Predigt im Gottesdienst (mit Taufen) am 12. Juli 2015 in der evang. Kreuzkirche in Reutlingen Predigttext 1. Petrus 2,2-10 (6. Sonntag nach Trinitatis II rev.) Pfarrer Stephan Sigloch, Pfarramt Kreuzkirche III, Reutlingen I. Anknüpfen … „Du hast mich, Herr, zu dir gerufen …“ – Otmar Schulz hat das Lied zur „Taufe einer seiner beiden Töchter“ geschrieben1. Aber es fasst den Predigttext zusammen, als wäre es danach gedichtet. Unser Bibeltext heute dreht sich um das Thema, das uns im Tauflied begegnet ist: „Gott, der du durch die Taufe jetzt / im Glauben einen Anfang setzt, / gib auch den Mut zum nächsten Schritt. / Zeig uns den Weg und geh ihn mit“ (EG 211,5) – die Taufe ist ein Anfang, der erste Schritt eines Weges. Aber eben nicht irgendeines, sondern eines bestimmten Weges. Wir haben ihn singend beschrieben: „Ich will dir folgen, / will bei dir bleiben / und will dir treu sein; gib du mir Kraft“ (EG 210 Kv). Ich lese aus dem 1. Petrusbrief … II. Text 1. Petrusbrief Kapitel 2 Verse 2-10 Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, sollt ihr nach der unverfälschten Nahrung von Gottes Wort verlangen. Durch sie wachst ihr im Glauben heran, sodass ihr gerettet werdet. Denn ihr habt ja bereits schmecken dürfen, wie gut der Herr ist. Kommt her zu ihm! Er ist der lebendige Stein, der von den Menschen verworfen wurde. Aber bei Gott ist er auserwählt und kostbar. 1 Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen. Sie ist das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist. So werdet ihr zu einer heiligen Priesterschaft und bringt Opfer dar, in denen sein Geist wirkt. Das sind Opfer, die Gott gefallen – weil sie durch Jesus Christus vermittelt sind. Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: »Seht doch, ich lege auf dem Zion einen ausgewählten, kostbaren Grundstein. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« Für euch ist er kostbar, weil ihr an ihn glaubt. Aber für diejenigen, die nicht an ihn glauben, gilt: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden«. Er ist »ein Stein, an dem man sich anstößt, und ein Fels, über den man zu Fall kommt«. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen. Und eben dazu sind sie auch bestimmt. Aber ihr seid auserwählt: eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das in besonderer Weise Gott gehört. Denn ihr sollt seine großen Taten verkünden. Es sind die Taten dessen, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat. Ihr, die ihr früher nicht sein Volk wart, seid jetzt Gottes eigenes Volk. Ihr, die ihr früher kein Erbarmen fandet, erfahrt jetzt seine Barmherzigkeit. III. Neuer Status In den „sozialen Netzwerken“ geht es immer um den „Status“: Menschen teilen mit, was sie gerade machen, wo sie sind, wie 2 es ihnen geht, ob sie verliebt sind und wann sich der „Beziehungsstatus“ wieder ändert. Der alte Brief beschreibt genau das, eine Statusänderung – er erinnert: Ihr seid zum Glauben gekommen und Christen geworden! Das ganze Schreiben ist eine einzige Ermutigung, diesem neuen Status entsprechend Alltag und Leben zu gestalten. Taufe ist eine Statusänderung – „Marie, Maximilian, Emil und Leonas haben ihren Status aktualisiert“ – und der erste Schritt eines Weges. Die Taufe der vier Kinder erinnert uns: „ich bin auch getauft“. Und der Predigttext erinnert uns, dass sich eines seit 2000 Jahren nicht geändert hat: Dieser neue Status ist Gabe und Aufgabe – und eine Entscheidung, die Konsequenzen hat und unsere Konsequenz verlangt. IV. Lebenswillen & Lebensmittel In den Medien wird zurzeit oft und viel über Ernährung diskutiert: „Fleischesser – die schlechteren Menschen?“2 - unter solchen und ähnlichen Schlagzeilen geht es um vegetarische oder vegane Ernährung: „Was esse ich – und was nicht? Wovon ernähre ich mich?“ – In unseren Familien gibt es die Diskussionen natürlich auch. Und im Grund geht es immer um Konsequenz. Ist mein Status: „Ich bin Vegetarier“, dann stimmt das, solange ich auf Fleisch und Fisch verzichte. Mich nervt, wenn ich für sechs Leute einkaufe und davon ausgehe: Zwei essen kein Fleisch – aber dann, wenn die Zwei Steaks und Würstchen auf dem Grill sehen, verwandeln sie sich … in „Teilzeitvege- 3 tarier“ oder „Flexitarier“ – und das Grillzeug reicht dann doch nicht. Ich sage das als Beispiel, ohne Wertung – um deutlich zu machen: Wenn ich mich nicht meinem Status gemäß verhalte, ändert er sich automatisch. Die „geistliche Ernährung“ braucht auch Konsequenz: „Wie neugeborene Kinder nach Milch schreien, sollt ihr nach der unverfälschten Nahrung von Gottes Wort verlangen. Durch sie wachst ihr im Glauben heran, sodass ihr gerettet werdet. Denn ihr habt ja bereits schmecken dürfen, wie gut der Herr ist“ (V2f). Darin kommt zweierlei zum Ausdruck, was Eltern – v.a. Eltern kleinerer Kinder – aus Erfahrung wissen: Ein Kind schreit, wenn es Hunger hat und zeigt darin seinen Lebenswillen. Der ist groß und darum manchmal auch das Geschrei. Gut so. Und ein Kind braucht, zweitens, die angemessene Nahrung um zu wachsen. Die Pointe des Bildes ist an der Stelle nicht (!), dass irgendwann anstelle der Milch ‚feste Nahrung‘ dran ist. Die Pointe ist: Der „geistliche Lebenswille“ zielt auf die richtige „geistliche Ernährung“ – und die „Nahrung“ ist „Gottes Wort“: „Durch sie wachst ihr im Glauben heran“. Der Punkt ist die Konsequenz: Will ich Vegetarier sein: Kein Fleisch, kein Fisch – sonst bin ich es nicht. Will ich vegan leben: keine tierischen Produkte – vielleicht sogar über die Ernährung hinaus – oder ich bin kein Veganer. Will ich Christ sein, dann gehört dazu Konsequenz in der „geistlichen Ernährung“ und in der Art und Weise, wie ich mein Leben gestalte. Den Christen damals in Kleinasien fällt es nicht leicht, dass ihr neuer Status „Ich bin Christ“ sie von den Menschen um sie 4 herum unterscheidet – weil er sich sichtbar auswirkt. Das verstehen wir, nicht wahr? Wer sagt schon: „Wir tun dies oder jenes, weil wir Christen sind?“ oder „Ich lasse dies oder das, weil ich Christ bin“? Viel einfacher, zu sagen: „Ich fahre Rad, weil ich die Umwelt schonen möchte“. Oder: „ich helfe Flüchtlingen, weil es meine soziale Verantwortung ist“. Ist es nicht mehr: nämlich „diakonische“, von Glauben und Nächstenliebe motivierte Verantwortung für Schöpfung und Mitmenschen? [Klammerbemerkung: Ich war nicht im Gottesdienst beim Jahresfest der bruderhausdiakonie vor zwei Wochen. Aber in einem Gespräch beim Mittagessen dort bin ich aufmerksam gemacht worden darauf, dass das Thema des Gottesdienstes „Wir sind füreinander da! Gemeinsam soziale Verantwortung leben“3 lautete – und die kritische Rückfrage war: Warum „soziale“, warum nicht „diakonische Verantwortung“? Die Frage zielt in die Richtung, die sich vom Predigttext her nahelegt: Wo und wie wird unser Status als das sichtbar, was er ist?] V. Standort & Standpunkt „Kommt her zu ihm!“ (V4) – der Status „Wir sind Christen“ bedeutet: Ich habe einen klaren Standort – und von da aus vertrete ich auch klare Standpunkte. Das wird mit mehreren Bildern ausgedrückt – denen der „Stein“ gemeinsam ist: Als Grundstein, Gemeindebaustein, Stolperstein. 5 VI. Christus: Grundstein … „Kommt her zu ihm!“ – hier ist die Basis, das Fundament, der Grundstein: Stabilität, Verlässlichkeit, Gewissheit, Hoffnung. Auf diesen Stein könnt Ihr bauen! Damit ist aber auch festgelegt, was für ein Gebäude gebaut werden kann: Das Fundament gibt vor, was darauf errichtet werden kann – und was nicht. VII. Gemeinde: Haus aus „lebendigen Steinen“ Das Haus, das auf dem Grundstein Christus gebaut werden soll, ist die Gemeinde. Und wir sind die Steine für „das Haus, in dem Gottes Geist gegenwärtig ist“. Wenn es da heißt: „Lasst euch auch selbst als lebendige Steine zur Gemeinde aufbauen“ (V5), dann ist klar: Dieses im Grunde paradoxe Bild meint kein starres Gebäude und kein „das war schon immer so“. „Lebendige Steine“ – scheinbar ein Widerspruch. Aber er gibt Hinweise auf die „Form“ des Hauses „Gemeinde“: Im Produktdesign und in der Architektur gibt es für die Gestaltung von Produkten und Häusern den Leitsatz „form follows function“, „Die Form folgt der Funktion“4. Der Satz gilt auch für die Entwicklung von Gemeinde und Kirche: Strukturen und Organisation müssen sich an dem orientieren, was wir als christliche Gemeinde sein sollen. Wir müssen aufpassen, dass wir in unserem Tun und Lassen nicht durch bestehende Formen gehindert werden, christliche Gemeinde und Kirche zu sein. Wir ha6 ben die „Funktion“, Nachfolger Christi, sichtbarer Leib Christi zu sein. „Kirche“ als „Form“ muss danach ausgerichtet sein. Wo es andersherum läuft, wird Christus zum Stolperstein. VIII. … Stolperstein und Prüfstein? „Stolpersteine“ in Reutlingen? – Im Frühjahr wurde diskutiert, ob – wie in vielen europäischen Ländern – auch in Reutlingen mit sog. Stolpersteinen an das Schicksal von Menschen erinnert werden soll, „die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden“5. „Stolpersteine“ erinnern – Christus als Stolperstein erinnert auch: Er erinnert die, die über ihn stolpern, dass sie – so lesen wir im Predigttext – „dem Wort nicht gehorchen“ (V9). Insofern ist dieser Stolperstein ein Prüfstein: Wenn wir über Christus stolpern, sind wir offenbar nicht mehr auf dem Weg der Nachfolge. Wenn uns die „geistliche Nahrung“ ungut aufstößt, wir sie sozusagen nicht vertragen, dann passt offenbar unser Alltag nicht mehr zu unserem Status. Darin wird eine wesentliche Frage laut – nach unserem „geistlichen Lebenswillen“ und unserer „geistlichen Nahrung“: Es gibt – machen wir uns nichts vor – „geistliche Mangel- oder Unterernährung“. Und wie es „geistlichen Hunger“ gibt, so auch „geistliches Verhungern“. Selten dagegen, dass wir uns den „Magen“ verderben, weil wir zu viel „geistliche Nahrung“ erwischen. Bedingung allerdings: Gut kauen!8 7 [Klammerbemerkung: „… diejenigen, die nicht an ihn glauben […] stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen. Und eben dazu sind sie auch bestimmt“ (V8). Das ist im Zusammenhang kein Urteil über die, die nicht Christen sind. Die Pointe des Abschnitts ist, „den Sachverhalt des besonderen Status des Gottesvolkes“6 zu betonen, zur Vergewisserung und Ermutigung der Christen in einer feindlichen Umwelt: „Es kann nicht anders sein, als dass euer Status Unterschiede sichtbar macht“. Es wäre ein Missverständnis, daraus abzuleiten, dass Nicht-Glaubende zum Nicht-Glauben bestimmt sind – die Statusänderung am Ende des Textes „Ihr, die ihr früher nicht sein Volk wart, seid jetzt Gottes eigenes Volk“ ist möglich!] IX. In besonderer Weise Gott gehören: Seine großen Taten verkündigen „Ihr seid auserwählt: […] ein Volk, das in besonderer Weise Gott gehört“ – das ist der Status der Getauften. Damals wie heute heißt das: Menschen, die nicht zusammengehört und sich nicht gekannt haben sind dadurch – „in ethnischer, nationaler und sozialer Mischung – miteinander Gottes Volk“7. Eine Herausforderung – auch heute! Uns verbindet: „Du hast mich, Herr, zu dir gerufen“ (EG 210). Und die gemeinsame Aufgabe: „ihr sollt seine großen Taten verkünden“ (V9). Möglicherweise fällt uns dazu gar nicht so viel ein – weil wir mit der Taufe unseren Status nicht so grundlegend geändert haben, wie die Christen damals? Vielleicht sehen wir von Gottes Tun nicht viel, weil wir unsere Erfahrungen gar nicht durch 8 eine „geistliche Brille“ anschauen? Oder weil wir zu wenig Konsequenz riskieren …? Für die Suche nach einer Antwort darauf als gedankliche Anregung eine indische Legende: „Ein Bauer trägt einen Sack voll Reis auf dem Rücken. Unterwegs begegnet er dem allmächtigen Gott. ‚Schenk mir den Reis‘, bittet ihn Gott. Darauf sucht der Bauer das kleinste Reiskorn heraus und gibt es Gott. Der verwandelt das Korn in Gold und gibt es zurück. Der Bauer ärgert sich, dass er Gott nicht den ganzen Sack geschenkt hat“. Da komme ich wieder auf unser Tauflied: „Dank sei dir, dass das Heil der Welt / nicht mit uns selber steht und fällt“ (EG 211,3). Amen. _____________________ 1 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Otmar_Schulz http://www.swr.de/nachtcafe/sendung-am-3-fleischesser-die-schlechteren-menschen/- /id=200198/did=15571502/nid=200198/dq7n8o/ 3 http://www.intego-reutlingen.de/fileadmin/layouts/portalbruderhausdiakonie/Veranstaltungen_BD_allgemein/BD_Einladung_Jahresfest-2015_kl.pdf 4 https://de.wikipedia.org/wiki/Form_follows_function 5 http://www.gea.de/region+reutlingen/reutlingen/stolpersteine+was+ist+angemessenes+erinnern+.4177251.htm Stolpersteine: Betonsteine (96 × 96 mm) mit Messingplatte werden in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich ins Pflaster eingelassen. 6 7 8 3 Norbert Brox, Der erste Petrusbrief. EKK XXI 1989 (1979), 105. Brox 107. Für Luther war Meditation eine „ruminatio“, das „Wiederkäuen“ von Texten. 9
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