Geschichte: Flucht_Vertreibung_nach 1945_heute

Fach: Geschichte
Datum:
Flucht und Vertreibung in Deutschland nach 1945:
Millionen Menschen müssen eine neue Heimat finden
Liebe Schülerinnen und Schüler,
das Thema „Flucht und Vertreibung“ hat es in der Geschichte der Deutschen schon öfter gegeben.
Wenn wir beispielsweise die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick nehmen, gibt es eine
Zeit der Flucht und Vertreibung in Deutschland, in der Millionen Menschen eine neue Heimat
finden mussten.
Während des Zweiten Weltkrieges verloren Millionen ihre Heimat. Das Ende des Krieges im Mai 1945
bedeutete zwar Waffenstillstand, aber trotzdem war für Millionen Europäer die Zeit der Not und der
Gefahr noch nicht vorbei.
Viele Menschen aus Ostpreußen, Ostpommern und Schlesien waren 1944/1945 vor der anrückenden
russischen sowjetischen Armee auf der Flucht. Es war tiefster Winter. Die meisten Flüchtlinge waren
Frauen, Kinder und alte Männer. Sie flohen zu Fuß, transportierten ihr Hab und Gut in Bollerwagen,
flohen auf Planwagen oder mit Fahrrädern. Mindestens eine halbe Million Menschen überlebte die
Flucht nicht.
M. Michalski floh am 19. Januar 1945 als fast elfjähriger Junge von Nieder Ellguth im Kreis
Kreuzburg, ein Ort im heutigen Polen. Er war Flüchtling und erinnert sich daran, wie er die „Flucht“
erlebt hat und als Flüchtling aufgenommen wurde:
„[…] Wir waren in einer Schule. Oben im Fenster waren Jungs aus der HJ (Hitler Jugend). Sie spuckten
uns von oben auf die „Köppe“ und schrien: ‚Da kommen die Flüchtlinge, die Schweine.‘ […] Warum,
weiß ich nicht. […]
Mal wurde man gut aufgenommen, mal schlecht. […]
In Oberfranken waren wir wieder in einer Schule und da kamen dann Leute aus umliegenden
Ortschaften und haben uns zu sich nach Hause geholt, vor allem uns Kinder. Da habe ich eigentlich
gute Erfahrungen gemacht. Das war eine Familie, der Vater war Schneidermeister. Wir bekamen da
zu essen, wir wurden verpflegt. […]
Auf der Flucht selbst sind kleine Kinder erfroren, die wurden dann in den Schnee gelegt, […].über
Manches sprech‘ ich nicht so gerne. Von der Familie wurden wir getrennt. Meine Mutter habe ich
später wiedergetroffen. […]
Es gibt überall gute und schlechte Menschen, Egoisten, die immer nur für sich was haben wollen und
sagen, ich geb‘ nichts ab. Also, das begegnet dir überall. Und das ist uns auch begegnet. Ich kann jetzt
nicht sagen, ich wurde nur schlecht aufgenommen, aber überwiegend wurden wir als Flüchtlinge
schief angeguckt. Wir waren ja arm, wir hatten nichts. Wenn wir hinkamen, dann wollten wir etwas –
entweder was zu Essen oder Unterkunft oder sonst irgendwas. Und Menschen, die etwas wollen und
keine Gegenleistung bringen, sind schlecht angesehen.
Wir hätten ja eben mit arbeiten können, nun war das aber im Winter. Später dann bei den Polen, bin
ich von Tür zu Tür gelaufen, da hab ich bei den armen Leuten überall was bekommen – und wenn’s
bloß ein Reibekuchen war. […]
Zeitzeugenbericht und Aufgaben© Stefanie Esser, Erzbistum Köln
Fach: Geschichte
Datum:
Heute geht es ja auch wieder um Flüchtlinge. Ich war Flüchtling im eigenen Land und konnte die
Sprache und konnte alles verstehen, ob ich jetzt in Bayern war oder sonst irgendwo und da war es
schon schwer. Heute kommst du als Flüchtling in ein Land, du kannst die Sprache nicht, du hast eine
andere Kultur, einen anderen Glauben und, und, und …
Ich war als Flüchtling im eigenen Land nicht überall gern gesehen. Verständlich – als Flüchtling
wurdest du vor allem bei reichen Bauern zwangszugewiesen. [….] Das ist dann immer eine
Behinderung für denjenigen, dem das [Eigentum] gehört. […]
Das kannst du mit der Situation heute nicht immer vergleichen. […]“
Aufgaben:
1) M. Michalski erzählt aus seiner Kindheit, wie er die Zeit als Flüchtling erlebt hat. Er berichtet,
dass es nicht einfach war, ein „Flüchtling“ zu sein. Welche Dinge, die es den neu angekommenen Menschen erschwerten, in der „neuen Heimat“ dazuzugehören nennt M. Michalski?
Benenne weitere mögliche Aspekte.
2) Warum verlassen Menschen heute ihr Heimatland? Sammelt/Recherchiert nach möglichen
Gründen. Welchen Gefahren waren/sind Menschen auf der Flucht damals/heute ausgesetzt?
Erstellt eine Tabelle mit Informationen zur Flucht 1945 und zur Flucht heute.
3) M. Michalski sagt: „Heute kommst du als Flüchtling in ein Land, du kannst die Sprache nicht,
du hast eine andere Kultur, einen anderen Glauben und, und, und […]. Das kannst du mit der
heutigen Situation nicht immer vergleichen […].“
Überlege, vor welchen Schwierigkeiten Flüchtlinge heute auch noch stehen, die ohne Heimat
sind und hier in Europa/in Deutschland ankommen. Was ist heute vielleicht anders als
damals?
4) Erkläre M. Michalskis Aussage: „Ich war als Flüchtling im eigenen Land nicht überall gern
gesehen. Verständlich – als Flüchtling wurdest du vor allem bei reichen Bauern
zwangszugewiesen. [….] Das ist dann immer eine Behinderung für denjenigen, dem das
[Eigentum] gehört. […]“
Zeitzeugenbericht und Aufgaben© Stefanie Esser, Erzbistum Köln
Fach: Geschichte
Datum:
5) Entwerft ein Interview zum Thema „Flucht“. Was würdet ihr jemanden fragen, der geflüchtet
ist? Notiert eure Fragen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten an Interviews:
a. Interviewt eine Zeitzeugin/einen Zeitzeugen, die/der Flucht 1944/45 selbst miterlebt
hat.
b. Interviewt eine Zeitzeugin/einen Zeitzeugen, die/der damals aus der DDR geflohen
ist.
c. Interviewt einen Flüchtling, der vor kurzem geflüchtet ist und hier in
Deutschland/Europa eine neue Heimat gefunden hat.
d. Interviewt eine Person, die damals oder heute Flüchtlinge aufgenommen hat.
6) Wertet eure Interviews aus. Stellt dazu wichtige Schlüsselwörter auf Karteikarten zusammen
und erklärt diese. Auf diese Weise informiert ihr, wie die betroffenen Menschen „Flucht“
damals oder heute erlebt haben.
7) Überlegt, wie ihr vor Ort (in der Schule/in der Jugendgruppe in eurem Ort etc.) eine
„Willkommenskultur“ für Flüchtlinge schaffen könnt. Recherchiert dazu auch unter:
http://www.aktion-neue-nachbarn.de/
8) Stellt eure Interviews und die gesammelten Informationen zusammen und organisiert eine
Ausstellung zum Thema „Flucht – damals und heute“ an eurer Schule. Informiert
Mitschüler/innen, Lehrer/innen und Eltern.
Hinweise für Lehrerinnen und Lehrer:
Kernlehrplan des Gymnasiums (G8) in NRW, Geschichte:
Allgemeine Kompetenzerwartungen in den Jahrgangsstufen 7-10, Sachkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler
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beschreiben Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart unter dem Aspekt der
Gemeinsamkeiten, aber auch dem der historischen Differenz.
wenden grundlegende historische Fachbegriffe sachgerecht an.
wissen, dass es sich bei der Darstellung von Geschichte um eine Deutung handelt.
entwickeln Deutungen auf der Basis von Quellen und wechseln die Perspektive, sodass diese
Deutungen auch den zeitgenössischen Hintergrund und die Sichtweisen anderer adäquat
erfassen.
Zeitzeugenbericht und Aufgaben© Stefanie Esser, Erzbistum Köln
Fach: Geschichte
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Datum:
analysieren in ersten Ansätzen historische Darstellungen und historisch begründete
Orientierungsangebote.
Kernlehrplan der Realschule in NRW, Geschichte:
Allgemeine Kompetenzerwartungen in den Jahrgangsstufen 7-10, Sachkompetenz
Die Schülerinnen und Schüler
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beschreiben Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart unter den
Aspekten der Gemeinsamkeit sowie der historischen Differenz (SK 5).
identifizieren und unterscheiden unterschiedliche Formen der Überlieferung (u.a.
historische Dokumente und Medien) sowie Spuren der Vergangenheit (u.a. kulturelle
Errungenschaften) in der Gegenwart und ordnen deren Aussagegehalt ein (SK 6).
unterscheiden zwischen Begründung und Behauptung, Ursache und Wirkung,
Voraussetzung und Folge sowie Wirklichkeit und Vorstellung (SK 7).
erläutern den Deutungscharakter von Geschichtsdarstellungen und dekonstruieren
Deutungen von Geschichte (SK 8).
Zeitzeugenbericht und Aufgaben© Stefanie Esser, Erzbistum Köln