Montag, 17. August 2015 SCHWEIZ Nr. 188 7 Neuö Zürcör Zäitung Dicht darf nicht doof sein Erkenntnisse zur Akzeptanz von verdichtetem Bauen in bestehenden Siedlungsgebieten Wer die geforderte grössere bauliche Dichte erreichen wolle, müsse aufzeigen, welche konkreten Verbesserungen das Betroffenen bringe, sagt der Raumplaner Beat Suter. Gefragt sind anstelle blosser Vorschriften qualitative Ziele. Paul Schneeberger Akzeptanz baulicher Verdichtung im Kanton Zürich Repräsentative Umfrage (n=3003), Anteil der Antworten in Prozent 8 37 Was im Grundsatz eine hohe Akzeptanz geniesst, ist in jedem konkreten Fall hoch umstritten: Möglichst nicht mehr auf der grünen Wiese soll in der Schweiz gebaut werden, sondern im Siedlungsgebiet. Das bringt Veränderungen in Räume, die über Jahrzehnte gewachsen sind und in denen sich die Menschen eingerichtet haben. Wie delikat Eingriffe in gewachsene Strukturen sind, macht eine Studie über die Akzeptanz von baulicher Dichte deutlich, die das Amt für Raumentwicklung des Kantons Zürich im vergangenen Jahr erstellen liess. Was besser wird 3 2 2 7 13 Sollen Wohngebiete bei Umgestaltungen ihren Charakter behalten? 50 16 Soll heute unbebautes Land unbebaut bleiben? 35 Eher ja 3 Keine Angabe 19 6 21 Nein 7 25 Soll die Zuwanderung eingedämmt werden? 40 Soll das Wirtschaftswachstum eingedämmt werden? 30 35 Präferenzen nach Wohngebieten Eher nein 6 25 Sollen Wohngebiete so umgestaltet werden, dass dort mehr 22 Bewohner leben können? 43 19 28 Einschätzung der eigenen Wohnsituation Sollen Wohngebiete so umgestaltet werden, dass darin mehr Bewohner leben können? EFH locker 20 35 EFH dicht 20 33 MFH locker 20 31 MFH dicht Mischzone Sie kam aufgrund einer repräsentativen Umfrage bei 3000 Personen zu Schlüssen, die sich auch auf die anderen Kantone übertragen lassen. Erstens: Die Mehrheit der Menschen ist mit ihrer Wohnsituation zufrieden und möchte die charakteristische Gestalt ihrer Umgebung auch bei Veränderungen erhalten. Zweitens: Je höher die bauliche Dichte in einem Umfeld ist, desto grösser ist die Akzeptanz für weitere Schritte in diese Richtung. Und drittens: Wenn bauliche Verdichtung in der Nachbarschaft mit qualitativen Verbesserungen für Betroffene verbunden ist, schwindet der Widerstand. Die Konsequenzen aus dieser Analyse sind mehrfacher Natur: Die Identitäten bestehender Siedlungen sind bei der Erhöhung der baulichen Dichten zu respektieren. Quartiere werden idealerweise «rollend» weiterentwickelt. Und es ist zweierlei zu überlegen: Wie lässt sich Geschätztes, etwa Grünräume, erhalten? Und welche neuen Qualitäten, zum Beispiel Lärmschutz oder eine bessere ÖV-Erschliessung, können dank neuen oder veränderten Bauten geschaffen werden? Beat Suter, Geschäftsleiter des Brugger Planungsbüros Metron AG, befasst sich intensiv mit der Ja Grundhaltungen 31 27 Ortskerne/ Zentren 31 3 4 2 26 16 24 19 27 20 33 5 38 2 15 38 21 3 17 10 18 11 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Ja Eher ja Keine Angabe EFH = Einfamilienhäuser Eher nein Nein MFH = Mehrfamilienhäuser 15 Öffentliche Aussenflächen im Quartier Zu wenig Private Aussenflächen im Quartier Zu wenig 14 Verkehrslärm in Wohnung/Haus Hoch 12 Nachbarschaftslärm in Wohnung/Haus Hoch 4 Privatsphäre in Wohnung/Haus 66 63 Zu wenig 13 Anbindung an öffentlichen Verkehr Schlecht 5 Parkierungsmöglichkeiten Schlecht 24 33 55 20 Nicht gewährleistet 3 Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe 19 17 Gewährleistet 35 77 22 0% Gering 49 52 40 20% 40% 38 60% 80% QUELLE: KANTON ZÜRICH Frage, wie sich das umsetzen lässt. Vor vier Jahren gehörte er zu den Entwicklern der «Dichte-Box», eines Instrumentariums, mit dem sich Quartiere im Hinblick auf solche qualitätsvolle Verdichtungen «scannen» lassen. Dieser Ansatz berücksichtigt essenzielle Rahmenbedingungen – die Zersplitterung des Grundeigentums, den Sanierungsbedarf von Wohnbauten aus der expansiven Phase der 1950er bis 1980er Jahre sowie Reserven in Form von Baulücken und unternutzten Grundstücken. Mittlerweile hat er seinen Niederschlag in ersten kommunalen Strategien zur baulichen Entwicklung nach innen gefunden – in Wädenswil am Zürichsee und in Oberwil im Baselbieter Birsigtal. Ausgehend von einer Analyse des gebauten Bestandes und der Charakteris- Grosszügig Gering 75 48 Grosszügig Viele Gut Anleitung, nicht Vorgabe Gut Gefragt seien nicht Vorgaben für alle spezifischen Fälle, sondern grundsätzliche Anleitungen, die Möglichkeiten aufzeigten, wie sich bei der baulichen Weiterentwicklung verfahren lasse und welche Instrumente dafür zur Verfügung stünden. Dabei sei auch Bisheriges zu hinterfragen. Die Ausnützungsziffer zum Beispiel ist für Beat Suter nur noch bedingt ein zweckmässiges Instrument für die Nachverdichtung – etwa als Teil eines Bonussystems zugunsten qualitativer Gesichtspunkte. Inwiefern wird das Korsett, in dem der einzelne Grundeigentümer auf seinem Land etwas realisieren darf, durch all das noch enger als bisher? Engere Fesseln seien weder Ziel noch Konsequenz der angestrebten Sicherung von Qualität und Akzeptanz, sagt Suter. Aber Mehrnutzung allein funktioniere nicht. Viele Bauherren und Projektentwickler hätten das auch bereits erkannt. Die Verbindung von mehr Nutzung und mehr Qualität sei das Erfolgsprinzip der Verdichtung – oder anders ausgedrückt: Dicht darf nicht doof sein. 100% NZZ-INFOGRAFIK / tcf. tika der einzelnen Quartiere, stecken in diesen beiden Gemeinden nun Masterpläne den Rahmen für bauliche Verdichtungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ab. Inwiefern wird durch diese auf feinen Analysen basierenden Zielformulierungen aus der dörflichen Ortsplanung, die sich auf die Festlegung unterschiedlicher Zonen beschränkte, Städtebau, der auch gestalterische Vorgaben einschliesst? Raumplanerische Vorgaben wie Erschliessungen, Parzellierungen, Baulinien und Bauvorschriften seien schon bisher gleichsam städtebauliche Regelwerke gewesen, sagt Beat Suter. Sinnbild für die Expansion des Siedlungsgebiets ab den 1960er Jahren war die «Regelbauweise»: Auf jeder Parzelle sollte dasselbe möglich sein, die gleichen Masse, die gleichen Abstände. Bei Verdichtungen bestehe Kollisionsgefahr zwischen der «Regelbauweise», der Liberalisierung der Masse und der Qualitätssicherung, so der Raumplaner. Um bauliche Verdichtung und Qualität in ein Gleichgewicht zu bringen, seien übergeordnete und städtebauliche Fragen zu klären: Welches Selbstverständnis hat eine Gemeinde? Was ist unter Urbanität zu verstehen, was unter baulicher Qualität? Um eine gedeihliche Entwicklung nach innen zu ermöglichen, müssten Strategien für eine höhere bauliche Dichte in Ortsplanungen einfliessen. Die Gemeinden hätten weiterhin einen grossen Handlungsspielraum, wie die Strategien für Wädenswil und Oberwil deutlich machten, so Suter. Zu ana- Erbprinz Alois fordert mehr Eigenverantwortung Liechtensteins Staatsfeiertag im Zeichen internationaler Unsicherheiten Mitten im Zweiten Weltkrieg führte Liechtenstein vor 75 Jahren seinen Staatsfeiertag ein. Beim offiziellen Staatsakt am Samstag sind traditionelle Werte beschworen worden. Günther Meier, Vaduz Liechtenstein macht keine einfachen Zeiten durch. Der internationale Steuer- und Regulierungsdruck zwang den Finanzplatz zu einem Transformationsprozess, die Wechselkursentwicklung drückt auf die Margen der Exportindustrie, die rückläufigen Steuereinnahmen verlangen vom Staat einschneidende Sparmassnahmen. Vor diesem Hintergrund bot das Jubiläum «75 Jahre Staatsfeiertag» eine gute Gelegenheit, an die damalige Opferbereitschaft der Bevölkerung zu erinnern, die in Ansätzen heute wieder notwendig wäre, um die Herausforderungen zu bewältigen. «Wir müssen wieder an uns glauben», betonte Erbprinz Alois beim Staatsakt zum Staatsfeiertag am Samstag. Man müsse hart arbeiten und nicht für alles nach dem Staat rufen, sondern Eigenverantwortung zeigen. Keine Angst vor der Zukunft Der Erbprinz wies darauf hin, dass Liechtenstein in den vergangenen 75 Jahren eine äusserst erfolgreiche Entwicklung durchgemacht habe. Das Fürstentum sei vom armen Bergbauernstaat zu einem der reichsten Länder mit einem hochentwickelten und breit diversifizierten Wirtschaftsstandort, aber auch vom Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland geworden. Dies sei nur möglich gewesen, weil die Bevölkerung bereit war, einen grossen Einsatz zu leisten. Diese Bereitschaft, so schimmerte in der Ansprache des Erbprinzen durch, wäre heute wieder notwendig, weil in den Zeiten des Wohlstandes der Druck nachgelassen habe, klare Prioritäten zu setzen. Neben mehr Eigenverantwortung forderte der Erbprinz dazu auf, sowohl den Staatshaushalt als auch die Sozialversicherungen auf eine finanziell nachhaltige Basis zu stellen, das Bildungssystem und die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft weiter zu verbessern. Mit Blick auf die frühere Generation, die sich mit kargen Mitteln für die Erhaltung der Souveränität und gegen den Anschluss an das Deutsche Reich erfolgreich eingesetzt habe, sollten die Liechtensteiner wieder lernen, mit weniger zufrieden zu sein, die Wünsche realistischer zu formulieren und den vorhandenen Möglichkeiten entsprechend anzupassen. Vor der Zukunft brauche niemand Angst zu haben, äusserte sich Erbprinz Alois voller Zuversicht, denn er sei überzeugt, dass Liechtenstein ein hochstehender Standort bleiben werde. Bei seiner Rückschau fügte der Erbprinz hinzu, dass es Liechtenstein gelungen sei, jeweils zum richtigen Zeitpunkt die Weichen richtig zu stellen. Allerdings seien diese Weichenstellungen nicht allein aus eigener Kraft gelungen, sondern mit Partnern oder aufgrund besonderer Entwicklungen. Konkret erwähnte Alois den 1923 mit der Schweiz abgeschlossenen Zollvertrag, den 1995 erfolgten Beitritt zum EWR und das Angebot zum internationalen Informationsaustausch in Steuerfragen 2009 mit lysieren und weiterzuentwickeln seien Aspekte wie die Rolle der Ortszentren, quartierspezifische Typologien, Strassen, das Wegenetz und die Freiräume. Dass dieses Vorgehen in kleinen, aber abgestimmten Schritten grosse Wirkung entfalten kann, macht folgende Rechnung deutlich, die der Raumplaner anstellt: Wenn pro Jahr zwischen 1 Prozent (heutiger Wert) und 2 Prozent (energiepolitisches Ziel) der Bauten saniert werden, ist bis in 25 Jahren ein Viertel bis die Hälfte des heutigen Bestandes saniert. Werden dabei durch An- und Umoder Ersatzneubauten zusätzliche Wohnungen geschaffen, was energetisch und ökonomisch sinnvoll ist, ergeben sich enorme Potenziale. Bei den Regelwerken zur Entwicklung nach innen geht es laut Beat Suter darum, Spielräume und Zielvorgaben der angestrebten Bauweise praxisorientiert zu definieren. Den grössten Knackpunkt sieht er im Bedürfnis nach Ermessens- und Verhandlungsspielräumen: Die neuen Regeln müssten sich deshalb situativ anwenden lassen. An Ecken könnte zum Beispiel höher gebaut werden als im Rest des Quartiers. Zudem sollten vermehrt parzellenübergreifende Lösungen angestrebt werden. der «Liechtenstein-Erklärung». Doch hätten sich trotzdem die globalen Rahmenbedingungen verändert. Zu schaffen machten der Exportindustrie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wichtiger Absatzmärkte sowie die ungünstigen Wechselkurse, während der Finanzplatz von der internationalen Regulierungsflut getroffen werde. Es drohen Verlagerungen Zu den veränderten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft äusserte sich auch der Regierungschef Adrian Hasler. In einem Interview mit dem «Liechtensteiner Volksblatt» zum Staatsfeiertag bezeichnete er den Zugang zu den beiden Wirtschaftsräumen Schweiz und EWR als ein zentraler. Dennoch überlegten sich international tätige Unternehmen, ob weiter in Liechtenstein investiert oder Teilbereiche ins Ausland verlegt werden sollen. Für den Standort Liechtenstein sprächen aber immer noch die stabilen politischen Verhältnisse, die liberale Wirtschaftspolitik mit tiefen Steuern sowie die effiziente Verwaltung, die rasch reagieren könne. Mehr Geld für das Asylwesen Deutlich gestiegener Finanzbedarf (sda) Der Bundesrat wird dem Parlament einen weiteren Nachtragskredit für das Asylwesen in der Höhe von 188 Millionen Franken beantragen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Schweiz mehr Asylgesuche gestellt werden. Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) bestätigte am Sonntag eine entsprechende Meldung der «NZZ am Sonntag». Im ersten Halbjahr 2015 stellten 16 Prozent mehr Personen ein Asylgesuch als im ersten Halbjahr 2014. Insgesamt erwartet das Staatssekretariat für Migration für dieses Jahr rund 29 000 Asylgesuche. Das laufende Budget für das Jahr 2015 war noch von 22 000 Gesuchen ausgegangen. Definitiv entschieden über den Nachtragskredit werde im Herbst, heisst es. Bereits im Juni hatte das Parlament einen Nachtragskredit von 44,2 Millionen Franken gesprochen. In der «Schweiz am Sonntag» forderte FDP-Präsident Philipp Müller eine Neuausrichtung der Asylpolitik. Es müsse etwa vermehrt der Schutzbedürftigen-Status angewandt werden, der den Bezug von Sozialhilfe verunmögliche.
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