Interview mit Frank Kohl-Boas, Head of HR Northwest, Central & Eastern Europe Google Data beats Opinion – bei Google zählt das bessere Argument Was macht die Faszination Google aus? Frank Kohl-Boas, Head of HR Northwest, Central and Eastern Europe bei Google, differenziert ganz klar: „Wir haben nicht nur visionäre Unternehmensgründer, sondern bieten Mitarbeitern die Möglichkeit, etwas zu bewegen, sich zu entwickeln und sich auch im Unternehmen aktiv einzubringen, unabhängig von Hierarchie und Status.“ Im Interview gibt Kohl-Boas spannende Antworten auf viele Fragen, die am Ende doch auf die eine zentrale hinaus laufen: Was macht Google anders als die anderen? 1 Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 DMR: Google wurde erneut als weltweit beliebtester Arbeitgeber gewählt. Auch im Bereich der Digitalisierung ist Google ein absoluter Top Player. Wie unterscheidet sich Google von anderen Unternehmen? F. Kohl-Boas: Google steht mit visionären Gründern und Unternehmenslenkern wie Larry Page und Sergey Brin, aber auch Eric Schmidt, an der Spitze der Weiterentwicklung der Digitalisierung und den resultierenden Chancen und Herausforderungen. Welcher IT Ingenieur würde nicht gerne dabei mitwirken, das Internet und die auf der Digitalisierung basierenden Technologien mit- und weiterzuentwickeln, die später von Milliarden von Menschen weltweit genutzt werden? Diese Faszination gilt auch für uns Googler, die wir nicht in der Produktentwicklung arbeiten. Unsere Produkte und Dienstleistungen verändern in unterschiedlicher Art und Weise Geschäftsmodelle und Gesellschaften. Meine Kollegen im Vertrieb verkaufen daher nicht nur ein Produkt oder einen Service, sondern beraten Entscheider bei der Frage, wie sie für ihre Unternehmen die digitale Transformation nutzen. Es gibt mit Sicherheit nicht viele Unternehmen, in denen so viele Mitarbeiter direkten Kontakt mit Kunden oder den verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen haben, um Themen rund um die Digitalisierung zu diskutieren. DMR: In vielen Unternehmen reden wir vom Entrepreneurial Spirit. Wir brauchen mehr Unternehmer in unseren Unternehmen oder zumindest mehr unternehmerisches Denken, mehr Freiheitsgrade und ein Verständnis dafür, dass wir als Mitarbeiter an etwas Großem mitwirken können. Das ist immer schön gesagt, aber wie bekommt man diese Freiheitsgrade, dieses unternehmerische Denken, diese Kultur ins Unternehmen? Ganz konkret: Wie macht Google das? F. Kohl-Boas: Unternehmerisches Denken und Handeln von Angestellten einzufordern ist sicherlich sehr schwer. Jeder, der über genügend Entrepreneurial Spirit verfügt, sollte Unternehmer sein beziehungsweise werden. Bei Google wollen wir Angestellte, die Verantwortung übernehmen und sich so verhalten, als wären die Herausforderungen oder Ressourcen ihre eigenen. Wir haben dazu intern die Aufforderung “act like an owner”. Und damit sind wir beim Thema Selbstverständnis, Unternehmensphilosophie und Unternehmenskultur, die sich dann vor allem im Thema “Führung” äußert. Zunächst einmal haben wir mit Larry Page einen CEO, der sagt: „Wir wissen, dass wir uns in einer wahnsinnig schnellen Industrie befinden. Entwicklungen finden quasi über Nacht statt. Genau aus diesem Grund müssen wir schnell sein. Und wer schnell ist, muss akzeptieren, dass Fehler passieren.” Was 2 bedeutet diese Aussage konkret? Bei der Datensicherheit gehen wir keinen Kompromiss ein, aber bei Themen wie beispielsweise der Spracherkennung gibt es häufig eine erste, zweite und auch dritte Version – hier teilen wir mit Mitarbeitern schnell eine Beta Version und testen sie dann. Dadurch bauen Googler im gesamten Unternehmen einen Bezug zu unseren Produkten und Leistungen auf und übernehmen die Verantwortung, diese durch Feedback zu verbessern. Die Fehlerkultur animiert dazu, Risiken einzugehen, über Missgeschicke offen zu berichten und durch gut gemeintes, gleichwohl kritisches Feedback ehrlich und offen miteinander umzugehen. Ein weiterer Grundsatz, der jedem(r) Googler(in) ungeachtet der Betriebszugehörigkeit, Berufserfahrung und Hierarchieebene die Möglichkeit gibt, sich einzubringen, heißt: “Data Beats Opinion” – Fakten schlagen Meinung. Wenn man nach dem besseren Argument sucht, ist die persönliche Meinung irrelevant oder zumindest nachrangig. Wir tun viel dafür, dass Mitarbeiter nicht das Gefühl haben, in einer hierarchischen Organisation zu arbeiten. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass man bei Google nur sehr wenige Statussymbole findet. Einzelbüros gibt es primär tätigkeits-, nicht hierarchiebezogen, und sie sind gleich groß. Jeder Mitarbeiter bekommt die gleiche technische Ausrüstung: Mobiltelefon, Laptop. Kein Firmenwagen. Wir suchen Mitarbeiter, die sich in ihrer Arbeit selbstverwirklichen und aktiv einbringen möchten und versuchen, dafür das entsprechende Arbeitsumfeld zu bieten. Wenn man es schafft, gute Leute für sich zu rekrutieren und sie zu binden, dann ziehen diese sehr oft auch weitere gute Leute an. Und beim Rekrutieren gehen wir konsensbasiert vor. Der Lebenslauf eines Bewerbers ist die Eintrittskarte für ein Bewerberinterview. Danach entscheidet vor allem die Frage, ob ein Mitarbeiter zu Google passt. Wir möchten Menschen beschäftigen, die sich in unserer Kultur wohlfühlen und diese weiter prägen. Larry Page und Sergey Brin geben die Richtung vor, aber circa 57.0000 Menschen prägen derzeit diese Unternehmenskultur tatsächlich. Die Kultur sieht heute anders aus als gestern und wird sich morgen anders anfühlen aus heute. Deshalb geben wir Mitarbeitern ein hohes Maß an Mitverantwortung bei der kulturellen Weiterentwicklung. Diese Möglichkeit ist eine unwahrscheinliche Motivation und ein Beleg dafür, dass sich Menschen gerne einbringen, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt. DMR: Sie haben bereits das Beispiel genannt, dass Mitarbeiter Produkte über alle Bereiche hinweg testen. Google ist ja eine Data Driven Company. Wie gelingt es Google, Mitarbeiter zu Fans zu machen? Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 F. Kohl-Boas: Ein typisches Google-Schlagwort ist: Default to Open. Viele Unternehmen werden in einem ersten Schritt prüfen, wer wann was wissen muss beziehungsweise darf. In einem zweiten Schritt wird dann zumeist nach Hierarchielevel und Abteilung entschieden, ob derjenige Mitarbeiter auch Zugang bekommt. Hier denkt Google anders: Vom Grundsatz her hat jeder Mitarbeiter den gleichen Zugang zu allen Informationen und Projekten. Informationen sind nicht Ausdruck von Macht und nicht an Status gebunden. Wenn Mitarbeiter etwas wissen oder sich bei Google einbringen möchten oder eine konkrete Idee haben, dann können sie alles dafür tun. als jede Gehaltserhöhung, denn die Meinung der Mitarbeiter kann man nicht kaufen und auch nur schwer manipulieren. Es gibt natürlich auch Führungskräfte, die eine schlechte Beurteilung durch ihre Mitarbeiter bekommen. In beiden Fällen ist der Kontext entscheidend. Niedrige Zustimmungsraten können vor gewissen Situationen verständlich sein. Mein Rat an die Führungskräfte ist es daher, dass sie dieses Feedback ernst, aber nicht zum alleinigen Maßstab ihres Handelns machen sollen. Wenn wir beispielsweise HR-Prozesse neu einführen, dann kann es durchaus vorkommen, dass ad hoc nicht alles wie geplant abläuft. Die Kollegen sind aufgefordert, soviel Feedback wie möglich zu geben, damit wir diesen Prozess verbessern können. Mit diesem Feedback arbeiten wir und geben dann auch Rückmeldung an die Mitarbeiter. Diese Rückkopplung führt dazu, dass diese Mitverantwortung wahrgenommen wird. Bei den Produkten, zu denen jeder Google-Nutzer Zugang hat, sind wir natürlich stolz, wenn sie sich im Wettbewerb durchsetzen und andere Nutzer ebenso sehr wie uns selbst begeistern. F. Kohl-Boas: Erstens haben wir unsere Objective Key Results (OKRs). Diese vierteljährlichen Zielvereinbarungen kommen stark aus dem Projektmanagement. Beim Setzen der OKR geht es mehr um das Definieren ambitionierter Ziele als solcher. Sie geben unserem Handeln eine zielorientierte Richtung und sollen zum großen Denken animieren. Daneben haben wir die eben angesprochene halbjährliche Performance-Beurteilung, bei der wir vor allem auf gezeigte Verhaltensweisen und Eigenschaften achten. Es geht um die Art und Weise, wie Ziele verfolgt wurden. Das kann auch bedeuten, dass wir einen Mitarbeiter würdigen, der seine eigenen Ziele nicht weiter verfolgt und damit verfehlt hat, weil er im Unternehmensinteresse etwas anderes aktiv begleitete. DMR: Nach welchen Kriterien werden bei Google Führungskräfte im Rahmen des Performance Management bewertet? Wie stark hängt das Thema Feedback geben und sich einbringen damit zusammen und wie ist das Thema abgebildet und operationalisiert? F. Kohl-Boas: Auch hier gilt “Data Beats Opinion”. Der Sache auf den Grund zu gehen und nicht nur nach dem Bauchgefühl oder aus der Erfahrung heraus zu entscheiden, verschafft uns innerhalb der Entscheidungsfindung nicht nur ein Mindset, sondern auch eine unheimlich hohe Schlagkraft. Wir haben in einem internen Projekt die Frage untersucht: Was macht Führung bei Google erfolgreich? Die Ergebnisse waren nicht überraschend. Aber es waren Ergebnisse von uns und für uns. Wir haben sie konsequent für die Auswahl von Führungskräften und deren Beurteilung genutzt und die Trainings daraufhin ausgerichtet. Halbjährlich findet unser Performance-Prozess statt, zwischen den Beurteilungsperioden haben wir den TalentReview-Prozess. Damit diskutieren wir mindestens alle drei Monate über eine Person und ihr Verhalten, Leistungen und Potenziale. Damit kommen wir dem Anspruch eines kontinuierlichen Talent Managements, bei dem Performance Management ein Teil davon ist, ein gutes Stück weit näher. Darüber hinaus erhalten Führungskräfte zweimal im Jahr zu Führungsattributen Feedback von ihren Mitarbeitern. Wir stellen hier Fragen danach, ob Manager regelmäßig Feedback geben, Informationen teilen, Karrieregespräche führen, Wertschätzung zeigen. Wenn Führungskräfte gute Ergebnisse erhalten, ist das honorierender 3 DMR: Wann ist ein Mitarbeiter ein guter Google-Mitarbeiter? Wie beurteilen Sie das? DMR: Wie stellt Google sicher, dass Mitarbeiter ein möglichst breites Spektrum an Aktivitäten kennenlernen? Wurde zum Beispiel das Thema Rotation bei HR-Mitarbeitern institutionalisiert? F. Kohl-Boas: Das Thema “Rotation” ist in der Tat ein Kernbestandteil unserer Personalentwicklungswerkzeuge und sehr populär. Rotationen bieten wir in verschiedenen Formen an. Da wäre zunächst ein institutionalisiertes globales Programm, bei dem sich Mitarbeiter für eine Rotation von drei Monaten – zumeist ein Quartal im Ausland – bewerben. Darüber hinaus bieten wir auch lokale und informelle Rotationen an, die dann Projekt-, Kunden- oder Know-how-basiert erfolgen. Wir möchten damit die Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und das erfahrungsbasierte Lernen fördern. Denn damit verhindern wir ein Denken in Silos. Daneben geben wir den Teilnehmern die Möglichkeit, ihre hohe geistige Agilität zu bewahren. Wer sich immer wieder auf neue, ungewohnte oder unerwartete Bedingungen, Verhaltens-, Sicht- und Herangehensweisen einlässt, entwickelt eine Ambiguitätstoleranz. Daraus folgt zumeist die Fähigkeit, mit Komplexitäten und permanentem Wandel gelassen und selbstbewusst umzugehen, was dazu führt, dass wir die “Employability” der Mitarbeiter auf einem hohen Niveau halten können. Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 DMR: Rotationen finden bei Google also proaktiv statt und sind Bestandteil des Talent Managements? F. Kohl-Boas: Richtig. Natürlich wollen wir Mitarbeiter nicht in eine Rotation kommandieren und sie muss auch als Maßnahme für die angestrebte Weiterentwicklung passen. Als solches sollte eine Rotation, auf die man sich in aller Regel bewerben muss, das Ergebnis eines Karrieregespräches und einer etwaigen Talentdiskussion sein. Bei uns ist die Rotation auch deshalb so beliebt, weil viele Mitarbeiter aufgrund ihrer familiären Situation keine dauerhafte Versetzung andenken wollen oder können. Aus dieser eingeschränkten Mobilität soll nach Möglichkeit kein Entwicklungsnachteil entstehen. DMR: Wenn es um das Thema interkulturelle Kompetenz geht, spielen auch Auslandsaufenthalte in vielen Unternehmen eine Rolle. Oftmals ist es so, dass Mitarbeiter mit einem enormen Entwicklungsschub zurück kommen, aber kein strukturierter Prozess für die Wiedereingliederung existiert, sodass sie auf der Suche nach einer geeigneten Position sind. Plant Google hier langfristiger als andere Unternehmen? F. Kohl-Boas: Das ist ein komplexes Thema. Ich denke, dass die Wiedereingliederungsfähigkeit vor allem von der Größe des Unternehmens abhängt. Als ehemaliger Expatriate Manager wie auch als Expat selbst basieren meine Erfahrungen auf meiner Zeit als Mitarbeiter von ausländischen Tochtergesellschaften, die oftmals nicht in der Lage waren, den Rückkehrern eine den Erwartungen und Fähigkeiten angemessene Aufgabe anzubieten. Das dürfte für Unternehmen, die ihre Zentrale im Land haben, aus dem der entsandte Mitarbeiter kommt, zumeist leichter sein. Bei Google versuchen wir, dieser Herausforderungen auf dreierlei Weise zu begegnen: Erstens bieten wir grundsätzlich keine Expat-Packages an. Wenn Mitarbeiter dauerhaft im Ausland arbeiten wollen, dann können sie sich sehr gerne in unserem internen Stellenmarkt bewerben. Im Erfolgsfall wird ihnen dann ein Arbeitsverhältnis zu lokalen Konditionen angeboten. Das sorgt dafür, dass finanzielle Aspekte in der Regel keine Motivation für einen Auslandsaufenthalt sind und sich keine Mitarbeitergruppe bildet, die ihre Entscheidungen vor allem nach dem “Package” ausrichtet. Zweitens prüfen wir gründlich, ob und in welchem Ausmaß Aufgaben mit oder zu einem Mitarbeiter an seinen Arbeitsort hin verlagert werden können. Nach meiner Rückkehr aus Australien wollte ich aus familiären Gründen nicht für den nächsten beruflichen Schritt nach London ziehen. Daraufhin hat man mir die Zuständigkeit für die Region “Benelux”, die zuvor aus London 4 heraus wahrgenommen wurde, übertragen. Und so nehme ich heute vom Standort Hamburg aus die Verantwortung für 20 Büros in 18 Ländern wahr. Es gibt auch Mitarbeiter, die ihre Stelle quasi in ihre Heimat mitgenommen haben. Letztlich wollen wir Mitarbeitern auf Augenhöhe begegnen. Wenn uns gute Mitarbeiter verlassen, weil sie die nächste Entwicklungsperspektive extern sehen, dann halten wir Kontakt und freuen uns, wenn wir in der Lage sind, sie zu einem späteren Zeitpunkt mit der gemachten Erfahrung wieder für uns zurückzugewinnen. Ich höre sehr oft, dass gerade in Deutschland Führungskräfte bei Mitarbeiterkündigungen zutiefst beleidigt reagieren. Das halte ich für falsch. Denn wenn ein Mitarbeiter um der eigenen Weiterentwicklung willen das mit der Kündigung verbundene Risiko des Neuanfangs eingeht, ist das in meinen Augen genau die Bereitschaft, die sich Unternehmen unter den Schlagworten “Innovationsfreude“, “Verantwortungsbereitschaft“ und “Ownership” wünschen. Es geht mir bei der Weiterentwicklung von Menschen stets um ihrer selbst willen, selbst wenn dies das Risiko einer Kündigung durch erhöhte Abwerbungsversuche mit sich bringt. Damit sehen Mitarbeiter unsere Wertschätzung als Teil unserer Unternehmenskultur, was für sich genommen schon eine Bindungswirkung entfaltet. Das spricht sich herum und trägt zu unserer Employer Value Proposition bei. Und diejenigen, die zurückkommen, bringen als Mehrwert die gemachte Erfahrung ein und setzen mit ihrer Rückkehr zugleich ein positives Signal an die bestehende Belegschaft. Drittens endet die Verantwortung für einen Mitarbeiter für uns nicht mit dessen Wegzug. Wir versuchen, in Kontakt zu bleiben und ein- bis zweimal jährlich über sie und ihre privaten und beruflichen Absichten zu sprechen. Damit erkennen wir rechtzeitig Rückkehrmöglichkeiten oder auch die Chance, zum Beispiel eine Deutsche, die aus den USA zurück möchte, auf eine Tätigkeit in der Schweiz oder Irland aufmerksam zu machen. Denn gegebenenfalls reicht die Rückkehr nach Europa, zumindest als Zwischenlösung, um ihre Erwartungen oder Notwendigkeiten mit unserem Wunsch, sie zu halten oder zurückzugewinnen, zusammenzuführen. Ich habe alle Mitarbeiter aus meinen Regionen, die nicht in ihrem Heimatland beschäftigt sind, auf meinem latenten “Talent Radar”. DMR: Den latenten Talent Radar halten Sie auch über die Company hinaus, richtig? F. Kohl-Boas: Wir versuchen es und können dabei immer noch besser werden. Nicht nur ich versuche, Kontakte zu halten und zu knüpfen. Letztlich hat jeder – und das beschränkt sich nicht nur auf die Führungskräfte – die Aufgabe, das latente Netzwerk im Interesse des Unternehmens zu pflegen und zu erweitern. Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 G o Frank Kohl-Boas studierte Rechts wissenschaften an den Universitäten in Passau und Würzburg. 1998 startete er seine berufliche Karriere bei U nilever Deutschland GmbH. Ab März 2003 war er als Head of Remuneration für Shell Deutschland Oil tätig, bevor er im März 2005 für die Coca-Cola GmbH als Compensation & Operations Manager den Bereich DACH & Nordics übernahm. In 2007 ging er für Coca-Cola nach Australien und wirkte dort vor allem erfolgreich auf eine Unternehmenskultur hin, mit der sich CocaCola South Pacific ab 2009 als ein “Great Place to Work” p ositionieren konnte. Im September 2010 kehrte er nach Hamburg zurück und verantwortet heute für Google als HR Business Partner die Personalarbeit für mittlerweile 20 Standorte in 18 Ländern in Europa. DMR: Bei Google heißt es “Data Beats Opinion”. Wenn man an Führungsentscheidungen oder auch an Einstellungen von Mitarbeitern denkt, geht da nicht das Bauchgefühl verloren? F. Kohl-Boas: Daten sind als Fakten sicherlich eine bessere Entscheidungsgrundlage als Meinungen, Gefühle und Ansichten. Entscheidend sind meines Erachtens aber nicht die Daten per se, sondern die Fragestellung, die sie damit beantworten wollen, und der Zusammenhang, in dem die Daten stehen, verbunden mit der Frage, ob ein Urteilsvermögen benötigt wird. Nehmen wir einmal an, in einer Mitarbeiterumfrage über Vorgesetzte sind Zustimmungswerte bei einzelnen Vorgesetzten besonders niedrig. Vielleicht ist dies eine Folge des Umstandes, dass der Vorgesetzte schwierige Beurteilungsgespräche führen musste oder er selbst oder aber einige Mitarbeiter neu in der Abteilung waren und sich die Beteiligten daher kein Urteil bilden konnten und “neutral” angekreuzt haben. Nur wenn ich diesen Kontext kenne, kann ich die Daten interpretieren und die richtigen Fragen beziehungsweise Rückschlüsse ziehen. 5 DMR: Werfen wir einen Blick in die HR-Organisation von Google: Dem Unternehmen wird nachgesagt, dass es an der einen oder anderen Stelle datengetriebenen Kontrollwahn in Bezug auf die Steuerung von Mitarbeitern betreibt, welches den einen oder anderen Mitarbeiter enorm unter Leistungsdruck setzt und der Unternehmenskultur durchaus schadet. Was sagen Sie zu dieser Behauptung? F. Kohl-Boas: Wer hat sie denn aufgestellt? Ich habe das bisher von keinem Mitarbeiter gehört oder erlebt und auch keine Anhaltspunkte dafür. Daten nutzen wir vielmehr dazu, Menschen Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Wo stehen wir? Sollten wir unsere Zeit für Kunde A oder Kunde B investieren? Deswegen ist ein Datenpunkt eine Entscheidungshilfe, aber kein Entscheidungsersatz und schon gar kein Druckmittel. DMR: Ist Google ganz klassisch nach dem Dave-Ulrich-Modell strukturiert? Wenn ja, wie prägt dieses Modell Google? Wie muss man sich Ihre HR-Organisation vorstellen? Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015 o e l F. Kohl-Boas: Wir sind in der Tat nach den drei Säulen des Dave-Ulrich-Modell – Shared-Service Center, Center of Expertise, HR Business Partner – organisiert. Soweit ich es beurteilen kann, stellen sich danach auch die allermeisten schnell wachsenden Neugründungen auf, sobald sie eine gewisse G röße erreicht haben. Denn das Modell unterstützt sowohl eine Spezialisierung, also zum Beispiel Recruitment, als auch eine Skalierung der Dienstleistungen. Unser Shared Service Center für EMEA ist in Dublin angesiedelt und kümmert sich um alle administrativen Themen und die Gehaltsabrechnung. Daneben haben wir mehrere Center of Expertise, die ihrerseits thematisch aufgestellt sind. So gibt es im CoE Learning & Development ein Team, das sich um das Coaching kümmert, während andere Teams Themen wie zum Beispiel “Produkttraining”, “Führung”, “Verhandlungstechniken” verantworten. Als HR Business Partner ist es meine Rolle, der zentrale Ansprechpartner für alle Personalthemen der Führungskräfte zu sein und die wichtigsten Personalprozesse wie Beurteilungs-, Beförderungsund Talententwicklungsrunden vor Ort zu verantworten. Dadurch bekommt der interne Kunde einen Ansprechpartner und ich bin in der Lage, aus der Vielfalt der unterschiedlichen Themen einen Kontext zu erkennen und Schwerpunkte und Handlungsfelder zu definieren. Dabei hilft es mir in meiner Rolle, dass ich in meinem Werdegang viele verschiedene Facetten und Themen der HR-Arbeit kennengelernt habe und gepaart mit meiner juristischen Ausbildung ein generalistisches Verständnis mitbringe. Daher lebe ich meine Rolle als eine Mischung aus Business Partner und klassischem Personalleiter. Ich kann also bildlich gesprochen die Kollegen im SSC and CoE, ohne das sie an mich berichten, wie in einem Orchester dirigieren, aber auch selbst ein paar Instrumente spielen. DMR: Welche Skills muss ein HR-Mitarbeiter bei Google haben? Ist klassische HR-Erfahrung wichtig? F. Kohl-Boas: In der Funktion HR Business Partner haben wir neben einigen klassisch ausgebildeten Generalisten Mitarbeiter aus Beratungsunternehmen, die in der Lage sind, Problemstellungen in Konzepte und Szenarien zu übersetzen, und einige Kollegen, die sich aus den CoE in diese Funktion hinein entwickeln. Im Shared Service Center und vor allem im Recruitment haben wir Berufsanfänger und Quereinsteiger. Und je spezieller das CoE, desto entscheidender sind die spezifischen Wissensanforderungen. In unserer Abteilung “People Analytics” beschäftigen wir auch Statistiker, Mathematiker und Sozialwissenschaftler. Sie setzen sich mit der Frage auseinander, wie G 6 sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse für unserer Organisations- und Personalentwicklung nutzbar gemacht werden können. DMR: Zum Selbstverständnis HR: Versteht man bei Google unter HR eine reine Support-Funktion oder findet sich das Thema HR und People in der Strategie des Unternehmens als eigener Punkt wieder? F. Kohl-Boas: In unserer Selbstwahrnehmung haben wir eine Unterstützungsfunktion. Es ist unsere Aufgabe, Führungskräfte in die Lage zu versetzen, ihrer Führungsaufgabe bestmöglich gerecht zu werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass unsere Recruiter die Aufgabe haben, den Recruitment-Prozess zu organisieren und zu verantworten. Für das erfolgreiche Recruitment selbst ist aber letztlich jeder Vorgesetzte verantwortlich. Wenn man sieht, wie lange Google schon als ein Best Employer bezeichnet wird, ist unsere Unterstützungsarbeit anscheinend ganz erfolgreich und ein Grund, warum wir dem Feedback unserer Führungskräfte zufolge eine hohe Reputation genießen. DMR: Diese Support-Aufgabe als Stärke und auch als Begründung für den Wertbeitrag, den man für das Unternehmen liefert, zu betrachten, ist ein interessanter Blick. F. Kohl-Boas: Absolut. Google’s Erfolg hängt entscheidend von seinen Mitarbeitern ab. Wir sind als innovatives Unternehmen nur so gut, wie unsere Produkte es sind – und diese kommen von unseren Mitarbeitern. Im Zeitalter der digitalen Transformation bedarf es als Voraussetzung für Unternehmenserfolg keines großen Markennamens, Kapitals oder Infrastruktur. Genau aus diesem Grund wissen bei Google alle um die Bedeutung jedes einzelnen Mitarbeiters. Und deswegen nennen wir uns intern auch nicht “Human Resources”, sondern “People Operations”. DMR: Wie messen Sie den Erfolg als HR Bereich und was ist Ihrer Ansicht nach der wichtigste KPI? F. Kohl-Boas: Wir haben eine Vielzahl von Kennzahlen und Zielgrößen. Aber am Ende ist der Unternehmenserfolg auch für unsere HR-Arbeit der wichtigste KPI. Denn letztlich geht es darum als Organisation am Markt erfolgreich zu sein. Daran werden letztlich alle Bereiche unseres Unternehmens gemessen. Das Interview führten Marc Wagner, Christian Hinrichsen und Verena Vinke. Detecon Management Report dmr • Special Transformation & Peoplemanagement 2 / 2015
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