Eulenspiegel ein Comedian

Eulenspiegel ein Comedian?
In Braunschweig ist Karneval! Auf der Website der Braunschweiger Karneval-Gesellschaft
wird der jüdische Unternehmer Max Jüdel als der Initiator des „jüngeren“ Braunschweiger
Karnevals geehrt. Die Gesellschaft ist in vielerlei Form mit Till Eulenspiegel verbunden. Der
Schalk ist eine Symbolfigur im Dreigestirn aus Bauer und Prinz. In der Karneval-Gesellschaft
gilt er als eine Figur des „närrischen Brauchtums“, des „schelmischen Humors“ und als
Schalksnarr - was immer das ist. Ein anderer Braunschweiger, Joachim-Heinrich Campe
(1746-1818) sah den Schalk ganz anders: Eine Person, welche, ohne den Schein davon zu
haben, zu täuschen, zu hintergehen, wie auch zu belügen und zu schaden verstehet, sowohl
von groben arglistischen Betrügern, als auch und am häufigsten von solchen Personen, die
nur in Scherz hintergehen und eine Absicht, die sie Ursache haben zu verbergen, mit Feinheit
und Gewandheit zu erreichen versuchen. In Grimms Wörterbuch von 1893 wird der Schalk so
beschrieben: Mensch mit Knechtssinn, von knechtisch böser Art, arglistiger, ungetreuer
Mensch. Ist das ein Spaßmacher, der sehr oft seinen Kot einsetzt, um Menschen damit zum
Lachen zu bringen?
Auf der Jahresversammlung des Schöppenstedter Freundeskreises Till Eulenspiegels 1980 in
Mölln fragte der Volkskundler und Erzählforscher Lutz Röhrich die Teilnehmer: Verdient
Eulenspiegel, verdient ein solcher Mensch eigentlich eine Gesellschaft von Freunden? Akribisch listete er dessen Untaten auf: Eulenspiegels Streiche ergeben ein ganzes Betrugs-Lexikon. Für ihn seien Begriffe wie Dankbarkeit, Nächstenliebe oder Mitleid offenbar Fremdworte. Mitleid begegne er mit Betrug. Sein Hauptcharakterzug sei die Freude am Nachteil des anderen: Etwa 20 Geschichten des Volksbuches könnte man als Fäkal- und Ekelhistorien
bezeichnen. Und: Eulenspiegel ist ein Umweltverschmutzer von erschreckenden Ausmaßen. In
den meisten Historien äffe er, verspotte er, betrüge er, schände er, meist gewaltsam oder geradezu brutal: Er offenbart eine bösartige und egozentrische Freude am Zerstören, er ist rachsüchtig, roh, gewinnsüchtig, unverfroren und schadenfroh. Schalk bedeute ja einen arglistigen, boshaften, ungetreuen Menschen: Schalkheit meint primär Bosheit. Wenn es im Volksbuch gelegentlich heißt, Eulenspiegel habe das „aus Schalkheit getan“, so meine dies zweifellos: in bösartiger Absicht. Eulenspiegel ist also kein harmloser Possenreißer.
In den letzten Jahrhunderten hat man, um Till auch Kindern zuführen zu können, nur die
wenigen sauberen Historien veröffentlicht. Daraus wurde nun als neuer Höhepunkt der erste
deutsche Comedian.
Die BZ kündigte zwei Karneval-Auftritte an: Nach dem Motto „Till - der Schelm - ein
Mensch“ sollte der Travestiekünstler Ernst-Johann Reinhardt, bekannter als Lilo Wanders,
den nach dem Motto benannten „Till-Orden“ erhalten. Wofür eigentlich? Gut, beide verbindet
ja ein wenig Schmuddeligkeit. Und in Vertretung des Braunschweiger Karneval-Tills Jan
Dycza hielt der Schöppenstedter Museums-Eulenspiegel Dag Wachsmann eine Büttenrede.
Till Wachsmann hatte kürzlich in der NDR-Sendung „Landpartie“, in der die Hildesheimer
Börde übrigens geographisch bis Schöppenstedt reichte, Till Eulenspiegel als den ersten
Comedian bezeichnet. Armer Ur-Till von 1300, als Kneitlinger geboren, zum Schöppenstedter
degradiert und nun auch noch als zum Lachen reizender Humorist beschämt. In welcher der
96 Eulenspiegel-Historien lachen Menschen nach dem Auftreten (Auftreten, nicht Auftritt!)
von Eulenspiegel? Eher in keiner, weil er eben nicht witzig war/ist. Im Gegenteil. Schon Jürgen Hodemacher hatte den Till alljährlich 25 Jahre lang vor dem Rosenmontag zur Witzfigur
gemacht, Dycza sicher auch und nun auch noch Wachsmann, der offizielle Till-Darsteller des
Eulenspiegel-Museums und der Stadt Schöppenstedt.
Im Dritten Reich hat ein Braunschweiger Professor den Kneitlinger Bauernsohn 1940 zum
arischen Niedersachsen erhoben, mit vielen menschlichen Eigenschaften, die seinerzeit eher
SA-Männer brutal ausgelebt haben - mit der Folge, dass die Figur von Nationalsozialisten
missbraucht werden konnte. Im Geschichtsteil der Website der Karneval-Gesellschaft findet
man diesen Hinweis: Christian Dietrich Grabbe sagte einmal: "... denn Eulenspiegel ist kein
bloßer Spaßmacher, sondern repräsentiert die aus tiefem Ernst entstandene deutsche
Weltironie."
Grabbes (1801-1836) antisemitische Aussagen und judenfeindliche Passagen in seinen
Stücken führten zu einer Verehrung des Nationaldichters in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Ich möchte betonen, bevor ich nun vollkommen missverstanden werde, dass
ich der Karneval-Gesellschaft nun wahrlich keine NS-Nähe vorwerfe! Es ist aber so, dass
Grabbes Wort von der Weltironie auch von dem bereits erwähnten Braunschweiger Professor
(Ernst August Roloff, 1886-1955) in seinem 1940 erschienenen Buch „Ewiger Eulenspiegel“
publiziert worden ist. Ob er es von Grabbe übernommen hat, könnte man klären. Bei Roloff
lautet der Satz dann so: Das ist der eigentliche Sinn jener aus tiefstem Ernst entstandenen
deutschen Weltironie, die uns Till verkörpert. Sie reißt ein, mit keckem Mut, mit harter Faust,
aber nur, um Lebenstüchtigen Raum zu schaffen. Denn was fällt, das soll man stoßen, damit
Besseres aufersteht.(S. 257)
Braunschweiger Karneval und das Eulenspiegel-Museum in Schöppenstedt pflegen enge
Beziehungen. Anfang 2013 ging der Karneval mit dem Museum eine Partnerschaft ein. Dazu
Gerd Baller: Der Karneval und Eulenspiegel liegen ja nicht weit auseinander. Im August
2015 wurde bekannt, dass der Karneval-Verband Niedersachsen beschlossen hat, in Schöppenstedt ein Karneval-Museum einzurichten.
Nun ist dem Museum ein Gütesiegel, das sieben Jahre gilt, verliehen worden. Die niedersächsische Staatssekretärin Andrea Hoops vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur überreichte die dazugehörige Urkunde der Museumsleiterin, Charlotte Papendorf, anlässlich eines
Festaktes der Sparkassenstiftung in Hannover. Das Museum ist Mitte der 1930er Jahre zunächst als Literatursammlung eingerichtet worden. Mit Hilfe von Roloff gerieten die Eulenspiegel-Bücher in die nationalsozialistische Ideologie der NS-Heimatpropaganda. Diese und
andere unaufgearbeitete Belastungen führten zu dem folgenden Brief (28.1.2016) an die
Staatssekretärin:
Sehr geehrte Frau Hoops,
aus der Presse entnehme ich, dass Sie dem Eulenspiegel-Museum ein bis 2022 reichendes
Gütesiegel überreicht haben. Als Eulenspiegel-Freund und Mitglied des Freundeskreises Till
Eulenspiegels könnte ich mich über diese Auszeichnung freuen. Doch leider ist mir das nicht
möglich, im Gegenteil. Dieses Museum hat eine von mir erforschte nationalsozialistische
Vergangenheit. Die Eulenspiegel-Figur ist von den Nationalsozialisten missbraucht worden.
Auch diese Thematik ist von mir erforscht worden. Seit 2000 liegt ein umfangreiches Manuskript darüber vor. Ich habe in mehreren Städten diesbezügliche Vorträge gehalten, z.B. in den
Eulenspiegelstädten Hannover, Bernburg, Mölln und Wolfenbüttel. Vom Eulenspiegelmuseum
in Schöppenstedt bin ich bisher nicht eingeladen worden. Der Grund liegt darin, dass die
Museumsleitung diese Thematik unterdrückt und boykottiert. Darum auch ist es mir bisher
nicht möglich gewesen, diese Thematik zu publizieren. Aus meiner Sicht als „Erinnerer" kann
ich es nicht akzeptieren, dass ein Museum, das die nationalsozialistische Vergangenheit
bewusst unterdrückt, mit einem Gütesiegel belohnt wird. Das passt doch nun überhaupt nicht
in diese Zeit hinein.
Dieses Verhalten widerspricht auch einem Punkt Ihrer Kriterien zur Verleihung des Siegels.
Darin heißt es z.B. unter dem Punkt "Dokumentieren und Forschen": "Das Museum forscht
aktiv (...)und hinterfragt in angemessenen Abständen die Geschichte und den Kontext seiner
Sammlungslücke."
Zum Punkt ehrenamtliche Tätigkeit in dem Kriterienkatalog möchte ich anmerken, dass der
seit 1950 bestehende Freundeskreis des Museums auf der Website des Museums gar nicht erst
aufgeführt ist. Im Protokoll des Freundeskreises vom 21.9.2013 heißt es dazu zum Beispiel,
die Museumsleiterin habe dem Freundeskreis-Vorsitzenden mitgeteilt, dass der Freundeskreis
im Internet-Auftritt-Museum-aufgrund mangelnder Kapazität nicht zusätzlich aufgeführt werden könne. Schaut man sich die Geschichte des Freundeskreises und seine Bedeutung für die
Existenz des Museums an - besonders seit der 1970er Jahre -, ist diese Äußerung eine tiefe
Demütigung der Arbeit des Vereins. Mit Demütigungen dieser Art ist der Freundeskreis in
den letzten 20 Jahre inzwischen beinahe "degeneriert".
In der Anlage finden Sie zu dieser Boykottierung einen "Offenen Brief (November 2013) an
den ehrenamtlichen Berater des Museums, Herrn Professor Schwarz, aus dem Sie weitere
Details übernehmen können. Selbstverständlich bin ich gern zu einem Gespräch bereit, (siehe
auch: http://www.ns-spurensuche.de/)
Dass dieses Gütesiegel verliehen worden ist, ist anscheinend nur aufgrund einer einseitigen
Darstellung durch das Museum erfolgt. Wird das Gütesiegel vergeben ohne einen kritischen
Blick auf das jeweilige Museum zu richten?
Ich bitte Sie, diesen kritischen Blick (auch zu anderen Punkten) nun nachträglich auszuführen
und zu überprüfen, ob das Museum das Gütesiegel danach noch verdient.
Freundliche Grüße, Jürgen Kumlehn, Erinnerer.
Der Lausanner Professor Alexander Schwarz ist ein einflussreicher Berater der Museumsleitung und der Samtgemeinde. Ohne das Thema erforscht zu haben, proklamierte er in
einem BZ-Artikel im Oktober 2013, Till Eulenspiegel habe sich der Nazi-Ideologie entzogen. Wie der Till, den es ja nie lebend, sondern nur literarisch gegeben hat und gibt, sich
den Nazis habe entziehen können, teilte er nicht mit. Aber vielleicht erklärt dieser von
Schwarz neu entdeckte Eulenspiegel-Streich des sich Entziehens vor einer Diktatur dieser
Satz von ihm: Jede Periode muß ihrem Gewicht entsprechend behandelt werden. Darauf hat
z.B. Helmut Kramer so reagiert: Mit einer solchen Mindergewichtung der Zeit des Nationalsozialismus fällt Herr Schwarz in die rückwärtsbezogene Geschichtspolitik der ersten Jahre
nach 1945 zurück.
Vom Schriftsteller, Büttenredner und Till-Experten Jürgen Hodemacher findet man im aktuellen Heimatbuch des Landkreises Wolfenbüttel (S. 169) diesen Satz: Bis die deutschen Truppen am 1. September 1939 in Polen einmarschierten, war in Deutschland viel geschehen auch Schreckliches.
Hic fuit und Braunschweig Helau!
Jürgen Kumlehn
Erinnerer