3.2 Unfallschäden 3.2.1 Lackschäden Schnell verursacht, aber oft

Kapitel 3 Die Karosse: Der Body
3.2 Unfallschäden
3.2.1 Lackschäden
Schnell verursacht, aber oft nur schwer zu
kaschieren
Ob nun beim geliebten Neuwagen, der
niegelnagelneuen Einbauküche mit Hochglanzfronten oder aber dem sonst so behüteten
Musikinstrument: Mal eine Sekunde nicht aufgepasst,
eine unruhige Bewegung zu viel und – zupp – ist die
Macke drin und der Ärger groß. Der Schock sitzt dann
bei vielen recht tief, und nach einer kurzen Phase
hilfloser Wut über sich selbst erinnert man sich gerne
an Medienberichte, die von Lackdoktoren berichten,
die es schaffen, für kleines Geld und in Windeseile
Lackschäden zu beseitigen und dies, scheinbar
magisch, ohne auch nur den Hauch eines Schadens
zurückzulassen. Darüber hinaus suggeriert der Handel
mit vielen Produkten wie dem „Touch-up-Pen”,
Reparaturwachsen oder kompletten Reparatursets,
dass es mehr oder weniger mühelos machbar ist,
Schadstellen recht einfach zu reparieren und fast bis
hin zur Unsichtbarkeit zu kaschieren.
Leider muss ich viele Kunden und auch TIYer auf
den Boden der Tatsache zurückholen. Auch wenn
es Lackdoktoren Medienberichten zufolge im KfzBereich schaffen, Schadstellen quasi verschwinden
zu lassen, hat man es bei Musikinstrumenten mit
Oberflächen und Lacksystemen zu tun, die sich
radikal von denen eines Kfz unterscheiden können.
Die Karosse: Der Body Kapitel 3
angefärbt (pigmentiert) ist. Durch diese Färbung
bekommen viele Akustikgitarren einen wärmeren
Farbton (Abb. 3.2.1.1), und die Holzmaserung ist
noch durch die Lackschicht zu erkennen. Andere
Instrumente haben wiederum eine gebeizte
Holzoberfläche, bei der die Farbgebung durch eine
farbige Beize direkt auf dem Holz erfolgt.
Soll nun ein Lackschaden kaschiert werden,
ist hier die Problematik (neben unterschiedlichen
Lacksorten, die sich nicht immer vertragen)
wesentlich komplexer als das Ausbessern eines
Lackschadens bei der deckenden Lackierung eines
Kraftfahrzeuges. Hier hat der Lackdoktor die
Möglichkeit, den Farbton anhand vorgegebener
Mischungsverhältnisse recht exakt zu reproduzieren.
Anhand der Mixtabellen von Autoherstellern können
so die benötigten Farben nachgemischt werden.
Bei Musikinstrumenten fehlen diese Vorgaben
– und selbst wenn es sie gäbe, altern und bleichen
Holzoberflächen anders als die lackierten Metallteile
des Kfz.
Abb. 3.2.1.2: Wo ist hier der Farbton? Ausgebleichte,
gebeizte Gitarrendecke
20 Jahre altes Weiß
Abb. 3.2.1.1: Klarlacke sind oftmals eingefärbt und nur
schwer zu reparieren
So haben zum Beispiel viele Instrumente transparente
Lackaufbauten, bei denen eine Lackschicht nur leicht
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guitar Service Manual
Abb. 3.2.1.2 zeigt die gealterte Oberfläche einer
älteren PRS-Gitarre. Durch Abnutzung und
Ausbleichen kann man hier nicht mehr von einem
uniformen Farbton reden. Hier würde selbst ein
Beizrezept des Herstellers nichts nützen, da der
Farbton mittlerweile erheblich vom Original
abweicht. Aber auch bei farblich deckend lackierten
Instrumenten ist die Schlacht nicht so einfach
zu gewinnen. Auch hier altert und verfärbt sich
die Klarlackschicht, die in den meisten Fällen
den Lackaufbau einer Instrumentenlackierung
abschließt. Schön zu erkennen, wenn man mal das
Schlagbrett abbaut und erkennt, wie weiß ein Weiß
vor ca. 20 Jahren war.
Neben der Farbgebung stellt aber auch
die Oberflächengüte bei Instrumenten höhere
Ansprüche, als dies bei einer Kfz-Lackierung der Fall
ist. Schaut man schräg über eine Kfz-Lackierung,
sind leichte Krater zu erkennen (Orangenhaut).
Bei Instrumenten ist die Oberfläche jedoch
spiegelglatt. Diese glatte Oberfläche wird erzielt,
indem man die letzte aufgetragene Lackschicht
noch einmal fein plan schleift und anschließend
aufpoliert. Jeder Lackschaden bedeutet eine
Verletzung dieser Oberfläche, und es besteht die
Gefahr, dass die Reparaturstelle anders arbeitet
und „beifällt” (transparenter gesprochen: sich der
Holzoberfläche anpasst) als der nicht reparierte Rest
des Instruments.
Selbst wenn man durch Mischen von Farben
oder Probebeizen den Farbton vielleicht sogar
gut getroffen hat, macht dann die eingefallene
Oberfläche den vermeintlichen Reparaturerfolg
zum Flop, der oftmals schlimmer aussieht als der
eigentliche Schaden ohne Reparaturversuch. Hier
steht der eingesetzte Aufwand dann oft in keinem
Verhältnis zum erzielten Resultat. Der TIYer wird
unzählige Euros in Farbkonzentrate, Lacke oder
Schleifpapier investieren – nur um festzustellen,
dass Farbton oder Oberfläche nach der Reparatur
nur unwesentlich besser geraten sind als vor dem
dann teuren Eingriff.
Auch Fachwerkstätten sind keine Houdinis und
keine preiswerte „Heilungsmethode”. Setzt man
die Anforderungen an die Reparatur so hoch, dass
eine „unsichtbare Reparatur” erwartet wird, führt
die Retusche nur in ganz wenigen (Glücks-)fällen
zu einem derartigen Resultat. Meist muss eine
Minderung der Oberflächengüte in Kauf genommen
werden oder, auf den Punkt gebracht: Die Reparatur
bleibt sichtbar – und dies oft sehr deutlich.
Gutmütige Lacke
Reparaturen können jedoch sinnvoll sein, wenn
auf diese Weise größerer Schaden vermieden wird.
Abb. 3.2.1.3 zeigt den Schaden an einer PRS-Gitarre,
bei der am unteren Cutaway durch einen Schlag
etwas Lack abgesprungen ist. Hier besteht nun die
Gefahr, dass die lose Lackschicht weiter abplatzt und
sich die Schadstelle somit vergrößert. Hier gebe ich
der Reparatur eine Chance, da die Reparaturstelle
nicht zu exponiert ist und die Maserung des Holzes
etwas vom Schaden ablenken wird. Zudem sind
die Zweikomponentenlacke auf PRS-Gitarren recht
robust und reagieren beim Kontakt mit fremden
Lacken oder Klebern (und deren Lösungsmitteln)
recht gutmütig.
Abb. 3.2.1.3: Ein Schlag, und der Lack war ab
Abb. 3.2.1.4: Beseitigung loser Lackteile
Zunächst wird die Schadstelle von losen
Lackresten befreit (Abb. 3.2.1.4). Es wird nicht
mehr Lack als notwendig entfernt, um nicht etwa
aus einer centgroßen Bagatelle eine vollwertige
Korpuslackierung werden zu lassen. Nach dem
Säubern träufele ich mit einer Saite etwas blaues
Farbkonzentrat auf die Schadstelle (Abb. 3.2.1.5).
Das Farbkonzentrat arbeitet sich unter die losen
Lackschichten vor und sorgt auch dort für eine
Farbauffrischung. Hier hilft, dass ich vor kurzem
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Kapitel 3 Die Karosse: Der Body
bei einer anderen PRS einen Halsbruch repariert
habe und daher wusste, dass mein Blau gut zum
„Whale Blue” der PRS passt. Die gleiche Gitarre
zum Beispiel mit „Gold Top“ wäre schon wieder eine
andere, schwerere Kategorie.
Abb. 3.2.1.5: Das Farbkonzentrat wird aufgetragen ...
Die Karosse: Der Body Kapitel 3
Lediglich eine hauchdünne Klarlackschicht schützt
die gebeizte Holzoberfläche. Schleift man zu viel,
ist die Klarlackschicht sehr schnell durchgeschliffen
– und die gebeizte Oberfläche könnte angeschliffen
werden. Folge: heller Fleck und viel Ärger, da die
Reparatur so immer größer wird.
Decke so wenig wie möglich originalen Klarlack
zu beschädigen (immer die Angst im Nacken:
Durchschleifgefahr!). Ist die „Kuppel” beigeschliffen,
wechsele ich zum 2000er Nassschleifpapier (Abb.
3.2.1.10) und entferne die Schleifspuren vom 220er
bzw. 400er Papier, bis eine matte, plane Oberfläche
erzielt ist (Abb. 3.2.1.11). Im nächsten Schritt werden
die nun sehr feinen Kratzer auspoliert, das heißt mit
einer entsprechenden Paste und einem weichen Tuch
so lange bearbeitet (Abb. 3.2.1.13) bis die Fläche
ohne Kratzer ist und glänzt (Abb. 3.2.1.14).
Abb. 3.2.1.13: Aufpolieren der Reparaturstelle
Abb. 3.2.1.8: ... und satt auffüllen
Abb. 3.2.1.14: Die Reparatur nach dem Polieren
Abb. 3.2.1.10: Anschließender Nassschliff mit 2000er Papier
Abb. 3.2.1.9: Die Schadstelle wird fein geschliffen: Das
Radiergummi dient als flexibler Schleifklotz
Abb. 3.2.1.6: ... und mit Sekundenkleber fixiert
Abb. 3.2.1.7: Anschließend vorsichtig beischleifen ...
Ist das Konzentrat angetrocknet, kann man anfangen,
die Schadstelle aufzufüllen. Dazu nehme ich
keinen transparenten Lack, sondern dünnflüssigen
Sekundenkleber. Dieser saugt sich quasi in die
Reparaturstelle, verklebt noch lose Lackstellen
und versiegelt die komplette Reparaturstelle
(Abb. 3.2.1.6). Nun wird die Reparatur das erste
Mal vorsichtig beigeschliffen (Abb. 3.2.1.7). Zur
Vorsicht mahnt hier der Lackaufbau der PRS.
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guitar Service Manual
Achtung: Stundenkleber
Nach dem ersten Glätten der Kanten muss nun
der fehlende Lack weiter aufgefüllt werden. In
dünnen Schichten wird der Sekundenkleber so
lange aufgeträufelt, bis er eine kleine „Kuppel”
bildet (Abb. 3.2.1.8). Dünne Schichten deshalb,
weil Sekundenkleber zu dick aufgetragen zum
Stundenkleber wird und im Inneren nur sehr langsam
und nicht mehr ganz so transparent aushärtet. Daher
ist „mehrmals dünn” besser als „einmal dick”. Nach
dem Aushärten des Klebers (ruhig über mehrere
Tage) wird die „Kuppel” nun beigeschliffen. Dazu
wird um ein weiches Radiergummi zunächst 220er
Papier gewickelt (Abb. 3.2.1.9). Das Gummi (nun
ein flexibler Schleifklotz) hilft mir dabei, nicht zu
punktuell zu schleifen, und die „Kuppel” wird so
auf die Form der Decke geschliffen. Kurz bevor die
„Kuppel” beigeschliffen ist, wechsele ich zum 400er
Papier, um beim Angleichen der „Kuppel” an die
Abb. 3.2.1.11: Reparaturstelle fertig zum Polieren
Abb. 3.2.1.12: Polierpasten enthalten Schleifmittel, mit
denen feinste Kratzer entfernt werden können, bis der
gewünschte Hochglanz erzielt ist
Zwar ist die Schadstelle immer noch zu erkennen,
jedoch bei weitem nicht mehr so offensichtlich
wie auf Abb. 3.2.1.3, und einer Erweiterung des
Schadens ist vorgebeugt.
Abb. 3.2.1.15: Mit etwas Glück geht es auch nahezu unsichtbar
Bei einem ähnlichen Schaden (Abb. 3.2.1.15), einem
Riss im Bereich des Sattels einer Taylor-Westerngitarre,
hat das Glück noch etwas nachgeholfen: Die Reparatur
ist nahezu unsichtbar. Aber es hätte auch anders
kommen können, und genau hier liegt die Problematik
der Reparatur von Lackschäden. Die Eigenschaften von
Gitarrenlacken sind einfach zu unterschiedlich, um
gleichmäßig gute Ergebnisse zu erzielen. Der Aufwand
ist jedoch oftmals sehr hoch. Störende Lackschäden
im Bereich des Halses oder Kantenschäden wie bei
der PRS sind durchaus reparabel. Die fette Macke
mittig auf der Decke einer Gibson Les Paul verlangt
aber definitiv mehr als nur einen „Touch-up-Pen” und
Sekundenkleber.
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