titelstory lesen - Christian Reimering

ouch
Pool • Snooker • Karambol • Kegelbillard
Billard-Magazin
Ausgabe 27
November 2015
Preis: 5 Euro
Mit allen Infos rund um
das German Tour-Finale
Biografie des Topspielers und Buchautors
Christian
Reimering
www.touch-magazine.net
BWR: 0.0635mm
t i t e l - S t o ry
Christian Reimering
Es mag so drei, vielleicht sogar vier Jahre her sein, als
ich mit Christian Reimering ein längeres Telefonat führte.
Damals war er noch Inhaber von pool4motion, jener Firma,
die sich seinerzeit auf die Fahne geschrieben hatte, spezielle
Billard-Bekleidung auch hierzulande populärer zu machen.
Wir sprachen über eine Anzeigenkampagne und natürlich
auch über die tollen Produkte aus der pool4motion-Linie.
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Doch in dieser Geschichte soll es
nun wirklich nicht darum gehen,
sondern vielmehr möchte ich erzählen, was daraus entstanden
ist. Natürlich bat ich Christian im
Laufe des Gesprächs um ein generelles Feedback zum Touch Magazine, denn
schließlich ist der Leverkusener schon seit mehreren Jahrzehnten fester Bestandteil der Szene
und durch seine Trainertätigkeit auch fest mit
der Basis und deren Bedürfnissen verbunden. Er
würde mir sicherlich ein fundiertes und überlegtes Feedback geben können, dachte ich mir.
Und so war es auch: Ein Bestandteil seiner ansonsten recht positiv ausgefallenen Kritik war
das Fehlen diverser Homestorys. „So etwas wollen die Leute lesen – mal hinter die Fassade der
Topstars schauen“, meinte er. Recht hat er, dachte ich mir, denn schließlich waren wir Touchintern auch schon auf dergleichen gekommen,
aber es war gut zu hören, dass dieser Gedanke
geteilt wurde.
Einzig die Umsetzung ist doch schwerer als man
denken mag. Schließlich stehe ich bei einem anderen Arbeitgeber in Lohn und Brot. Und solch
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eine Homestory ist eine Heidenarbeit. Das schreibt sich
nicht mal einfach so aus der
Hüfte, sondern bedarf der
zeitlichen Vorbereitung, der
Umsetzung, Fotos besorgen
und sichten, lange Gespräche, Fahrtzeit und –kosten,
und pipapo und tralala.
Während unseres Telefonats
sprach ich Christian direkt
an, ob er denn selbst einmal
für eine solch ausführliche
Geschichte zur Verfügung
stehen würde. Viele halten
dem hoch gewachsenen
Billardmagazin touch
Das Buch von Christian Reimering
„Was Du siehst, kann du spielen“
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Christian Reimering
Steckbrief
Geburtsdatum: 08.08.1971
Geburtsort: Leverkusen
Familienstand: verheiratet mit
Sihame, 2 Kinder, Nathan und
Leonie
Derzeitiger Verein: PBC Sankt
Augustin
Liga: 2. Pool-Billard-Bundesliga
Billard seit: 1986
Beruf: Freier Handelsvertreter für
Krüger Systeme, Vertriebsleiter NordWest (Geschäftsführer Thomas Keifert
ist selbst Billardspieler und fungiert
auch als Sponsor) und Billard-Trainer
Ausbildung: Zerspanungsmechaniker,
Fachrichtung Drehen
Größte Erfolge
Jeder Erfolg ist auf seine ganz
bestimmte Art und Weise groß und
schön, aber ich denke der Gewinn
meiner ersten Euro Tour 2005 in
Malaga war für mich schon ein
ganz besonderer und emotionaler
Moment. Ich widmete diesen Sieg
meinem verstorbenen Vater. Er war
mein größter Fan und Unterstützer!
Aktuell habe ich mich sehr über
meinen Gesamtsieg der GT 2014
gefreut, was nach so vielen Jahren
und starker Konkurrenz keine
Selbstverständlichkeit war.
Bitterste Niederlage
1999 bei der IBP Tour in Nashville
(USA). Halbfinale gegen Mika Immonen und das Viertelfinale der World
Tour in Taiwan, weil beide Partien
in den entscheiden Phasen durch
Fehlentscheidungen der Schiedsrichter gegen mich entschieden worden
sind! Und mir damit der eventuelle
internationale Durchbruch verwehrt
geblieben ist.
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1/2: Sein liebstes Turnier sind die Stutgart-Open. Bereits
vier Mal konnte er sich in die Siegerliste eintragen lassen
3: Mein erster Eurotoursieg 2005 in Malaga: „Der Blick geht nach oben zu meinem verstorbenen Vater“ • 4: World Pool Masters
gegen Corey Deuel 2008 • 5: Centercourt-Match bei der WM in Cardiff / Wales 2001 gegen Earl Strickland
Reimering ja eine gewisse Arroganz oder zumindest Unterkühltheit vor und mit solch einer Story könne man ihn nicht
nur näher vorstellen, sondern das eine oder andere Vorurteil
gleichzeitig entkräften. Hier würde man bestimmt das eine
oder andere erfahren, dachte ich mir.
Ich selbst kenne Christian schon länger und weiß, dass er zwar
über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügt, aber auch eine
große Portion (schwarzer) Humor ist dem Nordrhein-Westfalen beileibe nicht abzusprechen.
zeigen. So offen kennen ihn
sicherlich wenige, denke ich.
Wer hätte das gedacht?
Was ein guter Billardtrainer
ist und was auf sich hält, der
hat natürlich auch berücksichtigt, in seinem neuen
Eigenheim einen Billardtisch
unterzubringen. So befindet
sich im Erdgeschoss und
mit Gartenblick das Büro
des Trainers Reimering –
und gleich dahinter steht in
einem großzügig gestalteten Raum ein brandneuer
Brunswick Gold Crown V.
„Hier schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe“, berichtet er. „Zum einen kann
ich hier selbst trainieren und
zum anderen kann ich meine
Schüler zum Training hierher einladen. So läuft doch
alles viel effektiver und gezielter“, gibt er zu bedenken.
„Meine Schüler sind begeistert und nehmen auch gerne
den Weg zum Training bei
mir auf sich.“
Christian ist sogleich in seinem Element, denn der 1971
gebürtige Leverkusener ist
nicht nur leidenschaftlicher
und erfolgreicher Spieler,
sondern vielmehr auch mit
Leib und Seele Billardtrainer.
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Zum Ende unseres Gesprächs sind wir also
übereingekommen, dass wir eine solche Reimering-Story auf alle Fälle schreiben werden,
denn erstens ist es wie gesagt eine inhaltlich
absolut lohnende Angelegenheit – so viel war
ohne groß nachzudenken schon vorher klar –
und zweitens hat es sich der Mann einfach verdient mit seinen
sportlichen Leistungen der vergangenen zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre.
Verabredet waren wir somit also schon eine ganze Weile,
doch bis es dann einmal so weit ist, und beide Seiten bereit
sind, fließt eben noch viel Wasser den Rhein herunter. Mitte
August und damit inmitten meines Jahresurlaubs war es dann
soweit und wir trafen uns bei schönstem Sonnenschein und
einiger Hitze im Hause Reimering in Leverkusen.
Quasi ganz frisch eingezogen war die Familie samt Ehefrau
Sihame und den beiden Kindern Nathan und Leonie. Direkt
an einer großen Verkehrskreuzung hat Christian ein Haus gemietet, doch wer denkt, dass es dort sehr laut sei, sieht sich
getäuscht. Vieles spielt sich im hinteren Bereich des zweistöckigen Gebäudes ab und im großen Garten mit Trampolin
kann man es sich richtig gut gehen lassen und gemütliche
Nachmittage und Wochenenden verbringen.
Nicht ohne Stolz führt mich das 44-jährige Familienoberhaupt
durch die einzelnen Zimmer und kennt dabei keine Scheu, mir
auch intimere Bereiche wie Schlafzimmer und dergleichen zu
Billardmagazin touch
Billardmagazin touch
„Angefangen selbst zu spielen habe ich 1986, als
sich der PBG Leverkusen auf einem Straßenfest
präsentierte. Dort durfte man gegen die Vereinsleute ran und offenbar habe ich mich dabei ganz
gut angestellt. Auf alle Fälle war ich sofort fasziniert und infiziert.“
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Von da an ging es quasi rasend bergauf für den heuer in der 2. Bundesliga agierenden Reimering. Zwischenzeitlich war er nämlich vom PBG
zum sportlich besser aufgestellten PBC Leverkusen gewechselt und spielte nur drei Jahre später
in der 1. Bundesliga. Nur weitere zwei Jahre, also
Anfang der Neunziger, wurde er erstmals Deutscher Mannschaftsmeister. Was für eine steile
Karriere, denke ich und bin beeindruckt.
Reimering besticht schon seit jeher mit seiner
schulbuchmäßigen Technik, für die ihn so gut
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wie alle Billardspieler beneiden. „Eine gute Technik ist das Allerwichtigste,
Jochen. Wenn es hart auf
hart kommt, macht das den
Unterschied aus. Oder wenn
es mal nicht so gut läuft,
weißt du, dass du dich zumindest immer auf eine einwandfreie
Stoßausführung
verlassen kannst“, führt er
sogleich aus. Und wie bist Du
zu dieser Technik gekommen, frage ich konsequenterweise. Damals gab es ja
noch keine Lehrbücher und
Videos, wie man sie heute zu
Hauf vorfindet.
„Das stimmt“, sagt er, „damals
ging das in der Tat meist
über das reine Abschauen
bei anderen Spielern. Und
natürlich mit extrem viel
Fleiß, Wille, Leidenschaft
und Disziplin.“ Ich halte dagegen, dass es das allein ja
nicht sein kann und auch
darauf weiß Christian eine
plausible Antwort: „Meine
Arbeit als Trainer hat an
meiner Besessenheit an guter Technik sicherlich auch
seinen Anteil. Ich meine fast,
dass das Training geben zu
30-40 Prozent auch mein eigenes Spiel beeinflusst hat.
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Christian Reimering
Wenn man permanent mit Schülern zusammenarbeitet, reflektiert man automatisch, denkt viel
mehr über gewisse Dinge nach und setzt sie dann
auch in seinem eigenen Spiel um.“
Christian Reimering ist ja nun schon eine ganze
Weile Trainer. Schon über zwanzig Jahre, erfahre
ich. Angefangen hat es ein wenig per Zufall, denn
um 1990 suchte man im Pool-Billard Verband Mittelrhein einen Trainer für die Damen und Reimering sah sich dafür berufen. Nun musste er also
ran an das Trainingsthema, aber das war für ihn
kein Problem, „denn damit habe ich mich ohnehin dauernd beschäftigt. Auch wenn ich damals
nicht mal 20 Jahre alt war. Das war einfach mein
Ding.“
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I
Ich komme nochmals zum Thema Technik zurück, denn dazu will ich mehr
erfahren. „Tja, darüber könnte ich dir
abendfüllend erzählen“, schmunzelt er.
„Oder quasi in Buchform“, wird aus dem
Schmunzeln ein Lachen.
In Buchform, frage ich. „Ja“, sagt Christian, „dieser
Tage erscheint mein erstes Buch“ und plötzlich
erinnere ich mich, dass ich davon ja doch schon
mal gehört hatte. Aber ich als trainingsfaulster
Spieler habe das natürlich gleich wieder vergessen. Es könnte mich ja besser machen, mich mal
mit solch einem Buch zu beschäftigen…, lache
ich in mich hinein.
„Stimmt ja, habe ich gehört“, sage ich dann laut
und rette mich aus der Situation. Und Christian
legt derweil los wie die Feuerwehr und ist sofort
in seinem Element: „In meinem ersten Buch geht
es hauptsächlich um die Basis des Billardspiels.
Wie erlange ich die richtige Technik. Ich gehe
das Thema extrem ausführlich an – vermutlich
so ausführlich, wie es vorher noch niemand gemacht hat. Ein weiterer Aspekt ist die Wettkampfvorbereitung und –simulation. Es reicht nicht,
einfach unter der Woche das Queue zu schwingen und am Wochenende dann zu meinen, jetzt
Topleistung bringen zu können. Nein, ganz und
gar nicht. Man muss solche Situationen auch im
Training einstudieren. Das fängt schon bei der
„Das Bewusstsein
schaffen, was Training
im Allgemeinen
bedeutet“
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6: Ein Juxbild zur Hochzeit des Freundes Christian Maxeiner
7: Mit meiner Frau Sihame • 8: „Mein größter Stolz“, das Bonanzafahrrad bekam ich mit 6 Jahren“ • 9 Mit Tochter Leonie am See
Kleidung an, so komisch sich
das auch anhören mag. Aber
wenn du unter der Woche
mit Schlabberhose spielst
und am Wochenende dann
im feinen Zwirn mit Lackschuhen, dann ist das einfach was ganz anderes.“ Damit gebe ich ihm recht, gebe
aber zu bedenken, dass das
sicherlich nicht der ganze
Inhalt des Buches sein kann.
„Natürlich nicht! Du kennst
mich, Jochen. Das Buch basiert darauf, das Bewusstsein
zu schaffen, was Training
im Allgemeinen tatsächlich
bedeutet. Allein diese Denkweise ist ja noch gar nicht so
weit verbreitet wie in anderen Sportarten. Eigentlich
ist richtiges Training das
A und O, im Billard wissen
viele damit aber gar nichts
anzufangen. Darüber hinaus bekommen die Spieler
(Sportler) mit diesem Buch
ein Trainingskonzept an die
Hand, mit dem sie ihre Technik systematisch verbessern
bzw. stabilisieren können.“
Das klingt ja schon mal sehr
interessant, melde ich mich
zwischendurch zu Wort. Und
wie geht’s dann weiter, frage
ich. „Im kommenden Jahr
folgt das zweite Buch, welches sich um den Spielaufbau in allen Disziplinen
kümmert. Die in Buch 1 gelernte Technik versetzt den
Trainierenden in die Lage,
gewisse Spielsituationen nun
besser einzuschätzen und
umzusetzen. Das erhöht die
Spielintelligenz und macht
Billardmagazin touch
10: Mit meinen Kindern Leonie und Nathan • 11: Bin zwar
kein Karatetiger geworden, dafür aber ein ganz passabler
Billardspieler • 12: Einjährig im Jahr 1972
jeden Spieler langfristig besser. Dokumentation ist übrigens in
beiden Büchern ein wichtiges Thema. Ohne Dokumentation
kein Fortschritt.“
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Dann muss ich mich wohl doch mal mit Training beschäftigen, denke ich mir, denn Christian hat mich neugierig gemacht. Ich komme
zum nächsten Thema und will mehr wissen
über den Spieler Reimering. Früher sei es
ihm schwer gefallen, den Spieler Reimering
vom Trainer Reimering abzugrenzen. „Ich habe gespielt und
mich tatsächlich währenddessen damit beschäftigt, was denn
der Trainer Reimering dazu sagen würde, was ich da gerade
auf den Tisch zaubere. Das war eine harte Phase, die ich aber
glücklicherweise hinter mich gebracht habe. Heute kann ich
das gut trennen und wenn ich spiele, bin ich Spieler. Und anders herum.“
Erzähl uns ein wenig von Deiner Karriere, bitte ich ihn und
der German-Tour Gesamtranglistenerste 2014 startet mit Erzählungen aus seiner Kieler Zeit, die ihn auch deutschlandweit so richtig bekannt gemacht hat. „Ich war Geschäftsführer
des Rick’s Cafe in Kiel und spielte dort auch im Verein. Kein
Geringerer als Francisco Bustamante wollte mich damals daBillardmagazin touch
bei haben. Über seinen Manager Jonky Purwita,
einem in Deutschland studierten Indonesier und
Inhaber des Rick’s Cafe, kam ich nach Norddeutschland. Dort erhielt ich den Job und gemeinsam mit Bustamante, Alexander Dremsizis,
Monja Kielhorn und später Antonio Gabica war
ich Teil eines Teams, das mit dem heutigen Team
Kiste durchaus vergleichbar ist. Zur beruflichen
Absicherung war geplant, eine Rick’s Cafe-Kette
zu eröffnen und uns als jeweilige Geschäftsführer einzusetzen. Leider scheiterte dieser Plan und
zum anderen war ich damals, mittlerweile war es
1998, einfach noch nicht soweit, mich voll und
ganz der Thematik Geschäftsführer eines BillardBistros zu widmen. Ich wollte hinaus in die weite
Welt und trennte mich daher von dem Team“,
erzählt Christian sehr ausführlich und schiebt
sogleich hinterher: „Aber die Trennung verlief
einwandfrei und darauf habe ich auch großen
Wert gelegt. Wir sind im Guten auseinander gegangen.“
„Alexander Dremsizis wollte es ebenso wie ich
mal in den USA probieren und so machten wir
uns auf. Das war eine wirklich tolle Zeit und wir
waren ziemlich erfolgreich. Es gab damals so
etwas wie eine Tour und binnen kürzester Zeit
war ich Ranglistendritter“, erzählt Christian mit
leuchtenden Augen. „Doch leider endete das
Abenteuer recht abrupt. Alex hatte Heimweh
und alleine wollte ich nicht weitermachen. Dazu
fehlte mir der Mut. Aus heutiger Sicht sicherlich
ein Fehler. Ich hätte zu gerne gewusst, wie es
weitergegangen wäre. Ich denke, ich hätte mich
dort etabliert und eine andere Karriere eingeschlagen. Heute gibt es dahingehend mit Frau
und Kindern und dem gerade gemieteten Haus
kein Zurück mehr, der Zug ist abgefahren. Aber
natürlich hat mich das längere Zeit beschäftigt.“
Das kann ich nachvollziehen, denke ich mir. Aber
ich hake nochmal kurz nach und beziehe mich
in erster Linie auf das Wort Mut. „Mir erscheint
nicht, dass es Dir an Mut bzw. Selbstbewusstsein
mangelt“, lasse ich Christian wissen. Dieser lacht
verschmitzt, gibt aber zu bedenken, „dass das gewiss nicht immer so war. Früher hatte ich schon
auch Selbstzweifel und war sehr reserviert.“ Ich
kontere sofort, dass man ihm früher auch eine
gewisse Portion Arroganz sicherlich nicht absprechen konnte, doch Christian widerspricht
vehement: „Ja, das kenne ich. Ich kann die Leute
auch verstehen, aber es war einfach nur Unsicherheit. Nehmen wir als Beispiel das öffentliche
Reden, wie ich es jetzt bei Gruppentrainings Woche für Woche mache. So etwas konnte ich früher absolut nicht. Das musste ich erst lernen, das
kommt ja nicht von jetzt auf gleich. Ich musste
mir erst eine gewisse Bestätigung und damit ein15
Christian Reimering
hergehendes Selbstbewusstsein holen. Ich denke,
damit hat sich auch mein Erscheinungsbild in der
Öffentlichkeit gewandelt.“
So etwas mag ich, denke ich in mich hinein.
Wenn sich jemand reflektiert und seine Schlüsse
daraus zieht – das gefällt mir. Dennoch hätte ich
bei Christian niemals mangelndes Selbstbewusstsein vermutet, ist er doch einer der relevantesten
Spieler, die dieses Land je hervorgebracht hat.
A
Apropos, denke ich. „Warum
hast Du eigentlich so wenige internationale Einsätze im
Deutschland-Trikot“, frage ich.
Schließlich hat mein Gesprächspartner schon so ziemlich alles
gewonnen, was es national und international zu
gewinnen gibt. „Nun ja, ich stand in meinen jüngeren Jahren sehr häufig im Schatten von Ralf
Souquet, Oliver Ortmann und Thomas Engert. Da
war es sehr schwer, in diese Phalanx einzubrechen. Hinzu kam, dass ich nach einem Disput, bei
dem es um nicht gezahlte DM-Sportfördergelder
ging, nicht mehr an den nationalen Meisterschaften teilnahm. Das hat mich sicherlich viele
Hilfestellung beim Training
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internationale Einsätze und
mögliche EM-Medaillen gekostet, aber ich wollte doch
morgens viel lieber wieder
in den Spiegel schauen können. Wenn ich etwas mache,
dann mache ich es richtig.
Auch wenn es bedeutet, als
Spieler Verzicht zu üben.“
Ich will mehr wissen und
frage nach. Reimering ergänzt daraufhin: „Wir Spieler
waren uns seinerzeit nach
fehlender Auszahlung der
Sportfördergelder einig, fortan keine DM mehr zu spielen, doch im Folgejahr waren
sie alle wieder da. Rückwirkend betrachtet bin ich da
auch keinem böse, denn es
geht ja letztlich um nationale
und internationale Reputation und damit Sponsoren und
Preisgelder, - sprich um Existenzen. Ich habe mich eben
für einen anderen Weg entschieden und bin mir selbst
treu geblieben.“
Ob er diesen Möglichkeiten
nachtrauere, frage ich nach
und erhalte eine postwendende Antwort: „Wir alle
sind nicht fehlerfrei, nur
muss man sich ganz persönlich immer die Frage stellen, wie gehe ich damit um?
Und was ändere ich? Leider
musste ich in meiner Karriere so einige Rückschläge
13: Jomky
Purwita, der
damalige
Manager und
Mentor von
Bustamante
und mir
auf sportpolitischer Ebene
hinnehmen, ohne dass sie
wirklich begründet worden
sind. Da das nun aber schon
einige Jahre zurückliegt, ist
das für mich schon längst abgehakt und Geschichte.“
Wie genau sieht denn die
Zukunft aus, will ich wissen.
Wird man Christian Reimering nochmal bei einer DM
sehen? „Das ist derzeit nicht
geplant. Ich bekam zwar mal
eine Anfrage seitens des
Bundessportwartes Roland
Gruß und ich freute mich
auch über diese Mail, aber
letztlich ist die DM für mich
derzeit nicht mit einer DM
der Neunziger zu vergleichen.“
Warum, will ich wissen. „Tja,
Jochen, meinst Du, dass derzeit die besten Leute bei der
DM mitspielen?“ Natürlich
verneine ich, denn dazu gehören dann auch Namen wie
Souquet, Hohmann und wie
sie alle heißen. „Richtig“, sagt
Christian. „Derzeit ist alles
ein bisschen verwässert. Das
ist keine Kritik an den Spielern, die teilnehmen. Es spielen ja auch genug Leute mit,
die das Niveau absolut haben und völlig zu recht Deutscher Meister werden. Aber
im Großen und Ganzen fehlt
der Kick. Und bei mir würde
eine nationale Meisterschaft
auch anders aussehen!“
Wie genau, frage ich. „Auf
so eine Meisterschaft muss
man monatelang hin fiebern.
Es muss eine große Zusammenkunft sein. Ein Event.
Ein Happening. Unterteilt in
Amateur- und Profi-Events.
Wobei wir ja alle keine Profis sind, aber du weißt, was
ich meine. Ich wünsche mir
einfach eine Abgrenzung.
Eine Wertschätzung. In so
kurzen Sätzen, wie sie bei
der DM gespielt werden,
sind Überraschungen einfach vorprogrammiert. Die
Billardmagazin touch
Christian Reimering
Frage ist, ob das im Sinne des Erfinders ist. Von
daher ist auch die German Tour ein sehr guter
Ansatz, den tatsächlich besten Spieler zu ermitteln. Hier muss unbedingt weiter an einem Strang
gezogen werden, dann kann daraus eine richtig
gute Sache wachsen. Aber zurück zur DM: Vor
ein paar Jahren war ich mal wieder dabei und
spielte gegen Joshua Filler, der damals so um die
12 Jahre alt gewesen sein muss. Es kam mir vor,
als würde ich auf die Schlachtbank geführt. Eine
Vielzahl von Leuten wollte mich stürzen sehen,
sie wollten mich verlieren sehen. Gegen einen
zwölfjährigen! Bei einer Erwachsenen-DM! Dazu
sei gesagt, dass ich Joshua für den Mann der Zukunft halte. Also alles nichts gegen ihn. Aber tut
man einem 12-jährigen einen Gefallen mit solch
einem Einsatz? Und was ist mit Spielern wie Ortmann, Souquet, Reimering. Muss man sie dieser
Situation aussetzen? Ich denke, nein. Aber das ist
wie gesagt nur ein Punkt.“
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Ich hake kurz ein und gebe zu bedenken,
dass die Deutsche Billard-Union dahingehend reagiert hat und solch junge Spieler fortan nicht mehr mitspielen dürfen.
„Das ist gut“, sagt Christian und führt
weiter aus: „Respekt ist ein ganz großes
Thema. Anerkennung und Demut gegenüber
Spielern wie Ortmann, Souquet, Hohmann, Staab,
ich selbst – manchmal meine ich, dass uns davon ein bisschen wenig entgegengebracht wird.
Natürlich entscheiden sich dann auch manche
von uns gegen eine DM-Teilnahme. Wer möchte schon in solch kurzen Sätzen gegen einen
Spieler verlieren, den man ansonsten 364 Tage
im Jahr im Griff hat? Das bringt mich wieder zur
German Tour. Diese Rangliste würde noch mehr
an Wertigkeit gewinnen, wenn es gerechter zugehen würde. Ich verstehe, dass man im Moment
viel Wert auf Quantität legt, denn schließlich ist
Achim Gharbi (Touch-Herausgeber und Erfinder der German Tour, Anm. d. Red.) mit seinem
Team erst am Anfang. Aber auf Dauer muss das
in Qualität umgewandelt werden. Sprich, die Major-Turniere müssen höher bewertet werden oder
anders herum ausgedrückt, die Hausturniere
müssen herabgesetzt werden. Thomas Schlegemilch hat sich mit seinen guten Ergebnissen und
einer Vielzahl an kleineren Turnieren die derzeitige Ranglistenführung sicherlich verdient. Er ist
ein sehr guter Spieler, aber ist er auch der Beste?
Ich denke, er weiß das selbst gut einzuordnen.
Worauf ich abziele ist, dass die Punkteverteilung
und Wertigkeit diverser Turniere überdacht werden muss.“
Das hat Achim alles im Blick, versichere ich und
gebe nochmals zu bedenken, dass man bei der
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14: Eurotour in Antalia-Türkei 1999 mit Martin Poguntke, Harald
Stolka und Alexander Dremsizis • 15: 1994 wurden für die Eurotourspieler Autogrammkarten ausgestellt.
GT sicherlich noch viele
Dinge verbessern kann und
muss. Die Punktevergabe ist
ein Baustein, teile ich Christian mit.
Doch dieser möchte mir
noch ein paar Dinge mit auf
den Weg geben. Das Thema
ist ihm sehr wichtig. „Wir
wollen doch alle, dass wir
Stars im Pool-Billard haben.
So wie wir sie auch im Snooker mit der Main Tour haben. Bis Mitte der Neunziger
hatten wir sowas im PoolBillard in Deutschland auch.
Es nannte sich Elite-Liga. Da
spielten die Top 16 unter
sich. Da wollte jeder hin, da
wollte jeder dabei sein. Gegen die ganz Großen spielen!
Da müssen wir wieder hin.
Wir haben diese Starspieler
in Deutschland. Sogar unge-
wöhnlich viele. Aber letztlich
quälen sich diese auch nur
von Hausturnier zu Hausturnier.“
Und wie soll man das ändern, frage ich. „Ein Ansatz
ist sicherlich, die GT nur
noch im 8-Ball spielen zu
lassen. Dann hätten wir da
schon mal Einheitlichkeit
erzielt. Als zweites müssen
so etwas wie Image-Filme
her. Und Geschichten über
Spieler. Das wollen die Leute
lesen, Du erinnerst Dich an
unser Gespräch vor ein paar
Jahren?“, fragt er mich. Ja,
denke ich, das war der Auslöser, dass ich heute hier erst
sitze, schmunzle ich in mich
hinein.
„Gerne bringe ich an solcher
Stelle den Vergleich zum Skispringen. Nur die ganz hartBillardmagazin touch
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16: Eurotour-Finale 2008 in Paris gegen Tony Drago • 17: World Team Championships 2010 in Hannover 18: Sieg beim größten
8-Ball-Turnier in Deutschland 1997 in Köln im Finale gegen Francisco Bustamante. Dritte wurden Ralf Souquet und Rafael Martinez • 19:
EBP Tourstop 1999 in Nashville mit Alexander Dremsizis und Ralf Souquet 20: Showkampf mit Johnny Archer bei den Hangelar Open
gesottenen haben sich doch
dafür interessiert und dann
kam da plötzlich RTL um die
Ecke und hat den Sport erst
mal richtig vorgestellt. Warum ist das so schwer, was riskieren die Sportler und wie
zum Teufel wird man eigentlich Skispringer? Homestorys wurden gedreht, Material wurde vorgestellt, und so
weiter und so fort. Im Prinzip
ist es wie beim Pool-Billard.
Man kennt uns einfach nicht
und man müsste uns erst mal
richtig vorstellen“.
Wie soll das von statten gehen, frage ich. „In den Neunzigern gab es in Taiwan einen 24-Stunden TV-Kanal,
der nur Billard zeigte“, weiß
Christian. „In den ersten
Wochen liefen nur Dokumentationen über das Spiel.
Billardmagazin touch
Es wurde alles erklärt. Und
dann irgendwann fingen die
Übertragungen an und die
Leute haben sich dafür interessiert. Eben weil sie mitreden konnten.“
Interessanter Punkt, gebe
ich zu. Manchmal muss man
einfach mal drei Schritte zurück gehen, um fünf nach
vorne zu kommen. Und ein
anderer Blickwinkel tut hier
und da auch gut, teile ich
Christian mit. Nur die Umsetzung ist unfassbar schwer,
darüber sind wir uns einig.
Die finanziellen Mittel sind
einfach sehr begrenzt. Aber
die Idee ist gut und es lohnt
sich, noch ein zweites Mal
darüber nachzudenken.
Bei aller Kritik frage ich natürlich auch, wie denn sein
Verhältnis zur DBU momen-
tan sei. „Da habe ich gerade keinerlei Berührungspunkte. Wie gesagt, hatte ich mit Roland
Gruß mal Kontakt, aber ansonsten steht das bei
mir derzeit nicht so im Fokus. Nichtsdestotrotz
stehe ich mit Rat immer zur Seite, wenn man sich
für meine Meinung interessiert. Ganz im Gegenteil, wenn sich ein Kompetenzteam findet, in das
ich mich einfügen könnte, wäre ich auch bereit,
an gewissen Projekten mitzuarbeiten.“
U
Und was reizt Dich noch für die Zukunft, will ich zum Schluss wissen.
„Ich würde gerne mal einen Spieler
von der Pike auf an die Spitze heranführen. Derzeit trainiere ich mit
vielen Kindern und Jugendlichen und vielleicht
ist da jemand dabei. An so etwas hätte ich eine
Riesenfreude. Jemanden systematisch und mit
Spaß an der Sache an die deutsche oder gar europäische Spitze heranführen. Ich arbeite ohnehin
am liebsten mit Anfängern, Hobbyspielern und
Fortgeschrittenen, denn die sind am dankbarsten und wissen es zu schätzen, wenn ich mein
Wissen, welches ich mir über Jahrzehnte ange19
Titel-Story
von Jochen Maurer
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21: Mit Freunden in Spanien 2002 • 22: Mit Papa Hugo, leider
zu früh verstorben • 23: Sie steht noch immer hinter mir: Mama
Margot • 24: Mit meinen Freunden Sascha Trautmann und Günter
Brustkern in Neckarsulm 2014 •25: Im Stadion bei meiner großen
Leidenschaft Bayer Leverkusen.
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eignet habe, an sie weitergebe. Aber auch die
nationale Spitze interessiert mich. Natürlich habe
ich die Reputation und auch das Können, große
und erfolgreiche Spieler noch besser zu machen,
aber oftmals wird hier zu wenig Wille seitens der
Spieler gezeigt oder die Notwendigkeit nicht erkannt. Oder es fehlt schlicht die Zeit. Wie einst
bei Nicolas Ottermann, mit dem ich gemeinsam
an seiner Technik feilen wollte. Nico war absolut
gewillt, aber es fehlte schlicht die Zeit, denn wir
hätten uns ein paar Wochen einschließen müssen. Daher finde ich die Idee mit der Jugend toll
und wäre begeistert, einen jungen Mann oder ein
junges Mädchen zu formen und gemeinsam mit
ihm oder ihr erfolgreich sein.“
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Da wären wir also wieder beim
Thema Technik, denke ich in dem
Moment, als Christian von Nicolas
Ottermann erzählt. Sollte man denn
solch ungewöhnliche Techniken
überhaupt verändern, frage ich nach. Sind sie
denn nicht schon zu sehr in einem drin? „Solch
eine Änderung würde ich nur in Absprache und
mit dem Einverständnis des Spielers vornehmen“,
antwortet Christian. „Es gibt zahlreiche Spieler
mit einer ungewöhnlichen Technik, aber ihr
Stoß an sich ist kerzengerade. Manchmal denke
ich, was solche Leute zu leisten imstande wären,
wenn sie technisch perfekt wären. Nichtsdestotrotz kann man sich aber auch so bei ihnen eine
Menge abschauen. Wie spielen sie das Spiel, welche Wege gehen sie und warum. Es gibt so viel zu
lernen in diesem komplexen Spiel.“
Ich merke, er ist wieder in seinem Element, der
Trainer Reimering. Ich muss ihn ausbremsen und
außerdem ist auch das Fleisch, das er zwischenzeitlich auf den Grill geworfen hatte, fertig. Ich
habe nämlich langsam Hunger!
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Fotos: Billardmagazin
Touch, Matchroom
Sport, Privat
Billardmagazin touch