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Rechtswissenschaftliche Fakultät
Tutorate im Handels- und
Wirtschaftsrecht – FS 16
Fall Nr. 1 - Personengesellschaftsrecht
MLaw Carlo Egle, Assistent Lst. Sethe
22.02.2016
Seite 1
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Lernziele
–
Sie können einen komplexen Sachverhalt «prüfungsorientiert» lesen
–
Sie können eine Frage strukturiert lösen
–
Sie können Ihre Lösung mit fundierten Begründungen untermauern
–
Sie verlieren die Fassung nicht, wenn Sie «den Wald vor lauter Bäumen
nicht mehr sehen» oder gar kein «Land in Sicht» ist
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 2
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Sachverhalt
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 3
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Sachverhalt
Herbert H
60’000 CHF
Lisa L
40’000 CHF
Richard R
«Fitness Herbert H.»
22.02.2016
Reparaturvertrag
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 4
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Falllösung
Frage A.I.:
Muss Lisa L die Reparaturkosten an Richard R
bezahlen?
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 5
Rechtswissenschaftliche Fakultät
A.I. Anspruch R gegen L auf Bezahlung der Reparaturkosten
1. Vertragliche Grundlage
 Werkvertrag gem. OR 363 ff. (Anspruch aus OR 363 i.V.m. 372)
2. Passivlegitimation der L  L als Gesellschaftern der «Fitness Herbert H.»?
 Qualifikation des Vertrages durch Auslegung der Willenserklärungen der
Gesellschafter. Achtung: Parteibezeichnung nicht relevant (OR 18 I)
a) Kollektivgesellschaft gem. OR 552 ff.?
i) Personenmehrheit ✓
ii) Vertragsmässige Bindung ✓
iii) Gemeinsamer Zweck & gemeinsame Zweckverfolgung
 Achtung: Bildung einer Kollektivgesellschaft setzt voraus, dass das
Wesen der Gesellschaft als Personenzusammenschluss von Dritten
wahrgenommen werden kann (ZK-OR 552–553 N 21 ff.)
 I.c. wollten H und L gegen aussen nicht offenlegen, dass sie eine
Gesellschaft darstellen (Bezeichnung als «Fitness Herbert H.»,
Aussenauftritt allein durch H, Handeln des H in eigenem Namen,
alleiniger Kontoinhaber)
 Gegenteilige Ansicht vertretbar!
23.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 6
Rechtswissenschaftliche Fakultät
A.I. Anspruch R gegen L auf Bezahlung der Reparaturkosten
 Sofern gemeinsamer Zweck der Kollektivgesellschaft bejaht wird:
iv) Betrieb eines nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes
 Gewerbe: «eine selbstständige, auf dauernden Erwerb gerichtete
wirtschaftliche Tätigkeit» (HRegV 2 lit. b) ✓
 kaufmännische Art: «Unternehmen, welche aufgrund ihres
Umfangs eine Geschäftsführung nach kaufmännischen Grundsätzen
erfordern»
 ungenügende Indizien im SV! Aufgrund des hohen
Gewinnes (CHF 50’000.-/Jahr) eher anzunehmen.
 wenn bejaht: keine (direkte) Leistungspflicht der L, da zuerst gegen KollG
geklagt werden muss. (Vertragliche Beschränkung der Vertretungsbefugnis
hat keine Wirkung aufgrund fehlender HR-Eintragung, vgl. OR 564 II)
 wenn verneint: keine Kollektivgesellschaft, sondern einfache Gesellschaft.
(dazu sogleich)
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 7
Rechtswissenschaftliche Fakultät
A.I. Anspruch R gegen L auf Bezahlung der Reparaturkosten

Sofern Kollektivgesellschaft verneint wird:

b) «stille» (einfache) Gesellschaft gem. OR 530 ff.?
i) Personenmehrheit ✓
ii) Vertragsmässige Bindung ✓
iii) Gemeinsamer Zweck & gemeinsame Zweckverfolgung
 insb: Einigkeit der Gesellschafter, dass Gesellschaft nur interne Wirkung.
- Beitrag des stillen Gesellschafters geht in das Vermögen des
Hauptgesellschafters über ✓
- Mitwirkungsrecht des stillen Gesellschafters (ansonsten liegt partiarisches
Darlehen vor) ✓
- Gesellschaft tritt nach aussen nicht als solche in Erscheinung ✓
- Nur Hauptgesellschafter tritt (als Einzelunternehmer) auf ✘
 Stille Gesellschaft wird (gegenüber dem R) zur einfachen Gesellschaft.
 Umstand, dass L die Gesellschaft nicht vertreten dürfte, hat keine Auswirkung
auf ihre Haftung. Der Handelnde (ohne Vertretungsmacht) haftet immer. (M-H/F, §
12 N 70) [Frage, ob auch H «haftet», d.h. L auf diesen Regress nehmen kann, ist
umstritten, vgl. KuKo-Sethe, OR 543 N 1 & 14  Anwendung der Regeln der GoA]
 Ergebnis: R kann direkt die Reparaturkosten bei L einklagen
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 8
Rechtswissenschaftliche Fakultät
A.I. Anspruch R gegen L auf Bezahlung der Reparaturkosten
3. Auswirkung der Befristung in § 3 Satz 1 des «Kollektivgesellschaftsvertrags»?
 Befristeter Gesellschaftsvertrag ohne weiteres zulässig (OR 545 I Ziff. 5)
 Grundsätzlich wird Gesellschaft «erneuert», wenn sie stillschweigend
fortgesetzt wird (OR 546 III)
 § 3 Satz 2 des Vertrags sieht vor, dass für das Fortbestehen der
Zusammenarbeit «ein weiterer Vertrag aufgesetzt wird»
 Fraglich, ob hier die Form der einfachen Schriftlichkeit vertraglich vorbehalten
wurde (OR 16)
 Strittig. «Aufsetzten» lässt aber eher nicht auf einen Formvorbehalt schliessen.
Fraglich immerhin, ob Weitergeltung der vertraglichen Vereinbarungen.
 wenn Formvorbehalt bejaht: evtl. Haftung der L (und des H) aus Rechtsschein
einer Gesellschafterstellung
«Das Vertrauen eines Dritten in den Bestand einer einfachen Gesellschaft ist insoweit geschützt,
als der Vertrag zwischen ihm und der einfachen Gesellschaft auch dann wirksam ist, wenn der
Gesellschaftsvertrag infolge eines Mangels ungültig ist. In diesen Fällen beurteilt sich das
Aussenverhältnis trotz des Mangels nach Gesellschaftsrecht.» (BGE 116 II 707, E. 1.b)
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 9
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Falllösung
Frage A.II.:
Muss Lisa L 40% des Verlusts (CHF 3’200.-) in bar
ausgleichen?
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 10
Rechtswissenschaftliche Fakultät
A.II. Anspruch des H auf Bezahlung von 3’200.
Zunächst fraglich, ob stille Gesellschaft (reguläre) einfache Gesellschaft wurde
 Auftreten der L als Gesellschaftern führt nach Teil der Lehre zu Umqualifikation «erga omnes» (BKOR 530 N 345; M-H/F, § 15 N 39). Nach einem andern Teil werden Beziehungen zwischen
Gesellschaftern und zu andern Aussenstehenden nicht berührt. (ZK-OR 552 N 30 m.m.N.)

Verlusttragung in der einfachen Gesellschaft (und auch der stillen Gesellschaft) regelt sich nach OR
533.

Dispositive Bestimmung der gleichmässigen Anteilnahme am Gewinn von OR 533 I wurde in casu in
eine 2:3 Regelung abgeändert (§ 2 des Vertrags). Vereinbarungen über die Anteilnahme am Gewinn
gelten gleichermassen für eingetretene Verluste (OR 533 II).

CHF 8’000.- stellen einen Verlust dar ✓

Zeitpunkt der Verlustausgleichung?

-
Grds. erst im Rahmen der Liquidation (OR 549 II)
-
Da Einlage bereits «verbraucht», würde die Bezahlung eine Nachschusspflicht von L bedeutet,
was eine vertragliche Vereinbarung voraussetzt, insb. bei stillen Gesellschaft
-
In casu ✘
-
Analoge Anwendung von OR 533 II auf Nachschusspflicht von h.L. abgelehnt
Ergebnis: L muss den Verlust nicht bar ausgleichen (ebenso wenn KollG, vgl. OR 560 II)
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 11
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Falllösung
Frage B.I.:
Kann Lisa L i) die Auflösung der «Fitness Herbert
H.» erwirken; ii) ihre Einlage von CHF 40’000.zurückverlangen und iii) den Verkauf der Geräte
erwirken?
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 12
Rechtswissenschaftliche Fakultät
B.I. Erwirkung der Liquidation der Gesellschaft
 Auflösung der einfachen (nicht-stillen) Gesellschaft hat deren Liquidation zur Folge (ebenso
KollG gem. OR 582, 585 I)
 Auflösung der einfachen Gesellschaft bedingt Auflösungsgrund nach OR 545 (ebenso KollG, OR
578 I)
 Kündigung des Mietvertrages und sofortige Räumung der Liegenschaft durch H (und wohl auch
unüberwindbare Differenzen zwischen Gesellschaftern) verunmöglichen Gesellschaftszweck der
«Fitness Herbert H.».
 Auflösung der Gesellschaft «eo ipso» (OR 545 I Ziff. 1)
 Subsidiär: Ordentliche Kündigung gem. I Ziff. 6 und OR 546 durch H (Notiz «Und tschüss!»)
 Fortsetzung durch einen Gesellschafter bedürfte der Zustimmung von L (OR 579 analog)
 Folgen der Liquidation:
1.Zweckänderung zu Abwicklung der Gesellschaft  i.c. primär Verkauf der Geräte
(Realteilung nur sofern vertraglich vorgesehen, OR 548; ebenso bei KollG)
2.Bei einfacher Gesellschaft: anteilsmässige Verteilung des Liquidationserlöses (OR 549 I)
 i.c. Verhältnis 2:3 (sofern noch geltend). Liquidationserlös muss folglich mind. CHF
100’000 betragen, damit L ihre ursprüngliche Einlage «zurückerhält».
Bei KollG: 1. Rückzahlung der Einlagen (OR 588 I); 2. Anteilsmässige Verteilung des
Überschusses (OR 588 II)  Auch hier muss Liquidationsergebnis CHF 100’000 betragen
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 13
Rechtswissenschaftliche Fakultät
B.I. Erwirkung der Liquidation der Gesellschaft
 Die Abwicklung einer stillen Gesellschaft erfolgt ohne Auflösung/Liquidation (sofern
vertraglich nicht anders vereinbart).
 Die Auflösung begründet keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Einlage,
sondern lediglich einen Abfindungsanspruch des stillen Gesellschafters.
 Die Berechnung der Abfindung erfolgt nach Massgabe der Beteiligung (i.c. 40%);
Grundlage bildet der Fortführungswert der Gesellschaft.
 Ein Verkauf der Geräte des H kann hingegen nicht erwirkt werden.
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 14
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Falllösung
Frage B.II.:
Kann Lisa L eine Entschädigungsforderung
geltend machen, da sie nicht an der künftig
erwarteten «guten Entwicklung» des
Fitnessstudios partizipieren kann?
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 15
Rechtswissenschaftliche Fakultät
B.II. Beteiligung an «guter Entwicklung»
 Sofern mit «guter Entwicklung» der «gute Ruf» des Fitnesscenters gemeint ist,
handelt es sich um sog. «Goodwill». Dessen Einbezug in den Liquidationserlös ist
strittig.
 Gemeint sein könnte aber auch der Gewinn, welchen die Gesellschaft erzielen
könnte, wenn sie nicht aufgelöst würde.
 In Frage kommt Anspruch der L auf Schadenersatz gegen H auf entgangenen
Gewinn nach OR 538 II
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
Seite 16
Rechtswissenschaftliche Fakultät
B.II. Schadenersatz gem. OR 538 II
 Anspruch der übrigen Gesellschafter (L) auf Ersatz des entstandenen Schadens
durch schädigenden Gesellschafter (H) (OR 538 II)
1. Schaden: «(ungewollte) Verminderung des Reinvermögens», insb. auch
entgangener Gewinn
 in casu ✓, (Gewinn, der bis zur Liquidation im Falle der ordentlichen
Kündigung durch H hätte erwirtschaftet werden können, d.h. 6 Monate)
2. Widerrechtliche Verletzung des Gesellschaftsvertrags
i.c.: Kündigung des Mietvertrages und sofortige Räumung der Liegenschaft
Verlust des einzigen Unternehmenslokals als «wichtige Angelegenheit»
= Verstoss gegen § 1 Satz 3 des Vertrags und OR 535 III
 Verunmöglichung der Zweckverfolgung und damit Auflösung der Gesellschaft
= Verstoss gegen § § 1 Satz 3 des Vertrags und OR 535 III und Treuepflicht (OR
538 I)
1. Kausalzusammenhang ✓
2. Verschulden ✓

Forderung wird in Liquidationsverfahren einbezogen (BK-OR 538 N 140)
22.02.2016
HaWi Tutorate FS 16 – Fall 1, MLaw Carlo Egle
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Rechtswissenschaftliche Fakultät
Ende
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fragen zum Fall dürfen jederzeit an
[email protected] gestellt werden.
22.02.2016
Titel der Präsentation, Autor
Seite 18