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Ausgabe 3/2015
»Think different«:
Wilson Benesch Square 1 + 5
LAUTSPRECHER
E
iner der größten Erfinder der High Fidelity war der 2011
verstorbene Amerikaner Edgar Villchur von Acoustic Research. Ihm verdanken wir die Lautsprecher-Box, den
»Acoustic Suspension Loudspeaker«, der ab 1954 die offenen Schallwände seiner Zeit in Rente schickte, ebenso wie den ersten Kalotten-Hochtöner, den »Direct Dome Radiator« von 1958. Für seine
Firma Acoustic Research, der Name war Programm, ersann Villchur obendrein noch das Prinzip des Subchassis-Plattenspielers,
welches über Thorens, Ariston und schließlich Linn den Weg
nach Großbritannien fand und dort so zahlreiche Nachahmer auf
den Plan rief, dass noch heute viele glauben, die Briten hätten das
Subchassis-Laufwerk erfunden. Gegenüber Craig Milnes, dem Inhaber von Wilson Benesch, nannte ich Edgar Villchur unlängst den
»Edison der Audio-Welt«, und das war sicher keine Übertreibung.
Ohne ihn gäbe es heute wohl kein High End, wie wir es kennen.
Auf seinen Schultern und jenen von Bill Hecht, dem Erfinder der
Gewebekalotte (seinen im Jahr 1967 patentierten »Soft Dome Tweeter« lizenzierten damals sogar Firmen wie Philips, Sony, Pioneer
und McIntosh), steht auch Wilson Benesch aus Sheffield.
Das Produkt, mit welchem für Milnes alles begann, war ein Plattenspieler inklusive Tonarm. Wilson Benesch setzte beim Subchassis selbst und dem Armrohr erstmals Kohlefaser-Werkstoffe ein,
was naheliegend war, schließlich lautet die Anforderung an beide
Werkstücke, dass sie zugleich möglichst leicht und steif sein sollten. 199o indes waren Carbonfasern noch ein höchst exotisches Material, sie wurden dennoch zum Wilson-Benesch-Markenzeichen.
Denn auch für ihren ersten Lautsprecher, die ACT One, setzten die
Engländer 1994 ebenfalls Kohlefasern für das sich elegant nach
hinten verjüngende Gehäuse ein. Bis auf Franco Serblins Guarneri
Homage gab es zu der Zeit fast ausschließlich eckige Kisten.
Ich hatte 1996 das Vergnügen, die ACT One zu testen, und der
Lautsprecher löste damals eine kleine Revolution aus. Nie zuvor
Test: Lautsprecher Wilson Benesch Square Series II 1 + 5
Alle Lautsprecher sind gleich? Nicht wirklich, aus
Sheffield kommen Exemplare, die mit dem HighEnd-Mainstream rein gar nichts zu tun haben.
war ein Zweieinhalbwege-System mit nur zwei 17erTiefmitteltönern ein ernsthafter Anwärter für den
höchsten Lautsprecher-Thron gewesen. Die ACT
One warf am Ende des Tests die Frage auf: »Darf ein
eher schlank klingender Lautsprecher dank eines
mitunter überragend sauberen Mittelhochtonbereichs oberste Referenz werden?« Er durfte, fortan
musste man Wilson Benesch auch als LautsprecherHersteller ernst nehmen.
Dieser Erfolg kam natürlich nicht von Ungefähr,
und er war auch zu einem wesentlichen Teil der
damals neuen Chassis-Generation von ScanSpeak
geschuldet. Dank deren Tiefmitteltöner mit dem
ebenso revolutionären wie kräftigen »Symmetrical
Drive«-Antrieb konnte die ACT One bezüglich der
Souveränität und den dynamischen Reserven auch
voluminöseren, mit mehr Membranfläche ausgestatteten Schallwandlern Paroli bieten. Und auch
die Gewebekalotte der 2905-Baureihe, heute ein
sich ungebrochener Beliebtheit erfreuender Klassiker, war damals ihrer Zeit voraus.
Wilson Benesch ruhte sich auf den Lorbeeren
nicht aus, sondern forschte weiter. Zuerst entwickelten die Briten ein neues Membranmaterial, das aus
vielen verflochtenen Polypropylenfäden besteht, die
unter hohen Temperaturen an der Oberfläche verschmolzen werden, im Kern aber ihre Struktur behalten. Anfangs verbaute ScanSpeak diese Membran für Wilson Benesch, der zweite Schritt war
dann der Aufbau einer eigenen Chassis-Produktion: Die Tactic-Treiber mit ihren aus dem Vollen gedrehten, strömungsoptimierten Körben und Neodymmagnetsystemen waren geboren.
Die Gretchenfrage ist nun: Warum hat sich ausgerechnet eine Hightech-Schmiede wie Wilson Benesch nicht für eine Carbon-Membran entschieden, warum kein Magnesium, keine Keramik, kein
Beryllium? Wenn eine Membran möglichst kolbenförmig schwingen soll, ist das Ideal doch dasselbe
wie beim Tonarmrohr oder dem Subchassis: Leicht
und steif soll sie sein. In dieser oft gehörten Gleichung fehlt Craig Milnes die dritte Größe: die in-
Think different
3/2015 hifi & records
LAUTSPRECHER
Labor-Report
F
ür die tonale Gesamtbalance ist bei der
Square 1 der richtige Abstand zur Rückwand im Hörraum wichtig. Ganz frei aufgestellt ist der Bass sehr schlank, direkt vor
der Rückwand wird der Bereich um 100 Hz
leicht überhöht – die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Der Frequenzgang ist etwas wellig, mit Betonungen bei 1 und 4
kHz, aber die Toleranzbandbreite ist mit
±3,75 dB auf Achse und ±3,0 dB unter 30º
(300 Hz - 10 kHz) auch nicht größer als bei
B&W nach deren Umstellung auf einfache
Filter. Das Impedanzminimum liegt bei völlig unkritischen 6,5 Ohm bei 224 Hertz. ■
Frequenzgang horizontal
Tonale Balance
0°/15°/30°
im Raum, auf Achse
blaue Kurve:
wandnahe Aufstellung
Messabstand 1,0 Meter, 1/1 Oktave
Impedanz Wilson Benesch Square 1
Minimum: 6,5 Ω @ 224 Hz
Wasserfall Wilson Benesch Square 1
hifi & records 3/2015
nere Dämpfung. Die hält er nach vielen
Versuchen bei Lautsprecher-Membranen
für unverzichtbar, und das aus guten
Gründen.
Bei einem hochsteifen Material ohne
eigene innere mechanische Dämpfung
wird diese Aufgabe im Bereich der so
wichtigen Mitten quasi an die Frequenzweiche delegiert, die diese Bedämpfung
elektrisch bewerkstelligen muss. Dafür
sind schmalbandige, auf die Resonanzspitzen präzise abgestimmte Notchfilter
notwendig und/oder hohe Flankensteilheiten, entsprechend komplex fallen
dann die Frequenzweichen aus. Und die
bedeuten nicht nur Aufwand.
Es wäre wohl eine Untertreibung zu sagen, dass Craig Milnes solche Filter nicht
mag, am liebsten würde er Frequenzwei-
chen ganz loswerden. Denn sind Filter
steiler als 6 dB pro Oktave, nehmen sie
Einfluss auf das Impulsverhalten (man
erinnere sich an die PCM/DSD-Diskussion). Das einzige Filter, das nicht »klingelt«, ist ein Filter erster Ordnung. Für
Craig Milnes heute die einzige Wahl (von
der ACT One bis zur Discovery war das
Hochtonfilter noch zweiter Ordnung),
dafür nimmt er einen weniger glatten
Frequenzgang in Kauf. Will man dem
Kalottenhochtöner allerdings unnötigen
Hub ersparen, der zu Intermodulationsverzerrungen führen würde, wird eine
hohe Übernahmefrequenz Pflicht. Wilson Benesch gibt hier für alle Modelle
eine Trennfrequenz von fünf Kilohertz
an, was einen sehr weiten Arbeitsbereich
für die Tactic-Tiefmitteltöner nach sich
zieht. Zumal es sich bei diesen ja
immer um 17-Zentimeter-Treiber
handelt und Milnes diese in seinen Entwürfen der letzten Jahre
– auch in den Squares – gänzlich
ohne Weiche direkt vom Endverstärker ansteuern lässt.
Ein weiteres Wilson-BeneschThema ist die Bassabstimmung.
Ich kenne niemanden, der so
rigoros wie Craig Milnes alles zu
vermeiden versucht, was die Tiefen aufdickt und damit die Mittenpräzision beeinträchtigt. Seine Lautsprecher gehen schlank
und straff vom tiefen Bass durch
den Grundtonbereich, untenrum
machen sie lieber etwas weniger,
eine Bassüberhöhung kommt für
ihn nicht in Frage.
2007 hat Wilson Benesch die
Square-Serie vorgestellt, diese
fünf Jahre später zur »Series II«
überarbeitet und sie 2013 um die
Square 5 ergänzt. Für die Gehäuse der Square-Modelle sind Kohlefaserwerkstoffe in der Kalkulation
nicht drin, aber an der Bestückung wurde nicht gespart: Tactic-Chassis der ersten Generation
und die erstklassige ScanSpeakGewebekalotte kann auch die
Square 1 vorweisen. War die in
der ersten Generation noch als geschlossene Box für die wandnahe Aufstellung
konzipiert, erhielt sie in der Series II eine
Bassreflexunterstützung, die in den Boden des 10-Liter-Gehäuses eingelassen ist.
Die Squares sind perfekt verarbeitet,
die lackierten Oberflächen glänzen makellos. Im Innern sorgen Dämpfungselemente an den Seitenwangen für Ruhe
(im Schnittmuster der Square 5 gut zu
erkennen, ebenso die Verstrebungen), in
der von Wilson Benesch als kritisch angesehenen Rückwand erfüllt eine Passivmembran eine vergleichbare Aufgabe
(sie dient weniger dazu, den Bassbereich
auszuweiten). Mit ihrem Standfuß wird
die Square 1 fest verschraubt, die Edelstahl-Spikes sind von ebenso erlesener
Qualität wie die selbstgefertigten KupferAnschlussklemmen mit Rhodium-Überzug. Erstklassige Bi-Wiring-Kabelbrücken
gehören zum Lieferumfang.
Die Square 5 ist eine echte Understatement-Box, auf den ersten Blick glaubt
man, eine schlanke D’Appolito-Säule vor
sich zu haben. De facto handelt es sich
bei ihr aber um ein Vierwegesystem mit
einem in den massiven Metallfuß eingelassenen Isobarik-Bass, der bis 500 Hertz
läuft und ebenso wie der Hochtöner über
ein 6dB-Filter abgekoppelt wird. Die beiden (nicht identischen) Mitteltöner hingegen laufen frei, ohne Weiche. Die obere »Upper mid«-Sektion arbeitet auf ein
geschlossenes Volumen mit rückwärtiger
Passivmembran, die untere »Lower mid«Sektion ist dagegen Bassreflex-unterstützt.
Da die Square 1 exakt die Bestückung
der Arc (Heft 1/2003) geerbt hat, sind
klangliche Parallelen vorprogrammiert.
Auch die Square 1 hat etwas Unmittelbares, Hautnahes, das man ihr nicht ansieht und zuerst wohl auch nicht zutraut,
aber damit weckt sie die Aufmerksamkeit des Hörers. Sie lädt nicht nur zum
Zuhören ein, sie fordert dazu auf. Mit ihr
Der Isobarik-Doppelbass der Square 5
ist in den Fuß eingelassen. Linke Seite:
Das Schnittmodell zeigt den komplexen
Vierwege-Aufbau der Square 5.
3/2015 hifi & records
LAUTSPRECHER
Labor-Report
D
ie Abstimmung der Square 5 erinnert
mit ihrem 1kHz-Anstieg an die Orator, sie ist mit ± 2,7 dB auf Achse (300 Hz
bis 10 kHz) aber insgesamt etwas linearer
als die kleinere Schwester Square 1. Auch
die Square 5 lässt sich über den Abstand
zur Rückwand fein ausbalancieren, im
Messraum stellte sich mit 45 Zentimeter
Abstand eine ausgewogene Balance ein.
Die Impedanz des Isobarik-Basses sinkt bis
20 Hertz ab, das Minimum beträgt dann
2,7 Ohm. Die gemittelte Empfindlichkeit
liegt selbst unter 30 Grad noch bei 90 dB
■
(2,83 V / 1m, 500 - 5.000 Hz).
Frequenzgang horizontal
Tonale Balance
0°/15°/30°
im Raum, auf Achse
blaue Kurve:
45 cm vor Rückwand
Messabstand 1,0 Meter, 1/1 Oktave
Impedanz Wilson Benesch Square 5
Minimum: 2,7 Ω @ 20 Hz
Wasserfall Wilson Benesch Square 5
können Sie Townes van Zandt oder anderen guten Liedermachern an den Lippen hängen. Klar hört man die Betonungen im Frequenzschrieb als präsente
Note, die wird dem Opern-Liebhaber
eher auffallen als dem Jazz-Fan. Wen das
stört, sollte die Square 1 nicht einwinkeln,
unter dreißig Grad, also im klassischen
Stereo-Dreieck, ist sie am ausgewogensten. Apropos Jazz-Fans, die werden die
feindynamische Lockerheit der Square 1
über alles schätzen, da bin ich mir sicher.
Die Square 5 nutzt ihren Isobarik-Doppelpack nicht einfach, um »mehr« Bass
zu machen, sie geht eindeutig tiefer runter als die Square 1, bleibt dabei präzise
und vor allen Dingen agil. Wer »BummBumm«-Boxen satt hat, für den ist die
Square 5 das richtige Heilmittel, zumal
das Klangbild der Standbox von anderer
Statur als das des Kompakt-Monitors ist.
Aber bereits die Square 1 kann aufzeigen,
worum es bei der Wilson-Benesch-Philosophie geht. Sie bekommt von mir einen
Sympathie-Bonus, ich habe auch der Versuchung widerstanden, sie direkt vor die
Wand zu stellen und lieber auf ein biss-
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chen Bass verzichtet. Die Square klingt
dann schlank, aber nicht dünn. Und ich
schätze die Spontaneität, mit der die kleine Wilson Benesch anspricht. Addieren
Sie hierzu die klangliche Reinheit und
das Resultat ist ein Maß an »Innenspannung« und »Tonsubstanz«, das nur wenige Schallwandler, völlig unabhängig vom
Preis, an den Tag legen können. Und die
Squares »wachsen« klanglich mit besserer Verstärkerelektronik. Ein guter Vollverstärker als Partner ist okay, aber es
darf gerne auch große Class-A-Elektronik wie die Pass XA 60.8 sein.
Fazit
Aus der Gruppe der
puristisch konzipierten Lautsprecher mit
minimalistischen Weichen ragen die von
Wilson Benesch für mich seit Jahren heraus. Sie sind konsequent bis ins letzte Detail gemacht, erstklassig verarbeitet und
auch die Bestückung der Square-Serie
mit Tactic/ScanSpeak-Chassis zeigt, dass
die Einsteigerreihe der Briten keine Sparmodelle sind, sondern den Namen Wilson
Benesch zu Recht tragen. Wilfried Kress ■
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