwortung der Forschungsfrage. Im Anschluss werden die aus
der Theorie resultierenden forschungsleitenden Annahmen erläutert. In Kapitel drei,
dem Methodenteil, werden das Sample, die empirische Vorgehensweise mit zweistufigem Untersuchungsdesign, bestehend aus einer quantitativen Online-Umfrage und
qualitativen Leitfadeninterviews, und ihre Operationalisierung vorgestellt. Abschließend werden die Ergebnisse offengelegt und im Fazit diskutiert.
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kommunikation.medien Sonderausgabe: Change – Wandel der Leitmedien
Theorie
In dieser Phase der Arbeit, die Brosius, Haas und Koschel (2012: 28) Begründungszusammenhang nennen, stehen die theoretischen Grundlagen im Mittelpunkt. Auf Basis
der formulierten Forschungsfrage werden einschlägige Theorien herangezogen, der
aktuelle Forschungsstand analysiert und für die folgende empirische Untersuchung in
Form forschungsleitender Annahmen umgesetzt. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz
und das Konzept der Kommunikationsmodi nach Hasebrink bilden die Grundlage der
folgenden Ausführungen.
Second Screen
Ist von Second Screen die Rede, muss auf eine eindeutige Begriffsabgrenzung geachtet
werden. Insbesondere, da die Wörter Parallelnutzung und Second Screen häufig synonym verwendet werden. Zwischen beiden Handlungen besteht jedoch ein deutlicher
Unterschied, der sich vor allem auf die genutzten Inhalte bezieht. Entscheidend ist
demnach, ob sich genutzte Inhalte auf die laufende TV-Sendung beziehen oder damit
nicht in Verbindung gebracht werden. Parallelnutzung bezeichnet also generell die „[…]
Nutzung eines zweiten Bildschirms (Notebook, Smartphone, Tablet-PC) parallel zum
laufenden Fernsehprogramm“ (Sattler 2014: online, H. i. O). Davon wird Second
Screen abgegrenzt und folgendermaßen definiert: „Parallelnutzung von Internet und
Fernsehen mit Bezug zur aktuellen Sendung. Über den zweiten Bildschirm ruft [der]
Nutzer zusätzliche über das Fernsehprogramm hinausgehende Informationen ab oder
kommentiert das Programm interaktiv online.“ (Sattler 2014: online)
Ein weiterer Begriff, der in diesem Zusammenhang zu Verwechslungen führt, ist der
Begriff der Anschlusskommunikation. Damit ist die Trennung von „Kommunikationen
gemeint, die außerhalb der medienspezifischen bzw. -bezogenen Rezeptions- und Partizipationsmuster ablaufen“ (Groeben 2002: 178), also jeglicher Austausch mit anderen
über die zuvor rezipierten Inhalte.
Der aktuelle Stand der Second Screen-Forschung beinhaltet Studien, die sich allgemein
mit dem Phänomen beschäftigen, also wie Rezipientinnen und Rezipienten Second
Screen-Angebote nutzen, die Dauer, mit welchen Endgeräten usw. (vgl. z.B. Giglietto/Selva 2014; Pagani/Mirabello 2014; etc.). Des Weiteren beschäftigen sich Studien
mit einem Fernsehereignis oder bestimmten Fernsehshows und den Second ScreenHandlungen der Nutzerinnen und Nutzer (vgl. Lochrie/Coulton 2011; Giglietto/Selva
2014). In diversen Studien wurde in diesem Zusammenhang herausgefunden, dass sich
Nutzerinnen und Nutzer aufgrund unterschiedlichster Motive mit Second Screen beschäftigen. Folgende Motive werden beispielsweise mit der Zuwendung zum zweiten
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Bildschirm verfolgt: Wissen zum entsprechenden Thema vertiefen, Gesehenes recherchieren, dem Kaufinteresse nachgehen, Inspiration für weiterführende Recherche sowie Austausch mit anderen über Social Media (vgl. Sevenone Media 2012; Sattler 2014;
Van Cauwenberge/Schaap/van Roy 2014; Wohn/Na 2011).
Grundsätzlich steht den Rezipientinnen und Rezipienten eine Vielfalt an Möglichkeiten
offen, sich während der Fernsehnutzung über das Zweitgerät mit dem laufenden Programm zu beschäftigen. Dies kann über unabhängige Angebote, wie beispielsweise einer Google Recherche, dem Austausch in sozialen Netzwerken bis zur Nutzung spezieller Second Screen-Apps, geschehen. Fernsehsender bieten den Nutzerinnen und Nutzer
über ihre Websites und Apps eigene Second Screen-Angebote an (vgl. z.B. Sattler 2014:
online; Van Cauwenberge/Schaap/van Roy 2014: 100). Diese Angebote werden in der
vorliegenden Studie als Second Screen-Unterhaltungsangebote bezeichnet. Diese umfassen beispielsweise auch Informationen rund um das Sendungsgeschehen, deren Inhalte und Produktion. Die hier verwendete Bezeichnung Information ist demnach von
Information im Sinne vom aktuellen politischen oder wirtschaftlichen Geschehen abzugrenzen.
Kommunikationsmodi
Im Zuge der Digitalisierung mehren sich die bei den Nutzern verfügbaren Endgeräte, die für ganz unterschiedliche Anwendungen genutzt werden können. Diese Vielseitigkeit bzw. Multifunktionalität hat zur Konsequenz, dass allein an dem Umgang
mit einem bestimmten Gerät nicht mehr erkannt werden kann, was der oder die
Nutzer(in) tut, […]. (Hasebrink 2004: 68)
Fernsehen ist nicht mehr das, was es lange Zeit war: Die Rezipientinnen und Rezipienten haben mittlerweile mehr Möglichkeiten das Fernsehgerät zu nutzen. Begonnen hat
dies mit dem Einzug der Videorecorder und dem Teletext in die Wohnzimmer. Seitdem
ist Fernsehen nicht mehr nur eine Beschäftigung, die ein bewegtes Bild zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zeigt, sondern ein Gerät, das viele Möglichkeiten bietet (vgl. Hasebrink 2004: 69). Sich funktional ausdifferenzierende Dienste rücken technisch enger zusammen und können oft über gleiche Plattformen oder Endgeräte genutzt werden. „Aus der Nutzerperspektive ergibt sich so die Situation, dass in
einer Nutzungssituation zwischen funktional ganz unterschiedlichen Diensten gewechselt werden kann, ohne dass dazu ein ‚Medienbruch‘, also zum Beispiel ein Wechsel des
Endgerätes erforderlich ist“ (Hasebrink 2013: 56). Die Unterscheidung, was die Rezipientinnen und Rezipienten mit einem Bildschirmgerät tun, kann nicht mehr durch das
genutzte Gerät selbst bestimmt werden. Dies bedeutet, dass ein Gerät mehr Funktionen
erfüllt und nicht mehr nur für einen Zweck verwendet wird. Es muss die Nutzerper-
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spektive berücksichtigt werden, damit identifiziert werden kann, um welche Art Beschäftigung es sich gerade handelt (vgl. Hasebrink 2013: 57).
Um das Konzept der Kommunikationsmodi zu verstehen, müssen die Begriffe Kommunikationsdienst und Kommunikationsmodus nach Hasebrink erklärt werden. Mit
Kommunikationsdienst ist „ein Ensemble aus technischen, ökonomischen, inhaltlichen, dramaturgisch-ästhetischen Merkmalen angesehen, das darauf angelegt ist, eine
bestimmte kommunikative Funktion zu erfüllen“ (Hasebrink 2004: 73). Den Kommunikationsmodus beschreibt Hasebrink (2004: 73) als „ein spezifisches Muster von Erwartungen und Handlungsweisen […], mit denen die Nutzer versuchen, eine bestimmte
kommunikative Funktion zu realisieren.“ Ein Kommunikationsdienst stellt Funktionen
bereit, welche die Rezipientinnen und Rezipienten nutzen. Oft entsprechen die Funktionen des Kommunikationsdienstes genau den beobachteten Modi, für die der Dienst
gedacht ist, aber nicht immer. Mit der zunehmenden Konvergenz der Medien werden
Kommunikationsdienst und -modus immer weniger übereinstimmen (Vgl. Hasebrink
2004: 73). „Das Konzept des Kommunikationsmodus […] bezieht sich auf einen Zustand des Nutzers während der Rezeption. Dieser Zustand ist durch ein Muster aus
Erwartungen und Handlungsweisen geprägt, die mit einer bestimmten kommunikativen Funktion verbunden sind“ (Hasebrink 2004: 74). Durch laufendes Abgleichen von
Kommunikationsdienst, seiner Funktion und dem Kommunikationsmodus kann der
Kommunikationsmodus oder das Medienangebot immer wieder angepasst und gewechselt werden. Dies geschieht nicht immer bewusst: Ein Kommunikationsdienst
wird benutzt, je nach Erfahrung, Erwartung und Motiv – und dementsprechend wird
ein bestimmter Kommunikationsmodus eingenommen (vgl. Hasebrink 2004: 74).
Hier muss die Frage geklärt werden, nach welchen Kriterien verschiedene Kommunikationsmodi unterschieden werden. Hasebrink (2004: 78-81) hat unterschiedliche Kriterien zur Identifizierung von Kommunikationsmodi erstellt, die für die vorliegende Forschungsarbeit bedeutend sind:
Kommunikationsstruktur: „one to many“ bezeichnet klassische Massenkommunikation, „many to many“ Online-Foren, „peer to peer“ beispielsweise Tauschbörsen. Diese
Beschreibung ist nicht umfassend genug: So ist etwa der Modus eines ausschließlich
Mit-Lesenden in einem Online-Forum mit ‚many to many‘“ (Hasebrink 2004: 78) nicht
angemessen beschrieben.
Verfügbarkeit: Hier wird die Frage behandelt, ob die Angebote der Kommunikationsdienste die Rezipientinnen und Rezipienten ohne ihr Zutun erreichen („push services“)
oder ob sie abgerufen werden müssen („pull services“). Pull-Services fordern eine höhe-
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re Intentionalität und Selektivität von ihren Nutzerinnen und Nutzern. Diese Einordnung wird durch die steigenden technischen Entwicklungen zunehmend verschwimmen und muss, abhängig vom Kommunikationsdienst, immer wieder untersucht werden.
Interaktivitätsgrad:
Für die Differenzierung von Kommunikationsmodi ist davon auszugehen, dass die
sich entlang eines Interaktivitätskontinuums von der Rezeption standardisierter
Kommunikate an dem einen Extrempol über verschiedenen zunehmend ausgeprägte Selektions- und dann auch Modifikationsmöglichkeiten bis hin zu Transaktionen wie Buchungen und Bestellungen sowie zur Gestaltung eigener Kommunikate an den anderen Extrempool anordnen lassen. (Hasebrink 2004: 79)
Vorstellungen vom Publikum ist ein Kriterium für den Wechsel von der interpersonalen bis zur öffentlichen Kommunikation und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern
der Kommunikationssituation. „[…] durch das Wissen um die gemeinsame Teilnahme
an Kommunikations- und Bedeutungsproduktionsprozessen entsteht erst die Grundlage für gesellschaftliche und kulturelle Integration“ (Hasebrink 2004: 80). Aufgrund der
voranschreitenden Ausdifferenzierung der Kommunikationsdienste und des Verschwimmens der Kategorien ist es wichtig herauszufinden, welche Vorstellungen die
Nutzerinnen und Nutzer in den Kommunikationssituationen vom Publikum haben.
Aktualität beschreibt den Faktor Zeit, den die Nutzerinnen und Nutzer dem genutzten
Kommunikationsdienst beimessen. „In dem Maße, in dem verschiedenen Kommunikationsdienste den Anspruch erheben, aktuell über das Tagesgeschehen zu berichten […],
können und müssen die Nutzer für sich entscheiden, in welchem zeitlichen Bezug zum
Tagesgeschehen sie sich setzen wollen“ (Hasebrink 2004: 80).
Relevanz unterscheidet sich in den Kommunikationsmodi dahingehend, wie die Rezipientinnen und Rezipienten den Kommunikationsdiensten gesellschaftliche, kulturelle,
alltagspraktische oder unterhaltende Relevanz zuweisen.
Intensität der Rezeption beschreibt die Aufmerksamkeit, die Rezipientinnen und Rezipienten einem Kommunikationsdienst entgegen bringen.
Gesuchte Gratifikationen beinhaltet die Suche nach den Motiven, warum sich Nutzerinnen und Nutzer mit einem Kommunikationsdienst beschäftigen.
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Weitere Kriterien zur Identifizierung von Kommunikationsmodi formuliert Hasebrink
(2013) in Zusammenhang mit der Bewegtbildnutzung. Im Folgenden sollen diese Kriterien kurz beschrieben werden:
Zeitliche Bezüge: Jede Art der Nutzung, also auch die des Fernsehens, ist eine Form, in
der die Zeit voranschreitet. Besonders bedeutend ist in der vorliegenden Arbeit die Situation, in der die Nutzung [von Second Screen] selbst stattfindet (vgl. Hasebrink 2013:
59f.).
Angebotsbezüge beschreiben die Beziehung zwischen den Nutzerinnen und Nutzern
und dem Angebot und werden besonders anhand der inhaltlichen Selektivität unterschieden, „ob also das Angebot gezielt wegen der ihm eigenen Merkmale ausgewählt
wird oder nicht“ (Hasebrink 2013: 60). Andere Kriterien zur Beschreibung von Kommunikationsmodi können sich auch auf formale oder ästhetische Eigenschaften des
Kommunikationsdienstes beziehen, wie Genrevorlieben, Interesse an bestimmten Regisseurinnen oder Regisseuren und/oder Schauspielerinnen oder Schauspielern (vgl.
Hasebrink 2013: 60f.).
Soziale Bezüge beschreiben einerseits den Kontext, in dem das Bewegtbild rezipiert
wird, beispielsweise alleine oder mit Familienangehörigen, auf mobilen Endgeräten
oder am Fernseher. Andererseits spielt es eine Rolle, welche Vorstellungen die Rezipientinnen und Rezipienten vom Mitpublikum haben (vgl. Hasebrink 2013: 61).
Technische Bezüge: Technische Voraussetzungen und Möglichkeiten gestalten die Rezeption der bewegten Bilder zu einem großen Teil. „Die Verfügbarkeit neuartiger Gerätetypen und Übertragungsformen übt für einige Nutzerinnen und Nutzer den Reiz aus,
eben dieses Neue auszuprobieren.“ (Hasebrink 2013: 61f.) Im Mittelpunkt steht hier
das Ausprobieren dieser technischen Möglichkeiten. Falls die Technik versagt, kann
dies auch zu einem Wechsel des Kommunikationsmodus führen (vgl. Hasebrink 2013:
61f.).
Die Definition der Kommunikationsmodi und die Anwendung auf Rezipientinnen und
Rezipienten ist vor allem mit den Arbeiten von Sascha Hölig verbunden (2011, 2014).
Darin beschäftigt er sich mit dem im „Internet ermöglichte Spektrum zwischen Massen- und interpersonaler Kommunikation“ (Hölig 2011: 13, vgl. Hölig 2014: 15) und will
damit zum einen Kommunikationsmodi beschreiben, zum anderen die Frage beantworten, „ob vorhandene Informationsbedürfnisse mit bestimmten kommunikativen Handlungen verbunden sind“ (Hölig 2011: 13, vgl. Hölig 2014: 15).
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Uses-and-Gratifications-Ansatz
Aktive Rezipientinnen und Rezipienten, die Auswahl der Medien aufgrund spezifischer
Bedürfnisse und die Befriedigung dieser Bedürfnisse stehen beim Uses-andGratifications-Ansatz im Mittelpunkt (vgl. Katz/Blumler/Gurevitch 1973: 510).
Bereits in den 1940er Jahren beschäftigten sich Studien mit der Nutzung von Medien
und den erhaltenen Gratifikationen. Ein bekanntes Beispiel ist Herta Herzog und ihre
Untersuchungen von Seifenopern und Talkshows im Radio (vgl. Schweiger 2007: 65).
In den 1970er Jahren wurde der Ansatz von Katz, Blumler und Gurevitch als Gegenmodell
zur
klassischen
Medienwirkungsforschung
weiterentwickelt
(vgl.
Katz/Blumler/Gurevitch 1973). Die zentrale Fragestellung der Medienwirkungsforschung „Was machen die Medien mit den Menschen?“ ersetzt der Ansatz durch die
Frage nach der aktiven Medienzuwendung: „Was machen die Menschen mit den Medien?“ (Hugger 2008: 173). Auf diese Weise kritisiert der Uses-and-Gratifications-Ansatz
die bisherige Denkweise, der Prozess der Massenkommunikation verlaufe medienzentriert und linear. Gleichzeitig zeichnet der Ansatz das Bild eines aktiven Mediennutzers (vgl. Hugger 2008: 173).
Aus der Abgrenzung zum Wirkungsansatz resultieren die für den Uses-andGratifications-Ansatz charakteristischen Grundannahmen. So wird der bisherigen Auffassung vom passiven Publikum das Konzept aktiver, zielgerichteter und intentional
handelnder Rezipientinnen und Rezipienten gegenübergestellt (vgl. Hölig 2014: 46).
Diese sind als Subjekte zu verstehen, die aktiv aus dem vorhandenen Medienangebot
auswählen (vgl. Hugger 2008: 173). Die Inhalte sind jedoch nicht als vorgefertigte Reize, sondern als Angebote zu sehen, die seitens der Rezipientinnen und Rezipienten erst
interpretiert und definiert werden (vgl. Hugger 2008: 174). Die Medien erfüllen für die
Rezipientinnen und Rezipienten eine bestimmte Funktion. Entsprechend dieser Funktionen werden durch die Zuwendung zu Medien verschiedene Bedürfnisse befriedigt.
Diese sind ausschlaggebend für die Auswahl der Medien (vgl. Suckfüll 2004: 23). Die
Bedürfnisse sind den Rezipientinnen und Rezipienten stets bekannt und bewusst. Um
ihre Bedürfnisse zu befriedigen, wägen sie zwischen allen zur Verfügung stehenden
Alternativen ab und wählen ein passendes Angebot aus. Resultat dieser Bedürfnisbefriedigung sind die gewünschten Gratifikationen (vgl. Katz/Blumler/Gurevitch 1973:
510).
Medienzuwendung findet also nur dann statt, wenn sie für den Rezipienten auch sinnvoll
bzw. lohnend ist. Umgekehrt bedeutet dies: Mediennutzung muss nicht zwangsläufig erfolgen. Vielmehr steht sie in Konkurrenz zu anderen Arten der Bedürfnisbefriedigung, die
in der jeweiligen Situation nützlicher erscheinen. (Hugger 2008: 173)
kommunikation.medien Sonderausgabe: Change – Wandel der Leitmedien
Im Laufe der Zeit haben Untersuchungen des Uses-and-Gratifications-Ansatzes eine
Fülle an Bedürfnissen und Gratifikationen erarbeitet. Grundsätzlich beziehen sich die
erhobenen Ergebnisse auf Gratifikationen, die durch die Rezeption von Medien erlangt
werden (vgl. Schweiger 2007: 80). Unter den Ergebnissen lassen sich zentrale Bedürfnisse wiederfinden. Diese können in vier Bedürfnisgruppen unterteilt werden, die
Schweiger (2007: 80f., H. i. O.) in Anlehnung an Kunczik und Zipfel (vgl. 2001: 345)
folgendermaßen formuliert:
•
•
•
•
kognitive Bedürfnisse: Suche nach Informationen und Wissen, Orientierung, Umweltbeobachtung;
affektive Bedürfnisse: Entspannung, Erholung, Ablenkung, Verdrängen von Problemen,
Bekämpfung von Langeweile, Suche nach affektiver Erregung;
soziale Bedürfnisse: parasoziale Beziehungen, Anschlusskommunikation;
Identitätsbedürfnisse: Selbstfindung, Suche nach Rollenvorbildern, Identifikation, Bestärkung von Werthaltungen, sozialer Vergleich der eigenen Situation mit der Situation
von Medienakteuren.
Gerade die Grundannahmen des Uses-and-Gratifications-Ansatzes erfahren starke Kritik. Diese richtet sich beispielsweise gegen die Definition wesentlicher Begriffe, der
mangelnden theoretischen Fundierung des Ansatzes oder der einseitigen Orientierung
am aktiven Verhalten der Rezipientinnen und Rezipienten (vgl. Hugger 2008: 174;
Merten 1990: 573).
Trotz der großen Kritik wird der Uses-and-Gratifications-Ansatz gerne den nutzungsorientierten Forschungen zugeordnet.
Konfrontiert mit den Bedingungen der Selektion und Rezeption im Internet erfahren die
Grundannahmen des Uses and Gratifications-Ansatz eine Wiederbelebung […]. Die Annahme einer aktiven, zielgerichteten und selektiven Nutzung kann für die Internetnutzung
eher als gültig betrachtet werden als im Bereich der klassischen Medien. (Suckfüll 2004: 39)
In den letzten Jahren wurde der Ansatz verstärkt für die Erforschung neuer Kommunikationstechnologien und deren Nutzung herangezogen. Die Studien beschäftigen sich
mit den Nutzungsweisen und Gratifikationen onlinebasierter und mobiler Medienangebote (vgl. z.B. von Pape 2008; Leung 2001; Peters/ben Allouch 2005, etc.).
Forschungsleitende Annahmen
Der empirischen Untersuchung der vorliegenden Forschungsarbeit liegen die Forschungsfrage sowie verschiedene forschungsleitende Annahmen zugrunde. Die einzelnen Annahmen basieren auf der vorangehenden Recherche und wurden aus den theoretischen Erkenntnissen abgeleitet.
1) Second Screen ist bisher als Handlung beziehungsweise eigenständiger Begriff eher wenigen bekannt.
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Die Vielfalt an unterschiedlichen Bezeichnungen (z.B. Social TV, Parallelnutzung oder
Anschlusskommunikation) sowie die fehlenden eindeutigen Abgrenzungen lassen auf
einen noch geringen Kenntnisstand zum Thema Second Screen schließen.
2) Second Screen wird vom Großteil der Rezipientinnen und Rezipienten unbewusst genutzt.
Wie im Kapitel Second Screen gezeigt, beschäftigen sich Rezipientinnen und Rezipienten neben dem Fernsehen parallel mit einem Zweitgerät. Wie aus der Kritik am Usesand-Gratifications-Ansatz deutlich wird, ist Rezipientinnen und Rezipienten ihr Handeln nicht immer bewusst. Es wird angenommen, dass diese den Wechsel zwischen
Parallelnutzung und Second Screen nicht immer bewusst wahrnehmen.
3) Second Screen stellt eher eine punktuelle Handlung dar und wird selten die
ganze Dauer der Fernsehrezeption verwendet.
Im Vorfeld wurden verschiedene Studien vorgestellt, die sich mit Second ScreenHandlungen während spezifischer TV-Events beschäftigen. Sie zeigen, dass Second
Screen hauptsächlich punktuell genutzt wird. Die vorliegende Arbeit geht davon aus,
dass Second Screen generell selten über die gesamte Dauer einer Fernsehsendung genutzt wird.
4) Second Screen wird hauptsächlich verwendet, wenn das laufende Programm wenig Aufmerksamkeit erfordert.
Neben der Annahme, dass Second Screen punktuell genutzt wird, geht die vorliegende
Forschungsarbeit davon aus, dass die Zuwendung zu Second Screen zu Zeitpunkten
geschieht, in denen das laufende Programm wenig Aufmerksamkeit erfordert.
5) Unabhängige Second Screen-Angebote sind verbreiteter als die Second
Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender.
Den Rezipientinnen und Rezipienten steht eine Vielzahl an Möglichkeiten offen, sich
während der Fernsehnutzung mit Second Screen zu beschäftigen. Neben den unabhängigen Angeboten stellen Fernsehsender eigene Angebote zur Verfügung. Trotz dieser
Angebote wird davon ausgegangen, dass unabhängige Angebote bislang weiter verbreitet sind.
Methode
Kommunikationswissenschaft als sozialwissenschaftliche Disziplin greift zur Überprüfung und Gewinnung von Theorien auf empirische Methoden zurück. Hierbei ist zwischen zwei häufig verwendeten Verfahren zu unterscheiden – die quantitative und qualitative Befragung. Ein Mix beider Verfahren kann ebenso zur Beantwortung der Forschungsfrage herangezogen werden (vgl. Wirt/Hättenschwiler 2005: 21f.). Grundsätzlich beschäftigen sich qualitative Verfahren mit einzelnen Befragungen, bei denen den
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Befragten offene Fragen gestellt werden. Quantitative Befragungen hingegen haben
standardisierte Vorgehensweisen und die Beschreibung großer Fallzahlen zum Gegenstand (vgl. Brosius/Haas/Koschel 2009: 8). Um die Untersuchung der Forschungsfrage
durchzuführen, werden vorab die Methode und das Sample der Befragung festgelegt.
Sample
Als Sample sind alle Personen zu verstehen, die in die Untersuchung eingeschlossen
werden: „Ausgewählt werden Personen, die aufgrund ihrer Merkmale und lebensweltlichen Hintergründe einen Beitrag zur Lösung des Forschungsproblems erwarten lassen“
(Keunecke 2005: 263). Die Eingrenzung eines Samples kann nach soziodemographischen Daten, wie beispielsweise Geschlecht, Alter, Bildungsstand oder Herkunft, geschehen (vgl. Keunecke 2005: 263). In der vorliegenden Arbeit wird das Sample anhand des Alters, des Geschlechts und der Herkunft gewählt. Demnach werden Männer
und Frauen sowohl aus Deutschland als auch aus Österreich befragt. Das Alter des
Samples wird bei 20-29 Jahren festgelegt. Wie die ARD-/ZDF-Onlinestudie 2013 zeigt,
ist diese Altersgruppe besonders medienaffin und für die vorliegende Forschungsarbeit
interessant: 97,5% der Befragten im Alter von 20-29 Jahren nutzen das Internet zumindest gelegentlich (N=1800). Der Zugang zum Internet erfolgt nicht nur über PC
und Laptop, 48% der 20-29 Jährigen nutzen Smartphones bzw. 20% nutzen Tablets als
Internetzugang (n=1389) (vgl. ard-zdf-onlinestudie 2013: online).
Empirische Vorgehensweise und Untersuchungsdesign
Neben der Literaturrecherche werden in der vorliegenden Arbeit zwei Befragungen
durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine quantitative Vorstudie und eine qualitative Befragung. Die Fragen der Untersuchungen werden auf Basis des Literaturstudiums und der daraus gewonnenen Erkenntnisse konzipiert. Um die Verständlichkeit der
Fragen zu testen, sind Pretests durchgeführt worden. So konnten Korrekturen an den
Fragen vorgenommen werden. Nach Abschluss der Untersuchung werden die gewonnenen Ergebnisse mit den theoretischen Erkenntnissen verknüpft und reflektiert.
Befragung I
Die erste quantitative Befragung wird mittels standardisiertem Online-Fragebogen
durchgeführt. Ziel der Vorstudie ist es, diejenigen Befragten zu finden, die sich mit Second Screen beschäftigen. Ebenso sollen deren Motive und Nutzungsgewohnheiten von
Second Screen herausgefunden werden. Neben der Erhebung soziodemographischer
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Daten werden den Personen Fragen zu ihren Fernsehgewohnheiten gestellt. Interessant
sind die Dauer der Nutzung sowie häufig rezipierte Sender und Sendungen. Eine eingebaute Filterfrage – die Frage nach der Beschäftigung mit dem Programm über einen
zweiten Bildschirm – sortiert, ob die Befragten Second Screen nutzen. Den Nutzerinnen und Nutzern von Second Screen werden im Anschluss zusätzliche Fragen gestellt.
Diese betreffen die Motive und die Second Screen-Aktivitäten. Zudem werden alle Befragten gebeten, an der zweiten Umfrage teilzunehmen. Um die Zielgruppe der Umfrage zu erreichen, werden gezielt Foren sowie Gruppen in Sozialen Netzwerken angeschrieben. Die Teilnahme der befragten Personen erfolgt schließlich über Selbstselektion.
Befragung II
Die zweite Umfrage ist als qualitative Befragung angelegt, die auf Basis leitfadengestützter Interviews durchgeführt wird. Sample dieser Untersuchung bilden die Freiwilligen der quantitativen Vorstudie. Mit dieser zweiten Befragung werden die Gewohnheiten und Motive in Bezug auf das Fernsehrezeptionsverhalten und die Nutzung der
Second Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender eingehender untersucht.
Zu Beginn des Interviews werden den Befragten Fragen zu ihrem Mediennutzungsverhalten gestellt. Die Fragen nach der Dauer der Nutzung, rezipierter Sendungen und
internetfähiger Endgeräte dienen als Warm-Up. Daran schließen Fragen zur Nutzung
von Second Screen, der Nutzungssituation sowie der Aktivitäten am Zweitbildschirm
an. Im Fokus stehen die Fragen nach den Motiven der Zuwendung zu Second ScreenAngeboten, im Speziellen den Angeboten der Fernsehsender.
Operationalisierung
Zur Untersuchung des Nutzungsverhaltens von Second Screen sind Indikatoren zu bestimmen, anhand derer die Erkenntnisse gemessen werden. Zur Überprüfung der forschungsleitenden Annahmen werden die Fragen der ersten und zweiten Untersuchung
herangezogen.
1) Second Screen ist bisher als Handlung beziehungsweise eigenständiger Begriff eher wenigen bekannt.
Untersucht werden die Fragen „Was verstehst du unter Second Screen?“ und „Nutzt du
Second Screen?“, die den Befragten in der zweiten qualitativen Befragung gestellt wurden. Die Ergebnisse werden mit der Filterfrage aus der ersten Befragung verglichen.
2) Second Screen wird vom Großteil der Rezipientinnen und Rezipienten unbewusst genutzt.
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Aus der zweiten Untersuchung werden die Fragen nach der Nutzung von Second
Screen, der Nutzung internetfähiger Endgeräte sowie spezifische Fragen nach den Second Screen-Aktivitäten herangezogen.
3) Second Screen stellt eher eine punktuelle Handlung dar und wird selten die
ganze Dauer der Fernsehrezeption verwendet.
Indikatoren sind die Fragen zu den Nutzungsmotiven aus der ersten Untersuchung
sowie Fragen zur Nutzungssituation von Second Screen und der genutzten Angebote
aus der zweiten Untersuchung.
4) Second Screen wird hauptsächlich verwendet, wenn das laufende Programm wenig Aufmerksamkeit erfordert.
Untersucht werden hier die Fragen, wann Second Screen verwendet wird und welchen
Aktivitäten nachgegangen wird (Umfrage II) sowie die Fragen nach den Motiven und
der Aktivitäten (Umfrage I).
5) Unabhängige Second Screen-Angebote sind verbreiteter als die Second
Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender.
Zur Überprüfung werden die Fragen bezüglich der verwendeten Second ScreenAngebote aus der ersten und zweiten Umfrage herangezogen.
Ergebnisse
Stichprobe Befragung I
An der quantitativen Online-Umfrage nahmen 120 Personen teil. Davon sind 78 Personen weiblich, 42 männlich. Das am häufigsten genannte Alter von 26 Jahren wurde von
24 Personen angegeben. Insgesamt sind 87 Personen aus Deutschland, 33 aus Österreich. Als höchster Bildungsabschluss nennen die meisten Personen (55) einen Hochschulabschluss, 44 das Abitur oder Matura. 74 Personen sind Studierende, 35 Angestellte. Außerdem besitzen 115 Personen ein Smartphone, 114 einen Laptop, 101 ein
Fernsehgerät, 35 einen PC und 31 Personen ein Tablet. Der Fernsehkonsum beschränkt
sich bei 33 Personen auf weniger als eine Stunde pro Tag, bei 40 Personen auf circa
zwei Stunden, bei 17 auf drei Stunden und bei 11 Personen auf vier Stunden bzw. bei
vier Personen auf mehr als vier Stunden. Von den 120 Personen sind 40 bereit, an einer
weiteren Befragung teilzunehmen.
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Stichprobe Befragung II
Das qualitative Leitfadeninterview kann mit zwölf Personen geführt werden. Sieben
Personen davon sind weiblich, fünf männlich. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sind größtenteils 26 Jahre alt (fünf Befr.), drei Befragte sind 25 Jahre alt,
die restlichen jeweils 20, 24, 27 und 28 Jahre. Da die Interviews sowie deren Auswertung anonym erfolgen, werden den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern bereits zu Beginn der Untersuchung Nummern zugeteilt. Die Zuteilung erfolgt über die
Reihenfolge der eingehenden Antworten der ersten Befragung.
Forschungsleitende Annahmen
1) Second Screen ist bisher als Handlung beziehungsweise eigenständiger Begriff eher wenigen bekannt.
In der zweiten Umfrage sollten die Befragten angeben, was sie unter Second Screen
verstehen. Second Screen ist lediglich vier Personen bekannt und wird von diesen regelmäßig genutzt (Befr. 4, 10, 16, 17). Acht von zwölf Befragten war der Begriff hingegen unbekannt. Es wurde beispielsweise vermutet, dass es sich um einen zweiten Bildschirm am Arbeitsplatz handle (Befr. 15, 22, 40). Ein Vergleich mit der Filterfrage der
ersten Untersuchung zeigt, dass neun Befragte der qualitativen Untersuchung angekreuzt haben, kein Second Screen zu verwenden. In der qualitativen Befragung erzählten jedoch alle zwölf Interviewpartnerinnen und Interviewpartner von Second ScreenHandlungen, die sie in der Vergangenheit genutzt hatten. Beispiele dieser Aktivitäten
sind die Recherche von Informationen über Suchmaschinen oder der Austausch mit
Freunden über WhatsApp. (Befr. 4, 10, 15, 22) Dies lässt darauf schließen, dass der Begriff oder die Handlung Second Screen zumindest in der untersuchten Stichprobe eher
wenigen Personen bekannt ist.
2) Second Screen wird vom Großteil der Rezipientinnen und Rezipienten unbewusst genutzt.
Alle zwölf Befragten der zweiten Umfrage geben an, dass ihr Smartphone während des
Fernsehens immer in greifbarer Nähe ist. Am häufigsten wird es von den interviewten
Personen für den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp genutzt, um mit Bekannten zu
schreiben. Dabei geht es inhaltlich nicht immer um die laufende Sendung, sondern auf
„WhatsApp bin ich [während dem Fernsehen] aktiv, wenn ich auf Nachrichten oder
Antworten von Freunden warte.“ (Befr. 22) Der Übergang von der Parallelnutzung zur
Second Screen-Nutzung verläuft dabei fließend, wenn das Programm im Fernsehen von
Freunden oder Bekannten zeitgleich rezipiert wird, wie es bei Sportereignissen oder
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dem Tatort der Fall ist. Hier passiert es häufig, dass die Nutzerinnen und Nutzer sich
über das Gesehene austauschen. „Wenn ich nicht mit dem zusammen Fußball schauen
kann, dann halt über WhatsApp.“ (Befr. 8)
Eine andere Art der Second Screen-Nutzung beruht auf der Suche nach weiterführenden Informationen, die das laufende Fernsehprogramm nicht bietet. Die Parallelhandlung wird hierbei unterbrochen, um beispielsweise Informationen über Serien oder
deren Besetzung, Fremdwörter oder Zwischenergebnisse von Sportereignissen via
Suchmaschinen zu recherchieren (alle Befragten).
3) Second Screen stellt eher eine punktuelle Handlung dar und wird selten die
ganze Dauer der Fernsehrezeption verwendet.
Wie die vorangehende Annahme feststellt, nutzt die Mehrheit der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner Second Screen um Informationen zu recherchieren. Umfrage
I zeigt, dass das Bedürfnis nach Information (Bsp.: Suche nach Hintergrundinformationen) und Unterhaltung (Bsp.: Langeweile überbrücken) relevante Motivatoren darstellen. Die Bedürfnisse Emotion und Geselligkeit sind als Motive der Second ScreenNutzung weniger relevant eingeschätzt worden (14 bzw. 13 von 21 Befragten). Sieben
Interviewte der Umfrage II geben an, dass sie Second Screen vor allem dann nutzen,
wenn etwas Interessantes ihre Aufmerksamkeit erregt oder Details unbekannt sind:
„Ich schaue auch schnell nach, was passiert ist, wenn ich nicht aufgepasst habe. Um
wieder mitzukommen.“ (Befr. 16) Nach Abruf der gewünschten Informationen richten
die Befragten ihre Aufmerksamkeit wieder auf das laufende Programm. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner nannten zudem verschiedene Second ScreenAngebote, die sie regelmäßig verwenden. Anhand der genannten Angebote wird deutlich, dass diese kaum auf eine Nutzung während der gesamten Sendungszeit ausgelegt
sind. Beispiele sind Fußball-Apps (vier von zwölf Befragten), die zu gegebener Zeit einen Überblick über Spielergebnisse liefern. Sechs Befragte wenden sich zudem der Facebook Timeline zu, um Highlights der Sendung und die Reaktionen anderer Rezipientinnen und Rezipienten nachzulesen (Befr. 7, 8, 15, 16, 37, 40). „Das finde ich schon
ganz interessant, bei den Kommentaren zu lesen, was andere so denken. Gerade wenn
ich mir denke, dass das so nicht stimmt oder etwas passiert, das man so ja nicht zeigen
kann und andere sich darüber aufregen.“ (Befr. 16)
4) Second Screen wird hauptsächlich verwendet, wenn das laufende Programm wenig Aufmerksamkeit erfordert.
Umfrage II zeigt, dass viele Interviewpartnerinnen und Interviewpartner die Second
Screen-Angebote nutzen, sobald das Programm wenig Aufmerksamkeit erfordert. „Die
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Sendung fesselt nicht so, man kann nebenher anderes machen, da braucht man nicht
so viel Aufmerksamkeit.“ (Befr. 17) Auftretende Langeweile wird ebenso mit der Nutzung von Second Screen-Angeboten überbrückt. (Befr. 4, 17, 23, 37). Ist jedoch mehr
Aufmerksamkeit erforderlich, um das Geschehen zu verfolgen, wird Second Screen
nicht mehr verwendet (Befr. 10, 16, 17, 23). „Wenn der Tatort so komplex ist, muss
aufgepasst werden, damit man mitkommt. Da kann nebenher nicht gelesen werden.“
(Befr. 10)
Die genannten Second Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender, wie beispielsweise Quizduell oder die YPD-Challenge sind so aufgebaut, dass sie während der
Sendung immer wieder verwendet werden können. Grundsätzlich erfordern diese mehr
Aufmerksamkeit. So kann davon ausgegangen werden, dass die Annahme für die unabhängigen Angebote gilt. In Bezug auf Second Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender ist die Annahme differenzierter zu betrachten. Je nach Aufbau und Anforderung wenden sich die Befragten während der Sendungsdauer unterschiedlich oft und
lange dem Angebot zu.
5) Unabhängige Second Screen-Angebote sind verbreiteter als die Second
Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender.
Häufigkeiten
Grafik 1: Second Screen-Aktivitäten - zeitgleich zum
Fernsehen (n=21)
25 20 15 10 5 0 20
15
13
13
10
8
8
7
6
4
4
4
3
"Häufige" Nebenbeschäftigungen
Die in Grafik eins dargestellte erste Umfrage zeigt, dass ein Großteil der Befragten häufig Suchmaschinen (20 von 21 Befr.) oder Mailservices (13 von 21 Befr.) als Second
Screen-Angebote nutzen. Foren sowie unabhängige TV-Websites (beides vier Befr.) und
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unabhängige TV-Apps (drei Befr.) werden hingegen seltener als häufig genutzte Aktivität genannt. Unter Social Media-Websites und Social Media-Apps fallen zum einen unabhängige Angebote, zum anderen aber auch Fanpages der TV-Sender und Sendungen
der Social Media-Websites und -Apps. Diese werden von 15 beziehungsweise 13 Personen genutzt. Die von TV-Sendern bereit gestellten abhängigen Angebote werden lediglich von acht (TV-Websites) und sechs (TV-Apps) Befragten häufig genutzt.
Auch in der zweiten Befragung zeigt sich, dass nur wenige Personen Apps der Fernsehsender nutzen. Auch hier sind die unabhängigen Angebote verbreiteter. Beispielsweise
werden von der Hälfte der zwölf Befragten die kicker-App, unabhängige Apps für das
Fernsehprogramm oder Serienempfehlungen (Befr. 4, 8, 16, 37) regelmäßig genutzt.
Lediglich drei Befragte nutzen die Nachrichten-App N24 (Befr. 7, 12, 40), zwei Befragte
die ARD-Mediathek (Befr. 12, 40). Ebenso haben drei Personen die ARD-QuizduellApp zumindest einmal genutzt (Befr. 7, 8, 15).
Die Ergebnisse der qualitativen Befragung verdeutlichen, dass Second Screen-Angebote
bestimmte Anforderungen erfüllen müssen, um von den Befragten genutzt zu werden.
Diese Anforderungen lassen sich in die Faktoren Information, Interaktivität und kommunikativer Austausch aufteilen.
Faktor Information
Die erste Umfrage zeigt deutlich, dass Informationen und die Recherche für 20 von 21
Befragten ein zentrales Nutzungsmotiv von Second Screen darstellt. Ebenso verwenden
20 von 21 Befragten als Nebenbeschäftigung zum laufenden TV-Programm häufig unabhängige Suchmaschinen, um an gewünschte Informationen zu gelangen. Auch die
qualitative Befragung zeigt die Relevanz des Motivs Informationen. Die Hälfte der Personen gibt an, zur Informationsrecherche hauptsächlich unabhängige Angebote wie
Suchmaschinen oder Wikipedia zu verwenden (Befr. 4, 8, 10, 12, 16, 17). Den Grund für
die Nutzung unabhängiger Angebote sehen die Befragten in der Fülle an Informationen. Unabhängige Angebote, wie beispielsweise Wikipedia, stellen einen großen Informationspool bereit, der schnell die gewünschten Informationen liefert (Befr. 4). Ein
weiterer Vorteil ist die vernetzte Recherche, die schnell zusätzliche Details und Informationen liefert (Befr. 16, 17). “Wikipedia ist einfach schnell. Ich bekomme schnell die
wesentlichen Informationen, nach denen ich suche. Und dann kann ich auch noch vernetzt suchen über die Links, die Wikipedia anbietet.” (Befr. 17) Dahingegen sehen die
Befragten diese Informationsvielfalt bei Angeboten der TV-Sender nicht gegeben. Die
Informationen sind für sie zu einseitig und speziell auf das Programm des Senders zugeschnitten. Der Aufbau der TV-Websites und die Dauer, um an gewünschte Informa-
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tionen zu gelangen, hindert die Befragten an der Nutzung entsprechender Angebote
(Befr. 4, 16).
Faktor Interaktivität
Als Beispiele der Interaktivität nennen die Befragten Apps der Fernsehsender (ARDQuizduell-App, Tatort-App) oder Kommentieren auf Twitter. Bei diesen Apps steht im
Vordergrund, dass „man selbst etwas beisteuern kann und es nicht so langweilig ist“
(Befr. 8, auch 7, 10, 15), „Quizduell war spannend, weil man Fragen schnell beantworten muss, besser sein will als die Promis“ (Befr. 15). Auch das Gemeinschaftsgefühl, mit
anderen zu spielen oder zu ermitteln ist ein Reiz für interaktive Angebote (Befr. 10, 15):
„man weiß, man ist ein Teil von Team Deutschland“ (Befr. 15).
Die Apps der Fernsehsender müssen, um von den Befragten genutzt zu werden, technisch funktionieren und leicht abzurufen sein. Die erste Quizduell-Sendung, bei der die
App nicht funktionierte, der aufwändige Aufbau der Tatort-App oder der komplizierte
Einstieg für die YPD-Challenge auf Servus TV, stellen Hindernisse für die Teilnahme
dar (Befr. 7, 8, 10, 16). Damit die interviewten Personen aus Umfrage II die Second
Screen-Unterhaltungsangebote der Fernsehsender häufiger nutzen, muss der Austausch mit anderen, aber auch die Möglichkeit ins laufende Programm eingreifen zu
können, interaktiver und vernetzter sein. Das heißt, dass Rezipientinnen und Rezipienten nicht einfach das laufende Programm kommentieren, sondern auch am Geschehen
mitwirken können. „Zum Beispiel, dass man bei einer Kochsendung das Rezept direkt
hinschickt und es dann nachgekocht wird oder dass zum angesprochenen Thema online
direkt eine Umfrage durchgeführt wird.“ (Befr. 12) Viele der Befragten meinen, dass
Second Screen-Angebote Zukunft haben, „weil [es] für Leute attraktiver [ist], wenn sie
selber etwas beitragen können“ (Befr. 7).
Faktor Kommunikativer Austausch
Ein weiterer wesentlicher Faktor der Second Screen-Aktivitäten ist für die Befragten
der kommunikative Austausch. Wie in der zweiten Annahme beschrieben, wird hierfür
von einem Großteil der Befragten WhatsApp genutzt (neun von zwölf Befr.). Dabei tauschen sie sich neben dem Fernsehen auch über das laufende Programm aus. Zum Beispiel „weil es mich aufregt und ich wissen will, ob es die anderen [Freunde] auch gucken [der Bachelor] und wie die es finden“ (Befr. 7). Eigene Nachrichten über Twitter
schreiben oder das Lesen der Livetweets, beispielsweise mit #Tatort sowie das Durchstöbern der Facebook-Fanpages wird von den Befragten ebenso als Second ScreenAktivität verfolgt. „Es amüsiert mich zu sehen, was andere dazu schreiben… so zur Un-
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terhaltung.“ (Befr. 10) Ähnliche Second Screen-Unterhaltungsangebote, die seitens der
Fernsehsender zur Verfügung gestellt werden sind hingegen wenig attraktiv. „Die
Kommentarfunktion würde ich nicht nutzen. Twitter ist viel verbreiteter und wird von
mehr Menschen genutzt. Bis die Angebote auf Websites [der Fernsehsender] bekannt
werden, dauert es noch – bis dahin könnte ich mich auch mit mir selbst unterhalten.“
(Befr. 10)
Fazit
Second Screen-Unterhaltungsangebote sind äußerst vielfältig und besitzen unterschiedlichste Ausprägungen. Genauso vielfältig sind die Nutzungsmöglichkeiten der Rezipientinnen und Rezipienten.
Die Forschungsfrage der Arbeit „Wie und warum nutzen Rezipientinnen und Rezipienten im Alter von 20 bis 29 Jahren die Second Screen-Unterhaltungsangebote verschiedener Fernsehsender in Deutschland und Österreich?“ lässt sich mit dem Konzept
der Kommunikationsmodi und dem Uses-and-Gratifications-Ansatz interpretieren sowie mit den Ergebnissen beider Untersuchungen beantworten. Mit den Kommunikationsmodi kann die Frage nach dem „Wie“ beantwortet werden, die Frage nach dem
„Warum“ mit dem Uses-and-Gratifications-Ansatz. Beide theoretischen Grundlagen
schließen sich aber nicht aus, sondern ergänzen sich schlussendlich.
Die Nutzerinnen und Nutzer der beiden Untersuchungen verwenden eine Second
Screen-Handlung punktuell, also nicht dauerhaft zum laufenden Programm, über eine
große Dauer hinweg und nie über den gesamten Zeitraum einer laufenden Sendung.
Außerdem ist die Nutzung von Second Screen-Angeboten eine unbewusste Handlung,
das heißt, die befragten Nutzerinnen und Nutzer wechseln häufig zur Parallelnutzung,
ohne es zu merken. Die Handlungen verschwimmen, die Nutzerinnen und Nutzer
wechseln je nach Handlung (z.B. Austausch via WhatsApp, Twitter, usw.) neben dem
Fernsehen in verschiedene Kommunikationsmodi.
Des Weiteren sind auch die Angebote selbst auf diese punktuelle Nutzung ausgelegt
und erfordern nicht immer die gleiche Aufmerksamkeit – ähnlich ist das Fernsehprogramm für die Rezipientinnen und Rezipienten aufgebaut. Diese unterschiedlichen
Anforderungen an die Aufmerksamkeit begünstigen die Nutzung von Second ScreenAngeboten, da bei geringer Aufmerksamkeit gegenüber dem Fernsehprogramm schnell
nach Informationen gesucht oder sich mit anderen ausgetauscht werden kann, um beispielsweise Langeweile zu überbrücken.
Second Screen-Angebote werden hauptsächlich genutzt, um nähere Informationen zum
Gesehenen zu bekommen oder wenn das Gesehene als langweilig empfunden wird. Vor
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21
allem das Bedürfnis nach Information steht im Vordergrund, beispielsweise wenn etwas unklar ist oder tiefergehende Informationen erwünscht sind.
Die, in dieser Studie herausgefunden, Bedürfnisse, warum sich Nutzerinnen und Nutzer Second Screen-Angeboten zuwenden, lassen sich in drei Faktoren einteilen: Information, Interaktivität und kommunikativer Austausch. Damit Second Screen-Angebote
genutzt werden, muss zumindest einer dieser Faktoren als Bedürfnis vorhanden sein.
Je nach Faktor unterscheiden sich die dafür benötigten Kommunikationsmodi bei den
Nutzerinnen und Nutzern. Das Konzept der Kommunikationsmodi beinhaltet verschiedene Kriterien, die die Kommunikationsmodi beschreiben. Die Second ScreenAngebote sind jedoch so vielfältig, dass sie sich nicht einem Kommunikationsmodus
zuordnen lassen. Die Zuordnung von Second Screen-Angeboten und Kommunikationsmodi nach den jeweiligen Kriterien kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht
durchgeführt werden. Dies bietet einen interessanten Ansatz für weiterführende Studien.
Das Phänomen Second Screen und seine Angebote sind bei den Rezipientinnen und
Rezipienten noch kaum bekannt. Die Fernsehsender versuchen das Potenzial von Second Screen-Angeboten zu nutzen und testen es in immer neuen Erscheinungsformen.
Dabei besteht großes Entwicklungspotenzial, um die Angebote für Rezipientinnen und
Rezipienten attraktiver zu gestalten. Ein wichtiger Punkt muss allerdings beachtet werden: Die Rezipientinnen und Rezipienten wählen die Second Screen-Angebote nicht
nach Fernsehsendern aus, sondern nach ihren Bedürfnissen. Es werden meist nur Angebote genutzt, die die Bedürfnisse und Erwartungen der Rezipientinnen und Rezipienten in der jeweiligen Situation für sie erfüllen. Die Vielzahl an unterschiedlichen Second Screen-Angeboten bietet den Rezipientinnen und Rezipienten die Möglichkeit, ihr
Fernseherlebnis selbst zu gestalten. Dabei entscheidet jede und jeder für sich, ob dies
tatsächlich zu einem besseren Fernseherlebnis führt.
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Kurzbiographie der Autorinnen
Katharina Köhn, B.A. studiert im Masterstudium
Kommunikationswissenschaft
an
der
Paris-Lodron-
Universität Salzburg. Ihre Schwerpunkte sind Public Relations und interkulturelle Kommunikation. Praxiserfahrungen sammelte sie aber nicht nur in der PR, sondern
auch im Journalismus, u. a. bei einem lokalen Radiosender in Ostwürttemberg und dem Südwestrundfunk in
Stuttgart.
Hannah Lindermayer, B.A. ist Masterstudentin am
Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. In ihrem bisherigen Studium befasste sie
sich hauptsächlich mit Public Relations, insbesondere
Interner Public Relations und dem Studienschwerpunkt
Cultural Production and Arts Management. So war das
Thema ihrer Bachelorarbeit der Einfluss Interner Public
Relations auf die Kundenzufriedenheit. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen konnte sie in Projektarbeiten ihr Wissen umsetzen und erweitern.
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