Universität Zürich Institut für Banking und Finance Vorlesung vom 5. Mai 2015 Verantwortung in den Finanzmärkten: Eine interdisziplinäre Perspektive Whistleblowing: Spannungsfeld zwischen Transparenz und Denunziantentum Referent: Rechtsanwalt Prof. Dr. Othmar Strasser Titularprofessor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität St. Gallen (HSG) General Counsel Zürcher Kantonalbank Einführung • Der Fall Stanley Adams in der Schweiz Meldung von Missbräuchen einer marktbeherrschenden Stellung durch Hoffmann-La Roche an die EU-Kommission 1973 Meldung von Preisabsprachen und Schmiergeldern Zusicherung der Anonymität durch die EU-Kommission Offenbarung der Identität an die Schweizer Behörden durch einen Beamten der EU Festnahme von Stanley Adams auf der Rückreise aus den Weihnachtsferien an der italienisch-schweizerischen Grenze wegen Verdachts auf Spionage Selbstmord seiner Frau Verweigerung der Teilnahme am Begräbnis seiner Frau durch die Schweizer Behörden © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 3 Einführung • Der Fall Stanley Adams in der Schweiz (Fortsetzung) Feststellung von wettbewerbswidrigen Praktiken der Firma Hoffmann-La Roche durch die EU-Kommission 1976 Verurteilung von Stanley Adams durch das Strafgericht Basel-Stadt am 1.7.1976 in contumaciam wegen fortgesetztem wirtschaftlichen Nachrichtendienst und fortgesetzter Verletzung von Geschäftsgeheimnissen mit einer Strafe von 12 Monaten sowie 5 Jahren Landesverweisung (Bestätigung dieses Urteils durch das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt und Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Kassationshof des Bundesgerichts vom 3.5.1978 [BGE 104 IV 175]) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 4 Einführung • Der Fall von Sherron Watkins bei Enron Meldung von Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit der Rechnungslegung an den CEO im August 2001 Keine Meldung an Behörden oder die Öffentlichkeit (Sherron Watkins wurde dafür kritisiert) Kaltstellung und Entlassung • Weitere Beispiele in der Botschaft über die Teilrevision des Obligationenrechts des Bundesrates vom 20.11.2013 (Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz), BBl 2013 9520 • Gegenstand der Vorlesung: Whistleblowing in privaten Unternehmen © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 5 Einführung • Erste Regelung des Whistleblowings im Entwurf der Eidgenössischen Bankenkommission (Vorgängerin der FINMA) für ein Rundschreiben «Interne Überwachung und Kontrolle bei Banken» vom 27.9.2006 in Ziff. 44: «In Instituten, welche aufgrund von Rz 21-27 ein Audit Committee einrichten müssen, regelt der Verwaltungsrat das Verfahren, über welches Mitarbeiter dem Verwaltungsrat oder dessen Audit Committee vermutete Unregelmässigkeiten in der Rechnungslegung [offenbar in Anlehnung an die Enron-Affäre, Ergänzung durch den Verfasser] oder bei der Einhaltung gesetzlicher, regulatorischer und interner Vorschriften melden können. Der Schutz der Persönlichkeit des meldenden Mitarbeiters ist sicherzustellen. Die Regelung ist allen Mitarbeitern zur Kenntnis zu bringen.» (Hinweis: Diese Vorschrift ist nach der Vernehmlassung gestrichen worden.) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 6 Begriffliches Versuch einer Definition «Als Whistleblower bezeichnet wird derjenige Arbeitnehmer, der illegale Praktiken seines Arbeitgebers zur Anzeige bringt, sei es intern, sei dies extern, zum Beispiel bei Standesorganisationen, Berufsverbänden, Aufsichtsbehörden, Strafverfolgungsbehörden oder im Ausnahmefall bei der Presse.» (Adrian von Kaenel, Referat anlässlich einer Juristentagung des Verbandes Schweizerischer Kantonalbanken im Herbst 2005) Hinweis: Diese Definition schränkt ein auf Arbeitnehmer und umfasst nicht einmal alle Unternehmensangehörigen, geschweige denn weitere Kreise wie nahestehende Personen, Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, etc. (vgl. dazu Stefan Rieder, Whistleblowing als interne Risikokommunikation, Diss. Zürich/St. Gallen 2013, S. 23 f.). Die Botschaft über die Teilrevision des Obligationenrechts des Bundesrates vom 20.11.2013 regelt ebenfalls «nur» ein Melderecht des Arbeitnehmers (BBl 2013 9513 ff.). Für eine weite Definition vgl. Adrian von Kaenel, Whistleblowing, SJZ 103 (2007) Nr. 13, S. 309. © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 7 Zur Interessenlage beim Whistleblowing • Mehrschichtige Interessenlage • Interesse des Unternehmens Whistleblowing als Teil guter Corporate Governance nach Art. 716a Abs. 1 Ziff. 5 OR: «Der Verwaltungsrat hat folgende unübertragbare und unentziehbare Aufgaben: 5. die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen;» Whistleblowing als eine Form der internen Risikokommunikation © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 8 Zur Interessenlage beim Whistleblowing • Interesse des Unternehmens (Fortsetzung) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 Wichtige Entscheidungen des Unternehmens Kooperation mit den Behörden bei einer Rechtsverletzung zwecks Strafbefreiung oder Strafreduktion (z.B. Art. 49a KG und Art. 8 der Verordnung über die Sanktionen bei unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen [SVKG] vom 12.3.2004, SR 251.5, oder Strafreduktion für ein Unternehmen gemäss Art. 102 Abs. 2 StGB) Verteidigung gegen unberechtigte Vorwürfe betreffend Rechtsverletzungen Einrichtung eines Whistleblowing-Systems als Bekenntnis zur Normentreue und Sicherstellung der entsprechenden Unternehmenskultur (vgl. Grundzüge eines wirksamen Compliance-Managements von economiesuisse 2014, S. 6) • Konklusion: Whistleblowing als Element der Transparenz im Interesse des Unternehmens 9 Zur Interessenlage beim Whistleblowing • Interesse der meldenden Person Wahrnehmung der Treuepflicht gegenüber dem eigenen Unternehmen nach Art. 321a OR Berechtigtes Interesse der meldenden Person, in einem gesetzes- und rechtstreuen Unternehmen ihre Funktion erfüllen zu können Überwiegend uneigennütziges Motiv (keine Rache, keine Gewinnsucht, sondern Wahrnehmung der Verantwortung als Unternehmensangehöriger und Erfüllung einer Bürgerpflicht im öffentlichen Interesse) • Konklusion: Kein Denunziantentum, sondern Zivilcourage © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 10 Zur Interessenlage beim Whistleblowing • Interesse der beschuldigten Person Recht auf Selbstverteidigung gegen erhobene Vorwürfe Interesse an einem fairen Verfahren zur Abklärung des Sachverhalts (analog dem Unternehmen) Schutz der eigenen Persönlichkeit und Sicherung des wirtschaftlichen Fortkommens Konklusion: Sanktion für ungerechtfertigte Persönlichkeitsverletzungen und andere missbräuchliche Meldungen (z.B. Ziff. 9 der Hinweise zum Verhaltenskodex der Zürcher Kantonalbank; vgl. Link Slide 32) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 11 Zur Interessenlage beim Whistleblowing • Interesse der Stakeholder (Eigentümer, Gläubiger, Lieferanten, Kunden, etc.) und der Öffentlichkeit Schutz der eigenen (überwiegend materiellen) Interessen Schutz der Allgemeinheit vor lebensgefährlichen Katastrophen und erheblichen Vermögenseinbussen durch (möglicherweise überwiegend) dolose Rechtsverletzungen in einem Unternehmen Konklusion: Whistleblowing als Anliegen der Zivilgesellschaft © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 12 Versuch einer Problemanalyse • Zur Unterscheidung: Internes und externes Whistleblowing Legende: FP = Fehlbare Person MP = Meldende Person (Whistleblower) VP = Vorgesetzte Person Unternehmen Extern Vom Unternehmen beauftragte «externe» Meldestellen (z.B. Anwalt) • Öffentlichkeit (Medien) • Behörden • Verbände, Organisationen (NGO) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 Intern Hierarchie • Verwaltungsrat • CEO FP • ........ FP VP FP MP FP FP FP 13 Versuch einer Problemanalyse • Problematik für den Whistleblower Je nach dem, wer die beschuldigte Person ist, fürchtet der Whistleblower eine Meldung auf dem Dienstweg oder an eine andere Stelle in der Hierarchie. Wenn keine vom Unternehmen beauftragte Meldestelle existiert, wendet er sich eventuell an die Öffentlichkeit. Der Whistleblower weiss nicht, was er genau wem melden darf. Weit verbreitete Unkenntnis über die möglichen Folgen einer Meldung mangels Beratung Konsequenz: Stillschweigen (Faust im Sack) oder unzulässige externe Meldung mit entsprechender strafrechtlicher Folge Angst vor der Bekanntgabe seiner Identität (Anonymität versus Vertraulichkeit; für die Zusicherung der Anonymität für Zeugen als Schutzmassnahme im Strafprozess vgl. Art. 149 und 150 StPO) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 14 Versuch einer Problemanalyse • Problem beim Unternehmen Unprofessioneller Umgang mit Meldungen Unterdrückung von Rechtsverletzungen aus falschverstandenem Unternehmensinteresse Fehleinschätzung der Risikolage «Ein sich nicht kartellrechtskonform verhaltendes Unternehmen wird im Rahmen der Gegenüberstellung von Nutzen und Risiken seines Vorgehens als Ausgangspunkt den Nutzen aus dem (geplanten) Vorgehen setzen, d.h. die zu erwartenden Gewinne. Bei der Risikokalkulation wird das Unternehmen andererseits die im Falle einer Aufdeckung des unzulässigen Verhaltens zu erwartenden Nachteile (Reputationsschaden, Verfahrenskosten, Sanktion) abwägen, immer unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit, dass das unzulässige Verhalten überhaupt je von der WeKo aufgedeckt wird.» (Patrick Sommer, Jusletter 17.10.2005, Rz 50) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 15 Versuch einer Problemanalyse • Problem beim Unternehmen (Fortsetzung) Ungeeignete Meldestellen (BGE 4A_613/2010 vom 25.1.2011, E. 5) Ungenügende interne Abklärungen (z.B. Abklärungen durch die fehlbare Person selbst!) Fehleinschätzung der Leitungsorgane eines Unternehmens in Bezug auf die Erwartungshaltung und die Zivilcourage von Mitarbeitenden Unterschätzung der Gefahr von unzufriedenen und/oder frustrierten und/oder entlassenen Mitarbeitenden © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 16 Gegenwärtige Rechtslage in der Schweiz • Umfassende Analyse in der Botschaft des Bundesrates über die Teilrevision des Obligationenrechts (Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz) vom 20.11.2013 (BBl 2013 95189541) • Zahlreiche strafrechtliche Verurteilungen wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses (Art. 320 StGB), des Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 StGB), wegen wirtschaftlichem Nachrichtendienst (Art. 273 StGB), wegen Verletzung des Bankgeheimnisses (Art. 47 BankG) • • • • Kein expliziter Kündigungsschutz nach Art. 336 OR Kein Schutz des Whistleblowers vor sonstigen Nachteilen Zahlreiche Schadensfälle in Unternehmen Möglicherweise ebenso zahlreiche Schicksale von zu Unrecht beschuldigten Personen © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 17 Gegenwärtige Rechtslage in der Schweiz • Geltende Meldepflicht gemäss Art. 321a OR für (nur) einen bestimmten Kreis von Arbeitnehmern (Kader) unter Einhaltung des Dienstweges wird der Problematik nicht gerecht. • Die höchstrichterliche Rechtsprechung setzt dem externen Whistleblowing massive Schranken (z.B. BGE 127 III 310 betreffend Verhältnismässigkeitsprinzip und betreffend Abwägung des öffentlichen Interesses gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Unternehmens). • BGE 113 IV 68 betreffend Meldepflicht eines Vorgesetzten über Straftaten in einer nebengeordneten Abteilung • Kein expliziter Kündigungsschutz für den Whistleblower © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 18 Gegenwärtige Rechtslage in der Schweiz • Zu weit gehende Mitwirkungspflicht der beschuldigten Person aufgrund der Treuepflicht nach Art. 321a OR bei der Abklärung eines Sachverhalts • Keine klare Regelung in Bezug auf den zulässigen Inhalt einer Meldung • Keine gesetzlichen Mindeststandards für die Regelung eines unternehmensinternen Meldeverfahrens im Sinne von Safe Harbour-Rules im Interesse der Unternehmen und der Mitarbeitenden • Gesetzliche Regelung ansatzweise für Fälle von Mobbing und sexuelle Belästigung (Art. 328 OR und Art. 35 Gleichstellungsgesetz, GlG) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 19 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Botschaft über die Teilrevision des Obligationenrechts (Schutz bei Meldung von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz) vom 20.11.2013 (BBl 2013 9513 ff.) • • Medienmitteilung des Bundesrates vom 20.11.2013 • Zustimmung der Rechtskommission des Nationalrates zur ständerätlichen Vorlage (mit 15:2 Stimmen). Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, die Vorlage verständlicher und einfacher zu formulieren (vgl. Medienmitteilung der Rechtskommission des Nationalrates vom 14.11.2014, Curia Vista, Geschäfts-Nr. 13.094) • Beschluss über Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat durch den Nationalrat am 5. Mai 2015 Beratung im Ständerat vom 22.9.2014 (vgl. Curia Vista, Geschäfts-Nr. 13.094) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 20 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Die lange Leidensgeschichte der Teilrevision des OR zum «Whistleblowing» Umsetzung der Motion Gysin vom 7.5.2003 (Motion 03.3212 «Gesetzlicher Schutz für Hinweisgeber von Korruption») Motion Marty vom 19.6.2003 (Motion 03.3344) Vernehmlassung vom 5.12.2008 Vernehmlassung vom 1.10.2010 Beschluss des Bundesrates vom 21.11.2012 (mit entsprechender Medienmitteilung) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 21 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Übersicht über die zu revidierenden bzw. zu ergänzenden Bestimmungen des OR: Art. 321abis (Meldung an den Arbeitgeber) Art. 321ater (Meldung an die zuständige Behörde) Art. 321aquater (Direkte Meldung an die zuständige Behörde) Art. 321aquinquies (Meldung an die Öffentlichkeit) Art. 321asexies (Beratung durch eine Person mit Geheimhaltungspflicht) Art. 321asepties (Vorbehalte) Art. 328 Abs. 1 (Änderung betreffend Vermeidung von Nachteilen für meldende Personen) Art. 328 Abs. 3 (Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vermeidung von Nachteilen und Sanktionierung von unrechtmässigen Meldungen) Art. 336 Abs. 2 lit. d (Ergänzung der Tatbestände der missbräuchlichen Kündigung auf den Fall einer Meldung von Unregelmässigkeiten) Art. 362 Abs. 1 (Unabänderlichkeit zuungunsten des Arbeitnehmers) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 22 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Grundzüge der Gesetzesrevision (Medienmitteilung des Bundesrates vom 20.11.2013) Regelung der Rechtmässigkeit von Meldungen von Arbeitnehmenden über Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz Priorität der internen Behandlung von Meldungen Nachträgliche Meldung an die zuständige Behörde unter bestimmten Voraussetzungen Möglichkeit einer direkten Meldung an die zuständige Behörde in bestimmten Fällen Unzulässigkeit der direkten Meldung an die Öffentlichkeit Vorerst kein Ausbau des Kündigungsschutzes (nur Klarstellung in Art. 336 OR) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 23 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Rechtsverletzung als Gegenstand der Meldung Bei interner Meldung: Unregelmässigkeiten sind Straftaten, andere unerlaubte Handlungen sowie wesentliche (gemäss Fassung Ständerat) Verstösse gegen Statuten, Anordnungen oder Weisungen des Arbeitgebers Bei der Meldung an Behörden: Straftaten oder andere Verstösse gegen Bestimmungen, deren Anwendung durch eine Behörde erfolgt oder deren Einhaltung von einer Behörde kontrolliert wird • Kaskadenregelung 1. Prio: Unternehmensinterne Meldung 2. Prio: Meldung an Behörden (unter gewissen Voraussetzungen direkte Meldung an Behörden) 3. Prio: Meldung an die Öffentlichkeit © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 24 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Verpflichtung des Arbeitgebers, dass bei Meldung von Unregelmässigkeiten keine Nachteile entstehen (Art. 328 Abs. 3 E-OR). • Klarstellung, dass die Kündigung wegen Meldung von Unregelmässigkeiten nach Art. 336 Abs. 2 lit. d E-OR missbräuchlich ist. • Keine Erweiterung der Meldepflicht (namentlich nicht in Bezug auf die beschuldigten Personen, vgl. zur heutigen Rechtslage BGE 113 IV 68) • Keine allgemeine Pflicht zur Schaffung eines internen Meldeverfahrens für Unternehmen Keine gesetzlichen Vorschriften für die Ausgestaltung eines internen Meldeverfahrens Dennoch Verpflichtung (Deliktverhinderungspflicht) der Unternehmen, Meldungen gestützt auf das (neue) Melderecht nachzugehen, um in den Genuss von Strafreduktion oder Haftungsbefreiung zu kommen (Art. 102 Abs. 2 StGB, Art. 49a KG, Art. 8 SVKG und Art. 6 Abs. 2 VStrR). © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 25 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz • Vom Ständerat am 22.9.2014 beschlossene Regelung Im Wesentlichen wurde die Vorlage des Bundesrates gutgeheissen. Keine anonymen Meldungen, nur vertrauliche Keine direkte Meldung an die Öffentlichkeit Art. 321asepties Abs. 2 OR (Vorbehalte) «2Bei Meldungen an eine ausländische Behörde sind die Artikel 321ater bis 321aquinquies nicht anwendbar.» • Zur Kritik an der ständerätlichen Vorlage vgl. NZZ vom 23.12.2014, Nr. 298, S. 9 • Für eine weitere Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vgl. Stefan Rieder, Der Umgang mit Whistleblowing aus arbeitsrechtlicher Sicht, Jusletter 22. Dezember 2014, insb. S. 22 ff. © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 26 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz Art. 321asepties Abs. 2 OR (Vorbehalte) (Fortsetzung) Zitat aus der Botschaft (BBl 2013 9573): «Arbeitgeber mit Sitz in der Schweiz und einer Geschäftstätigkeit im Ausland sind zwar verpflichtet, sich an die Vorschriften des ausländischen Rechts zu halten. Folglich befindet sich der Arbeitnehmer auch in einem Dilemma, wenn er Verstösse gegen ausländische Vorschriften feststellt, die sein Arbeitgeber befolgen muss. Doch nicht bei jeder Verletzung des ausländischen Rechts besteht aus schweizerischer Sicht ein öffentliches Interesse. Denn sobald die ausländischen Vorschriften Verhaltensweisen untersagen, die nach dem schweizerischen Recht als rechtmässig gelten, ergibt sich ein Konflikt. Deshalb wird die Meldung an eine ausländische Behörde vorbehalten. Das bedeutet nicht, dass sie in jedem Fall gegen die Treuepflicht verstösst, sondern dass weiterhin im Einzelfall eine Interessenabwägung durch die Rechtsprechung vorgenommen werden muss.» (Hervorhebung durch den Verfasser) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 27 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz Art. 321asepties Abs. 2 OR (Vorbehalte) (Fortsetzung) Kommentar: Wo liegt nach heutigem Recht der Unterschied zwischen dem Fall Stanley Adams und Bradley Birkenfeld? Was nützt einem Whistleblower eine Interessenabwägung durch die Rechtsprechung? Immerhin ist Art. 321asexies OR vom Vorbehalt nicht erfasst (Beratung durch eine externe Person mit Geheimhaltungspflicht ist allemal zulässig). © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 28 Geplante Gesetzesänderungen in der Schweiz (Quelle: BBl 2013 9588) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 29 Fazit Revision des OR betreffend Whistleblowing • Gang an die Öffentlichkeit praktisch unmöglich • Keine anonymen Meldungen • Keine gesetzliche Pflicht für Unternehmen (auch nicht für grössere) zur Einrichtung eines internen Meldesystems • Tendenz zur Transparenz bei grösseren Unternehmen • Offenbar Ängste und Befürchtungen bei Politik und Gesellschaft vor einer Kultur des Denunziantentums und rechtsmissbräuchlichen Meldungen © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 30 Fragen? / Diskussion © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 31 Links Publikationen des Referenten • Whistleblowing als Element guter Corporate Governance, in: Rechtswissenschaftliche Abteilung der Universität St. Gallen (HSG) (Hrsg.), Rechtliche Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandortes Schweiz, Festschrift 25 Jahre juristische Abschlüsse an der Universität St. Gallen (HSG), Zürich/St. Gallen 2007, 485 ff. ( Link) • Zur Rechtsstellung des vom Whistleblower beschuldigten Arbeitnehmers, in: Adrian von Kaenel (Hrsg.), Whistleblowing – Multidisziplinäre Aspekte, Bern 2012, S. 55 ff. ( Link) Verhaltenskodex der Zürcher Kantonalbank • Reglement über die Verhaltensregeln bei der Zürcher Kantonalbank (Verhaltenskodex Konzern und Stammhaus) vom 23. Juni 2011 ( Link) © Prof. Dr. Othmar Strasser | 05.05.2015 32
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