B&B Agrar Online-Spezial: Markt der Möglichkeiten

@ online-spezial
Valeska Zepp
Foto: treenabeena – Fotolia.com
Markt der
Möglichkeiten
Es gibt sie, die guten Ideen, Erfindungen und
Konzepte für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Folgende Beispiele zeigen, was sich mit
Landwirtschaft auf die Beine stellen lässt.
Forschungsteam Tomatenfisch
Foto: Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Was ist das? – Tomatenfisch ist weder ein genetisch erzeugter neuer Organismus noch Dosenfisch
mit Tomatensauce: Es ist ein wissenschaftliches
Projekt am Leibniz-Institut für Gewässerökologie
und Binnenfischerei in Berlin (IGB), das in der Langfassung: „Aquaponik System für die nahezu emissionsfreie Produktion von F isch und Tomaten in Gewächshäusern“ heißt. Die Aquaponik kombiniert
Werner Kloas, der Erfinder von Tomatenfisch
1/4 – B&B Agrar 5 / 2015
F ischzucht und Pflanzenzucht. Es handelt sich dabei um einen geschlossenen Wasser- und Nährstoffkreislauf: Die F ische liefern den Tomatenpflanzen CO2, Nährstoffe und Wasser – die Tomaten
produzieren im Gegenzug Sauerstoff und es fällt
Frischwasser für die F ische ab. Der von den Pflanzen erzeugte Wasserdampf setzt sich in einer Kältefalle am Dach ab, tröpfelt über Rohre zurück in die
F ischbassins. Die Berliner Forscher haben das System hocheffizient weiterentwickelt. Nur drei Prozent Frischwasser müssen zugesetzt werden. Sie
haben ausgerechnet: Für ein Kilogramm Freilandtomaten im spanischen Almeria müssen 180 Liter
Grundwasser eingesetzt werden, mit Aquaponik
braucht man nur 35 Liter und ein Fünftel der Fläche. Auch die Ernährung der F ische ist nachhaltig:
mit proteinreichen Mücken- und Fliegenlarven. Die
Versuchsanlage im IGB funktioniert emissionsfrei:
Für die Wärmezufuhr im Treibhaus nutzt sie die
Abwärme von Biogasanlagen oder Solarpanels.
Wer hat’s erfunden? – Der Biologe Werner Kloas
mit seinem Team am Leibniz-Institut für Gewässer­
ökologie und Binnenfischerei in Berlin (IGB).
Was bringt das? – Die Forscher sagen, sie können
mit ihrem System F ische und Gemüse nachhaltiger
erzeugen, als es F ischzüchter und Bauern bisher
getan haben. Das Forscherteam will mit der Technologie zur Lebensmittelsicherheit im 21. Jahrhundert beitragen. Zum einen ermöglicht Tomaten@ www.bub-agrar.de
@ online-spezial
Mobiles Heim für Hühner
Was ist das? – Wer Hühner im Freiland hält weiß:
Nach kürzester Zeit verwandelt das Federvieh die
saftige grüne Wiese in einen schlammigen Acker.
Das Hühnermobil ist ein mobiler und somit flexibel
versetzbarer Hühnerstall. Bevor die Grasnarbe vom
Hühnerkot und Scharren völlig zerstört ist, können
Tiere samt Unterschlupf auf ein neues Stück Wiese
umziehen. Sitzstangen, Scharrraum, Licht- und
Lufteinlass, Wasser- und Futterversorgung, Entmistung – es wurde alles bedacht: Hühnermobile sind
ausgeklügelte Systeme für eine moderne Bio-Hühnerhaltung. Verschiedene Modelle sind auf dem
Markt mit Platz für 225, 800 oder 1.200 Legehennen und je nach Wunsch und Geldbeutel mit mehr
oder weniger Automatisierung.
Wer hat’s erfunden? – Agraringenieur und BioBauer Maximilian Weiland und seine Frau Iris, Inhaberin der Stallbauer-F irma und Geflügelhalterin
aus dem hessischen Bad Soden.
Was bringt das? – Erfinder und Nutzer sind sich
einig: Das Hühnermobil verbessert die HühnerFreilandhaltung, sorgt für gesunde glückliche Hühner, schützt die Umwelt und bringt dem Verbraucher mehr Transparenz. Durch das regelmäßige
Versetzen, verteilen die Hühner den Kot gleichmäßig auf die Fläche und es kommt zu keiner Überdüngung. Die Grasnarbe kann sich wieder erholen.
Außerdem verringert sich der Parasitenbefall – ein
großes Problem in der Freilandhaltung. Die Bauern
müssen keine Medikamente einsetzen. Die Hühner
können ständig Pflanzen und Samen picken und
neue Areale erkunden – so kommt keine Langeweile auf und die Tiere rupfen sich nicht, wie in anderen Hühnerställen, gegenseitig die Federn aus. Zu
guter Letzt erzeugt so ein Hühnermobil Aufmerk2/4 – B&B Agrar 5 / 2015
samkeit und die Bauern können es als Werbefläche
für Hof und Erzeugnisse nutzen. Die Verbraucher
zeigen sich erfahrungsgemäß begeistert von den
Ställen und dem Konzept und sind bereit, einen fairen Eierpreis zu zahlen. Und: Glückliche gesunde
Hühner legen leckere Eier.
Mehr Informationen: www.huehnermobil.de
Schnecken für Gourmets
Was ist das? – Wiener Schnecke, das klingt nach
einer zarten österreichischen Mehlspeise, meint
aber das echte Tier, die Weinbergschnecke. Die
hatte bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch kulinarische Tradition in Österreich und wurde als „Wiener Auster“ auf den Märkten verkauft. Es gab sogar
einen eigenen Schneckenmarkt. Dann verschwanden Schnecken, verschrien als „Arme-Leute-Essen“, erst von den Menütafeln, dann von den
Märkten und gerieten schließlich in Vergessenheit.
Bis vor ein paar Jahren ein mutiger Junglandwirt
den 400 Jahre alten Familienbetrieb von seiner
Großmutter übernahm und Schweineställe, Felder
und Gemüseäcker in eine Schneckenfarm verwandelte. Er überzeugte die Wiener Gourmets mit ho-
Foto: Lukas Ilgner für Falter/Best of Vienna
fisch die Lebensmittelproduktion in der Stadt (Urban Farming). Zum anderen sind die Anlagen vom
Regentonnen-Format bis zur Großfarm skalierbar
und damit im kleinen und im großen Stil einsetzbar. Ein Basissystem für rund 1.000 Euro könne
etwa 200 Kilogramm F isch pro Jahr liefern, schätzen die Forscher. Das Verfahren wird jetzt unter Federführung des IGB auch im großen Maßstab erprobt: Das von der EU geförderte Projekt INAPRO
läuft bis 2017 und soll in den einzelnen Anlagen
etwa 10 Tonnen Nilbarsche und 30 Tonnen Tomaten produzieren.
Mehr Informationen: www.tomatenfisch.igbberlin.de, www.inapro-project.eu
Die „Wiener Schnecke“ – bei Gourmets beliebt
@ www.bub-agrar.de
her Qualität, seitdem stehen Weinbergschnecken
in der österreichischen Hauptstadt wieder auf der
Speisekarte.
Wer hat’s erfunden? – Andreas Gugmuck erhielt
für seine Weinbergschneckenzucht im Nebenerwerb 2009 den Innovationspreis der Jungbauern
des österreichischen Landwirtschaftsministeriums.
Danach hängte er seinen sicheren Job als IT-Projekt-Manager an den Nagel und wurde hauptberuflich Schneckenbauer.
Was bringt das? – Andreas Gugmuck hat den Familienbetrieb zwar ordentlich umgekrempelt, aber
dennoch die Nachfolge gesichert, er hat eine alte
Wiener Esstradition wiederbelebt und mit seinen
Weinbergschnecken das kulinarische Angebot erweitert. Er verkauft die Schnecken frisch an Gastronomen oder in Gläsern an Spezialitätengeschäfte,
Marktstände und online. Zusätzlich produziert er
noch Schneckenleber und schneeweißen Schneckenkaviar. Er findet, seine Schneckenfarm habe
aber auch Potenzial in Sachen Welternährung und
Lebensmittelsicherheit: Für ein Kilo Rindfleisch
brauche man schließlich 14 Kilo Futter, für ein Kilo
Schnecken nur zwei Kilo.
Mehr Informationen: www.wienerschnecke.at
Kiri für den Holzmarkt
Was ist das? – Bereits nach zwölf Jahren ist ein
­K iri-Baum fast so groß wie eine 100-jährige Eiche.
Die Pflanze stammt aus Asien. Sie wächst nicht nur
schnell, sondern auch mit geradem Stamm, tief
verwurzelt. Das Holz ist sehr leicht aber dennoch
stabil – ideal geeignet für Möbel, Boote oder als
Werkstoff. So viel zur Pflanze. Die innovative Idee
kommt mit der Bonner F irma WeGrow: Die kombinieren Pflanzenzucht mit Investmentfonds zu einem rundum nachhaltigen Produkt. Die F irma entwickelt und realisiert seit mehr als fünf Jahren KiriAnbauprojekte und lässt sie über geschlossene
Holzfonds finanzieren. WeGrow arbeitet quasi als
Dienstleister für die Anleger, denen die Kiri-Plantagen gehören. Zu den Geschäftsfeldern der F irma
gehören Sortenentwicklung, Jungpflanzenproduktion, Standortbewertung, Pflanzung und Plantagenpflege. Sie beschäftigen rund ein Dutzend Mitarbeiter fest, dazu kommen Saisonverträge und Aufträge für Landwirte und Baumschulen vor Ort. In
Deutschland gibt es bisher zwei Kiri-Projekte und
eines in Spanien. Mehr als 13 Millionen Euro haben Anleger bisher in WeGrow investiert und erhoffen sich die Verdopplung ihres Einsatzes binnen
3/4 – B&B Agrar 5 / 2015
Foto: WeGrow GmbH
@ online-spezial
Peter Diessenbacher vor einem 5 Jahre alten Kiribaum
in Spanien
zehn Jahren. Die Chancen stehen gut, dass es sogar
noch mehr wird: Der Holzmarkt boomt.
Wer hat’s erfunden? – Volkswirtin Allin Gasparian und Agraringenieur Peter Diessenbacher. Als
Student erkannte Diessenbacher das biologische
Wachstumspotenzial des Kiri-Baums. Er züchtete
einen Setzling auf der Fensterbank seiner Wohngemeinschaft und war über das Ergebnis verblüfft: Er
konnte dem Baum förmlich beim Wachsen zusehen. Kiri-Bäume legen in einem Jahr bis zu fünf
Meter zu. Mittlerweile hat Diessenbacher sich sogar eine Kiri-Sorte beim Sortenamt schützen lassen, die NordMax21. Das unternehmerische Potenzial hatte die Volkswirtin Gasparian im Blick, bewarb sich mit dem Konzept bei einem Wettbewerb
der Gründerinitiative „Neues Unternehmertum
Rheinland“ und beide fanden so viel Zuspruch,
dass sie die WeGrow-GmbH gründeten.
Was bringt das? – WeGrow hat einen schnell
nachwachsenden Rohstoff entdeckt und für den
europäischen Markt passend gezüchtet und entwickelt. Dazu bietet die F irma in Zeiten großer Unsicherheit auf den F inanzmärkten eine ökologische
@ www.bub-agrar.de
@ online-spezial
Kapitalanlage mit größtmöglicher Transparenz für
die Anleger. Allin Gasparian ist sich sicher, dass sie
mit ihrer F irma und den Kiri-Bäumen angesichts
schwindender Waldvorkommen eine nachhaltige
Möglichkeit bietet, den weltweit steigenden Holzbedarf zu befriedigen.
Mehr Informationen: www.wegrow.de
Gemüse auf dem Floß
Was ist das? – Die Jellyfish Barge ist ein autarkes
Gewächshausfloß, das auf dem Meer schwimmt.
Eine 70 Quadratmeter große achteckige Holzkonstruktion auf recycelten Plastikfässern trägt das Gewächshaus. Mit an Bord ist eine Solar-Entsalzungsanlage, die am Tag bis zu 150 Liter Frischwasser
aus Salz-, Brack- oder Schmutzwasser gewinnt. Die
Energie liefern Sonne und Wind. Das Gewächshaus
funktioniert mit einem Hydrokultur-System.
Wer hat’s erfunden? – Ein interdisziplinäres Team
aus Architekten und Botanikern, koordiniert von
Professor Mancuso von der Universität Florenz.
Der Prototyp ist erfolgreich getestet – er schwamm
im Oktober 2014 auf dem Kanal zwischen Pisa und
Livorno
Was bringt das? – Wenn der Meeresspiegel aufgrund des Klimawandels weiterhin steigt, wird in
einigen Küstenregionen nicht nur das Land weni-
4/4 – B&B Agrar 5 / 2015
ger, sondern es verringern sich auch die ohnehin
knappen Frischwasservorräte. Mit der Jellyfish Barge können Menschen in solchen Regionen trotzdem Lebensmittel anbauen. Die Module sind mit
einfachen Materialien und möglichst kostengünstigen Technologien gebaut. Ein Gewächshausfloß
kann zwei Familien ernähren. Man soll mehrere
Module aneinander koppeln können, um, je nach
Bedarf, mehr Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen.
Mehr Informationen: www.pnat.net/jellyfishbarge (auf Englisch)
Die Autorin
Valeska Zepp
Journalistin, Bonn
[email protected]
@ www.bub-agrar.de