proofs

UNTERRICHT
Christoph Rühlemann
Städtische Ricarda-Huch-Realschule
München
Englisch
Das British National Corpus
Wie können Lehrerinnen und Lehrer das BNC
nutzen? (Teil 1)
“Using a corpus will for some years
to come be a voyage of discovery at
every level of education – the
student, the teacher, the class, the
institution, the educational
authority, the curriculum planners,
the publishers.”
Sinclair 2004b, p 294
Dieser Artikel möchte das British
National Corpus (BNC) als
Ressource für den Englischunterricht der Sekundarstufe vorstellen.
Er tut dies in zwei Teilen. Der erste
Teil zeigt Verwendungsmöglichkeiten des BNC für Lehrkräfte, der
zweite Teil – in einer späteren
Ausgabe von PRAXIS Fremdsprachenunterricht – wird Verwendungsmöglichkeiten für Schülerinnen und
Schüler erläutern.
Es scheint nicht übertrieben zu behaupten, dass die Sprachwissenschaft und, in
ihrem Gefolge, auch die Didaktik des Englischen gegenwärtig eine Phase grundlegender Neu-Ansätze durchlaufen, ausgelöst durch die corpus revolution (Crystal
2003, S. 448). Korpora sind viele Millionen Wörter umfassende Sammlungen
von Texten, die mittels spezieller Software
durchsucht und analysiert werden können. Zu den bekanntesten Korpora des
Englischen zählen etwa das Bank of English Corpus, auf dem sämtliche Veröffentlichungen der Collins COBUILD Serie
aufgebaut sind, das Cambridge International Corpus, auf dessen Grundlage die soeben erschienene Cambridge Grammar of
English (CGE) (Carter und McCarthy
2006) erarbeitet wurde, und das British
National Corpus, das im Zentrum dieses
Artikels steht. Sichtbarster Ausdruck der
durch Korpora ausgelösten Veränderungen ist die Tatsache, dass heute kein ernst
zu nehmender britischer Verlag mehr ein
Wörterbuch herausbringt, das nicht korpus-basiert ist (siehe, zum Beispiel, das
Cambridge Advanced Learner’s Dictionary
(2003). Auch Grammatiken des Englischen sind heute typischerweise korpusbasiert, wie die Longman Grammar of Spoken and Written English (Biber et al. 1999)
und die oben genannte CGE zeigen. Die
corpus revolution macht aber auch vor
dem Englisch-Klassenzimmer nicht halt:
Korpora können auch hier nutzbringend
Verwendung finden (siehe die hervorragende Einführung in Mukherjee 2002).
Was ist das BNC?
Das BNC ist eine Sammlung von geschriebenen und gesprochenen Texten des modernen Britischen Englisch; das Korpus
umfasst 100 Millionen Wörter: 90 Millionen aus geschriebenen (written subcorpus), 10 Millionen aus gesprochenen Texten (spoken subcorpus). Es ist damit eines
der derzeit größten Korpora des Briti-
PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008
schen Englisch. Das spoken subcorpus enthält neben ca. sechs Millionen Wörtern
aus eher öffentlichen Sprachverwendungen wie z. B. Vorlesungen, club meetings,
Radiosendungen usw. (context-governed
subcorpus) ca. vier Millionen Wörter aus
informellen Konversationen (demographically-sampled oder conversational subcorpus). Alle Texte des BNC wurden ausgewählt mit dem Ziel, das heutige Englisch in GB repräsentativ abzubilden
(Aston und Burnard 1998).
Neben der Fülle und Diversität der im
BNC versammelten Daten ist entscheidend, dass das Korpus für Recherchen aller Art linguistisch ‚vorbereitet’ wurde,
und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind alle Wörter des Korpus mit einem sog. tag versehen, der Auskunft über
die Wortklasse (part of speech, oder POS)
im jeweiligen Satz gibt; so können z. B.
alle Verwendungen von GO als Verbum
und als Nomen aufgerufen werden oder
es können Recherchen für die unterschiedlichen Verbfomen von GO (Infinitiv-, Basis-, Verlaufsform etc.) unternommen werden. Zum anderen enthält das
Korpus eine Fülle von kontextuellen Informationen zu Art, Quelle und Struktur
der Texten und zu den Sprechern/innen
(Alter, Geschlecht, etc.). So ist es z. B.
möglich, gezielt nach Zeitungs- oder
radio-phone-in-Texten oder Äußerungen
von Frauen, Männern oder Jugendlichen
zu suchen.
Treffer einer Korpusrecherche werden
generell als sog. Konkordanzlinien dargestellt, bei denen die Vorkommen des gesuchten Begriffs (node) umgeben von einer gewissen Menge von Kontext untereinander angeordnet werden. Abbildung 1
zeigt einen Ausschnitt der Konkordanzlinien für greener; die letzten drei concordances erweisen sich als Verwendungen
des half proverb the grass is greener (on the
other side). Es ist auch jederzeit möglich,
sich einzelne Treffer in viel größeren Kotexten anzeigen zu lassen.
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Englisch
are misted in fresh green spray, are greener today than they were yesterday, and
Michelle Shocked’s single On The Greener Side has sent seismic reverberations
Broom will tell you the grass is greener in Cheshire, especially his four-acre
to be less tempted by the ‘gras is greener’ syndrome.
Abb.1
Von Bedeutung für Lehrkräfte und Schüler/innen ist auch, dass alle RechercheTreffer bequem per Mausklick kopiert
und in Word-Dokumente integriert werden können (s. unten).
Das BNC ist jedermann auf drei verschiedene Weisen zugänglich: als Vollversion, als BNC Baby, und online.
Die aktuelle Vollversion BNC XML Edition bietet uneingeschränkt Zugang zu allen Texten, und somit zu 100 Millionen
Wörtern, und zu allen Analyse-Funktionen der Software, genannt XAIRA. Sie ist
erhältlich in Form von zwei CDs, die über
die Website des BNC (www.natcorp.ox.
ac.uk) bestellt werden können. Die Installation benötigt mindestens eine Stunde
und sehr viel Speicherplatz (ca. drei Gigabyte). Eine Einzellizenz kostet derzeit 75
Britische Pfund, eine Institutslizenz 500
Pfund. Die Vollversion ist aufgrund ihres
enormen Umfangs und der hochdifferenzierten Software speziell für Hochschulen
und Sprachwissenschaftler geeignet.
Das BNC Baby enthält vier Millionen
Wörter der BNC Vollversion; je eine
Million aus den Verwendungsbereichen
academic prose, written fiction, newspaper
texts und spontaneous conversation. Die
mit dem Baby mitgelieferte Software entspricht weitgehend derjenigen der Vollversion. BNC Baby ist als einzelne CD erhältlich und sehr leicht und schnell auf
einzelnen Rechnern zu installieren. Es
können nur Einzellizenzen erworben
werden, für derzeit 30 Euro; ab zehn Einzellizenzen 10 Euro pro Stück. BNC Baby
scheint aufgrund seiner leichten Installation und des reduzierten Volumens
durchaus geeignet für die Sekundarstufe.
Gegenwärtig starten einige Münchner
Realschulen ein entsprechendes Pilotprojekt.
Das BNC ist drittens frei zugänglich über
die BNC-Website. Dort kann der Vollumfang des Korpus online befragt werden; allerdings sind die Treffermengen extrem begrenzt (max. 50 Stück) und der Analyseumfang ist äußerst beschränk. Diese
Version des BNC eignet sich als ‚Schnupper-Version’ auch für schulische Zwecke,
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der beschränkte Funktionsumfang aber
lässt nur sehr simple Recherchen zu.
Wie können Lehrkräfte die Ressource
nutzen?
Retrieving illustrative texts
Eine der grundlegendsten Funktionen
von Lehrenden besteht zweifelsohne darin, zielsprachliche Besonderheiten zu illustrieren. So müssen Lehrkräfte für die
zu unterrichtenden grammar points oder
für die Verwendung von lexical items passende Beispielsätze parat haben. Meist
bieten die Lehrbücher nur eine sehr beschränkte Auswahl; bisweilen sind Beispielsätze in Lehrwerken wenig plastisch
und schwer einprägsam für Lerner. Sich
als Lehrkraft Sätze auszudenken, die natürlich, interessant und zugleich idiomatisch klingen, ist äußerst mühsam und
nicht immer erfolgreich. Weitaus bequemer und ergiebiger ist die Nutzung des
Korpus. Die Größe und Verschiedenartigkeit des BNC garantiert, dass – auf einen
Klick – Lehrer/innen eine Vielzahl von
Beispielsätzen aufrufen können, unter denen sich mit größter Wahrscheinlichkeit
interessante und potentiell einprägsame
Verwendungen finden. Als Illustration einige Sätze, die die Formel what’s the point
enthalten und dem Autor als einigermaßen prägnant erscheinen:
(1) What’s the point of having a
phone if you never answer it?
(2) Otherwise what’s the point of
being alive?
(3) What’s the point of advertising a
porsche if you don’t have one?
Weiter bietet das Korpus Zugang nicht
nur zu einzelnen Sätzen, sondern auch zu
Tausenden von authentischen Texten aus
allen erdenklichen Verwendungszusammenhängen, darunter selbstverständlich
auch solchen, die in allen Standard-Lehrwerken thematisiert werden. So können
menues, advertisements, news texts, weather forecasts, usw. in reicher Zahl aufgeru-
fen und in Word-Dateien gespeichert werden. Die Authentizität der Texte ermöglicht es auch – im Unterschied zu doctored
texts, wie sie häufig im Unterricht verwendet werden – die spezifischen sprachlichen Merkmale von speziellen Texttypen
zu veranschaulichen. Hier ein Beispiel eines kurzen Radio-Wetterberichts, bei dem
die für diesen Texttyp charakteristische
Verwendung der Ellipse deutlich wird:
(4) The weather, sunny intervals this
afternoon but also scattered light
showers. The top temperature
around seventeen degrees celsius,
sixty three fahrenheit, [jingle]
Designing materials
Ebenso wie das Parathaben von Beispielsätzen und Beispieltexten gehört die Produktion und Gestaltung von Arbeitsmaterialien zum Kerngeschäft des Lehrers. Auch
hier entlastet das Korpus die Lehrkraft, da
die für Arbeits- und Übungsblätter, Stegreifaufgaben und Schulaufgaben-Vorlagen
erforderliche Zielsprache nicht mehr mühsam erdacht werden muss, sondern mühelos aus dem Korpus in jede Art von WordDatei hinüberkopiert und dort weiterverarbeitet werden kann. Aus der großen
Menge an Möglichkeiten seien zur Veranschaulichung nur zwei herausgegriffen.
Abbildung 2 illustriert eine Zuordnungsübung zum Thema modal + have.
Die Beschreibungen der problems stammen von der Lehrkraft, die comments hingegen (die die Zielstruktur enthalten) aus
dem BNC.
Abbildung 3 stellt einen Ausschnitt aus einem Arbeitsblatt zur Grammatik der verbs
+ object + infinitive dar. Dabei sollen
Schüler/innen das grammatikalische
Muster verb + object + to + infinitive herausarbeiten:
These concordance lines all have the same
grammatical structure. Can you work out
the pattern?
❚ Did you expect me to tell you that ?
❚ I want you to believe that.
❚ Would you like Jenny to go along as well?
❚ Remind me to tell you about him one day.
❚ So what they do is, apparently they wait
for somebody to complain.
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Möglichkeiten dar, Diskurs-Marker und
weitere Beispiele für discourse language extensiv und in verschiedenen Verwendungszusammenhängen zu illustrieren.
Match the problems and the comments:
problem
comment
Someone has broken their leg
I think I might have caught a cold.
You lost your keys
You could have talked to her, …, you
could have explained.
You’re coughing
She must have caught her heel and tripped, just rotten bad luck.
Your girl-/boyfriend walked out on you
Someone may have picked them up.
Abb.2 Zuordnungsübung zu modal + have
_________________ + __________________+ to + _________________
Abb.3 Pattern analysis zu verb + object + infinitive
Es versteht sich von selbst, dass praktisch
jede Art von Unterrichtsmaterial, das Zielsprache enthält, mit Material aus dem
Korpus ‚gefüttert’ werden kann. So können auch die weit verbreiteten Lückentexte aus dem BNC gewonnen werden
(Mukherjee 2002); auf sie wird hier aus
Platzgründen nicht eingegangen.
Illustrating discourse features
Einzelne Wörter, Wortgruppen und auch
die meisten grammatischen Strukturen
lassen sich durch einzelne Beispielsätze illustrieren. Diese Methode eignet sich jedoch nicht für Diskurs-Merkmale. Diese
erschließen sich erst bei Betrachtung längerer Textabschnitte. Ein klassisches Beispiel sind sog. Diskurs-Marker, also Wörter oder Ausdrücke, mit denen Sprecher
und Schreiber metasprachlich signalisieren, wie sich Diskursteile aufeinander beziehen. Diskurs-Marker erfüllen eine große Anzahl von Funktionen, sei es als Gegensatz (z. B. but), als Erklärung (z. B. I
mean), als Themen-Abschluss und Überleitung zu neuem Thema (z.B. right), Themen-Einführung (z. B. so), als Signal, dass
eine eindeutige Antwort nicht gegeben
werden kann (z. B. well) und so weiter (für
eine umfassende Darstellung von discourse markers s. Carter und McCarthy 2006:
104 ff.).
Aufgrund des ständigen Wechsels der
Sprecherrolle sind Diskurs-Marker besonders in der Konversation überaus häufig (McCarthy 1998, S. 59). Dem Phäno-
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men wurde aber bislang im Unterricht
wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Betrachten wir kurz Beispiel (5) (DiskursMarker fett gedruckt):
(6) (5) 1
2
3
4
Testing intuition
Einer der größten Vorzüge des BNC für
Lehrer/innen ist seine Fähigkeit als ‚virtueller native speaker’ zu fungieren. Vor allem bei der Korrektur von Hausarbeiten
und Examina tauchen sehr häufig Schüler-Formulierungen auf, deren grammatikalische oder lexikalische Richtigkeit
nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann.
In solchen Fällen kann das Korpus wertvolle Hilfestellung geben.(s. Tsui’s (2004)
ermutigenden Bericht über Erfahrungen
mit Korpusauskünften zu solchen Zweifelsfällen)
So schrieb ein Schüler der 5. Klasse in
einer Schulaufgabe … then he goes to bed
and sleep. Der erste Impuls war, sleep wegen des fehlenden third-person-singular –
s anzustreichen. Eine Befragung des Kor-
PS02H >: Don’t you agree?
PS02G >: Yes darling.
PS02H >: Right. So what’s on the agenda for today?
PS02G >: Well you know very well. We are going shopping.We drank the
drink and both of us went to bed and sleep.
In den Äußerungen 1 und 2 wird deutlich,
dass die beiden Sprecher ein Thema zum
Abschluss bringen, indem sie sich der gemeinsamen Sicht (Don’t you agree?) auf
das Thema versichern (Yes darling.). Der
Marker Right in Äußerung 3 quittiert diesen Themenabschluss und leitet gleichzeitig auf ein neues Thema hin. Der Marker
So schließlich signalisiert die Einführung
des neuen Themas (nämlich agenda
today). Mit Well in Äußerung 4 deutet der
Sprecher an, dass die von der Frage in Äußerung 3 ‚geforderte‘ Antwort nicht oder
nicht sofort gegeben, sondern aufgeschoben werden soll (you know very well) und
dass die eigentliche Antwort (We’re going
shopping) für den Partner unerwartet oder
gar unangenehm sein könnte.
Diskurs-Marker finden sich aber
durchaus nicht nur in der Konversation.
Sie spielen auch eine wichtige Rolle im
schriftlichen Sprachgebrauch. So sind
Marker wie moreover, further, on the other
hand, thus, usw. vor allem aus argumentativen Texten nicht wegzudenken. Somit
stellt das BNC eine wertvolle Quelle von
pus ergab aber vier Treffer für den Ausdruck to bed and sleep. Einer der Sätze entsprach sogar exakt der grammatischen
Struktur des Schülersatzes:
(6) We drank the drink and both of us
went to bed and sleep.
Ein anderes Beispiel ist die bei deutschen
Schülern weit verbreitete Konstruktion
?have a problem to do something. Eine Befragung des BNC zeigt, dass diese Konstruktion zwar in einigen wenigen Fällen
vorkommt, aber die Phrase have a problem
typischerweise mit dem Gerund konstruiert wird:
(7) P.S. Sorry I sent this to the group, I
had a problem sending it direct to
you Tim.
Somit kann das Korpus Lehrkräften in
Zweifelsfällen, wie sie bei Hausaufgaben
und Examensarbeiten auftauchen, wert-
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UNTERRICHT
volle Auskunft geben und Aussagen über
Akzeptabilität auf eine an der native speaker-Norm orientierte objektivere Grundlage stellen.
Zweifelsohne erfordert die Nutzung des
BNC in dieser Funktion als virtueller
native speaker die Bereitschaft, die althergebrachte Dichotomie von ‚richtig vs.
falsch’ zu relativieren. So argumentiert
Mukherjee (2002, S.138): „Im Lichte von
Korpusdaten muss das lehrerseitige Korrekturverhalten im allgemeinen und die
Fehlerkorrektur in Klassenarbeiten und
Klausuren im besonderen überdacht werden.“ Statt der Richtig/Falsch-Dichotomie gelte es, den „Gradientencharakter
der (muttersprachlichen) Grammatik“
(ibid., S. 139) anzuerkennen. Dieser rührt
von der Tatsache her, dass sich ‚Richtigkeit’ nicht nur lexikogrammatikalisch
‚messen’ lässt, sondern auch die Faktoren
der Angemessenheit (appropriateness) in
verschiedenen kommunikativen Situationen und der an der Erwartung der Häufigkeit orientierten Idiomatizität (idiomaticity) umschließt (Mukherjee 2002,
S. 138). Lernerproduktion muss also nach
drei Richtungen beurteilt werden: Entspricht sie den Regeln der Lexikogrammatik? Ist sie situationsangemessen? Ist sie
idiomatisch? Antworten auf diese drei
Fragen können dabei nicht separat gegeben werden, sondern bedingen einander.
So kann eine Form, wie z. B. I says (die im
BNC immerhin über 1.000 Verwendungen hat), nicht den Regeln der (am Standard English orientierten) Lexikogrammatik entsprechen und dennoch angemessen sein – nämlich dann, wenn sie
etwa in einem informellen mündlichen
Bericht einer längeren Konversation auftaucht (vgl. Rühlemann im Druck). Beispiel (8) oben zeigt, dass eine Form (have
a problem to do sth.) zwar lexikogrammatisch akzeptabel sein mag, da sie in einigen wenigen Fällen von Muttersprachlern
verwendet wird, aber sehr wenig idiomatisch ist und deshalb als ‚eher nicht richtig’
eingestuft werden sollte. Mukherjee
(2002, S. 141) plädiert daher dafür, solche
‚Normverstöße’ als Halbfehler zu werten.
Einfach gesagt: eine korpusbasierte Antwort auf die Frage nach richtig/falsch
kann nur ein well it depends sein.
Nicht alle Lehrkräfte werden bereit sein,
diese Relativität zu akzeptieren (Conrad
2004). Zwei Gründe jedoch scheinen die
Mühe einer solchen komplexeren Heran-
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Englisch
gehensweise zu lohnen. Zum einen dürfen wir annehmen, dass auch die Muttersprache der Schüler/innen von einer ähnlichen Komplexität wie das Englische
geprägt ist und ein größeres Sprachbewusstein (language awareness) für die
Komplexität des Englischen auch ein größeres Bewusstsein für die Komplexität
von Sprache überhaupt und damit auch
der eigenen Sprache begünstigt. Zum anderen scheint eine nur holzschnittartige
Darstellung des Englischen, in der Formen entweder schwarz (falsch) oder weiß
(richtig) sind, eine nur ungenügende Vorbereitung der Lerner auf die Realität des
Englischen.
les Englisch distinktiven Merkmale seien
hier nur einige wenige herausgegriffen
(für umfassende Darstellungen der Eigenheiten der Konversation siehe Biber et al.
1999 und Carter und McCarthy 2006).
Korpusanalysen zeigen übereinstimmend, dass das sog. Existential there im
Mündlichen anders konstruiert wird als
im Schriftlichen. In der Konversation wird
es vorwiegend mit der kontrahierten Singular-Form ’s verwendet, und zwar unabhängig davon, ob die nachfolgende Nominalphrase Singular oder Plural ist. Beispiel
(10) illustriert diese Verwendung:
(8) There’s her poxy car keys.
Exploring the spoken language
Noch immer gilt der Communicative
Approach als das grundlegende Richtziel
des Englisch-Unterrichts. Die dem kommunikativen Ansatz zugrunde liegende
Grammatik ist jedoch vielfach noch immer in Beschreibungen der Grammatik
der geschriebenen Sprache verwurzelt
(Carter and McCarthy 1995, S. 141). Deshalb, so wird argumentiert, produziert
selbst kommunikativ ausgerichteter
Fremdsprachenunterricht speakers of
English who can only speak like a book, because their English is modelled on an almost
exclusively written version of the language
(McCarthy and Carter 1995, S. 207).
Carter und McCarthy’s Forderung
scheint deshalb nur konsequent: language
teaching which aims at fostering speaking
skills and natural interaction should be
based upon the grammar of spoken language, and not on grammars which mainly
reflect written norms (Carter and McCarthy 1995, S. 141).
Das 10 Millionen Wörter umfassende
spoken subcorpus des BNC stellt eine beispiellose Ressource von genuinem gesprochenem Englisch dar. Es ermöglicht es, Eigenheiten des gesprochenen Englisch im
Unterricht zu illustrieren und zu explorieren; auch die im BNC Baby enthaltene
eine Million Wörter aus informellen Konversationen ist noch beeindruckend zu
nennen. Mit den im spoken subcorpus versammelten Texten wird es möglich, das
gesprochene Alltagsenglisch nicht bloß als
korrumpierte Form des Schrift-Englisch,
sondern als eigenständige Varietät des
Englischen zu erfassen und zu unterrichten. Aus der Fülle der für konversationel-
In (8) folgt auf there’s das Subjekt her poxy
keys im Plural. Beispiele für diese Art von
konversationellem concord mit there finden sich im BNC und in anderen Korpora zuhauf. Deshalb schlussfolgert Carter
(1999, S. 157), dass there’s verwendet wird
standardly in spoken English irrespective of
whether the following subject is singular or
plural (s. auch Biber et al. 1999: 186)
Ein weiteres in der informellen Sprache
weit verbreitetes Merkmal ist die sog. syntactic analysis, also Syntaxformen, welche
Biber et al. (1999, S. 956) folgendermaßen
charakterisieren: [they] involve a definite
noun phrase occurring in a peripheral position, with a co-referent pronoun in the core
of the clause. Dabei werden zwei Formen
unterschieden: sog. headers, also Nominalphrasen, die der clause vorgeschaltet
werden, und tails, welche der clause hintangestellt werden (Carter und McCarthy
2006). Die beiden Formen werden in (9)
und (10) exemplifiziert. Auch hier handelt
es sich um hochfrequente Formen des gesprochenen Englisch (Biber et al. 1999,
S. 957). Carter (1999, S. 154) sieht tails
sogar als examples of standard spoken
English.
(9) header: Natalie, [she]’s a right little
squealer
(10) tail: Pathetic behaviour that is
innit?
Ein drittes Beispiel von spoken English ist
cos, die verkürzte Form von because. Im ca.
4 Millionen Wörter umfassenden konversationellen Subkorpus des BNC zeigt sich
klar, dass Specher/innen die Kurzform der
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Langform bevorzugen. So finden sich in
diesem Subkorpus 11.374 Vorkommen
von cos, aber ‚nur’ knapp halb so viele Vorkommen, nämlich 6.295, von because. Somit ist cos zweifelsohne eine weitere Form
des spoken standard. Weitere hochfrequente Verkürzungen und Kontraktionen
des Gesprochenen umfassen, zum Beispiel, die Formen gotta, gonna, wanna,
innit, dunno, und yeah.
(11) Which I think is a blessing cos I
think he’s a real so and so.
Bereits diese wenigen Beispiele zeigen,
dass das BNC eine tatsächlich einmalige
Ressource von echtem, unverfälschtem
Englisch darstellt, die es zum ersten Mal
ermöglicht, die gesprochene Sprache
buchstäblich zu ‚sehen’ (Crystal 2003, S.
235). Es scheint, dass gerade der kommunikativ orientierte Englisch-Unterricht
von dieser Sichtbarkeit des Gesprochenen
profitieren kann, da sich jetzt form-fokussierter Sprachunterricht nicht mehr an
Modellen der geschriebenen Sprache orientieren muss, sondern die gesprochene
Sprache selbst zum Vorbild nehmen kann.
Diese Umorientierung würde dazu beitragen, den dem kommunikativen Ansatz inhärenten Widerspruch aufzuheben, der
darin besteht, einerseits proficiency und
fluency anzustreben, andererseits aber
dem focus on form die Normen der
Schriftsprache zugrunde zu legen. Freilich
erfordert eine solche Umorientierung
auch eine Relativierung des Grammatikmodells des Standard English, das dem
Englischunterricht traditionell zugrunde
liegt (Quirk et al. 1985, S. 7). Die praktischen und konzeptuellen Probleme, die
mit dieser Relativierung einhergehen,
sind mit Sicherheit nicht gering (s. Timmis 2005). Die Aussicht jedoch, dass korpus-basierter kommunikativer Unterricht
Sprecher/innen produziert, die nicht wie
Bücher klingen, sondern mit der wirklichen gesprochenen Sprache vertraut sind,
scheint die Mühe zu lohnen, diese Probleme anzugehen.
Die oben skizzierten Verwendungsmöglichkeiten lassen den Schluss zu, dass
das BNC Lehrkräften bei der Vorbereitung und Durchführung von Unterricht
wertvolle Dienste leisten kann. Das BNC
ist jedoch nicht nur Lehrkräften von Nutzen, auch Lerner können von ihm profi-
PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008
Englisch
tieren. Dies darzustellen ist dem zweiten
Teil vorbehalten, der in der nächsten Ausgabe von PRAXIS des Fremdsprachlichen
Unterrichts folgt.
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