24.09.2015 Vortragswerkstatt: Schule - mehr als Kompetenzvermittlung. Pädagogische Hochschule Luzern: 23. September 2015 „Schule bedeutet mir die Freundschaft“ – eine kindzentrierte Perspektive auf Schule und Quartier Prof. Dr. Christian Reutlinger Rico, Oskar und ihre Abenteuer 2 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 1 24.09.2015 Wie erschliessen sich Heranwachsende die Welt? Und wie gelingt es aus sozialgeographischer Perspektive, die damit verbundenen Aneignungsprozesse zu beschreiben? 3 Inhalt 1. Vorbemerkung: Entscheidend ist der BetrachterInnen-Standpunkt 2. Der Aneignungsbegriff und die Sozialgeographien des Alltags 3. DoRe-Forschungsprojekt „Sozialraum Schule“ a Fachliche Kontextualisierung, theoretischer Hintergrund, örtliche Kontextualisierung der Studie b Ausführungen zum Vorgehen/zur methodischen Anlage c Präsentation zentraler Ergebnisse d Abschliessende Überlegung 4. Schlussfolgerung – Diskussion 4 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 2 24.09.2015 1. Vorbemerkung: Entscheidend ist der BetrachterInnen-Standpunkt 5 Wie wird Raum durch unterschiedlich Handelnde im alltäglichen Handeln hergestellt oder (re)produziert? Relationale Raumvorstellung: Raum als „Ergebnis und Mittel von handlungsspezifischen Konstitutionsprozessen“ (Werlen und Reutlinger 2005, S. 49) 6 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 3 24.09.2015 2. Der Aneignungsbegriff und die Sozialgeographien des Alltags 7 Gemeinsamer Bedeutungskern des Aneignungsbegriffs: - In-der-Welt-Stehen - In-die-Welt-Kommen - als „tätige Menschen“ ABER unterschiedlich Beantwortung der Grundfrage nach dem Verhältnis von Mensch und Welt: - als einseitiger „Einschreibungsprozess“: • Verständnis 1: Wechsel eines Besitzers materieller oder symbolischer Güter. Pädagogik als „Instruktions- oder Vermittlungspädagogik“ • Verständnis 2: „sich die Welt verfügbar machen“ 8 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 4 24.09.2015 als wechselseitiger Vermittlungsprozess: Mensch wird Teil der Welt, gleichzeitig wird die Welt Teil des Menschen beide verändern sich, aber Welt wird nicht neu erfunden, Aneignungshandeln wird geleitet durch das Vorgefundene (Strukturen, Muster, Regeln) Kinder und Jugendliche bilden eigene Subjektivität in Auseinandersetzung mit Welt aus, schreiben sich aber gleichzeitig durch ihre Aneignungsleistungen in die Welt ein und gestalten sie dadurch mit 9 - Ziel pädagogischen Handelns: Aneignung ermöglichen und unterstützen durch Zugänglich-Machen vorhandener Vergegenständlichungen (über Erklärung oder gemeinsames Tun) Ermöglichen eigenständiger Auseinandersetzung mit Vorgefundenem Produktion neuer Vergegenständlichungen Aufzeigen von Aneignungsprozessen anderer Menschen, die auf diese Vergegenständlichungen reagieren - Aufdecken von Aneignungstätigkeiten => alltägliche Sozialgeographien 10 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 5 24.09.2015 3. DoRe-Forschungsprojekt „Sozialraum Schule“ a Fachliche Kontextualisierung, theoretischer Hintergrund, örtliche Kontextualisierung der Studie b Ausführungen zum Vorgehen/methodischen Anlage c Präsentation zentraler Ergebnisse d Abschliessende Überlegung 11 12 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 6 24.09.2015 a) Fachliche Kontextualisierung: Ausgangslage Schule als Abbild des Quartiers und damit als Teil des Problems - „Alle Defizite und Probleme der sozialen Strukturen des Stadtteils spiegeln sich im Kindergarten und in der Schule wider“ (Gerhard und Fennekohl 2000, S. 277) - Sag mir wo du wohnst und ich sag Dir, wer Du bist und was aus Dir wird Familien, die es ökonomisch vermögen, ziehen weg von problembelasteten Quartieren Konzentration von Problemfaktoren im Quartier und in der Schule 13 Schule wird gleichzeitig integrierende Instanz und zentrale lokale Akteurin gesehen in Quartieren, die „gegenüber der Gesamtstadt überdurchschnittliche Problemdichte“ aufweisen (Becker 2003, S. 72) Schule soll sich zum Stadtteil hin öffnen und mit anderen Einrichtungen (wie bspw. aus der Kinder- und Jugendhilfe) zusammenarbeiten Über die Einbindung von Schule sollen Quartiersentwicklungsprozesse vorangetrieben werden Unklar: Schule = Teil eines Bildungssystems, konkreter Ort, Haus in einem lokalen Kontext? http://nena1.ch/dateien/Quartier_1024.gif 14 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 7 24.09.2015 a) Theoretischer Hintergrund Schule als Sozialraum Strukturen (z.B. Regeln, Ausrichtung, Konzeption) Sozialraum Schule Ort (Schulhaus, ‐gelände) Menschen (Freunde, Lehrer, Kinder, Eltern, Erwachsene) 15 16 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 8 24.09.2015 a) Örtliche Kontextualisierung Die zwei einwohnerstärksten Quartiere der Stadt: Stadtteil A und Stadtteil B 17 b) Methodisches Vorgehen • Pro Schulhaus eine 3. und eine 6. Klasse • Subjektive Landkarten: o Orte auf ein Blatt Papier zeichnen, an denen sie sich aufhalten, die ihnen wichtig sind. o dazu schreiben, was sie dort machen und mit wem sie sich dort treffen. o Orte benennen, die sie meiden. o Wohnort und Lieblingsort auf Quartierkarte markieren • Aufsatz zu Schule als Lern- und Freizeitort 18 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 9 24.09.2015 c) Zentrale Ergebnisse Schule spielt in den subjektiven Landkarten eine untergeordnete Rolle: sie wird eher am Rand oder gar nicht erwähnt 19 Schulhaus A Schulhaus B • Schule ist nicht explizit wichtig. • Schule stellt wichtiges Thema dar. • Kritische Auseinandersetzung mit Schule. • Schule funktioniert. • Schule funktioniert eingeschränkt bezogen auf die Ansprüche der SchülerInnen. 20 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 10 24.09.2015 Schule… 1) hat einen interaktiven Aspekt, 2) ist Ort des Lernens, 3) ist Freizeitort (Lebens-), 4) ist Ort für Hausaufgaben 5) erzeugt Abwehr und Distanz. 21 Freundschaften… • Werden oft in Schulklasse geschlossen werden, • tragen mit dazu bei, dass sich Kinder in der Freizeit öffentlichen Raum aneignen (im Quartier beim Besuch bestimmter Orte, Streifzüge durch Quartier und Innenstadt, gemeinsames Shopping in der Innenstadt oder in Einkaufszentren) • Nachbarschaftliche Peer-Beziehungen werden also durch schulische ergänzt FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 11 24.09.2015 Stadtteil A: Stadtteil B: • hohes Anregungspotenzial • geringes Anregungspotenzial im Quartier • Schulhaus sticht nicht im Quartier • Schulhaus als Kontrast besonders hervor. • Schule ist aber auch kein • Schule erzeugt trotzdem eher Vermeidungsort. Abwehr und Distanz • Kinder nutzen viele • Kinder orientieren sich Angebote in „ihrem“ häufiger und früher in andere Quartier. Stadtteile und ins Stadtzentrum. 23 Erste These Zentrale Wirkung von Schule auf den Alltag zeigt sich durch die Interaktionen der Schülerinnen und Schüler in ihrer Klasse. Die Interaktionsqualität trägt zur Aneignung des ausserschulischen Raums bei. Nachbarschaftliche Peer-Beziehungen werden durch schulische ergänzt und begünstigen die Erweiterung der Aufenthaltsorte und Streifräume in der Freizeit. 24 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 12 24.09.2015 Schule als Ermöglichungsraum • Lernen ist auf Zukunft gerichtet • Raum für Erfahrung von Gemeinschaft beim Lernen und /oder Spielen • Interaktionaler Aspekt wie schon in den subjektiven Landkarten Schule als pädagogischer Raum • Ermöglichung durch Struktur der Schulorganisation • Abstrakte Autorität garantiert den guten Ablauf von Lernen und Spielen • Lehrperson (als konkrete Autorität) ist verantwortlich für das Funktionieren FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 13 24.09.2015 Divergenzen Schulhaus A: Schule und Freizeit haben anscheinend nichts miteinander zu tun. Homogene Eintracht der SchülerInnen. Schulhaus B Heterogene Erwartungen der SchülerInnen. Drei Muster: • Schule und Freizeit getrennte Welten. • Schule als Lebensort, als Bindeglied zwischen Unterricht und Freizeit. • Schule und Unterricht nehmen zu viel Raum ein. Zweite These Das Schulhaus A funktioniert als geschlossenes System, ausserhalb dessen Schule keine Rolle und innerhalb dessen der Alltag keine Rolle spielt. Zwei Welten ohne Verbindung und Auseinandersetzung. Im Schulhaus B werden die Grenzen zum Alltag und zum Quartier hin durchlässig, es findet Auseinandersetzung statt und von der Schule wird eine gegenwartsorientierte, lebensgestaltende Funktion eingefordert. 28 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 14 24.09.2015 d) Abschliessende Überlegung Sind die Anforderungen, die Kinder ausserhalb der Schule erfahren hoch, steigen auch die Anforderungen der Kinder an Lernen in der Schule. Erfahren die Kinder ausserhalb der Schule geringe Anforderungen in ihrem Alltag, sind auch ihre Anforderungen an Lernen in der Schule geringer. 29 Literaturverzeichnis Becker, Heidede (2003): "Besonderer Entwicklungsbedarf" - die Programmgebiete der Sozialen Stadt. In: Deutsches Institut für Urbanistik (Hg.): Strategien für die Soziale Stadt. Deutsches Institut für Urbanistik, S. 56–73, zuletzt geprüft am 04.04.2011. Chombart de Lauwe, Paul-Henry (1977): Aneignung, Eigentum, Enteignung. Sozialpsychologie der Raumaneignung und Prozesse gesellschaftlicher Veränderung. In: ARCH + (34), S. 2–6. Gerhard, Rainer; Fennekohl, Etta (2000): Gemeinschaftsgrundschule Roncallistrasse – Stadtteilkonferenz. Ein Stadtteil hilft seinen Kindern. In: René Bendit, Wolfgang Erler, Sima Nieborg und Heiner Schäfer (Hg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien der Prävention und Intervention in Deutschland und den Niederlanden. Opladen: Leske + Budrich, S. 277–281. Kaptelinin, Victor (1996): Activity Theory: Implicatins for Human-Computer Interaction. In: Bonnie A. Nardi (Hg.): Context and consciousness. Activity theory and human-computer interaction. Cambridge, Mass: MIT Press, S. 103–116. Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1506). Steinhöfel, Andreas (2008): Rico, Oskar und die Tieferschatten. Unter Mitarbeit von Peter Schössow. Hamburg: Carlsen. Steinhöfel, Andreas (2013): Rico, Oskar und das Herzgebreche. Unter Mitarbeit von Peter Schössow. Hamburg: Carlsen (Carlsen, 1233). Werlen, Benno; Reutlinger, Christian (2005): Sozialgeographie. In: Christian Reutlinger, Fabian Kessl, Susanne Maurer und Oliver Frey (Hg.): Handbuch Sozialraum. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 49–66. 30 FHS St.Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften | Organisationseinheit | Autor: 15
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