22 | VORARLBERG NEUE AM SONNTAG 27. DEZEMBER 2015 Moment erkennen und festhalten Ihre künstlerischen Auseinandersetzungen verwirklichten sich in Fotografien und Worten, als sie zu Grid Marrisonie wurde. Kreativität aber schlummerte in ihr von Kindheit an. Bevor diese aus ihr herausbrechen durfte, waren andere Dinge wichtig. Die Bregenzerin Rosmarie Streibl (64), ihre Fotos und Worte. Grid Marrisonie liebt es, im Museumscafé zu sitzen. ROLAND PAULITSCH HEIDRUN JOACHIM E in Lieblingsplatz der gebürtigen Hohenemserin Rosmarie Streibl ist das Museumscafé in Bregenz, ihrem heutigen Heimatort. Gleich ob drinnen oder draußen – sie mag es. „Weil ich mich für Architektur interessiere. Das vorarlberg museum sehe ich als eine moderne Schachtel, in der viele alte, interessante Dinge verborgen sind. Man muss nur den Blick dafür öffnen.“ Den Blick öffnen. Die blitzblauen Augen der 64-Jährigen, die unter dem Künstlernamen Grid Marrisonie bekannt ist, sind klar. Geschärft durch das Leben geben diese nicht sofort freien Zugang zum Inneren, zum Wesen dieser Frau. Vielleicht haben Erfahrungen sie misstrauisch gemacht. Vielleicht ist es einfach ein Charakterzug, dem Gegenüber möglichst wenig der eigenen Gedanken, Gefühle preiszugeben. Zumindest nicht direkt. Denn Einblick gibt sie in ihr „Inneres“ schon über Worte, Bilder, Installationen: Ihre Themen ebenso wie deren Umsetzung widerspiegeln ihr Denken, ihre Überzeugungen. „Alles was du siehst, wird die Natur bald verwandeln und aus diesem Stoff andere Dinge schaffen und aus deren Stoff wiederum andere, damit die Welt immer verjüngt werde.“ Eine Aussage von Marc Aurel, die über den Werken der 64-Jährigen stehen könnte. Denn sie fotografiert Vergängliches und Vergangenes. Analog. Marrisonie mag keine gestellten Motive. Ihr Anspruch beruht auf der Authentizität des Widergespiegelten. „Photoshop ist für mich kein Thema. Ich möchte, dass ein Bild so stimmt, wie ich meine Ka- mera einstelle“, sagt sie. Leise, aber bestimmt. Vorlieben Sie liebt es, die Stimmung auf Friedhöfen mit der Kamera einzufangen. Alte Stiegenhäuser ziehen sie ebenso an wie Häuser, die Geschichte atmen, Schicksale bergen. Schönheit, die auch im Verrotteten und Verlotterten zu erkennen ist, macht sie sichtbar. Ganz besonders liebt die Bregenzerin Venedig, eine faszinierende Stadt, die morbiden Charme verbreitet. „Ich habe Venedig entdeckt während meiner Hochzeitsreise. Und ich ha- be schon damals gewusst: Da muss ich wieder hin“, erzählt die Künstlerin. Und nach verschiedenen Lebensetappen besuchte sie die Lagunenstadt wieder, entdeckte deren sterbende Schönheit für sich. 2009 hat sie dort eine besondere Installations-Idee umgesetzt. Wasser ist das Element, welches für die Venezianer alles bedeutet – Leben, Arbeit, Freizeit. Das Stadtbild wird bis heute geprägt von Gondeln und Booten unterschiedlichster Bestimmung. Zisternen hingegen, einst als Wasserspender-Verbundsystem angelegt, sind angenagt vom Zahn VORARLBERG | 23 NEUE AM SONNTAG 27. DEZEMBER 2015 Bild ganz links: Die Zisterne San Baraba in Venedig, verbunden mit Mull. Beschrieben wurden die Zisternen mit „verschwunden, wunden, verbunden“. ZUR PERSON Name: Rosmarie Streibl Künstlername: Grid Marrisonie Alter: 64 Wohnort: Bregenz, geboren in Hohenems Marrisonie ist Lyrikerin, arbeitet als Fotografin, inszeniert Rauminstallationen und Aktionen im öffentlichen Raum. Veröffentlichungen : Wortwerte, Lyrik, NimrodVerlag, Zürich, 2006, Eine fotografische Dokumentation einer Inszenierung in Venedig; Herbst 2011, Einschnitte, Lyrik, Edition Garamond, Wien, 2012, Kontakt: www.marrisonie.at der Zeit. Irgendwann wird keiner mehr wissen, was das eigentlich gewesen ist. Und hier setzt wohl die künstlerische Idee von Marrisonie an. Sie will Überbleibsel zum einen fotografisch sichern und zum anderen durch Verfremdung darauf aufmerksam machen. Mit unzähligen Mullverbänden hat sie Brunnen-Relikte in sechs Bezirken der Lagunenstadt umwunden, darauf die Worte „verschwunden, wunden, verbunden“ geschrieben und diese Installation dann fotografiert. Diese Abbildungen der Stadt im Wasser beeindrucken, wecken zwiespältige Gefühle, regen an zum Nachdenken über den Sinn der Welt. Ob die Künstlerin das so sieht, bleibt offen. Es gibt eben Menschen, die Momente wie Emotionen oder Details erfassen. Sie sind achtsamer, sehen Dinge, die der durch den Alltag Hastende nicht wahrnimmt, und bewahren diese für die Ewigkeit. Zu diesen Menschen gehört wohl Marrisonie. Ähnliches drückt sie auch in ihren Wortschöpfungen aus. Ihre Lyrik birgt Schmerz, Verzweiflung, Hoffnung, Liebe. Zwei Gedichtbändchen sind erschienen. Mit Versen, die anrühren und nachdenklich machen. Auf eine besondere Art, man muss sich auf diese einlassen. Gehört Marrisonies Zukunft den Worten oder den Bildern? „Das wird sich zeigen“, sagt sie. Rosmarie Streibl wurde 2001 zu Grid Marrisonie. Wenn Kreativität erst im höheren Alter gelebt werden darf, dann muss das vorherige Dasein ein unglückliches gewesen sein. Denkt man. Die Bregenzerin wehrt vehement ab: „Keineswegs. Gedichte habe ich schon in der Jugend geschrieben. Jedoch als Kind Rosmarie und später als Ehefrau Streibl sowie als Mutter hatte ich andere Aufgaben zu erfüllen. Die auch ihren Sinn und Zweck hatten. Drei wunderbare Töchter habe ich „ Keine Antwort Gedichte habe ich schon in der Jugend geschrieben. Grid Marrisonie Sekretärin in der Landesvolksanwaltschaft habe ich in den Jahren 1989 bis 2011 erlebt, dass Menschen sich öffnen können.“ Und ihre Augen verraten, dass sie auch Schmerzvolles durchlebt haben muss. Vielleicht hat gerade dieser Schmerz sie zu Marrisonie werden lassen, hat den Keim Kreativität aufgehen lassen. “ gemeinsam mit meinem Mann erzogen. Und gearbeitet, weil das Geld gebraucht wurde.“ Etwa in den 1970er-Jahren wirkte sie in der Landesbildstelle. „Da bin ich mit dem Fotografieren in Berührung gekommen. Als Und warum hat sie einen Künstlernamen angenommen? „Weil so ein neuer Lebensabschnitt möglich wurde. In den vorhergehenden Lebensabschnitten – als Rosmarie und als Frau Streibl – war mir die in mir angelegte Lebensäußerung nicht möglich.“ Und warum gerade Grid Marrisonie? „Darauf gibt es keine öffentliche Antwort.“ Sie gibt wenig von sich preis, lässt ihre Bilder und ihre Lyrik für sich sprechen. „Das Wort ist meine Liebe, das Auge ist mein Herz – alles ist mein Leben“. Das sagt Grid Marrisonie über Grid Marrisonie.
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