Johanna Krapf über ihr Buch - SGB-FSS

Thema > Kinderlager
Juni 2015
02
# Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
Foto: Pirmin Vogel
ganzOHR
> Kinderlager sind wichtig und machen glücklich!
> Interview: Johanna Krapf über ihr Buch «Augenmenschen»
> Welttag der Gebärdensprache
Thema > Kinderlager
> Editorial
Einmal nicht «der
> Seit Jahren gehören die Kinder­
lager des Gehörlosenbundes zum
Liebe Spenderin, lieber Spender
Wir haben es beim Zusammenstellen
dieser Ausgabe einmal mehr gesehen und gehört: Die Kinderlager sind
für gehörlose Kinder, ihre Geschwister und ihre Familien enorm wichtig.
Sie sind in den Kinderlagern unter
ihresgleichen, sie gehören dazu und
sie kommunizieren miteinander in
Gebärdensprache. Man könnte fast
sagen: sie fühlen sich wie ein Fisch
im Wasser.
So verbessern sich ihre Möglichkeiten: beim Kommunizieren und beim
Lernen. Die Eltern erzählen uns, wie
diese Kinderlagertage für ihre Töchter und Söhne seien. Und die Kinder
beschreiben, dass ihnen alles im Lager so viel Spass gemacht habe, dass
sie am liebsten noch viel länger geblieben wären. Sie kommen gestärkt
und fröhlich in ihren Alltag zurück.
Ihre Spenden und Beiträge helfen
uns, gehörlose Kinder einen Schritt
weiter zu bringen.
Vielen Dank!
Roland Hermann (gehörlos)
Programm. Hörbehinderte und ge-
Foto: Laura Teodori
Ferienlager für gehörlose Kinder und ihre Geschwister sind enorm
Roland Hermann
Präsident Schweizerischer
Gehörlosenbund SGB-FSS
hörlose Kinder und ihre Geschwister
spielen und lernen gemeinsam und
unter ihresgleichen. Das Angebot ist
wichtig. Es wird von den Eltern ebenso geschätzt wie von den Kindern.
Für Edyta Williams aus Onex (GE) ist völlig klar: «Kinderlager sind ein gutes und
wichtiges Angebot.» Sie ist die Mutter von
Kevin (12). Beide sind gehörlos. Kevin hat
letztes Jahr am ersten Kinderlager der Romandie teilgenommen. Zusammen mit
zehn anderen Kindern war er fünf Tage
in Saignelégier im Jura. Die Tage gingen wie im Flug vorbei. «Kevin war sehr
glücklich mit diesem Aufenthalt.» Fürs
nächste Kinderlager im Oktober 2015 ist
er bereits angemeldet.
«Natürlich hat er alles erzählt, auch die
kleinsten Details», sagt Edyta Williams.
«Aber das Beste war wohl, anderen Kindern aus anderen Kantonen zu begegnen,
neue Freunde zu finden und ganze Tage
mit seinen neuen gehörlosen Freunden
zu verbringen. Er ist sehr glücklich damit,
weil sie miteinander auch per SMS und
Whatsapp in Kontakt geblieben sind.»
Die Erfahrung «unter Gleichen» zu sein,
teilt Kevin mit den anderen gehörlosen
Kindern und ihren (teilweise auch hörenden) Geschwistern. Die Gebärdensprache
ist im Kinderlager «die normale» Sprache und nicht, wie sonst oft, die aussergewöhnliche. Und die Kinder geniessen
das nicht nur sehr, sie profitieren auch
beim Lernen davon. Edyta Williams: «Es
Kinderlager machen glücklich und sind lehrreich!
war sein erstes Lager, und ich habe ihm
erlaubt teilzunehmen, weil ich wusste:
er wird sich dort nicht als «der Andere»
fühlen und das wird ihn glücklich machen.» Kevin geht zwar in eine Schule für
gehörlose und schwerhörige Kinder, aber
in seinem Wohnquartier ist er das einzige
gehörlose Kind.
Auch die Kinder aus der Deutschschweiz
verbrachten übrigens ihr letztes Kinderlager in der Romandie. Acht Kinder und
das Leitungsteam mit Loredana Gsponer-Bertolotti, Sabine Keller und Pirmin
Vogel verbrachten eine gute Woche in
Avenches beim Murtensee. Während im
welschen Kinderlager die Fotografie als
oder die Andere» sein
Hauptthema durch die Woche führte,
standen bei den Kindern aus der Deutschschweiz die Schmetterlinge im Zentrum.
Ein Besuch im Papiliorama in Kerzers
und an der Gehörlosenschule St. Josef in
Freiburg waren die Höhepunkte. Und an
zwei Vormittagen hatten sie sogar Gelegenheit, mit einer Lehrerin zusammen
selber die französische Gebärdensprache
LSF zu erkunden.
«Cassy war überglücklich», erzählt auch
Ghislaine Primiceri aus Granges (FR).
Ihre 10-jährige gehörlose Tochter ist auch
bereits wieder fürs nächste Lager angemeldet. «Sie wollte zuerst gar nicht mit
nachhause kommen, weil es ihr so ge-
Foto: Laura Teodori
Foto: Pirmin Vogel
m wichtig!
fiel», erzählt die zufriedene Mutter. Nicht
nur die Kindern und Eltern schätzen übrigens die Kinderlager – auch die Begleitpersonen empfinden das Zusammensein
und die Arbeit mit den gehörlosen Kindern und ihren Geschwistern als sehr
beglückend. Stellvertretend dafür zwei
Stimmen aus der Romandie.
Jérémie Palama und Sophie Bula haben
das Lager in Saignelégier begleitet. «Die
Kinder sind so verschieden voneinander
und darin liegt ein grosser Reichtum!»
sagt Sophie Bula. «Ich habe diese Arbeit
geliebt! Ausserdem war es eine Abwechslung, ich konnte selber einiges lernen
und neue Erfahrungen machen.» Und
«Cassy war überglücklich.
Sie wollte zuerst gar nicht
mit nachhause kommen.»
Jérémie Palama ergänzt: «Es war genial.
Am meisten beeindruckt hat mich diese
unbändige Energie der Kinder. Es war
einfach eine sehr bereichernde Erfahrung. Ich würde nächstes Mal sofort wieder zusagen.»
<
> Der Gehörlosenbund organisiert und unterstützt die Kinderlager finanziell, unter
anderem auch mit den Beiträgen der Spenderinnen und Spender. Vielen Dank, auch im
Namen der Kinder und ihrer Eltern!
Foto: Dominique Badan
Welttag der Gebärdensprache
Die Kinderlager 2015
Deutsche Schweiz
Vom 5. bis 10. Oktober sind die Kinder
im Diemtigtal im Berner Oberland. Dort
werden sie sogar ein ganzes Haus für
sich alleine zur Verfügung haben! Das
Thema des nächsten Kinderlagers heisst
«Bergdetektive». Kinder im Alter von 7
bis 12 sind willkommen.
Romandie
Die Kinder aus der Romandie fahren
dieses Jahr zusammen in die Deutschschweiz. Ihr Ferienlager findet vom 19.
bis 23. Oktober in Morschach im Kanton Schwyz statt. Das Thema wird «Die
Schweiz» sein. Kinder von 6 bis 14 Jahren dürfen teilnehmen.
Tessin
Für die Tessiner Kinder organisiert der
Gehörlosenbund ein Kinderlager in Tenero. Es findet vom 19. bis 21. Juni statt.
Teilnehmen können Kinder im Alter von
8 bis 18 Jahren. Gehörlos, schwerhörig
oder hörende Geschwister. Das Thema
sind die Gebärdensprache und die Welt
der Gehörlosen. Die Tessiner werden
ein sehr sportliches Lager haben: Bogenschiessen, Badminton und Orientierungslauf stehen auf dem Programm.
Am Welttag der Gebärdensprache auf die Strasse und ins Bundeshaus.
> 2015 findet der Welttag der
Gebärdensprache am Samstag,
zu erfahren, was wiederum von den Gehörlosen sehr geschätzt wird.
26. September statt. Das Zentrum
der Schweizer Aktivitäten wird in
Bern sein. Vom Mittwoch 23. bis
Freitag 25. September wird sogar
im Bundeshaus ein «Café des
Signes» durchgeführt.
Ein «Café des Signes» ist ein Treffpunkt
für Gehörlose und Hörende. Der Rahmen
bildet ein Bistro oder Café, wo die Gäste
jeweils in Gebärdensprache und in Lautsprache bedient werden. Wer als hörende
Person selber einmal die Gebärdensprache ausprobieren möchte, kann mit Hilfe von Anleitungen seine Bestellung in
Gebärdensprache aufgeben. So soll um
Verständnis für einander geworben werden. Veranstaltungen mit einem «Café des
Singes» erfreuen sich seit Jahren einer
grossen Beliebtheit. Die Bevölkerung ist
offen und neugierig, mehr von der Gebärdensprache und der Welt der Gehörlosen
Im letzten Jahr hat der Welttag der Gebärdensprache in der Schweiz viel Aufmerksamkeit erfahren. Der Gehörlosenbund
feierte diesen Tag mit vielen Events in
Genf, u.a. mit Ansprachen, einem Friedensmarsch, einem «Café des Signes»,
einem Theaterstück und einem grossen
Fest zum Abschluss.
Die «Tagesschau» der Deutschschweiz
hatte ihre ganze Hauptausgabe dem Thema «Hörbehinderung» gewidmet, und
das nicht nur in einzelnen Beiträgen sondern auch in der Sendungsgestaltung. So
moderierte Cornelia Boesch zusammen
mit Karin Altwegg, Dolmetscherin für
Gebärdensprache, die Sendung um 19.30
Uhr auf SRF 1.
> Weitere Informationen zum Tag der Gebärdensprache folgen im nächsten Ganz Ohr
und auf www.sgb-fss.ch
«Kinder brauchen Zugang zu Kommunikation»
Foto: Pirmin Vogel
Johanna Krapf hat in ihrem Buch «Augenmenschen» 8 Gehörlose porträtiert.
> Johanna Krapf hat sich für Buch
Es war sehr berührend.
sie alle Hebel in Bewegung setzen, dass
ihr Kind kommunizieren kann – und
zwar wie auch immer – ist das grundlegend. Alle Eltern wollen das Beste. Das
ist ja klar. Das Beste gemacht haben
wohl Eltern, die höchstes Gewicht auf
Kommunikation legten. Egal, in welcher
Form und Sprache.
Sie sind ja selber hörend...
Das spricht sehr für die bilinguale
... ja, und das war auch immer meine absolut grösste Angst: Ich wusste, für mich als
Hörende ist und bleibt es eine Art Anmassung, über die Gehörlosen zu schreiben.
Zwar habe ich Kurse und eine Intensivwoche besucht, aber ich beherrsche die
Gebärdensprache nur so wie eine andere
Fremdsprache: langsam und mit Fehlern.
Ich bin wirklich eine Aussenseiterin.
Erziehung.
«Augenmenschen» behutsam der Gehörlosenwelt genähert.
Wie haben die Gehörlosen auf Ihr Buch
«Augenmenschen» reagiert?
Und wie war die Arbeit am Buch?
Positiv. Ich wollte ja nur ihre Geschichten aufschreiben, als Sprachrohr gewissermassen. Bei den meisten Gesprächen
war eine Dolmetscherin im Einsatz. Ich
nahm die Gespräche auf Band auf, um
später genauer schreiben zu können. Man
muss bedenken, dass bei dieser Arbeit
zwei Übersetzungsprozesse stattfanden:
zunächst von der Originalerzählung in Gebärdensprache ins gesprochene Wort. Und
anschliessend vom Dialekt-Gespräch zum
hochdeutsch geschriebenen Text. Das verlangt viel Sorgfalt. Insofern sind die Texte
Übersetzungen, auch wenn ich immer versuchte, ganz nahe dranzubleiben.
Autorin Johanna Krapf.
und Gehörlose mit unterschiedlichstem
Lebenshintergrund. Also: Gehörlose aus
gehörlosen Familien, Gehörlose mit nur
hörendem Hintergrund, unterschiedlich
gemischte Familien, jemand mit Implantat, mit ausländischen Wurzeln, eine Dolmetscherin. Gehörlosenfachstellen und
Schulen haben mich bei der Suche unterstützt.
Ja, definitiv. Denn jedes Kind braucht
von Anfang an Zugang zu sprachlicher
Kommunikation. Und diese kann, bei
einem gehörlosen Kind, am Anfang nur
über Gebärdensprache gehen. Es ist einfach eine Tatsache: Das Kind hört nicht,
deshalb ist die Gebärdensprache seine
natürliche Erstsprache. Die Lautsprache
muss es sowieso lernen. Später sucht
es seinen eigenen Weg. Ausserdem hat
jedes Kind die Fähigkeit, eine Sprache
selber zu erwerben, ohne Sprachunterricht. Auch das kann für ein gehörloses
Kind nur die Gebärdensprache sein. Es
geht also darum, für die sprachliche
Kommunikation die ersten Jahre nicht
zu verlieren. Für die Entwicklung ist das
entscheidend.
Und wenn die Gebärdensprache ei-
Was haben ihre Porträtierten
nem Kind fehlt?
gemeinsam?
Nicht jedes gehörlose Kind nimmt zwingend Schaden. Es gibt immer Ausnahmen. Aber ob ein Kind eine Ausnahme
sein wird, das weiss man ja jeweils nicht
schon im voraus.
<
Wie haben Sie Ihre Porträtierten gefun-
Die Liebe zur Gebärdensprache und die
Verankerung darin. Nur der junge Mann
mit Implantat fällt diesbezüglich heraus,
weil er nicht gebärdet.
den und ausgewählt?
Und worin liegt der grösste
Ich habe mit denjenigen begonnen, die ich
bereits kannte und von Anfang an vorgesehen hatte. Mein Konzept war, Menschen
aus verschiedenen Generationen zu Wort
kommen zu lassen, Männer und Frauen
Unterschied?
> Mehr Informationen zum Buch «Augen-
Darin, ob ein gehörloses Kind mit gehörlosen Eltern oder als Aussenseiter in seinem
Umfeld aufwächst. Sind die Eltern hörend,
so ist ihre Haltung entscheidend. Wenn
menschen – Gehörlose erzählen aus ihrem
Leben» von Johanna Krapf finden Sie auf
der Rückseite dieses GanzOhrs. Nehmen
Sie an der Verlosung von 3 Büchern teil!
«Augenmenschen»:
Wir verlosen drei Bücher von Johanna Krapf
Gehörlose erleben die Welt grundlegend
anders als Hörende. Da sie in ihrer Wahrnehmung stark visuell orientiert sind,
werden sie hin und wieder auch «Augenmenschen» genannt. Und so heisst auch
der Titel des Buches von Johanna Krapf:
«Augenmenschen – Gehörlose erzählen
aus ihrem Leben» (Rotpunktverlag). Die
Autorin hat acht Gehörlose zwischen 12
und 72 Jahren befragt und ihre Geschichten aufgezeichnet. Sie erzählen darin
über ihren Werdegang, über Kommunikationsbarrieren im Alltag, aber auch
über das bereichernde Gefühl der Zuge-
hörigkeit zur Gemeinschaft und Kultur
der Gehörlosen. Ausserdem schildert ein
Jugendlicher, wie er in Schule und Freizeit mit seinem Hörimplantat zurechtkommt. Und eine Gebärdensprachdolmetscherin spricht über ihre Arbeit. <
> So nehmen Sie an der Verlosung teil
Per E-Mail: [email protected]
Per Post: Schweizerischer Gehörlosenbund,
z.Hd. Edina Muminovic
Oerlikonerstrasse 98, 8057 Zürich
Stichwort: Augenmenschen
Teilnahmeschluss: 20. Juli 2015 Foto: Privat
Wir stellen vor:
Unsere Spenderin Muriel Nyfeler aus Chavannes-près-Renens (VD)
«Schon als Kind hat mich die Gebärdensprache fasziniert», erzählt Muriel Nyfeler. «Meine Mutter hatte mir ein Kin-
derbuch über Gehörlose gezeigt, in dem
ich gerne blätterte. Darin waren zum
Beispiel die Gebärden für die einzelnen
Buchstaben abgebildet, aber auch Begriffe. Ich versuchte sogar, das Gebärdenalphabet zu lernen!» Die 25jährige
Waatländerin, die als Direktionsassistentin arbeitet, hat in ihrem Umfeld
keine gehörlosen Personen. Aber eine
Freundin von ihr hat vor einiger Zeit
als Campaignerin gearbeitet und ihr
vom Gehörlosenbund erzählt. «Das hat
mich interessiert und berührt.» Seither
ist Muriel Nyfeler Spenderin und Fördermitglied des Gehörlosenbundes. Das
Impressum
Herausgeber: Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS, Oerlikonerstr. 98, 8057 Zürich
T 044 315 50 40, [email protected], www.sgb-fss.ch
Erscheint 4 x jährlich mit einer Gesamtauflage von 38 616 Ex. in Deutsch und Französisch.
Spendenkonto: 80-26467-1
Redaktion: Christine Loriol Gestaltung: www.designport.ch
Spendenmagazin «GanzOhr» liest sie
gerne: «Ich finde es sehr spannend, aus
der Welt der Gehörlosen zu erfahren.
Wir Hörenden können uns eigentlich
gar nicht vorstellen, wie der Alltag der
Gehörlosen konkret aussieht. Ich entdecke immer wieder gerne verschiedene
Themen und Aspekte darüber. Und dass
man Musik auch sichtbar machen kann,
wie ich in der letzten Ausgabe gelesen
habe, finde ich fantastisch.» Muriel Nyfeler meint: «Wenn man mehr weiss
und auch einmal versucht, die Sicht eines anderen einzunehmen, wird man
aufmerksamer. Das ist wichtig.»
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