D O S S I E R • 19 Samstag, 26. September 2015 Erste Kälber wie Prinzessinnen gefeiert Fast fünfzig Jahre ist es her, seit die ersten Simmentalerkühe mit Sperma von Red-Holstein-Stieren besamt wurden. ROBERT ALDER Die 1960er-Jahre waren für die Schweizer Tierzucht prägend. Wohl noch nie gab es derart grundlegende Veränderungen – aber auch erbitterte Grabenkämpfe von Befürwortern von Neuerungen und Gegnern, die das Bewährte erhalten wollten. Die Schweizer Viehrassen waren geprägt vom sogenannten Wirtschaftstyp, der keiner war. Die Kühe wurden klein und rund gezüchtet. Die Folge war, dass die Milchleistung drastisch sank, das Melken für die Melkmaschine ungünstig war, und dass Schwergeburten an der Tagesordnung waren. Die wenigen Freiburger Schwarzflecken kämpften zudem mit Inzucht und mit dem Erbfehler von Schlittenkälbern. 1964/65 war für Viehhalter ein Schreckensjahr: Die Maulund Klauenseuche grassierte. Das war der Durchbruch für die künstliche Besamung, da der Gang zum Muni ein zu grosses Risiko war. Der Milchpreis war hoch und die Produktion noch unbegrenzt. Die Ungeduld und der Unmut vornehmlich in der Westschweiz wurde grössser. Der sogenannte «Kuhkrieg» wurde allerdings in der Deutschschweiz wenig wahrgenommen. Heimliche Importe Montbéliarde-Züchter begannen, heimlich Tiere aus Frankreich zu importieren. Neben Montbéliardes waren dies auch Kreuzungstiere. Einer der bekanntesten trug den treffenden Namen New-Look und stammte vom RH-Stier James ab. Die FSBB wurde als Protestorganisation neben dem offiziellen Zuchtverband gegründet. Der damalige Schweizerische Schwarzfleckviehzuchtverband begann 1965, erste Im- 1971: Jack-Tochter Helga. 1980: Topper Ilote. Besuch von Larry Moore in der Schweiz 1977. Er bewundert zwei Töchter des populären Stieres Larry Moore Transmitter Jack. Von links: Jean-Louis Schrago, Larry Moore und die Züchter André und Aloys Schrago in Middes FR. (Bilder: zvg) porte von kanadischen Stieren zu tätigen. Der Kanton Freiburg betonte 1966, dass bereits 25,9 Prozent aller weiblichen Tiere künstlich besamt würden, gegenüber 12,1 Prozent im schweizerischen Durchschnitt. Suche nach Partnern Die Änderung der Tierzuchtgesetzgebung enthielt die Aufhebung der Rassengrenzen und ermöglichte moderne Zuchtprogramme. Die damals revolutionären Erfolge der Schwarzfleckviehzüchter trugen dazu bei, dass auch die Fleckviehzüchter nach roten Kreuzungspartnern Ausschau hielten. Trotz anfänglich grosser Skepsis und dem Widerstand der Verbandsleitung konnten 1967 533 Betriebe aus den Kantonen Freiburg, Waadt und dem Berner Jura an einem Kreuzungsversuch mit sechs Stieren teilnehmen. Das waren Larry Moore Transmitter Jack und sein Sohn Lad, weiter Reduke, Sir, King und Pioneer. Nach ei- nem Jahr konnten 1500 Betriebe teilnehmen, und im Herbst 1970 wurde eine «kontrollierte Ausdehnung» auf das ganze Rassegebiet bewilligt. 1981 führten bereits 75 % der markierten Kälber Red-HolsteinBlut in ihren Adern. Voll des Lobes Der spätere Herdebuchstellenleiter Joseph Crettenand und Hanspeter Liechti kamen kurz nach ihrem Agronomie-Studium an der ETH zum Fleckviehzuchtverband und betreuten den Kreuzungsversuch in ihren Anfängen. «Die Euphorie war gross. In einigen Betrieben wurden die ersten Kälber wie Prinzessinnen gefeiert», erinnert er sich. Doch als sie Kühe waren, entsprachen nicht alle den Erwartungen. «Besonders die Lad-Töchter hatten Euter, schlechter als die Simmentaler.» Anfänglich wurden diese Kühe auf separaten Schauplätzen aufgeführt. Da habe man den schlechtesten die Herde- buchanerkennung nicht zusprechen können. Wo die Mütter eine ansprechende Grundlage legten, war der Erfolg jedoch nicht aufzuhalten: Die Euter waren um Welten besser, und auch die Milchleistung war signifikant höher. Dennoch: die Widerstände gegen die strengen Vorschriften waren zuweilen gross. So durften bis 1974 Stierkälber nicht zur Zucht verwendet werden. Und auch die Regelung, dass mindestens ein Drittel des Bestandes zwingend mit Simmental-Stieren und höchstens 20 Prozent mit reinen RHStieren besamt werden musste, sorgte für Ungereimtheiten. Als Strafmassnahmen waren Bussen bis 5000 Franken vorgesehen. «Ich machte nebenbei ein halbes Jura-Studium», schmunzelt Liechti. RH-Züchter gehen voran 1975 wurde das Red-Holstein-Komitee gegründet. Zwei engagierte Kämpfer waren Jean-Louis Schrago und der be- reits verstorbene Edgar Bläsi. Schrago hatte wertvolle Beziehungen in Übersee, und Bläsi kämpfte für die Liberalisierung der Kreuzungszucht. Bereits 1977 fand die erste Red-Holstein-Ausstellung in Burgdorf mit 140 Kühen statt. Das Interesse war gewaltig, Besucher kam aus ganz Europa. Bläsi war es auch, der 1970 dem damaligen KB-Verband den ersten Kreuzungsstier verkaufte, den Rich-Sohn Roy. Legendär wurde später dann aber sein TripleSohn Texan. Ein Sprung in die Neuzeit zeigt, dass die Viehzucht nicht stehen geblieben ist. «Seit 2000 besteht eine liberale Laisser-faire-Haltung», konstatiert Liechti. «Red Holstein wird immer mehr holsteinisiert.» Das war die Folge, dass mit der Rasse Swiss Fleckvieh das Bedürfnis nach einer problemloseren Kuh verwirklicht wurde. Die Schauerfolge der Schweizer sorgen auch heute weltweit für Aufsehen. Der Weg hat sich gelohnt.● F AST HU N DERT JAHRE VERP ÖN T BEG RÜ N DER DER RH- Z U CHT M EILEN ST EIN E Der Rotfaktor in der Holsteinrasse geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Schon bei den ersten Importen aus Holland in die USA kamen rote Nachkommen zum Vorschein. Jahrzehntelang mussten ehrliche Züchter verschweigen, dass ihre Kuh ein rotes Kalb geworfen hatte. Solche Kälber galten als minderwertig, wurden oft getötet und möglichst rasch vergraben, auch wenn sie aus hervorragenden Anpaarungen stammten. Stiere, die rote Kälber produzierten, wurden konsequent aus der Zucht ausgeschlossen. Wertvolles Erbgut ging so für immer verloren. Doch einige Züchter hielten die roten Tiere eher im Hintergrund und konnten mit ihnen nicht an Ausstellungen teilnehmen. Die Herdebuchregistrierung von roten Tieren wurde bis Ende der 1960er-Jahre in den USA, aber auch in Kanada verweigert. Bis Roybrook Telstar kam. Als Spitzenstier wurde er überall geschätzt und intensiv eingesetzt. Holstein Canada beugte sich der Forderung und änderte die Bedingungen. Kurze Zeit später folgte auch das amerikanische Herdebuch. Als Pionier trat Larry Moore aus Wisconsin in Erscheinung. Der Vieh- und Nerzzüchter vermarktete die ersten Red-Holstein-Stiere über die Besamung. Auch die ersten Stiere in der Schweiz trugen meist sein Präfix. ral Rosafe Citation R. stand kurze Zeit im Besamungseinsatz, als sein Rotfaktor entdeckt wurde. Sein Besitzer schickte ihn in die Verbannung nach Mexiko. Aber seine Töchter wurden so eindrucksvolle Kühe, dass man mit seinem Sperma sparsam umging. Später traf man Vereinbarungen mit Mexiko, damit man wieder zu Sperma kam. Sein bei uns bekanntester Sohn war Topper, der sich durch langlebige Kühe einen Namen gemacht hat. Citations Grossvater gilt als Begründer der RH-Zucht: Montvic Rag Apple Sovereign. Er wurde noch im Natursprung in Zuchtställen wie Winterthur oder Mount Victoria eingesetzt. Sein bekanntester Sohn, ABC Reflection Sovereign, wurde in den 1950er- und 1960er-Jahren in Kanada intensiv eingesetzt und war sehr einflussreich. Vielleicht hätte man ihn nicht benutzt, wenn man gewusst hätte, dass er Träger des Rotfaktors war. Aber dann hätte es nie Stiere wie Elevation oder Triple – aber auch keinen Goldwyn und keine Apple gegeben. Mitte der 1960er-Jahre kam Roybrook Telstar, kein echter Rotfaktorstier, sondern Träger des sogenannten «Black-red»-Faktors, also ein Umfärber. Dadurch wurde erkannt, dass sich neue Märkte bei den roten Rassen in Europa auftaten: Rote Stiere wurden plötzlich begehrt. ral • 1967: Beginn des Kreuzungsversuchs in 533 Betrieben • 1976: Aufhebung der Verpflichtung, einen Drittel des Bestands mit Simmental zu besamen • 1978: Rotfaktor-Stiere für gezielte Paarung zugelassen • 1981: Aufhebung der Beschränkung auf 75 % RH • 1996: Schaffung der Sektion Holstein • 2000: Gründung der IG Swiss Fleckvieh • 2008: Anhebung der Blutgrenze für RH auf 87,5 % • 2015: Zuchtwertschätzungen Red Holstein und Holstein werden vereinheitlicht. Eine Kategorie an der Expo Bulle 1977, im ungedeckten Ring. 2003: RH-Ausstellung in Burgdorf. (Bild: Robert Alder) Swisscow 2015 1985: Cress Guerrière. 1990: Creation Fink. 1995: Caveman Jonquille. 2000: Baccala Resi. 2005: Pickel Chicoutimi. 2012: Rustler Pepita. 2015: Swiss Expo, Lausanne, links Incas Flavia (Bild: ral)
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