Die Art Brut-Künstler aus Gugging.

Deutschlandfunk
GESICHTER EUROPAS
Samstag, 19. März 2016, 11.05 – 12.00 Uhr
KW 11
Kunst und Irrsinn:
Die Art Brut-Künstler aus Gugging.
mit Reportagen von Antonia Kreppel
Moderation und Redaktion: Jeanette Seiffert
Musikauswahl und Regie: Babette Michel
Urheberrechtlicher Hinweis
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©
- unkorrigiertes Exemplar –
1
Design Gesichter Europas
Musik
O-Ton:
„Die Menschen müssen schon selber schauen, was sie sehen wollen. Struktur ist für mich sehr
wichtig, also die Struktur zu schaffen. Also der Grundstrich, wenn noch nichts passt, das
macht mich unruhig.“
„Über die Jahrzehnte hab ich fasziniert zugeschaut, wie da Kunst entsteht in einer Weise, die
viel spannender ist als alle anderen das selbst machen können. Weil wir haben ja den Kopf
voll mit Vorbildern, mit tausenden Werken der Kunstgeschichte, die auf uns Eindruck
gemacht haben. Diese Künstler brauchen das nicht.
Musik
Kunst und Irrsinn: Die Art Brut-Künstler aus Gugging.
Eine Sendung mit Reportagen von Antonia Kreppel. Am Mikrofon begrüßt Sie Jeanette
Seiffert.
Musik
2
Moderation
Gugging – lange war das in Österreich im alltäglichen Sprachgebrauch ein Synonym für
„Irrenhaus“. In dem kleinen Ort Maria Gugging am Rand des Wienerwaldes befand sich seit
Ende des 19. Jahrhunderts die Landesnervenheilanstalt. Seit den 1960er Jahren steht
Gugging aber noch für etwas anderes: für ein neuartiges, damals geradezu revolutionäres
Psychiatriekonzept. Der damalige Anstaltsleiter Leo Navratil begann, die künstlerischen
Ausdrucksformen seiner Patienten zu erforschen und zu fördern – sie durften ihre Werke
ausstellen und verkaufen. Einige der so genannten „Gugginger Künstler“ wurden
bedeutende Vertreter der „Art Brut“.
Heute befindet sich auf dem Gelände der einstigen Nervenheilanstalt ein Art-Brut-Center mit
Museum und Galerie - und, nur wenige Gehminuten entfernt, das „Haus der Künstler“: In
dem kleinen Gebäude, schon von weitem an den bunten Wand- und Fassadenmalereien zu
erkennen, werden derzeit zwölf Bewohner in einer Wohngruppe therapeutisch und sozial
betreut. Dort finden sie den Freiraum und die Umgebung, die sie für ihr künstlerisches
Schaffen brauchen.
--
Reportage 1: Spaziergang mit dem Rehbock: Das Haus der Künstler
ATMO: Tisch decken für Essen, Teller, Bestecke klappern…
SPRECHERIN:
Es ist kurz nach zwölf Uhr; Helmut Hladisch deckt auf. Bedächtig stellt er die Teller auf die
Tische. Dreizehn sind es heute.
OT 1 Hladisch
Heut ist ein schöner Tag, Frühlingstag, 18 Grad; mir gefallt’s da, abwechslungsreich is
des…
SPRECHERIN:
3
Vor drei Jahren ist er ins Haus der Künstler gekommen; direkt von der Akutstation eines
Krankenhauses. Seitdem malt er. Seine Kunst und die seiner elf Mitbewohner hängen hier
überall an den Wänden. Der 1961 geborene Wiener zeichnet vor allem Bäume; einen
Erdbeerbaum beispielsweise, und Schneehasen; sehr reduziert, sehr abstrahiert. Weit weg
ist sein Blick; und doch legt er höchst konzentriert die Bestecke auf.
ATMO: Bestecke auflegen…
SPRECHERIN:
Der Neubau, in dem der Essraum im Haus der Künstler Platz findet, lässt viel Licht herein; vor
den bodentiefen Fenstern stapelt sich Brennholz; Rosmarin und Lavendel wachsen rund um
die Terrasse.
ATMO: Bestecke auflegen…
Als die diplomierte Krankenschwester Angelika Helfert 2004 hier zu arbeiten begann, sah
alles noch ganz anders aus.
OT 2 Helfert
Die Bewohner, die Künstler saßen am Gang und haben geraucht, es waren dicke
Rauchschwaden; die ganz kleinen Zimmer, ein Badezimmer für alle, für 12,14
Bewohner, kein eigenes WC, keine eigene Dusche; ein Minikochnische: Das waren noch
Überbleibsel der alten Psychiatrie. Die ganzen alten Gugginger Künstler kommen ja aus
einer Zeit, wo Menschen in der Psychiatrie einfach verschwunden sind und ihr Leben
dort gelebt haben.
ATMO: Betreuungszimmer….Kaffeemaschine
SPRECHERIN
Inzwischen hat jeder Bewohner ein eigenes Bad. Angelika Helfert ist für das Pflegekonzept in
der voll betreuten Sozialhilfeeinrichtung verantwortlich. Resolut wirft sie die
Espressomaschine an, bespricht mit ihrer Kollegin Andrea den Tagesablauf: Am Nachmittag
soll es eine “Outdoor-Gruppe” geben - einen Spaziergang in den nahegelegenen Wald. Ihre
Hand unterstreicht jedes Wort.
OT 3 Helfert
Es ist immer eine aktivierende Betreuung. D.h. wir sind wie das Werkzeug, das
Werkzeug was den Menschen aufgrund ihrer privaten persönlichen Befindlichkeiten
nicht möglich ist zu nutzen. Wenn sie nicht in der Lage sind Entscheidungen zu treffen
im Sinne einer gesunden Lebenshaltung, nämlich einmal am Tag streng ich mich an,
einmal am Tag geh ich hinaus, einmal am Tag mach ich etwas für die Gemeinschaft,
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miteinander. Aber es ist nicht so, dass wir sagen, ihr macht’s das, sondern wir machen
das.
SPRECHERIN:
Über die psychiatrischen Erkrankungen der betreuten Künstler spricht Angelika Helfert nicht
gerne; nur so viel verrät sie, dass die meisten an einer “chronifizierten Schizophrenie”
erkrankt sind; auch einige Menschen mit geistiger Behinderung leben hier. Ein Konsiliararzt
betreut die Bewohner.
OT 4 Helfert
Ich bin auch irgendwie sehr stolz darauf, dass in den 12 Jahren wo ich da bin, wir
eigentlich kaum eine Akutaufnahme hatten auf eine Akutstation der Psychiatrie. D.h.
durch diesen geregelten Tag, durch dieses Erkennen auch an Verhaltensänderungen
oder auch dieses Wissen, dass psychotische Episoden kommen und gehen, gibt es
keinerlei Begründungen, mehr Medikamente jemandem zu geben als was notwendig
ist. Es ist auch ein sehr ruhiges Wohnen für die Menschen hier möglich, ja.
ATMO: Aufenthaltsraum…
SPRECHERIN:
Der Künstler Günther Schützenhöfer schaut neugierig in den Aufenthaltsraum.
OT 5 Helfert
Günther ziehst du bitte einen Pullover an, du brauchst dich gar nicht herstellen, du
solltest schon längst zur Nina rübergehen, komm…
SPRECHERIN:
Energisch schickt sie ihn zu seinem Arbeitsplatz, dem offenen Atelier im Nachbargebäude.
Regeln müssen eingehalten werden, betont sie. auch wenn es nicht viele sind: Feste
Essenszeiten und offizielle Zeiten für die Arbeit im Atelier sorgen für Struktur.
ATMO: Gang, Schritte, Lachen
Johann Garber schlurft den Gang entlang, in der Hand Bettwäsche für die Waschmaschine;
er hat heute einen Haushaltstag eingelegt. Der 1947 geborene Niederösterreicher ist einer
der bekanntesten Künstler hier: Er und hat gemeinsam mit der Gruppe der Künstler aus
Gugging 1990 den Oskar Kokoschka-Preis erhalten. Schon mit neunzehn Jahren kam er
erstmals in die ehemalige Landesnervenklinik Gugging; Maler und Anstreicher hat er gelernt.
Wände und Schränke in seinem Zimmer sind mit bunt bemalten Vogelhäusern, Rehgeweihen
und Fotocollagen dicht behängt: Ein „Meistermaler“.
5
OT 7 Garber
Des is ja meine Arbeit, mein Beruf (lacht), a Meistermaler…
SPRECHERIN:
Ein großes Medaillon mit dem heiligen Christopherus baumelt um seinen Hals; er trägt Ringe
und ein Armband. Gut gelaunt erzählt er aus einem Traum.
OT 8 Garber
Spazieren bin ich gegangen mit dem Rehbock , bin ich gegangen, hab ich geträumt…
SPRECHERIN:
Sein bald achtzigjähriger Bettnachbar hört still zu, lacht höflich, zieht eine Jacke über.
Heinrich Reisenbauer kam schon nach der Gymnasialzeit in die Psychiatrie. Er zeichnet gelbe
Sonnen, rosafarbene Pullover und graue Marienkäfer akkurat neben- und untereinander;
sogenannte Serigraphien. Sie finden Sammler in London und Wien. Hier im Haus ist er für
Postdienste verantwortlich.
OT 9 Reisenbauer
Eine Post muss ich hinüber tragen ins andere Haus da drüben, ja ….
ATMO: Gang, gehen
SPRECHERIN:
Mit leichten Schritten geht er den Gang entlang, eine Szene wie aus einem alten Film mit
Hans Moser.
ATMO: Gang…Treppen steigen.
Langsam trudeln alle Bewohner zum Mittagessen ein. Manche kommen vom offenen Atelier,
wo sie am Vormittag gearbeitet haben. Katharina Mus vertreibt sich die Zeit bis zur
Essensausgabe mit Häkeln. “Das wird eine Buchhülle für ein Märchenbuch”, flüstert sie
scheu. Übrigens ist sie in der Wohngemeinschaft die einzige Frau. “Das Haus der Künstler”
war lange Zeit eine reine Männergruppe, da der “Pavillon 11“, der Vorläufer der betreuten
Wohngemeinschaft, als Männerstation geführt war.
OT 10 Mus
Na, es ist sehr schwierig, sehr sehr schwierig, aber man kämpft sich durch. Ich bin noch
nicht richtig angekommen, da brauch ich noch 5 Jahre dazu, ohje.
ATMO: Gang, singen “Mussi denn zum Städele hinaus…”
6
SPRECHERIN:
Gemeinsam singen, auch das verkürzt die Wartezeit. Ein bisschen wie in einer großen
Familie, sagt Pflegeleiterin Angelika Helfert.
OT 11 Helfert
Und was ich auch so schön hier finde, dass der Mensch hier durch seine Kunst einen
Beruf erhält und Anerkennung erhält, und wenn Anerkennung da ist, da kommt
einfach eine große Lebenszufriedenheit. Und das hat für mich keinen Rückschluss auf
die Erkrankung des Menschen und das finde ich vielleicht auch so großartig: Es ist nicht
wesentlich, ob jemand krank ist oder nicht krank ist.
Musik
Moderation
Wem es buchstäblich die Sprache verschlägt, der findet im besten Falle andere Kanäle, um
sich der Außenwelt mitzuteilen. Ernst Herbeck, geboren 1920 und 45 Jahre lang Patient in
der Gugginger Nervenklinik, gehörte zu den ganz Stillen unter den Künstlern, die damals dort
lebten. Sein Arzt Leo Navratil ermutigte ihn zum Schreiben. Er gab die Begriffe vor, zu denen
Ernst Herbeck dann kurze Gedichte oder Prosatexte verfasste: manchmal ernst, manchmal
von einer erstaunlichen Leichtigkeit; oft schelmisch oder fast ironisch. Ernst Herbecks Poesie,
einst Zwiegespräch zwischen Arzt und Patient, beeinflusst und inspiriert Schriftsteller bis
heute.
Literatur 1
Der Psychiater.
Der Psychiater ist der Mann der was dies kann
dem Patienten zu dienen dem Arzt zu heilen
sowie der Sorge der Anstalt zu helfen den neuen Geist eines Patienten schmieden.
die Mutter der Psychiatrie,
dem Vorsitz einer erkrankten Seele,
die wieder gesund werden muss.
Der Patient
die Katze ist ein Lamm des Friedens,
7
so denkt ein Dichter seiner Zeit.
die im inneren Zeichen eines Psychiaters
einer eigenen Welt gehorcht, - dem Patienten.
der Arzt zieht die Nummer dann
dem Patienten eine neue Seele an.
der im neuen Geiste einer Krankheit
immer weiterziehen soll.
Musik
Moderation
Art Brut – rohe, unverbildete Kunst: So lautet die Bezeichnung für spontan und unreflektiert
geschaffene Werke, etwa von Autodidakten, Kindern, psychisch Erkrankten oder
Behinderten. Geprägt hat den Begriff der französische Maler Jean Dubuffet. In früheren
Jahren war er Weinhändler - das „Brut“ bezieht sich auf die Geschmacksangabe von
Schaumwein. Die Unmittelbarkeit war für Dubuffet ein Kennzeichen wahrer Kunst. Eine
Kunst also, die aus einem inneren Impuls heraus entsteht und sich nicht um akademische
Ästhetik und herrschende Kunstbegriffe schert.
Seit den 1970er Jahren gehören die Künstler aus Gugging zu den weltweit wesentlichen
Exponenten der Art Brut. Ihre Werke sind in der Collection de l‘Art Brut in Lausanne, aber
auch in vielen Museen zeitgenössischer Kunst zu finden. 2006 schließlich wurde in Gugging,
nur wenige Gehminuten vom „Haus der Künstler“ entfernt, ein eigenes Art Brut Museum
eröffnet: Seitdem sind hier Werke von über 30 Gugginger Künstlern ausgestellt.
Reportage 2: “Keine Kunst von Schizophrenen“! Das Art Brut Museum Gugging
ATMO: Museum…Türen, Schritte, Stimme telefonieren…
SPRECHERIN:
Johann Feilacher eilt telefonierend die weitläufigen Gänge im Museum entlang: Derzeit
bereitet er eine große Johann Hauser Retrospektive vor. Als Museumsdirektor und
Kunstkurator ist er vielbeschäftigt. Bereits in den achtziger Jahren hat er die ersten
Gugginger Künstler kennengelernt. Leo Navratil holte damals den jungen Psychiater in sein
“Zentrum für Kunst und Psychotherapie”.
8
OT 1 Feilacher
Navratil hatte aber noch die Ansicht, dass diese Künstler unter Anführungszeichen oder
Zitat Patientenkünstler sind. Über die Jahrzehnte hab ich fasziniert zugeschaut, wie da
Kunst entsteht in einer Weise, die viel spannender ist als alle anderen das selbst
machen können. Weil wir haben ja den Kopf voll mit Vorbildern, mit tausenden Werken
der Kunstgeschichte, die auf uns Eindruck gemacht haben. Diese Künstler brauchen das
nicht.
SPRECHERIN:
Johann Feilacher weiß, wovon er spricht; er arbeitet auch als Bildhauer. Der 1954 geborene
Kärntner tritt entschlossen auf; das Haar trägt er halblang. Dass die Gugginger Künstler
inzwischen in der internationalen Kunstwelt der Art brut ganz oben stehen, ist vor allem sein
Verdienst. Jean Dubuffett, der den Betriff Art brut prägte, hat sie als Vertreter dieser
Kunstrichtung in den siebziger Jahren höchstpersönlich anerkannt.
OT 2 Feilacher
Und bereits in der Definition hat Jean Dubuffet gesagt, dass es genauso wenig eine
Kunst von schizophren Kranken gibt wie jene von am Kniegelenk erkrankten. Das ist
eine ganz wichtige Sache, also Art Brut ist nicht eine Kunst von Schizophrenen.
ATMO: Gehen, Schlüssel
SPRECHERIN:
Siebenhundert Quadratmeter Raum hat Johann Feilacher den Künstlern aus Gugging
gewidmet. Zielstrebig führt er zu den so genannten “Mona Lisas”, den Highlights. Die auf
drei Jahre begrenzte Ausstellung “101 Meisterwerke” hat er selbst kuratiert.
OT 3 Feilacher
Und hier sehen Sie drei Hauptwerke Johann Hausers, die drei Frauen aus 1986, die nicht
nur weltweit gereist sind, sondern auch ganz am Anfang schon Furore gemacht haben.
Wir haben nämlich das 1.Werk, da es so besonders war und sich mehrere Sammler
interessiert haben, dann in London bei Christies versteigert. Und da haben wir von
einem ‘estimate’ von 2000 Pfund dann letztendlich 26.000 Pfund erreicht. Damit war
Hauser zu dieser Zeit der wertvollste unter Anführungszeichen lebende Art brutKünstler.
SPRECHERIN:
Vor den furchterregenden Frauen mit ihren überbetonten Geschlechtsmerkmalen wirkt der
schwarz gekleidete Museumsdirektor etwas verloren. “Johann Hauser ist 1926 als
9
uneheliches Kind in Bratislava geboren, kam in der Nazi-Zeit in ein Umsiedlerlager in
Niederösterreich, und schon bald in die Landesnervenanstalt Gugging“, erzählt Johann
Feilacher. Im Haus der Künstler verbrachte er dann die letzten fünfzehn Jahre bis zu seinem
Tod 1996.
OT 4 Feilacher
Der Johann Hauser hatte den Wunsch immer, dass man neben ihm sitzt und zuschaut;
und nicht irgendwer, sondern ich. Und er wollte auch auf meinem Tisch damals
arbeiten. D.h. ich hab auch wirklich das Vergnügen gehabt zu erleben, wie diese Kunst
entsteht; zu schauen, wie ohne irgendeine Anlehnung an irgendetwas was man vorher
gesehen hat, was ganz Neues entstehen kann. Und das ist ein ganz faszinierender
Faktor, der letztendlich mich hier hält.
SPRECHERIN:
Er hat sie alle hautnah erlebt, die bereits verstorbenen ersten Gugginger Künstler: Johann
Fischer, Franz Kamlander, Franz Kernbeis, Fritz Koller, Johann Korec, Philipp Schöpke, Oswald
Tschirtner und August Walla. Dass er ihre Werke, die zum Teil bei Sammlern in der ganzen
Welt verstreut sind, noch einmal an ihren Entstehungsort zurückholen konnte, war ihm ein
großes Anliegen. Im Falle August Wallas hat er über eine Sponsorenfirma den gesamten
Nachlass für die hauseigene Sammlung der “Privatstiftung Künstler aus Gugging” gekauft.
ATMO: Schritte
Die großformatigen Abbildungen mit seinem sehr persönlichen Götteruniversum füllen einen
ganzen Raum; Johann Feilacher bleibt in der Mitte stehen. Hunderte Briefe habe ihm August
Walla geschrieben, immer wenn er etwas von ihm wollte, erinnert er sich.
OT 5 Feilacher
Der Walla war zum Teil sehr unsympathisch. Er war ein furchtbarer Narziss, der über
andere drüber gefahren ist, d.h. all jene Phänomene, die sie sonst wo finden, finden sie
auch bei diesen Künstlern. Die san net immer angenehm.
SPRECHERIN:
August Walla vereinnahmte und bemalte seine ganze Umgebung, die Außenwände und sein
Zimmer im “Haus der Künstler“, das er mit seiner Mutter bewohnte. Die Farben verdünnte
er mit Körperflüssigkeiten.
ATMO: Ausstellungsraum…Videostimmen…
10
Sprachfetzen alter Videoaufnahmen aus der Nervenheilanstalt Gugging schallen über die
Gänge. Johann Feilacher liebt die Konfrontation; das Andere, Verschiedene. Am liebsten
gleichzeitig, im fließenden Übergang.
ATMO: Videostimmen…
Die Räume im Museum Gugging sind hoch und luftig; die drückende Aura des ehemaligen
Kinderpsychiatriegebäudes ist nicht mehr spürbar. Johann Feilacher und sein Team haben
bei der fünfjährigen Restaurierungsphase selbst Hand angelegt. Und seit einigen Jahren ist
die Niederösterreichische Kulturwirtschaft Träger des Museums.
Zufrieden?
OT 6 Feilacher
Wenn ich einmal zufrieden bin, dann bin ich tot. Wir brauchen ein höheres Budget, ich
will die Umgebung mit einbeziehen, ich will einen Skulpturenpark hier haben, um die
Möglichkeiten zu erweitern. Da gibt’s viele Dinge, die noch zu erledigen sind.
Musik
Literatur 2
weiß ist der Schnee. Weiß ist das Eiweiß
weiß ist der Tote nicht. Weiß sind die Karpfen.
weiß ist der Anzug. Weiß sind die Blumen.
weiß ist der Ton der Farbe. Weiß sind die Russen.
weiß ist schön. weiß sind die Fische
weiß bleierne Eier. weiß sind die bleiernen Eier.
weiß ist sehr gut. so manches Ei ist weiß.
weiß ist nicht schwarz.
weiß ist nicht hell.
weiß ist auch nicht blau.
weiß ist der Himmel.
Schwarz ist der Tag
Täglich sehe ich Schwarz.
Schwarz ist der Tod.
Schwarz ist auch dunkel der Tag.
Schwarz ist auch dumm.
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Schwarz ist der Farbe hell es Gold
Schwarz ist auch dunkel.
Moderation
Fast nirgendwo in Österreich stoßen finstere Vergangenheit und Zukunftsvisionen, aber auch
Außenseiter und Elite so unmittelbar aufeinander wie hier in Gugging. 18 Hektar groß ist das
Gelände der ehemaligen Nervenheilanstalt, und neben dem Art Brut Center findet dort auch
eine Privatuniversität Platz: das Institute of Science and Technology Austria.
Hier Österreichs Zukunft als Hochtechnologieland, dort die Erinnerung an eines der
dunkelsten Kapitel seiner Geschichte: die Euthanasie während der NS-Zeit, der unter der
Überschrift „Vernichtung unwerten Lebens“ bis 1945 mehrere hundert Patienten zum Opfer
fielen. Auf der einen Seite künftige Spitzenforscher aus aller Welt, auf der anderen psychisch
Kranke am Rande der Gesellschaft. Auch wenn beide Welten hier nur einen Steinwurf
voneinander entfernt liegen, kommen sie nur selten miteinander in Berührung.
Reportage 3 Eine Tür zur Freiheit: Das Memorial in Gugging
ATMO: Cafetaria
SPRECHERIN:
Es ist Mittagszeit. Die hellen Tische in der Cafeteria sind gut besetzt. Sie befindet sich im
frisch renovierten Hauptgebäude. Zwei Weltkriege hat es überdauert. Früher war es die
Zentrale der Nervenheilanstalt; jetzt forschen dort Studenten aus der ganzen Welt im
Bereich Evolutionsgenetik und Neurowissenschaften. Zwischen den Vorlesungssälen hängen
einige Bilder der Gugginger Künstler.
ATMO: Cafeteria, englische Sprachfetzen
Was wissen die Studenten über die Geschichte des Hauses, das Art Brut-Center die
Gugginger Künstler?
OT 1
12
Well I have seen Posters….
SPRECHERIN: (über OT )
Ja, sie habe ein Plakat gesehen, etwas über Art Brut aus der Schweiz und Japan, sagt eine
britische Studentin im Ringelshirt. Sie habe aber keine Zeit dafür.
…but I haven’t have the time to go…
OT 2
I heard of the style…
SPRECHERIN:
Auch sie habe von dieser Kunstrichtung schon gehört, ergänzt ihre Tischnachbarin; vor
einigen Monaten habe jemand versucht, ihr das zu erklären , aber sie sei nicht so
künstlerisch veranlagt.
… I’m not very artistic, so.
SPRECHERIN:
Ihre Freundin zeigt aus dem Fenster auf den kleinen Park mit einem Teich. Dort ist, leicht
versteckt, ein blauer Frachtcontainer in Schräglage zu sehen. “Ein Memorial”, erzählt sie.
OT 3
There were apparently some Nazi-experiments on psychiatrical patients…
SPRECHERIN:
„Offensichtlich gab es hier auf dem Gelände Nazi-Experimente mit Patienten aus der
Psychiatrie und deshalb steht da ein Memorial. Es gibt auch oben auf dem Hügel Kunst von
psychiatrischen Patienten, aber ich war nie dort. Ich möchte immer hin, aber da ist nie Zeit.
Wir kommen zum Studieren hierher und dann müssen wir wieder zurück in die Stadt.”
I keep meaning to go, there is always work to be done. We come for work here and
then we leave and then we go back to the City…
SPRECHERIN:
Die Studenten räumen laut diskutierend ihr Geschirr in die Ablage. Am Nachbartisch sitzt
eine zarte Frau: Dorothee Golz hat das Memorial für die Euthanasieopfer der NS-Zeit
gestaltet. Die 1960 in Mülheim an der Ruhr geborene Künstlerin ist viel auf Reisen. Schon
längere Zeit hat sie das Campusgelände und das Art Brut Center oben auf dem Hügel nicht
mehr besucht. Die Gugginger Künstler faszinieren sie.
13
OT 4
Es ist sehr spannend auch in innere Welten hineinzuschauen, die Menschen in sich
tragen, die ein Stück weit außerhalb der Norm leben, und die auch die Freiheit haben
sich über Dinge Gedanken zu machen, für die wir normalerweise im Alltag keine Zeit
haben. Und die sich wirklich sehr intensiv einlassen können auf diese inneren
Überlegungen und Vorstellungen und die dann auch ausweiten können und richtig groß
werden lassen können, diese inneren Welten wachsen lassen können in sich uns.
SPRECHERIN:
Dorothee Golz trinkt schnell ihren Kaffee aus. Sie möchte unbedingt nach ihrem “Memorial”
schauen.
ATMO: Campusgelände, Baulärm, Hämmern, Vögel, Enten…
Draußen geht ein kalter Wind; auf dem Campusgelände wird noch überall gebaut. Sie zieht
ihre Mütze tief über die Stirn. Ein schmaler Weg führt am Teich entlang zu einer Gruppe
zerzauster Nadelbäume; davor steht, hoch aufgerichtet, ein alter Container.
OT 5 Golz
Ein Container ist ja ein genormtes Ding, das man keiner Zeit und keinem Ort zuordnen
kann, so wie eigentlich auch ein Verbrechen zu jeder Zeit und an jedem Ort ein solches
bleibt. Und ich habe diesen Container auf 45 Grad schräg gestellt. Wir stehen jetzt
gerade unter dieser schräg nach oben gerichteten Fläche und können durch den Raum
hindurch auf eine Türe schauen, die sich zum Himmel öffnet. Und man sieht wirklich
nichts als diesen Himmel, heute sehen wir eher einen trüben Himmel. Aber es ist auf
jeden Fall eine Tür zu Freiheit, die aufgemacht ist; eine Tür, in der das entweichen kann,
was den Menschen über seine physische Existenz hinaus ausmacht.
SPRECHERIN:
Ein Seelentor zum Himmel: Dorothee Golz beugt sich weit hinein in das Containerinnere.
Glaskugeln sind dort aufgereiht, liegen verstreut auf dem Boden, reflektieren jeden
Lichteinfall, auch Mondstrahlen. “Metaphern für die zerschnittenen Lebensbänder”, erklärt
die Künstlerin.
ATMO: Container, Kinderstimme, Enten
SPRECHERIN:
Der Überseecontainer von der Nordseeküste steht auf zwei hydraulischen Armen. Unter der
Schräge sind zwei Gedenktafeln angebracht. Um mehr über die geschichtlichen Hintergründe
zu erfahren, muss man sich selbst in Schieflage bringen. Die Anstalt in Gugging war eines der
14
Zentren der NS-Medizinverbrechen. Insgesamt 675 Personen wurden von hier nach Schloss
Hartheim bei Linz gebracht und dort vergast. Weitere vierhundert Patienten sind auf den
Stationen mit Gift und einem umgebauten Elektroschockapparat ermordet worden oder
kamen durch Hunger ums Leben.
OT 6 Golz
Ich denke, dass es sehr gut ist, wenn Menschen, die wissenschaftlich begabt sind und
hoch begabt sind und deshalb an diese Eliteuniversität gehen, dass denen vor Augen
geführt wird, dass es ethische Aufgaben und Grenzen gibt, die beachtet werden
müssen.
SPRECHERIN:
Dorothee Golz streicht über die rostige Patina, die der Container bereits angesetzt hat. “Die
Kommunikation zwischen Wissenschaft und Kunst funktioniert noch nicht so richtig“,
bedauert sie.
OT 7 Golz
Ich erfahr das immer wieder, dass Leute sich das Museum angeschaut haben und wenn
ich dann sage, habt ihr auch mein Memorial gesehen, dass die dann sagen, ja wieso, da
wissen wir ja gar nicht davon.
Musik
Literatur 3
Gelb ist der Sand der Erde.
Gelb ist die Farbe der Ehernen Wälder.
Gelb ist die Herzen der Blumen.
Gelb sind die Astern.
Gelb ist das Feld. das Geld.
Der Franc ist gelb. –brünett.
ich habe einen gelben Franc gesehen.
gelb ist zum Beispiel mein Pencil.
Grün ist die Farbe der Wiesen.
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die Farbe grün, grün sind die Wälder.
Grün sind die Wälder.
Grün sind die Blätter.
Die grüne Farbe befindet sich im Behälter.
der Silo muß hellgrüne Farbe haben.
grün ist schön. Neben Mist.
Moderation
Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander: Dieser Meinung waren schon Aristoteles und
Seneca. Der Mythos hält sich bis heute – und oft genug bestätigt er sich auch: Man denke
nur an den Maler Vincent van Gogh, der sich im Wahn das Ohr abschnitt. „So wie die
Verrücktheit, in einem höheren Sinn, der Anfang aller Weisheit ist, so ist Schizophrenie der
Anfang aller Kunst, aller Phantasie“, schreibt Hermann Hesse in seinem Roman
„Steppenwolf“. Muss man tatsächlich ein bisschen irre sein, um kreativ sein zu können?
Viele Neurowissenschaftler sehen zumindest einen Zusammenhang.
Was nun wiederum nicht heißt, dass umgekehrt eine psychische Krankheit automatisch
jeden zum Künstler macht. Für die Aufnahme im Gugginger „Haus der Künstler“ gibt es
deshalb vor allem ein Kriterium: Jeder Bewohner muss über eine eigenständige künstlerische
Formensprache verfügen. Denn Kunst ist hier keinesfalls eine Therapieform – ihre Qualität
muss für sich stehen.
Neben der Wohngruppe gibt es auf dem Gelände ein „Offenes Atelier“: Gugginger Künstler
arbeiten dort gemeinsam, aber es kommen auch regelmäßig Gäste von außen. Nicht alle von
ihnen sind psychisch krank. So wird das Atelier zu einer integrativen Begegnungsstätte der
ganz eigenen Art…
Reportage 4: Gemeinschaftlich produktiv arbeiten: Das offene Atelier Gugging
ATMO: Atelier…Lachen, Stimmen……
SPRECHERIN:
Es ist früher Nachmittag. Die Stimmung im Atelier ist entspannt. Worte fliegen durch die
Luft; trotzdem wird konzentriert gearbeitet. Noch sind nicht alle Arbeitstische in dem großen
hellen Raum besetzt; für fünfzehn Künstler ist hier Platz. Leonhard Fink spitzt seinen Bleistift.
OT 1 Fink
16
Ich war der erste der ins Atelier gekommen ist. Ich male Karten aus dem Gedächtnis.
Weil mein Vater ist Geograf und wir haben immer kartiert die Gegend und drum kenn
ich mich so gut aus in Österreich und der Welt. Mir wird nie langweilig.
SPRECHERIN:
Seit 2001 besucht er regelmäßig nachmittags das Atelier Gugging. Noch wohnt er bei seinen
Eltern, aber nach ihrem Tod möchte er ins “Haus der Künstler“ ziehen. Seine hellwachen
Augen registrieren alles, was rund um ihn geschieht. Der 1961 geborene Wiener zeichnet
fiktive Stadtansichten aus der Vogelperspektive; exakt ausgearbeitete Bleistiftillustrationen.
Manchmal versteckt sich ein kleines Fabelwesen im Häusermeer. Auch eine Weltkarte hat er
schon gezeichnet.
OT 2 Fink
Meine Ausstellungen waren dreimal in Tokyo, auch dreimal in New York, einmalig
Amsterdam. Das teuerste Bild habe ich verkauft, das war 8500 Euro - vom Künstler
Leonard Fink.
SPRECHERIN:
Leonhard Fink ist längst in der Galerie Gugging vertreten. Nicht alle Ateliergäste sind das.
OT 3 Schnekenburger
Es ist nicht für jeden so, dass er mit der Galerie zusammenarbeitet, und das ist auch
nicht unser ausdrückliches Ziel im Atelier. Es geht darum, dass sich jeder frei
ausdrücken kann und bei manchen kommt es dann zustande.
SPRECHERIN:
Ramona Schnekenburger betreut die Künstler im Atelier. Die junge Frau mit dem schräg
geschnittenen Pony hat in Berlin Sozialarbeit studiert und selbst künstlerisch gearbeitet.
“Kurse gibt es hier nicht”, erklärt sie bestimmt; „ Kunst soll hier nicht Mittel zum Zweck
sein.“
OT 4 Schnekenburger
Also das Atelier ist ja ein Ort, ein Raum, wo es um das kreative Schaffen, um den freien
Ausdruck geht. Es ist ein Raum wo jeder eingeladen ist, der sich künstlerisch betätigen
will.
SPRECHERIN:
Die Teilnahme ist übrigens bis auf besondere Materialkosten unentgeltlich.
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ATMO: Atelier
Karl Vondal schlurft durch das Atelier, sein Zeichenblatt zusammengelegt unter dem Arm;
einer der acht Bewohner aus dem Haus der Künstler, die derzeit im Atelier arbeiten. Sein
Bildwerk trägt er stets bei sich, lässt es nie unbeaufsichtigt. Schon mit 18 Jahren kam er in
die Psychiatrie. In zarten Pastellfarben malt er nackte Frauen und Paare beim Liebesakt.
OT 5/1 Vondal
Am Zimmer mach ich weiter damit in der Nacht…
SPRECHERIN:
Nachts male ich in meinem Zimmer, erzählt der Künstler aufgeregt. Von halb acht bis drei,
vier Uhr in der Früh.
OT 5/2 Vondal
…bis drei Uhr in der Früh, von halb acht bis halb vier in der Früh.
SPRECHERIN:
Da kann ich machen was ich will; das sieht keiner.
OT 5/3 Vondal
Da kann ich machen was ich will, das sieht keiner.
ATMO: Atelier
SPRECHERIN:
Weit hinten im Raum werkt Alfred Neumayr . Zwischen Tuschegläsern und Federstiften auf
seinem Arbeitstisch sitzt ein Raubvogel.
OT 6 Neumayr
Das ist ein Turmfalke, den hab ich als Kind geschenkt bekommen. Der lebt jetzt schon
seit über 50 Jahren bei mir. Nur ist er ausgestopft und ich noch nicht (Lachen). Meine
Liebe ist die Feder. Ich bin auch sehr abhängig von den Federn, so wie er.
SPRECHERIN:
Alfred Neumayr lacht gern, tief in sich hinein. Hintergründiges inspiriert ihn. Der gelernte
Offsetdrucker experimentiert mit Feder und Tusche. Ein sogenannter Lauffreund hat ihn zum
Malen ermutigt. Er wohnt in Tulln knapp 20 Kilometer westlich von Maria Gugging und
besucht seit 2011 täglich das Atelier.
18
OT 7 Neumayr
Ich hab 33 Jahre im Beruf gearbeitet, dann war es genug (lacht). Sie sagen dann
krankheitshalber. Es war genug, das Fass war voll. Jetzt füllen wir wieder ein anderes.
Ich weiß nicht, dadurch füllt sich wieder was anderes.
SPRECHERIN:
Immer war er schnell unterwegs; Extremsport. Jetzt lässt er einfach seine Hand gleiten,
Strukturen verbinden sich, Fabelwesen entstehen. Bilder, die an geologische Formationen
und Fotografien aus dem Weltraum erinnern.
OT 8 Neumayr
Die Menschen müssen schon selber schauen, was sie sehen wollen. Struktur ist für mich
sehr wichtig, also die Struktur zu schaffen. Vielleicht bin ich struktursüchtig. Die Augen,
das Gehirn, das ist ein Zusammenspiel, und die Hände sind die ausübenden. Also der
Grundstrich, wenn noch nichts passt, das macht mich unruhig.
SPRECHERIN:
Alfred Neumayr streicht über das Federkleid des Turmfalken - mit seinem Blick; manchmal
auch mit den Händen; eine perfekte Anordnung in Farbe und Form. Ramona Schnekenburger
setzt sich zu ihm an den Arbeitstisch. Sie hat seinen schnellen Aufstieg vorsichtig begleitet. Er
stellt in NewYork, Lausanne und Paris aus.
OT 9
Ramona Schnekenburger: Das kommt von der Obsession, beim Alfred kommen so viele
Dinge zusammen, nämlich das Talent, aber auch die Ausdauer. Ich mein bei dir auch
das Obsessive, dass du gar nicht aufhören kannst und willst…
Alfred Neumayr: Ich kann nicht anfangen und nicht aufhören.
Ramona Schnekenburger: Aber deswegen ist auch so ein Werk entstanden, das ist
schon so die Kombination…
Alfred Neumayr: Jeder Tag fängt von Null an.
ATMO: Atelier
Literatur 4
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Der Pampf
Der Pampf ist Orangerot
dies ist das passet für ihn
Er lebt in Österreich
und frißt nur Hafer.
Der Pampf ist so groß wie ein Gimpel.
Und der Gimpel so groß wie
eine Schwalbe. Er frißt auch
nur Hafer. Sowie der Sperling
Der Pampf ist ein sehr liebes Tier
Er tut niemandem etwas zu leide
Menschen frißt er mit Vorliebe.
Musik hört er sehr gerne.
Er ist ein Haustier. Er wird
in einem Käfig gehalten.
Er lebt auch in freier Natur.
Musik
Moderation
Den Erfolg der Art Brut hat ihr „Erfinder“ Jean Dubuffet durchaus vorhergesehen. Er glaubte
allerdings, dass die Außenseiter-Kunst die traditionellen Museen mit ihrem überholten
Kunstverständnis zu Fall bringen würde. Ein Irrtum. Tatsächlich geschah das Gegenteil: Die
Art Brut ist von der Kunstwelt einverleibt worden – und damit auch vom zeitgenössischen
Kunstmarkt. Vielleicht ist es der Wunsch der Menschen nach Authentizität, der sie immer
populärer macht; viele sprechen von einer geradezu spirituellen Wirkung, die sie entfaltet.
Jedenfalls gelten die Werke der Gugginger Künstler mittlerweile als solide Geldanlage.
Paradoxerweise stehen nun ausgerechnet Kunstschaffende im Mittelpunkt, die mit ihrer
Arbeit nie nach Anerkennung oder gar nach Geld gestrebt haben.
Reportage 5: Art Brut statt Bausparvertrag: Die Galerie Gugging
ATMO: Galerie… Stimmen: Grüß Gott….Kind: Mama…
SPRECHERIN:
20
Ein Paar spaziert mit seiner kleinen Tochter durch die Galerie. Die hochschwangere junge
Frau hat soeben ein Bild erstanden. Sie strahlt zufrieden.
OT 1 junge Frau /Galeristin
Junge Frau: Wir haben vom Reisenbauer die Sonnen gekauft, in Bleistift,
Bleistiftzeichnung, für unser zweites Baby, das wir im April erwarten. Wir haben für
unser erstes Kind die Insekten gekauft vor 2 Jahren, und jetzt kriegt das zweite Baby die
Sonnen (lacht), quasi als Investition für die Kinder, statt einem Bausparvertrag kriegens
die Bilder (lacht)…
Galeriemitarbeiterin: …schöner anzuschauen…
Junge Frau: schöner anzuschauen, auf jeden Fall…
SPRECHERIN:
Ihr Lachen schallt durch die weiten Räume. Nina Katschnig, Leiterin der Galerie, eilt auf sie
zu, um sie zu ihrer Wahl zu beglückwünschen.
OT 2 Katschnig/ junge Frau
Galeristin: Herzliche Gratulation übrigens…
Junge Frau: Danke schön (lautes Lachen)
Galeristin: super Sache. Weil die sind so schön…
Junge Frau: Ja, mir gefallen’s auch, ich hab große Freude, hängen im Kinderzimmer,
gegenüber ist das Sesserl, wo wir immer sitzen und da schaun wir immer. Also
Reisenbauer, mich haut das einfach um. Zwar die gleichen Motive aneinandergereiht,
und doch jedes unterschiedlich, nein das fasziniert mich einfach. Den Reisenbauer den
lieb ich sehr; er bleibt bei sich (lacht).
SPRECHERIN:
Die Galeriemitarbeiterin packt das Gemälde vorsichtig ein. Die Atmosphäre hier ist
entspannt, herzlich.
ATMO: Lachen, Stimme…viel Spaß beim Hängen…
Nina Katschnig streckt sich kurz in einem bequemen Sessel aus. Dunkler Pagenkopf, AnknipsLächeln: Die Kärntnerin wirkt sehr kommunikationsfreudig; Pädagogik und Psychologie hat
sie studiert. Als sie vor 18 Jahren hier begonnen hat, waren in der Galerie nur Gugginger
Künstler vertreten. Inzwischen kann sie internationale Art Brut Künstler anbieten. Einer ihrer
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Favoriten vom alten Kern der Gugginger Künstler ist Franz Kernbeis. Die Laden im Lager sind
voll.
OT 3 Katschnig
Und wir haben hier zum Beispiel (Atmo), wo haben wir jetzt was: Das ist eine
wunderbare Arbeit von ihm. Das ist aus dem Jahr 2001, ein Fahrzeug. Er schafft es
wirklich mit einem Strich die ganze Struktur zu geben und das wesentliche darzustellen.
Und dann geht er mit - das da sind Aqua Monolith Stifte - dann geht er in mehreren
Farben, in mehreren Schichten drüber. Und dadurch entsteht so ein dreidimensionales
sehr archaisch wirkendes Werk. I hab ihn lang begleiten dürfen im Sinne von
Bleistiftspitzen, aber des is ja schön so.
ATMO: Galerie/Lager
SPRECHERIN:
3000 Euro ist so eine mittelformatige Papierarbeit wert, sagt die Galeristin, und das AnknipsLächeln verschwindet. Die Entwicklung auf dem internationalen Art Brut Kunstmarkt sei
durchwegs gut, bestätigt sie.
OT 4 Katschnig
Es gibt nicht viel Aufs und Abs bei den Preisen. Natürlich, da draußen die Leinwand
vom Walla, die dann mit 110.000 Euro ist, das ist aber dann wirklich ein ganz
besonderes Werk und eine ähnliches in der Art, des gibt’s einfach jetzt nicht mehr. Aber
es gibt auch noch andere Werke die wir haben wie vom Ramirez, dem mexikanischen
Künstler, wo eine kleine Papierarbeit um 50 - 60.000 Euro kostet.
ATMO: Laden öffnen
SPRECHERIN:
Nina Katschnig öffnet eine Lade nach der anderen. Der österreichische Künstler Arnulf Rainer
war einer der ersten Sammler; aber nur von heimischen Sammlern könne man nicht leben,
erklärt sie. Ein internationales Publikum sei wichtig, die Teilnahme an Kunstmessen. Das
besondere an der Galerie Gugging aber ist ihr Geschäftsmodell.
OT 5 Katschnig
Galerie gehört nämlich den Künstlern. Das ist eine Produzentengalerie, das heißt sie
bekommen wie auch bei jeder anderen Galerie ihre 50%. ‘Aber wenn die Galerie einen
Gewinn hat, dann schüttet sie ihn auch an die Künstler aus. Und die Künstler sind
vertreten über deren Sachwalter in der Galerie. Künstler, die sich so nicht um ihre
Geschäfte kümmern können, haben jemanden, der das tut . Das ist ein Rechtsanwalt.
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ATMO: gehen…Stimmen….
An Nachschub künstlerischer Arbeiten fehlt es nicht. Quasi Tür an Tür arbeiten die Künstler
mit ihrer Galerie.
OT 6 Katschnig
Das ist eine wunderbare komplexe Geschichte. Die Künstler sind vor Ort, ist für die
Besucher natürlich großartig. Das ist absolut einzigartig auf der Welt, dass hier alles so
konzentriert gemeinsam ist.
ATMO: Schritte …Stimmen…
SPRECHERIN:
Günther Schützenhöfer besucht Nina Kaschnig in ihrem Büro. Er lebt im “Haus der Künstler”
und arbeitet gerne bei ihr. Alltagsgegenstände stilisiert er. Zuletzt hatte der 1965 geborene
Künstler eine vielbeachtete Ausstellung in einer Galerie in New York. Die Galeristin spitzt
ihm gerne die Bleistifte, die ihm immer wieder abbrechen.
OT 7 Katschnig
Und dann nimmt er wieder den nächsten und den nächsten, wie sie halt so da liegen
und dadurch verwendet er auch verschiedene Bleistiftstärken. Und ein amerikanischer
Kunstkritiker hat gesagt, “I think he is very sophisticated“, wo man bei uns so “naiv”
oder “einfach” sagt, und das hat mir sehr gut gefallen.
SPRECHERIN:
“Sophisticated“, feinsinnig: Günther Schützenhöfer lässt sich zunächst einmal die Abbildung
einer Schallplatte aus dem Computer ausdrucken. Gestern Abend hat er den Schlager
“Atemlos” von Helene Fischer gehört, da ist ihm die Idee gekommen, eine Schallplatte zu
zeichnen. Langsam schält er sich aus seiner Jacke. Dann setzt er sich an den Tisch, zieht die
ersten Linien, setzt seine Signatur und schraffiert.
ATMO: Bleistift kratzen…Des kann i gut….
Der Bleistift fährt über das Zeichenblatt; Günther Schützenhöfer summt dazu.
OT 8
Des mach i oft, solang’s mi gefreut. Wenn genug ist, dann hör ich auf mit dem zeichnen
…(summen)…des mach ich da noch fertig, dann hör i auf, da des Stückerl …(Summen,
Kratzen)…da mach i noch fertig, da…(Summen)…des Stückerl da…(Summen)
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Literatur 5
Der Traum ist ein Papier
der Traum ist zur Nacht
da kam der Pförtner
der die Tore aufmacht.
Der Traum ist klares Licht
Der Tod ist die Frau
der Der Tag ist der Traum
und der Baum ist der Traum
Musik
Moderation
Kunst und Irrsinn: Die Art Brut-Künstler aus Gugging.
Das waren Gesichter Europas, heute mit Reportagen von Antonia Kreppel.
Die Literaturauszüge stammten aus dem Gedichtband „Alexander“ von Ernst Herbeck,
gelesen von Simon Roden. Musik und Regie: Babette Michel. Für Ton und Technik waren
Ernst Hartmann und Angelika Brochhaus verantwortlich.
Am Mikrofon verabschiedet sich Jeanette Seiffert.
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