Deutsch sowjetische Beziehungen im Spiegel der Wahrnehmungen

SOWI-ARBEITSPAPIER
NR. 68
Sabine Collmer
Georg-Maria Meyer
Hanne Isabell Schaffer
„BEGEGNUNGEN" DEUTSCH-SOWJETISCHE BEZIEHUNGEN IM
SPIEGEL DER WAHRNEHMUNGEN
VON OFFIZIEREN DER EHEMALIGEN NVA
München, August 1992
2
Inhaltsübersicht
1.
Gegenstand, Ziel und Absicht der Untersuchung
2.
Methodologische und methodische Anmerkungen
3.
Vorgehensweise
4.
Beschreibung der Stichprobe
5.
5.1
5.2
5.2.1
5.
Ergebnisse
Zur Darstellung der Befunde
Deutsche Offiziere in der Sowjetunion
"Zum Militärberuf berufen gefühlt" Zu den Motiven und Auswahlverfahren für ein Studium in der Sowjetunion
"Studenten in Uniform" Zu den Studien- und Lebensbedingungen
"Eine deutsche Offiziersfrau haut nichts vom Hocker" Zum Familienleben
an den Standorten
Sowjetische Streitkräfte in Deutschland
"Einmal im Jahr fürs Fernsehen inszeniert" Zur Wirklichkeit sozialistischer
Waffenbrüderschaft
"Für die gehts ums Überleben" - Zu den Folgen des Umbruchs
Wechselseitige Perzeptionen "der Russen" und "der Deutschen"
Gesellschaft und Militär in der Sowjetunion
"Offizier zu sein, das war etwas" Zur Stellung des Militärs in der Sowjetunion
"Die brauchen eine Art Väterchen Zar" - Zur Einschätzung sozio-politischer
Entwicklungen
Zusammenfassung und Bewertung
7.
Anmerkungen
5.2.2
5.2.3
5.3
5.3.1
5.3.2
5.4
5.5
5.5.1
5.5.2
3
1. Gegenstand, Ziel und Absicht der Untersuchung
Die enge Verflechtung und Kooperation der Nationalen Volksarmee mit den anderen
Staaten der Warschauer Vertragsorganisation, in Sonderheit aber mit der Sowjetunion,
brachte ein Offizierkorps hervor, das über spezifische Kenntnisse und Verbindungen zu
den Armeen Osteuropas verfügte. Ein Teil dieser Offiziere dient nunmehr in der Bundeswehr. Ihre in vielfältigen Begegnungen mit den Streitkräften des Warschauer Paktes
gesammelten Erfahrungen sind Gegenstand der vorliegenden Studie.
Sie verfolgt das Ziel, vor allem die zum Teil vielfältigen sozialen Kontakte zwischen Soldaten der Nationalen Volksarmee und ihrer Familien zu ihren damaligen Verbündeten
aus der Perspektive daran beteiligter deutscher Offiziere zu beschreiben.
Absicht der Untersuchung ist es, die Erfahrungen dieses Personenkreises über das Zusammenwirken und Zusammenleben mit Menschen Osteuropas daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus Folgerungen im Hinblick auf die Ausgestaltung der künftigen
Beziehungen zwischen Ost und West, insbesondere für die Soldaten der Bundeswehr,
ableiten lassen.1
Anders gewendet: Das Anliegen der Studie besteht darin zu überprüfen, ob und gegebenenfalls wie die Erfahrungen von ehemaligen Offizieren der Nationalen Volksarmee
dazu beitragen können, die Gräben des Kalten Krieges zu überwinden und einen Brückenschlag zwischen den verschiedenen Völkern der ehemaligen WarschauerVertrags-Staaten und der Bundesrepublik Deutschland zu fördern.
2. Methodologische und methodische Anmerkungen
Die Festlegung der konkreten Forschungsfrage (Was soll in Erfahrung gebracht werden?) hat zugleich immer auch erheblichen Einfluß auf die Forschungsperspektive (Von
welchem theoretischen Ansatz wird ausgegangen? Welche Methoden sind angemessen? Welche Ressourcen sind erforderlich?). Die vorliegende Arbeit orientiert sich dabei
an den erkenntnistheoretischen Prämissen, daß soziale Wirklichkeit durch Kommunikation und Interaktion von Menschen konstruiert wird und sich Über die Rekonstruktion
intersubjektiver Deutungsmuster erschließt. Basisstrategien zu ihrer wissenschaftlichen
Erfassung sind Deskription und Exploration; dies gilt vor allem dann, wenn der zu erforschende Sachverhalt weitgehend unbekannt und komplex erscheint.
Als besonders geeignetes Instrument zur Aufklärung "kollektiv ausgehandelter" Sinnzuschreibungen sowie zur Erklärung und zum Verständnis komplexer Zusammenhänge
wird die Gruppendiskussion betrachtet. Ihr Hauptwert bei individuenbezogenen Erkenntnisinteressen liegt in der Exploration; ihre eigentliche Stärke ist die Erhebung von Gruppenmeinungen und kollektiven Typisierungen. "Diese werden gleichsam arbeitsteilig
vorgetragen. Die Sprecher bestätigen, ergänzen, berichtigen einander, ihre Äußerungen
bauen aufeinander auf; man kann manchmal meinen, es spreche einer, so sehr paßt ein
Diskussionsbeitrag zum andern... Die Gruppenmeinung ist keine Summe von Einzel2
meinungen, sondern das Produkt kollektiver Interaktionen. "
Voraussetzung ist, daß die einzelnen Teilnehmer in ähnlicher Weise von der zu diskutierenden Fragestellung betroffen sind, so daß eine hinreichende Gemeinsamkeit des Bezugsrahmens der Gesprächsrunde gewährleistet wird. Dahinter steht die Auffassung,
daß in derart zusammengesetzten Diskussionsgruppen kollektive Einstellungen deutlich
werden, die nicht erst in der Gesprächssituation entstehen, sondern als konjunktive Er3
fahrung auf der Grundlage gemeinsamer Erlebniszusammenhänge aus dem Alltag in
die Diskussion "mitgebracht" werden. Daher kann ein Anspruch auf hohe Validität erho4
ben werden. Damit ist nicht gemeint, daß Erlebnisprozesse und deren Darstellung in
Gruppendiskussionsverfahren nach den Kriterien "wahr" und "unwahr", "falsch" oder
"richtig" beurteilt werden können, sondern im Hinblick auf den Grad ihrer Authentizität.
Als Indikator zu ihrer Bewertung wird die Dichte der kollektiven interaktiven Darstellung
der Erfahrungen im Verlauf der Diskussion herangezogen.
In diesen Zusammenhang müssen auch Diskrepanzen und interne Widersprüche der an
der Diskussion Beteiligten eingeordnet werden. Sie verweisen darauf, daß auch inner-
4
halb eines kollektiv geteilten Orientierungsrahmens unterschiedliche Wahrnehmungen
möglich sind.
Der heuristische Wert von Gruppendiskussionsverfahren hängt wesentlich von der spezifischen Gruppenzusammensetzung ab; vor allem von der thematischen und sprachlichen Kompetenz der Beteiligten, ihrem individuellen Erfahrungshintergrund und ihrer
Bereitschaft, sich im Rahmen einer Forschungsveranstaltung offen zu äußern. Schließlich spielt auch das Geschick/die Kompetenz der an der Diskussion beteiligten Wissen5
schaftler/innen eine Rolle.
3. Vorgehensweise
Nach der Bestimmung des Erkenntnisinteresses und - methodologisch begründet - der
Vorgehensweise ging es darum festzulegen, wer von den aus der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr übernommenen Soldaten für das Forschungsvorhaben in Frage
kam und ihn für eine Teilnahme an dem Projekt zu gewinnen. So wurden zunächst alle
Kommandobehörden des Korps und Territorialkommandos angeschrieben und gebeten,
Offiziere zu benennen, die über fundierte Erfahrungen im Umgang mit den Streitkräften
des ehemaligen Warschauer Paktes verfügten. 64 Soldaten aus Heer, Luftwaffe und
Marine wurden gemeldet; an sie ergingen dann persönliche Einladungen. 33 Offiziere
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sagten ihre Mitarbeit zu.
Die Zusammenziehung der Teilnehmer erfolgte im Juli 1992. Bei einer ersten Gesamtzusammenkunft wurden die Mitarbeiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bun7
deswehr vorgestellt , gleichzeitig ein Einblick in den Auftrag und die Arbeitsweise des
Instituts vermittelt. Anschließend wurden vier Gesprächsrunden gebildet, deren Zusammensetzung - so weit möglich - eine gemeinsame organisatorische Zugehörigkeit berücksichtigte; Offiziere aus demselben Verband wurden also derselben Diskussionsrunde zugeordnet. Die Gespräche wurden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, jeweils am
Vormittag und am Nachmittag, durchgeführt. Von seiten des Sozialwissenschaftlichen
Instituts nahmen drei Wissenschaftler/innen daran teil.
Jeweils zu Beginn einer Gesprächsrunde wurde noch einmal kurz auf die Zielsetzung
der Veranstaltung hingewiesen und die Erlaubnis eingeholt, die Diskussion auf Tonband
mitzuschneiden. Gleichzeitig wurde unterstrichen, daß die Auswertung der Bänder ausschließlich durch die beteiligten Wissenschaftler/innen erfolgen würde; die Gewährleistung der persönlichen Anonymität der Befragten wurde zugesichert.
Die Gespräche dauerten im Durchschnitt etwa vier Stunden. Die bewußt offen gehaltene
Struktur der Diskussion wurde im wesentlichen durch die Teilnehmer selbst bestimmt.
Als Einstieg in die Thematik diente die Bitte an die Offiziere, kurz ihren bisherigen Lebenslauf zu schildern. Begründet wurde dieser Vorschlag damit, auf diese Weise könnten sich die Wissenschaftler/innen ein erstes Bild von ihren Gesprächspartnern machen,
bekämen erste Hinweise auf Art und Umfang ihrer bisherigen thematisch relevanten
Erfahrungen und erhielten einen Anhalt, um die späteren Aussagen besser einordnen
und verstehen zu können. - Die Erzählung der eigenen Biographie an den Anfang der
Gesprächsrunde zu stellen, hatte daneben noch weitere Gründe. So sollte bereits von
Anfang an deutlich werden, daß ein Gespräch intendiert war, an dem die intensive Beteiligung aller nicht nur möglich war, sondern gewünscht und erwartet wurde. Dieser
Einstieg eignete sich darüber hinaus vorzüglich zum Abbau eventueller Erzählhemmungen und half dazu mit, Mikrofon und Tonband rasch vergessen zu lassen.
Auch wenn auf eine detaillierte vorausgehende inhaltliche Strukturierung der Diskussionsrunde zugunsten eines flexiblen Gesprächskonzepts verzichtet worden war, um
mögliche Perspektivenverengungen und thematische Präjudizierungen zu vermeiden,
zeichnete sich doch relativ rasch in den Gesprächen ein gewisses Muster ab. Es entstand in einem interaktiven Prozeß aller an der Diskussion Beteiligten bei dem gemeinsamen Bemühen, den gesamten Gesprächsstoff in irgendeiner Form überschaubar zu
machen.
5
So schälten sich bestimmte, in allen Gesprächen wiederkehrende Themenfelder heraus,
die sich im wesentlichen an den jeweiligen Erfahrungskontexten und den dazugehörigen
Zeitachsen festmachen ließen (Vgl. dazu: 5.1.)
Die auf Tonbändern festgehaltenen Diskussionsrunden mußten nunmehr zu Gesprächsprotokollen verarbeitet und so aufbereitet werden, daß sie im weiteren Verlauf
des Untersuchungsprozesses einer systematischen Analyse unterzogen werden konnten. Dazu mußte die Fülle des Materials geordnet und handhabbar gemacht werden. Als
"Ordnungsfolie" wurde das thematische Raster genutzt, das sich in den Gesprächsverläufen herausgebildet hatte.
Die so erhaltenen Gesprächsprotokolle wurden nunmehr einer vergleichenden Analyse
unterzogen, die darauf zielte, die erhobenen Befunde auf Gemeinsames und auf immer
wieder auftauchende, wenn auch variierte "typische Konfigurationen" zu untersuchen.
Das angewandte Verfahren läßt sich bildhaft etwa so beschreiben: Die in den Diskussionsrunden von den jeweiligen Teilnehmern interaktiv zusammengetragenen Beschreibungen wurden jeweils auf einer durchsichtigen Folie eingezeichnet. Dann wurden die
einzelnen Bilder Übereinander gelegt, so daß sich ein gemeinsames Abbild ergab und
übergreifende Strukturen deutlich wurden.
4. Beschreibung der Stichprobe
An der Befragung nahmen 33 Offiziere der ehemaligen NVA im Rang Leutnant bis O8
berstleutnant (bzw. entsprechende Dienstgrade der Marine) teil. Alle bis auf einen dienen auf Zeit in der Bundeswehr (Z 2) und haben sich um die Übernahme als Berufssoldaten beworben.
Tabelle 1 zeigt die Verteilung der Dienstgrade in der früheren NVA und in der heutigen
Bundeswehr. Im Zuge der Dienstgradanpassung erfolgte bei den Stabsoffizieren eine
Rückstufung - in der Regel um einen Rang.
Tabelle 1: Verteilung der Gesprächsteilnehmer nach Dienstgradgruppen
Nationale Volksarmee
Bundeswehr
Leutnant
1
1
Hauptmann/Kapitänleutnant
1
11
Stabsoffizier
31
21
Insgesamt
33
33
Die Gesprächspartner repräsentieren erhebliche militärische Erfahrungen; im Durchschnitt verfügen sie über ca. 22 Dienstjahre. Dem Heer gehörten 25, der Luftwaffe vier
und der Marine ebenfalls vier Offiziere an.
Ihr Lebensalter liegt zwischen 30 und 53 Jahren. Die weitaus meisten (28) von ihnen
sind verheiratet; der größte Teil hat Kinder. Als geschieden bzw. getrennt lebend von
ihrem Ehepartner bezeichnen sich drei Offiziere; einer ist ledig. Einer der Befragten
machte keine diesbezüglichen Angaben.
Wesentliche Grundlage ihrer Erfahrungen im Umgang mit Angehörigen der Warschauer-Vertrags-Staaten sind vor allem langjährige Aufenthalte an Militärakademien in der
UdSSR. 27 Offiziere haben dort eine Offizierhochschule und/oder eine Militärakademie
und/oder sogar eine Generalstabsakademie besucht (siehe dazu Tabelle 2). Sechs Offiziere rekurrieren "nur" auf ihre Erfahrungen im Umgang mit der Gruppe sowjetischer
Streitkräfte in Deutschland.
6
Tabelle 2:
Verteilung der Akademieabsolventen unter den befragten Offizieren nach
Art der besuchten Lehreinrichtung
Offizierhochschule
Militärakademie
Generalstabsakademie
Anzahl der Absolventen
6
24
2
Acht Offiziere sind derzeit in Linienfunktion als Zugführer, Kompaniechefs o.ä. eingesetzt, 25 machen dagegen in Stabsfunktionen auf verschiedenen Kommandoebenen
Dienst.
5.
5.1
Ergebnisse
Zur Darstellung der Befunde
Die Darstellung der Ergebnisse spiegelt in zweifacher Weise die Gesprächsverläufe wider: Zum einen werden von den Teilnehmern betonte Aspekte auch bei der Aufbereitung
der Befunde hervorgehoben, zum andern wird der interaktiv erarbeiteten Ordnungslogik
gefolgt.
So wird zunächst beschrieben, auf welche Art von Erfahrung unsere Gesprächspartner
bei ihren Beiträgen zurückgreifen. Zuvorderst wird dabei auf die Studienjahre in der
Sowjetunion eingegangen, die im Leben der Befragten und in ihren Schilderungen einen
besonderen Stellenwert besitzen. Ihre Motive, Erwartungen und Vorerfahrungen werden
ebenso dargestellt wie die konkreten Rahmenbedingungen vor Ort. Angesichts der hohen Stationierungsdichte sowjetischer Truppen in Ostdeutschland und aufgrund ihres
Charakters als Bündnisarmee gab es zahlreiche Berührungspunkte zwischen sowjetischen Streitkräften und der Nationalen Volksarmee. Entsprechend ausgeprägt waren
die Möglichkeiten, Erfahrungen mit den sowjetischen Verbündeten in der damaligen
DDR zu machen.
Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungsräume werden deutsche und sowjetische Perzeptionen, Meinungen und Einstellungen deutlich im Hinblick auf das Verhältnis von Militär und Gesellschaft, auf Norm und Wirklichkeitsgehalt der "Waffenbrüderschaft" und
auf die erwarteten sozio-politischen Entwicklungen in der immer stärker auseinanderdriftenden Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, in welche die einstige Sowjetunion bereits zerfallen ist. Aber auch die soziale Dimension wird erkennbar: Welche nachhaltigen
Eindrücke die Begegnungen mit den Menschen der ehemaligen Sowjetunion bei den
Befragten hinterlassen haben.
Bei der Darstellung der Befunde kommen häufig unsere Gesprächspartner selbst zu
Wort. Ihre Sprache ist oft besser als die bloße wissenschaftliche Diktion geeignet, die
Distanz zur Wirklichkeit möglichst gering zu halten. Diese Form der Darstellung unterstreicht außerdem die enge Verzahnung von empirischer Erhebung, Gesprächsauswertung und vergleichender Analyse; sie bleibt auf diese Weise nicht nur eine metho9
dologische Forderung , sondern wird ernst genommen. Zudem gelingt es vielleicht so,
etwas von dem persönlichen Engagement und der Offenheit zu vermitteln, durch die alle
10
Diskussionsrunden wesentlich gekennzeichnet waren.
5.2
5.2.1
Deutsche Offiziere in der Sowjetunion
"Zum Militärberuf berufen gefühlt" - Zu den Motiven und Auswahlverfahren
für ein Studium in der Sowjetunion
Ein Auslandsstudium für Offiziere der NVA in der Sowjetunion war grundsätzlich auf
zwei Wegen möglich. Zum einen konnten sich Offizieranwärter unmittelbar nach dem
Abitur an eine sowjetische Offizierhochschulebewerben, zum anderen existierten Mili11
tärakademien , die Hochschulabsolventen mit mehrjähriger Truppenerfahrung ein weiterführendes Studium mit waffenspezifischer, operativ-taktischer Grundausrichtung anboten.
Offizierhochschulen konnten auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR besucht werden. Sie stehen in der Tradition von Offizierschulen, die im Rahmen der Bildungsreform
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am Beginn der 70er Jahre in den Status von Hochschulen erhoben wurden. Die studierenden Offiziere schlossen diese drei bis vier Jahre umfassende Ausbildung als Hochschulingenieure ab. In den 80er Jahren verliehen diese Hochschulen auch Diplome; Absolventen früherer Jahrgänge konnten diesen formalen Diplomtitel nachträglich erwerben. Nach Einschätzung der Gesprächsteilnehmer hatte das Studium an einer sowjetischen Offizierhochschule den entscheidenden Vorteil, bereits gute sprachliche Ausgangsbedingungen für ein später avisiertes Studium an einer Militärakademie zu erwerben. Das Ausbildungsniveau sowjetischer im Vergleich zu inländischen Offizierhochschulen wird als weitgehend äquivalent eingeschätzt.
An eine sowjetische Militärakademie konnten sich nur Offiziere bewerben, die ein Studium an einer Offizierhochschule bereits abgeschlossen hatten. Zusätzlich war die Befürwortung dieser Bewerbung durch den zuständigen Vorgesetzten vonnöten. In einigen
Fällen korrespondierten die individuellen Bewerbungen und die von der militärischen
Führung vorgeschlagenen Bewerbungen, manche Anträge wurden von der militärischen
Führung blockiert, und einige Bewerber wurden explizit zu einer Bewerbung ermuntert.
Der Besuch einer Militärakademie bzw. einer Generalstabsakademie bereitete nach den
Ausführungen der Gesprächsteilnehmer auf Führungsaufgaben auf höchster Ebene vor.
Im Vordergrund eines Akademiestudiums stand also eine operativ-taktische Ausbildung,
die für Organisations- und Planungsaufgaben auf Stabsebene prädestinierte.
Die Auswahlverfahren für das Studium an einer sowjetischen Offizierhochschule bzw. an
einer sowjetischen Militärakademie werden als äußerst rigide dargestellt.
An eine Offizierhochschule wurden pro Offizierjahrgang aus etwa 60 vorausgewählten
Bewerbern jeweils fünf entsandt. Als Auswahlkriterien galten die Abiturnote, sportliche
Leistungen und die "politische Sauberkeit". Im Vorfeld der Bewerbung fanden auch Gespräche mit einem Personaloffizier statt, der Probleme im sozialen Umfeld klären sollte.
Zudem schaltete sich das Ministerium für Staatssicherheit bei Bewerbergesprächen ein.
"Wer einen Sack voll Westverwandtschaft hatte, also der fiel da raus, da wollen wir gar
nicht drumherumreden ...“
Zusätzlich bildete der Familienstand der Bewerber eine Rolle, d.h. in der Regel hatten
nur unverheiratete Bewerber eine Chance.
"Wir konnten ja nicht verheiratet sein, weil es ja drüben keine Wohnung gab, höchstens
es hat sich dort einer fangen lassen und also eine Russin geheiratet, dann hat er ‘ne
Wohnung, Zimmerchen außerhalb gekriegt."
Bei der Bewerbung an eine Militärakademie war die persönliche Bewerbung und eine
entsprechende Beurteilung dienstlicher Leistungen vonnöten.
"Also ich sag's jetzt mal salopp, ein bißchen "Power" mußte der schon haben, wenn er
da hin wollte."
Pro Offizierjahrgang gingen 5 –10 % an eine Akademie, das entsprach acht bis zehn
Mann. In den 80er Jahren waren diese Zahlen stark rückläufig, so daß dann nur noch
Studiengruppen von etwa fünf Mann zustandekamen. Nach der befürworteten Bewerbung erfolgte eine Art Aufnahmeprüfung, schriftlich in den Fächern Sport, Mathematik
und Russisch und mündlich in operativ-taktischen Fragen und in Gesellschaftswissenschaften. Da die Bewerbungsvorbereitungen neben dem Dienstalltag herliefen, verweisen einige mit um so größerem Stolz auf ihren Aufnahmeerfolg.
" Also alle haben das ja nicht geschafft, das muß man doch hier mal sagen, da gab es
welche, die diesen Weg nicht gegangen sind, die das nicht geschafft haben; der hat den
Weg nach Dresden gewählt und obwohl er das zehnmal wollte, weil die Trauben doch
recht hoch hingen."
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Die überwiegende Mehrheit der Gesprächsteilnehmer hatte die Bewerbung an eine Militärakademie sehr gezielt betrieben, einige wenige geben an, von ihren Vorgesetzten
gedrängt worden zu sein.
Als zentrale Motive, sich an eine sowjetische Militärakademie zu bewerben, werden das
berufliche Fortkommen und das hohe soziale Prestige eines entsprechenden Abschlusses genannt. Zum Teil wird auch auf das gänzliche Fehlen vergleichbarer Ausbildungsmöglichkeiten innerhalb der ehemaligen DDR verwiesen und auf den generellen Reiz
eines Auslandsstudiums, das nicht zuletzt eine Unterbrechung des Dienstalltags bedeutete.
Einige Teilnehmer sahen im Besuch einer Sowjetakademie erst die Möglichkeit, aus ihrem weithin überblickbaren Offizierdasein einen "Lebensberuf mit Perspektiven" zu machen.
"Als Offizier hat man auch gewisse Ideale ... Gerade die Frunseakademie in Moskau ...
da wußte man, das ist der Hort der Militärwissenschaften, das Höchste, was man erreichen konnte ... die Russen können nicht viel, aber Kriege führen konnten sie schon seit
ihrer frühesten Geschichte."
"Mit einem Akademieabschluß (UdSSR) war es im wesentlichen leichter, entsprechende
Dienststellungen zu erreichen."
"Das Absolventen-Abzeichen einer sowjetischen Militärakademie ... das war so'n rotes
Dreieck, da hieß es immer, das ist praktisch wie ein Vorfahrtszeichen, die wurden also
klar bevorzugt."
In das Motivspektrum zum Besuch einer sowjetischen Militärakademie gehörte sowohl
deren Wertschätzung als Ort hoher professioneller militärischer Standards als auch das
zum Teil exklusive Angebot der Weiterqualifizierung für spezifische Waffengattungen.
"Also bezogen auf die Fernmeldetruppe war ein Studium hier in der DDR, ich will nicht
sagen, nicht möglich, vor allem aber nicht sinnvoll ... Da es mein Ziel war, mich weiter zu
qualifizieren, also auf die Kommandeurslinie hin, gab es gar keine andere Möglichkeit
für mich."
"Fast alle Militärakademien für spezielle Waffengattungen befanden sich in der UdSSR,
so daß man wußte, wenn man weiterkommen wollte, dann muß man da hin."
Die besseren Karriereaussichten, die aus einem Aufenthalt an einer sowjetischen Militärakademie resultierten, werden auch explizit mit dem hohen Sprachvermögen verknüpft.
"Ab einer bestimmten Führungsebene, das darf man ja nicht vergessen, war die Kommandosprache Russisch, und wer da ein bißchen blaß aussah, der kam auch nicht
weiter. Vorschriftenlage war das nicht, aber Realität."
Bei der Erläuterung der Motive, ein Studium an einer sowjetischen Militärakademie aufzunehmen, tritt jenseits der sehr wohl antizipierten schlechten materiellen Versorgungslage vor Ort und sozialen Probleme im privaten Umfeld eine starke Berufszentriertheit
individueller Lebenskonzepte bei den Offizieren hervor. Bei einigen korrespondiert das
hohe subjektive Berufsethos mit einem ausgesprochenen Elitedenken. Andere kolportieren dagegen mehr ihren damaligen "jugendlichen Idealismus" als zusätzliches Motiv
nach außen.
"Wir haben das auch mit anderen Kameraden besprochen ... wir fühlten uns in diesem
Beruf berufen und zum Spezialisten bestimmt, ein jeder in seiner Waffengattung ... "
"Man gehörte ja letztlich zu den von der Personalführung Auserwählten, und der weitere
berufliche Werdegang war dadurch automatisch so programmiert, daß man immer mehr
Verantwortung bekam ... Außerdem lockte der Reiz des Auslandes, so daß materielle
Einbußen ganz hinten anstanden bei der Motivation."
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"Sie wurden ja in der NVA von Anfang an zum Idealismus erzogen und nicht zum Materialismus. Damit hing das vielleicht auch ein bißchen zusammen, daß das Finanzielle
nicht so zählte. Sie wollten ja vor allem Zufriedenheit in ihrer Arbeit finden, und das hieß
auch weiterkommen ... "
Die Befragten heben hervor, daß ein Offizier der Bundeswehr bei einer ähnlichen Verwendung im Ausland im allgemeinen finanziell sehr gut abschneidet, während dagegen
NVA-Offiziere stets erhebliche finanzielle Nachteile hinnehmen mußten.
Maß Sie das Motiv nicht verkennen: Also bei der Bundeswehr läuft das anders, hab ich
mitbekommen. Mein Chef, ein Wessi, sagt zu mir: 'Na, da haben Sie wohl einen Haufen
Knack gemacht da drüben ... ' Er hatte also ganz andere Versorgungsgrößen im Kopf.
Was haben wir bekommen? Nicht einen Pfennig außer dem ganz normalen Sold, der
wurde in Rubel ausgezahlt."
5.2.2 "Studenten in Uniform" - Zu den Studien- und Lebensbedingungen
Die Lebensbedingungen vor Ort variierten nach Standort und Zeit des Studienaufenthalts. So wird die Versorgungslage in Kiew oder Moskau als relativ stabil und gut eingeschätzt, während an anderen Akademieorten ständig Engpässe bei der Versorgung mit
Gütern des täglichen Bedarfs entstanden. Eine dramatische Zuspitzung der Versorgungsengpässe war vor allem in den späten 80er Jahren spürbar.
Zu den wichtigsten praktischen Vorbereitungen der Akademiebewerber zählte die interne Informationsabfrage bei zurückgekehrten Absolventen und die kursierenden "Packlisten", die als detaillierte Artikellisten von Mangelware gelten konnten. Die Bewerber
stellten so für ihren persönlichen Bedarf bestimmte Warencontainer zusammen. Einige
Bewerber haben vor ihrer Abreise einen halbjährigen Sprachkursus in Russisch absolviert. Andere dagegen absolvierten ein Vorbereitungsjahr bereits vor Ort, in dem die
sprachliche Ausbildung zentral war.
Im ersten Jahr lebten die Akademieteilnehmer in der Sowjetunion allein, nach einem
Jahr konnte in der Regel die Familie nachziehen. Die Unterbringung erfolgte in Wohnkomplexen außerhalb des Akademiegeländes. In diesen Wohnblocks waren Studierende aller Nationen untergebracht. Zum Teil erfolgte eine Nationalitätenseparation auf
Stockwerksebene, zum Teil berichten die Teilnehmer, "dort bunt gemischt mit bis zu 23
Nationen gelebt zu haben." Jede nationale Gruppe von Studierenden wurde formal von
einem sog. "Nationalitätenältesten" nach außen vertreten, er war auch der Ansprechpartner für die Neuankömmlinge.
Die Bewerber von Offizierhochschulen lebten dagegen in der Regel kaserniert auf dem
Hochschulgelände und unterlagen strengen Ausgangsbestimmungen.
Sowohl die Militärakademien als auch die Offizierhochschulen wurden von Angehörigen
unterschiedlicher Nationen besucht, von Angehörigen der SU und des Warschauer
Pakts, von Angehörigen aus nicht-sozialistischen Ländern und den sog. "Exoten" aus
Afrika und Südamerika. Die Studiengruppen in den Offizierhochschulen wurden nationalitätenspezifisch separiert, an den Akademien dagegen wurden auch "gemischte Studiengruppen" gebildet.
Da an den Offizierhochschulen die technische Ausbildung im Vordergrund stand, bestimmte die in den jeweiligen Ländern vorhandene von der UdSSR gekaufte Waffentechnik die Zusammensetzung der Studiengruppe. In diesem Kontext wird ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis von seiten der sowjetischen Militärführung wahrgenommen.
"Die Russen hatten ein ungeheures Sicherheitsbedürfnis, auch gegenüber uns ... wir
wurden zwar dort ausgebildet am gleichen Waffensystem, aber das Neueste haben wir
auch nicht gesehen. Also es gab Geheimnisse, die wurden vor uns geheimgehalten."
Dieses "Sicherheitsbedürfnis" wurde nach Wahrnehmung der Teilnehmer von sowjetischer Seite durchaus nationalitätenspezifisch differenziert.
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„Bei einer Technik-Schau sind erst die Russen reingegangen und haben sich alles angeguckt. Dann war eine kleine Pause. Und wenn wir durchgingen, dann fehlte hier was
und da was und manches war abgedeckt. Und nach uns kamen die, die nicht im Warschauer Pakt waren, da war schon über die Hälfte weg, und am Schluß kamen die Kubaner und die anderen "Bunten", da stand dann kaum noch was da. "
Die ökonomische Situation eines NVA-Offiziers wurde durch den mehrjährigen Aufenthalt eher negativ beeinflußt, vor allem dann, wenn - wie im Falle der meisten Akademiebewerber - Erwerbsausfälle der Ehefrauen hingenommen werden mußten. Der ökonomische Hintergrund der Akademiebesucher war je nach nationaler Zugehörigkeit sehr
unterschiedlich. So waren polnische, tschechoslowakische und ungarische Lehrgangsteilnehmer vergleichsweise gut gestellt, während es den deutschen Offizieren
"relativ bescheiden ging." Erst nach der Währungsunion entwickelten sich die ökonomischen Verhältnisse zugunsten der deutschen Lehrgangsteilnehmer.
"Da verkehrte sich das mit der Rolle der Tschechen und Polen ins Gegenteil ... wie so
ein Ölscheich wurde ich auf einmal hofiert und herumgereicht."
Das tagtägliche Leben vor Ort wird übereinstimmend vor allem als von Organisationsund Beschaffungsarbeit gekennzeichnet geschildert. Vor diesem Hintergrund entstanden dann auch deutschsowjetische Netzwerke, die vorwiegend auf die Beschaffung und
den Austausch knapper Güter zielten. Diese spezifischen "Kontakte" wurden an neu
hinzugekommene Lehrgangsteilnehmer weitergegeben.
"Man muß ja bedenken, was einer so durchgemacht hatte, wenn er fünf Jahre dort war,
und es gab ja andere Standorte, die nicht Moskau hießen ... wir waren ja, also in meinem Fall zwei Drittel der Zeit mit Nahrungssuche beschäftigt, also nicht mit Einkaufen,
sondern regelrecht mit Nahrungssuche . . .“
Jenseits dieser "tauschwertorientierten Kontakte" boten sich für die Akademiebesucher
trotz bestehender Reglementierungen die Studien- und Wohngruppen als soziale Netzwerke an. Vor allem die sowjetischen Lehrgangsteilnehmer unterlagen rigiden Kontaktsperren.
"Die sowjetischen Hörer mit ihren Familien hatten direkten Befehl, sich von uns quasi
fernzuhalten. Sie hatten klare militärische Weisung, in persönlichen Kontakten Zurückhaltung zu üben."
An den Offizierhochschulen waren die sozialen Kontakte vor allem auf die übrigen deutschen Lehrgangsteilnehmer beschränkt. Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zur sowjetischen Zivilbevölkerung bestanden nur außerhalb der Ausgangssperren am Wochenende und an den sogenannten Tanzabenden.
"Man war ja in erster Linie zur Arbeit da, aber am Wochenende hat man schon versucht,
meist zusammen mit dem Kameraden, mit dem man auf Stube saß, sich Land und
Leute zu Gemüte zu führen. Und so wie das ist bei jungen Leuten, man findet ja leicht
Kontakt ... da hat man in dem einen Jahr reichlich Gelegenheit gehabt, in der Metro, im
Stadion ... ich hatte Kontakt zu Leuten, die mit Militär Überhaupt nichts am Hut hatten.
Manchmal sind daraus lebenslange Freundschaften geworden, manchmal blieb's bei
ein, zwei Kontakten."
Eine besondere Rolle wird den Beziehungen der Offiziere zu sowjetischen Frauen eingeräumt. Offensichtlich fiel es den meisten Militärstudenten leicht, entsprechende Bekanntschaften zu schließen; zumindest gab es teilweise sogar "offizielle" Möglichkeiten,
einander zu begegnen.
"Am Tanzabend ... da wurden die Kasernentore aufgemacht. Da kamen dann die Mädchen rein. Zuerst stand man da noch rum. Als Mann brauchte ich mich da überhaupt
nicht zu bemühen, da kamen schon drei Mädchen auf einen zu. Die einigten sich dann
... man wurde von denen ausgesucht. Viele waren direkt darauf aus, sich einen deutschen Offizier zu angeln."
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Während die Besucher von Offizierschulen im allgemeinen ledig waren, galt dies für die
Studenten der Militärakademien nicht mehr. Die meisten waren verheiratet; allerdings
gab es für die Ehefrauen und Familien oftmals erst nach einem Jahr die Gelegenheit, in
die Standorte ihrer Männer umzuziehen.
An den Akademien waren die Kontakte der Absolventen eines Jahrgangs untereinander
oft sehr eng. Der hohe Grad des Angewiesenseins aufeinander bewirkte ein starkes
Maß an Gruppenkohäsion. Bei einigen sind diese Kontakte zu den anderen Lehrgangsteilnehmern über Jahre hinaus erhalten geblieben. Erst durch die politische "Wende" und die jüngsten Dienstentlassungen haben sich viele aus den Augen verloren.
Kontakte zu Mitstudenten aus nicht-sozialistischen Ländern wie Afghanistan, Libyen, Syrien und dem Jemen waren dagegen von deutscher Seite offiziell untersagt.
strenge Abgrenzung zu den Offizieren aus den nicht-sozialistischen Staaten, z.B. zu den
Afghanen, Libyen, Syrien und dem Jemen waren dagegen von deutscher Seite offiziell
untersagt.
"Besonders schlimm empfand ich in dieser Zeit die befohlene und Syrern, mit denen wir
auf einer Etage Tür an Tür wohnten. Von ihnen gab es oft Einladungen, auch die Frauen
haben unsere Ehefrauen zum Kaffee eingeladen. Das war uns streng untersagt und mir
persönlich deswegen oft peinlich."
Die Kontrolle individueller Kontakte erfolgte durch mehr oder minder verdeckt auftretende Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Teilnehmer gingen mit diesen
bestehenden "soziale Barrieren" jeweils unterschiedlich um. In der Tendenz haben sich
die studierenden Offiziere in den 80er Jahren eher über die bestehende Vorschriftenlage
hinweggesetzt, während sich die Absolventen in den 70er Jahren eher normengerechter
und konservativer verhielten. Jedoch berichten auch einige Teilnehmer aus jener früheren Studienzeit, sich nicht "viel darum geschert zu haben".
"Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, daß man das natürlich auch sehr geschickt
umgehen kann. Ich hatte zu Polen, Tschechen und auch zu den sog. "verbotenen Nationen", zu Afrikanern und Arabern, zu den "Exoten" Kontakt. Ich habe mich regelrecht
darum bemüht. Weil, wenn man schon da ist, dann sollte man auch die Kontakte haben.
Da hat sich das Sprachproblem dann von ganz alleine geklärt."
Die Mehrheit der Befragten resümiert, daß ein offizielles Kontaktverbot zu Studierenden
der nicht-sozialistischen Staaten bis in die jüngste Zeit bestanden habe, daß aber die
soziale Duldung recht hoch gewesen sei. In den Wohnunterkünften von Akademieteilnehmern seien über "normale Akademiekontakte" hinausgehende private Beziehungen
nicht nur schwer vermeidbar gewesen, sie gehörten ganz selbstverständlich zum Alltag.
An den Akademien etablierten sich vielfach Lerngruppen, an denen auch sowjetische
Offiziere beteiligt waren. Allerdings blieb es bei einer gewissen Zurückhaltung bei offizielleren Anlässen. Insgesamt habe sich der "modus vivendi" vor Ort in den 80er Jahren
auf eine soziale Lockerung hin verändert.
Das Verhältnis zu den sowjetischen Dozenten wird allgemein als "kameradschaftlich",
aber privat distanziert gewertet. Diese Kontakte rissen in der Regel sofort nach dem
Verlassen der Akademie ab.
5.2.3. "Eine deutsche Offiziersfrau haut einfach nichts vom Hocker" - Zum Familienleben
an den Standorten
Die Ehefrauen der Offiziere, die sich an eine Militärakademie beworben hatten, fügten
sich den Schilderungen der Befragten zufolge relativ widerspruchslos in die hohen beruflichen Ambitionen ihrer Männer. Allerdings war allen Beteiligten bewußt, daß ein
mehrjähriger SU-Aufenthalt eine scharfe Zäsur im gewohnten Familienleben bedeutete
und neben den ökonomisch angespannten Lebensverhältnissen mit sozialen Anpassungsproblemen zu rechnen war.
12
"Grundsätzlich war das Problem mit der Familie, wenn der eine das machen will, muß
der andere zurückstecken. Es war nicht einfach. So war das auch bei mir und meiner
Frau."
In der Regel waren es dann auch die Frauen, die durch die Erwerbsunterbrechung zurücksteckten und mit der Aspiration auf ein reines Familienfrauendasein in die Sowjetunion nachreisten. Einer der Teilnehmer verweist auf größere Abstimmungsprobleme in
der Phase der Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt.
"Also bei mir ist das nicht so reibungslos verlaufen ... ich meine, ich kannte ja einige, die
das schon hinter sich hatten, und wir wußten, gerade als das bei uns anstand 179, daß
wir vieles nicht kaufen konnten im Verhältnis zu dem, was wir gewöhnt waren ... und als
diese Entscheidung bei mir fiel, da sagte meine Frau: Ich komm nicht mit, zu diesen Bedingungen nicht. Und wir haben uns verständigt, und ich habe gesagt, gut ich gehe, und
nach einem Jahr oder zwei, wenn die Verhältnisse danach sind, dann kommt sie nach."
Für die deutschen Offiziersfrauen ist nach überwiegender Einschätzung der Gesprächsteilnehmer die "soziale Anfangshürde" höher gewesen, wofür hauptsächlich die
mangelnde sprachliche Aus- bzw. Vorbildung verantwortlich gemacht wird. Allerdings
habe sich dieser anfängliche Rückstand im Sprachvermögen relativ rasch ausgeglichen,
da die Frauen bei der Versorgung des Haushalts und im Umgang mit Kindergärten und
Schulen auf ihre Kommunikationsfähigkeit angewiesen waren.
"Die Frau mußte ja einkaufen und sich in die Schlange stellen mit den anderen russischen Frauen und sich um die Wurst schlagen mit denen ... da muß man Russisch können, und da mußte sie wissen, was Wurst heißt, und sie mußte ein wenig fluchen können auf Russisch, um sich durchzusetzen."
Bei einer Bewerbung an eine sowjetische Akademie bestand rein formal weder ein Anspruch auf Familiennachzug noch auf eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz für die Ehefrau. Ausgleichszahlungen wurden in der Regel nicht gewährt. Im Vorfeld der Bewerbung führte dies nach Auskunft der Gesprächsteilnehmer häufig zu problematischen und
krisenhaften Auseinandersetzungen mit der Ehefrau. Die Mehrheit war zum Zeitpunkt
der Bewerbung verheiratet und hatte mehrere kleine Kinder. Einige verweisen mit einem
gewissen Stolz auf die soziale Robustheit ihrer Ehefrauen, die letztlich diese Jahre mit
ihnen "durchstanden". Diejenigen Frauen, die schließlich Arbeit fanden, fühlten sich
sichtlich wohler als andere, da sie über eigene soziale Netzwerke verfügten und auch
weniger mit Sprachproblemen konfrontiert waren.
"Für meine Frau, die bei der deutschen Botschaft arbeitete, war das so: der gesamte
Botschaftstrakt war ziemlich abgeriegelt. Dort hatten die Frauen keine Sprachprobleme,
da gab's einen deutschen Kindergarten, eine deutsche Verkaufsstelle. Es gab vier
Hochhäuser, da wohnten lauter DDR-Bürger drin. Das war also Klein-DDR in Moskau."
"Ich kenne keine Frau, die gesagt hätte, nein, das gefällt mir nicht und auch keine, die außer bei familiären Problemen vorzeitig abgereist wäre ... wir haben da schon ganz gut
gewählt."
"Also 'ne deutsche Offiziersfrau haut einfach nichts vom Hokker"
Erwerbsmöglichkeiten für die Ehefrauen vor Ort waren kaum vorhanden, weil prinzipiell
auf staatliche deutsche Institutionen beschränkt, die die DDR in der Sowjetunion unterhielt. Wenn die Ehefrau eine solche Stelle fand, konnte sie den Lebensstandard ihrer
Familie oft beträchtlich erhöhen, weil sie in der Regel mehr verdiente als ein Offizier.
Die Integration der Kinder verlief nach Angaben der Teilnehmer weitgehend problemlos.
Zugleich stellten die Kindergärten und die Schulen neben den Wohnblocks wichtige
Kontaktmöglichkeiten für die Ehefrauen dar.
"Wir haben in einem Hochhaus gewohnt ... mit 23 Nationen, und der Flur war bunt gemischt. ... Da gab es auch Feste bei uns im Hochhaus, und da wurde nicht schlecht gefeiert, alle kunterbunt durcheinander, und wenn die Kinder nicht heimkamen, dann
wußten wir schon, wo wir die zu suchen hatten, die steckten wieder bei den Mongolen,
13
die hatten die besten Süßigkeiten ... wir hatten überhaupt keine Probleme, mit den Völkern dieser Welt zusammenzuleben."
Einige der Teilnehmer haben während ihres Studiums an einer Offizierhochschule eine
Sowjetbürgerin kennengelernt und geheiratet. Diese Offiziere waren sehr stark in die
sozialen Strukturen vor Ort integriert gewesen und verfügen Über sehr detaillierte
Kenntnisse über nationalitätenspezifische soziale Norm und Wertvorstellungen sowie
soziale Verhaltensweisen.
Die Stabilität dieser "Misch-Ehen" wird nach allgemeiner Beurteilung als niedrig veranschlagt. So wurden nach Beobachtung der Teilnehmer viele dieser in der Sowjetunion
geschlossenen Ehen nach der Rückkehr in die DDR wieder geschieden.
5.3.
5.3.1
Sowjetische Streitkräfte in Deutschland
"Einmal im Jahr fürs Fernsehen inszeniert" - Zur Wirklichkeit sozialistischer
Waffenbrüderschaft
In der Zeit des Ost-West-Konflikts besaß die damalige DDR besondere geostrategische
und politische Bedeutung. Dies kam im einschlägigen Stationierungsvertrag zwischen
12
der DDR und der UdSSR ebenso zum Ausdruck wie in der Dislozierung und Stärke
der sowjetischen Truppen auf dem Gebiet der DDR. Die Gruppe der sowjetischen
13
Streitkräfte in Deutschland (GSSD) war die größte und galt als die am besten ausge14
rüstete Formation sowjetischer Truppen in Osteuropa. Die "unverbrüchliche Waffenbrüderschaft" zwischen der Nationalen Volksarmee und der Roten Armee stetig zu festigen war wesentlicher Bestandteil der Bündnisverpflichtung. Für den einzelnen Soldaten
der NVA war die Verpflichtung zur militärischen Kooperation mit den Armeen der sozialistischen Bruderstaaten Bestandteil des Fahneneides.
Das "Herstellen von Waffenbruderschaftsbeziehungen“ war eine normative politische
15
Vorgabe und wurde allenthalben gefordert , ihre Realisierung jedoch stieß auf vielfältige Probleme. Dafür gab es - folgt man den Erklärungen der befragten Offiziere eine
Reihe von unterschiedlichen Gründen, die sich aber in der Wirkung gegenseitig verstärkten.
Die Lage der sowjetischen Soldaten in der DDR war vorwiegend durch Isolation und
Ghettoisierung gekennzeichnet. Die Garnisonen waren weitgehend autark. Es arbeiteten
in den Kasernen keine deutschen Zivilangestellten, wie überhaupt Kontakte zur Bevölkerung eher die Ausnahme darstellten. Am ehesten gab es mitunter durchaus sehr enge
Beziehungen zu örtlichen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Sowjetische Soldaten wurden dorthin zur Mithilfe kommandiert; im Gegenzug erhielt das Regiment landwirtschaftliche Erzeugnisse, mit denen dann die mehr oder weniger stark
auftretenden Versorgungsengpässe überbrückt werden konnten.
Das Isolationsprinzip galt auch für die Familienangehörigen der sowjetischen Soldaten.
Sie bewegten sich überwiegend innerhalb der Garnison; sofern sich ihre Wohnungen
außerhalb des Kasernenzauns befanden, blieben sie auch dort unter sich.
"Die Kasernen waren abgeschottet; der Soldat durfte kaum Berührung mit den Deutschen haben. Der Ausgang war streng geregelt und fand gruppenweise unter Aufsicht
statt; das Verlassen des Standortes war verboten. Die Offiziere lebten mit ihren Familien
in einem abgekapselten Bereich, einem Ghetto."
Diese Selbstisolierung der sowjetischen Streitkräfte in der DDR - so wird angegeben sei politisch gewollt gewesen. Dies habe seinen Niederschlag in entsprechend restriktiven sowjetischen Vorschriften gefunden. Wesentlicher Hintergrund dafür sei das übersteigerte Sicherheitsdenken und der Drang der Sowjets zur übertriebenen Geheimhaltung gewesen.
"Auch wenn wir über das gleiche Waffensystem verfügten, so richtig was herzeigen
durften die nicht."
14
Daneben bestanden erhebliche Befürchtungen, daß durch zu enge Berührungen mit der
Bevölkerung mögliche Friktionen in die Truppe hineingetragen werden könnten.
"Es hatte den Anschein, daß diese Abkapselung auch dazu diente zu verhindern, daß
der sowjetische Soldat, der hier seinen Dienst versah, den Eindruck erhalten konnte,
daß das deutsche Lebensniveau höher war als das zu Hause, und unzufrieden wurde."
Der Gedanke der Waffenbrüderschaft war in erster Linie politisches Programm. Seine
Umsetzung hing vor allem von den beteiligten Personen vor Ort ab. Der Anstoß zur Realisierung von Begegnungen und gemeinsamen Veranstaltungen ging dabei im wesentlichen von seiten der NVA aus. Vergleichsweise problemlos lief der Kontakt auf offizieller
Ebene ab. Zwischen den Mannschaftsdienstgraden dagegen gab es kaum direkte Berührungen. Sofern sie nicht vermieden werden konnten, waren sie hoch formalisiert und
Überwacht. So wurden bei Begegnungen in sowjetischen Kasernen den Besuchern oftmals ausschließlich für diesen Zweck hergerichtete Räume präsentiert, und die sowjetischen Soldaten, die an solchen Begegnungen teilnahmen, erschienen oft regelrecht
verschüchtert und schwer zugänglich.
"Die sind vorher angetreten, und da haben die ihren Befehl gekriegt, wie sie sich zu verhalten hatten, und ab ging die Post ... Der russische Soldat sollte nicht erfahren, wieviel
unsere Soldaten verdienen, wie sie leben, wie sie befördert werden usw. "
Aber auch auf seiten der deutschen Wehrpflichtigen werden Barrieren konstatiert.
"Da war zum einen natürlich das Sprachproblem. Zum andern aber kam schnell so etwas wie Überheblichkeit bei unseren Grundwehrdienstleistenden auf, wenn sie zum
Beispiel den Wartungszustand der russischen Technik gesehen haben."
Überhaupt seien direkte Vergleiche zwischen den sowjetischen Streitkräften und der
Nationalen Volksarmee immer etwas problematisch gewesen. Die Ideologie habe die
prinzipielle Überlegenheit der Sowjetunion quasi festgeschrieben. Im konkreten Einzelfall jedoch war dieser Überlegenheitsanspruch oft nur schwer einzulösen.
"Ich habe oft genug erlebt, daß die Deutschen mit der russischen Technik besser umgehen konnten als die Russen selber. Das führte dann immer zu gewissen Mißstimmungen... Zu Anfang meiner Dienstzeit, in den siebziger Jahren, gab's ab und zu auch Vergleichswettkämpfe, also Vergleiche, in denen gleichwertige Waffensysteme in einer
Normzeit bearbeitet werden mußten... Und die Russen konnten nicht verlieren. Die waren dann immer böse, wenn wir gewonnen hatten - und wir haben meistens gewonnen...
Da kam es schon vor bei einem Wettkampf Batterie gegen Batterie, daß sie, wenn sie
verloren, ohne sich zu verabschieden vom Platz abfuhren... Und diese Vergleichskämpfe wurden dann auch von seiten der NVA abgesetzt, eben weil man diese
schlechten Erfahrungen gemacht hatte."
Als Ursache für das vergleichsweise geringere Leistungsvermögen der sowjetischen
Streitkräfte werden das zum Teil sehr unterschiedliche Bildungsniveau der Mannschaftsdienstgrade, deren multikultureller Hintergrund und massive Sprachprobleme angeführt.
"Der Kommandeur war ein Russe, vielleicht noch sein Stabschef und sein Aufklärer.
Dann waren ein paar Mongolen dabei, ein paar aus dem Kaukasus ... Die haben kein
Wort verstanden. Die haben morgens dagestanden wie die Morgenmuffel. Wenn der
Kommandeur morgens seinen Appell gemacht hat, dann hatten die einen Dolmetscher,
der das erst einmal übersetzt hat. Das ging nicht anders ... Es gab dort eine ganze Reihe von Leuten, die waren der russischen Sprache nicht mächtig; hinzu kamen regelrechte Analphabeten.'. Das führte auch unter den Wehrpflichtigen selbst zu einer ganzen Reihe von Problemen; Stichwort: Nationalitätenkonflikte. Dazu kamen Drogenprobleme, vor allem bei den Soldaten aus Armenien."
Eine Verbesserung der gegenseitigen Annäherung wurde auch dadurch erschwert, daß
die dienstlichen Rahmenbedingungen und das innere Gefüge der Streitkräfte sehr unterschiedlich ausgelegt waren.
15
"Die haben einen ganz strengen Ablaufplan, und der geht morgens um sechs Uhr los.
Die haben pro Tag nur 'ne halbe Stunde persönliche Freizeit ... Die kennen keinen
Samstag und keinen Sonntag, die haben rund um die Uhr Dienst gemacht. Was die den
Soldaten zumuten ... Die dürfen einmal im Jahr in Urlaub fahren. Sie schlafen oft mit
sechzig Mann in einem Schlafraum. Sie haben nur einen Hocker, auf dem sie ihre Ausrüstungsgegenstände ablegen können ... Abend wird geschlossen zum Schlafen eingerückt. Vor der Türe steht eine Wache."
Der spartanische Dienstalltag der sowjetischen Mannschaften wurde durch erhebliche
Defizite in der Menschenführung noch zusätzlich verschärft. Das innere Gefüge der
sowjetischen Streitkräfte wurde wesentlich durch eine Hackordnung aufgrund des
Dienstalters geprägt, d.h. die Lasten des Dienstes wurden weitgehend auf die dienstjüngsten Soldaten abgewälzt.
"Es gibt zwei große Gruppen in der sowjetischen Armee, das Offizierkorps und die große Gruppe der Mannschaften ... Das Verhältnis vom Offizier zum Wehrpflichtigen ist eigentlich gar keins. Der Wehrpflichtige ist nichts wert. Das ist das Material, das der Offizier zur Verfügung hat, um seinen Auftrag zu erfüllen, und Schluß!- Ein Korps längerdienender Unteroffziere ist praktisch nicht vorhanden, das wird aus den Wehrpflichtigen
rekrutiert. Rechte und Pflichten von Soldaten sind nur wenig geregelt. An die Stelle klarer Befugnisse tritt oft weitgehende Willkür, sei es in Fragen des Urlaubs oder bei der
Handhabung der Disziplinargewalt. "
Das gilt auch für die Personalführung in den Streitkräften und bezieht die Offiziere mit
ein. So werden aus dem eigenen Bekanntenkreis Beispiele geschildert, in denen sowjetische Offiziere ohne Begründungen von heute auf morgen Über Hunderte von Kilometern versetzt wurden, ohne daß sie Gelegenheit hatten, sich dazu zu äußern oder gar zu
widersprechen. (Straf-)Versetzungen waren ein gängiges Mittel zur Disziplinierung, das
um so mehr griff, als Deutschland ein begehrtes Stationierungsland war.
"Der Dienst in der DDR galt - vor allem im Vergleich zu dem in der UdSSR - als Privileg,
unter anderem wegen der besseren Infrastruktur und der besseren Versorgungslage ...
Wer aus der Reihe tanzte, wurde gnadenlos wieder zurück in die Sowjetunion geschickt.
Das traf sowohl für den einfachen Soldaten zu wie für den Unteroffizier und Offizier. Für den aber besonders. - Das Bestreben aber war und ist, heute sogar noch stärker
ausgeprägt, möglichst lange in Deutschland zu bleiben."
So vermied die sowjetische Seite nach Möglichkeit, auch nur in geringem Maße von
Normen und Vorschriften abzuweichen. "Nur nicht auffallen!" war die Parole.
Es ist daher nicht verwunderlich, daß Häufigkeit und Intensität der Begegnungen im
Rahmen der Waffenbrüderschaft im Laufe der Jahre ständig weiter abnahmen; ihr ideologischer Stellenwert dagegen blieb unverändert.
"Wenn das ein Kommandeur nicht kapiert hatte, daß die Waffenbrüderschaft einmal im
Jahr für's Fernsehen inszeniert wurde, sondern das für bare Münze nahm, also der wurde echt frustiert."
Kam es trotz aller Schwierigkeiten und Restriktionen doch zu Kontakten - meist dem Besuch von Offizieren der NVA beim "Regiment nebenan" - so entwickelte sich oft eine
ausgesprochen herzliche Atmosphäre, die häufig genug jedoch enge Grenzen hatte.
"Es fielen sofort die Jalousien, wenn's ins Private ging... Aber auch sonst gab es viele
Hindernisse. An gemeinsamen Ausflügen, sich mal die Gegend angucken oder gemeinsam Sport machen, daran waren die meisten höchst interessiert, wenn man sie reden
gehört hat. Aber wenn's dann zur Sache ging, dann ging das immer nicht. Die kriegten
Anweisung von oben, und dann war die Sache gestorben. - Hin und wieder haben wir
trotzdem ein paar Dinge durchgezogen; da haben wir eben Zivil angezogen."
Trotz aller Reglementierungen und zum Teil rigider Verbote entwickelten sich immer
wieder persönliche Beziehungen und sogar Freundschaften.
16
"Wenn man nun jemand von der Akademie her kannte, und der hatte das Glück, in die
Westgruppe versetzt zu werden, dann konnte man schon über den offiziellen Rahmen
hinausgehen. Aber da gehörte Mut dazu immer wieder werden Beispiele genannt, daß
Verstöße gegen die Vorschriften nachdrücklich geahndet wurden.
"Ich war mit einem Major von der Westgruppe bei einer Mai-Demonstration, also diesem
Spaziergang mit Familie. Dabei hat ihn der KGB fotografiert ... Ihm wurden die Fotos
vorgelegt: Wir trugen auch noch beide Uniform! - Das war ein klarer Verstoß gegen die
Dienstvorschriften, er wurde innerhalb kürzester Zeit in die UdSSR zurückversetzt und
entlassen."
Das Kontaktverbot schloß auch Familienangehörige ein.
"Meine Frau hatte sich mit der Frau eines sowjetischen Regimentskommandeurs angefreundet, einer Ärztin ... Und dann hat der Mann wegen dieser Kontakte prompt ein
Verfahren an den Hals gekriegt."
Das Verhalten der sowjetischen Streitkräfte gegenüber der Zivilbevölkerung, aber auch
gegenüber Angehörigen der Nationalen Volksarmee der DDR, war einerseits von Distanz, andererseits von einem gewissen Überlegenheitsgefühl gekennzeichnet.
"Die waren es von früher so gewöhnt: Sie waren die Kings, und überall, wo sie
hinkamen, mußte man Russisch sprechen. Das haben die einfach erwartet in ihrer Überheblichkeit. Sie waren eben die Siegermacht, und alles hatte ihnen dementsprechend zu Füßen zu liegen."
Als ein Indikator für eine implizite Hierarchie zwischen der sowjetischen und der deutschen Armee wird die Art des Umgangs zwischen hohen Offizieren geschildert. Als herausragendes Beispiel wird der russische Militärberater genannt, der in der Nationalen
Volksarmee auf Divisionsebene vorhanden war und dem ein Veto-Recht in wichtigen
Entscheidungen zukam.
"Diese Leute hatten ein wirkliches Selbstbewußtsein. Die stellten sich auch als etwas
dar. So selbstbewußt war ein deutscher General nicht im Umgang mit sowjetischen Generalen. Im Umgang mit seinen Offizieren oder den Armeeangehörigen der Nationalen
Volksarmee, auch gegenüber Partei und Regierung - da war auch er etwas ... Aber
standen sich ein russischer und ein deutscher General gegenüber, dann war klar, wer
sich als erster duckte der deutsche."
5.3.2.
"Für die gehts ums Überleben" - Zu den Folgen des Umbruchs
Die Einigung Deutschlands und gleichzeitig die Auflösung des Warschauer Paktes sowie der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion bringt für die sowjetischen Streitkräfte eine
Vielzahl gravierender und zum Teil völlig neuer Probleme mit sich. Bis 1994 sollen sie
Deutschland verlassen - so ist es vertraglich vereinbart. Aus den "Freunden" von einst
sind nun nur noch vorübergehend Geduldete geworden, die sich plötzlich erheblich veränderten Bedingungen gegenübersehen.
Bisher konnten es sich die sowjetischen Offiziere beispielsweise leisten, auf den Erwerb
deutscher Sprachkenntnisse zu verzichten, weil sie davon ausgehen konnten, daß ihre
relevanten Gesprächspartner Russisch konnten.
"Mit dem neuen System haben sie plötzlich keine Ansprechpartner mehr. Das hat unter
anderem Verständigungsprobleme bei Behördenbesuchen zur Folge ... Die deutschen
Behörden sind jetzt eiskalt. Entweder derjenige kann Deutsch, oder er muß sich einen
Dolmetscher mitbringen."
Die meisten der noch in Deutschland stehenden ehemaligen sowjetischen Soldaten sehen sich mit existentiellen Fragen konfrontiert. Ihre persönliche Perspektive ist wesentlich von der Erkenntnis geprägt, daß sich "draußen" in ihren Heimatländern niemand um
sie kümmert, wenn sie zurückkommen.
17
Die Situation der aus ihren bisherigen Stationierungsländern abgezogenen Soldaten sei
katastrophal. Es gäbe kaum Wohnungen. So würden die zurückkehrenden Soldatenfamilien in riesigen Zeltlagern untergebracht und müßten sich darauf einstellen" "irgendwie" zurechtzukommen.
"Die stehen quasi an der Straße und betteln um Essen; für die geht's um das schnöde
Überleben!"
Vor diesem Hintergrund ist das Bemühen vieler Soldaten zu verstehen, sich hier mit
Gütern zu versorgen, die in ihrer Heimat Mangelware sind. Um nach dem Truppenabzug
ihre Startchancen zu Hause zu verbessern, kauft - wer es sich leisten kann - Kraftfahrzeuge und landwirtschaftliches Großgerät vorwiegend sowjetischer Bauart auf, um sie
nach Rückkehr mit Gewinn zu verkaufen, um sich mit dem Geld zumindest die ersten
Monate Über Wasser halten zu können. Da der Sold und das Gehalt der russischen
Soldaten in Deutschland in DM ausgezahlt werden, und sie die Möglichkeit des zollfreien Einkaufs haben, ist ihr ökonomischer Status vergleichsweise gut - bedenkt man die
Situation in den Staaten der GUS. Realiter erlauben Sold und Gehalt keine großen
Sprünge: Ein Fähnrich verdient etwa 700,-DM, ein Regimentskommandeur mit Familie
kommt auf einen monatlichen Netto-Verdienst von etwa 1300,-DM.
Angesichts des Kampfes um die bloße Sicherung der Existenz seien militärische Sachfragen weitgehend in den Hintergrund getreten. Vielerorts gäbe es Korruption, ja mafia-ähnliche Zustände. In diesem Zusammenhang wird ein blühender Schwarzhandel an
den Hintertüren der russischen Kasernen beschrieben.
Bestehende Freundschaften zwischen Russen und Deutschen werden durch die laufenden Entwicklungen erheblich belastet.
"Wir hatten Besuch von einem befreundeten Ehepaar, das wir aus meiner Akademiezeit
kennen... Seit der Vereinigung ist die Schere zwischen Rußland und Deutschland noch
weiter auseinander gegangen. Dieser - in ihren Augen - Überfluß, wenn sie in die Geschäfte gegangen sind, auf den Straßen die Schaufenster gesehen haben ... Und das
Wissen im Hinterkopf: Das ist nicht unser Leben, und das wird es in absehbarer Zeit
auch nicht werden! Damit zurechtzukommen ist nicht gerade einfach."
An Gegenbesuche in Rußland ist nicht zu denken; das würde die Gastgeber vor große
Probleme stellen. Auch ohne Gäste haben sie angesichts gravierender Versorgungsengpässe und galoppierender Inflationsrate genügend Schwierigkeiten, sich in der neuen Wirklichkeit zu behaupten.
Angesichts der vielfältigen und teilweise radikalen politischen und gesellschaftlichen
Veränderungen ist erhebliches Anpassungsvermögen an die neuen Verhältnisse gefordert. Auch in den russischen Streitkräften beginnt sich allmählich ein Wandlungsprozeß
abzuzeichnen.
Die Defizite in der Menschenführung seien allmählich erkannt worden; erste Verbesserungen im Umgang mit den Wehrpflichtigen zeichneten sich ab. Auch und vor allem in
ihrem Verhalten nach außen ließen sich Veränderungen feststellen. So halte man in
russischen Kasernen neuerdings "Tage der offenen Tür" ab, bei denen auch die Zivilbevölkerung Zutritt habe.
Statt der aufgelösten Nationalen Volksarmee ist nunmehr die Bundeswehr der militärische Ansprechpartner fÜr die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationierte Westgruppe der Streitkräfte. So gibt es im Korps und Territorialkommando Ost auf den verschiedenen Kommandoebenen bis hinunter zum Verteidigungskreiskommando Verbindungsorgane, zu deren Aufgaben es gehört, die Kontakte zu den russischen Truppenteilen im jeweiligen regionalen Verantwortungsbereich herzustellen und zu unterhalten.
Sie übernehmen sämtliche administrative Aufgaben, die von seiten der Bundeswehr im
Zuge des vereinbarten Truppenabzuges zu leisten sind. Die Stärke des jeweiligen Verbindungskommandos ist abhängig von der Größe der zu betreuenden Truppenteile und
liegt zwischen ein bis fünf Mann, in der Regel handelt es sich um russischsprechende
18
Offiziere. Mit steigender Kommandoebene sind zunehmend Westoffiziere vertreten; das
Gros wird jedoch durch ehemalige NVA-Offiziere gebildet. Ihr Umgang mit den Waffenbrüdern von einst ist nicht ganz unbelastet.
"Die Russen denken sich: Der hat bei uns studiert, hat sein ganzes Wissen mitgenommen, und jetzt kommt er mit seinem schicken Bundeswehr-Barett und macht einen auf
Abzugsoffizier."
Auch außerhalb dieser offiziellen Verbindungsaufnahme gibt es Kontakte zu der Westgruppe der Streitkräfte. Die Bundeswehr ist bemüht, gutnachbarliche Beziehungen zu ihr
herzustellen. Das gelingt in unterschiedlichem Ausmaß; entscheidend ist die jeweilige
personale Konstellation vor Ort. Wegen ihrer Sprachkenntnisse und ihrer Vertrautheit
mit den russischen Gepflogenheiten kommt, den ehemaligen NVA-Offizieren bei diesen
Gelegenheiten eine Schlüsselrolle zu. Sie selbst sehen sich in einer Art Vermittlerrolle
zwischen den russischen Soldaten und der Bundeswehr. Sie wollen dazu beitragen, daß
die ehemalige Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland mit "Anstand und Würde" ihr Stationierungsland verlassen kann. Allerdings tun sich ihre ehemaligen Verbündeten mitunter schwer, sie in dieser Rolle zu akzeptieren.
"Ich habe schon Situationen erlebt, wo mir von den Russen ganz klar gesagt worden ist:
Wie kannst du das machen, so einfach eine andere Uniform anziehen?"
Diese Reaktion können die befragten Offiziere sehr gut nachvollziehen, haben sie doch
oft ähnliche Gefühle.
"Also, als ich das erste Mal meinen Kommandeur als Übersetzer nach ... begleitete und
da plötzlich bei den Russen in einer anderen Uniform auftauchte ... Ich muß sagen, das
war schon ein saublödes Gefühl. Und daß es der anderen Seite genauso ging, muß
man ihr ja wohl zugestehen."
Andererseits freuen sich die Russen, wenn sie ein bekanntes Gesicht sehen und nutzen
die Gelegenheit, mit der Bundeswehr ins Gespräch zu kommen. Besonders interessiert
sie, etwas über die konkreten Dienstund Arbeitsbedingungen in der Bundeswehr zu erfahren. Vor allem wollen sie die Unterschiede zum ihnen ja bekannten Dienstalltag und
Führungsstil der ehemaligen NVA wissen.
Äußern sich russische Offiziere zu politischen Entwicklungen, müsse man - so wird betont - stets zwischen der offiziellen Diktion und der Privatmeinung unterscheiden.
"Der Russe sagt nur das, was er sagen darf - weiter nichts. Wenn man näheren Kontakt
hat, kann sich das ändern. Wenn sich ein persönliches Vertrauensverhältnis entwickelt
hat, dann bekommt man auch ehrliche Antworten, aber in der Regel nur im Vier-AugenGespräch, sonst nicht."
Die politische Entwicklung wird von ihnen durchaus unterschiedlich beurteilt.
"Die große Masse bewertet die Rolle von Gorbatschow durchaus positiv. Sie sagen:
Nun seid ihr wieder vereint, und das ist richtig - Aber es gibt auch deutliche Ablehnung."
Hin und wieder auftretende Irritationen im heutigen Verhältnis dürften aber nicht ausschließlich der russischen Seite angelastet werden. Deutliche Vorbehalte gäbe es auch
auf deutscher Seite.
"Offiziell mag ja der Kalte Krieg vorbei sein - inoffiziell sind die Gedanken bei den meisten Offizieren der Bundeswehr unverändert... Das habe ich an der Heeresoffizierschule
in Hannover gespürt; auch mein jetziger Kommandeur liebt die Russen nicht besonders
- wie viele Bundeswehroffiziere."
Bis zur Verwirklichung des "gemeinsamen europäischen Hauses" gibt es offensichtlich
noch viele Steine aus dem Weg zu räumen. Dazu wollen die aus der NVA stammenden
Offiziere ihren Teil beitragen.
19
"Ich finde es nicht in Ordnung, daß hier die Wessis aufschlagen und uns sagen, wie wir
mit den Russen umzugehen haben, obwohl doch ihnen der ganze Erfahrungsvorrat
fehlt, den wir uns in den Jahren unseres Aufenthalts in der Sowjetunion angeeignet haben... Mein persönlicher Beitrag soll sein, daß ich jedem sage, was das für prima Menschen sind, egal, ob Russen, Weißrussen, Usbeken oder was sonst... Sie sind herzlich,
aufgeschlossen und bereit, ihr letztes Brot mit einem zu teilen!"
5.4 Wechselseitige Perzeptionen "der Russen" und "der Deutschen"
Während des vier bis fünf Jahre andauernden Aufenthaltes in der Sowjetunion entstanden vielfältige Möglichkeiten zur Begegnung mit russischen Offizieren und auch mit der
russischen Zivilbevölkerung. Dabei entwickelten sich jeweils persönliche Wahrnehmungsmuster "des Anderen" und der anderen Kultur, die sich deutlich von den eingeübten Ideologismen zur Freundschaft mit der Sowjetunion und den anderen "Bruderarmeen" abheben.
Der sozialistischen Erziehung geschuldet war zunächst das Bild von der fortschrittlichen
Sowjetunion, die per Definition unter allen sozialistischen Staaten eine Sonderstellung
einnahm und einen Entwicklungsvorsprung für sich reklamierte. Diesem Bild konnte die
Realität nicht standhalten:
„Ich habe das geglaubt ... Dann kamen wir da rüber... Niemand hat uns auf das vorbereitet, wie die Lebensverhältnisse dort wirklich sind. Ich war der Meinung, da drüben
muß ja alles besser sein. Die haben ja schon den Kommunismus, und wir wollen ja erst
dort hin1 Und dann komm' ich dort hin, und dann fängt der nackte Kampf an um ein
Stückchen Butter, ein Ei oder Brot... Hätte man das uns das hier schon gesagt, dann
hätte ich keinen Knacks gekriegt, als ich drüben angekommen bin."
Mit Rationalisierungen wurde versucht, diese Widersprüche aufzuarbeiten:
"Wir haben unsere sowjetischen Offiziere darauf angesprochen. Was sie geantwortet
haben, hat mich überzeugt: 'Wir mußten euch aus dem Dreck raus holen, die DDR
mußten wir aufbauen, da sind immense finanzielle Mittel hingeflossen. Und dann die
Dritte Welt! Wenn irgendwo Hungerkatastrophen sind: Wer hilft? Es kann nur ein Land
helfen( das ist die Sowjetunion.' - Weil sie überall helfen mußten, konnte der Lebensstandard bei ihnen nicht so hoch sein."
Diese idealisierenden Beschreibungen der Sowjetunion wurden bald überlagert durch
die Erfahrung der "russischen Mentalität", die durchweg durch große Gastfreundschaft,
Offenheit und Familiarität charakterisiert wird.
"Ich hab' das nur positiv wahrgenommen. Die Menschen dort sind derart aufgeschlossen, entgegenkommend und freundlich und scheuen auch keinen materiellen Einsatz.
Die haben oft einen ganzen Monatslohn auf den Tisch gehauen, um den Gast, so gut es
irgend geht, zu bewirten. Da kann also das deutsche Volk noch sehr viel lernen... Man
ist dort zu jeder Zeit gern gesehen, und es wird einem die Tür aufgemacht ... "
Die Zivilbevölkerung in den Großstädten wird als sehr interessiert und aufgeschlossen
geschildert.
"Die sind ja regelrecht auf uns zugekommen und zwar so sehr, ich sag's mal bewußt Überspitzt, daß man sich regelrecht belästigt fühlte. Ob man in der U-Bahn fuhr, oder daß
man wo ein Glas getrunken hat, da kam jemand auf einen zu und hat sich informiert über Deutschland und so. Wir haben über unsere Ansichten gesprochen... Also die Bemühungen der russischen Bevölkerung, in Kontakt zu kommen, die waren sehr stark, ich
würde sagen, massenhaft sogar."
Die Hilfsbereitschaft, Kameradschaftlichkeit und Genügsamkeit der Menschen des
Gastlandes werden nachdrücklich unterstrichen. Auch die große Betonung der Friedensliebe und Freundschaftspflege werden hervorgehoben. Bei gesellschaftlichen Ereignissen sei das Förmliche schnell in den Hintergrund getreten, dominiert habe eine
herzliche Grundstimmung. Und:
20
"Ein Trinkspruch galt immer dem Frieden - auch bei privaten Feiern wurde stets mindestens einmal auf den Frieden getrunken."
Die klischeeartige Unterstellung, Russen neigten zum Alkohol, wird differenziert betrachtet. Die beengten Wohnverhältnisse der Bevölkerungsmehrzahl führe zum Trinken
in der Öffentlichkeit und werde erst dadurch sichtbar. Tatsächlich sei der Alkoholkonsum
wahrscheinlich nicht höher als der der Deutschen: "Sie trinken nicht mehr, sondern anders".
Das Vorwissen der Bevölkerung über Deutschland wird als bruchstückhaft beschrieben.
Daß ein Land geteilt sein konnte, sei vielen Bürgern der Sowjetunion nur schwer plausibel zu machen gewesen.
"Es gab Leute, die wußten gar nicht, daß wir eine Mauer hatten; für die gab es nur ein
Deutschland. Andere waren schon mal in der DDR gewesen. Die schwärmten davon,
wie toll das war. Die haben die DDR betrachtet, wie wir lange Zeit den Westen."
Ein prekäres Thema bildet die historische Belastung des deutschsowjetischen Verhältnisses durch den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus. Zum Erstaunen der
Befragten traten die Menschen ihnen aber zumeist auch in dieser Beziehung offen entgegen.
"Wir sind schon mit gewissen Vorbehalten dorthin gegangen, wegen unserer Vergangenheit. Wir waren doch die Faschisten... Aber 99% haben uns als Freunde behandelt.
Ich habe nie zu spüren bekommen, daß ich Deutscher bin. Und das, obwohl viel dafür
getan wurde, daß die Erinnerung an den Faschismus und die Untaten Deutschlands erhalten blieb: Vom Denkmal über die Erziehung der Kinder in der Schule bis hin zu Kinound Fernsehfilmen, in denen der Deutsche als Faschist dargestellt wurde, wo es immer
den deutschen Major mit der kleinen runden Nickelbrille gab; der war immer der Dumme
und hat verloren."
Allerdings sei eine grundsätzlich deutschfreundliche Orientierung im Geschichtsbild der
Russen verankert, in dem die deutschrussischen Beziehungen, mit Ausnahme der Zeit
des Nationalsozialismus, positiv dargestellt werden. Gerade in den Bevölkerungskreisen
der älteren Sowjetbürger wurde den deutschen Offizieren sehr positiv begegnet. Selbst
in Leningrad, einer Stadt, die während des Zweiten Weltkrieges Hunderttausende Opfer
unter der Zivilbevölkerung zu beklagen hatte, wurden die deutschen Offiziere in Uniform
öffentlich nirgendwo angefeindet.
"Ich muß sagen, unser Ruf dort ist viel besser, als wir sind. Es war regelrecht erschreckend, mit welcher Hochachtung die uns dort als deutschem Offizier begegnet sind ...
Also wie fleißig, wie arbeitsam, wie pünktlich wir wären, und wenn nur die Russen auch
so wären..."
War das Sozialprestige der NVA-Offiziere relativ hoch, so kam es doch unter dem Eindruck der Fernsehfilme, die ausschließlich das Motiv "guter russischer Soldat kontra
bösartiger deutscher Faschist" kolportierten, zu Auswirkungen, die durch folgende Aussage illustriert wird:
"Da kommt eine alte Oma mit ihrem Enkelsohn und zeigt auf mich und sagt, 'Sieh' her:
das ist ein echter Faschist, wie im Fernsehen.' -Das hat die überhaupt nicht böse gemeint, da mußte man halt das dortige Fernsehprogramm kennen."
Die schon zur Parabel gewordene Spielhandlung, vergleichbar dem westdeutschen
"Räuber und Gendarmspiel" kann bis heute bei spielenden Kindern beobachtet werden.
„Die Kinder hinter dem Haus spielten 'Faschisten und Partisanen' ... Und unsere Kinder
mußten immer die Faschisten sein!"
Insgesamt aber wurden die NVA-Offiziere von der russischen Zivilbevölkerung und den
russischen Kollegen mit eher positiven Stereotypen belegt. Vor allem Sekundärtugen-
21
den wie Pünktlichkeit, Ordentlichkeit und Fleiß wurden den Deutschen dort zugeschrieben. Unter den ausländischen Teilnehmern der Militärakademie nahmen sie oft eine
deutliche Sonderrolle ein.
"Es gab eine Reihe von Veranstaltungen gesellschaftlicher Art, und dort wurde auf die
Deutschen immer etwas mehr geachtet als auf andere. Denn vom Deutschen wurde
Pünktlichkeit erwartet, Disziplin, Akuratesse und so weiter... das hat man uns auch gesagt, daß man an uns höhere Maßstäbe ansetzt als an andere. Wir waren dort so eine
Art Elite, wenn Sie so wollen... "
Während also die Wertschätzung der deutschen Offiziere im Akademiebereich auf die
ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften zurückgeführt werden, mag der unvoreingenommene, ja sogar durch deutliche Hochachtung geprägte Umgang der Zivilbevölkerung mit Offizieren der NVA in Zusammenhang stehen mit der vergleichsweise angesehenen Stellung des Militärs in der Gesellschaft der Sowjetunion (siehe dazu Kap. 5.5).
"Wenn ich in meiner Ausgangsuniform in der Sowjetunion in eine Gaststätte gegangen
bin, wurde ich dort anders behandelt, als wenn ich in Zivil gewesen wäre; mir wurde sofort ein Platz zugewiesen."
Auch im Unterricht an den Militärakademien wurde zuweilen auf "deutsche Kriegskunst"
rekurriert und mit einiger Verblüffung auf das vorbelastete Verhältnis der Deutschen zu
ihrer Militärvergangenheit reagiert. Die "deutsche Kriegskunst und Kriegstechnik" stand
bei einigen russischen Dozenten in operativer Taktik hoch im Kurs. So wurde häufig mit
einer großen Selbstverständlichkeit auf eine Reihe von deutschen Büchern Bezug genommen, die aus der Feder ehemaliger Wehrmachtsgenerale stammten, und deren Erscheinen in der DDR verboten war. Die Wertschätzung deutscher Tüchtigkeit fand seinen Niederschlag auch in Marginalien.
"Wir hatten einen älteren Stabsdienstlehrer, der hatte mal gedient in einem Militärarchiv.
Dort waren auch einige deutsche Beutekarten dabei. Der erzählte dann immer, daß die
russischen Karten die schlechteren gewesen seien. Die Russen haben zwar den Krieg
gewonnen, aber wenn sie Informationen brauchten, dann haben sie sich die deutschen
Karten geholt. ( ... ) Am Ende ist der Schluß gezogen worden: Es gibt nur zwei Völker,
die ordentlich Krieg führen können -so makaber das klingt - das sind die Russen und die
Deutschen. So ist man sich da ein bißchen näher gekommen..."
Innerhalb der WVO habe es auch aus Sicht der Russen eine Beliebtheitsskala der anderen Vertragsstaaten gegeben:
"Die Russen sind viel lieber Übungen mit der NVA gefahren als mit anderen. Vielleicht
noch ein paar Spezialeinheiten von den Polen."
Die in der DDR verbreitete Maxime "Von der Sowjetunion lernen heißt. siegen lernen!"
konnte allerdings zu unangenehmen Szenen führen, wenn der große Bruder im Leistungsvergleich an Waffensystemen schlechter abschnitt, was besonders in den letzten
Jahren zunehmend der Fall gewesen sei. Ähnlich sah es bei sportlichen Wettkämpfen
aus.
"Wenn wir Fußball gespielt haben und die gingen 5:4 vom Platz, dann waren sie der
beste Gegner, weil sie gefordert wurden und trotzdem als Sieger vom Platz gehen
konnten. Aber verlieren konnten sie nicht!"
Als ein weiteres Problem auf der Ebene der Waffenbrüderschaft erscheint den ehemaligen NVA-Offizieren, daß die Sowjets über deutlich diskrepante Zeitkonzepte im Hinblick
auf Termintreue und Handlungstempo verfügten. Hier zeigten sich wesentliche Mentalitätsunterschiede zwischen Russen und Deutschen.
"Der Russe ist ein Gemütsmensch, der es mit der Zeit und der Pünktlichkeit nicht so genau nimmt, aber auf den man sich letztlich doch verlassen kann."
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Es überrascht daher nicht, daß gerade die Erweiterung des eigenen Horizontes und die
Einsicht, daß deutsche Lebensart und deutsche (Wert-)Vorstellungen nicht einfach auf
andere Nationen übertragen werden können, zu den zentralen Erfahrungen der Akademieabsolventen gehören:
"Was ich dort vor allem gelernt habe ist, daß die Deutschen und das Deutsche nicht der
Nabel der Welt sind."
Resümierend wird noch einmal auf die Soziabilität, Zugänglichkeit und Friedensorientierung eingegangen, die für die russische Mentalität bezeichnend seien:
"Ich habe den russischen Menschen als gutmütigen, gastfreundlichen und sehr heimatbezogenen Menschen kennengelernt ( ... ). Sie haben sich uns gegenüber nie als Sieger
aufgeführt, sie haben sich eher immer kleiner gemacht als sie waren, und wir sind überall voll akzeptiert gewesen. Die absolute Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit haben
mich tief beeindruckt."
5.5
5.5.1
Gesellschaft und Militär in der Sowjetunion
"Offizier zu sein, das war etwas" - Zur Stellung des Militärs in der Sowjetunion
Die Geltung der Sowjetunion als Weltmacht beruhte vor allem auf ihrem riesigen Militärpotential. Aus den gewaltigen Verlusten während des Zweiten Weltkrieges wurde als
historische Lehre die politische Forderung nach militärischer Stärke gezogen und in die
Wirklichkeit umgesetzt. Die Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft und die Priorität
der Rüstung vor der Konsumgüterproduktion war unbestritten. Der "Große Vaterländische Krieg" fungierte auch weitgehend als Bezug für das Verhältnis der sowjetischen
Gesellschaft zu ihren Streitkräften.
"Bis in die achtziger Jahre hinein stellte der sowjetische Soldat etwas dar. In den Köpfen
der Menschen bis zum Mütterchen war er der Befreier ... Die Armee war das Ein und
Alles. Wenn man die Leute gefragt hätte, die hätten auf ihre Butter zugunsten der Armee verzichtet."
Die Armee war die Verkörperung des Sowjetpatriotismus. Die Verteidigung des "heiligen
Vaterlandes" war die Aufgabe der Roten Armee; auf diese Weise wurde sie Gegenstand
tiefer Gefühlsbindungen der Bevölkerung und jeglicher Kritik entrückt. Der Gedanke an
den Zweiten Weltkrieg wurde beständig wachgehalten. So gibt es kaum eine Stadt, in
der nicht eine Gedenkstätte, ein Soldatenfriedhof oder ein Ehrenmal für die Gefallenen
vorzufinden ist. Der Krieg war auch ein beliebtes Thema von Büchern und Filmen, in
denen das Andenken an die heroischen Taten der Roten Armee beschworen wurde. An
den entsprechenden Gedenktagen gab es Veteranentreffen, bei denen die ehemaligen
Kriegsteilnehmer stolz ihre Orden präsentierten. Für sie gab es eine Reihe von Vergünstigungen, etwa verbilligten oder freien Eintritt in Theater u.ä.
Die Erinnerung an den Faschismus und die Untaten Hitlerdeutschlands sowie an die
verlustreiche Verteidigung von "Mütterchen Rußland" fand ihren Niederschlag auch in
der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen.
Bereits von Kindesbeinen an wurde den Schülern die Bedeutung der sowjetischen
Streitkräfte in der Gesellschaft gelehrt und der Wehrdienst zur Ehrenpflicht jedes Sowjetbürgers erklärt. Kriegsdienstverweigerung war sehr selten; sie galt als Schande und
wurde mit mehrjähriger Gefängnishaft, Arbeitslager oder Einweisung in eine psychiatrische Klinik geahndet. In Kindergarten, Schule und Universität, aber auch in den Betrieben wurden - in unterschiedlichem Maße - Wehrerziehung und vormilitärische Grundausbildung betrieben. So stand in höheren Schulen jedes Jahr ein Armeelager von bis
zu vier Wochen auf dem Programm. Trotz aller Härten war die Ableistung der zwei- bzw.
dreijährigen Wehrpflicht nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern auch weithin unbestrittene
gesellschaftliche Norm.
Vor diesem Hintergrund war es nur folgerichtig, daß Offiziere besonderes Ansehen genossen. Neben der historisch begründeten Wertschätzung trugen auch handfeste ökonomische Aspekte zu ihrem hohen Sozialprestige bei. Ihr Gehalt lag deutlich Über dem
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des sowjetischen Durchschnittsverdieners. Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, in
speziellen Geschäften einzukaufen, deren Warenangebot umfangreicher und billiger war
als in den Läden für "Normalbürger". Offizieren und ihren Familien standen vier Wochen
Urlaub in Urlaubs- und Erholungsheimen der Roten Armee zu.
Neben gutem Verdienst und höherem Lebensstandard hatte ein Offizier darüber hinaus
auch akademisches Ansehen in der Gesellschaft, seit die Abschlüsse der Militärakademien formal Universitätsdiplomen gleichgestellt wurden.
Die an den Gesprächen beteiligten Offiziere nennen verschiedene Indikatoren als Beleg
für das nach ihrer Einschätzung hohe soziale Prestige, das sowjetische Offiziere bei der
zivilen Bevölkerung genossen.
"Offizier zu sein, das war etwas, das wurde auch geachtet ... Das zeigte sich zum Beispiel an den Bewerberzahlen. Es gab immer mehr Bewerber als notwendig. Die Armee
konnte sich die Besten aussuchen."
Sein hoher sozio-ökonomischer Status ließ den Offizier auch zu einem begehrten Heiratskandidaten avancieren.
"Einen Offizier zu heiraten war für die meisten sowjetischen Frauen wie der Hauptgewinn in einer Lotterie!"
Die Akzeptanz des Militärs, vor allem der Offiziere durch die Bevölkerung in der UdSSR,
aber auch in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei sei bedeutend höher gewesen
als in der DDR.
Das Ansehen des Offiziers fand seine Entsprechung auch auf der Verhaltensebene der
Zivilbevölkerung.
"Wenn ein General in Uniform ein Geschäft betrat, dann trat die ganze Schlange geschlossen einen Schritt zurück: Bitte, Genosse General, kauf' dir dein Kilo Fleisch!''
Die allgemeine Wertschätzung des Militärs hielt bis etwa zur Mitte der achtziger Jahre
an. Die Bewerberzahlen für den Offizierberuf gingen deutlich zurück; die Auswahlmöglichkeit der Armee wurde erheblich kleiner. Im Zuge von Perestroika und Glasnost begann der Glanz der Streitkräfte zu verblassen.
"Zum einen wurden verschiedene Dinge aus der Geschichte bekannt -der Überfall auf
Finnland, Katyn und ähnliches - zum andern wurde die Notwendigkeit von Militär, wie
überall, von jungen Leuten zunehmend in Frage gestellt."
Afghanistan war geeignet, den Prozeß der "Entzauberung" der Roten Armee zu beschleunigen. Wurden während der ersten Kriegsjahre Afghanistankämpfer noch mit
Hochachtung betrachtet und als Helden gefeiert, so änderte sich die Einstellung der Bevölkerung zu diesem Krieg im Laufe der Zeit drastisch. Die Zweifel daran, ob er gerechtfertigt sei, nahmen zu; gleichzeitig zeichnete sich immer deutlicher ab, daß dieser
Krieg nicht zu gewinnen war. Die Gesellschaft ging auf Distanz zu diesem Krieg - und zu
den Soldaten, die ihn führten.
"Ich habe Ende der achtziger Jahre einige Offiziere von den Spezialtruppen kennengelernt - knallharte Männer! Nach ein paar Wodka haben sie angefangen zu weinen und
gesagt: 'Um Gottes Willen, ich habe Leute umgebracht!' - Die sind selber nicht damit
klargekommen. Hinzu kam, daß sie sich im Stich gelassen gefühlt haben; sie fühlten
sich von der Gesellschaft ausgestoßen, von der Bevölkerung links liegen gelassen. Keiner wollte etwas von ihnen wissen... Selbst wenn sie als Invaliden aus Afghanistan zurückkamen, sie haben keine Abfindung gekriegt, auch wenn ihnen ein Bein abgeschossen wurde ... "
Die abnehmende Akzeptanz durch die Bevölkerung hatte auch Auswirkungen auf das
Offizierkorps der sowjetischen Streitkräfte. Vor allem ältere und konservative Offiziere
waren mit der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die unter Gorbatschow
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einsetzte, nicht zufrieden. Sie versuchten, sich gegen die einsetzenden Veränderungen
zu stemmen, haben aber dadurch erst recht zu Verstärkung dieser Entwicklungen beigetragen.
"Das Offizierkorps war gespalten. Es gab zwei Richtungen: Die älteren Offiziere haben
die Welt nicht mehr verstanden. Sie waren die ganze Zeit auf einer Wolke gebettet. Sie
waren eingeordnet in das System, es ging ihnen vergleichsweise gut. Und plötzlich war
die Akzeptanz nicht mehr da. Die haben die Kurve nicht mehr gekriegt. -Bei den jüngeren Offizieren dagegen gab es viele, die den Entwicklungen nicht nur positiv gegenüberstanden, sondern sich aktiv in diesen Prozeß eingeschaltet haben. Die Rolle des Politoffiziers wurde in Zweifel gezogen, es wurde sogar eine Soldatengewerkschaft gegründet,
der vor allem jüngere Offiziere beitraten. Sie versuchten, politisch aktiv zu werden, sich
der Gesellschaft zu öffnen."
Übrigens konnten junge sowjetische Offiziere unter dem Eindruck der Politik Gorbatschows liberalere Positionen vertreten als ihre Studienkameraden aus der NVA, die damals als regelrechte "Hardliner" galten, weil sie die offizielle Politik eines "Sozialismus in
den Farben der DDR" vertreten mußten.
Die Streitkräfte wurden durch die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen
Umbrüche in vielfältiger Weise direkt betroffen. Die Transformation der UdSSR in die
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bedeutete auch das Ende der Roten Armee. Die
jeweiligen Staaten reklamieren zugleich mit der Behauptung ihrer Unabhängigkeit auch
das Recht auf eigene Streitkräfte.
Wie das vorhandene Militärpotential aufgeteilt werden soll, ist noch nicht entschieden.
"Der Ukrainer sagt: 'Alles, was jetzt an Armee in meinem Land stationiert ist, unterstelle
ich meinem Kommando'. Der Aserbeidschaner sagt: 'Die Waffen bleiben hier, die Russen fliegen raus! Das ist jetzt meine Armee.'- Und so werden aus einer Armee viele Armeen..."
Die Auflösung der Sowjetunion läßt gleichzeitig die Nationalitätenfrage wieder aktuell
werden, die in den vorangegangen Jahrzehnten kaum eine Rolle zu spielen schien.
Zwar legten die Menschen in der UdSSR stets Wert auf ihre jeweilige nationale Zugehörigkeit, es gab aber keine offen ausgetragenen Konflikte zwischen den einzelnen Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen. Gleichwohl war eine Reihe gegenseitiger
Vorurteile durchaus spürbar und schlug sich auch im Alltagsleben an den Militärakademien nieder.
" Wenn ich heute mit einem Russen zusammengesessen habe, dann hat der mir erklärt,
daß die Aserbeidschaner alle faul sind, den ganzen Tag auf der Straße herumhängen
und sich vor jeder anständigen Arbeit drücken; die würden sie ihren Frauen überlassen.
Am nächsten Tag saß ich mit einem Kameraden aus Aserbeidschan zusammen. Der
sagte mir dann: 'Schau dir die Russen an1 Die sind doch nur in unser Land gekommen,
um sich zu bereichern; die holen bloß unser Erdöl heraus."
Das Auseinanderdividieren der Roten Armee wird nicht zuletzt dadurch kompliziert, daß
in allen sich jetzt formierenden neuen Armeen das Führerkorps und Schlüsselpersonal
aus Russen besteht. In der Vergangenheit war es den Russen gelungen, ihre Dominanzansprüche gegenüber den anderen Nationalitäten des Vielvölkerstaates Sowjetunion weitgehend durchzusetzen. Das galt auch für die Armee. Befehlssprache war Russisch; die wichtigsten Dienstposten in den Streitkräften waren im allgemeinen Russen
vorbehalten.
" Es gab eine ganz klare Russifizierung im Offizierkorps ... Ich kenne keinen General,
der nicht Russe ist. Auch im Bereich der Technik gab es kaum nichteuropäische Sowjets. NatÜrlich gab es immer auch ein paar Ausnahmen. Aber in der Regel stellten die
Russen die Führung; die breite Masse waren dann vorwiegend Usbeken und Tadschiken."
Zu offenen Konflikten jedoch sei es deswegen nicht gekommen.
25
Die jetzige Phase der Umstrukturierung hat nachhaltigen Einfluß auf den Zusammenhalt
der Armee. ohnehin durch die verschiedenen wieder erstarkenden Nationalismen und
Unabhängigkeitsbestrebungen geschwächt, wird die Lage durch persönliche Ängste und
Existenzsorgen noch verschärft. Die einst so sicher und planbar erscheinende Zukunft
ist durch weitgehende Undurchschaubarkeit ersetzt worden. Der durch die Auflösung
der Warschauer-Vertrags Organisation und durch das Drängen der selbständig gewordenen Staaten der ehemaligen UdSSR notwendige Abzug der Roten Armee aus ihren
ehemaligen Stationierungsländern führt zu erheblichen Problemen. Es gibt nicht genügend Wohnungen für die zurückkehrenden Soldaten, keine Arbeit für die Ehefrauen. Die
ökonomische Situation ist prekär geworden; der Rubel hat erheblich an Kaufkraft verloren. Das Gehalt reicht kaum noch zum Überleben. Noch ist nicht einmal in Ansätzen erkennbar, wie die Zukunft des Militärs in den neuen Staaten der ehemaligen Sowjetunion
aussehen wird.
26
5.5.2
"Die brauchen ein Väterchen Zar" - Zur Einschätzung sozio-politischer Entwicklungen
Ein zentraler Faktor in der Einschätzung zukünftiger Entwicklungen auf dem Gebiet der
ehemaligen Sowjetunion wird in dem Wiedererstarken des Nationalismus und der Nationalitätenkonflikte gesehen. Schon immer hätten die Sowjetbürger besonderen Wert auf
ihre jeweilige nationale Zugehörigkeit gelegt. So habe man früher -vor Gorbatschow bei Reisen durch die verschiedenen Republiken den Eindruck gewinnen können, daß
zwar schon eine Reihe von Konflikten zwischen den einzelnen Nationalitäten vorhanden
gewesen sei; die Menschen hätten sich aber kaum getraut, diese zu offensichtlich werden zu lassen. Die Zentralmacht in Moskau habe diese Art von Konflikten "unter der Decke" gehalten.
"Dieses große Reich war ferngesteuert ... Die Homogenität war doch von außen aufgesetzt, die Aversionen blieben im Innern. Diese Dampfkesselsituation war ja mehr oder
weniger im Laufe von Jahrhunderten entstanden. Daran hat keiner wirklich etwas ändern können."
Erst die Perestroika- und Glasnostpolitik von Gorbatschow habe alle diese negativen
Phänomene an die Öffentlichkeit gebracht. Was früher jeder wußte, aber sich nicht zu
sagen traute, stand plötzlich in den Zeitungen.
Ein Grund für das plötzliche Aufflammen des Hasses zwischen den verschiedenen Völkern wird in den Dominanzbestrebungen der Russen in der Vergangenheit gesehen samt deren Elitebewußtsein und der häufig damit verbundenen Überheblichkeit gegenüber anderen ethnischen Gruppen, die bewußt von zentralen Funktionen ferngehalten
wurden. So seien etwa im Bereich fortgeschrittener Technik vorwiegend Russen, zumindest aber Slawen eingesetzt gewesen. Zwar habe es in Führungspositionen oder an
wichtigen Stellen der Verwaltung zuweilen auch Angehörige anderer Nationalitäten gegeben, im allgemeinen seien solche Posten jedoch Russen vorbehalten geblieben.
Eine weitere Problematik besteht nach Ansicht der befragten Offiziere darin, daß in allen
ehemaligen Sowjetrepubliken starke und häufig hoch qualifizierte russische Minderheiten leben, die sich jetzt im Zuge der Autonomie- und Abgrenzungsbestrebungen dieser
Republiken möglicherweise zu einer Belastung entwickeln können.
Angesichts der ausgesprochen instabilen Situation in den GUS-Staaten wird eine Reaktion des Militärs nach innen nicht gänzlich ausgeschlossen. Zwar hat der gescheiterte
Putsch gegen Gorbatschow gezeigt, daß die Armee nicht in der Lage ist, sich als innere
Ordnungsmacht zu präsentieren. Nicht außer acht gelassen werden darf jedoch die
Möglichkeit, daß sich einzelne, besonders exponierte Regimenter "selbständig" machen
und in die lokalen Auseinandersetzungen eingreifen. Man müsse hierbei die "russische
Mentalität" in Betracht ziehen, die sich nicht ausschließlich nach zweckrationalen Maßstäben richte. So könnten unter Umständen menschliche Bindungen vor Ort den Ausschlag geben.
"Wenn zum Beispiel ein Regimentskommandeur erleben muß, wie auf Bewohner seiner
Garnisonsstadt geschossen wird, da ist nicht ausgeschlossen, daß er eingreift."
Zwei Konstanten der russischen Mentalität werden genannt und aus der Geschichte abgeleitet. Zum einen sei die Leidensfähigkeit des russischen Volkes unvorstellbar groß,
zum andern gäbe es das Bedürfnis nach einer starken Hand.
"Die brauchen immer eine Art Väterchen Zar, eine Führerfigur. Auch wenn sie innen
hohl ist, das spielt keine Rolle. Nach außen hin muß sie blinken, muß den starken Mann
markieren, der für sie die Verhältnisse regelt."
Die bisher zu beobachtende weitgehende Zurückhaltung des Militärs bei Nationalitätsund Grenzkonflikten wird auch mit der Unfähigkeit der örtlichen Politiker erklärt, die
Streitkräfte für ihre Zwecke einzuspannen.
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"Wenn sie denen sagten: 'Wenn ihr das hier macht, dann kriegt ihr das, was euch früher
zugestanden hat ... ' Wenn sie das gemacht hätten, dann wäre es dort schon viel blutiger zugegangen."
Bei der Entwicklung eines marktwirtschaftlichen und zugleich demokratisch orientierten
Gemeinwesens wird der "Intelligenz" eine Schlüsselrolle zugesprochen. Sie müsse mit
westlicher Hilfe versuchen, eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen und die Prinzipien einer Demokratie dem einfachen russischen Menschen zu vermitteln - notfalls mit
Hilfe einer starken Hand.
Im Hinblick auf die in allen Republiken der ehemaligen UdSSR angehäuften Waffenpotentiale wird das Auseinanderbrechen der Union als potentiell gefährlich betrachtet. Solange aber das Existenzminimum der Bevölkerung nicht unterschritten werde, bestünde
kaum die Gefahr einer gegen Westeuropa gerichteten Aggression. Hier sehen die Befragten ein vitales Eigeninteresse der westeuropäischen Staaten berührt und ein Motiv,
die Hilfeleistungen für die GUS zu verstärken.
Als bedrohlich für eine langfristig erfolgreiche Umwandlung der staatsgelenkten in eine
marktwirtschaftlich organisierte Ökonomie werden die Aktivitäten einer Verteilungs-"Mafia" gesehen, die mittels Korruption und Vetternwirtschaft weite Bereiche der
Gesellschaft unterwandert habe.
Nun gäbe es durchaus eine Reihe von Beispielen für die erwachende Eigeninitiative und
unternehmerisches Denken - sie seien in den verschiedenen "Nebenbei-Geschäften",
die man in der Gesellschaft Rußland allenthalben beobachten könne, ja deutlich erkennbar. Bisher hätten lediglich die Voraussetzungen gefehlt, sie in der Volkswirtschaft
im großen Stil ausüben zu können. Für eine längere Übergangsphase müsse weiter mit
erheblichen Schwierigkeiten gerechnet werden. Hinzu komme - so schätzen viele Befragten - daß der Zerfallsprozeß der ehemaligen Union eher am Anfang als am Ende
stehe; er werde auch vor Rußland nicht haltmachen.
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6. Zusammenfassung und Bewertung
Zweifelsohne verfügt die Bundeswehr mit den aus der NVA übernommenen Offizieren
Über einen erheblichen Erfahrungs- und Wissensvorrat im Umgang mit Menschen in,
aber auch außerhalb der Streitkräfte der ehemaligen Warschauer-Vertrags-Staaten, insbesondere der Sowjetunion. In der hier vorgelegten Studie sollte versucht werden, die
Erfahrungsräume dieser Offiziere näher zu bestimmen. Dazu wurde mit Hilfe des Gruppendiskussionsverfahrens eine erste "Inventarisierung" ihrer Erfahrungen und Meinungen durchgeführt und anschließend einer Querschnittsanalyse unterzogen. Die wesentlichen Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen:
-
Das Studium an einer Offizierhochschule, vor allem aber an einer der Militärakademien/Generalstabsakademien in der UdSSR qualifizierte die Absolventen in der Regel für Führungsaufgaben auf höheren Ebenen und für die Übernahme größerer
Verantwortung. Daher bewarben sich vor allem Offiziere mit hohem beruflichen Ethos und professionellem Ehrgeiz. Die avisierte langfristige Berufs- und Karriereperspektive dominierte eindeutig in ihrem individuellen Lebenskonzept; Partnerin und
Familie traten demgegenüber deutlich zurück. Zur Verwirklichung ihrer Ziele waren
sie bereit, erhebliche ökonomische Einbußen während ihres Studiums hinzunehmen.
-
Die konkreten Studien- und Lebensbedingungen in der Sowjetunion waren vom täglichen Beschaffungszwang von Gütern des täglichen Bedarfs, den Anforderungen
der Kommunikation in einer fremden Sprache und dem überwältigenden Eindruck einer anderen Kultur und Mentalität gekennzeichnet. Das hohe Maß an Kameradschaftlichkeit und Solidarität in den jeweiligen Studiengruppen sowie die soziale Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit der sowjetischen Zivilbevölkerung haben viele
äußere Restriktionen kompensiert. Individuell werden die Erfahrungen, mit einem
anders gearteten Werteund Normensystem konfrontiert gewesen zu sein und dadurch bisher gelebte Selbstverständlichkeiten und nationale Zentrismen erkennen
und hinterfragen zu können, als Gewinn gewertet.
-
Das ausgeprägte Sicherheitsdenken und das damit verbundene Geheimhaltungsstreben des sowjetischen Militärs fand seinen Niederschlag auch im Akademiebetrieb. So wurde vor allem in der Militärtechnik deutlich zwischen Offizieren aus der
UdSSR, aus den Staaten der WVO, Angehörigen anderer sozialistischer Länder oder
Soldaten aus nicht-sozialistischen Systemen differenziert und ihnen in unterschiedlichem Umfang der Zugang zu Informationen ermöglicht. Gelehrt wurde lediglich die
Beherrschung derjenigen technischen Systeme, die das jeweils entsendende Land
von der Sowjetunion erworben hatte.
-
Die Lage der sowjetischen Soldaten in der DDR war vorwiegend durch
(Selbst-)Isolation und Ghettoisierung gekennzeichnet. Soziale Kontakte zu Deutschen waren außerordentlich rigide reglementiert; Verstöße wurden unnachsichtig
geahndet (Strafversetzung). Wenn überhaupt, kam es auf der Ebene der Offiziere zu
Begegnungen, wobei die Initiative dazu zumeist von seiten der NVA ausging. Trotz
dieser Restriktionen entwickelten sich intensivere Bekanntschaften, sogar Freundschaften. In der Binnenperspektive gab es eine implizite Hierarchie zwischen sowjetischen und deutschen Offizieren, die am Umgang der Generalität miteinander sichtbar wurde.
-
Der Abzug der "Westgruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland" hat begonnen.
Zusammen mit dem zeitgleich einsetzenden Zerfall des Warschauer Paktes und der
Transformation der Sowjetunion in voneinander unabhängige Staaten stellt er die in
Ostdeutschland stationierten ehedem sowjetischen Soldaten vor erhebliche Probleme. Dabei ist die Perspektive zentral, daß die Integration der Rückkehrer in ihren
Heimatländern nicht ausreichend vorbereitet wurde. Angesichts der Zukunftsunsicherheit steht die Frage der schlichten Existenzsicherung für die meisten Soldaten
an erster Stelle. So lassen sich vielfach Versuche finden, am Rande oder gar jenseits der Legalität den eigenen ökonomischen Status zu verbessern.
-
Statt der aufgelösten NVA ist nunmehr die Bundeswehr vielfältiger Ansprechpartner
für die "Westgruppe der Streitkräfte" geworden. Das gegenseitige Kennenlernen ist
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durch Interesse, aber auch Vorsicht und Mißtrauen gekennzeichnet. Als Hemmnis
auf russischer Seite erweisen sich vor allem übertriebener Zentralismus und fehlende Flexibilität; spontane, situationsbedingte Interaktionen sind daher kaum möglich.
Das Auftreten von aus der NVA übernommenen Offizieren in Bundeswehruniformen
sorgt einerseits für ein gewisses Maß an Irritation, andererseits wird mit ihrer Hilfe
häufig Kommunikation erst möglich.
-
Die Konfrontation mit dem Alltagsleben in der Sowjetunion erschütterte zwar die ideologisch begründete Vorstellung von der Protagonistenrolle der Sowjetunion, vermittelte aber zugleich einen überwältigenden Eindruck von Gastfreundlichkeit, Aufgeschlossenheit, Hilfsbereitschaft und Vorurteilslosigkeit der Menschen. Dies galt
-trotz der Belastungen durch den Faschismus - auch und gerade gegenüber den
Deutschen. Die NVA-Offiziere wurden als eine Art Elite unter den ausländischen
Studenten betrachtet; von ihnen wurden explizit die "typisch deutschen Tugenden"
erwartet (Fleiß, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe).
-
Als Verkörperung des sowjetischen Patriotismus - historische Folge des "Großen
Vaterländischen Krieges" - war die Rote Armee über Jahrzehnte Gegenstand positiver Gefühlsbindungen und jeglicher Kritik weitgehend entrückt. Offiziere genossen
besonderes Ansehen und ökonomische Vorteile. Im Zuge der Glasnost-Politik Gorbatschows begann der Glanz der Streitkräfte zu verblassen; die Akzeptanz durch die
Bevölkerung nahm ab - nicht zuletzt beschleunigt durch das Desaster des Krieges in
Afghanistan. Der Zerfall der UdSSR bedeutete auch das Ende der Roten Armee. Die
neu entstehenden Staaten reklamieren das Recht auf eigene Streitkräfte. Wie das
vorhandene Militärpotential aufgeteilt werden soll, ist noch nicht abschließend geklärt.
-
Der Wegfall der Zentralmacht hat ein Wiedererstarken des Nationalismus im ehemaligen Vielvölkerstaat UdSSR ermöglicht. Auf die bisherigen russischen Hegemonialversuche der Vergangenheit wird nunmehr mit verstärkten Abgrenzungsbemühungen reagiert. Die jahrelang unterdrückten ethnischen Konflikte werden jetzt in aller
Schärfe ausgetragen - bis hin zum Krieg. Die Rolle des Militärs als zentrale Ordnungsmacht erscheint zunehmend unrealistisch, ihr Eingreifen auf lokaler Ebene jedoch um so eher vorstellbar.
-
Die Einführung einer marktwirtschaftlich organisierten Ökonomie wird nicht nur durch
das Beharren alter Strukturen, sondern auch durch die Aktivitäten mafiaähnlicher
Cliquen erheblich beeinträchtigt. Die fortschreitende Unterversorgung großer Teile
der Bevölkerung gefährdet den Umbauprozeß in Richtung auf Demokratie und
Marktwirtschaft in starkem Maße. In dieser Situation kann nicht ausgeschlossen
werden, daß eine historisch ableitbare Autoritätsfixierung ("Väterchen Zar") aktuelle
Bedeutung erlangt.
Festzuhalten bleibt, daß die meisten unserer Gesprächspartner aus ihren persönlichen
Erfahrungen mit den Streitkräften und den Menschen der Sowjetunion eine Art "moralische Verpflichtung" ableiten. Sie wollen zu einem möglichst würdevollen Umgang mit
der Westgruppe der Streitkräfte beitragen und einem als unsozial empfundenen bloßen
"Abwickeln" entgegenwirken.
"Ich möchte heute vor allem dazu beitragen, daß ich all das Gute, das ich dort erfahren
habe, so zurückgebe, daß die Westgruppe hier anständig gehen kann, erhobenen
Hauptes das Land verlassen kann."
Als eine Möglichkeit zur Realisierung dieser Absichten - zumindest als Signal in die richtige Richtung - wird offensichtlich auch die Beteiligung an einem Projekt wie der vorliegenden Studie betrachtet.
Der Brückenschlag zwischen den einstigen Gegnern des Ost-West-Konflikts erscheint
als Aufgabe, für die es sich zu engagieren lohnt. Die Bundeswehr kann hierzu einen erheblichen Beitrag leisten; das Angebot der aus der NVA übernommenen Offiziere, sich
in diesen Prozeß einzubringen, sollte genutzt werden.
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Anmerkungen
1. Angeregt wurde diese Studie durch Generalleutnant Werner von Scheven, Kommandierender General und Befehlshaber des Korps und Territorialkommandos Ost.
2. Mangold, W., Gegenstand und Methode des Gruppendiskussionsverfahrens. Frankfurt a.M., 1960, S.49.
3. Vgl.: Bohnsack,R., Rekonstruktive Sozialforschung: Einführung in Methodologie und
Praxis qualitativer Forschung. Opladen 1991, S. 111.
4. Vgl.: Walter Spöhring, Qualitative Sozialforschung. Stuttgart 1989, S. 218.
5. Vgl.: Dreher, M. und E., Gruppendiskussionsverfahren, in: Flick, U., u.a. (Hrsg.),
Handbuch Qualitative Sozialforschung. München 1991, S. 187.
6. Die Einladung der Teilnehmer sowie die Gesamtorganisation der Gruppendiskussionen lag in der Verantwortung des Korps und Territorialkommandos Ost.
7. Die Vorstellung übernahm der Stellvertretende Befehlshaber und Kommandeur der
Territorialtruppen des Korps und Territorialkommandos Ost, Generalmajor Marquitan,
der durch seine Anwesenheit die Bedeutung des Forschungsvorhabens nachdrücklich
unterstrich. - Die eigentliche Erhebungsphase fand ohne jede "Dienstaufsicht" statt.
8. Bei dem betreffenden Offizier handelt es sich um einen Weiterverwender.
9. Vgl. : Mohler, P. , Erhebung, Aufbereitung und Analyse bei qualitativen Verfahren
-Beispiel aus der Forschungspraxis, in: Kaase, M. und Küchler, M. (Hrsg.) : Herausforderungen der empirischen Sozialforschung. Mannheim, 1985, S.132.
10. Wir danken unseren Gesprächspartnern für ihre Bereitschaft, sich auf dieses Vorhaben einzulassen, und für die Offenheit, mit der sie uns begegnet sind.
11. Da die darüber hinaus vorhandenen Generalstabsakademien nur von zwei der 33
Teilnehmer besucht worden sind, wird in den folgenden Ausführungen nicht im Detail
darauf eingegangen.
12. Abkommen zwischen der Regierung der DDR und der UdSSR Über Fragen, die mit
der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen, vom 12.03.1957.
13. Zehn Panzerdivisionen und zehn Motorisierte Schützendivisionen
14. Vgl.: Bechheim, H., Die militärische Kooperation der sozialistischen Staaten im Warschauer Pakt unter besonderer Berücksichtigung der rechtlichen und faktischen Stellung
der NVA der DDR im Ostpaktsystem, Dissertation, Bonn, 1980, S.145.
15. So zum Beispiel in Parteitagsbeschlüssen und deren Umsetzung auf der Ebene der
Parteigrundorganisation; dies fand seinen Niederschlag in den Kampfprogrammen für
das jeweilige Ausbildungsjahr des Truppenteils.