FLÜCHTLINGS-FILMSCHAU LAND IN SICHT TRIBUTE LAURA

SICHT
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ROGRA
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DEZ 2
CITIZENFOUR
EVERYDAY REBELLION
LETTERS FROM AL YARMOUK
TINTENKILLER
INHALT
03
EDITORIAL
KINO.MAGAZIN
06
12
17
18
20
22
24
28
30
34
IDENTITÄTEN AM PRÜFSTANDS | GUNNAR LANDSGESELL
ES GEHT UM EMOTIONALE EHRLICHKEIT DIE RIAHI BROTHERS IM GESPRÄCH | DORIS KITTLER
FLÜCHTLINGE FILMEN ZUR FILMREIHE LAND IN SICHT | DORIS KITTLER
’
PORTRÄT GORAN REBIC | SILVIA BREUSS, DUŠKO DIMITROVSKI
FILM NOIR RELOADED EXIL – PSYCHOANALYSE | FRANK STERN, CHRISTINA WIEDER
LA PASADA – DIE ÜBERFAHRT EINE KINOBÜHNENSCHAU
LAURA POITRAS’ FILMISCHE AUFKLÄRUNGSARBEIT | GUNNAR LANDSGESELL
FILM NOIR RELOADED MIGRATION UND RASSISMUS | KLAUS DAVIDOWICZ, FRANK STERN
KINDER DER WELT EIN FILMISCHES VERMÄCHTNIS | URSULA WOLTE
KINO DER REGIONEN KINO IM MITTELAMERIKANISCHEN RAUM | CHRISTINE BEDOYA, ANICO HERBST
KINO.PROGRAMM
40
60
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65
66
67
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80
LAND IN SICHT FLUCHT. KINO, DAS BEWEGT
DAS MUSEUM GEHT INS KINO
WERNER NEKES RETROSPEKTIVE
CINEMA SESSIONS
RÜDIGER SAFRANSKI
FILM NOIR
RETROSPEKTIVE LAURA POITRAS
PREMIERE VARVILLA
FILM + POLITIK THE PRICE WE PAY
30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
FILM.EXIL.SHANGHAI SYMPOSIUM + FILMGALA
MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
86
87
AKTUELLES
FILMARCHIV AUSTRIA CLUB
PROGRAMMÜBERSICHT
MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Filmarchiv Austria, Obere Augartenstraße 1, 1020 Wien REDAKTION Larissa Bainschab, Silvia Breuss, Ernst Kieninger,
Tomáš Mikeska BILDREDAKTION Aldijana Bečirovič BILDBEARBEITUNG Martin Benner TEXTE Christine Bedoya, Enrico Bedoya, Silvia Breuss, Klaus Davidowicz,
Duško Dimitrovski, Anico Herbst, Ernst Kieninger, Doris Kittler, Gunnar Landsgesell, Tomáš Mikeska, Frank Stern, Christina Wieder, Isabel Wolte KURATORIN
LAND IN SICHT Doris Kittler KURATOR FILM NOIR RELOADED Frank Stern KURATORIN RETROSPEKTIVE WERNER NEKES Ursula Richert KOPIEN­
BESCHAFFUNG Raimund Fritz LEKTORAT Silvia Breuss, Raimund Fritz, Doris Kieninger, Peter Spiegel COVERFOTO Filmaufnahme von Lisa Köppl und Wolfgang
Weber GRAFIK Peter Chalupnik, Martin Benner; Perndl+Co DRUCK Wograndl, Mattersburg ADRESSE KINO, Programmzeitschrift des Filmarchiv Austria, Obere
Augartenstraße 1, 1020 Wien, Tel: 01 216 13 00, [email protected], www.filmarchiv.at DANK Arsenal-Filmverleih, Tübingen (Harald Baur) | ASIFA (Stefan
Stratil) | Basis-Filmverleih, Berlin (Miriam Jost) | Gabriella Bier, Stockholm | British Film Institute, London (Fleur Buckley) | Cat‘ & docs, Paris (Maelle Guenegues) | The
Danish Film Institute, Kopenhagen (Marianne Jerris) | Helmut Dworan, Strasshof | EZEF, Stuttgart (Bettina Kocher) | Sara Fattahi, Beirut | David Fedele | Film­
delights, Wien (Christa Auderlitzky) | Filmladen, Wien (Maria Aigelsreiter, Doris Sumereder) | Österreichisches Filmmuseum (Roland Fischer-Briand) | Golden Girls
Filmproduktion, Wien (Agnes Jünemann) | Nasri Hajjaj, Wien | Hollywood Classics, London (Albina Terentjeva) | Jüdisches Filmfestival Wien (Sarah Stroß) | Doris
Kittler | Lisbeth Kovacic | Literaturmuseum Wien | Lotus-Film, Wien | Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Gudrun Weiß) | ORF | Papaya Media Association
(Enrico Bedoya) | Park Circus, Glasgow (Mark Truesdale) | Playground Produkcija (Sarita Matijevic) | Polyfilm Filmverleih, Wien (Stefanie Stejskal) | RAY (Gunnar
Landsgesell, Andreas Ungerböck) | Goran Rebic | Arash T. und Arman T. Riahi, Wien | Rialto-Film, Berlin (Daniela Preßler) | Sammlung Kolm-Veltée | Sixpack Films,
Wien (Gerald Weber) | Stadtkino Filmverleih, Wien (Georg Horvath) | Wolfgang Steininger, Linz | Thimfilm, Wien (Martina Priglinger) | Isabel und Ursula Wolte,
Peking | Hanns Zischler
EDITORIAL
ERNST KIENINGER
»V
iel interessanter als ein Haufen Gleichgesinnter
ist doch eine Gemeinschaft der Ungleichgesinnten.« Joseph Beuys’ Modell der »sozialen Plastik«
dachte Kunst und Gesellschaft radikal zusammen und
verschob die Grenzen der Kunsträume tief hinein in die
Lebenswirklichkeiten des Alltags. Die aktuellen Flüchtlingsbewegungen in Europa schneiden eine Diagonale auch
quer durch Österreich.
Auf der einen Seite der von unendlichen Flüchtlingsbilderströmen getriebene politisch-mediale Komplex, in dem alles
gezeigt und nichts gesehen wird: unendliches Kanalrauschen. Auf der anderen Seite die Zivilgesellschaft, die im
Konkreten Halbinseln gegen den Strom etabliert, wie kürzlich etwa am Wiener Westbahnhof. Aus der viel zitierten
Mitte der Gesellschaft heraus entstehen neue Spielräume –
und auch die eine oder andere kleine Utopie. Es ist wieder
Zeit, an Beuys zu erinnern und aus den Paralleluniversen
auszubrechen.
Im METRO Kinokulturhaus werden diese Geschichten der
Flucht, Not und Vertreibung verwoben mit ersten, noch
rohen Aufnahmen über das Ankommen und Hiersein.
FilmemacherInnen werden zu Helfern, Flüchtlinge werden
zu Filmern. Mit Open Archive startet das Filmarchiv Austria
nun eine Initiative des erweiterten Blicks: Seit Mitte Oktober sind Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak
direkt am Hauptstandort Augarten untergebracht und
wirken mit an einer neuen Erzählung über Inklusion, Gemeinschaft und eine gesellschaftliche Praxis, die Kunst
und Gesellschaft wieder zusammen denkt – im Kino und
darüber hinaus.
EDITORIAL
Das Kino hat da längst Position bezogen und vor allem
auch hierzulande mit fast schon seismografischer Qualität
auf die nicht erst seit gestern relevanten großen Bewegungen reagiert. LAND IN SICHT ist ein erster Katalog, eine
kinematografische Registrierung sorgfältig aufgezeichneter Gegenbilder, die auch den Blick auf das Eigene bein­
haltet.
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LAMPEDUSA IM WINTER
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DHEEPAN
IDENTITÄTEN
AM PRÜFSTAND
GESICHTER
DER FLUCHT
GUNNAR LANDSGESELL
DRAMATURGIE DER EMOTION
Auch das westliche Kino scheint sich nicht den Vorwurf der
Abwesenheit machen lassen zu wollen, insbesondere seit
den 1990er-Jahren hat es begonnen, sich für den großen
Topos der Migration in unterschiedlichsten Facetten zu
interessieren. Spannend ist, wie unser Blick auf Flüchtlinge
sich in diesen Dramaturgien wiederfindet. Es gibt Filme, bei
denen einem die Diskrepanz zwischen Tod und Heiligsprechung, wie sie Agambens altrömische Figur des Homo sacer aufweist, auf besonders sinnträchtige Weise begegnet:
als Kombination eines besonders tugendhaften Charakters
bei gleichzeitiger Aberkennung eines rechtlichen Status.
Philippe Liorets Protagonist aus WELCOME (2009) ist
so ein Fall. Der 17-jährige irakische Jugendliche Bilal lebt
illegal in Frankreich und versucht vergebens, versteckt in
einem LKW nach England zu reisen, um seine Freundin zu
sehen. Möglich soll das doch noch werden, indem Bilal den
Ärmelkanal schwimmend durchquert.
Das Kino erschafft
Geschichten, die
ganz bestimmten
Mythologien folgen.
WELCOME rekurriert nun auf Werte wie Disziplin, Ausdauer
und Demut, wenn Bilal tagtäglich Schwimmstunden bei
einem Trainer absolviert und sein Leben mit jedem Meter
durchpflügten Wassers zu etwas Besonderem, Vorbildhaften wird. Erzählungen wie diese weisen darauf hin, dass das
Kino Geschichten erschafft, die ganz bestimmten Mythologien folgen. Ein hartnäckiger Mythos im echten Leben ist,
dass Menschen, die um Asyl ansuchen, sich dieses auch erarbeiten, im Sinn von »verdienen« müssen und nicht, dass
dieses in einem verbrieften Menschenrecht begründet ist.
Daraus entstehen fallweise filmische Biografien, in denen
Flüchtlinge immer ein bisschen heilig wirken, weil ihnen
die Sympathien des Publikums sonst vielleicht nicht sicher
sind. Die doppelte Viktimisierung, die sich daraus ableitet
– das nackte Leben wird zugleich zum untergebenen, ohnmächtigen Leben – ist ein Verhandlungsmodus, den jüngste
österreichische Produktionen nicht unbedingt verfolgen
und damit ein Stück Realismus gewinnen.
KINO.MAGAZIN IDENTITÄTEN AM PRÜFSTAND
I
mmer wieder wird, geht es um die globalen Flüchtlingsbewegungen unseres Zeitalters, auch der italienische
Philosoph Giorgio Agamben ins Spiel gebracht, der den
Homo sacer, den vollständig entrechteten Menschen, aus
dem römischen Strafrecht in aktuelle Diskurse verschoben
hat. Es geht dabei um einen Menschen, der straffrei getötet
werden darf, also »vogelfrei« ist, und nicht wenige sahen
in Guantanamo und den Geheimgefängnissen der CIA just
jene rechtsfreien Nischen, die die Gewissheit über die Festigkeit unserer Demokratien erschüttern. Nicht zuletzt vor
dem Hintergrund des Massensterbens im Mittelmeer wurde
dieser Ansatz auch auf jene Menschen ausgeweitet, die als
Flüchtlinge die ungeheure Differenz zwischen Reichtum
bzw. Sicherheit und dem »nackten Leben« sichtbar machen.
7
WELCOME
KINO.MAGAZIN IDENTITÄTEN AM PRÜFSTAND
MACONDO
8
Am auffälligsten in dieser Hinsicht ist der geradezu doku­
mentarisch anmutende Spielfilm der österreichischiranischen Filmemacherin Sudabeh Mortezai, die in der
titelgebenden Flüchtlingssiedlung Macondo in Simmering
just einem tschetschenischen Buben bei seinen täglichen
Streifzügen folgt. Der elfjährige Ramasan ist das, was man
ironischerweise einen unangepassten Helden nennen würde. Er stellt hier am Stadtrand zwischen Gstettn und Einkaufszentren allerhand Unsinn an, bricht mit Nachbarskindern aus der Siedlung in Baustellenhütten ein und verehrt
seinen verstorbenen Vater, einen Kämpfer aus dem Tschetschenienkrieg, den er aber kaum zu kennen scheint. In
diesen Szenen geht es um ein Kind, das nicht in einer ideologischen Funktion als Flüchtling abgerufen wird, sondern
um einen Sinn für menschliche Handlungsweisen. An den
Kontaktpunkten zwischen dem Mikrokosmos Macondo und
der österreichischen Mehrheitsgesellschaft, die hier etwa
als Sozialarbeiter, Polizisten oder Ladenbesitzer auftreten,
blitzt die Smartness des kleinen Jungen auf. Er dolmetscht
für seine Mutter oder behauptet sich auf spielerische Weise
gegenüber einem unwirschen Wachmann. MACONDO ist
eine Coming-of-Age-Story, die von den Adaptionsprozessen in einer neuen Welt erzählt. Das vielleicht auffälligste
Merkmal von MACONDO im »Genre« des Flüchtlingsfilms
ist seine offene Erzählweise. Sie scheint keiner finalen
Logik verpflichtet und vollzieht die mäandernden, oftmals
ungestümen Bewegungen ihres juvenilen Akteurs ganz
selbstverständlich nach.
In dieser Hinsicht orientiert sich Mortezais Film an dokumentarischen Erzählweisen, erinnert etwa an LITTLE ALIEN
von Nina Kusturica. Auch wenn dieser Dokumentarfilm aus
dem Jahr 2009 sich wesentlich stärker für die Reibungen
interessiert, denen diese unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge durch die bürokratischen Mühlen des Staates
ausgesetzt sind, setzt Kusturica vielfach auf Bilder, die sich
einer profanen Politik der Fürsprache, einer appellativen
Haltung und einem erklärenden Tonfall verweigern. Biografische Details aus der Familie, Hintergründe der Flucht
oder auch politische Zusammenhänge der Herkunftsländer
tauchen nur beiläufig in einigen Begegnungen auf. Eine
Bemerkung über den Krieg, eine erlittene Schussverletzung
am Kopf, ein ausgespähter LKW als Versteck sind Spuren,
die nicht breitgetreten werden. LITTLE ALIEN entwickelt
seine narrativen Energien ganz aus der Krisenhaftigkeit
des Moments, in dem die Teenager ihre eigenen Strategien
im Umgang mit ihrer Umwelt finden müssen. Der Flüchtling
als handlungsfähiges Subjekt trotz der Verwerfungen, denen Menschen in einer Situation der Entwurzelung ausgesetzt sind, ist eines der tragenden Motive dieser Erzählung.
Das Fremde, eine gängige Zuschreibung der Mehrheits­
MACONDO
FESTUNG EUROPA
Es gibt eine Reihe von Filmen, die das Verhältnis von
staatlicher Definitionsmacht, den normativen Vorgaben
der Mehrheitsgesellschaft und den Migranten selbst problematisieren. Dass Flucht nicht nur viele Gesichter, sondern
auch viele Gründe haben kann, reflektiert der ORF-Journalist Ed Moschitz in seinem Dokumentarfilm MAMA ILLEGAL.
Er begleitet drei Frauen aus Moldawien über sieben Jahre
lang und zeigt, welch geringe (Arbeits)Räume und Perspektiven ihnen Länder wie Österreich oder Italien zusprechen.
Wenn MAMA ILLEGAL seine Protagonistinnen in drei Müttern findet, die aus keinem Kriegsgebiet kommen, sondern
aus dem vielleicht ärmsten Land Europas, dann findet sich
auch ein ganz expliziter Bezug zum politischen Rahmen, in
dem sich auch Filme wie dieser bewegen. Schon länger gibt
es in der UNO Bestrebungen, die Genfer Flüchtlingskonvention um den Rechtsbestand der wirtschaftlichen Flucht als
legitimen Asylgrund zu ergänzen. Indem Moschitz einen
dramaturgischen Bogen spannt zwischen den Heimatdörfern der Frauen als Orten grenzenloser Armut und jenen,
an denen sie sich illegalisiert aufhalten, klinkt er sich in
Debatten wie diese ein. MAMA ILLEGAL bewegt sich dabei
zwischen den Zentren und den Rändern der Festung Europa, lange Zeit ein kritisch verwendeter Begriff der Zivilgesellschaft, der durch die aktuellen Fluchtbewegungen von
den Regierenden in einem verschärften Sicherheitsdiskurs
neuerdings als positiv konnotierte Versprechung aufgegriffen wird.
Auf einen der Außenposten dieser Festung Europa begibt
sich der 2015 entstandene Dokumentarfilm LAMPEDUSA
IM WINTER, der anders als MACONDO oder MAMA ILLEGAL
den Blick auf die eingesessenen Bewohner dieser Insel, die
nur 110 Kilometer vor Afrika zwischen Tunesien und Sizilien
liegt, wirft. Bei nur 4.500 Einwohnern, viele von ihnen Fischer, hat die Kommune zeitweise Hunderte und in seltenen
Fällen mehrere Tausend Flüchtlinge, die hier Asyl suchen,
zu versorgen. Lampedusa taucht in den Kamerabildern von
Regisseur Jakob Brossmann mit seinen furchteinflößenden,
schroffen Felsküsten selbst wie eine Festung auf. Was sich
in der kleinen Kommune dieser Insel hingegen ereignet, ist
ein freier Widerstreit von Kräften, der zwischen Eigeninteressen und Solidarität hin und her wogt. Erstaunen mag
die Bürgermeisterin Giusi Nicolini hervorrufen, die sich
gerade in dieser exponierten und schwierigen Situation
nicht als Verfechterin der Festung Europa entpuppt, sondern als erklärte Humanistin, die man etwa dabei beobachten kann, wie sie sich bei einer Gruppe von Flüchtlingen für
KINO.MAGAZIN IDENTITÄTEN AM PRÜFSTAND
gesellschaft an die Einwanderer, gerät hier zu einer Wahrnehmungsweise, die in beide Richtungen Gültigkeit hat.
9
MAMA ILLEGAL
SUZIE WASHINGTON
Auch wenn Flucht und Flüchtlinge primär im Kontext örtlicher Veränderung als lange und gefahrenreiche Bewegung
wahrgenommen werden – siehe beliebte Wortassoziationen
wie Flüchtlingsströme oder -wellen –, machen Filme wie
LAMPEDUSA IM WINTER oder auch ein relativ früher,
höchst spannender österreichischer Spielfilm zu diesem
Thema, Kenan Kiliçs NACHTREISE (2002), klar, wie sehr
gerade Stillstand Teil dieser Bewegung ist. Kiliç gibt autobiografisch motivierte Einblicke aus dem Leben und den
eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten als U-Boot in
Wien. Wer die Biografien von solchen Flüchtlingen liest
wie etwa jene von Emmanuel Mbolela, Mein Weg vom Kongo nach Europa (Wien 2014), weiß, dass oft monate- und
manchmal jahrelanges Festsitzen an bestimmten Orten zu
den physischen und psychischen Grenzerfahrungen so einer Reise gehört.
Ein wunderbar ironisches, lakonisch gehaltenes Kapitel
dazu stellt Florian Flickers bereits 1997 entstandener Spielfilm SUZIE WASHINGTON dar. Birgit Doll verkörpert darin
eine Frau aus Osteuropa, die mit gefälschten Papieren über
Österreich in die USA reisen möchte, aber in der Alpenrepublik steckenbleibt. Es ist der besondere Blick durch die
Augen dieser Frau, der Österreich hier so irritierend fremd
wirken lässt, obwohl er doch mit lauter bekannten Sujets
wie Almhütten und pittoresken Hotels am Seeufer operiert.
Doll durchquert das Land getarnt als Touristin, immer in
Gefahr, angesichts Geldnot und fehlender Papiere gefasst
und abgeschoben zu werden. SUZIE WASHINGTON zählt
damit zu jenen Filmen, die die Gewissheit der Identität
gleich doppelt infrage stellen und erschüttern, die der Figur
des Flüchtlings ebenso wie die der »Gastgesellschaft« mit
ihren Werten, in der sie sich bewegt. Beides steht hier auf
dem Prüfstand.
KINO.MAGAZIN IDENTITÄTEN AM PRÜFSTAND
die Gesetze der Europäischen Union entschuldigt. Die Gruppe von etwa 25 afrikanischen Migranten sitzt seit Monaten
auf Lampedusa fest und protestiert gegen den blockierten
Fortlauf ihrer Verfahren. Viele von ihnen haben die Haut an
ihren Fingerkuppen abgerieben, um die von der EU geforderte biometrische Erfassung zu verhindern. Während die
Kamera zwei Aktivisten folgt, die in gestrandeten Booten
die Überreste der ehemaligen Passagiere einsammeln – ein
Notizblock, eine Babyflasche, Turnschuhe –, wird deutlich,
dass auf Lampedusa nur mit jenen verhandelt werden
kann, die die Überfahrt überlebt haben. Die Diskussion über
die Fingerabdrücke zeigt deren Entschiedenheit, diese riskante Reise noch einmal anzutreten, denn mit einer Registrierung hätten sie dazu keine Chance mehr.
11
ES GEHT UM
EMOTIONALE
EHRLICHKEIT
DIE RIAHI BROTHERS
IM GESPRÄCH
DORIS KITTLER
Stimmt das, dass ihr schon wie eineiige Zwillinge seid
und euch nur mehr zu zweit interviewen lasst?
Arman T. Riahi: Wir haben gedacht, wenn man zu zweit
ein Interview macht, spart man sich was. Aber wir sind
draufgekommen, dass wir dann noch mehr reden.
KINO.MAGAZIN RIAHI BROTHERS
»Riahi Brothers«, das klingt schon sehr cool.
Arman T. Riahi: Es gibt die »Taviani Brothers«, die »Coen
Brothers« – wieso soll es nicht auch iranisch-österreichische Brothers geben? Das war die Geburtsstunde der
»Riahi Brothers«. Unser voller Name ist nicht gerade
einfach, und »Brothers« kann man sich sogar als öster­
reichischer Boulevardjournalist merken.
Arash T. Riahi: Wir spielen selbstironisch mit den Namen
der Legenden-Brüder des Kinos. Wir heißen so seit
unserem ersten gemeinsamen Langfilm EVERYDAY
REBELLION, das war 2011.
12
Seit Jahren sterben schrecklich viele Menschen auf
ihrer Fluchtreise, das Mittelmeer ist zum Massengrab
geworden. Seit diesem Sommer ist die sogenannte
»Flüchtlingsproblematik« auch in Österreich ange­
kommen. Ihr seid selber Anfang der 80er aus dem
Iran geflüchtet und habt euch in eurer Filmarbeit schon
immer mit Migration, Flucht und Asyl beschäftigt.
Arash: Die Situation ist natürlich eine prekäre. Das Thema
betrifft uns sehr, eben weil wir selber Flüchtlingskinder
sind. Wir haben uns integriert und sind ein Teil dieser
Gesellschaft geworden. Nun kann man darüber diskutieren:
inwiefern ist das ein Verdienst der Gesellschaft, unserer
Eltern oder von uns selbst? Als Kind, im Iran, habe ich
Filme geliebt und immer versucht, so viele wie möglich zu
sehen. Erst hier in der Schule bin ich aber draufgekommen,
dass man Filme machen kann, weil mich ein Lehrer sehr
gefördert hat. Er gab mir Möglichkeiten selbst rauszufinden, welche Talente in mir schlummern.
Arman, war dein großer Bruder Vorbild für dein späteres
Filmemachen?
Arman: Ich hab schon als Kind ein großes popkulturelles
Interesse gehabt, bin ziemlich in die Science-Fiction und
Fantasy reingekippt und hab viel gelesen. Auch zu Zeichentrick hatte ich eine große Liebe. Arash hat das immer ein
wenig belächelt und wollte mich eher dazu bringen, Western zu schauen. HIGH NOON fand ich aber eher langweilig
und dachte: Was ist mit diesem Gary Cooper?
Arash: Stimmt, als ich HIGH NOON als Kind zum ersten
Mal gesehen hab, dachte ich auch: megalangweilig, da wird
nur am Schluss einmal geschossen.
Arman: Ich war mehr der Sergio-Leone-Typ, eher auf Spaghetti-Western. Arash hat mich durch seine Filmliebe schon
sehr beeinflusst. So wurde der Western dann doch noch
wichtig und ist bis heute mein Lieblingsgenre. Mit 14 hab
ich zum ersten Mal gefilmt und geschnitten. Mein Wunsch,
mit Film zu tun zu haben, kam mit dem Schneiden, als ich
merkte, dass ich mit dieser selbstgewählten Abfolge eine
Geschichte neu erzählen kann.
Dein erster Film SCHWARZKOPF zeigt den Weg eines
Wiener Burschen aus einer Migrationsfamilie, der sich in
der Musik finden will – wohl ein sehr persönlicher Film.
Arman: Ich bin in Favoriten aufgewachsen, hatte in der
Schule so einen Migrationsstatus und immer Freunde mit
ähnlicher Geschichte, kannte auch Nazar (Rapper und
Hauptfigur, Anm.). Vielleicht interessieren mich dadurch
die Außenseiter, die am Rand der Gesellschaft stehen.
Arman und Arash Riahi
Apropos Peripherie und Milieu: Am 11. Oktober haben
in manchen Stadtteilen Wiens 60 Prozent die FPÖ
gewählt. Seither haben wir einen rechtsrechten Recken
mit engem Kontakt zur Neonazi-Szene als Vizebürger­
meister.
Arman: Auf dieses Amt hat die FPÖ nach geltendem Recht
leider Anspruch. Aber die ganze deutschnationale Buberlpartie um den Strache bringt mich immer wieder zum
lachen, und der Gudenus ist eine unerschöpfliche ZitateQuelle. Man muss sich fast dafür bedanken, dass es ihn
gibt, er ist überzeichnet, eine Karikatur.
Arash: Ich seh das nicht so. Wir haben diese Leute zu lange
nur belächelt. Von dieser Position sind sie zur 31-ProzentPartei geworden. Es gibt verdammt viele Leute, die sie
verdammt ernst nehmen. Vielleicht muss die FP mal an die
Macht kommen, damit sie Scheiße bauen, und man dann
checkt, dass das, was sie sagen, einfach nicht der Realität
entspricht. Das ist auch das Problem von Häupl, dass er mit
seinem Sich-lustig-Machen leider sehr überheblich wirkt.
Die Leute fühlen sich nicht verstanden.
Wir haben die sogenannte »Asyldebatte« im Lauf der
letzen 30 Jahre den Rechten überlassen. Ein Fehler?
Arash: Strache und seine Partei haben nichts gemacht, was
von irgendeiner Relevanz ist. Wodurch wurden sie also zur
zweitstärksten Partei? Durch die Unfähigkeit der Regierenden. Strache schimpft einfach nur und wartet, bis die anderen Fehler machen. Wenn sie nicht bald die Ärmel hochkrempeln, in einer sich verändernden Gesellschaft Probleme
endlich ernst nehmen und angehen, ihre Parteien verjüngen, Leute zu sich holen, an denen nicht der Mief von fünfzig Jahren Freunderlwirtschaft und Proporz klebt, dann
KINO.MAGAZIN RIAHI BROTHERS
Auch aufgrund unserer eigenen Familiengeschichte solidarisiere ich mich mit ihnen und dadurch interessieren mich
natürlich Flucht und die nächsten Generationen, die daraus
erwachsen. Die Jugendlichen sind vielleicht in einem
anderen Milieu aufgewachsen, aber gerade dieser Unterschied, in welche Richtungen man sich weiterentwickelt,
hat mich fasziniert.
13
wirds schwierig. Die Flüchtlingssituation bietet viele Chancen,
sonst würde Merkel nicht die Grenzen offen lassen. Die macht
das sicher nicht aus großer menschlicher Empathie, die Gesellschaft in Deutschland veraltet und in Zukunft werden Arbeitskräfte gebraucht. Allerdings müssen diese Menschen
aufgefangen werden, und man muss sich Zeit für sie nehmen.
Und damit die Einheimischen nicht Angst bekommen, darf
man sie auch nicht vor vollendete Tatsachen stellen und
plötzlich eine große Menge Flüchtlinge in ein Dorfwirtshaus
pferchen. Man muss mit den Menschen reden, Meetings machen. Flüchtlinge können dort mit Übersetzern ihre Geschichten erzählen, dann hätten die Dorf­bewohner gleich einen
ganz anderen Bezug zu diesen fünfzig Fremden.
Arman: Man muss diese Diskussion führen und in der
Linken lächerliche Tabus loswerden, weil das einfach ex­
trem im Weg steht. Kulturelle Differenzen ansprechen, etwa
zwischen Österreichern und Muslimen. Die Rechten kennen
keine Tabus und vereinfachen die Sachen, um sie für weniger Gebildete leicht zugänglich zu machen. Man muss bei
der Bildung ansetzen, dort muss Aufklärungsarbeit geleistet werden! Und Grassroots-Bewegungen müssten viel
mehr unterstützt werden.
KINO.MAGAZIN RIAHI BROTHERS
Es geht um die mediale
Verbreitung von positiven
Messages, um zu motivieren
statt Angst zu machen.
14
Zum Thema Grassroots: Als von den politischen Ent­
scheidungskräften und offiziellen Stellen, offensichtlich
mit Absicht, eskalierende Situationen geschaffen und
Hilfsorganisationen auch noch an der dringendsten und
notwendigsten Arbeit behindert wurden, trotzte die
Zivilgesellschaft von Anfang an mit ihrem überraschend
intensiven Einsatz.
Arash: Ich finde es großartig, mich hat das auch wirklich
überrascht! Es ist toll, »Gutmensch« zu sein, auch wenn
das von den Rechten in eine negative Ecke gedrängt wird.
Man steht zu seiner Menschlichkeit und folgt seinen humanistischen Idealen. Das dürfen wir uns nicht schlecht reden
lassen. Wir sehen, wir sind sehr viele und können uns mobilisieren! Gibts irgendeine vergleichbare rechte Demo auf
der Welt? Zur Pegida kommen in Österreich 300 Demonstranten und gleichzeitig 1.000 Gegendemonstranten.
Naja, in Deutschland schauts da schon schlimmer aus.
Arash: Jedenfalls gibt es viele Menschen da draußen, die
auf unserer Seite sind, die Gutes tun wollen für die Gesellschaft und die auch viel Zeit dafür aufwenden. Die Rechten
verstecken sich hinter ihrer Weltanschauung, sind frustiert.
Man muss sie ernst nehmen. Wir dürfen nicht vergessen,
dass wir auch positive Vorbilder für Wechselwähler sein
können! Die Medien verbreiten die ganze Zeit Bilder von
radikalen Islamisten, die Menschen die Köpfe abschneiden.
Es geht um die mediale Verbreitung von positiven Messages,
um zu motivieren statt Angst zu machen.
EVERYDAY REBELLION geht ja genau in diese
Richtung, ihr zeigt kreativen Aktionismus, der
ansteckend wirkt.
Arman: Hier wird das Leben von normalen Menschen, die
sich politisch engagieren, gezeigt. Das ist eigentlich das,
was unsere Eltern im Iran gemacht haben: Sie haben sich
für Menschenrechte, freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit, für die Abschaffung der Todesstrafe eingesetzt.
Das sind Dinge, für die auch die Protagonisten in EVERYDAY REBELLION stehen, weshalb sie große Probleme
bekommen und zur Flucht gezwungen werden. Der Film
ist ein Tribut an freiheitsliebende Bürger, die ihr Land nicht
vor die Hunde gehen lassen und dabei zusehen wollen,
wie ihre Heimat in eine Diktatur verwandelt wird.
Arash: EXILE FAMILIY MOVIE oder EIN AUGENBLICK FREIHEIT handeln eindeutig von Flucht. Aber auch Filme, die
versteckt mit Menschen aus fremden Ländern zu tun haben, zum Beispiel NERVEN BRUCH ZUSAMMEN, mein Film
über ein Frauenhaus, in dem es um Dinge geht, die nicht
so sichtbar sind. Frauen in der Obdachlosigkeit sind oft
Migrantinnen. Das sind Tabus in der Gesellschaft, über die
man kaum redet. Aber das passiert mitten unter uns und
vor unseren Augen.
Gibt es neue Projekte, die mit dem Thema zu tun haben?
Arman: Zum Teil, wir arbeiten an mehreren Projekten:
Ein Spielfilm handelt vom letzten Hausbesorger in einem
Gemeindebau, ein zweiter beschäftigt sich mit einer
dystopischen Diktatur. Auch eine Flüchtlingsfarce ist in der
Ideenphase. Das muss natürlich auch finanziert werden.
Ihr seid doch schon lange etabliert.
Arash: Eine Carte blanche hat in Österreich zu Recht wohl
nur Haneke. Alle anderen konkurrieren um den Rest, und es
ist immer zu wenig da für die Vielzahl vor allem an jungen
Talenten, die etwas zu erzählen haben. Wir arbeiten gerade
am ersten, poetischen Spielfilm eines syrischen Flüchtlings,
der seit drei Jahren in Wien ist. Ob wir die Finanzierung
schaffen, ist derzeit ungewiss. Es gibt neue Förderrichtlinien
der FISA, nach denen Spielfilme erst ab einem Budget von
2,3 Millionen Euro einreichberechtigt sind. Damit werden in
Zukunft einfach weniger Filme gemacht. Man muss auch
sagen: es gehen weniger Menschen ins Kino. Es starten im
Jahr 300 bis 500 Filme, die alle anzuschauen ist unmöglich. Man könnte einen Geldtopf für Mikrofilme für weniger
als 500.000 Euro aufstellen, die sich nicht an die Markt­
EVERYDAY REBELLION
gegebenheiten wie Kollektivvertrag für ein fix engagiertes
Team halten müssen. Da gibts ja genug erfolgreiche Beispiele, LA PIVELLINA etwa, mit einem Budget von zirka
150.000 Euro und über 50 Auszeichnungen. Mit dem Geld
eines mittelgroßen Filmes von zwei Millionen könnte man
so jährlich vier filmische Experimente wagen und damit
den talentierten Nachwuchs fördern.
Mir ist wichtig, dass meine
Filme quasi wie Alltags­
gegenstände immer wieder
benützt werden.
KINO.MAGAZIN RIAHI BROTHERS
Erwiesenermaßen brauchen wir auch Kinos, die diesen
Arbeiten zwei Wochen Anlaufzeit für die nötige Mund­
propaganda gönnen. In manchen Ländern wie etwa
Dänemark schaut die Situation für den heimischen
(Dokumentar-)Film viel besser aus. Die Leute gehen
ins Kino!
Arman: In den USA gibts massenweise Heroes, in Österreich gibts den Brenner, aber es existieren keine Identifikationsfiguren für die Kinobesucher, für die Kids gibts null
Projektionsflächen.
Arash: Dänemark hat eine andere kulturelle Situation.
Skandinavische Filme haben schon in der Stummfilmzeit
Filmgeschichte geschrieben, das Kino hat dort einfach
einen hohen Stellenwert. Ein wichtiger Grund dafür ist,
dass in Dänemark nicht synchronisiert wird. Also sind die
einzigen Filme, die die Dänen in ihrer Sprache sehen können, die heimischen. In Österreich hatten umgekehrt Filme
Erfolg, die die nationale Identität aufs Korn genommen
haben, wie HINTERHOLZ 8 oder MÜLLERS BÜRO. Wir haben kein Qualitätsproblem des heimischen Arthouse-Films,
denn österreichische Filme gewinnen weltweit die wichtigsten Filmpreise wie die Goldene Palme oder den Oscar.
Das Problem ist, dass es nicht genug gute Genrefilme gibt.
Der Genrefilm, der große Zuschauerzahlen bringt, muss
gestärkt werden, damit Arthouse-Filme keine Kompromisse
aufgrund von Quotenvorgaben eingehen müssen.
16
Momentan werden mit gerade angekommenen Flücht­
lingskindern Filme gemacht. Wer weiß, was die Zukunft
fürs Kino bringt.
Arash: Die Rezeption von Medien hat sich wahnsinnig verändert. Statt auf eine Kinoleinwand schaut man auf Handyscreens. Wir Filmemacher müssen auch darauf reagieren
und nicht den Kopf in den Sand stecken und schmollen. Ich
bin gegen alle Dogmen, religiöse oder filmische. Mir ist
wichtig, dass meine Filme, quasi wie Alltagsgegenstände,
immer wieder benützt werden. Wenn meine Filme nicht
100.000 Menschen ins Kino locken, bin ich trotzdem froh,
dass ich sie gemacht habe, weil sie auf der Seite der medial
Unterrepräsentierten sind. Wir freuen uns auch, dass die
Filme seit Jahren für Unterrichts- und Bildungszwecke oder
von internationalen NGOs verwendet werden. Und wenn wir
sehr emotionale Nachrichten von ZuseherInnen bekommen,
die schreiben, dass der Film ihr Leben verändert hat oder
sie nach dem Film endlich die Situation von Flüchtlingen
oder Menschen, die sich in Diktaturen erheben, verstehen,
dann ist das uns extrem viel wert. Viel mehr als die launische Meinung eines zynischen Filmkritikers. Das hat uns
vielleicht unsere Geschichte als Flüchtlingskinder mitge­
geben: dass unsere Filme nicht unbedingt eine Selbst­
ergötzung als große Künstler zum Ziel haben, sondern
immer einen gesellschaftskritischen, politischen Anspruch.
Und das geht manchmal natürlich auf Kosten des künstle­
rischen Purismus. Es geht uns um eine Darstellung des
Lebens und nicht der Kunst. Auch in Zukunft werden wir
versuchen, Filme zu machen, die nur einen einzigen gemeinsamen Nenner haben, nämlich unser Bemühen um
emotionale Ehrlichkeit und Authentizität. Wenn das
finanziert werden kann, haben wir Ideen für die nächsten
20 Jahre.
ARASH T. RIAHI (41) ist Autor und Regisseur mehrerer Dokumentarfilme, darunter FAMILY EXILE MOVIE (2006) und NERVEN
BRUCH ZUSAMMEN (2012). Sein Spielfilm EIN AUGENBLICK
FREIHEIT (2008) gewann zahlreiche internationale Festivalpreise
und war Österreichs Beitrag zum Oscar im Jahr 2010. Er ist
Geschäftsführer der Golden Girls Filmproduktion.
Sein jüngerer Bruder ARMAN (32) gewann 2011 mit der Doku
SCHWARZKOPF den Diagonale-Publikumspreis. EVERYDAY
REBELLION ist ihr erstes gemeinsames Projekt, ein Kinodokumentarfilm und gleichzeitig eine Cross-Media-Plattform, die sich um
neue Formen des zivilen Ungehorsams in einer Zeit des globalen
Umbruchs dreht.
FLÜCHTLINGE FILMEN
ZUR FILMREIHE LAND IN SICHT
DORIS KITTLER
»F
lüchtlinge«. Ein Begriff, viele Bezeichnungen,
von der Politik schon mal bewusst verwechselt.
»Flüchtlingskrise« nennen es die Medien, was sich
da seit Sommer abspielt. Flüchtlinge »strömen« und kommen in »Wellen«, jeden Tag eine neue »Flut«. Was genau ist
eigentlich dieses »Fremde«, »Andere«, das »Nichtintegrierte«, was genau ist »Assimilation«? Die Antworten beziehen
sich oft auf »Leitkultur«, »christliche Werte«, »Tradition«;
selten höre ich »Menschenrechte«. Vielleicht deshalb, weil
uns Besitz- und Eigentumsrechte irgendwie näher sind.
Auch ich stieß immer wieder an Grenzen, wenn es um die
Begegnung mit Fremden ging. Aus Ländern vielleicht, in
denen Krieg herrscht, der auch in Wien subtil ausgetragen
wird. Zwangsverheiratung, Sippenhaftung, Genitalverstümmelung – so etwas nahm ich in den Diskursen meiner Umgebung kaum wahr. Gleichzeitig war ich immer wieder mit
Flücht­lingen in Kontakt, mit ihren Problemen, dem Warten,
Verzweifeln, mit der Angst vor der Schubhaft.
drehen. Angesichts des Elends eines Kleinkindes, das auf
einer Wiese schläft, maximal mit einer Decke vor Kälte und
Regen geschützt, hat das Hantieren mit einem technischen
Gerät was grenzenlos Banales, ja Jämmerliches.
Die Diskussion darüber, ob und wann und wie viel man
filmen und zeigen darf, wird dieser Tage wieder laut.
Es ist nicht immer einfach, die Kamera trotzdem draufzuhalten. Stumpfen die RezipientInnen nicht ab, wenn sie zu
viel von diesen schrecklichen Bildern sehen? Ich habe mich
schon lange fürs Kino entschieden, als Ort der gesellschaftlichen Spiegelung, der emotionalen Partizipation und der
subjek­tiven Reflexion. Ich bin Voyeuristin und Chronistin.
Weg­zappen impossible.
DORIS KITTLER ist Dokumentarfilmerin und Journalistin. Zahl­
reiche Filmarbeiten mit Kindern und Jugendlichen zu den Themen
Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Als Aktivistin hat sie 2009
und 2010 die Proteste gegen die Errichtung des Konzertsaals der
Wiener Sängerknaben am Wiener Augartenspitz miterlebt und
filmisch dokumentiert. Derzeit arbeitet sie an einem Film über
Flucht und Helfer in Wien.
KINO.MAGAZIN DORIS KITTLER
Was im Laufe dieses Sommers begann und plötzlich zum
omnipräsenten Thema wurde, hat uns wohl alle überrollt.
Als die Menschen auf dem Weg in die »Festung Europa«
nicht mehr nur massenhaft im Mittelmeer ertranken, sondern buchstäblich vor unserer Haustüre starben, elend
erstickten im Flucht-LKW. Überraschend war dann aber
auch die anrollende Hilfe, spontan oder organisiert von
Initiativen wie Train of Hope, SOSKonvoi oder Start Now.
Die Zivilgesellschaft packte buchstäblich an, während die
Politik sich nicht nur blind und taub stellte, sondern sogar
noch in den Weg. Ich fing spontan an zu filmen, als eine
gute Bekannte auf Facebook postete, dass sie gerade zwölf
Neuankömmlinge – ein Somali, zwei Syrer und neun Ukrainer – bei sich zu Hause aufgenommen hat und wie sehr sie
diese Erfahrung als Bereicherung erlebt. Ich folgte ihr und
anderen Helfenden bis zur ungarisch-serbischen Grenze
nach Röszke, wo ich eine schlaflose Nacht damit verbrachte, bei 10 Grad auf der Wiese sitzende und liegende Flüchtende und deren HelferInnen zu filmen. Als Dokumentarfilmerin ist es nicht einfach, sich permanent entscheiden zu
müssen, ob man nicht doch besser helfen sollte statt zu
17
WENN DU IN EILE BIST,
MACH EINEN UMWEG
’
PORTRÄT GORAN REBIC
SILVIA BREUSS, DUŠKO DIMITROVSKI
N
KINO.MAGAZIN GORAN REBIĆ
ach dem Nato-Bombardement 1999 reist Goran
Rebić nach Belgrad. Er nimmt keinen Umweg, son­dern geht mit der Kamera mitten hinein ins Zentrum
jener vorangegangenen zehn Jugoslawien-Kriegsjahre, in
denen sein Geburtsland zerfallen ist – »ein permanentes
Punishment, ein permanentes Durchwandern eines endlos
dunklen Tunnels, ohne Aussicht, dass man einen Ausweg
hat.« Der Ex-Jugoslawe aus der Vojvodina, der in Wien
aufgewachsen ist, dreht mit dem Dokumentarfilm THE
PUNISHMENT (2000) keine Opferschau, die das in den
Medien zur Genüge durchexerzierte Gut-Böse-Denken
wiederholt, will auch kein Kriegsreporter sein, »der der
Wahrheit hinterherläuft«. Rebić nimmt seit jeher den
anderen Weg – um ein anderes Bild zu zeigen.
18
Seine Filme knüpfen oft direkt oder indirekt an die eigene
Familiengeschichte an, handeln aber genau die Themen ab,
die die Menschen immer schon beschäftigt haben und auch
in Zukunft noch beschäftigen werden. Ende der 1960erJahre haben seine Eltern die Koffer schon für Amerika
gepackt, als ihnen Wien dazwischenkommt. Die Stadt wird
zum »Leuchtturm auf einer Insel«, von dem aus Rebić
später auf den Kriegs-Balkan blickt. Dass es auch in seiner
Familie »›Systemaussätzige‹ ohne Parteibuch und ohne
Zukunft« gab, erfährt er viel später, beim Drehen des ersten Super-8-Films mit und über seinen Vater. Herkunft und
Heimat, Freiheit und System, Identität und Identifizierung
mit all den möglichen fatalen Folgen, aber auch die gerade
im multinationalen Belgrad gelebten Amalgame und künstlerisch-intellektuellen Gegenkonzepte prägen seine Filme,
und auch ihn selbst.
Rebić sucht das Verbindende, indem er auf den ersten
Blick einmal trennt. JUGOFILM, aber auch DONAU, DUNA,
DUNAJ, DUNAV, DUNAREA, seine beiden, mehrfach ausgezeichneten Langfilme, führen – zufällig oder nicht –
menschliche Schicksale zusammen, erzählen einfühlsam
die Geschichten der Protagonisten, gleichzeitig werden sie
wieder abstrahiert. Woher kommst du? Wo gehst du hin? Es
sind vielschichtige, dramatische, manchmal auch skurrile
und komische Reise-Berichte, in denen sich Rebić nicht nur
für die individuellen Ziele und Destinationen interessiert. Er
übersetzt sie auch in eine umfassende (In-)Fragestellung,
etwa des nationalistischen Denkens. So hebt er für JUGOFILM die echte Herkunft seiner DarstellerInnen auf, um sie
in den Rollen neu zu synthetisieren: »Ich konnte Betroffene zur Mitarbeit bewegen, die dem anderen vertrauten,
Bosnier, Slowenen, Kroaten und Serben, die ihre eigenen
Wirklichkeiten einbrachten, wobei es nicht darum ging, das
alte Jugoslawien wiederauferstehen zu lassen, sondern an
den Punkt zurückzukehren, an dem alles begonnen hat, vor
dem ganzen Wahnsinn. Und bewusst besetzte ich gegen
die Nationalitäten, sodass ein Georgier (Merab Ninidze)
den jungen Serben spielt, eine Deutsche (Eva Mattes) seine
Mutter, ein Serbe einen Kroaten, ein Kroate einen Muslim
usw. JUGOFILM funktioniert wie eine Erinnerung – eine
Erinnerung, von der ich nicht möchte, dass sie vergessen
wird.«
»Wie der Krieg Menschen verunstaltet«, veranschaulicht
Rebić auch in THE PUNISHMENT, in dem er »ein breites
Spektrum an anderen Stimmen von einem anderen
Serbien« zu Wort kommen lässt. Er führt klischeefreie
Interviews quer durch die Schichten und zeigt gerade im
Es ging nicht darum,
das alte Jugoslawien
wiederauferstehen zu
lassen, sondern an den
Punkt zurückzukehren,
an dem alles
begonnen hat.
Goran Rebić
Diese Vermischung des Dokumentarischen mit Biografischem und/oder Fiktion ist für Rebićs Filmschaffen von
zentraler Bedeutung und hat ihren Ursprung – in der Biografie. In Vršac, seiner Geburtsstadt in der serbischen Vojvodina, wird 1967 Aleksandar Petrovićs SKUPLJACI PERJA
(ICH SAH AUCH GLÜCKLICHE ZIGEUNER) gedreht, der erste Film über die Roma und Referenz für Kusturica und viele
mehr. Etliche Laiendarsteller kennt Rebić vom Sehen, er
kennt sie aus der Wirklichkeit. Aus Vršac stammt auch Vasko Popa, einer der bedeutendsten Dichter Ex-Jugoslawiens.
In den 70er-Jahren holt er Allen Ginsberg für eine Lesung
– Rebićs Beatnik-Initiation. Auch andere Schriftsteller aus
der Region prägen sich ein, allen voran Danilo Kiš, der sich
jeglichem Nationalismus verweigerte und in seinem Werk
ebenfalls faktische und fiktive Stränge verwob.
Wien liegt an der Donau, Vršac in der Nähe des Eisernen
Tors. Für Rebić ist dieser Fluss ein »beseeltes Wesen«,
das nicht nur seine persönliche Geschichte trägt, sondern
auch jene seiner Landsleute und Protagonisten. In DONAU,
DUNA, DUNAJ, DUNAV, DUNAREA führt er sie zusammen,
verbringt sie auf eine abgewrackte, rostige Arche, gleichzeitig eine Art Narrenschiff, und schickt sie gemeinsam auf
eine Binnen-Odyssee, in der jeder für sich seinen Hafen
sucht. In der Unaufgeregtheit, in der die Donau selbst die
Schicksale schippert, die ihrerseits oft gebeutelte sind, liegt
vielleicht auch ihre faszinierende Kraft. Die Anstrengungen
einer Reise scheint sie fast aufzuheben, sie gibt ganz ruhig
die Richtung vor. Rebić begreift sie als Strom des Lebens,
als verbindendes, länderübergreifendes Element, als Antithese zur Angst vor dem Osten, die in diesen Tagen wieder
die Köpfe flutet.
Der geborene Serbe und sozialisierte Wiener Goran Rebić
lebt heute in Berlin, in Kreuzberg unter Türken und Schwaben. Gerade aus der Distanz heraus, vom brandenburgischen Leuchtturm aus, reflektiert er über sein persönliches
Heimatgefühl, inspiriert von Jean Améry, dem Wiener
Schriftsteller-Exilanten. Was auch immer sich daraus für
ein Bild ergibt, es wird jedenfalls ein anderes sein. Dem
japanischen Zen-Satz vom Anfang fügt er noch einen
hinzu: »›Der längste Umweg ist der kürzeste nach Hause‹,
nach James Joyce aus Ulysses«. Beides, sagt er,
trifft auf ihn zu.
GORAN REBIĆ, Regisseur und Drehbuchautor, wurde 1968
im vojvodinischen Vršac geboren. Er wuchs in Wien auf und studierte an der Universität für Musik und Darstellende Kunst. Sowohl
seine Dokumentarfilme (AM RANDE DER WELT, THE PUNISHMENT)
als auch Spielfilme (JUGOFILM; DONAU, DUNAJ, DUNA, DUNAV,
DUNAREA) liefen auf zahlreichen nationalen und internationalen
Festivals und wurden vielfach prämiert. Lebt in Berlin.
IM RAHMEN DER FILMSCHAU LAND IN SICHT WERDEN
SÄMTLICHE SPIELFILME VON GORAN REBIĆ GEZEIGT.
KINO.MAGAZIN GORAN REBIĆ
Rekurs auf zehn Jahre Krieg, »dass Belgrad eine Metropole
ist, eine Großstadt, die ihr Eigenleben hat, die eine Musikkultur hat, wo 1980 mit Bands wie Idoli und Šarlo Akrobata
Yu-Punk und New-Wave als urbane, auch systemkritische
Bewegungen ihren Anfang genommen haben.« Mit dem
heuer verstorbenen Vlada Divljan, Frontman und Kopf von
Idoli, verband Rebić nicht nur eine künstlerische Zusammenarbeit, sondern auch eine tiefe Freundschaft.
19
FILM NOIR RELOADED
EXIL – PSYCHOANALYSE
FRANK STERN, CHRISTINA WIEDER
G
KINO.MAGAZIN FILM NOIR RELOADED
ehen wir ins Kino, sehen wir uns einen Film Noir an
und erinnern uns an den Wiener Sigmund Freud und
seine Bemerkungen über das Unheimliche. Doch zuvor sei für die LeserInnen bei dem Wort »Dichtung« zeitgemäß das Wort »Film« hinzugefügt. Freud schrieb den Text
im Jahr 1919, 1949 ist das Unheimliche der Fiktion vor allem
Film Noir und dem schuldet die heutige visuelle Präsenta­
tion des Unheimlichen unheimlich viel.
20
»Das Unheimliche der Fiktion – der Phantasie, der Dichtung
[des Films] – verdient in der Tat eine gesonderte Betrachtung. Es ist vor allem weit reichhaltiger als das Unheimliche
des Erlebens, es umfaßt dieses in seiner Gänze und dann
noch anderes, was unter den Bedingungen des Erlebens
nicht vorkommt. Der Gegensatz zwischen Verdrängtem und
Überwundenem kann nicht ohne tiefgreifende Modifikation
auf das Unheimliche der Dichtung [des Films] übertragen
werden, denn das Reich der Phantasie hat ja zur Voraus­
setzung seiner Geltung, daß sein Inhalt von der Realitäts­
prüfung enthoben ist. Das paradox klingende Ergebnis ist,
daß in der Dichtung [im Film] vieles nicht unheimlich ist,
was unheimlich wäre, wenn es sich im Leben ereignete, und
daß in der Dichtung [im Film] viele Möglichkeiten bestehen
unheimliche Wirkungen zu erzielen, die fürs Leben weg­fallen. Zu den vielen Freiheiten des Dichters [des Regisseurs]
gehört auch die, seine Darstellungswelt nach Belieben so
zu wählen, daß sie mit der uns vertrauten Realität zusammenfällt […]« 1
Die Filme GASLIGHT unter der Regie von Thorold Dickinson
und Orson Welles’ LADY FROM SHANGHAI sind Kunstwerke, die das Unheimliche, das vermeintlich Unergründliche
von Absichten, Emotionen, Wahrnehmungen, Spiegelungen
des Ich und Widerspiegelungen der oder des Anderen visuell genussvoll auf die Leinwand bringen. Man spürt und
riecht förmlich die Geschichte eines alten Hauses, den
Angst-Atem des potenziellen Opfers und den verrauchten
Duft eines Homme Fatal in GASLIGHT oder das salzige Aroma des Meeres und das verführerische Parfüm einer sympathischen Femme Fatale, der LADY FROM SHANGHAI.
Ständig verdrängen die ProtagonistInnen, was sie besser
fühlen oder wissen müssten, ständig liegt das überwunden
Geglaubte auf der Lauer, die Realität mit dramatischen
Wirkungen atmosphärisch umzugestalten.
Der visuelle Stil des Film Noir erhält die narrative Ambivalenz der Handlung aufrecht, er ermöglicht den ZuschauerInnen Perspektiven wahrzunehmen, die in ihrer Absurdität
und ihrer Realitätsverweigerung das Vertraute unheimlich
und das Unheimliche vertraut scheinen lassen. Das allerdings hat nichts mit den Warnungen für Eltern zu tun, in
denen sie auf der International Movie Data Base vorsorglich darauf hingewiesen werden, dass in Orson Welles’ Film
Frauen in Badeanzügen vorkommen, zu viel getrunken wird
und vor allem: »Probably half of the people on the screen
are smoking at any given time.«2 Davon ist aber gewiss
nicht nur die LADY VON SHANGHAI betroffen, die, obgleich
sie wie schon Marlene Dietrich in Joseph von Sternbergs
SHANGHAI EXPRESS nie in der fernen Stadt gezeigt wird,
sondern höchstens durch die Straßen von Chinatown
streicht, dennoch vor allem dort von einem betörenden,
exotischen Schleier umhüllt wird. Doch mit dem Rauchen
hat es eine eigene Bewandtnis, was die KennerInnen des
Film Noir natürlich wissen oder ahnen.
Zum klassischen Film Noir der 1940er- und 1950er-Jahre
gehören der sinnlich schwingende Rauch und die langsam
aufglimmende Flamme eines Feuerzeugs genauso wie ein
Lied an der Bar oder ein ekstatisch aufputschender Jazz,
und all das verrät mehr über die Inhalte der Filme als
GASLIGHT
jeg­licher Dialog. Wie und mit welcher Hand, mit welcher
dezent-eleganten Geste der Finger, ein Streichholz oder
eine Zigarette dem Mund sich nähert oder entfernt, von
Mund zu Mund wechselt, oder schnell eine weitere Zigarette angeboten wird, bedächtig aus einer Schachtel gezogen,
entzündet, und ein erster Zug die Lippen verlässt, muss
nicht psychoanalytisch erklärt werden. Es ist ganz einfach
die Zensur, der Production Code der Motion Picture Industry,
die die Darstellung von Intimität, von Lust, Begehren und
Sexualität untersagen. Kurz: den visuellen Erfindungsreichtum, Feuer und Rauch als erotische Hilfsmittel körperlicher
Lust und Befriedigung auf die Leinwand zu bringen und damit die stupiden Vorstellungswelten von Zensoren ad absurdum zu führen, ist eine der Glanzleistungen des Film Noir.
Doch auch die Brutalität der angsterfüllten Blicke, welche
den verstörend umherirrenden Schatten verfolgen, in
GASLIGHT etwa das Warnsignal der Flammen erkennen
oder in THE LADY FROM SHANGHAI durch Spiegelungen
und Widerspiegelungen die von der Dämmerung umhüllten
Schrunden der menschlichen Psyche von allen Seiten beleuchten und ihre narzisstischen Abgründe erfassen, vermochte der Production Code nicht zu entziffern. Auch sie
beschreiben das Unheimliche der Fiktion, das der Film Noir
sich auf subtile Weise heimelig zu machen wusste.
erdrückende Atmosphäre des gespenstisch-bedrohlich gezeichneten Hauses in GASLIGHT, eher an Erzählungen von
Edgar Allan Poe erinnernd, reichen alleine nicht aus, doch
ein wenig mehr psychologische Tiefe würde vielen heutigen
Drehbüchern nicht schaden.
Beispielhaft in beiden Filmen ist die Verbindung der Szenerie
mit dem langsam sich ausbreitenden Rauch, dem sanften
Klang der Musik, den eleganten Gesten und durchschaubar-undurchschaubaren Blicken sowie den schatten­durchzogenen, ambivalenten Charakteren, die das Unheimliche im
Film Noir in einer traumhaften Begegnung auf der Leinwand
festhalten. Vielleicht hätte sich der Wiener Exilant Freud,
hätte sein Leben in London nicht so früh geendet, den anderen Wiener Exilanten Adolf Wohlbrück trotz aller Abneigung
gegen das psychoanalytische Kino doch auf der Leinwand
angesehen.
1Sigmund Freud, »Das Unheimliche« (1919), in: Sigmund Freud,
Der Moses des Michelangelo. Schriften über Kunst und Künstler,
Frankfurt a. M. 2008, S. 169.
2 www.imdb.com/title/tt0040525/parentalguide
GASLIGHT, GB 1940 (16.11., 17.11.2015)
THE LADY FROM SHANGHAI, US 1948 (30.11., 4.12.2015)
KINO.MAGAZIN FILM NOIR RELOADED
ZU DIESEM SPECIAL WERDEN FOLGENDE FILME PRÄSENTIERT:
Was muss einem eigentlich in zeitgenössischer Filmregie
atmosphärisch einfallen, damit jene einmalige visuelle Eleganz, das verruchte Ambiente der nächtlichen Gassen, der
düstere Beigeschmack des menschenleeren Central Parks
oder der verlorene Glanz vom London des 19. Jahrhunderts
im Dickicht der Bilder nicht verrauchen? Die Anlehnungen
an die griechische Mythologie, die Irrfahrt des gebrochenen
Mannes, der von Begierde geleitet den verführerischen
Rufen der Sirene nicht widerstehen kann, oder auch die
21
LA PASADA –
DIE ÜBERFAHRT
EINE KINOBÜHNENSCHAU
E
ine der besonderen Qualitäten des neuen METRO
Kinokulturhauses, das 1924 als »modernes Theater«
gegründet worden ist, liegt in der Möglichkeit, hier
sparten- und genreübergreifende Projekte zu realisieren.
Damit kann vor allem der historische Saal zu einem Aufführungsort entwickelt werden, der die performativen
Darstellungsformen von Film und Kino über die Grenzen
der Leinwand hinaus zu erweitern vermag. Als Pilotprojekt
dafür fungiert die von Anna Maria Krassnigg konzipierte
»Kinobühnenschau« LA PASADA mit Ernie Mangold in der
Filmhauptrolle. Hier wird der Versuch einer bewussten
Verschmelzung von künstlerischen Techniken und Arbeits­
weisen des Films und des Theaters unternommen. Dieses
»Zwillingsverfahren« kann dadurch idealerweise noch profiliert werden, indem die Bühnensituation in einem Haus
gespielt und gedreht wird, das historisch, ästhetisch und
KINO.MAGAZIN LA PASADA – DIE ÜBERFAHRT
»Eine Art märchenhafter
Traumnovelle des
21. Jahrhunderts.«
NÖN
22
symbolisch für die gemeinsame künstlerische Tradition der
beiden Sparten steht: das METRO Kinokulturhaus verbindet
zwei originäre Entwicklungslinien des Kinos und schafft
gleichzeitig Bewusstsein für ein historisches Sonderformat
der österreichischen Filmgeschichte, das in den 1920erJahren Film und Theater in einem eigenständigen neuen
Genre kombinierte. Der Reiz am formalen und inhaltlichen
Experiment LA PASADA liegt nicht zuletzt darin, ein Publikum zu erreichen, das aus Film- und Theaterinteressierten
besteht und das damit ein vor gut 90 Jahren in Österreich
entwickeltes Kinoformat in spektakulärer Form wiederbelebt.
INHALT
LA PASADA – DIE ÜBERFAHRT erzählt die Geschichte eines
alten Mädchens, das es gewagt hat, seinen Lebensplan
rücksichtslos zu verwirklichen und eines frühreifen Jungen,
der durch die Aufdeckung seiner Lebenslüge beginnt, ein
Mann zu werden. LA PASADA erzählt zudem vom leidenschaftlichen Zorn einer Belogenen und der souveränen
Ruhe eines Entwurzelten, der die Relativität von »Wahrheit« längst begriffen hat. Das Stück setzt brillante Einzelgänger ins Grenzland zwischen Bühne und Film, Ich und Du,
Frau und Mann, Europa und Afrika, Land und Meer, Leben
und Tod und verfolgt ihre tragikomischen Fluchten vor den
Beschränkungen durch ein normiertes Leben, aber auch
vor Verantwortung und Erinnerung. Der Übergang vom
Leben in den Tod und von der tödlichen Langeweile der
Pubertät ins Leben hinein, der Übergang aus dem Dunkel
schützender Lügen ins Licht unbequemer Wahrheiten, vom
Erstarren zum Verzeihen, vom Familienkrimi zur traumartigen Zeitreise wird inszeniert. Die große, aktuelle Frage der
Vereinbarkeit von persönlicher und beruflicher weiblicher
Autonomie mit der verantwortungsvollen Erziehung von
Kindern wird sehr grundsätzlich aufgeworfen.
FORM
LA PASADA verbindet auf poetische Weise Theater und
Film und zitiert damit das reizvolle, historische Genre der
LA PASADA
Die Drahtzieherin hinter diesem Vexierspiel ist Flora, eine
Spiel-Künstlerin, die zu ihrem letzten und stärksten Mittel
greift. Denn wenn die Kunst, auch der filmischen Erzählung,
letztlich darin besteht, mit Lügen von der Wahrheit zu berichten, so muss Flora konsequenterweise zu den Mitteln
ihrer dramatischen Kunst greifen, um ihre Wahrheit zu finden und zu teilen, in all ihrer fragilen Vielschichtigkeit.
LA PASADA ist ein Spiel mit neuen Formen darstellender
Kunst (durch interkreative Verbindung von Erzähltechniken
und Genres) mit einem starken Ensemble rund um Erni
Mangold, Doina Weber, David Wurawa, Martin Schwanda
und Flavio Schily. Den Aufführungen der Bühnenschau
LA PASADA wird die Fertigstellung des Spielfilms gleichen
Namens, der auch mit Mitteln des Crowdfundings finanziert
wurde, folgen.
Die letzten Texte von Anna Poloni wurden erfolgreich in
Luxemburg und Wien, am Grand Theatre de la Ville, im
Salon5 und im Theater Nestroyhof uraufgeführt. LA PASADA
ist eine weitere sprach-spielerische Momentaufnahme der
tragikomischen Verwerfungen zwischen Frauen, Männern,
Generationen und Weltanschauungen, die zu tiefen Rissen
in der Gesellschaft führen können.
»Kaleidoskopartig
changieren Vermutungen und
Emotionen in dieser Séance
der Erinnerungen«
APA
Anna Maria Krassnigg verantwortete zahlreiche Inszenierungen im In- und Ausland, gründete und leitet das Wiener
Theaterlabel Salon5, unterrichtet am Max-Reinhardt-Seminar und leitet die wort.spiele am Thalhof. Ihre Arbeiten
sind von jeher durch ein hohes Ausmaß an interkreativer
Verknüpfung zwischen den verschiedenen Spielarten der
darstellenden Kunst, der Musik und Literatur geprägt.
AUFFÜHRUNGEN
PREMIERE: 17. 11., 20:00
WEITERE VORSTELLUNGEN: 18. / 25. / 26. / 27. / 28.11., 18:00
TEAM & CAST
REGIE Anna Maria Krassnigg | BUCH Anna Poloni | BÜHNE,
AUSSTATTUNG Lydia Hofmann | KAMERA Christoph Hochenbichler |
SCHNITT UND MUSIK Christian Mair | KOSTÜME Antoaneta Stereva |
MIT Erni Mangold, Doina Weber, David Wurawa, Martin Schwanda,
Flavio Schily, Gioia Osthoff, Peter Mair
KINO.MAGAZIN LA PASADA – DIE ÜBERFAHRT
»Kinobühnenschau« oder »Bühnenschau«. Diese Form
der darstellenden Kunst, welche das Medium Film dramaturgisch mit dem Live-Schauspiel verknüpft, gab es
in verschiedenen Ausprägungen von der Revue bis zum
expressionistischen Filmdrama und war besonders in den
20er-Jahren des letzten Jahrhunderts überaus beliebt.
Es ist ein vergessenes Kapitel der darstellenden Kunst und
faszinierte vor allem durch die (ver-)doppelte Präsenz der
SchauspielerInnen sowie duch die verblüffenden Effekte
des Wechselbads zwischen den Erzähl- und Darstellungstechniken. Das METRO Kinokulturhaus kann seine einzigartige Wirkung als Theater und Kino entfalten, das Theater
wird zum Filmset, das Kino zum Theater.
23
CITIZENFOUR
BATTERIEN RAUS, KAMERA AN,
SYSTEM NEU STARTEN
LAURA POITRAS’ FILMISCHE
AUFKLÄRUNGSARBEIT
GUNNAR LANDSGESELL
Erst vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum
der NSA-Renegat Edward Snowden, wohl einer der spektakulärsten Whistleblower der US-Geschichte, ausgerechnet
ihr seine explosiven Datensätze anvertraut hat. Snowden
teilt mit Poitras gleich mehrerlei: seine kritische Haltung
gegenüber dem »System«, die Erfahrung behördlicher Verfolgung, vor allem aber auch das Begehren, die Dimension
des Abhörskandals nicht in Zahlen und Fakten zu ersticken,
sondern dessen Konsequenzen emotional erlebbar zu machen. CITIZENFOUR ist der fil­mische Erfahrungsraum dazu.
Das Centerpiece dieses Dokumentarfilms ist die Begegnung
von Snowden mit Poitras und ihrem Journalisten-Kollegen
Glenn Greenwald in einem Hotelzimmer in Hongkong. Visual
Storytelling der Sonderklasse: einer der meistgesuchten
Männer der USA sitzt hier als blasses Bürschchen mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Bett. Den Kontrast
des Staatsfeindes zur Person erlebt man dabei als atemberaubend und enttäuschend zugleich. Mal zieht sich Snowden
eine Decke über den Kopf, um darunter sichtgeschützt das
Passwort seines Computers einzugeben, oder er erteilt dem
Publikum ganz nebenbei praktische Lektionen. Das Smartphone auszuschalten reicht als Abhörschutz alleine nicht,
immer auch die Batterie herausnehmen. Poitras agiert in
diesen Szenen, wie schon in ihren früheren Filmen, im Modus
des Direct Cinema. Sie folgt dem Geschehen vor ihrer Linse,
ohne zu versuchen, dieses maßgeblich zu beeinflussen.
Smartphone ausschalten
reicht als Abhörschutz
alleine nicht, immer auch die
Batterie herausnehmen.
Poitras produziert Bilder, die keinem Konzept folgen, sondern ganz offensichtlich einem instinktiven Empfinden und
einem historischen Moment gleichermaßen geschuldet
sind. Darin liegt die filmische Qualität von CITIZENFOUR:
nicht so sehr in der Präsentation neuer Fakten als vielmehr
im Vermögen, ein strukturelles Problem, das der Überwachung, an ganz konkreten Akteuren spürbar zu machen.
Dass Laura Poitras im Februar 2015 den Oscar für ihren
Film erhielt, reicht weit über die künstlerische Bestätigung
hinaus und bis in ihr Privatleben hinein. Im Juli, nur wenige
Monate später, hat sie Klage gegen die US-amerikanische
Regierung eingereicht. Die mittlerweile in Berlin lebende
Filmemacherin spricht von »kafkaesken Schikanen« durch
Sicherheitsbehörden. Mehr als 40 Mal sei es auf amerikani-
KINO.MAGAZIN LAURA POITRAS
2013
ein Hearing im US-Senat: James
Clapper, Direktor der Nationalen Geheimdienste, wird gefragt, ob die NSA
Daten von Millionen von Amerikanern sammelt. »Yes or
No?« Clapper verneint, den Blick gesenkt. Über viele Jahre
hinweg hat die Filmemacherin Laura Poitras Material wie
dieses gesammelt. Sie hat Interviews mit Whistleblowern
geführt und Betroffene eines überschießenden Sicherheits­
apparats befragt. Seit den Anschlägen vom 11. September
hat der Staat die Überwachung seiner Bürger massiv ausgebaut. Poitras begann sich intensiv damit zu beschäftigen,
wie Freiheit zugunsten von Sicherheit eingeschränkt wurde.
Wenn sie vom »System« spricht, von dem der Bürger ein
Recht habe zu erfahren, wie es funktioniert, dann wird
deutlich, dass sie sich nicht nur als investigative Filme­
macherin versteht, sondern auch als entschiedene Vertei­
digerin der Bürgerrechte.
25
schen und selbst auslän­di­schen Flughäfen zu Zugriffen auf
sie gekommen.
KINO.MAGAZIN LAURA POITRAS
Den Ruf einer kritischen Beobachterin hat sich Poitras
aber nicht erst durch CITIZENFOUR erarbeitet. Der Film
stellt den Abschluss einer Trilogie dar, die sich mit der Rolle
des Staates im Kontext von Sicherheitsdiskursen befasst.
Der erste dieser drei Filme, MY COUNTRY, MY COUNTRY,
entstand 2006 während der Vorbereitungen zu den ersten
freien Wahlen im Irak. Über mehrere Monate folgt Poitras
mit der Kamera dem Arzt Riyadh al-Adhadh und seiner
Familie in Bagdad. Während Washington diese Wahlen der
Welt als demokratiepolitischen Sieg verkaufen will, verwandeln sie sich in den grimmigen Episoden, die sie in dieser
Zeit auf den von Gewalt und Chaos regierten Straßen und
bei den sorgenvollen Bewohnern Bagdads dreht, in etwas
ganz anderes, das mit der proklamierten Befreiung und
Selbstbestimmung der irakischen Bevölkerung offenbar
nur sehr wenig zu tun hat. Wahlformalitäten werden, weil
der Strom ausgefallen ist, im Schein einer Taschenlampe
vorbereitet, Explosionen erschüttern die Stadt, während
die amerikanische Präsenz angesichts von Black Hawks,
Aufklärungsflugzeugen und einer abgeschotteten US-Kommandozentrale in der sogenannten »Green Zone« eher den
Eindruck einer feindlichen Besetzung erweckt als den einer
Befreiung durch Verbündete.
26
Auf die amerikanischen Behörden muss MY COUNTRY, MY
COUNTRY geradezu wie ein aufrührerisches Stück gewirkt
haben. Während die US-Administration die blühende Zukunft eines neu gestalteten Middle East zeichnet, wechselt
Poitras die Perspektive und rollt das Geschehen von der
irakischen Seite her auf. Es mag erstaunen, welche Bewegungsfreiheiten die Filmemacherin dabei genießt. Sie
ist bei Besprechungen von GIs ebenso anwesend wie bei
einer Visite ihres Protagonisten, des Arztes al-Adhadh,
im berüchtigten Gefängnis von Abu Ghraib. In vielen der
Szenen werden politischer Anspruch und schnöde Realität
augenfällig. So muss der Arzt bei seiner Visite durch einen
breit aufgezogenen Stacheldrahtzaun sprechen. Er notiert
Namen und Symptome, die ihm über mehrere Meter hinweg
einfach zugerufen werden. Statt vom Aufbau der Demokratie berichtet MY COUNTRY, MY COUNTRY von den Zugriffen eines Machtapparats, der vielleicht notdürftig seine
selbst formulierten Kontroll- und Überwachungsaufgaben
durchsetzt, der aber abseits jeder Rhetorik gerade diese
demokratischen Impulse für die Zukunft schuldig bleibt.
Poitras Momentaufnahmen aus dem Irak liefern viele
Einsichten, die sich bis heute bestätigt und bewahrheitet
haben. Die Qualitäten und Konstanten dieser Filmemacherin lassen sich auch am zweiten Film dieser dreiteiligen
Reihe ablesen: THE OATH, 2010 großteils im Jemen entstanden, geht einmal mehr von den Situationen ganz
konkreter Menschen aus, um größere Themen wie Demokratie, Staat und Sicherheit zu verhandeln. Es sind zwei
Akteure aus dem inneren Kreis rund um den Urheber
der Anschläge des 11. Septembers, Osama bin-Laden, deren Biografien Poitras hier verschränkt. Nasser al-Bahri,
genannt Abu Jandal, und Salim Ahmed Hamdan arbeiteten
als Chauffeure, Leibwächter und »Gastgeber« angereister Terroristen in den Camps der al-Qaida. In den USA
scheiterte man bei dem Versuch, diesen Männern eine
Teilnahme an den Anschlägen von al-Qaida nachzuweisen.
Nach jahrelangen Verfahren wurden sie schließlich freigesprochen. Hamdans Fall machte unter dem Titel »Hamdan
vs. Rumsfeld« Schlagzeilen und ging 2006 bis zum Obersten
Gerichtshof. Genau hier liegt die Schnittstelle, an der sich
Poitras mit ihren Filmen bewegt. In welchem Spannungs­
verhältnis stehen diese beiden Männer zum Justiz- und
Sicherheitsapparat, und welche Rollen kommen ihnen im
War on Terror zu?
Insbesondere al-Bahri erweist sich in Poitras hart am Punkt
geführten Gesprächen als faszinierende, ambivalente
Persönlichkeit, die weiterhin Sympathien für al-Qaida signalisiert und zugleich Gewalt bereitwillig verurteilt. Lange
lässt der Film für den Zuschauer offen, ob man es hier mit
einem raffinierten Terroristen zu tun hat oder mit einem
geläuterten Familienvater, der sich um die Sicherheit seiner
Kinder sorgt. »Did you host any of the September guys?«,
fragt Poitras, und kann es selbst kaum glauben, als dieser
schlicht mit »All of them« antwortet und ohne zu zögern
die Namen seiner ehemaligen »Gäste« und damit fast der
gesamten Terrorzelle von 9/11 aufzählt. Der Blick in das
Innere eines Apparats wird hier einmal mehr zur zentralen
Erzählkategorie, die sich unter anderen Vorzeichen auch in
MY COUNTRY, MY COUNTRY und in CITIZENFOUR findet.
In THE OATH ist es der Versuch, die Wirkungsweisen von
al-Qaida zu verstehen, um einer jüngeren Generation neue
Angebote zu machen. Mit CITIZENFOUR wirft Poitras die
Frage auf, wie der Geheimdienstapparat mit seinen Zugriffen
ausgehebelt werden kann – sei es durch Verschlüsselungsprogramme oder durch juristische Mittel.
LAURA POITRAS wurde 1964 in Boston geboren und ist Filme­
macherin und Journalistin. Ihre Filme wurden vielfach prämiert
(u. a. Oscar sowie Preise der British Film Academy und Director’s
Guild of America für CITIZENFOUR, Oscar-Nominierung für COUNTRY,
MY COUNTRY). Sie ist Mit-Initiatorin der Freedom of the Press
Foundation und Mit-Gründerin der publizistischen Website The
Intercept, die sich u. a. der weiteren Aufbereitung des Materials
von Edward Snowden widmet.
Happy - 100 - RAY
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DER 100. HE
ZUM
FILM NOIR RELOADED
MIGRATION UND
RASSISMUS
KLAUS DAVIDOWICZ, FRANK STERN
KINO.MAGAZIN FILM NOIR RELOADED
U
28
nübersehbar sind die zahlreichen visuellen und narrativen Bezüge auf den klassischen Film Noir im heutigen internationalen Spielfilmschaffen. Der Film Noir
als Bewegung und visueller Stil wirkt vor dem Hintergrund
des europäischen Films der Zwischenkriegszeit und des in
der amerikanischen Literatur verwurzelten Thrillers in das
aktuelle Filmschaffen hinein. Im Rahmen der Retrospektive
Migration und Rassismus sollen vergessene, selten gezeigte
oder durch meist politisch motivierte Kürzungen und Synchronisationen entstellte Film-Noir-Werke der 40er- und
50er-Jahre wieder auf die Leinwand gebracht werden. Eine
Handvoll äußerst sehenswerter, spannender Filme werden
an drei Filmabenden gezeigt – Entdeckungen ebenso wie
Kontextverschiebungen –, die im Ensemble möglicherweise
Überraschendes zutage fördern; Belege einer Kurskorrektur aktueller Debatten sind sie allemal. Einige dieser Filme
sind nie oder nur in unvollständiger Fassung im deutschsprachigen Raum gezeigt worden. Wahrscheinlich waren sie
den Verleihern gesellschaftspolitisch zu heiß oder entsprachen nicht dem, was in den ersten Jahrzehnten nach 1945
allgemein als publikumstauglich galt.
POLITISCHE DIMENSIONEN DES FILM NOIR
Die Filme sollen neu und in einem komplexeren Zusammenhang gesehen werden, was dem Filmvergnügen keinen
Abbruch tut – eher im Gegenteil. Es sind, was für viele der
demokratisch engagierten und antifaschistischen RegisseurInnen und DrehbuchautorInnen in Hollywood selbstverständlich war, Filme mit einer Botschaft, einer gesell-
schaftskritischen, emotional bewegenden und Diskussionen
auslösenden Handlung.
Während der deutschsprachige Film in Berlin seit 1933 und
in Wien bereits vor 1938 vom Reichspropagandaministerium unter Goebbels faschistisch gleichgeschaltet wurde und
seit 1939 verstärkt einen antihumanistischen, rassistischen
und antisemitischen Feldzug auf der Leinwand führte,
besann sich Hollywood langsam auf demokratische Werte
und die Notwendigkeit antifaschistischer Aufklärung. Ab
1939 konterten die Filmstudios in Hollywood die visuelle
Propaganda faschistischer europäischer Regimes zunächst
zögerlich, nach dem Kriegseintritt der USA allerdings
vehement.
Nun war es vor allem der Krieg selbst, der ins Zentrum der
Filme rückte. Es sollte gezeigt werden, dass alle GIs gleich
sind und die selben Kampfziele verfolgen, egal, ob sie Todd,
Ramirez, Matowski oder Feingold heißen, wie in BATAAN
(1943, R: Tay Garnett). Wenige Filme befassten sich konkret mit der Situation im besetzten Europa wie Fritz Langs
HANGMEN ALSO DIE (1943) oder mit der Shoah wie NONE
SHALL ESCAPE (1944, R: André de Toth). Nicht wenige
Filme bezogen aber auch die Realität der Vertreibung, die
Verbrechen der Nazis in den besetzten Ländern, die Flucht
aus Europa und das Elend der Asylsuchenden mit ein.
Auf der Flucht vor dem Zugriff der Nazis klopften zahl­lose Flüchtlinge an die Tore der amerikanischen Grenzen,
versuchten in den USA Asyl zu finden, doch deren Immi­
CASABLANCA
Die Häfen in Portugal und Nordafrika wurden zu Transitorten und Wartesälen für diejenigen, die Europa nicht mehr
haben wollte. CASABLANCA (1942) von Michael Curtiz und
A LADY WITHOUT PASSPORT (1950) von Joseph H. Lewis
haben dem eine bleibende kulturelle Erinnerung verschafft.
Doch auch in den Häfen der Karibik warteten geflüchtete
Frauen und Männer, gingen Schlepperbanden auf ihren
zynischen Fang. Fred Zinnemann erarbeitete 1941 einen
Film für die Shorts-Serie CRIME DOES NOT PAY, der dieses Thema so eindrucksvoll behandelte, dass er als bester
Kurzfilm für den Oscar gehandelt wurde: FORBIDDEN
PASSAGE. Unter den am Film Beteiligten waren auch aus
Europa geflohene SchauspielerInnen.
Anthony Mann führte Regie bei einem der wohl härtesten
und ästhetisch gelungensten Filme über Wirtschaftsmigration, brutale Ausbeutung und kriminelle grenzüberschreitende Banden: BORDER INCIDENT (1949). Rassismus in
den USA der 50er-Jahre behandelt Robert Wise in ODDS
AGAINST TOMORROW (1959), dessen Geräusche so eindrücklich waren, dass Pierre Melville sie in seinem LE
CERCLE ROUGE (1970) einbaute.
Den Abschluss der Retrospektive bildet ein in Original­
fassung im deutschsprachigen Raum bisher nicht gezeigter
Film von Lewis Milestone, THE NORTH STAR (1943). Dieser
antifaschistische Propagandafilm ist einer der wenigen, die
sich mit der Rolle der Wehrmacht nach dem Überfall auf
die Sowjetunion beschäftigen.
Im Rückblick stellt sich nach wie vor die Frage, welche Rolle
filmische Propaganda oder Aufklärung in der Durchsetzung
einer demokratischen Politik spielen können. Es geht um
den Stellenwert der visuellen Kultur in unserer Gesellschaft,
um das Verhältnis von individueller Verantwortung des Filmschaffenden und der Politik. Und das ist keine Frage allein
der Geschichte, sondern eine Herausforderung, der sich jede
Generation von neuem kreativ stellen muss. In der Retrospektive zerbrechen schnell Bilder trügerischer Sicherheiten,
und dann ist es nur noch Nacht in Dramen, in der die Schatten des deutschen Expressionismus-Kinos weit hineinreichen. Spannende und oft großartig inszenierte und gespielte
Noirs werden in dieser Retro an dem Ort gezeigt, wo sie ihre
Wirkung am besten entfalten – im Kino.
ZU DIESEM SPECIAL WERDEN FOLGENDE FILME PRÄSENTIERT:
FORBIDDEN PASSAGE, US 1941, BORDER INCIDENT, US 1949
(BEIDE 20.11., 23.11)
ODDS AGAINST TOMORROW, US 1959 (21.11, 24.11)
KINO.MAGAZIN FILM NOIR RELOADED
grationspolitik war restriktiv. So wie heute im Nahen Osten
und in Europa gab es ein oft tragisches Wechselspiel zwischen legaler und illegaler Einwanderung, zwischen lebensrettender Flucht und dem Unverständnis der Regierungen
potenzieller Einwanderungsländer.
THE NORTH STAR, US 1943 (22.11, 25.11)
29
KINDER DER WELT
EIN FILMISCHES VERMÄCHTNIS
AUS DEM JÜDISCHEN EXIL
IN SHANGHAI
URSULA WOLTE
KINO.MAGAZIN KINDER DER WELT
Luise und Jakob Fleck
30
A
ls Luise und Jakob Fleck 1947 aus dem Exil in Shanghai nach Wien zurückkehren, sind sie, wie viele andere
Heimkehrer, zu alt für einen Neuanfang. Die Produktionslandschaft in Österreich und Deutschland hatte sich
radikal verändert, und die Flecks haben kaum finanzielle
Mittel. Ihre im Exil entstandene Regiearbeit KINDER DER
WELT, gedreht unter den widrigen Bedingungen der japanischen Besetzung und 1941 aufgeführt, sollte deshalb ihr
letztes Werk bleiben.
Jakob und Luise Flecks Bedeutung für die österreichische
Filmgeschichte ist vielumfassend. Gemeinsam mit dem
1922 verstorbenen Anton Kolm, Luises erstem Ehemann,
gehörten sie zu den zentralen Figuren des österreichischen
Films, im Grunde standen sie an dessen Beginn. Zumeist
in Co-Regie drehten sie zwischen 1908 und 1941 an die
90 Filme, hauptsächlich Literaturverfilmungen. Begonnen
haben die Flecks mit der Filmarbeit unter dem Markenzeichen der eigenen Wiener Kunstfilm GmbH, Anfang der
20er-Jahre folgte dann die Gründung der Vita-Film AG,
aus der die bedeutendsten österreichischen Ateliers, die
Rosenhügel-Studios, hervorgegangen sind. Mitte der 20erJahre übersiedelten sie nach Berlin,es folgten Jahre intensiver Produktionstätigkeit, bis in die frühen 30er-Jahre.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendete
schlagartig die Karriere des Juden Jakob Fleck und damit
auch jene seiner nicht-jüdischen Frau. Was folgte war Exil
in der Heimat, Anfeindungen, kaum Engagements. In den
fünf Jahren bis zum Anschluss konnten sie nur noch zwei
Filme fertigstellen. Mit viel Glück und aktiver Mithilfe des
in die USA emigrierten Schauspielers und Regisseurs Wilhelm Dieterle gelang es Luise Fleck 1940, ihren 18 Monate
zuvor nach Dachau und Buchenwald verschleppten Jakob
freizubekommen und sich zwei Schiffskarten für Shanghai
zu besorgen.
Mittellos und bar jeder Kontakte kamen die Flecks im Februar 1940 dort an: »Anfangs waren wir verzweifelt, da wir
die englische Sprache nicht beherrschten und Englisch hier
unerlässlich ist. Ein gnädiges Geschick half uns aber über
diese Schwierigkeiten hinweg. Am Morgen des zweiten
Tages wurden wir von einer Frau, die ein ziemlich schlechtes
Französisch sprach, angerufen und gefragt, ob wir die
Filmleute wären, die mit der Biancamano angekommen waren. Mehr konnte ich nicht verstehen. Auch mit Hilfe eines
Bekannten, der die Firmen der Filmbranche in Shanghai
kennt, konnten wir die Französisch sprechende Frau nicht
ausfindig machen; wir vermuteten nämlich, dass es sich um
eine Angehörige der Filmbranche handle. Kurz entschlossen fuhren wir zu einem Filmunternehmen und wurden zu
dem Direktor vorgelassen, mit dem wir uns durch einen
Dolmetsch unterhielten.«1
Dieser Direktor war Fei Mu, zwar nicht der ursprünglich
gesuchte Filmproduzent, aber immerhin ein Regisseur,
der gerade dabei war, in seinem eben erst gegründeten
Min-Hua-Studio den Kostümfilm KONFUZIUS zu drehen.
Die Emigranten ließen ihr Interesse an einer filmischen
Tätigkeit durchblicken. Fei Mu war mit einem Engagement
zurückhaltend, doch entwickelte sich im Laufe des Jahres
eine Freundschaft zwischen dem chinesischen Regisseur
und seinen österreichischen Kollegen. Schließlich bot er
ihnen im Frühjahr 1941 an, bei seinem zweiten Film Regie
zu führen.
Mitte 1941 begannen die Dreharbeiten zu KINDER DER
WELT. Fei Mu verfasste das Drehbuch, Luise und ihr Mann
übernahmen offiziell die Regie, doch muss man davon
ausgehen, dass sich Fei Mu erheblich an der Inszenierung
beteiligt, nicht zuletzt aufgrund der sprachlichen Situation, da alle Mitarbeiter Chinesen waren. Noch vor den
Dreharbeiten schrieben die Flecks an den nach London
emigrierten Drehbuchautor Emeric Pressburger über den
geplanten Film, der zu diesem Zeitpunkt noch den Arbeitstitel Heimatlos in Shanghai trug: »Selbstverständlich wird
dieser Film in englischer Sprache gedreht. Die Spezialität
dieses Films ist, dass wirklich echtes Leben und Treiben,
das Lachen und Weinen von Shanghai mit seinen 46 Nationen und mit seinen Emigranten in dieser aktuellen, starken
Handlung gezeigt wird und bietet einen großen Einblick
in das chinesische Leben, mit seinen Sitten und Gebräuchen. Wir versprechen uns von diesem Film einen großen
Erfolg, da wirklich erstklassige Künstler, schöne Frauen
und Männer mitwirken; Amerikaner und Chinesen. Da die
Herstellungskosten dieses Films sich hier in Shanghai um
1.000 % billiger stellen als in Europa, geschweige denn in
Hollywood, so ist es immer möglich an großartiger Ausstattung und an Massenszenen nichts fehlen zu lassen.«2
KINO.MAGAZIN KINDER DER WELT
Resident certificate Luise Fleck
31
KINO.MAGAZIN KINDER DER WELT
Am Set von CHILDREN OF THE WORLD
32
Der fertige Film erwies sich letztlich als ein ganz anderes
Produkt, vielleicht kam sogar ein anderes Drehbuch als
geplant zum Zuge. KINDER DER WELT war ein rein chinesischer Film geworden, es wurden keine weiteren Ausländer
engagiert und keine Massenszenen gedreht, im Gegenteil,
es ist ein intimes Werk über die Freundschaft von zwei
Männern und zwei Frauen. Die beiden jungen Männer, die
wie Brüder aufgewachsen sind, verlieben sich in dasselbe
Mädchen. Die Handlung beginnt 1927, der Hauptteil der
Geschichte spielt zwischen 1937 und 1941. Es ist einer der
seltenen Filme dieser Zeit, die sich mit der Gegenwart auseinandersetzen, allerdings in sehr indirekter Form. Die seit
1937 bestehende Okkupation Shanghais durch die japanischen Truppen und der noch immer heftig geführte Krieg
zwischen den Japanern und Chinesen wird nicht explizit
erwähnt, die Andeutungen waren jedoch für das damalige
Publikum unmissverständlich.
Die Flecks drückten dem Film ihren Stempel auf, vielleicht
nahmen sie auch Einfluss auf das Drehbuch. Europäische
Bezüge sind allgegenwärtig, so ist eine Szene in einer
Kirche, bei einer Weihnachtsfeier und in einer westlich gestalteten Tanzhalle angesiedelt. Die jungen Männer kleiden
und benehmen sich europäisch, einer der Väter ist gerade
aus Frankreich zurückgekehrt. Die Kameraführung ist für
damalige chinesische Verhältnisse innovativ, die Musik des
gesamten Filmes ist rein westlich ausgelegt.
Am 4. Oktober 1941 gelangte der Film zur Uraufführung,
in der Abendzeitung vom 6. Oktober fand sich folgende
Kritik: »Unter den chinesischen Filmen gibt es wohl gute,
aber diese wenigen auch sehen zu können, ist nicht leicht.
Das liegt daran, dass hier in Shanghai die Filmemacher dem
Geschmack des breiten Publikums folgen und es daher kaum
innovative Produktionen gibt. So gibt es inmitten der derzeitigen Schwemme an Kostümfilmen leider nur einen Film,
der es wert ist, hervorgehoben zu werden, das ist KINDER
DER WELT. Denn KINDER DER WELT hat seinen eigenen Stil,
ist eine originelle Kreation mit realem wichtigem Gehalt.
Die Geschichte ist zwar sehr einfach und ohne besondere
Verwicklungen, und was geschieht, scheint willkürlich. Ich
beziehe mich aber nur auf die Handlung, im Gesamten gesehen ist dieser Film erfüllt von großer, selbstverständlicher
Menschlichkeit, von wahrer Freundschaft, und ist nicht eine
der gewöhnlichen Dreiecks-Geschichten, die man kennt. Ziel
des Filmes ist es, die wahre Gestalt der Liebe darzustellen,
von der Selbst- bis hin zu einer umfassenden Liebe.« Lobend hervorgehoben wurde weiters die Kameratechnik, die
realistische und einfühlsame Einbeziehung von allgemein
bekannten Drehorten, die symbolträchtigen Bilder, die eine
Gefühlswelt der Hauptfiguren zum Vorschein bringt, die in
chinesischen Filmen so ausgeprägt nicht zu finden ist. Abschließend heißt es dort: »KINDER DER WELT ist ein Gedicht,
das anregt, über die Realität nachzudenken.«
Nur wenige Wochen später wurde die so erfolgreich begonnene Arbeit der Flecks jäh unterbrochen. Nach dem Eintritt
Japans in den Zweiten Weltkrieg und der japanischen Besetzung der Internationalen Konzessionen in Shanghai am
7. Dezember 1941 wurde der Film vom Spielplan genommen,
die staatenlosen jüdischen Flüchtlinge wurden bis auf wenige Ausnahmen im Bezirk Hongkou interniert. So auch die
Flecks, die von da an keine Möglichkeit mehr hatten Geld zu
verdienen und nur dank der Flüchtlingsunterstützung vor
Ort und der Hilfe ihres Freundes Fei Mu überleben konnten.3 Nach Kriegsende dauerte es bis 1947, bis Jakob und
Luise Fleck das erforderliche Geld aufgetrieben hatten, um
nach Österreich zurückkehren zu können. Zu dieser Zeit
etwa schuf Fei Mu sein Meisterwerk FRÜHLING IN EINER
KLEINEN STADT (1948).
Plakat CHILDREN OF THE WORLD
KINDER DER WELT handelt von gegenseitiger Achtung, von
persönlichem Leid, von Hoffnung, Opferbereitschaft und
vom Kampf für Recht und Freiheit. Die drei großen Künstler
hatten sich in Kriegszeiten kennen und schätzen gelernt. Neben ihren herausragenden Leistungen und der gemeinsamen
Liebe und Faszination für das Medium Film einte sie ein tiefes Verständnis für die Problematik der Menschen in Krisenzeiten. Alle hatten sie den Untergang einer Welt erlebt: die
Flecks jenen des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, Fei
Mu den der traditionellen chinesischen Werte. Die alte Welt
war in Aufruhr geraten, und ihre Fundamente wackelten – für
alle drei gab es nur eine Antwort, um diese schweren Zeiten
zu überstehen: das Ideal und Menschlichkeit.
1 Jüdisches Nachrichtenblatt, Berlin, 22.7.1940.
2Brief vom 27. Juni 1941, Schriftgutarchiv der Stiftung Deutsche
Kinemathek Berlin, Sammlung A. Pressburger.
3Interview von 1995 von Paul Rosdy mit Xu Buzeng während der
Recherchen zu seinem Film ZUFLUCHT IN SHANGHAI.
24.11.2015: SYMPOSIUM & FILMGALA KINDER DER WELT
KINO.MAGAZIN KINDER DER WELT
CHILDREN OF THE WORLD
33
EL REGRESO DE LENCHO
KINO DER REGIONEN
KINO IM MITTELAMERIKANISCHEN RAUM
CHRISTINE BEDOYA, ANICO HERBST
Die audiovisuelle Produktion der mittelamerikanischen
Region ist außerhalb Amerikas wenig bekannt. Ihr Ursprung liegt am Beginn des vorigen Jahrhunderts, vor
allem zu dieser Zeit gab es jedoch nur mangelhafte wirtschaftliche und technische Möglichkeiten. In späteren
Jahren wurde der Einfluss der Filmindustrie sowohl Nordamerikas als auch Mexikos zunehmend spürbar. Auch
aus Europa kamen Tendenzen, die über die verschiedenen
Kulturzentren und -institute in die Länder der Region Einzug hielten. In den letzten Jahrzehnten des vergangenen
Jahrhunderts trugen die Schaffung des nationalen Instituts für Kino in Costa Rica und des Instituts für Kino im
sandinistischen Nicaragua zum Entstehen eigener Strömungen bei, die sich mit der nationalen Wesensart jedes
Landes identifizierten.
Besonders in den letzten Jahren sind weitere lokale Initiativen entstanden, die die filmische Produktion der Region
unterstützen und weiter bekannt machen sollten. Beispielhaft sind hier die Casa Comal in Guatemala und ICARO, ein
Filmfestival, das jährlich in Guatemala Stadt veranstaltet
wird, weiters die Initiative CINERGIA in Costa Rica oder
auch das seit 2010 existierende Dokumentar- und Menschenrechtsfilmfestival Muestra de Cine Internacional
Memoria Verdad Justicia in Guatemala.
In Mittellateinamerika hat
sich in den letzten Jahren eine
kreative und anspruchsvolle
Filmszene entwickelt.
Diese gesamte Entwicklung hat zu einer gesteigerten Produktion von Spiel- und Kurzfilmen geführt, aber auch Dokumentar- und Trickfilme werden nun vermehrt produziert.
Es ist ein neues Selbstbewusstsein entstanden. Auch wenn
Mittellateinamerika kinematografisch geradezu eine unbekannte Region ist, hat sich in den letzten Jahren eine
kreative und anspruchsvolle Filmszene entwickelt, die zunehmend auf internationales Interesse stößt. So waren
Produktionen unter anderem auf der Berlinale, auf dem
Sundance Filmfestival, dem Tribeca Festival, der Biennale
in Venedig, ja sogar bei der Oscarverleihung vertreten.
Trotz dieser Erfolge muss dennoch erwähnt werden, dass in
der Region die notwendige institutionelle Unterstützung für
Filmschaffende fehlt. Obwohl in den Ländern einzelne Filmförderungseinrichtungen existieren, ist deren finanzielle
KINO.MAGAZIN KINO DER REGIONEN
L
ateinamerika ist »in«: nicht nur in Wien, in allen Ländern der EU wird zu lateinamerikanischer Musik getanzt, lateinamerikanische Bars und Restaurants sind
beliebt wie nie und die lateinamerikanische Küche ist bestens bekannt. Aber wie sieht es mit dem lateinamerikanischen Film – speziell aus Mittelamerika – aus? Der kulturelle
Reichtum findet nur in wenigen Ländern gebührende Aufnahme in das Medium Film, etwa in Kuba, Mexiko und Brasilien, wohingegen Mittelamerika in europäischen Medien
lange Zeit hauptsächlich im Kontext von Gewalt, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen aufschien. Trotzdem, er
lebt – der mittelamerikanische Film!
35
ROMPIENDO DE LA OLA
ABRAZOS
Ein kultureller Brückenschlag,
der einen realistischen
Einblick in eine Teilregion des
amerikanischen Kontinents
ermöglichen soll.
DISTANCIA
Papaya Media Association organisiert seit 2007 in Zusammenarbeit mit der guatemaltekischen Casa Comal, dem
mittelamerikanischen ICARO, der Filmkommission von
Guatemala und mit unabhängigen ProduzentInnen und
RegisseurInnen ein fünftägiges Festival in Wien, um mittelamerikanische Dokumentar-, Spiel-, Kurz- und Animationsfilme vorzustellen. Ziel dieses nun seit acht Jahren sehr
erfolgreichen Konzepts ist ein kultureller Brückenschlag,
der vor allem ÖsterreicherInnen einen realistischen Einblick in eine Teilregion des amerikanischen Kontinents
ermöglichen soll.
Die sogenannte Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika
ist geprägt von eindrucksvollen Landschaften, einer bewegten Geschichte, einem großen Sprachschatz, abwechslungsreicher Kulinarik, außergewöhnlichen Künstlern und mannigfachen Kulturen verschiedener indigener Völker, aber auch
von sozialer Ungerechtigkeit und alltäglicher Gewalt. Filme
aus dieser Region können all das auf ihre jeweils ganz spezielle und eindrückliche Weise den Besuchern nahe bringen.
Dank der besonderen Atmosphäre und der zahlreichen
Gäste – ob Filmschaffende, MusikerInnen, SchriftstellerInnen oder ExpertInnen – wird ein lebendiger, internationaler
Austausch und eine spannender Diskurs ermöglicht. Das
Publikum kann sich über jeden Film eine Meinung bilden
und diese auch abgeben.
Die Informationen aus den Bewertungsbögen werden im
Anschluss systematisch ausgewertet, und auf Basis dieser
Bewertung werden Publikumspreise für verschiedenste
Filmgenres vergeben.
Auf der Website des Festivals www.centroamerica.at
werden nach der Filmfestwoche Fotos der Veranstaltungen
publiziert und die Preisträger bekannt gegeben.
KINO.MAGAZIN KINO DER REGIONEN
Ausstattung und somit die Unterstützungsmöglichkeit für
Filmschaffende und Filmproduktionen nur minimal.
37
38
KINO.PROGRAMM AUS FLEISCH UND BLUT
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EIN AUGENBLICK FREIHEIT
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KINO.PROGRAMM AUS FLEISCH UND BLUT
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KINO.PROGRAMM AUS FLEISCH UND BLUT
LAND IN SICHT
FLUCHT. KINO, DAS BEWEGT
40
ACHTUNG STAATSGRENZE S. 57
AL KALB S. 45
AM RANDE DER WELT S. 55
ATLANTIC S. 58
EIN AUGENBLICK FREIHEIT S. 46
BLACK BROWN WHITE S. 54
COMA S. 55
DESTINACIJA SERBISTAN S. 50
DHEEPAN S. 43
DONAU, DUNA, DUNAJ, DUNAV, DUNAREA S. 49
EIN EINFACHES EREIGNIS S. 52
EVERYDAY REBELLION S. 44
EXILE FAMILY MOVIE S. 52
FLÜCHTLINGE FILMEN S. 46
GEMMA GÜRTELKÄFIG S. 58
IN THIS WORLD S. 44
JUGOFILM S. 48
LAMERICA S. 51
LAMPEDUSA IM WINTER S. 47
THE LAND BETWEEN S. 51
LAND IN SICHT S. 50
LETTERS FROM AL YARMOUK S. 59
LITTLE ALIEN S. 53
LOVE DURING WARTIME S. 42
LOVERS‘ NOTEBOOKS S. 45
MACONDO S. 43
MAMA ILLEGAL S. 45
MARZIA, MY FRIEND S. 41
MINOR BORDER S. 53
MOBILE PHONE FILMS S. 59
NERVEN BRUCH ZUSAMMEN S. 57
PERSEPOLIS S. 53
LA PIROGUE S. 42
THE PUNISHMENT S. 48
REISE DER HOFFNUNG S. 56
SCHWARZKOPF S. 58
START WHERE YOU ARE S. 52
SUZIE WASHINGTON S. 54
THIS HAS BEEN BOTHERING ME THE WHOLE TIME S. 46
THIS HUMAN WORLD S. 44
WELCOME S. 56
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M
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MARZIA, MY FRIEND /
MARZIA, YSTÄVÄNI
KIRSI MATTILA, FINNLAND 2015
BUCH Kirsi Mattila | KAMERA Sari Aaltonen, Alka Sadat, Malek Shafi’i, Kirsi Mattila, Hashim
Didari | MUSIK Pessi Levanto | SCHNITT Hanna Kuirinlahti | LÄNGE 80 min | FORMAT Farbe,
OmeU, DCP
MONTAG, 9.11. ÖSTERREICH-PREMIERE MIT
ANSCHLIESSENDEM PUBLIKUMSGESPRÄCH
Marzia ist jung, intelligent und engagiert. Sie arbeitet als
TV-Moderatorin und träumt von einem selbstbestimmten
und unabhängigen Leben. Im Westen keineswegs ungewöhnlich für eine junge Frau, in Marzias Heimatland Afghanistan jedoch herrschen andere Gebote. Marzia muss nach
und nach erkennen, dass ihre Zukunftswünsche nicht in
Erfüllung gehen werden und sie sich dem traditionellen
Frauenbild in Afghanistan unterordnen muss. Die finnische
Regisseurin Kirsi Mattila begleitet Marzia über vier Jahre
lang, in einer Zeit als die internationalen Truppen aus
Afghanistan abziehen.
Ein beeindruckender Film über die höchst unterschiedlichen
Lebensrealitäten der Frauen in Afghanistan, dem zweit­
größten Herkunftsland der nach Österreich flüchtenden
Menschen.
MARZIA, MY FRIEND wurde mit zahlreichen Preisen aus­
gezeichnet, darunter der Award for Best Human Rights
Feature in Association with Amnesty International (Galway
Film Fleadh, Irland 2015) oder der Preis für die beste
Dokumentation beim Montreal World Film Festival 2015.
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
MO 9.11., 19:30 | DI 10.11., 20:00 | MI 11.11., 18:30 |
DO 12.11. 20:00 | SA 14.11., 20:00 | SO 15.11., 20:00
41
DI 10.11., 19:30
MI 11.11., 20:30
LOVE DURING WARTIME
LA PIROGUE / GOOR FIT /
DIE PIROGE – BOOT DER
HOFFNUNG
GABRIELLA BIER, S/DK 2010
BUCH Gabriella Bier | KAMERA Albin Biblom | SCHNITT Dominika Daubenbüchel, Thomas
Lagerman | MUSIK El Perro del Mar, Uno Helmersson | MIT Jasmin Avissar, Menachem
Avissar, Miriam Avissar, Osama Avissar | LÄNGE 92 min | FORMAT Farbe, OmU, Blue-Ray
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
LOVE DURING WARTIME ist eine reale, zeitgemäße Version
von Romeo und Julia: zwei Menschen im Kampf gegen die
feindliche Welt mit der einzigen Waffe, die sie haben: der
Liebe. Mitten in den Trümmern und dem Rauch des weltweit
wohl bekanntesten Konflikts sind der palästinensische
Künstler Osama und Jasmin, die israelische Tänzerin und
Tochter eines jüdischen Einwanderers. Argwohn und Drohungen der israelischen Bürokratie machen ihr Leben zum
Albtraum. Alles, was sie wollen, ist, sich eine gemeinsame
Zukunft aufzubauen, fernab von Politik, Religion und Geschichte. Natürlich nicht einfach in einem Land, dessen beide Gesellschaften ihnen den Rücken kehren, in Ablehnung
dieser schicksalhaften Verbindung. Und so brechen sie auf
und verlassen ihr Land, auf der Suche nach einem neuen
Leben.
42
»Für mich handelt diese Geschichte davon, was passiert,
wenn Staaten es einigen ihrer Bürger unmöglich machen
zu bleiben, sie dazu zwingen, zu emigrieren. Es ist eine
echte Tragödie. Israel und Palästina brauchen Menschen
wie Jasmin und Osama.« (Gabriella Bier)
PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DER REGISSEURIN UND DEN HAUTDARSTELLERINNEN.
MOUSSA TOURÉ, SN/F/D 2012
BUCH Abasse Ndione, David Bouchet, Eric Névé | KAMERA Thomas Letellier | SCHNITT Josie
Miljevic | MIT Souleymane Seye Ndiaye, Laïty Fall, Malaminé Yalenguen Dramé, Balla Diarra |
LÄNGE 96 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
»Im Senegal hat sich eigentlich aus jeder Familie jemand
mit einem Boot auf den Weg gemacht, um sein Glück in
Europa zu suchen«, sagt Regisseur Moussa Touré über die
Entstehung seines Films. LA PIROGUE erzählt von dem
Fischer Baye Laye, der sich widerwillig als Kapitän anheuern lässt, um eine Gruppe von Migranten über den Atlantik
zu den Kanarischen Inseln zu bringen. In einem schlichten
Motorboot, das eigentlich für den Fischfang in Küstengewässern gebaut ist, mit einem Minimum an Ausrüstung und
Know-how. An Bord befinden sich dreißig Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich kaum verständigen können,
darunter auch der Schlepper Lansana und Baye Layes jüngerer Bruder Abou. Sie alle haben teuer bezahlt für die
Überfahrt. Sie alle haben Pläne, träumen von Karrieren als
Fußballer und Musiker oder einfach nur davon, auf einer
spanischen Gemüseplantage ein vernünftiges Auskommen
zu finden. Und sie haben Angst. Aber nur Baye Laye kann
sich vorstellen, was wirklich auf die Pirogue zukommt.
DO 12.11., 19:00 | MI 18.11., 20:45
DO 12.11., 21:00
MACONDO
DHEEPAN
SUDABEH MORTEZAI, A 2014
JACQUES AUDIARD, F 2014
Ramasan muss viel Verantwortung übernehmen für einen
Elfjährigen. In der traditionellen tschetschenischen Gesellschaft gilt er seit dem Tod seines Vaters als Mann im Haus,
der sich um seine Mutter und seine zwei jüngeren Schwestern kümmern muss. Seine Welt ist in Macondo angesiedelt,
einer rauen Flüchtlingssiedlung mitten im Industriegebiet
am Stadtrand von Wien. Ramasan spricht viel besser
Deutsch als seine Mutter Aminat und er agiert bei Amtswegen oft als Übersetzer für sie. Aminat ist auf seine Hilfe angewiesen, muss sie doch mit dem Verlust ihres Mannes, der
Flucht aus Tschetschenien und dem harten Alltag als berufstätige, alleinerziehende Mutter in einer fremden Gesellschaft zurechtkommen. Ramasans enge Welt bricht auf, als
Isa, ein Kriegskamerad des toten Vaters, in die Wohnsiedlung einzieht. Doch als Aminat beginnt, sich für Isa zu interessieren, beginnt für Ramasan ein emotionaler Konflikt. Er
fühlt den Drang, das Bild des toten Vaters zu beschützen …
MACONDO, der erste Spielfilm von Sudabeh Mortezai, feierte seine Weltpremiere im Wettbewerb der Berlinale 2014.
BUCH Jacques Audiard, Thomas Bidegain, Noé Debré | KAMERA Eponini Momenceau | SCHNITT
Juliette Welfling | MUSIK Nicolas Jaar | MIT Antonythasan Jesuthasan, Kalieaswari Srinivasan,
Claudine Vinasithamby | LÄNGE 109 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
Um dem Bürgerkrieg in Sri Lanka zu entfliehen, gibt sich
Dheepan, ein ehemaliger Soldat der Tamil Tigers, zusammen mit einer jungen Frau und einem neunjährigen Mädchen als Familie aus. Die Flucht nach Frankreich gelingt,
und die drei finden Unterschlupf in einem der heruntergekommenen Pariser Vororte. Hier schlägt sich Dheepan erst
einmal als illegaler Straßenverkäufer durch, bis er einen
Job als Hauswart in einem der Wohnblocks bekommt. Doch
ausgerechnet dieser entpuppt sich als Hauptquartier der
lokalen Drogengang, und Dheepan, der dem Krieg entfliehen wollte, findet sich schon wieder an der Front.
Jacques Audiard hat ein Gespür für die soziale Realität.
Wenn der ehemalige Soldat nach Monaten als fleißiger
Hauswart plötzlich in den Bandenkrieg eingreift, dann ist
das einerseits plausibel, denn schließlich hat er – im Gegensatz zu den meisten der bandenkriegenden Banlieue-Kids –
tatsächliche Kriegserfahrung. Andererseits ist diese Wendung überhöht und hat etwas Surreales. Bigger than life.
Dieser Spagat funktioniert deshalb so gut, weil Audiard
sich und seinen Laiendarstellern die Zeit gönnt, einen
Alltag aufzubauen: Wie der Mann und die beiden Frauen
langsam zu der Familie werden, die sie zunächst nur darstellen wollten, wie sie sich bei Rückschlägen gegenseitig
daran erinnern, dass sie eine Fiktion leben, und wie der
fremde Blick auf Frankreich und seine Gewohnheiten
plötzlich auch für uns ein anderer wird: Das ist großartig.
(Michael Sennhauser)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
BUCH Sudabeh Mortezai | KAMERA Klemens Hufnagl | SCHNITT Oliver Neumann |
TON Atanas Tchokalov | LÄNGE 85 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
43
FR 13.11., 18:00 | DO 3.12., 20:30
FR 13.11., 21:00
EVERYDAY REBELLION
IN THIS WORLD
THE RIAHI BROTHERS, A/CH/D 2013
MICHAEL WINTERBOTTOM, GB 2002
BUCH Arash T. Riahi, Arman T. Riahi | KAMERA Mario Minichmayr, Arash T. Riahi, Arman T. Riahi,
Dominik Spritzendorfer, Olivia Wimmer | SCHNITT Nela Märki | MUSIK Karwan Marouf | MIT Andy
Bichlbaum, Mike Bonanno, Srdja Popović | LÄNGE 109 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
VORFILM
THIS HUMAN WORLD
THE RIAHI BROTHERS, A/CH/D 2012
LÄNGE 3 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
Das Filmdebut der Riahi Brothers ist ein Zeichen des lebendigen Widerstands, der Präsenz, des Vorhandenseins. Der
Film ist eine Art Einführung in die Welt des gewaltlosen,
kreativen Aufbegehrens, welcher über verschiedenste
Protestbewegungen und deren Strategien informiert und
uns als Zuseher eine eigene Rolle und Verantwortung in
der gesellschaftlichen Mitgestaltung aufzeigt.
44
Mit Widerstandsbewegungen wie Occupy Wallstreet, Femen,
Movimiento 15-M, aber auch Einzelkämpfern aus Nah und
Fern führt man uns vor Augen, dass es letzten Endes in
unserer Verantwortung liegt, unsere Gesellschaft mitzugestalten und zu den Veränderungen beizutragen, die wir
uns wünschen. Zusammen mit der Cross-Media-Plattform
Everyday Rebellion ist der Film zu einem Zeitdokument
geworden für eine Gesellschaft im Wandel und in Veränderung, als Erinnerung an das, was uns schon immer zustand.
Ganz klassisch David gegen Goliath – der Kleinere gewinnt!
(am)
FR, 13.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEN REGISSEUREN
BUCH Tony Grisoni | KAMERA Marcel Zyskind | MUSIK Dario Marianelli | SCHNITT Peter
Christelis | MIT Jamal Udin Torab, Enayatullah, Imran Paracha | LÄNGE 86 min | FORMAT
Farbe, OmU, 35 mm
Peshawar in Pakistan, eine Stadt an der afghanischen Grenze: Hier, im Flüchtlingslager Shamshatoo, leben über eine
Million Flüchtlinge unter elenden Umständen, darunter
auch Jamal und Enayatullah, zwei Cousins aus Afghanistan.
Enayatullah soll sich bis nach London durchschlagen. So
will es die Familie, die mit ihm auf ein besseres Leben hofft.
Jamal, ohne Eltern und der jüngere der beiden, darf seinen
Cousin begleiten, weil er ein paar Brocken Englisch spricht.
Damit beginnt eine schier endlose Odyssee – in Bussen und
auf Lkw-Ladeflächen, eingepfercht zwischen Schafen und
hinter Obstkisten versteckt. Die Reiseroute führt zunächst
über Teheran nach Istanbul. Die entscheidende Schiffs­
passage nach Italien verbringen beide mit einer kurdischen
Familie in einem Container – über 40 Stunden eingesperrt,
ohne Wasser und Nahrung. Am Ende überleben nur Jamal
und ein kurdisches Baby die Tortur.
Was Jamal und Enayatullah zustößt, ist universell. Es passiert täglich, IN THIS WORLD. Aber unser abstraktes Wissen
über das weit entfernte Flüchtlingselend erhält plötzlich
eine Stimme und ein Gesicht. Spätestens wenn Jamal in
Italien zum Straßenhändler wird, der von Café zu Café
zieht, um geflochtene Armbändchen an Touristen zu verkaufen, ist er uns kein Unbekannter mehr. (André Götz)
N
E
I
R
Y
S
SA 14.11., 19:00 | DO 19.11., 20:00
SA 14.11., 16:00
LOVERS’ NOTEBOOKS
MAMA ILLEGAL
ALIAA KHACHOUK / EYAD ALJAROD, SYR 2015
ED MOSCHITZ, A 2011
VORFILM
Sie geben den Schleppern ihre Ersparnisse und riskieren
auf ihrer Reise nach Westeuropa ihr Leben: Aurica, Raia
und Natasa, drei Mütter aus einem kleinen moldawischen
Dorf. Sie kehren ihrem ärmlichen Heim, den kaputten Straßen, den baufälligen Schulen und den zahllosen unbewohnten Häusern den Rücken, um in Österreich und Italien als
Putz- oder Pflegehilfen zu arbeiten. Hier führen sie ein
Leben im Untergrund – mit einem harten Job, ohne gültige
Papiere, schutzlos und ohne medizinische Versorgung –
jahrelang getrennt von Kindern und Familien. Alles, was
vom im Westen hart erarbeiteten Geld übrig bleibt, schicken
sie nach Hause zu ihren Familien. Doch ihr Wunsch nach
einer besseren Zukunft und einem schöneren Leben fordert
einen hohen Preis. Die Rückkehr sieht nach all den Jahren
ganz anders aus als geplant. Im Westen nicht wirklich angekommen und angenommen, stellen sie fest, dass ihnen ihre
Heimat fremd geworden ist.
AL KALB
FARES CACHOUX, SYRIEN 2013 | KURZSPIELFILM
LÄNGE: 20 min | FORMAT Farbe, OmeU, DCP
Die Bewohner von Saraqeb in Syrien verarbeiten das an­
dauernde Leid ihres Volkes und die Veränderungen nach
der Revolution mittels Graffiti-Kunst. Die Wände sind voll
mit Namen von Märtyrern, Sprichworten, Gedichten,
Revolutionsparolen.
Der Film zeigt die Spannung zwischen durch die Revolution
entfachter Energie und Verzweiflung, zwischen Verlassen
und Zurückkommen, zwischen Euphorie über die Schönheit
der Kunst und Angst vor dem Krieg.
ALIAA KHACHOUK
Geboren in Syrien. Ihre Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme laufen
im arabischen Fernsehen und auf Festivals auf der ganzen Welt.
EYAD ALJAROD
In Saraqeb geboren. Hat die Syrische Revolution von Beginn an
selbst miterlebt.
BUCH Ed Moschitz | KAMERA Michael Schindegger, Michael Svec, Sandra Merseburger |
SCHNITT Alexandra Löwy | MUSIK Zdob si Zdub | LÄNGE 94 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
MAMA ILLEGAL zeichnet sieben Jahre im Leben der drei
Frauen nach. Die Kamera ist bei Schicksalsschlägen ebenso
dabei wie bei Momenten der Freude. Ein Film über den Preis
des Traumes von einem besseren Leben.
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
KAMERA Eyad Aljarod | SCHNITT Aliaa Khachouk, Eyad Aljarod | LÄNGE 55 min | FORMAT Farbe,
OmeU, DCP
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SA 14.11., 20:30 | MI 18.11., 18:30
SO 15.11., 16:00
EIN AUGENBLICK FREIHEIT /
FLÜCHTLINGE FILMEN:
POUR UN INSTANT, LA LIBERTÉ EIN WERKSTATTGESPRÄCH
ARASH T. RIAHI, A/F 2008
DORIS KITTLER, LISA KÖPPL UND WOLFGANG WEBER PRÄSEN­
TIEREN UNGESCHNITTENE FILMAUFNAHMEN ÜBER FLÜCHTLINGE
IN ÖSTERREICH
VORFILM
In dieser Werkstattpräsentation zeigen engagierte FilmemacherInnen aktuelles Material, das im Lauf der letzten
Wochen an diversen Schauplätzen entstanden ist. Dazu
zählen unabhängig produziertes Fernsehmaterial von
WienTV sowie eine Reihe von Videos, die von Flüchtenden
in deren ursprünglicher Heimat bzw. auf der Flucht mit dem
Handy gefilmt wurden. Die Erschließung dieses unter extremen Umständen hergestellten Materials ist den erst vor
Kurzem in Wien angekommenen Syrern und Ukrainern zu
verdanken – einige von ihnen haben im Filmarchiv Austria
Quartier gefunden.
BUCH Arash T. Riahi | KAMERA Michi Riebl | SCHNITT Karina Ressler | MUSIK Karuan |
BAUTEN Christopher Kanter | MIT Navid Akhava, Pourya MahyarI, Pares Fares, Michael
Niavarani, Payam Madjlessi | LÄNGE 110 min | FORMAT Farbe, OmU, 35 mm
THIS HAS BEEN BOTHERING ME THE WHOLE TIME
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
ARASH T. RIAHI, A 2013
LÄNGE 10 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
46
Manchmal muss man Albträume durchleben, um seine
Träume zu verwirklichen. In seinem ersten Spielfilm erzählt
Arash T. Riahi die Odyssee mehrerer Flüchtlinge ins heilige
Land der Freiheit. Alle Geschichten basieren auf wahren
Begebenheiten. Im Mittelpunkt steht die abenteuerliche
Reise der beiden Jugendlichen Mehrdad und Ali, die das
Mädchen Azy und den Jungen Arman aus dem Iran in die
Türkei begleiten, von wo aus die Kinder zu ihren Eltern in
Österreich gebracht werden sollen. Mit dieser Geschichte
verwoben sind die Abenteuer eines iranischen Lehrers,
seiner Frau und seines Sohnes sowie des Kurden Manu und
des iranischen Regimekritikers Abbas, die dem Elend und
der politischen Repression durch Überlebenswillen und
Humor zu entfliehen suchen. Menschen brauchen Träume
– und den Mut, diesen Träumen nachzugehen, auch wenn
sie sich letztendlich in Luft auflösen.
SA, 14.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
Danach gibt Doris Kittler Einblicke in Material aus ihrem
derzeit entstehenden Dokumentarfilm (Arbeitstitel: MY
HOUSE IST BIG ENOUGH). Als scheinbar völlig unerwartet
tausende Flüchtlinge nach Mitteleuropa kommen, nimmt
die Wienerin Lia spontan hilfesuchende Neuankömmlinge
bei sich zu Hause auf und begibt sich damit selber auf eine
ungewisse Reise.
Im Rahmen der Filmpräsentation findet eine Diskussion
mit den Flüchtlingen, HelferInnen und FilmemacherInnen
statt.
SO 15.11., 19:00
SO 15.11., 20:45
LAMPEDUSA IM WINTER
PODIUMSDISKUSSION
FLÜCHTLINGE: BILDER UND
WIRKLICHKEITEN
KAMERA Serafin Spitzer, Christian Platzek | SCHNITT Nela MärkI | TON Maximilian Liebich |
LÄNGE 93 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
Nach den Tragödien des Herbstes ist auf der »Flüchtlings­
insel« Lampedusa der Winter eingekehrt. Die Touristen
haben die Insel verlassen. Die letzten Flüchtlinge kämpfen
um einen Transfer auf das Festland. Ein Fährunglück isoliert
die Insel. Nachdem die Flüchtlinge endlich mit dem Flugzeug verlegt werden, beginnen die Fischer einen verzweifelten Streik: Um eine Verbesserung der Fährverbindung
zu erzwingen, blockieren sie den Hafen. Die Insel ist nun
gänzlich isoliert, und als die Lebensmittel langsam ausgehen, entsteht Zwist unter den Protestierenden. Die winzige
Gemeinschaft am Rande Europas ringt verzweifelt um
ihre Würde – und um Solidarität mit den afrikanischen
Bootsflüchtlingen, die viele Menschen für den Grund der
andauernden Krise halten.
»Der Film enthält abseits der Beschreibung konkreter
Zustände und Fragestellungen auch eine essayistische
Komponente. Ich bin auch immer wieder zum Gedanken
verleitet, Lampedusa könnte ein Symbol für ›Europa in der
Welt‹ sein. Eine Insel, die vor Fragen gestellt wird, mit denen
man nicht wirklich konfrontiert werden möchte, aber denen
man sich doch stellen muss. Was mich an Lampedusa berührt hat, ist der Umstand, dass es der winzigen Gemeinschaft gelingt, nicht die eigenen Probleme gegen die der
anderen auszuspielen. Es wird dort der Versuch notwendig,
mehrere Problemfelder gleichzeitig zu denken – und das
gleichwertig und meist würdevoll.« (Jakob Brossmann)
In den letzten Wochen erzeugen vor allem die über alle
Kanäle rauschenden Bilderströme Vorstellungen von dem,
was die Medien als »Flüchtlingskrise« bezeichnen. Die
Politik scheint immer stärker in die Abhängigkeit dieser
medial vermittelten Wirklichkeiten zu geraten. Vollzieht
sich politisches Handeln nur mehr in einer medialen
Parallelwelt? Welche Verantwortung haben JournalistInnen
und FilmemacherInnen in der Konstruktion von Realität,
die dann zur Grundlage auch des Politischen wird? Und
gibt es noch politische Handlungsfelder jenseits der medialen Arena?
Über diese und weitere Themen diskutieren:
Andreas Babler (Bürgermeister von Traiskirchen)
Doris Kittler (Filmemacherin)
Arash T. Riahi (Filmemacher)
Verena Krausneker (zivile Helferin)
Nikolaus Kunrath (Die Grünen)
VertreterInnen des Innenministeriums (angefragt)
Moderation: Manuela Raidl
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
JAKOB BROSSMANN, A/I/CH 2015
47
SO 15.11., 18:00 | DO 26.11., 20:00
MO 16.11., 18:00 | MO 23.11., 18:00
THE PUNISHMENT
JUGOFILM
GORAN REBIĆ, A 2000
GORAN REBIĆ, A 1997
BUCH Goran Rebić | KAMERA Jerzy Palacz | SCHNITT Martin Matusiak | TON Radoslav Bojković,
Branko Djordjević | LÄNGE 91 min | FORMAT Farbe, OmU, 35mm
Der Film erzählt, in Stadtbildern und Interviews, von den
Lebensbedingungen in Belgrad unmittelbar nach dem
Nato-Bombardement: ein Film-Essay über Dissidenz und
Zerstörung, über den Verlust von Hoffnung und Heimat –
und über den unverstellten Blick auf die Ergebnisse eines
Krieges, die in der Berichterstattung der restlichen Welt so
nicht gezeigt wurden. Am Wort sind hier Dramatiker und
Schulkinder, Philosophen, Wissenschaftler, Menschenrechtler und Kriegsteilnehmer – die Stimmen einer gefährdeten
Oppo­sition.
Goran Rebić denkt nicht in Völkern und Ethnien, sondern
in Individuen – sein Film gilt den subjektiven Wirklichkeiten,
weil die »objektiven« Wahrheiten längst ihre Gültigkeit
verloren haben. Er wurde auf der Diagonale 2000 mit dem
Großen Preis ausgezeichnet.
BUCH Goran Rebić | KAMERA Jerzy Palacz | SCHNITT Andreas Kopriva | MUSIK Andi Haller |
MIT Merab Ninidze, Ljubiša Samardžić, Eva Mattes, Wolf Bachofner, Aleksandar Jovanović,
Michael Jovanović, Tamara Simunović | LÄNGE 86 min | FORMAT Farbe, OmeU, 35mm
»Ich weiß selbst nicht mehr, wo ich war«, erzählt Sascha,
der bei einer Bahnfahrt vom im Zerfall begriffenen Jugo­
slawien nach Wien in die Armee eingezogen worden ist,
nach seiner Heimkehr seinem kleinen Bruder Milan. Jener
hofft, dass nun alles so wie früher wird, doch der Krieg
erschüttert das Familienleben nachhaltig: Freundschaften
gehen in die Brüche, falsche Verdächtigungen schaffen
Misstrauen und der Außenseiterstatus im »fremden« Land
wird durch die eigenen »ehemaligen« Landsleute noch
prekärer. Saschas Versuche, wieder in die Normalität zurückzukehren, scheitern. Er bewegt sich zwischen einer
Realität, die zunehmend von Ideologie und Hass geprägt ist,
und traumähnlichen, magisch anmutenden Momenten, in
denen er vergessen will. Die Kluft dazwischen wird jedoch
immer breiter und ihm schließlich zum Verhängnis.
(Claudia Slanar)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
SO, 15.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
48
»JUGOFILM ist ein melancholisches und eindringliches
Werk, das davon erzählt, wie der Krieg auch in der Fremde
die Seelen vergiftet. Goran Rebić wirft eine Frage auf, für
die es keine Antwort gibt: Warum so viele Menschen bereit
sind, für abstrakte Werte wie Blut und Boden und Abstammung ihre Freundschaften und ihr Lebensfundament zu
zerstören.« (Gunther Baumann)
MO, 16.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
T
R
ZE
N
O
K
MI 16.11., 20:00 | DO 3.12., 16:30
MO 16.11., 21:30
DONAU, DUNAJ, DUNA,
DUNAV, DUNAREA
BENEFIZKONZERT WIENER
TSCHUSCHENKAPELLE,
WALTHER SOYKA UND
JELENA POPRŽAN
BUCH Goran Rebić, Heinrich Ambrosch | KAMERA Jerzy Palacz | SCHNITT Karina Ressler |
MIT Otto Sander, Robert Stadlober, Annabelle Mandeng, Svetozar Cvetković, Florin Piersic jr. |
LÄNGE 90 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
Zehn Länder, fünf Schicksale, 1.927 Kilometer, ein Strom.
Ein rostiges Schiff tuckert die Donau flussabwärts, von
Wien in Richtung Schwarzes Meer. Neben dem brüchigen,
alten Kapitän sind die unterschiedlichsten Menschen mit an
Bord: ein Waisenkind, ein Deserteur, ein rumänischer Musiker, eine Fixerin. Und ein Sarg. Der letzte Wunsch einer
Sterbenden bildet den Ausgangspunkt für Geschichten, die
das Leben so schreibt. Entstanden ist ein »Boat movie«,
eine moderne Wasser-Odyssee, die die einen mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, die anderen ihren Träumen näher
oder überhaupt ans Ende bringt.
»Mir war es wichtig, eine Geschichte zu finden, die aus
vielen Geschichten besteht, die alle zum Fluss gehören und
ständig in Bewegung bleiben. So habe ich mich an die eigentliche Hauptfigur des Films gehalten, an die Donau und
ihren Rhythmus. [...] Die Donau ist ein besonderer Fluss: ein
absolut mythischer Ort. Ich wollte ganz explizit etwas erzählen, das in einen anderen Bereich geht, wo man sich mit
der Donau treiben lassen muss, um ein Stück des fremden
Bruders Ostens kennen zu lernen.«
MO, 16.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
Seit über 25 Jahren betreiben sie erfolgreich musikalische
Integration, ohne dabei ihre Identität zu verlieren – im Gegenteil: die Tschuschenkapelle rund um Slavko Ninić ist
mittlerweile eine musikalische Institution und bringt mit ihrer balkan-türkisch-griechisch-russischen Mischkulanz die
Füße zum Stampfen, die Herzen zum Lachen und (mit oder
ohne Slivo) den Schmäh zum Rennen. Wienerlied ist übrigens auch dabei (schließlich heißt es ja Wiener Tschuschenkapelle). Der getanzte Beweis, wie Musik verbinden und wie
Toleranz gelebt werden kann.
Auf Einladung des Filmarchiv Austria treten die Wiener
Tschuschenkapelle, Walther Soyka und Jelena Popržan zum
ersten Mal im METRO Kinokulturhaus auf. Der Reinerlös
dieses Konzerts geht an die Flüchtlingsprojekte der Caritas.
EINTRITT: FREIWILLIGE SPENDE
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
GORAN REBIĆ, A 2003
49
DI 17.11., 18:00
DO 19.11., 18:00 | SA 28.11., 20:30
LAND IN SICHT
DESTINACIJA SERBISTAN /
DESTINATION SERBISTAN
JUDITH KEIL / ANTJE KRUSKA, D 2013
BUCH Judith Keil, Antje Kruska | KAMERA Marcus Winterbauer, Eva Katharina Bühler, Dietmar
Ratsch, Eugen Schlegel, Anne Misselwitz, Robert Nickolaus | SCHNITT Calle Overweg | MUSIK
Michael Beckmann | LÄNGE 93 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
Etwa ein Jahr lang verfolgen Judith Keil und Antje Kruska
Leben und Alltag von Abdul, Brian und Farid, die nach ihrer
Flucht um die halbe Welt in einem brandenburgischen Asylwerberheim gelandet sind. Der Film begleitet sie auf sensible, aber auch ungeschönte und humorvoll-entlarvende Weise bei dem Versuch, ihren Weg in die deutsche Gesellschaft
zu finden. Unterstützt werden sie dabei von der resoluten
Heimleiterin Rose Dittfurth, die ihre kulturelle Aufklärungsarbeit erfrischend direkt und durchaus unkonventionell
gestaltet (»This dance is not for sex, sondern for culture,
ja ...!«) und einen lebendigen Eindruck davon vermittelt,
wie man sich trotz unterschiedlicher Vorstellungen und
Mentalitäten und der sich daraus ergebenden Missverständnisse, vor allem aber auch abseits der üblichen Betroffenheit und deren politischer Verwertung menschlich und auf
Augenhöhe begegnen kann. (sb)
50
»Wir wollen in unserem Film die zweifellos problembeladene
Ausgangslage von Asylbewerbern zeigen, aber diese gleichzeitig auf eine allgemein menschliche Ebene heben, die
deutlich macht, dass deren Sehnsüchte, Ängste, Macken,
Gedanken und Hoffnungen durchaus mit unseren zu vergleichen sind.«
ŽELIMIR ŽILNIK, SRB 2015
BUCH Želimir Žilnik | KAMERA Miodrag Milošević, Orfeas Skutelis | SCHNITT Vuk Vukmirović |
MUSIK Gabriella Benak, Milan Nenin, Meho Puzić | LÄNGE 94 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
Irgendwo im Niemandsland zwischen Ungarn und Serbien.
Ein Mann sitzt am Feuer, ohne Schuhe. Seine Füße kaputt
von den Märschen im Schnee. Er hat tausende Kilometer
hinter sich, wie viele andere »Reisende« auf dem Weg in
eine vermeintlich bessere, »europäische Zukunft«. Ihre
Geschichten erzählt DESTINATION SERBISTAN. Auf unkonventionelle Weise lenkt Regisseur Žilnik den Blick weg vom
inzwischen wieder mit Stacheldraht »gesicherten« Zentrum
Europas, hin zu den Menschen an seinen Grenzen. Er enthebt sie ihres Nachrichtenstatus, verleiht ihnen eine individuelle Ausdrucksmöglichkeit: Die Flüchtlinge selbst stellen
Szenen nach, schildern ihren Alltag im Transit, der sich
irgendwo zwischen Angst und Hoffnung, Glauben und
Resignation abspielt. Ein Spiel mit dem Leben. Und ein
Leben, in dem sie jeden Tag an ihre Grenzen gehen. (sb)
»Serbien hofft auf den Eintritt in die Europäische Union,
die Flüchtlinge hoffen auf ein Bleiberecht in Serbien, beide
vor allem auf eine Zukunft in Europa. Die Gegenwart aber
hält für die Flüchtlinge nur einen Wartesaal voller Absurditäten bereit: Wer Asyl braucht, weil er keine Papiere hat,
erhält ohne Papiere kein Asyl. Wörtlich bedeutet ›asylum‹
Zufluchtsort, Freistätte, aber auch Irrenhaus.«
(Theresa Friedlmeier)
SA 21.11., 16:00
SA 21.11., 18:30
LAMERICA
THE LAND BETWEEN
GIANNI AMELIO, I/F/CH 1994
DAVID FEDELE, I 2013
Albanien 1991: Nach dem Zusammenbruch des Realsozia­
lismus herrscht in dem einst isolierten Land das Chaos.
Der italienische Geschäftemacher Fiore und sein Helfer
Gino wittern eine günstige Gelegenheit zum Subventions­
betrug. Für den Kauf einer maroden Schuhfabrik benötigen
sie jedoch vorerst einen einheimischen Strohmann. In einem ehemaligen Arbeitslager engagieren sie den greisen
und verwirrten Albaner Spiro, der Albanien nach 50 Jahren
Haft irrtümlich für das zerstörte Italien 1945 hält. Zunächst
spielt er bereitwillig seine Rolle, doch plötzlich ist er verschwunden. Widerwillig macht sich Gino in dem ausgebluteten Land auf die Suche. Als er Spiro tatsächlich gefunden
hat, wird auf der Rückreise ihr Jeep geplündert. Die beiden
schließen sich einem Heer von Armutsflüchtlingen an. Der
Weg führt Gino in die albanische Provinz, ein Niemandsland,
in dem die ihm vertrauten Regeln keine Gültigkeit besitzen.
Gino, dem man den Pass gestohlen hat, muss, um nach
Italien zurückkehren zu können, zum »Albaner« werden.
Zusammen mit Spiro schließt Gino sich anderen Ausreisewilligen an und besteigt das Schiff, das die illegalen Auswanderer »Lamerica« nennen. (Kurt Hofmann)
BUCH/KAMERA/TON/SCHNITT David Fedele | LÄNGE 78 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
THE LAND BETWEEN gibt einen hautnahen Einblick in das
Leben der subsaharischen Migranten, welche im Norden
Marokkos versteckt in den Bergen von Gourougou leben.
Die meisten von ihnen haben nur ein Ziel: über den hoch
militarisierten Grenzzaun zu kommen, der Marokko von
Melilla trennt, einer spanischen Enklave im Norden des
afrikanischen Kontinents.
Auf Überwachungskameras ist zu sehen, wie Menschen
den Stacheldraht überwinden wollen. Sie warten auf den
richtigen Moment, über den Zaun zu klettern und in ein
spanisches Auffanglager zu gelangen.
»THE LAND BETWEEN ist nicht nur ein exzellenter Film,
sondern auch ein politischer Katalysator und verwandelt
das Mitgefühl des Zusehers in Wut. In eine Art von Wut,
die Veränderung möglich macht.« (Festival of Migrant Film
2014, Ljubljana, Slowenien)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
BUCH Gianni Amelio, Andrea Porporati, Alessandro Sermoneta | KAMERA Luca Bigazzi |
SCHNITT Simona Paggi | MUSIK Franco Piersanti | MIT Enrico Lo Verso, Carmelo di Mazzarelli,
Michele Placido | LÄNGE 125 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
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SA 21.11., 21:30 | MI 24.11., 18:00
SO 22.11., 16:00
EXILE FAMILY MOVIE
START WHERE YOU ARE
ARASH T. RIAHI, A/F 2006
Ein gemeinsames Kurzfilmprojekt des Jüdischen Filmfestivals Wien mit Brunnenpassage
(Caritas), ORF und Insider
LÄNGE ca. 50 min | FORMAT Farbe, dF, DCP
BUCH Arash T. Riahi | KAMERA Arash T. Riahi, Arman T. Riahi, Géza Horvath, Ilse Lahofer |
MUSIK Karuan | SCHNITT Dieter Pichler, Arash T. Riahi | MIT Hamidi, Parvin, Arash T. Riahi |
LÄNGE 92 min | FORMAT OmU
VORFILM
EIN EINFACHES EREIGNIS
ARASH T. RIAHI, A 2010
LÄNGE 5 min
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
Es ist unter den Iranern in Wien die wahrscheinlich meist
bekannte Geschichte: jene einer Großfamilie, die nach über
zwanzig Jahren im politischen Exil, verteilt über Europa und
Amerika, sich entschließt, ihre im Iran zurückgebliebenen
Verwandten wiederzusehen. Auf einer abenteuerlichen und
auch nicht ungefährlichen Reise nach Saudi-Arabien, das
einzige Reiseziel, an dem alle Familienmitglieder zusammenkommen können, geben sich die Exil-IranInnen als
muslimische PilgerInnen aus, die die heiligen Städte Medina
und Mekka besuchen möchten. Trotz aller Hindernisse und
Risiken kommt es schlussendlich in einem Hotelzimmer
zum geheimen, lang ersehnten und vor allem tränenreichen
Wiedersehen.
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Es ist seine Großfamilie, die von Arash T. Riahi, welche er
mit seiner Kamera, anfangs noch unsicher, wohin das alles
führen wird, dokumentiert und begleitet. Ein Kino-Dokumentarfilm-Debut mit Riesenerfolg: bester Dokumentarfilm
der Diagonale, des Chicago Filmfestivals, Max Ophüls Preis
sind nur einige seiner Auszeichnungen. (am)
SA, 21.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
Auf Initiative des Jüdischen Filmfestivals entstand in den
Sommermonaten 2015 zum diesjährigen Themenschwerpunkt des Festivals gemeinsam mit der Brunnenpassage
(Caritas), dem ORF und dem Projekt Insider ein Kurzfilm­
projekt.
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des ORF und Profis aus
der Filmbranche stellten freiwillig ihr Know-how zur Verfügung, um mehr als 25 Flüchtlingen und Asylwerbern zu
helfen, sich filmisch mit dem Thema »Exil« auseinander­
zusetzen. Der ORF stellte zudem das nötige Equipment
bereit. Daraus entstanden sind sieben Kurzfilme, die die
Lebensrealität der Flüchtlinge widerspiegeln.
Im Anschluss an die Filmvorführung Gespräch mit den
Initiatoren und Beteiligten.
SO 22.11., 20:30
SO 22.11., 21:00 | SA 28.11., 16:00
LITTLE ALIEN
PERSEPOLIS
NINA KUSTURICA, A 2009
MARJANE SATRAPI / VINCENT PARONNAUD, F/US 2007
VORFILM
MINOR BORDER
LISBETH KOVACIC, A 2015
LÄNGE 25 min
Juma und Hishame sind zwei Teenager, die unter lebens­
bedrohlichen Umständen im Fahrgestell eines LKWs nach
Europa flüchten, um zu Gejagten der Grenzbehörden zu
werden. Ahmed, Nura, Achmad und Asha haben die Grenzzäune bereits passiert. In Österreich angekommen, hoffen
sie auf ein neues Leben. Sie kämpfen für ihr Recht auf eine
ersehnt unbeschwerte Jugend. Jawid und Alem leben seit
eineinhalb Jahren in Wien, auch sie hoffen auf Gewährung
von Asyl. Verlust, Trauma, Sehnsucht, Hoffnung und eine
Ungewissheit über die eigene Zukunft dominieren das Leben
der jungen Fremden auf der Suche nach einer neuen Heimat.
Was bleibt, ist der Blick nach vorne und Humor als ein Ventil.
Denn auch sie sind einfach nur Jugendliche, frech, laut, im
Kampf mit sich selbst und ihrer Vergangenheit, aber vor
allem im Kampf um eine selbstbestimmte Zukunft.
»Sie leben. Weil sie geflüchtet sind.« (littlealien.at)
»Der gelungene Blick in die Welt junger Asylsuchender. [...]
Zwei Jahre haben Kusturica und ihr Team an diesem Film
gearbeitet. Kusturica versucht aus dem Blickwinkel einer
jungen Generation das Thema Asylsuche aufzuarbeiten. Sie
scheut dabei nicht beklemmende Bilder – zugleich widmet
sie sich ihren jungen Protagonisten mit großer Zuneigung.«
(Gerald Heidegger)
BUCH Vincent Paronnaud, Marjane Satrapi | SCHNITT Stéphane Roche | MUSIK Olivier Bernet |
STIMMEN Chiara Mastroianni, Danielle Darrieux, Catherine Deneuve u. a. | LÄNGE 95 min |
FORMAT Farbe, OmU, 35mm
Wir sind im Iran der 70er-Jahre. Es regiert Schah Mohammad
Reza Pahlavi. Gleichzeitig wächst ein junges Mädchen namens
Marjane behütet in der Millionen-Metropole Teheran auf. Als
dann der Schah ins Exil gedrängt wird und alle politischen
Gefangenen freigelassen werden, herrscht auch bei Marjane
und ihrer Familie Aufbruchstimmung, zumal der Onkel
Anouche, ein Kommunist, auch aus dem Gefängnis entlassen
wird. Begeistert spielt Marjane das politische Geschehen
mit ihren Freunden auf der Straße nach, sie selbst sieht sich
als Prophetin, die mit Gott in Kontakt steht. Doch alles
kommt anders. Das neue Regime, vom Islam und seinen gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt, machen das Leben
im Iran unerträglich. Als dann auch noch der Onkel vom
neuen Regime hingerichtet wird und Teheran im Golfkrieg
gegen den Irak bombardiert wird, entschließen sich die
Eltern, Marjane nach Österreich zu schicken. Eine herausfordernde Zeit beginnt, geprägt von Außenseitertum, kulturellen Hindernissen und einer freiwilligen Rückkehr in den
Iran. Doch auch ihr Kunststudium kann sie nicht davon abhalten, trotz aller Versuche dann doch letzten Endes dem
Iran für immer den Rücken zu kehren und nach Frankreich
zu emigrieren.
Eine herzhaft humorvolle, aber auch nachdenkliche
Geschichte, die einen zutiefst persönlichen Einblick in das
Leben der Filmemacherin Marjane Satrapi gewährt. (am)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
BUCH Nina Kusturica | KAMERA: Christoph Hochenbichler | SCHNITT Julia Pontiller,
Nina Kusturica | TON Ataras Tcholakow | LÄNGE 94 min | FORMAT Farbe, OmU, 35mm
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MI 25.11., 18:00
DO 26.11., 18:00
BLACK, BROWN, WHITE
SUZIE WASHINGTON
ERWIN WAGENHOFER, A 2011
FLORIAN FLICKER, A 1998
Ein Fernfahrer am Weg nach Marokko. Eine Ladung Knoblauch und ein Hohlraum, der am Weg zurück nach Europa
nicht mehr ganz so hohl ist. Das wertvolle Transportgut von
Don Pedro: Gemüse. Sein ertragreichstes Transportgut:
Flüchtlinge. Don Pedro ist Menschenschmuggler. Ein Geschäft mit Risiko, das ihm und seinen Partner Jimmy keine
gröberen Probleme bereitet. Zumindest bis jetzt. Als eine
junge Frau und ihr Sohn keinen Hohlraum füllen wollen und
ihren Platz in der Fahrerkabine einnehmen, beginnt eine
abenteuerliche Reise, die über viele Grenzen geht. Ein Weg
bedrohlicher Begegnungen und Annäherungen, in die entfernte Freiheit, die vielleicht keine sein wird.
Eine Frau unterwegs durch Österreich: Ohne Papiere, ohne
Orts- und Sprachkenntnisse und mit dem fernen Ziel Los
Angeles. Den Namen Suzie Washington hat sie sich von
einer amerikanischen Touristin »geborgt«, später wird sie
einen französischen Pass stehlen und erneut die Identität
wechseln. »I’m not a criminal, I am a tourist«, sagt sie und
tarnt ihre Flucht als (Durch-)Reise. Immer wieder werden
aus dem Off Postkartentexte an ihren Onkel imaginiert,
während sie diese pittoreske Landschaft so schnell wie
möglich hinter sich lassen muss. (Aki Beckmann)
BUCH Erwin Wagenhofer | KAMERA Martin Gschlacht | SCHNITT Paul M. Sedlacek | MUSIK Nifio
Josele | MIT Fritz Karl, Clare-Hope Ashitey, Wotan Wilke Möhring, Francesco Garrido, Karl
Markovics | LÄNGE 110 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
»Sich für andere einsetzen, auch wenn dadurch eigene
Nachteile entstehen; nachhaken, wenn etwas ungerecht erscheint; oder einfach ein Zeichen setzen. Das ist Zivilcourage. [...] Und das ist auch die Botschaft von BLACK BROWN
WHITE.« (ZARA Zivilcourage und Antirassismus-Arbeit)
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»Im europäischen Wirtschaftssystem gibt es selbstverständlich den Bedarf an billigen Arbeitskräften. [...] Und
daher gibt es Leute, die den Menschen helfen, hierher zu
kommen, und die selbst wieder Kapital daraus beziehen.
Aber dahinter steht doch ein Zynismus dieses Systems
Europa.« (Erwin Wagenhofer)
BUCH Michael Sturminger, Florian Flicker | KAMERA Robert Neumüller | SCHNITT Monika
Willi | MUSIK Andi Haller | MIT Birgit Doll, August Zirner, Karl Ferdinand Kratzl, Wolfram
Berger, Nina Proll, Goran Rebić | LÄNGE 87 min | FORMAT Farbe, OmeU, 35mm
»In der Geschichte des österreichischen Films haben Verlorene einen festen Platz. Florian Flickers SUZIE WASHINGTON
ist ein Heimatfilm, der die Geschichte einer Verlorenen erzählt, ein Film aber, der das Genre neu zu lesen versucht
und dabei zwischen politischer Stellungnahme und Unterhaltung keine klare Trennlinie mehr zieht. [...] Flicker erzählt
von der Flucht einer Illegalen, gespielt von Birgit Doll, quer
durch ein Österreich, dessen Grenzen dicht und dessen
Menschen, zwischen Querulantentum und Anteilnahme,
nicht leicht einzuschätzen sind.« (Stefan Grissemann)
FR 27.11., 18:00
FR 27.11., 20:00 | MO 30.11., 20:30
AM RANDE DER WELT
COMA
GORAN REBIĆ, A 1992
SARA FATTAHI, SYR/LIB 2015
Schauplatz Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, 1991. Es ist das
Jahr der Unabhängigkeit, zwölf Monate später herrscht
Bürgerkrieg. Jahrzehntelange Unterdrückung und Isolation
scheinen zunächst aufzubrechen, das Land sich endlich
nach innen zu öffnen. Statuen stürzen, Plätze erhalten neue
Namen, die Hoffnung auf »Freiheit« in der »Heimat« lebt.
Dann kommt der Krieg und setzt dieser »Zeit der Lieder«
ein jähes und brutales Ende.
Drei Frauen in einer Wohnung in einem Haus in Damaskus.
Drei unter Belagerung stehende Generationen, in einem
Land, das von Kugeln und Bomben heimgesucht wird. Eine
Großmutter, eine Mutter und eine Tochter. Alle bewegen
sich wie Geister aus einer vergessenen Welt, während draußen unermüdlich ein grausamer Krieg tobt. Ein stiller und
schmerzhafter Dialog über eine Welt, die zusammenbricht,
zerstört von Menschen, die behaupten eine Freiheit zu verteidigen, und die mit ihrem Glauben an Gott prahlen gehen.
Eine Geistergeschichte mit den Schatten von Frauen, die die
dunklen Wände der Wohnung entlangschlichen und wie die
Silhouetten eines nie enden wollenden Albtraums aus der
Realität verstoßen wurden.
Die Auseinandesetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Macht bestimmen nun das Bild von Tiflis, in den
Straßen finden blutige Kämpfe statt, Bombenterror gehört
zum Alltag, ebenso wie Begräbnisse. AM RANDE DER WELT
folgt diesen Spuren des Todes und dokumentiert die Auswirkungen der sich unaufhaltsam drehenden Gewaltspirale
auf das Leben und Schicksal Einzelner.
»AM RANDE DER WELT zeigt die Veränderungen im Alltag
der georgischen Hauptstadt als Verluste einer Utopie.
Trümmer, Verzweiflung, Ratlosigkeit: dokumentarisches
Kino als filmischer Trauergesang.« (Der Standard)
BUCH, KAMERA Sara Fattah | SCHNITT Raya Yamisha | TON Raed Youman | LÄNGE 98 min |
FORMAT Farbe und s/w, OmeU, DCP
Ein Film, der stilistisch mit den formalen Grenzen des
traditionellen Dokumentarfilms bricht und eine der größten
Tragödien dieses Jahrzehnts in einem neuen, grausamen
Licht erscheinen lässt: die Vernichtung Syriens. (Visions
du Réel)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
BUCH Goran Rebić | KAMERA Jerzy Palacz | SCHNITT Frank Soiron | MUSIK Tako Tsharkviani,
Ludmilla Makarova | LÄNGE 90 min | FORMAT Farbe, OmU, 35 mm
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SA 28.11., 18:00 | FR 4.12., 18:30
SO 29.11., 16:00
REISE DER HOFFNUNG
WELCOME
XAVIER KOLLER, CH/BRD/I/GB 1989
PHILIPPE LIORET, F 2009
BUCH Xavier Koller, Feride Çiçekoglu | KAMERA Elemér Ragályi | SCHNITT Galip Lytanir | MUSIK
Jan Garbarek, Egberto Gismonti, Terie Rypdal, Arild Andersen | MIT Necmettin Çobanoglu,
Nur Sürer, Emin Sivas, Dietmar Schönherr, Mathias Gnädinger | LÄNGE 110 min | FORMAT
Farbe, OmU, 35mm
Zusammen mit Mehmet Ali, dem aufgewecktesten seiner
sieben Kinder, tritt das kurdische Ehepaar Haydar und
Meryem in einem kleinen Dorf in der Türkei die Reise an,
die aus der armen Heimat in die reiche Schweiz führen soll.
Als die Einreise am Zoll nicht gelingt, fällt Haydar in Mailand
Schleppern in die Hände. Beim nächtlichen Grenzübertritt
am Splüngenpass wird die Familie auseinandergerissen, am
folgenden Morgen stirbt der siebenjährige Sohn erschöpft
in den Armen des Vaters. Allen droht nun die Abschiebung,
dem Vater sogar ein Strafverfahren wegen fahrlässiger
Tötung. (Kurt Hofmann)
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
»Ohne Feindbilder aufzubauen, zu ideologisieren oder zu
idealisieren, lenkt der Film das Augenmerk auf Menschen,
die heute in steigender Zahl ihre Heimat verlassen, weil sie
in ihr keine Hoffnung mehr finden.« (Walter Auhlela)
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REISE DER HOFFNUNG wurde mit einem Auslands-Oscar
ausgezeichnet.
BUCH Philippe Lioret, Emmanuel Courcol, Olivier Adam | KAMERA Laurent Dailland | SCHNITT
Andrea Sedláćková | MUSIK Nicola Piovani | MIT Vincent Lindon, Firat Ayverdi, Audrey Dana,
Derya Ayverdi, Thierry Godard, Selim Akgül | LÄNGE 110 min | FORMAT Farbe, OmU, 35mm
Bilal ist 17 und stammt aus dem Irak. Er hat sein Land
verlassen, nachdem seine Freundin Mina kurz zuvor nach
England emigriert ist. Um sie wiederzusehen, hat Bilal auf
abenteuerlichen Wegen ganz Europa durchquert. Doch nun
kommt seine Reise an ihr abruptes Ende: Von Calais aus
geht es nicht weiter. Bilal und Mina trennt der von starkem
Nordwestwind aufgewühlte Ärmelkanal. Doch dass diese
mit 500 Schiffen pro Tag meistbefahrene Schifffahrtsstraße
der Welt zu überwinden ist, haben kühne Kanalschwimmer
seit dem Jahre 1875 immer wieder bewiesen. Wird dies
auch Bilal gelingen? Kurz entschlossen sucht der Junge
das örtliche Schwimmbad auf, um das Schwimmen zu trainieren. Hier lernt er Simon kennen, dem er schließlich von
seinen Absichten berichtet. Der ehemalige Top-Schwimmer
zeigt sich beeindruckt von Bilals Entschlossenheit und unterstützt ihn – trotz hohem Risiko für beide.
Philippe Lioret erzählt ohne Sentimentalität eine bewegende Geschichte zu einer brandaktuellen Thematik. In Frankreich löste der Film eine weit greifende öffentliche Debatte
über die Flüchtlingssituation in Calais aus.
SO 29.11., 18:15
SO 29.11., 20:00 | DO 3.12. 18:30
ACHTUNG STAATSGRENZE
NERVEN BRUCH ZUSAMMEN
SABINE DERFLINGER/BERNHARD PÖTSCHER, A 1996
ARASH T. RIAHI, A 2012
Der Alltag der Schubhäftlinge im Linzer Gefangenenhaus:
Wie sie, vor Verfolgung flüchtend, ihr Land verlassen haben
und sich nun als Verbrecher behandelt sehen, nicht wissend, welches Verbrechen sie begangen haben sollen. Wie
sich ein feindliches Brüderpaar, das im Bosnienkrieg aufeinander geschossen hat, durch den gemeinsam erlittenen
Entzug der Freiheit versöhnt. Wie die Festgehaltenen auf
den Tag X warten, an dem sich das Gefängnistor für sie
öffnet und sie in eine höchst ungewisse Zukunft entlassen
werden. (Kurt Hofmann)
Es hat schon fast etwas Magisches. Wir befinden uns im
Haus Miriam, ein von der Caritas betreutes Übergangswohnheim, in dem Frauen in Notsituationen für ein bis zwei
Jahre »auf Zeit« einen Unterschlupf finden, fern von all
dem wwas ihnen wiederfahren ist. Das allein macht es jedoch noch nicht magisch. Zwölf Jahre nach seinem Zivildienst an genau diesem Ort ist Arash Riahi dorthin zurückgekehrt und hat ein Jahr lang mit seiner Kamera diese
Frauen auf ihrem Weg begleitet. Es sind die Persönlichkeiten, die im Vordergrund stehen, und es ist diese Zurückhaltung hinter der Kamera von Arash Riahi, welche uns die
Möglichkeit gibt, die Protagonisten so zu sehen wie sie wirklich sind. Sei es Rula aus Syrien, die sich emanzipiert hat
und jetzt ein Kopftuch trägt, die mit Borderline diagnostizierte Johanna, oder Svetlana, eine Frau, die Stimmen hört
und innigste Beziehungen mit Pflanzen führt.
»Mit unserem Film gelang es erstmals, Zugang zu Frauen
und Männern in einem österreichischen Schubhaftgefängnis zu erhalten, deren Situationen zu dokumentieren und
die Zusammenhänge und Mechanismen zu zeigen, die es
ermöglichen, dass in einem der reichsten Länder der west­
lichen Welt Menschen aufgrund ihrer Herkunft und strukturellen Armut bis zu sechs Monaten in der Schubhaft interniert werden.« (Sabine Derflinger)
BUCH Arash T. Riahi | KAMERA Arash T. Riahi, Dominik Spitzendorfer, Mario Minichmayr |
SCHNITT Nela Märki | MUSIK Karuan | LÄNGE 99 min | FORMAT Farbe, dF, DCP
Einzigartige Frauen, bisher unsichtbar für den Großteil von
uns, aber existent. Sei es ein »Telefonblödsinn« oder der
»Nervenbruchzusammen«, der uns zum Lachen und Nachdenken bewegt, die Poesie darin ist wahrlich magisch. (am)
SO, 29.11. PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT DEM REGISSEUR
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
BUCH Sabine Derflinger, Bernhard Pötscher | KAMERA Bernhard Pötscher | SCHNITT
Zuzana Brejcha | TON Bruno Pisek | LÄNGE 79 min | FORMAT Farbe, OmU, 35mm
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DI 1.12., 18:30
DI 1.12., 20:30
ATLANTIC
SCHWARZKOPF
JAN-WILLEM VAN EWIJK, NL/D/F 2014
ARMAN T. RIAHI, A 2011 | DOKUMENTARFILM
BUCH Abdelhadi Samih, Jan-Willem van Ewijk | KAMERA Jasper Wolf | SCHNITT Mona Bräuer |
MIT Fettah Ahllamara, Thekla Reuten, Mohamed Majd | LÄNGE 94 min | FORMAT Farbe,
OmU, DCP
BUCH Arman T. Riahi | KAMERA Dominik Spritzendorfer, Mario Minichmayr, Arman T. Riahi |
SCHNITT Cordula Werner, Arman T. Riahi | LÄNGE 90 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
VORFILM
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
Der junge Fischer Fettah hat unter den europäischen
Touristen, die jedes Jahr zum Windsurfen in sein kleines
Dorf an der marokkanischen Atlantikküste kommen, viele
Freunde gefunden. Auch er ist ein fantastischer Surfer.
Doch jedes Mal, wenn seine Freunde wieder zurück in ihre
Heimat ziehen, hinterlassen sie eine unerträgliche Leere,
die Fettah von einem Leben weit weg von Zuhause träumen
lässt. In einem Sommer verliebt sich der sensible Fettah in
Alexandra, die Freundin eines holländischen Surffreunds.
Obwohl sie unerreichbar für ihn scheint, bricht etwas in
ihm zusammen, als Alexandra abreist. Sein wunderschönes
Fischerdorf wird ihm unerträglich eng. Der Verlust gibt
Fettah die Kraft, sich loszureißen. Er packt seinen Rucksack
und begibt sich per Windsurfboard auf eine epische Reise
entlang der Atlantikküste in Richtung Europa. Als ihn der
Wind nach Norden trägt, vorbei an Casablanca und auf den
Atlantik hinaus, realisiert Fettah, dass es kein Glück gibt,
das keine Opfer verlangt. (RAY)
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GEMMA GÜRTELKÄFIG
DORIS KITTLER, A 2006
LÄNGE 25 min.
Ardalan A. alias NAZAR ist 25 Jahre alt, Wiener, Rapper und
»Schwarzkopf«. Er ist ein Mann mit Migrationshintergrund.
Als er aus der vierwöchigen Untersuchungshaft entlassen
wird, ist ihm klar, er steht nicht nur vor finanziellen Schwierigkeiten, denn er wird beschuldigt, einen Raubüberfall begangen zu haben. Seine Freunde Vahid und Musti stehen
auf seiner Seite, doch sie haben beide sehr ähnliche Pro­
bleme. Ohne Perspektive, Ausbildung und Job entschließt
sich Ardalan das Einzige zu machen, was er wirklich kann:
Rappen.
SCHWARZKOPF ist nicht nur ein Film über einen Rapper,
der es geschafft hat. Es geht um Identität. Eine neue und
junge Generation von Österreichern, voll von Sehnsucht
und den großen Fragen des Lebens. (am)
PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT ARMAN T. RIAHI UND DORIS KITTLER
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MI 2.12., 18:30
RASAEL MEN AL YARMOUK /
LETTERS FROM AL YARMOUK
RASHID MASHAREWI, SYR 2014
KAMERA Niraz Saeed u. a. | SCHNITT Mohamed Nagee | LÄNGE 57 min | FORMAT Farbe,
OmeU, DCP
Im April 2015 bezeichnete der Hohe Kommissar der
Vereinten Nationen für Flüchtlinge die Situation im paläs­
tinensischen Flüchtlingslager in Syrien, als »mehr als unmenschlich«. Der junge Fotograf Niraz Saeed lebt in diesem
Lager und fleht mit seinen Bildern und Nachrichten täglich
um Hilfe. Seine Bilder sind die einzige Beruhigung für Niraz’
Verlobte, die in Deutschland auf ihn wartet – nicht wissend,
ob sie ihn je wiedersehen wird.
MOBILE PHONE FILMS
4 Kurzfilme | LÄNGE 15 min
RASHID MASHARAWI
Geboren und aufgewachsen im Flüchtlingslager. Hat sich das
Filmemachen selbst beigebracht. Bringt mit dem Mobile Cinema
das Kino in die Flüchtlingslager.
KINO.PROGRAMM LAND IN SICHT
VORFILME
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Gemeinsam mit dem Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek veranstaltet das METRO Kinokulturhaus ab Oktober
2015 die Reihe »Das Museum geht ins Kino«. In unmittelbarer Nachbarschaft zueinander gelegen, sind beide Häuser Ausstellungsorte
und lebendige Räume der Auseinandersetzung in denkmalgeschütztem Ambiente.
KINO.PROGRAMM DAS MUSEUM GEHT INS KINO
In seiner Dauerausstellung zeigt das Literaturmuseum die Vielstimmigkeit der österreichischen Literatur nicht nur in Handschriften
und Texten, sondern auch in vielen bewegten Bildern: Von Werner
Schroeters Verfilmung von Ingeborg Bachmanns Roman Malina, der
auf einem Drehbuch Elfriede Jelineks basiert, bis hin zu Experimentalfilmen aus dem Umfeld der Wiener Gruppe ist das Medium Film in
vielen Facetten präsent. Immerhin hatte das Kino seit seiner Frühzeit große Ausstrahlungskraft auf die Literatur: Die neue »visuelle
Kultur« (Béla Balázs) regte Schriftsteller zu filmischen Schreibweisen an, ihre literarischen Stoffe wiederum kamen auf die Leinwand.
Autorinnen und Autoren waren und sind aber auch leidenschaftliche Kinogänger: Ilse Aichinger ist bekannt für ihre Kinobegeisterung und Josef Winklers Vorliebe für Karl May-Verfilmungen spiegelt sich in seinem Werk wider. Franz Kafka schließlich notierte die
oftmals starken Eindrücke seiner Kinobesuche in seinem Tagebuch:
»Im Kino gewesen. Geweint.«
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Die Reihe »Das Museum geht ins Kino« möchte die vielen unterschiedlichen Verbindungslinien zwischen Literatur und Film mit
Autoren-Lesungen, Filmvorführungen, Vorträgen und Gesprächen
beleuchten.
FREIER EINTRITT IM LITERATURMUSEUM
UND METRO KINOKULTURHAUS
MO 9.11.,19:00 Lesung im Literaturmuseum
20:00 Filmvorführung im METRO Kinokulturhaus
WINNETOU III
HARALD REINL, BRD / YU 1965
BUCH J. Joachim Bartsch, Harald G. Petersson | KAMERA Ernst W. Kalinke | MUSIK Martin
Böttcher | SCHNITT Jutta Hering | MIT Pierre Brice, Lex Barker, Rik Battaglia, Ralf Wolter,
Sophie Hardy | LÄNGE 93 min | FORMAT Farbe, dF, 35 mm
Karl May war der Lektüregott des jungen Josef Winkler:
»Ich nahm Winnetou III mit dem Titelbild von Sascha
Schneider zur Hand, auf dem der nackte Winnetou abge­
bildet ist […] und begann die Sterbepassage abzutippen,
das Zehnfingersystem am Tod Winnetous zu erlernen.«
(Josef Winkler, Winnetou, Abel und ich, 2014)
Im letzten Teil der Trilogie treten der Häuptling der Apachen
und sein Blutsbruder Old Shatterhand einmal mehr gegen
Outlaws an, die sich am »Krieg zwischen Roten und Weißen« bereichern wollen. Zudem muss sich Winnetou vom
Verdacht eines heimtückischen Mordes reinwaschen. Der
Banditen-Anführer Rollins sät Unfrieden zwischen Siedlern
und Indianern, tötet den Häuptlingssohn der Jicarillos und
schiebt den Mord Winnetou in die Schuhe. So sehen sich
Winnetou und Shatterhand einem Kampf an zwei Fronten
gegenüber – gegen die aufgehetzten Indianer auf der einen
und gegen die verschlagenen Desperados auf der anderen
Seite.
19:00 LESUNG UND EINFÜHRUNG MIT JOSEF WINKLER IM LITERATURMUSEUM
20:00 FILMVORFÜHRUNG UND GESPRÄCH MIT JOSEF WINKLER IM METRO KINO­
KULTURHAUS
KAFKA VA AU CINÉMA /
KAFKA GEHT INS KINO
HANNS ZISCHLER, F 2002
DEN HVIDE SLAVEHANDELS
SIDSTE OFFER /
DIE WEISSE SKLAVIN II
BUCH Hanns Zischler | KAMERA Hanns Zischler, Ute Adamczewski, Miriam Fassbender |
SCHNITT Peter Sabat | STIMMEN Jeanne Balibar, Beate Jensen, Laurent Poitrenaux,
Christian Standtke, Hanns Zischler | LÄNGE 54 min | FORMAT Farbe, s/w, dF, DCP
AUGUST BLOM, DK 1911
Franz Kafka war ein Kinogänger. Welche Filme hat Kafka
gesehen? Welche Spuren haben sie in Kafkas Werk hinterlassen? Autor und Schauspieler Hanns Zischler hat sich in
seinem Buch Kafka geht ins Kino aus dem Jahr 1996 auf
eine detektivische Spurensuche gemacht und die Kino-Welt
Kafkas erforscht. Dem Buch folgte eine Dokumentation, in
der das Vergangene im Gegenwärtigen sichtbar wird. Wie
viele Schriftsteller der Generation um 1880 war Franz Kafka
ein leidenschaftlicher Kinobesucher. Kino oder Kintopp galt
unter Künstlern und Intellektuellen, zumindest bis 1913, als
pure Attraktion und Divertissement – ohne allen künstlerischen Anspruch. Die Wahrnehmung der Kinematographie
war in vielen Fällen dementsprechend oberflächlich. Wenn
man sich darauf einließ, dann allenfalls herablassend;
man machte Verbesserungsvorschläge – ohne die genuine
Ästhetik auch nur zu erahnen. Bei Kafka liegen die Dinge
anders: er war hemmungslos affiziert von den überlebensgroßen Figuren, er adoptierte sie in seine Tagträume und
erweckte sie in seinem Schreiben zu neuem Leben.
Am 26. August 1911 notierte Kafka in sein Tagebuch: »Ich
erinnere mich noch genau an das Kinematographenstück
DIE WEISSE SKLAVIN, in dem die unschuldige Heldin gleich
am Bahnhofsausgang im Dunkel von fremden Männern in
ein Automobil gedrängt und weggeführt wird.«
BUCH Peter Christensen | KAMERA Axel Sørensen | MIT Clara Wieth, Lauritz Olsen,
Thora Meincke, Otto Lagoni | LÄNGE 47 min | FORMAT s/w, OF, 35mm
Der dänische Sensationsfilm DIE WEISSE SKLAVIN II (DIE
FLUCHT DER SKLAVENHÄNDLER) ist einer der ersten
langen Spielfilme der Kinogeschichte. Er widmet sich einem
zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerst populären Thema:
weiße Sklaverei.
LIVE-MUSIK VON GERHARD GRUBER
19:00 LESUNG UND EINFÜHRUNG MIT HANNS ZISCHLER IM LITERATURMUSEUM
20:00 FILMVORFÜHRUNGEN VON FRANZ KAFKA GEHT INS KINO UND DIE WEISSE
SKLAVIN
IM ANSCHLUSS FILMGESPRÄCH MIT HANNS ZISCHLER
KINO.PROGRAMM DAS MUSEUM GEHT INS KINO
MI 2.12., 19:00 Lesung im Literaturmuseum
20:00 Filmvorführung im METRO Kinokulturhaus
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NEKES
DI 10.11., 18:00
PROGRAMM 1
ULIISSES
KINO.PROGRAMM WERNER NEKES
WERNER NEKES, BRD 1980/82
Frei nach James Joyces Ulysses, Homers Odyssee und Neil Orams The Warp | TEAM Dore
O., Bernd Upnmoor, Herbert Jeschke, Volker Bertzky, Gisela Schanzenbach, Astrid Nicklaus,
Birger Bustorff | TON Anthony Moore, Helge Schneider und Musiker des »Science Fiction
Theatre of Liverpool« | MIT VA Wölfl, Tabea Bloomenschein, Russel Denton, Shehzad
Abbas, Sarah Antill, Jim Broadbent, Bernd Upnmoor, Werner Nekes, Dore O., Birger Bustorff |
LÄNGE 94 min. | FORMAT Farbe, dF, 35mm
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Der Film ist eine »homerische« Reise durch die Geschichte
des Kinos. Werner Nekes fasst Homers Odysseus, Joyces
Ulysses und Orams synthetischen Telemach/Phil zusammen und zeigt die Geschichte dieser Figuren analog zur
Geschichte der »Lichteratur«, des Schreibens mit »Licht«
(= Film). Hauptthema ist jedoch die visuelle Sprache selbst.
Odysseus/Bloom verwandelt sich in Uli, den Fotografen,
Penelope/Molly ist sein Modell, Telemach/ Stephan wird
Phil, der seine »Telemachia« beginnt. Die Verknüpfung ihrer
drei Lebensläufe geschieht im Ruhrgebiet, an einem Tag
im September 1980, die Bundesrepublik steht gerade vor
Wahlen. »Diese inhaltliche Gewebe-Struktur ist derart
faszinierend, dass wir beim ersten Sehen des Films uns
nur ab und zu bewusst werden, was für einen unglaublich
komischen Film wir gezeigt bekommen.« (Eva M. J. Schmid,
Journal Film, 4)
DO 12.11., 18:00
PROGRAMM 2
DER TAG DES MALERS
WERNER NEKES, D 1997
BUCH Werner Nekes | KAMERA Werner Nekes | DIGITALE BILDBEARBEITUNG Rajele Jain
MUSIK Anthony Moore | MIT Kirsten Dressler, Heide Jansen, Maria Masciulli, Judith
Verberne | LÄNGE 84 min. | FORMAT Farbe, dF, 35mm
Der Blick des Malers auf das weibliche Modell, oder Wie sich
Voyeurismus in Kultur verwandelt ... Ein erotischer Aben­
teuerfilm, dessen Thema der Zuschauer selbst ist. DER TAG
DES MALERS zeigt, was LA BELLE NOISEUSE nicht zeigen
mag: das unbekannte Meisterwerk. Ein Gang durch die
Bildwelten des Malers, ein Amalgam der malerischen Ausdrucksmöglichkeiten von Film, Video und Computer.
»Ungewöhnliche Zeigweisen machen den Film zu einem
Abenteuerfilm für den Blick des Betrachters. Malerei und
Film verschmelzen miteinander.« (Werner Nekes)
SA 14.11., 18:00
PROGRAMM 3
LITTLE NIGHT
WERNER NEKES, BRD 1979
LÄNGE 14 min | FORMAT Farbe, dF, 16mm
Ein schlafendes Mädchen wird von wundersamen Träumen
heimgesucht. Verschiedenartige Bildwelten verschmelzen zu
einem verwirrenden Puzzle, das sich in Erleichterung auflöst, als das Mädchen, von der Mutter beruhigt, wieder einschlafen kann. Ein Experimentalfilm – auch für Kinder.
Johnny Flash
JOHNNY FLASH
WERNER NEKES, BRD 1987
TEAM Peter Ritz, Bernd Upnmoor, Serge Roman, Dore O., Astrid Nicklaus, Sergej Gleitmann,
Christoph Schlingensief | TON Andreas Wölki, Wolfgang Wirz
MUSIK Helge Schneider | MIT Helge Schneider, Andreas Kunze, Heike Melba-Fendel,
Marianne Traub | LÄNGE 80 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
»Johnny Flash ist die phantastische Geschichte von Jürgen
Potzkothen und seinem wunderbaren Aufstieg zum bewunderten Schlagerstar. Doch hören wir, was Mutter Potzkothen
dazu sagt: ›Merk’n Se sich jetzt ma genau den Namen
JOHNNY FLASH. Johnny Flash is nämlich in Wirklichkeit
Jürgen Potzkothen, ham Se dat jetzt? Wir Potzkothens sind
ne alte Elektrikerfamilie, aber Jürgen, also Johnny is jetzt
auf de Erfolgsleiter gestiegen. Der wollte kein Elektriker
mehr sein un Bäcker auch nich un da is er eben berühmt geworden, also da is er eben noch bei, am erfolgreich werden.
Wie dat alles kam, ja dat müssn Se sich ma ansehn, da
werd’n Se janz schön staunen. Da sehn Se auch wat der Herr
Toi vonne Künstleragentur Toi, Toi und Toi so alles tut. Un
vor allen Dingens, wie sich die Schickse von Musik-SAT an
meinen Jürgen ranpoussiert, un wie wir dat dann doch noch
vonne Trabrennbahn in Gelsenkirchen inne Schlagerparade
geschafft habn. Un wie dat alles so war, also dat is ja schon
ne komische Geschichte, dat.‹ Man reibt sich die Augen,
wenn man liest, dass ausgerechnet unser unermüdlicher
Avantgardefilmer, Werner Nekes, für die Regie dieser Sau­
komik verantwortlich zeichnet.« (Die Welt)
KINO.PROGRAMM WERNER NEKES
Der Tag des Malers
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Kunsthalle Wien
Museumsquartier
7/11 2015 – 7/2 2016
Nobody is
listening to your
telephone calls.
Barack Obama
FR 4.12., 16:30
PROGRAMM 4
TARZANS KAMPF MIT DEM GORILLA
WERNER NEKES, BRD 1968
LÄNGE 12 min. | FORMAT s/w, dF, 16mm
»›Ein Dschungelfilm‹, kompiliert aus den Geräuschen,
Urlauten, Bildern und Dialogen der Gattung, die vor dem
Hintergrund neutraler Szenerien und Szenen ein zweites
Leben entfalten: dschungelhaft wirkt weniger, was dazu
veranstaltet war, als die zum Kontrast zitierte Normalsphäre aus Alltagsdialogen, in denen belanglose Konversation
zum Zeremoniell gerät und ein Reigen des Einander-Vorstellens sich wie ein makabres Namenballett aus der ›Kahlen Sängerin‹ oder den ›Stühlen‹ Ionescos anhört. Dschungelhaft wirkt endlich auch die Silhouette aus Parkbäumen,
der der Dschungelfilm Ton leiht: ein stehendes Panorama
unaufhaltsam fortschreitender Anarchie.« (Jörg Peter
Feurich, Filmkritik, 2/1970, S. 100f))
MIRADOR
WERNER NEKES, BRD 1978
TEAM Dore O., Bernd Upnmoor, Herbert Jeschke, Birger Bustorff, Winfried Wolf, Harm
Abrahams, Djura Ankijc | KOMPOSITIONEN Anthony Moore | MIT Günter Tuzina, Claus
Böhmler, Geeske Hof-Helmers, Klaus Arp, Franz Winzenstein, Volker Meier, Ingrid Heller,
Corinna Gust | LÄNGE 88 min | FORMAT Farbe, dF, 35mm
#Populism
Ausstellung
Basel Abbas & Ruanne Abou-Rahme, Lawrence Abu Hamdan,
Saâdane Afif, Darren Bader, Keren Cytter, Simon Denny,
Christian Falsnaes, Evgeny Granilshchikov, Flaka Haliti,
Rosemary Heather, Calla Henkel & Max Pitegoff,
Anna Jermolaewa, Johanna Kandl, Minouk Lim, Goshka Macuga,
Jumana Manna, Mián Mián, Marcel Odenbach, Ahmet Ögüt,
Trevor Paglen, Hito Steyerl, Erik Van Lieshout, Jun Yang
www.kunsthallewien.at
Dieser Film wendet sich gegen das Absurde und Verstiegene der in derselben Weise immer wiederkehrenden phantastischen Abenteuer und Taten der Gangster, Cowboys,
Schönlinge und Monster, das Schablonenhafte und Unorganische im Aufbau und in der Intrige, gegen die SchwarzWeiß-Malerei der Charaktere, überhaupt die psychologischen Unzulänglichkeiten – mit einem Wort also gegen die
Verzerrung der Gegebenheiten des Lebens wie der Gesetze
der Kunst.
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CINE
VARIETÉ
E. A. DUPONT, D 1925
BUCH Leo Birinski, E. A. Dupont nach dem Roman Der Eid des Stefan Huller von Felix
Holländer | KAMERA Karl Freund, Carl Hoffmann | MIT Emil Jannings, Lya de Putti, Warwick
Ward, Maly Delschaft, Kurt Gerron, Georg John | LÄNGE 88 min | FORMAT viragiert, DCP
VARIETÉ zählt zu den deutschen Filmerfolgen des Jahres
1925. Das Eifersuchtsdrama mit den Stars Emil Jannings
und Lya de Putti bereitete für Regisseur E. A. Dupont und
viele der Mitwirkenden den Weg nach Hollywood. Auch
durch die berühmte »entfesselte Kamera« von Karl Freund
genießt der Film noch heute Weltruf.
VARIETÉ erzählt die tragische Geschichte des Mörders
»Boss« Huller, der nach zehn Jahren Haft die Aussicht auf
eine Begnadigung bekommt. Dafür muss er das Schweigen
über seine Tat beenden. Gesühnt schildert er dem Gefängnisdirektor seine Geschichte, die im Film in langen Rückblenden erzählt wird: Boss, einstmals ein berühmter Trapezkünstler, ist nach einem Unfall zum Schaubudenbesitzer
auf der Reeperbahn abgestiegen. Für die verführerische
Tänzerin Berta-Marie verlässt er Frau und Kind. Doch diese
beginnt mit dem Artisten Artinelli eine Affäre.
Die digitale Neurestaurierung des UFA-Klassikers erfolgte
2015 durch das Filmarchiv Austria in Kooperation mit der
Murnau Stiftung. Die Welt-Uraufführung erfolgte bei der
Berlinale 2015.
Mit einer Live-Vertonung von Chrono Popp und Hans Holler.
CHRONO POPP
Der Musiker, Komponist, Teilzeitkünstler und Autodidakt
Chrono Popp war musikalischer Leiter von Phettbergs Nette Leit
Show, schrieb die Musik zu vielen Theaterinszenierungen und
zu so gut wie allen Filmen Kurt Palms sowie zahlreiche StummfilmBegleitungen.
HANS HOLLER
Der Musiker und Tontechniker Hans Holler spielte bereits »Elektronische Musik«, als diese noch unter »Synthesizer-Musik« lief –
unter anderem bei Hip Hop Finger und beim Musikkreis MS 20.
KINO.PROGRAMM CINEMA SESSIONS
MI 11.11., 19:00
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FR 13.11.2015, 19:00
RÜDIGER SAFRANSKI
ZEIT. WAS SIE MIT UNS MACHT.
GESPRÄCH UND LESUNG
METRO KINOKULTURHAUS, HISTORISCHER SAAL
EINTRITT: FREIWILLIGE SPENDE
Was macht die Zeit mit uns? Und was machen wir aus ihr?
Der Philosoph Rüdiger Safranski ermutigt uns in seinem neuen Buch, den Reichtum der Zeiterfahrung zurückzugewinnen.
Jenseits der Uhren, die uns ein objektives Zeitmaß vorgaukeln ... Facettenreich beschreibt der 70-Jährige das Spannungsfeld zwischen Vergehen und Beharren und ermuntert
uns, aufmerksam mit diesem wertvollen Gut um­zugehen.
KINO.PROGRAMM BRÜDIGER SAFRANSKI
Moderation: Philipp Blom (Hanser Verlag)
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RÜDIGER SAFRANSKI, geboren 1945, ist Philosoph und vielfach
preisgekrönter, in 30 Sprachen übersetzter Autor u. a. von großen
Biografien über E. T. A. Hoffmann, Heidegger, Nietzsche, Schiller,
von Büchern über die menschlichen Grundfragen, u. a. über das
Böse und die Wahrheit, und zuletzt der vielgepriesenen Bücher
über die Romantik (2007), über die Freundschaft von Goethe und
Schiller (2009) sowie über Goethe (2013). 2014 wurde Rüdiger
Safranski u. a. mit dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.
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GASLIGHT
THOROLD DICKINSON, GB 1940
BUCH Patrick Hamilton, A.R. Rawlinson, Bridget Boland | KAMERA Bernard Knowles | MUSIK
Richard Addinsell | MIT Adolf Wohlbrück, Diana Wynyard, Frank Pettingell, Cathleen Cordell,
Robert Newton | LÄNGE 89 min | FORMAT s/w, eOF, 35mm
Nicht nur Hollywood war das Ziel vieler Filmschaffender
in den 1930er- und 1940er-Jahren, auch London diente oft
als Zwischenstation der Flucht bzw. als Sprungbrett, um in
die internationale Filmbranche einzusteigen. Der gebürtige
Wiener Anton Walbrook (alias Adolf Anton Wilhelm Wohlbrück) ging jedoch den umgekehrten Weg. Nach kurzer und
unbefriedigender Tätigkeit in den Studios von Hollywood
und trotz der fortwährenden Bedrohung durch den Nationalsozialismus kehrte er nach Europa zurück, wo er sich in
London niederließ. An der Seite von Diana Wynyard übernahm er in der britischen Produktion GASLIGHT die Hauptrolle. Regie führte Thorold Dickinson, der sich schon in
zahlreichen anderen Produktionen gegen faschistische
Ideologien sowie den selbst für Großbritannien nicht
irrelevanten und sich in breiten Teilen Europas radikalisierenden Antisemitismus positionierte. GASLIGHT ist gezeichnet von Gier, vom systematischen Einsatz von Herrschaft,
welche das Tun der beherrschten Personen willkürlich
erscheinen lässt sowie von der Bedrohung des Vergessens
und der Notwendigkeit des Erinnerns. (cw)
Mit einer Einführung von Frank Stern (Leiter des Schwerpunkts Visuelle Zeit- und Kulturgeschichte am Institut
für Zeitgeschichte, Universität Wien) und anschließender
Diskussion mit Frank Stern und Christian Cargnelli (Film­
wissenschaftler und Lehrbeauftragter am Institut für
Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität
Wien; seit Anfang der 1990er-Jahre intensiv mit Filmexil
und Exilfilm befasst, etwa in dem Forschungsprojekt
German-speaking Emigrés and Britsh Cinema, 1925–1950).
MO, 16.11, PUBLIKUMSGESPRÄCH MIT FRANK STERN UND CHRISTIAN CARGNELLI
KINO.PROGRAMM FILM NOIR
MO 16.11., 19:00 | 17.11., 20:00
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MO 30.11., 18:00 | FR 4.12., 20:30
FR 20.11., 19:00 | MO 23.11., 20:00
THE LADY FROM SHANGHAI /
DIE LADY VON SHANGHAI
BORDER INCIDENT /
TÖDLICHE GRENZE
ORSON WELLES, US 1948
ANTHONY MANN, US 1949
Schlechte Kritiken regnete es seinerzeit für THE LADY
FROM SHANGHAI, doch wie so oft bedurfte es auch für
diesen Noir von Orson Welles Zeit und Distanz, bis die
Ästhetik dieser Filmkunst zu einem Klassiker wurde. Neben
Rita Hayworth spielt auch Welles selbst eine Hauptrolle,
dessen Charakter, Michael O’Hara, ob als Kutscher im Central Park, während des intrigendurchtränkten Segeltrips
oder durch eine turbulente Rutschfahrt ins Spiegelkabinett
stets auf Irrwege geführt wird. Die Musik wurde von Heinz
Roemheld komponiert. Allan Roberts und Doris Fisher, die
Tochter eines deutschen Komponisten, lieferten den Song
Please Don’t Kiss Me. Der in Krakau geborene Rudolph
Maté war neben Charles Lawton jr. für die Kamera zuständig. Als Schüler Alexander Kordas und geprägt durch
die Zusammenarbeit mit Carl Theodor Dreyer, Fritz Lang
oder René Clair ist es vor allem Maté, der in der für den
Film Noir unumgänglichen transatlantischen Filmsprache
in THE LADY FROM SHANGHAI durch die Kamera spricht.
(cw)
VORFILM
KINO.PROGRAMM FILM NOIR
BUCH Orson Welles, nach dem Roman I Die Before I Wake von Sherwood King | KAMERA Charles
Lawton jr., Rudolph Maté | MUSIK Heinz Roemheld | MIT Orson Welles, Rita Hayworth, Everett
Sloane, Glenn Anders | LÄNGE 86 min | FORMAT s/w, eOF, 35mm
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PUBLIKUMSGESPRÄCH IM ANSCHLUSS AN DEN FILM.
BUCH John C. Higgins | KAMERA John Alton | SCHNITT Conrad A. Nervig | MUSIK André Previn |
MIT Ricardo Montalban, George Murphy, Howard da Silva | LÄNGE 94 min | FORMAT s/w,
eOF, 35mm
A CRIME DOES NOT PAY:
FORBIDDEN PASSAGE
FRED ZINNEMANN, US 1941
LÄNGE 21 min | FORMAT s/w, eOF, 35mm
Illegale Einwanderung und brutale, menschenunwürdige
Ausbeutung, die auch vor Mord an denen nicht zurückschreckt, die Arbeit jenseits der Grenze suchen. Der Film ist
ein antirassistisches Statement, indem er zwei UndercoverProtagonisten zeigt, einen Mexikaner und einen weißen
US-Amerikaner, die versuchen, den scheinbar ehrenhaften
Menschenhändlern das Handwerk zu legen. Kameraführung
und realistische Härte geben dem Spielfilm von Anthony
Mann ein dokumentarisches Profil. Die emotionale Kraft
der Landschaftsaufnahmen nimmt Manns in den folgenden
Jahren produzierte Western vorweg. Mann und der Kameramann John Alton galten als »Duo of Darkness« und
haben vier Noir-Filme produziert, u. a. T-MEN und HE
WALKED AT NIGHT. (fs)
SA 21.11., 19:00 | DI 24.11., 20:00
SO 22.11., 19:00 | MI 25.11., 20:00
ODDS AGAINST TOMORROW /
THE NORTH STAR
WENIG CHANCEN FÜR MORGEN LEWIS MILESTONE, US 1943
BUCH Abraham Polonsky, Nelson Gidding, nach dem gleichnamigen Roman von William
P. McGivern | KAMERA Joseph C. Brun | MUSIK John Lewis, Harry Belafonte | MIT Harry Belafonte, Robert Ryan, Shelley Winters, Gloria Grahame | LÄNGE 96 min | FORMAT s/w, eOF, 35mm
In vielfältigen Kombinationen von Genre und Stil befasste
sich Robert Wise in seinen Regiearbeiten mit in Konflikt
zueinander stehenden Kulturen und den damit einhergehenden Formen von Diskriminierung. ODDS AGAINST
TOMORROW widmet sich in der ästhetischen Tradition des
Film Noir ohne Ausschweifungen den Abgründen des New
Yorker Alltagsrassismus, welcher der Black Community
klare Grenzen und Klassenzugehörigkeiten auferlegt und
sie auf ein von Jazzklängen getragenes, verruchtes Milieu
reduziert.
John Lewis moderne Jazzkompositionen lassen die allgegenwärtige Präsenz von willkürlichen Rassismen unausweichlich werden und unterstreichen so auch akustisch
die schlussendlich kulminierende Absurdität von an­sozia­
lisierter Differenz. (cw)
BUCH Lillian Hellman | KAMERA James Wong Howe | MUSIK Aaron Copland, Ira Gershwin |
MIT Anne Baxter, Dana Andrews, Walter Brennan, Erich von Stroheim, Ann Harding | LÄNGE
108 min | FORMAT s/w, OF, 35mm
Lewis Milestone inszenierte mit THE NORTH STAR einen
der wenigen amerikanischen »Pro-Sowjet«-Kriegsfilme.
Der Anfang idealisiert eine idyllische Kolchose mit Bildern
wie im Musical Oklahoma, und Walter Brennan erinnert an
Tevje, den Milchmann aus Anatevka. Aber der Angriff der
Nazis zerstört sehr schnell die friedliche Gemeinschaft, die
im weiteren Verlauf des Films verzweifelt ums Überleben
kämpft. Aus der großartigen Besetzungsliste ragt Erich von
Stroheim als gewissenloser Nazi-Doktor heraus.
THE NORTH STAR war für sechs Oscars nominiert und
wurde in der Zeit des Kalten Krieges rigoros gekürzt und
umgeschnitten, was natürlich alle pro-sowjetischen Szenen
betraf. Unter dem Titel ARMORED ATTACK kam er 1957
nochmals in die Kinos, ergänzt um einen anti-sowjetischen
Epilog rund um den Ungarn-Aufstand 1956. (kd)
KINO.PROGRAMM FILM NOIR
ROBERT WISE, US 1959
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RETRO
DO 19.11.2015, 19:00 | SA 21.11., 16:30
CITIZENFOUR
LAURA POITRAS, US/D 2014
KINO.PROGRAMM LAURA POITRAS
KAMERA Kirsten Johnson, Trevor Paglen, Laura Poitras, Katy Scoggin | SCHNITT Mathilde
Bonnefoy | MIT Edward Snowden, Glenn Greenwald, William Binney, Jacob Appelbaum |
LÄNGE 114 min | FORMAT Farbe, OmU, DCP
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Während Laura Poitras an einem Film über Überwachungsprogramme arbeitet, die von Geheimdiensten seit dem
11. September entwickelt werden, erhält sie ein E-Mail von
einem ihr unbekannten Mann, der sich »Citizenfour« nennt.
Er teilt ihr mit, dass er Belege für die illegale Abhörtätigkeit
der National Security Agency hat. Poitras trifft den Mann
mit zwei Journalistenkollegen in einem Hotelzimmer in
Hongkong. Sie führen vier Tage lang ein Gespräch mit
Edward Snowden, in denen dieser einiges über die Praktiken
der NSA erzählt. Als die Journalisten Snowdens Identität
auf dessen Wunsch der Öffentlichkeit mitteilen, fordern
die USA dessen Auslieferung. Snowden erhält in Russland
vorübergehend Aufenthalt.
Poitras lässt Politiker, Geheimdienstler und andere Insider
zu Wort kommen und zeichnet das Bild eines entfesselten
Staates, der Bürgerrechte unter dem Vorwand der Sicherheit abbaut. Snowdens Enthüllungen ziehen weite Kreise
und diplomatische Krisen bis nach Deutschland nach sich.
CITIZENFOUR endet mit einem Besuch Poitras und ihrer
Kollegen bei Snowden in Russland, wo er sich bis heute
aufhält.
DO 19.11., 21:30 | SO 22.11., 18:30
SA 21.11., 20:45 | SO 22.11., 16:30
MY COUNTRY, MY COUNTRY
THE OATH
LAURA POITRAS, US 2006
LAURA POITRAS, US 2010
Im Jahr 2005 soll der Irak erstmals unter den Augen des
US-amerikanischen Militärs in freien Wahlen ein Parlament
bestimmen. Laura Poitras begleitet über sechs Monate die
Vorbereitungen dazu und trifft auf ein Land, das von Krieg,
Zerstörung und Chaos schwer gezeichnet ist. Die Gesellschaft ist von scheinbar unüberbrückbaren Gräben durchzogen: Sunniten, Schiiten und Kurden verfolgen jeweils ihre
eigenen Interessen. In dem Arzt Dr. Riyadh al-Adhadh und
seiner Familie in Bagdad findet Poitras das emotionale Zentrum dieses Films. Während al-Adhadh im Krankenhaus seine Patienten betreut und zu bestärken versucht, bricht in
den eigenen vier Wänden sein ganzer Pessimismus heraus,
was seine Töchter mit Ironie quittieren.
Doppelporträt zweier Freunde aus dem Jemen, die als
Chauffeur und Leibwächter im innersten Kreis von al-Qaida
tätig waren. Seit sie auf Befehl von Osama bin-Laden zwei
Schwestern geheiratet haben, sind sie verschwägert. Ihre
Geschichte könnte dennoch nicht unterschiedlicher verlaufen sein: Nasser al-Bahri, genannt Abu Jandal, kehrte in den
Jemen zurück, bevor die US-Justiz seiner habhaft werden
konnte. Nach Jahren im Gefängnis nahm er an einem ReEducation-Programm der Regierung teil und arbeitet heute
als Taxifahrer in Sana’a. Sein Schwager Salim Hamdan
saß sechs Jahre in Guantanamo ein und wurde später in
ein Gefängnis im Jemen überstellt. 2012 bestätigte ein
US-Gericht seine Unschuld.
Den ungewissen Perspektiven der Bevölkerung setzt Poitras
die geordnete Präsenz der amerikanischen Militärs entgegen: Bestens ausgerüstet patrouillieren die vermeintlichen
»Befreier« durch die Straßen oder führen Lagebesprechungen im Hauptquartier. Immer mit dem Wissen, dass ihr Einsatz hier von beschränkter Dauer ist.
Poitras greift deren Schicksale durch unterschiedliche
Erzählstrategien auf: während al-Bahri auf schillernde
Weise Rede und Antwort vor der Kamera steht und bereitwillig Einblicke in sein Leben gibt, kommt Salim Hamdan
nur in Form einer Ghost Story vor. Über seine schwere Zeit
in Guantanamo und das Leben danach erfährt man nur
aus dem Mund von al-Bahri.
KAMERA Laura Poitras, Kirsten Johnson | SCHNITT Jonathan Oppenheim | MUSIK Osvaldo
Golijov | MIT Salim Hamdan, Abu Jandal, Troi Lebane | LÄNGE 90 min | FORMAT Farbe, OmeU,
DCP
KINO.PROGRAMM LAURA POITRAS
BUCH, KAMERA Laura Poitras | SCHNITT Kathi Black, David Brancaccio, Larry Goldfine, David
Kreger, Erez Laufer, Laura Poitras, Judith Wolff | MUSIK Kadhum Al Sahir | MIT Dr. Riyadh,
Aaron Castle, Scott Farren-Price | LÄNGE 90 min | FORMAT Farbe, eF, DCP
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PREMI
SO 8.11., 13:00 | 22.11., 13:00 | SO 29.11., 15:00 | SO 6.12., 13:00
VARVILLA
VALERIO GNESINI, I 2015
KINO.PROGRAMM VARVILLA
BUCH Valerio Gnesini | KAMERA Alessio Valori | SCHNITT Diego Berré | MIT Albaro Torri |
LÄNGE 75 min | FORMAT Farbe, ITmdU, DCP
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Der Dokumentarfilm VARVILLA versteht sich als Antwort
auf die ökonomische Krise und die Landflucht, die Italien
in besonderer Weise erfasst hat. In Succisso, in der italienischen Provinz Reggio Emilia haben sich die DorfbewohnerInnen vor 20 Jahren zusammengetan und eine Coopera­
tive gegründet, um so ihr Dorf vor dem Aussterben zu
bewahren. Heute betreibt »Das Tal der Ritter«, wie die
Cooperative genannt wird, eine Bar, einen Bauernhof, eine
Greißlerei und ist im Tourismus, in der Schafzucht und
Käseproduktion, in der Nahversorgung der Region und in
der Betreuung des Besucherzentrums des Nationalparks
aktiv. Ein einzigartiges Modell in Italien, das der Depopula­
tion in kleineren Regionen des Landes entgegenwirkt und
das es in vergleichbarer Art nur in Australien gibt.
SONNTAG, 8. NOVEMBER, 13 UHR
KONZEPTE GEGEN LANDFLUCHT
Podiumsdiskussion:
Valerio Gnesini (Regisseur VARVILLA)
Nicole Prop (Green Care Österreich, Landwirtschaftskammer Wien)
Christof Isopp (Zukunftsorte)
Moderation: Thomas Stollenwerk (BIORAMA)
SONNTAG, 22. NOVEMBER, 13 UHR
WIEDERBELEBUNG LÄNDLICHER REGIONEN
Podiumsdiskussion:
Rita Huber (Rita bringt’s)
Florian Holzer (Stadtzeitung Der Falter)
Moderation: Johanna Stögmüller (Die Grünen)
SONNTAG, 29. NOVEMBER, 15 UHR
BIO- UND SLOWFOOD BEWEGUNG
Podiumsdiskussion
SONNTAG, 6. DEZEMBER, 13 UHR
REGIONALE VIELFALT
Podiumsdiskussion:
Anna Keutgen (Boku, Nutzpflanzenwissenschaften)
Gerhard Zoubek (ADAMAH BioHof)
Moderation: Jürgen Schmücking (BIORAMA)
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MO 23.11., 19:00
THE PRICE WE PAY
HAROLD CROOKS, CDN 2014
BUCH Brigitte Alepin, Harold Crooks | KAMERA Alex Margineanu | SCHNITT Louis-Martin
Paradis | MUSIK Ramachandra Borcar | LÄNGE 93 min | FORMAT Farbe, eOF, DCP
Der aufrüttelnde Dokumentarfilm von Harold Crooks erzählt
von den üblen Tricks und Strategien, mit denen multinationale Unternehmen Regierungen um Billionen von Dollar an
Steuereinnahmen berauben. Der Film enthüllt, wie Multis
und Superreiche mit Hilfe eines weltweiten SteueroasenNetzes die Grundlagen demokratischer Staaten untergraben und die Finanzierung der sozialen Dienste der Mittelklasse und den Armen überlassen. Die Dokumentation
beleuchtet die dunkle Geschichte und die heutige düstere
Realität dieses Systems, in der Konzerne es sich oftmals
aussuchen können, ob sie Steuern zahlen wollen oder nicht.
Ein wichtiges Exposé von den zerstörerischen Kräften des
Kapitalismus, ist THE PRICE WE PAY eine kraftvolle und
überzeugende Handlungsaufforderung.
ÖSTERREICH-PREMIERE: FILMGESPRÄCH IN ENGLISCHER SPRACHE MIT REGISSEUR
HAROLD CROOKS NACH DEM FILM. MODERATION: MARTINA NEUWIRTH (VIDC)
EINTRITT: FREIWILLIGE SPENDE
In Kooperation mit Aktionsradius Wien, Attac Österreich und VIDC.
KINO.PROGRAMM THE PRICE WE PAY
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30 JA
MO 23.11.2015, 21:00
30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
AUSTRIAN ANIMATED
EXPERIMENTS
PROGRAMM 1
HISTORICAL TREASURES
MEIN FENSTER ZBIGNIEW RYBCZYCSKI, A 1979
»Ich kenne keinen Künstler der Gegenwart, […] der über eine so unvergleichliche technische
Virtuosität und bravura verfügt.« (Peter Weibel)
KINO.PROGRAMM 30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
LIEBE SABINE GROSCHUP, A 1988
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Die Gründung der ASIFA AUSTRIA, als österreichische Sektion
der internationalen Animationsfilmorganisation erfolgte 1985 im
Umfeld des bis heute bestehenden Studios für experimentellen
Animationsfilm an der Universität für angewandte Kunst Wien. Der
neue Zugang zu avantgardistischen filmischen Methoden zwischen
Kunst und Animation erregte rasch internationales Aufsehen.
»LIEBE von Sabine Groschup beschreibt den Zustand des Verliebtseins, des wohligen
Tagtraums.« (Mara Mattuschka)
TV MONTEZUMA PETER PUTZ, A 1987
»TV MONTEZUMA von Peter Putz verflicht im Ambiente eines Künstlerateliers unterschied­
liche Gestaltungsstränge, wobei ›Kunst und Leben‹ buchstäblich ineinandergreifen, wenn
neben großflächiger und raumgreifender Malerei ein TV-Monitor sein Programm abspielt
und zwischendurch eine Katze zwischen den vielfältigen Elementen ihren Auftritt hat.«
(Thomas Renoldner)
FESTIVAL HUBERT SIELECKI, A 1985
»In FESTIVAL karikiert Sielecki auf treffende Weise und mit schwarzem Humor die immer
wiederkehrenden Rituale, Gespräche und Stimmungen bei internationalen Animations­
festivals.« (Franziska Bruckner)
PARASYMPATHICA MARA MATTUSCHKA, A 1986
WIEDER HOLUNG NANA SWICZINSKY, A 1997
DER MENSCH MIT DEN MODERNEN NERVEN
IN THE WAKE ALEXANDER CURTIS, A 1992
Der erste Satz aus Finnegans Wake, James Joyces kunstvoll-mysteriöse und als kaum
übersetzbar geltende Sprachmischkulanz, wird mit anonymen Stücken aus AmateurfilmMaterial verschmolzen.
BADY MINCK / STEFAN STRATIL, A 1988
Eine Hochgeschwindigkeitsfahrt durch das Rückenmark von Adolf Loos. »Zahlreiche
Filmemacher haben die Stadt filmisch dargestellt, aber nur wenige haben mit dem architektonischen Material an sich gearbeitet. Aus dieser Sicht ist der Fall der Wiener Filmregisseure
Bady Minck und Stefan Stratil ziemlich beispielhaft.« (Jean-Michel Bouhours)
DUOCITY ULF STAEGER, A 1994
Eine urbane Simultanreise durch Wien und Berlin. In einer wilden Bilder-Collage von
gezeichneten, gemalten und realen Szenen verdeutlicht Ulf Staeger sowohl die Gemein­
samkeiten als auch die Unterschiede der beiden Städte in der visuellen Wahrnehmung.
RAUMFAHRT RENATE KORDON, A 1989
»Die Filmmacherin als Raumfahrerin, als Kosmonautin, deren Kamera wie auf einer Umlaufbahn durch den Ort des All-Tags gleitet, um dessen Koordinaten abzutasten.« (Bady Minck)
SIRAP MEDUSO MARTIN KALTNER, A 1990/91
Gemalt, gezeichnet, gelegt: Surrealistische Art-Brut-Collage, inspiriert von einem ParisAufenthalt.
CLUB JAMES CLAY, A 1986
Eine Parodie auf den legendären CLUB 2. Einige der emotionalsten Momente der beliebten
ORF-Sendung werden in bewusst sinnleerer Abfolge zu einer Dialog-Collage verfremdet.
»WIEDER HOLUNG lässt sich als eine auswuchernde Serie von Differenzierungen und Verkehrungen beschreiben. Deren Grundlage ist einfach und in ihrer Konsequenz zugleich umfassend: Alles ist gezeichnet, alles ist animiert, alles ist schwarz oder weiß. « (Isabella Reicher)
EDGE MARTIN ANIBAS, A 1991
»Martin Anibas steht mit seiner Malerei in der Tradition der Visual music. Seine kurzen
und intensiv verdichteten ›bewegten Malereien‹ pendeln zwischen expressiver Abstraktion
und figurativen Andeutungen.« (Thomas Renoldner)
MARIA LASSNIG, A 1976
In ART EDUCATION re-kodiert Maria Lassnig die männlich dominierte Kunstgeschichte und
interpretiert humorvoll berühmte Werke um.
KINO.PROGRAMM 30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
»Der Sympathicus und Parasympathicus sind Teile des Nervensystems, die für die Ruheund Aktivphasen zuständig sind. Ohne einander können sie nicht sein, sonst käme es zu
einer unglaublichen Erschöpfung.« (Mara Mattuschka)
GESAMTSPIELZEIT: 70 min
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EVENING STAR DANIEL ŠULJIĆ, A 1993
»EVENING STAR von Daniel Šuljić arbeitet mit Skifahrerinnen, Politikern oder Models, den
Stars der Zeitungen, die in immer ähnlichen Posen, Gesten und Positionen abgebildet und
dadurch austauschbar werden.« (Franziska Bruckner)
DIE JAGD JOSEF NERMUTH / PAUL BRAUNSTEINER, A 1992
Korrumpiert von seinem Hunger nach Macht bricht der Jäger alle Schranken und wird
selbst zum wehrlosen Opfer.
ART EDUCATION
PROGRAMM 2
CONTEMPORARY HIGHLIGHTS
FILM AUF FICHTENHOLZ NORBERT TRUMMER, A 2007
Norbert Trummers minimalistisch anmutender Trickfilm verblüfft durch seine Einfachheit.
Er malt mehrere Wiederholungen eines Motivs auf sägeraue Fichtenbretter. Durch diese mit
der Hand durchgeführte Vervielfältigung entstehen Abweichungen.
TINAMV 1 ADNAN POPOVIĆ, A 2011
GUITARSTRING MARKED FINGERPRINTS
KINO.PROGRAMM 30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
Animation. Perfektion. In Zeiten von digitalem Überschwang weiß Adnan Popović mit einer
punktgenauen Choreografie großteils analoger Animationstechniken zu überzeugen. Ein
weißer Gang dient dabei als Setting des Musikvideos für das Wiener Elektronikerduo Kilo.
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STUCK IN A GROOVE CLEMENS KOGLER, A 2010
MARLENE RUDY, A 2010
Ein animierter Musik-Clip, der im Rahmen eines Gruppenprojekts an der Hochschule der
Künste in Wien für die Band Dust Covered Carpet entstand. Gewinner des Airbed Movie
Awards bei VIS Vienna Independent Shorts 2010.
STUCK IN A GROOVE ist der erste Film, der mit Phonovideo-Technik hergestellt wurde, eine
Technik, die auch für Live visuals verwendet wird. Mithilfe eines Videomischers, bedruckter
12-Zoll-Kartonscheiben und der Rotation zweier Plattenspieler kreiert Kogler animierte
Bilder der oben Genannten – live und in Handarbeit.
STEP FORWARD ENI BRANDNER, A 2013
KLANGGÄRTEN IBY-JOLANDE VARGA, A 2014
KLANGGÄRTEN ist die lineare Fassung eines interaktiven Animationsfilms von Iby-Jolande
Varga, der auf dem Klangspiel und der Partitur 7x7 des österreichischen Komponisten und
Musikers Karlheinz Essl basiert.
MYSTERY MUSIC NICOLAS MAHLER, A 2009
GUGUG SABINE GROSCHUP, A 2006
Das Erzählen als ein Modus des Sich-Erinnerns ist Thema in Sabine Groschups malerischem
Zeichentrickfilm GUGUG. Die im O-Ton aufgenommene Erzählung der im bäuerlichen Milieu
aufgewachsenen Großmutter der Filmemacherin bildet das Gerüst des Films.
Ein abstraktes, animiertes Video für den Song Step Forward von Compact Space. Kohlezeichnung auf braunem Papier sowie ein paar Bleistiftzeichnungen, die beim Prozess des
Animierens und Schneidens am Computer dazugefügt wurden.
Die Idee von Visual music findet in der animierten Arbeit von Nikolaus Mahler eine ironische
Antwort, wenn die »Töne« diverser Instrumente als dicke Würste über die Leinwand fließen.
Die akustische Umsetzung des wunderbar unaufgeregten Bildgeschehens mit experimen­
tellen elektronischen Klängen fügt dem Werk eine weitere Humorebene hinzu.
LINZ / MARTINSKIRCHE EDITH STAUBER, A 2014
»Wir alle kennen solche Inszenierungen von Kirchen und deren Innenräumen aus Filmen
oder dem Fernsehen: bedeutungsschwanger, erhaben, festlich ... Die Anordnung, die uns
LINZ / MARTINSKIRCHE vor Augen führt, steht in krassem Gegensatz dazu.« (Sylvia Szely)
VIDEO 65 DEXTRO, A 2014
Bild und Ton entstehen aus einem Computerprogramm, das jedoch durch die Einbindung
physischer Bewegung in den Kreativprozess ergänzt wird; Trackpads, Tastenanschläge und
gehackte Spielecontroller werden benutzt, um Echtzeit-Spontaneität und menschliche Ungenauigkeit hinzuzufügen. (Chris Arrell, Übersetzung aus dem Englischen: Filmarchiv Austria)
THE WAY TO M ZSUZSANNA WERNER, A 2011
Ein postmodernes Roadmovie, eine Reise durch Welten und Dimensionen. Ein digitaler
Arbeiter geht auf diese Reise, eine äußerst innere Reise. Mit dem Soundtrack von Alexander
Hengl (theclosing) erzeugen die Bilder ein kaleidoskopisches Lösungsmittel. Der Film wurde
mit dem ASIFA AUSTRIA Award/Best Austrian Animation 2011 ausgezeichnet
TINTENKILLER VERONIKA SCHUBERT, A 2009
ROTONDA – XANADU THOMAS STEINER, A 2012
Die Fernsehserie TATORT hat das Krimi-Genre sehr beeinflusst und stellt seit über vier
Jahrzehnten den Inbegriff deutscher Populärkultur dar. Veronika Schuberts rotoskopierte
Found-Footage-Animation TINTENKILLER schöpft aus diesem reichen Reservoir. »TINTEN­
KILLER abstrahiert die Collage aus den Ritualen und den Banalitäten, die jeden Fernsehkrimi
als solchen determinieren und erstellt im direkten Sinn des Wortes einen Blueprint des
Genres: statt Blut fließt Tinte durch die Bilder. « (Sylvia Szely)
SUNNY AFTERNOON THOMAS RENOLDNER, A 2012
GESAMTSPIELZEIT: 69 min
Palladios Villa Rotonda und das Schloss Xanadu in Orson Welles’ CITIZEN KANE sind beides
klassische Beispiele architektonischer bzw. filmischer Konstruktion. Als Basis für ROTONDA
– XANADU wurde die geheimnisvolle Eingangssequenz von CITIZEN KANE nachgebaut.
SUNNY AFTERNOON ist die Konfrontation »einer Art« Avantgardefilm mit »einer Art«
Musikvideo und stellt so die Frage nach den Standardtabus und Klischees beider
Genres. Sowohl Avantgardfilm als auch Musikvideo parodieren auch den »für das Genre
typischen« Sound.
DOMINO ANNA VASOF, A 2014
DOMINO kombiniert den Mechanismus eines Dominofalls mit der Stop-Motion-Technik und
stellt damit eine neue Animationstechnik vor – die »Nonstop-Stop-Motion«. Eine Video­
kamera folgt und filmt durchgehend den Fall von Dominosteinen. Gewinner des ASIFA
AUSTRIA Award/Best Austrian Animation 2014
KINO.PROGRAMM 30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
RACECAR HOLGER LANG, A 2007
Eine Collage um die Ecke biegender Autos in einem Rennen. Der Rhythmus der Bewegung
und die Farben der Autos verschwinden in der Helligkeit des Lichts. 77
I
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G
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A
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.EXIL.S
FILM
DI 24.11., AB 10:00
SYMPOSIUM + FILMGALA
KINDER DER WELT ist im Jahr 1941 in dem von Japan besetzten Shanghai entstanden. Die österreichischen Filmpioniere
Luise Fleck (1873–1950) und Jakob Fleck (1881–1953) waren
1939 als mittellose jüdische Flüchtlinge nach Shanghai gekommen. Trotz der widrigen Bedingungen unter japanischer
Besetzung gelang es ihnen mit dem chinesischen Regisseur
Fei Mu (1906–1951) einen Film zu drehen, der heute als wesentliches Zeugnis des filmischen Exils in Shanghai gilt.
In Kooperation mit dem China Film Archive und China Film
Consult präsentiert das Filmarchiv Austria ein Symposium
über die Exil-Destination Shanghai sowie eine erste Aufführung der digital restaurierten Fassung von KINDER DER
WELT. Diese Veranstaltung wurde durch die Unterstützung
des Zukunftsfonds der Republik Österreich ermöglicht.
KINO.PROGRAMM EXIL SHANGHAI
10:00–16:00, HISTORISCHER SAAL
78
SYMPOSIUM: EXIL SHANGHAI
– Präsentation Dokumentarfilm ZUFLUCHT IN SHANGHAI/
THE PORT OF LAST RESORT (A/USA 1998), in Anwesenheit des Regisseurs Paul Rosdy.
– Ursula Wolte: Historische Bedeutung von KINDER DER
WELT
– Ulrike Anton: Musiker und Künstler im Exil Shanghai
– Li Zhen, China Film Archive: The Oral History Project of
China Film Archive
– Andreas Enzminger, Universität Wien: Mediale Geschichtsvermittlung im transnationalen Raum – Modell der
multi­dimensionalen Geschichtsvermittlung
– Karl Sierek, Friedrich-Schiller-Universität Jena:
Ost-Westliche Bildwanderungen
– Chris Berry, Kings College London: Cultural Memory –
Memory Project Wu Wenguang
– Bela Rasky, Simon Wiesenthal Institut
Das Seminar wird in Deutsch und Englisch abgehalten.
DI 24.11., 19:30
FILMGALA: KINDER DER WELT
LUISE KOLM (FLECK), JAKOB FLECK, FEI MU, CHINA 1941
BUCH Luise Fleck, Jakob Fleck | KAMERA Fei Junxiang, Zhou Lianming | MIT Ying Yin,
Zhang Yi, Lan Lan, Shi Hui, Si Ma Yingcai | LÄNGE 90 min
Lee und Chen wachsen wie Brüder auf. Als Erwachsene
verlieben sich beide in das frühere Nachbarsmädchen Lian,
die von ihrem Stiefvater in die Prostitution geschickt werden soll. Da entscheidet sich Lee, in den Krieg zu ziehen.
Als gemeinsames Werk der österreichischen Filmpioniere
Luise und Jakob Fleck und des chinesischen Filmregisseurs
Fei Mu entstand KINDER DER WELT während der japanischen Besatzung Shanghais.
Gezeigt wird die digital restaurierte Fassung.
Mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich
inszenierUng:
Pedro martins Beja
nach
Friedrich schiller
Mo 30.11. Sóley
Mi 2.12. Songhoy Blues
Do 3.12. Bock auf Kultur
Elektro Guzzi, Louis Austen, Richard Dorfmeister
Sa 5.12. Scott Matthew
Do 17.12. Shantel
rÄUBer
Werk
X
Werk-X.at
das leBen
stiehlt aUch nUr
vom tod
(schrei schiller
schrei)
Premiere: 05.11.2015
Weitere vorstellUngen: 07., 14.,
15., 19., 27., 28.11.2015
soWie im dezemBer Und jÄnner
Währinger Straße 59
1090 Wien
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Filmarchiv-clUBmitglieder erhalten im Werk X 10 % ermÄssigUng
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SO 29.11., 18:00
MO 30.11., 18:00
ERÖFFNUNG
VIAJE / REISE
EL CODO DEL DIABLO /
DER ELLBOGEN DES TEUFELS
PAZ FÁBREGA, CR 2015
ERNESTO JARA VARGAS / ANTONIO JARA VARGAS, CR 2014
San José, Costa Rica, in der Gegenwart. Pedro (30) und
Luciana (29), zwei jugendliche Freigeister, die nicht an Kompromisse oder eheliche Bindungen glauben, lernen einander auf einer Party kennen. Obwohl sie sich nicht gleich
Hals über Kopf verlieben, entwickeln die beiden ein gewisses Interesse für einander. Das Schicksal bringt sie schließlich doch zusammen, und die gegenseitige Anziehung entlädt sich in einer großen Leidenschaft. Es folgt eine Reise
zum Rincón de la Vieja, einem aktiven, legendenumwobenen Vulkan im Nordwesten des Landes. Während sie dem
Berg immer näher kommen, müssen sie erkennen, dass die
Liebe nur Wegbegleiter ist.
1948 in Puerto Limón, Costa Rica. Vier Tage vor Weihnachten
macht sich der 12-jährige Setico mit dem Zug auf die Suche
nach seinem Vater. Eine Reise, die verschüttete Erinnerungen
an die »Bananen-Enklave« ausgraben und die Ermordung
von sechs politisch Gefangenen in einem Ort namens Der
Ellbogen des Teufels enthüllen soll.
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
KAMERA Paz Fábrega, Esteban Chinchilla | SCHNITT Paz Fábrega, Sebastián Sepúlveda |
MUSIK Alejandro Fernandez | PRODUKTION Paz Fábrega, Kattia González | MIT Kattia González,
Fernando Bolaños | LÄNGE 71 min | FORMAT s/w, OmeU, H264
80
Eine wunderschöne, stimmungsvoll in Schwarzweiß erzählte
Geschichte über die Bedeutung des Lebens im Hier und
Jetzt.
Cocktail auf Einladung von LOS MEXIKAS und Live-Musik
mit HAROLD TAYLOR
TON Kattia González | PRODUKTION Alejo Crisóstomo, Ernesto Jara Vargas | MIT Darío Salas,
Gustavo Vargas, Grettel Mendez, Alejandra Aguilar | LÄNGE 75 min | FORMAT Farbe, OmeU,
DVD
Ausgezeichnet mit dem Publikumspreis beim Internationalen Filmfestival in Costa Rica »Friede mit der Erde« 2014,
bester Dokumentarfilm bei den Zentralamerikanischen
Internationalen Filmfestspielen ICARO.
MO 30.11., 20:00
DI 1.12., 18:00
EL REGRESO DE LENCHO /
DIE RÜCKKEHR VON LENCHO
ROMPIENDO LA OLA /
BRECHEN DER WELLE
MARIO ROSALES, GCA 2013
ANNIE CANAVAGGIO, PA/BR/E 2014
Nachdem der 30-jährige Graffiti-Künstler Lorenzo Aguilar,
kurz Lencho genannt, ein Jahrzehnt in New York gelebt hat,
kehrt er nach Guatemala zurück. Seine von diesem US-Aufenthalt beeinflusste Kunst möchte er nun auch den Menschen in der Heimat näher bringen. Er stellt eine Gruppe
von Künstlern zusammen, gemeinsam werden öffentliche
Projekte initiiert. Ein erstes, kleines Kunstfestival findet
schnell Anklang bei den Besuchern. Auch der Direktor eines
geheimen Programms der guatemaltekischen Polizei, das
sich für die Jugend des Landes einsetzt, erfährt davon.
Lencho hingegen wird mehr und mehr von den Erinnerungen an seinen verstorbenen Vater eingeholt.
Cocktail auf Einladung von MANOLOS und Live-Musik mit
JUAN CARLOS GÓMEZ
BUCH Annie Canavaggio, Vicente Ferraz | KAMERA Vicente Ferraz | SCHNITT Leyda Napoles |
TON Jose Rommel Tuñon | PRODUKTION Isabel Martinez | LÄNGE 77 min | FORMAT Farbe,
OmeU, H264
ROMPIENDO LA OLA, berauschend bebildert und berührend
zugleich, dokumentiert den Versuch von drei jungen Männern, ihr Leben zwischen Leidenschaft und Entbehrung,
zwischen Traum und Realität, zwischen Meer und Festland
zu meistern.
Da ist Deivis, der trotz seiner Begabung und Anstrengung
keine Sponsoren findet und einsehen muss, dass »schwarz
und arm sein« nicht zu den idealen Voraussetzungen zählt,
um Werbung für eine Surfwear-Marke zu machen. Und dennoch, trotz aller Schwierigkeiten gibt er seinen Traum nicht
auf. Am Tag verbringt er die Zeit auf dem Wasser, nachts
jobbt er in lokalen Restaurants. Cholito hat schon als Neunjähriger die Wellen von Santa Catalina gebrochen, 25 Jahre
später ist die professionelle Laufbahn jedoch in weite Ferne
gerückt. Er kämpft um die Balance zwischen der täglichen
Sorge um seine neun Kinder und seiner kostspieligen Passion, hangelt sich, in extremer Armut lebend, von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob. Oli schließlich ist eines von neun
Kindern des alten Fischers Babalu. Er gehört zur ersten Surfer-Generation von Santa Catalina. Viele seiner Gleichgesinnten mussten das Surfen aufgeben, einen anderen Weg
zum Überleben finden. Die Hoffnung, dass die Meereswellen
die Familie endlich aus der Armut tragen, ruht nun auf dem
Sohn. Vielleicht gelingt es dem Jüngsten der drei, auf dem
Surfbrett in eine erfolgreiche Zukunft zu reiten.
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
KAMERA Raquel Fernandez | SCHNITT Gabriel Adderley | MUSIK Juan Carlos Barrios, Radio
Zumbido, Ivan Lorenzana | TON Giacomo Buonafina | MIT Mario Lanz, Emanuel Loarca,
Tatiana Palomo, Mariam Arenas, Manuel Chitay, Jorge »El Pumita« Asturias, Roberto Diaz
Gomar | LÄNGE 140 min | FORMAT Farbe, OmeU, DVD
81
DI 1.12., 20:00
MI 2.12., 18:00
PELOTERO / BALLPLAYER
THE BLACK CREOLES –
MEMORIES AND IDENTITIES /
DIE SCHWARZEN KREOLEN –
ERINNERUNGEN UND
IDENTITÄTEN
ROSS FINKEL / JONATHAN PALEY / TREVOR MARTIN, DOM/US 2012
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
PRODUKTION Ross Finkel, Jonathan Paley, Trevor Martin, Isaac Solotaroff | MIT Jean Carlos
Batista, Miguel Angel Sano, John Leguizamo | LÄNGE 77 min | FORMAT Farbe, OmeU, Blu-Ray
82
Die Miguel-Sano-Geschichte erzählt von der hauchdünnen
Linie zwischen »Superstar« und »Nobody« und verfolgt
über fünf Jahre lang die Entwicklung von jungen Baseballspielern vom Start in den Armutsvierteln bis hin zum Ziel
einer Karriere bei einer großen internationalen Liga-Mannschaft – denn bis zu 20 Prozent der in den USA spielenden
professionellen Baseballer stammen aus der Dominikanischen Republik. Sie alle träumen davon, mit einem ProfiVertrag das Ticket in ein besseres, gerechteres Leben zu
lösen. Gezeigt wird aber auch die Kehrseite des Spiels mit
der oft einzigen Hoffnung dieser jungen Sporttalente – ein
knallharter Wettbewerb, eiskalte Berechnung, Korruption
und Bestechlichkeit. Nicht nur für Baseballfans ein faszinierender Blick hinter die Kulissen dieses Sports, der gleich­
zeitig auch sehr nachdenklich macht.
Cocktail und Live-Musik auf Einladung der BOTSCHAFT
DER DOMINIKANISCHEN REPUBLIK
MARÍA JOSÉ ÁLVAREZ / MARTHA CLARISSA HERNÁNDEZ, NIC 2011
KAMERA Frank Pineda | SCHNITT Gerardo Arce | MUSIK Spencer Hodgson | TON Gina
Villafañe, Eduardo Cáceres, Armando Moreira, Alfredo López | MIT José Calero, Sonia Cruz
de Baltodano | LÄNGE 95 min | FORMAT Farbe, Ome/sU, DVD
THE BLACK CREOLES ist ein ethnografischer Film, der
durch historische Rückblicke die Ankunft der schwarzen
Bevölkerung an der Atlantischen Küste Nicaraguas schildert
und die Entstehung der kreolischen Kultur erzählt. Neben
den vielfältigen Überlebensstrategien der Menschen wird
auch deren Alltagsgeschichte gezeigt, die gespickt ist mit
kulturellen Besonderheiten und Traditionen der verschiedensten Kulturgruppen, mit deren Weltbildern, Erinnerungen und Träumen, und die nicht zuletzt geprägt ist vom
Suchen und Finden einer karibischen Identität.
MI 2.12., 20:00
im Anschluss an AUSENTES:
AUSENTES / ABWESENDE
ABRAZOS / UMARMUNGEN
TOMÁS GUEVARA, ES/HON/US 2010
LUIS ARGUETA, GCA 2015
Drei Frauen, drei Kinder, sechs Geschichten über fragile
Familien, zerbrechliche Erinnerungen, Beziehungen und
Emotionen, über das Leben in Trennung und Migration.
Esmeralda, María und Rosemary mussten ihre Kinder
Esaú, Leonel und Walter – heute Jugendliche – in El Salvador
und Honduras zurücklassen, um für eine bessere Zukunft
sorgen zu können. Gezeigt wird ihr Alltag in der Fremde,
geprägt vom den Herausforderungen dieser Gegenwelt
und dem Versuch, über alle räumliche Distanz und gesetz­
liche Schranken hinweg die Beziehung zu ihren Kindern
zu erhalten.
Der Film gewährt nicht nur einen intimen Blick auf die
Nähe und Distanz zwischen Müttern und Kindern, sondern
auch auf die Gefühlswelten irgendwo zwischen den Dörfern
Mittelalerikas und den urbanen Ballungszentren der USA,
in denen sich menschliche Chancen auftun können, wo
Migration auch Neues schafft.
KAMERA René Soza, José Vásquez | SCHNITT Julián Jiménez | MUSIK Musica Maya AJ,
Joseaugusto Mejía | TON Giacomo Buonafina | PRODUKTION Bea Gallardo, Luis Argueta | MIT
Feliciano Santos Santos, Dario Van Horne, Karan Schreiber, Willy Schreiber | LÄNGE 45 min |
FORMAT Farbe, OmeU, H264
ABRAZOS erzählt von einer Gruppe von 14 guatemaltekischen Kindern mit US-Staatsbürgerschaft, die 3.000 Meilen
von Minnesota nach Guatemala reisen, um dort die ursprüngliche Heimat ihrer Eltern zu besuchen und ihre Großeltern und Geschwister zum ersten Mal zu treffen. Nachdem
sie fast zwei Jahrzehnte lang getrennt waren, können diese
Familien nun ihre Geschichten teilen und versuchen, kulturelle Identität zu rekonstruieren und Stärken der Tradition
nachzufühlen. Derzeit sind es geschätzt 4,5 Millionen USKinder, die mit mindestens einem Elternteil dort leben oder
ohne gültige Papiere Teil gemischter Familien sind.
Der Regisseur Luis Argueta berichtet, wie er im Zuge der
Dreharbeiten zu einigen seiner jüngsten Filme die negativen Folgen der familiären Trennung erlebt hat. So führte ihn
seine Arbeit zu dieser beeindruckenden Dokumentation.
Cocktail auf Einladung von TIN-TAN und Live-Musik mit
SICARÚ ZANDUNGA
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
PRODUKTION Angulos Films | LÄNGE 36 min | FORMAT Farbe, OmeU, DVD
83
DO 3.12., 18:00
DO 3.12., 20:00
TIERRA DE NADIE /
NIEMANDSLAND
MALACRIANZA /
SCHLECHTE ERZIEHUNG
RAFAÉL ROSAL, ES/GCA 2015
ARTURO MENÉNDEZ, ES 2014
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
KAMERA Carlos Arango de Montis | SCHNITT Mariona | TON Giacomo Buonafina | PRODUKTION
Patricia Palma de Fulladolsa, Elías Jiménez Trachtenberg, Hugo Koper | MIT José Mestanza,
Dinora Nolasco Mestanza | LÄNGE 59 min | FORMAT Farbe, OmeU, H264
84
Das ist die Geschichte einer Bauernfamilie in El Bolsón
bei Nahuaterique in Honduras, in der Grenzregion zu El
Salvador. 1992 wurde durch einen Beschluss des Haager
Tribunals festgelegt, dass dieser Landstrich nicht mehr
El Salvador, sondern der Republik Honduras zugehört. Der
Film erzählt von Don José Mestanza und seiner Frau Dona
Dinora Nolasco Mestanza, fängt auf sensible Art und Weise
die Stimmung und einfache Lebensweise der Landbevölkerung ein und lässt den Blick über eine einzigartige, faszinierende Kulturlandschaft in Zentralamerika streifen.
KAMERA Francisco Moreno | SCHNITT David Torres, Federico Krill, Emilio Santoyo | MUSIK
Amado López | PRODUKTION Santiago García Galván, Carlos Figueroa, Alfonso Quijada,
Arturo Menéndez | TON Alejandro de Icaza | MIT Salvador Solís, Karla Valencia, Rodrigo
Calderón, Mercy Flores, Leandro Sánchez, Héctor Vides | LÄNGE 70 min | FORMAT Farbe,
OmeU, H264
Don Cleo, ein einfacher Piñatas-Verkäufer, kämpft sich
mit unerschütterlichem Lebensmut durch den Alltag, bis er
eines Tages einen Erpresserbrief vor seiner Türe findet.
Geld oder Leben! Doch woher auf ehrliche Weise 500 Dollar
nehmen? Don Cleo versucht alles, um an das Geld zu kommen – mit Hilfe von Freunden, Verwandten und Bekannten.
Doch je ambitionierter er wird, umso größer werden seine
Schwierigkeiten. Schließlich stellt sich heraus, dass, wenn er
überleben will, er sich seinen Ängsten stellen und seinen
Peinigern gegenübertreten muss.
Mit herrlich trockenem Humor und viel Charme erzählt und
auf den bunten Straßen San Salvadors gedreht, entwickelt
die Geschichte von Don Cleo eine eigenwillige Dynamik.
Der erste Film dieser Art seit über 40 Jahren zeigt ein El
Salvador, das sich aufreibt zwischen dem Amerikanischen
Traum und dem Kampf gegen den wirtschaftlichen Untergang, in dem Gewalt vor allem für die ohnehin Geprügelten
zur alltäglichen Erfahrung zählt. Das Skript basiert auf wahren Begebenheiten, die Produktion erfolgte mit nur wenigen Mitteln, umso cooler und einfallsreicher die Ästhetik.
Cocktail auf Einladung von DOÑA IRMA und Live-Musik mit
ISMAR RIVERO
FR 4.12., 18:00
FR 4.12., 20:00
BURDEN OF PEACE
DISTANCIA / DISTANZ
JOEY BOINK, GCA/US 2015
SERGIO RAMÍREZ, GCA 2011
Claudia Paz y Paz war die erste Oberstaatsanwältin Guatemalas. Gegen den Druck der extremen Rechten hat sie es
geschafft, Korruption und organisierte Kriminalität effektiv
zu bekämpfen und die Aufklärungsrate von Tötungsdelikten
erheblich zu steigern. 2014 wurde sie mit einer fadenscheinigen Begründung vom Obersten Verfassungsgericht vorzeitig ihres Amtes enthoben.
Über drei Jahre hinweg entstand ein spannendes Porträt
einer außergewöhnlichen Frau mit einer lebensgefährlichen
Mission, das gleichzeitig einen tiefen Einblick gibt in ein von
Gewalt, Verbrechen und Korruption gezeichnetes Land und
dessen zerrüttete Strukturen. Claudia Paz y Paz verließ
Guatemala unmittelbar nach ihrer Absetzung und lebt heute im Ausland. Der Film kann gegenwärtig in Guatemala
nicht gezeigt werden.
KAMERA Álvaro Rodríguez | SCHNITT Joel Prieto | MUSIK Joaquín Orellana, Carlos Hernández,
Tuco Cárdenas | TON Jonathan Macías | PRODUKTION Joaquín Ruano | MIT Carlos Escalante,
Saknicté Racancoj, Julián León Zacarías, Maya Núñez, Sécil De León, Eduardo Spiegeler,
Rigoberto Baac, Marco Antonio Sagastume | LÄNGE 75 min | FORMAT Farbe; OmeU, DVD
Die damals dreijährige Tochter von Tomás Choc wurde
während des guatemaltekischen Bürgerkrieges entführt.
Um den Schmerz über die Trennung zu verarbeiten,
schreibt Tomás für seine Tochter seine Lebensgeschichte
in einem Heft nieder. Nach zwanzig Jahren erhält er die
Möglichkeit, sie wiederzusehen. Langsam nähern sich die
beiden einander an. Ein wunderschöner, interessanter Film,
in dem neben Spanisch auch Maya-Sprachen gesprochen
werden. Die Geschehnisse beruhen auf einer wahren Begebenheit, die Protagonisten sind Laiendarsteller.
Der Film hat an zahlreichen internationalen Festivals teilgenommen und erhielt Auszeichnungen in Kuba, New York,
Guatemala, Trinidad und Tobago.
Cocktail auf Einladung des KULTURRAUM NERUDA und
Live-Musik mit OLLÍN ENSEMBLE
KINO.PROGRAMM VII. MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
BUCH Joey Boink, Sander Wirken | KAMERA Joey Boink | SCHNITT Ruben van der Hammen,
Mieneke Kramer | TON Benjamin Braasem | PRODUKTION Bart Voorsluis, Annemiek Munneke |
LÄNGE 77 min | FORMAT Farbe, OmeU, H264
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AKT
REFUGEE PROJEKT
Open Archive
Das Filmarchiv Austria ist eine öffent­
liche und daher auch dem Öffentlichen
verpflichtete Kultureinrichtung. Die
viel beschworene Corporate Social
Responsibility ist hier seit vielen Jahren gelebte Praxis.
Als umso selbstverständlicher erachten wir es, die vielen nun zu uns kommenden Menschen nicht nur auf einer
symbolischen, sondern auch einer
ganz praktischen Ebene willkommen
zu heißen.
Das Filmarchiv Austria hat daher
selbst Flüchtlinge aufgenommen und
erarbeitet mit ihnen gemeinsam neue
Perspektiven. Open Archive bedeutet,
die kulturelle Praxis unseres Hauses
mit den zentralen gesellschaftlichen
Aufgaben unserer Zeit zu verbinden.
Gemeinsam mit unseren Mitarbeiter­
Innen, ehrenamtlichen Helfern und
Institutionen der Zivilgesellschaft
wollen wir im Konkreten zeigen, wie
aus unbeschreiblicher Not neue Möglichkeiten und Chancen entstehen
können.
KINO.PANORAMA
FÖRDERER & SPONSOREN
86
MEDIENPARTNER
ERÖFFNUNG
Eric Pleskow Saal im
METRO Kinokulturhaus
eröffnet
Das Filmarchiv Austria ehrt den
14-fachen Oscar-Preisträger Eric
Pleskow mit einem eigenen Kinosaal.
Am 18. Oktober wurde dieser im Rahmen einer Matinee in Anwesenheit
des 91-jährigen Kino-Veterans nun
offiziell eröffnet.
Eric Pleskow, 1924 als Erich Pleskoff
in eine Kaufmannsfamilie in Wien
geboren, flüchtete 1938 vor den
Nationalsozialisten ins Exil. Heute
gehört der Viennale-Präsident zu den
bedeutendsten Filmproduzenten
Hollywoods. Bei der Eröffnung des
nach ihm benannten Kinosaals zeigte
er sich gewohnt bescheiden: »Es ist
eine große Ehre für mich, dass man
niemand besseren gefunden hat
als mich, um diesen Kinosaal zu
benennen.«
NACHLASS
FILMARCHIV AUSTRIA CLUB
Filmarchiv Austria
übernimmt CarlAndersen-Nachlass.
Vorteile für Mitglieder
Carl Andersen war ein mutiger, unabhängiger österreichischer Filmemacher, Autor, Herausgeber, Kritiker und
Förderer. Seit den frühen 1980er Jahren engagierte er sich in der Wiener
und Ber­liner Programmkinoszene, wobei er vor allem Außenseiterproduktionen herstellte und andere förderte.
Dabei war er nicht bequem und auch
nicht bequem zu handhaben. Sein erster Farbfilm (VOM LUXUS DER LIEBE,
1998) machte Schluss mit dem Stil seiner früheren Filme. Ab hier gewannen
seine Filme an Tiefe. Er formulierte
gesellschaftliche Tabus und damit verbundene Fragestellungen, wobei die
Grenzen zwischen Fiktion, Dokumentation und Realität sich lösten, auch, was
seine eigene Person und Rolle als Regisseur und Darsteller angeht. Auf
großen Bekanntheitsgrad hatte Carl
selbst keinen Wert gelegt. Seine Welt
war der Underground, ihm blieb er bis
zuletzt treu. (Erwin Leder).
Das Filmarchiv Austria hat neben
filmischen Zeugnissen auch viele
private Dokumente und Objekte übernommen, die einen tieferen Einblick
in sein künstlerisches Schaffen
ermöglichen.
NEUERSCHEINUNG
KINOMAGIE
Was geschah wirklich
zwischen den Bildern?
KATALOG ZUR AUSSTELLUNG
450 S. MIT CA. 400 ABBILDUNGEN EUR 34,90
ERHÄLTLICH AB 6. OKTOBER 2015
Die Jahrhunderte alte Kulturgeschichte der optischen Medien und der bewegten Bilder ist das Thema der programmatischen ersten Ausstellung des
METRO Kinokulturhauses in Wien. Unter dem Titel KINOMAGIE präsentiert
das Filmarchiv Austria Highlights aus
der renommierten Sammlung Werner
Nekes und aus eigenen Beständen.
Der Ausstellungskatalog zu dieser
Erlebnisausstellung ist nun im Verlag
Filmarchiv Austria erhältlich.
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Kinoeintritt Eur 6,– statt Eur 8,50
Ausstellungsticket Eur 4,50
statt Eur 6,–
Kombiticket (Kino + Ausstellung) Eur 9,50 statt Eur 11,–
Mitglieder-Abo für 10 Karten
um Eur 50,Einladungen zu Eröfnungsund Sonderveranstaltungen
(eine Karte gilt für 2 Personen)
Gratis-Zusendung der
Programmzeitschrift
Erweitertes Benutzerservice
im Studienzentrum Augarten
10% Rabatt auf alle Produkte
des Verlags Filmarchiv Austria
Ermäßigungen und Vergüns-­
tigungen bei FilmarchivKooperationspartnern *
Mitglieder-Aktion
Jetzt dem Filmarchiv Austria Club beitreten und alle Vorteile ab sofort bis
Ende 2016 genießen! Als Begrüßungsgeschenk erhalten Sie zusätzlich eine Austria-Wochenschau DVD nach Wahl, abzuholen im METRO Kinokulturhaus. Ihre
persönliche Clubkarte erhalten Sie per
Post, bis dahin gilt der Zahlungsnachweis als Mitglieds-Ausweis. Sie können
Ihre Mitgliedschaft entweder im METRO
Kinokulturhaus lösen oder per E-Mail
mit Ihrem Namen und Postanschrift
unter [email protected] beantragen.
ERÖFFNUNGSAKTION GÜLTIG FÜR NEUE MITGLIEDER
BIS 31.12.2015
* KOOPERATIONSPARTNER
KINO.PANORAMA
VERANSTALTUNGSPARTNER
87
PROGRAMMÜBERSICHT NOVEMBER | DEZEMBER 2015
MO 09.11.
FR 13.11.
MO 16.11.
FR 20.11.
HISTORISCHER SAAL
19:30 ERÖFFNUNG LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
HISTORISCHER SAAL
19:00 VERANSTALTUNG
LESUNG R. SAFRANSKI
HISTORISCHER SAAL
19:00 FILM NOIR
GASLIGHT
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
19:00 FILM NOIR
FORBIDDEN PASSAGE
BORDER INCIDENT
ERIC PLESKOW SAAL
20:00 LITERATURHAUS
WINNETOU TEIL 3
DI 10.11.
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
EVERYDAY REBELLION
THIS HUMAN WORLD
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
21:00 LAND IN SICHT
IN THIS WORLD
HISTORISCHER SAAL
19:30 LAND IN SICHT
LOVE DURING WARTIME
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
SA 14.11.
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 FILMSCHAU WERNER NEKES
PROGRAMM 1
HISTORISCHER SAAL
19:00 LAND IN SICHT
LOVERS NOTEBOOKS
AL KALB
20:00 LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
MI 11.11.
HISTORISCHER SAAL
19:00 CINEMA SESSION
VARIETÉ (MIT LIVE-MUSIK)
ERIC PLESKOW SAAL
18:30 LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
20:30 LAND IN SICHT
LA PIROGUE
DO 12.11.
HISTORISCHER SAAL
19:00 LAND IN SICHT
MACONDO
21:00 LAND IN SICHT
DHEEPAN
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 FILMSCHAU WERNER NEKES
PROGRAMM 2
20:00 LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
20:30 LAND IN SICHT
EIN AUGENBLICK FREIHEIT
THIS HAS BEEN BOTHERING ME THE
WHOLE TIME + PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
16:00 LAND IN SICHT
MAMA ILLEGAL
18:00 FILMSCHAU WERNER NEKES
PROGRAMM 3
20:00 LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
SO 15.11.
HISTORISCHER SAAL
19:00 LAND IN SICHT
LAMPEDUSA IM WINTER
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
16:00 FILMWERKSTATT
MIT DORIS KITTLER
18:00 LAND IN SICHT
THE PUNISHMENT
20:00 LAND IN SICHT
MARZIA MY FRIEND
21:30 KONZERT
TSCHUSCHENKAPELLE
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
JUGOFILM
20:00 LAND IN SICHT
DONAU
DI 17.11.
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA (PREMIERE)
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
LAND IN SICHT
20:00 FILM NOIR
GASLIGHT
MI 18.11.
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA
ERIC PLESKOW SAAL
18:30 LAND IN SICHT
EIN AUGENBLICK FREIHEIT
THIS HAS BEEN BOTHERING ME
THE WHOLE TIME
20:45 LAND IN SICHT
MACONDO
DO 19.11.
HISTORISCHER SAAL
19:00 ERÖFFNUNG FILMSCHAU LAURA POITRAS
CITIZENFOUR
21:30 FILMSCHAU LAURA POITRAS
MY COUNTRY, MY COUNTRY
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
DESTINATION SERBISTAN
6.10.2015 BIS 30.3.2016
AUSSTELLUNG KINOMAGIE
ÖFFNUNSZEITEN:
WAS GESCHAH WIRKLICH
ZWISCHEN DEN BILDERN?
MO – FR 14:00 – 21:00
SA, SO, FEIERTAGE 11:00 – 21:00
20:00 LAND IN SICHT
LOVERS NOTEBOOKS
AL KALB
SA 21.11.
HISTORISCHER SAAL
16:30 FILMSCHAU LAURA POITRAS
CITIZENFOUR
19:00 FILM NOIR
ODDS AGAINST TOMORROW
21:30 LAND IN SICHT
EXILE FAMILY MOVIE
EIN EINFACHES EREIGNIS
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
16:00 LAND IN SICHT
LAMERICA
18:30 LAND IN SICHT
THE LAND BETWEEN
20:45 FILMSCHAU LAURA POITRAS
THE OATH
SO 22.11.
HISTORISCHER SAAL
13:00 SONNTAGSMATINÉE
VARVILLA + PUBLIKUMSGESPRÄCH
16:00 LAND IN SICHT
START WHERE YOU ARE
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
19:00 FILM NOIR
THE NORTH STAR
21:00 LAND IN SICHT
PERSEPOLIS
ERIC PLESKOW SAAL
16:30 FILMSCHAU LAURA POITRAS
THE OATH
18:30 FILMSCHAU LAURA POITRAS
MY COUNTRY, MY COUNTRY
20:30 LAND IN SICHT
LITTLE ALIEN
MINOR BORDER
MO 23.11.
DO 26.11.
MO 30.11.
DO 03.12.
HISTORISCHER SAAL
19:00 FILM UND POLITIK / PREMIERE
THE PRICE WE PAY
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA
HISTORISCHER SAAL
18:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
EL CODO DEL DIABLO
HISTORISCHER SAAL
18:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
TIERRA DE NADIE
20:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
EL REGRESO DE LENCHO
20:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
MALACRIANZA
21:00 FESTIVAL
30 JAHRE ASIFA AUSTRIA
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
JUGOFILM
20:00 FILM NOIR
FORBIDDEN PASSAGE
BORDER INCIDENT
DI 24.11.
HISTORISCHER SAAL
10:00 EXIL SHANGHAI
SYMPOSIUM
19:30 EXIL SHANGHAI
KINDER DER WELT
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
EXILE FAMILY MOVIE
EIN EINFACHES EREIGNIS
20:00 FILM NOIR
ODDS AGAINST TOMORROW
MI 25.11.
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
BLACK, BROWN, WHITE
20:00 FILM NOIR
THE NORTH STAR
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
SUZIE WASHINGTON
20:00 LAND IN SICHT
THE PUNISHMENT
FR 27.11.
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 LAND IN SICHT
AM RANDE DER WELT
20:00 LAND IN SICHT
COMA
SA 28.11.
HISTORISCHER SAAL
20:00 FILM UND THEATER
LA PASADA
ERIC PLESKOW SAAL
16:00 LAND IN SICHT
PERSEPOLIS
18:00 LAND IN SICHT
REISE DER HOFFNUNG
20:30 LAND IN SICHT
DESTINATION SERBISTAN
SO 29.11.
HISTORISCHER SAAL
15:00 SONNTAGSMATINÉE
VARVILLA + PUBLIKUMSGESPRÄCH
18:00 ERÖFFNUNG MITTELAMERIKANISCHES
FILMFESTIVAL
VIAJE + COCKTAIL + LIVEMUSIK
ERIC PLESKOW SAAL
16:00 LAND IN SICHT
WELCOME
18:15 LAND IN SICHT
ACHTUNG STAATSGRENZE
20:00 LAND IN SICHT
NERVEN BRUCH ZUSAMMEN
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
ERIC PLESKOW SAAL
18:00 FILM NOIR
THE LADY FROM SHANGHAI
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
20:30 LAND IN SICHT
COMA
DI 01.12.
HISTORISCHER SAAL
18:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
ROMPIENDO LA OLA
20:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
PELOTERO
ERIC PLESKOW SAAL
18:30 LAND IN SICHT
ATLANTIC
20:30 LAND IN SICHT
SCHWARZKOPF
GEMMA GÜRTELKÄFIG
+ PUBLIKUMSGESPRÄCH
MI 02.12.
HISTORISCHER SAAL
18:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
THE BLACK CREOLES
20:00 MUSEUM GEHT INS KINO
KAFKA GEHT INS KINO + DIE WEISSE
SKLAVIN (MIT LIVE-MUSIK)
ERIC PLESKOW SAAL
18:30 LAND IN SICHT
LETTER FROM AL YARMOUK
MOBILE PHONE FILMS
20:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
AUSENTES
ABRAZOS
ERIC PLESKOW SAAL
16:30 LAND IN SICHT
DONAU
18:30 LAND IN SICHT
NERVEN BRUCH ZUSAMMEN
20:30 LAND IN SICHT
EVERYDAY REBELLION
THIS HUMAN WORLD
FR 04.12.
HISTORISCHER SAAL
18:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
BURDEN OF PEACE
20:00 MITTELAMERIKANISCHES FILMFESTIVAL
DISTANCIA
ERIC PLESKOW SAAL
16:30 FILMSCHAU WERNER NEKES
PROGRAMM 4
18:30 LAND IN SICHT
REISE DER HOFFNUNG
20:30 FILM NOIR
THE LADY FROM SHANGHAI
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»IM SCHATTEN DES KINOS«
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