UNTERRICHT Christoph Rühlemann Städtische Ricarda-Huch-Realschule München Englisch Das British National Corpus Wie können Lehrerinnen und Lehrer das BNC nutzen? (Teil 1) “Using a corpus will for some years to come be a voyage of discovery at every level of education – the student, the teacher, the class, the institution, the educational authority, the curriculum planners, the publishers.” Sinclair 2004b, p 294 Dieser Artikel möchte das British National Corpus (BNC) als Ressource für den Englischunterricht der Sekundarstufe vorstellen. Er tut dies in zwei Teilen. Der erste Teil zeigt Verwendungsmöglichkeiten des BNC für Lehrkräfte, der zweite Teil – in einer späteren Ausgabe von PRAXIS Fremdsprachenunterricht – wird Verwendungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler erläutern. Es scheint nicht übertrieben zu behaupten, dass die Sprachwissenschaft und, in ihrem Gefolge, auch die Didaktik des Englischen gegenwärtig eine Phase grundlegender Neu-Ansätze durchlaufen, ausgelöst durch die corpus revolution (Crystal 2003, S. 448). Korpora sind viele Millionen Wörter umfassende Sammlungen von Texten, die mittels spezieller Software durchsucht und analysiert werden können. Zu den bekanntesten Korpora des Englischen zählen etwa das Bank of English Corpus, auf dem sämtliche Veröffentlichungen der Collins COBUILD Serie aufgebaut sind, das Cambridge International Corpus, auf dessen Grundlage die soeben erschienene Cambridge Grammar of English (CGE) (Carter und McCarthy 2006) erarbeitet wurde, und das British National Corpus, das im Zentrum dieses Artikels steht. Sichtbarster Ausdruck der durch Korpora ausgelösten Veränderungen ist die Tatsache, dass heute kein ernst zu nehmender britischer Verlag mehr ein Wörterbuch herausbringt, das nicht korpus-basiert ist (siehe, zum Beispiel, das Cambridge Advanced Learner’s Dictionary (2003). Auch Grammatiken des Englischen sind heute typischerweise korpusbasiert, wie die Longman Grammar of Spoken and Written English (Biber et al. 1999) und die oben genannte CGE zeigen. Die corpus revolution macht aber auch vor dem Englisch-Klassenzimmer nicht halt: Korpora können auch hier nutzbringend Verwendung finden (siehe die hervorragende Einführung in Mukherjee 2002). Was ist das BNC? Das BNC ist eine Sammlung von geschriebenen und gesprochenen Texten des modernen Britischen Englisch; das Korpus umfasst 100 Millionen Wörter: 90 Millionen aus geschriebenen (written subcorpus), 10 Millionen aus gesprochenen Texten (spoken subcorpus). Es ist damit eines der derzeit größten Korpora des Briti- PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008 schen Englisch. Das spoken subcorpus enthält neben ca. sechs Millionen Wörtern aus eher öffentlichen Sprachverwendungen wie z. B. Vorlesungen, club meetings, Radiosendungen usw. (context-governed subcorpus) ca. vier Millionen Wörter aus informellen Konversationen (demographically-sampled oder conversational subcorpus). Alle Texte des BNC wurden ausgewählt mit dem Ziel, das heutige Englisch in GB repräsentativ abzubilden (Aston und Burnard 1998). Neben der Fülle und Diversität der im BNC versammelten Daten ist entscheidend, dass das Korpus für Recherchen aller Art linguistisch ‚vorbereitet’ wurde, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen sind alle Wörter des Korpus mit einem sog. tag versehen, der Auskunft über die Wortklasse (part of speech, oder POS) im jeweiligen Satz gibt; so können z. B. alle Verwendungen von GO als Verbum und als Nomen aufgerufen werden oder es können Recherchen für die unterschiedlichen Verbfomen von GO (Infinitiv-, Basis-, Verlaufsform etc.) unternommen werden. Zum anderen enthält das Korpus eine Fülle von kontextuellen Informationen zu Art, Quelle und Struktur der Texten und zu den Sprechern/innen (Alter, Geschlecht, etc.). So ist es z. B. möglich, gezielt nach Zeitungs- oder radio-phone-in-Texten oder Äußerungen von Frauen, Männern oder Jugendlichen zu suchen. Treffer einer Korpusrecherche werden generell als sog. Konkordanzlinien dargestellt, bei denen die Vorkommen des gesuchten Begriffs (node) umgeben von einer gewissen Menge von Kontext untereinander angeordnet werden. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt der Konkordanzlinien für greener; die letzten drei concordances erweisen sich als Verwendungen des half proverb the grass is greener (on the other side). Es ist auch jederzeit möglich, sich einzelne Treffer in viel größeren Kotexten anzeigen zu lassen. 43 UNTERRICHT Englisch are misted in fresh green spray, are greener today than they were yesterday, and Michelle Shocked’s single On The Greener Side has sent seismic reverberations Broom will tell you the grass is greener in Cheshire, especially his four-acre to be less tempted by the ‘gras is greener’ syndrome. Abb.1 Von Bedeutung für Lehrkräfte und Schüler/innen ist auch, dass alle RechercheTreffer bequem per Mausklick kopiert und in Word-Dokumente integriert werden können (s. unten). Das BNC ist jedermann auf drei verschiedene Weisen zugänglich: als Vollversion, als BNC Baby, und online. Die aktuelle Vollversion BNC XML Edition bietet uneingeschränkt Zugang zu allen Texten, und somit zu 100 Millionen Wörtern, und zu allen Analyse-Funktionen der Software, genannt XAIRA. Sie ist erhältlich in Form von zwei CDs, die über die Website des BNC (www.natcorp.ox. ac.uk) bestellt werden können. Die Installation benötigt mindestens eine Stunde und sehr viel Speicherplatz (ca. drei Gigabyte). Eine Einzellizenz kostet derzeit 75 Britische Pfund, eine Institutslizenz 500 Pfund. Die Vollversion ist aufgrund ihres enormen Umfangs und der hochdifferenzierten Software speziell für Hochschulen und Sprachwissenschaftler geeignet. Das BNC Baby enthält vier Millionen Wörter der BNC Vollversion; je eine Million aus den Verwendungsbereichen academic prose, written fiction, newspaper texts und spontaneous conversation. Die mit dem Baby mitgelieferte Software entspricht weitgehend derjenigen der Vollversion. BNC Baby ist als einzelne CD erhältlich und sehr leicht und schnell auf einzelnen Rechnern zu installieren. Es können nur Einzellizenzen erworben werden, für derzeit 30 Euro; ab zehn Einzellizenzen 10 Euro pro Stück. BNC Baby scheint aufgrund seiner leichten Installation und des reduzierten Volumens durchaus geeignet für die Sekundarstufe. Gegenwärtig starten einige Münchner Realschulen ein entsprechendes Pilotprojekt. Das BNC ist drittens frei zugänglich über die BNC-Website. Dort kann der Vollumfang des Korpus online befragt werden; allerdings sind die Treffermengen extrem begrenzt (max. 50 Stück) und der Analyseumfang ist äußerst beschränk. Diese Version des BNC eignet sich als ‚Schnupper-Version’ auch für schulische Zwecke, 44 der beschränkte Funktionsumfang aber lässt nur sehr simple Recherchen zu. Wie können Lehrkräfte die Ressource nutzen? Retrieving illustrative texts Eine der grundlegendsten Funktionen von Lehrenden besteht zweifelsohne darin, zielsprachliche Besonderheiten zu illustrieren. So müssen Lehrkräfte für die zu unterrichtenden grammar points oder für die Verwendung von lexical items passende Beispielsätze parat haben. Meist bieten die Lehrbücher nur eine sehr beschränkte Auswahl; bisweilen sind Beispielsätze in Lehrwerken wenig plastisch und schwer einprägsam für Lerner. Sich als Lehrkraft Sätze auszudenken, die natürlich, interessant und zugleich idiomatisch klingen, ist äußerst mühsam und nicht immer erfolgreich. Weitaus bequemer und ergiebiger ist die Nutzung des Korpus. Die Größe und Verschiedenartigkeit des BNC garantiert, dass – auf einen Klick – Lehrer/innen eine Vielzahl von Beispielsätzen aufrufen können, unter denen sich mit größter Wahrscheinlichkeit interessante und potentiell einprägsame Verwendungen finden. Als Illustration einige Sätze, die die Formel what’s the point enthalten und dem Autor als einigermaßen prägnant erscheinen: (1) What’s the point of having a phone if you never answer it? (2) Otherwise what’s the point of being alive? (3) What’s the point of advertising a porsche if you don’t have one? Weiter bietet das Korpus Zugang nicht nur zu einzelnen Sätzen, sondern auch zu Tausenden von authentischen Texten aus allen erdenklichen Verwendungszusammenhängen, darunter selbstverständlich auch solchen, die in allen Standard-Lehrwerken thematisiert werden. So können menues, advertisements, news texts, weather forecasts, usw. in reicher Zahl aufgeru- fen und in Word-Dateien gespeichert werden. Die Authentizität der Texte ermöglicht es auch – im Unterschied zu doctored texts, wie sie häufig im Unterricht verwendet werden – die spezifischen sprachlichen Merkmale von speziellen Texttypen zu veranschaulichen. Hier ein Beispiel eines kurzen Radio-Wetterberichts, bei dem die für diesen Texttyp charakteristische Verwendung der Ellipse deutlich wird: (4) The weather, sunny intervals this afternoon but also scattered light showers. The top temperature around seventeen degrees celsius, sixty three fahrenheit, [jingle] Designing materials Ebenso wie das Parathaben von Beispielsätzen und Beispieltexten gehört die Produktion und Gestaltung von Arbeitsmaterialien zum Kerngeschäft des Lehrers. Auch hier entlastet das Korpus die Lehrkraft, da die für Arbeits- und Übungsblätter, Stegreifaufgaben und Schulaufgaben-Vorlagen erforderliche Zielsprache nicht mehr mühsam erdacht werden muss, sondern mühelos aus dem Korpus in jede Art von WordDatei hinüberkopiert und dort weiterverarbeitet werden kann. Aus der großen Menge an Möglichkeiten seien zur Veranschaulichung nur zwei herausgegriffen. Abbildung 2 illustriert eine Zuordnungsübung zum Thema modal + have. Die Beschreibungen der problems stammen von der Lehrkraft, die comments hingegen (die die Zielstruktur enthalten) aus dem BNC. Abbildung 3 stellt einen Ausschnitt aus einem Arbeitsblatt zur Grammatik der verbs + object + infinitive dar. Dabei sollen Schüler/innen das grammatikalische Muster verb + object + to + infinitive herausarbeiten: These concordance lines all have the same grammatical structure. Can you work out the pattern? ❚ Did you expect me to tell you that ? ❚ I want you to believe that. ❚ Would you like Jenny to go along as well? ❚ Remind me to tell you about him one day. ❚ So what they do is, apparently they wait for somebody to complain. PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008 UNTERRICHT Englisch Möglichkeiten dar, Diskurs-Marker und weitere Beispiele für discourse language extensiv und in verschiedenen Verwendungszusammenhängen zu illustrieren. Match the problems and the comments: problem comment Someone has broken their leg I think I might have caught a cold. You lost your keys You could have talked to her, …, you could have explained. You’re coughing She must have caught her heel and tripped, just rotten bad luck. Your girl-/boyfriend walked out on you Someone may have picked them up. Abb.2 Zuordnungsübung zu modal + have _________________ + __________________+ to + _________________ Abb.3 Pattern analysis zu verb + object + infinitive Es versteht sich von selbst, dass praktisch jede Art von Unterrichtsmaterial, das Zielsprache enthält, mit Material aus dem Korpus ‚gefüttert’ werden kann. So können auch die weit verbreiteten Lückentexte aus dem BNC gewonnen werden (Mukherjee 2002); auf sie wird hier aus Platzgründen nicht eingegangen. Illustrating discourse features Einzelne Wörter, Wortgruppen und auch die meisten grammatischen Strukturen lassen sich durch einzelne Beispielsätze illustrieren. Diese Methode eignet sich jedoch nicht für Diskurs-Merkmale. Diese erschließen sich erst bei Betrachtung längerer Textabschnitte. Ein klassisches Beispiel sind sog. Diskurs-Marker, also Wörter oder Ausdrücke, mit denen Sprecher und Schreiber metasprachlich signalisieren, wie sich Diskursteile aufeinander beziehen. Diskurs-Marker erfüllen eine große Anzahl von Funktionen, sei es als Gegensatz (z. B. but), als Erklärung (z. B. I mean), als Themen-Abschluss und Überleitung zu neuem Thema (z.B. right), Themen-Einführung (z. B. so), als Signal, dass eine eindeutige Antwort nicht gegeben werden kann (z. B. well) und so weiter (für eine umfassende Darstellung von discourse markers s. Carter und McCarthy 2006: 104 ff.). Aufgrund des ständigen Wechsels der Sprecherrolle sind Diskurs-Marker besonders in der Konversation überaus häufig (McCarthy 1998, S. 59). Dem Phäno- PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008 men wurde aber bislang im Unterricht wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Betrachten wir kurz Beispiel (5) (DiskursMarker fett gedruckt): (6) (5) 1 2 3 4 Testing intuition Einer der größten Vorzüge des BNC für Lehrer/innen ist seine Fähigkeit als ‚virtueller native speaker’ zu fungieren. Vor allem bei der Korrektur von Hausarbeiten und Examina tauchen sehr häufig Schüler-Formulierungen auf, deren grammatikalische oder lexikalische Richtigkeit nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann. In solchen Fällen kann das Korpus wertvolle Hilfestellung geben.(s. Tsui’s (2004) ermutigenden Bericht über Erfahrungen mit Korpusauskünften zu solchen Zweifelsfällen) So schrieb ein Schüler der 5. Klasse in einer Schulaufgabe … then he goes to bed and sleep. Der erste Impuls war, sleep wegen des fehlenden third-person-singular – s anzustreichen. Eine Befragung des Kor- PS02H >: Don’t you agree? PS02G >: Yes darling. PS02H >: Right. So what’s on the agenda for today? PS02G >: Well you know very well. We are going shopping.We drank the drink and both of us went to bed and sleep. In den Äußerungen 1 und 2 wird deutlich, dass die beiden Sprecher ein Thema zum Abschluss bringen, indem sie sich der gemeinsamen Sicht (Don’t you agree?) auf das Thema versichern (Yes darling.). Der Marker Right in Äußerung 3 quittiert diesen Themenabschluss und leitet gleichzeitig auf ein neues Thema hin. Der Marker So schließlich signalisiert die Einführung des neuen Themas (nämlich agenda today). Mit Well in Äußerung 4 deutet der Sprecher an, dass die von der Frage in Äußerung 3 ‚geforderte‘ Antwort nicht oder nicht sofort gegeben, sondern aufgeschoben werden soll (you know very well) und dass die eigentliche Antwort (We’re going shopping) für den Partner unerwartet oder gar unangenehm sein könnte. Diskurs-Marker finden sich aber durchaus nicht nur in der Konversation. Sie spielen auch eine wichtige Rolle im schriftlichen Sprachgebrauch. So sind Marker wie moreover, further, on the other hand, thus, usw. vor allem aus argumentativen Texten nicht wegzudenken. Somit stellt das BNC eine wertvolle Quelle von pus ergab aber vier Treffer für den Ausdruck to bed and sleep. Einer der Sätze entsprach sogar exakt der grammatischen Struktur des Schülersatzes: (6) We drank the drink and both of us went to bed and sleep. Ein anderes Beispiel ist die bei deutschen Schülern weit verbreitete Konstruktion ?have a problem to do something. Eine Befragung des BNC zeigt, dass diese Konstruktion zwar in einigen wenigen Fällen vorkommt, aber die Phrase have a problem typischerweise mit dem Gerund konstruiert wird: (7) P.S. Sorry I sent this to the group, I had a problem sending it direct to you Tim. Somit kann das Korpus Lehrkräften in Zweifelsfällen, wie sie bei Hausaufgaben und Examensarbeiten auftauchen, wert- 45 UNTERRICHT volle Auskunft geben und Aussagen über Akzeptabilität auf eine an der native speaker-Norm orientierte objektivere Grundlage stellen. Zweifelsohne erfordert die Nutzung des BNC in dieser Funktion als virtueller native speaker die Bereitschaft, die althergebrachte Dichotomie von ‚richtig vs. falsch’ zu relativieren. So argumentiert Mukherjee (2002, S.138): „Im Lichte von Korpusdaten muss das lehrerseitige Korrekturverhalten im allgemeinen und die Fehlerkorrektur in Klassenarbeiten und Klausuren im besonderen überdacht werden.“ Statt der Richtig/Falsch-Dichotomie gelte es, den „Gradientencharakter der (muttersprachlichen) Grammatik“ (ibid., S. 139) anzuerkennen. Dieser rührt von der Tatsache her, dass sich ‚Richtigkeit’ nicht nur lexikogrammatikalisch ‚messen’ lässt, sondern auch die Faktoren der Angemessenheit (appropriateness) in verschiedenen kommunikativen Situationen und der an der Erwartung der Häufigkeit orientierten Idiomatizität (idiomaticity) umschließt (Mukherjee 2002, S. 138). Lernerproduktion muss also nach drei Richtungen beurteilt werden: Entspricht sie den Regeln der Lexikogrammatik? Ist sie situationsangemessen? Ist sie idiomatisch? Antworten auf diese drei Fragen können dabei nicht separat gegeben werden, sondern bedingen einander. So kann eine Form, wie z. B. I says (die im BNC immerhin über 1.000 Verwendungen hat), nicht den Regeln der (am Standard English orientierten) Lexikogrammatik entsprechen und dennoch angemessen sein – nämlich dann, wenn sie etwa in einem informellen mündlichen Bericht einer längeren Konversation auftaucht (vgl. Rühlemann im Druck). Beispiel (8) oben zeigt, dass eine Form (have a problem to do sth.) zwar lexikogrammatisch akzeptabel sein mag, da sie in einigen wenigen Fällen von Muttersprachlern verwendet wird, aber sehr wenig idiomatisch ist und deshalb als ‚eher nicht richtig’ eingestuft werden sollte. Mukherjee (2002, S. 141) plädiert daher dafür, solche ‚Normverstöße’ als Halbfehler zu werten. Einfach gesagt: eine korpusbasierte Antwort auf die Frage nach richtig/falsch kann nur ein well it depends sein. Nicht alle Lehrkräfte werden bereit sein, diese Relativität zu akzeptieren (Conrad 2004). Zwei Gründe jedoch scheinen die Mühe einer solchen komplexeren Heran- 46 Englisch gehensweise zu lohnen. Zum einen dürfen wir annehmen, dass auch die Muttersprache der Schüler/innen von einer ähnlichen Komplexität wie das Englische geprägt ist und ein größeres Sprachbewusstein (language awareness) für die Komplexität des Englischen auch ein größeres Bewusstsein für die Komplexität von Sprache überhaupt und damit auch der eigenen Sprache begünstigt. Zum anderen scheint eine nur holzschnittartige Darstellung des Englischen, in der Formen entweder schwarz (falsch) oder weiß (richtig) sind, eine nur ungenügende Vorbereitung der Lerner auf die Realität des Englischen. les Englisch distinktiven Merkmale seien hier nur einige wenige herausgegriffen (für umfassende Darstellungen der Eigenheiten der Konversation siehe Biber et al. 1999 und Carter und McCarthy 2006). Korpusanalysen zeigen übereinstimmend, dass das sog. Existential there im Mündlichen anders konstruiert wird als im Schriftlichen. In der Konversation wird es vorwiegend mit der kontrahierten Singular-Form ’s verwendet, und zwar unabhängig davon, ob die nachfolgende Nominalphrase Singular oder Plural ist. Beispiel (10) illustriert diese Verwendung: (8) There’s her poxy car keys. Exploring the spoken language Noch immer gilt der Communicative Approach als das grundlegende Richtziel des Englisch-Unterrichts. Die dem kommunikativen Ansatz zugrunde liegende Grammatik ist jedoch vielfach noch immer in Beschreibungen der Grammatik der geschriebenen Sprache verwurzelt (Carter and McCarthy 1995, S. 141). Deshalb, so wird argumentiert, produziert selbst kommunikativ ausgerichteter Fremdsprachenunterricht speakers of English who can only speak like a book, because their English is modelled on an almost exclusively written version of the language (McCarthy and Carter 1995, S. 207). Carter und McCarthy’s Forderung scheint deshalb nur konsequent: language teaching which aims at fostering speaking skills and natural interaction should be based upon the grammar of spoken language, and not on grammars which mainly reflect written norms (Carter and McCarthy 1995, S. 141). Das 10 Millionen Wörter umfassende spoken subcorpus des BNC stellt eine beispiellose Ressource von genuinem gesprochenem Englisch dar. Es ermöglicht es, Eigenheiten des gesprochenen Englisch im Unterricht zu illustrieren und zu explorieren; auch die im BNC Baby enthaltene eine Million Wörter aus informellen Konversationen ist noch beeindruckend zu nennen. Mit den im spoken subcorpus versammelten Texten wird es möglich, das gesprochene Alltagsenglisch nicht bloß als korrumpierte Form des Schrift-Englisch, sondern als eigenständige Varietät des Englischen zu erfassen und zu unterrichten. Aus der Fülle der für konversationel- In (8) folgt auf there’s das Subjekt her poxy keys im Plural. Beispiele für diese Art von konversationellem concord mit there finden sich im BNC und in anderen Korpora zuhauf. Deshalb schlussfolgert Carter (1999, S. 157), dass there’s verwendet wird standardly in spoken English irrespective of whether the following subject is singular or plural (s. auch Biber et al. 1999: 186) Ein weiteres in der informellen Sprache weit verbreitetes Merkmal ist die sog. syntactic analysis, also Syntaxformen, welche Biber et al. (1999, S. 956) folgendermaßen charakterisieren: [they] involve a definite noun phrase occurring in a peripheral position, with a co-referent pronoun in the core of the clause. Dabei werden zwei Formen unterschieden: sog. headers, also Nominalphrasen, die der clause vorgeschaltet werden, und tails, welche der clause hintangestellt werden (Carter und McCarthy 2006). Die beiden Formen werden in (9) und (10) exemplifiziert. Auch hier handelt es sich um hochfrequente Formen des gesprochenen Englisch (Biber et al. 1999, S. 957). Carter (1999, S. 154) sieht tails sogar als examples of standard spoken English. (9) header: Natalie, [she]’s a right little squealer (10) tail: Pathetic behaviour that is innit? Ein drittes Beispiel von spoken English ist cos, die verkürzte Form von because. Im ca. 4 Millionen Wörter umfassenden konversationellen Subkorpus des BNC zeigt sich klar, dass Specher/innen die Kurzform der PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008 UNTERRICHT Langform bevorzugen. So finden sich in diesem Subkorpus 11.374 Vorkommen von cos, aber ‚nur’ knapp halb so viele Vorkommen, nämlich 6.295, von because. Somit ist cos zweifelsohne eine weitere Form des spoken standard. Weitere hochfrequente Verkürzungen und Kontraktionen des Gesprochenen umfassen, zum Beispiel, die Formen gotta, gonna, wanna, innit, dunno, und yeah. (11) Which I think is a blessing cos I think he’s a real so and so. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass das BNC eine tatsächlich einmalige Ressource von echtem, unverfälschtem Englisch darstellt, die es zum ersten Mal ermöglicht, die gesprochene Sprache buchstäblich zu ‚sehen’ (Crystal 2003, S. 235). Es scheint, dass gerade der kommunikativ orientierte Englisch-Unterricht von dieser Sichtbarkeit des Gesprochenen profitieren kann, da sich jetzt form-fokussierter Sprachunterricht nicht mehr an Modellen der geschriebenen Sprache orientieren muss, sondern die gesprochene Sprache selbst zum Vorbild nehmen kann. Diese Umorientierung würde dazu beitragen, den dem kommunikativen Ansatz inhärenten Widerspruch aufzuheben, der darin besteht, einerseits proficiency und fluency anzustreben, andererseits aber dem focus on form die Normen der Schriftsprache zugrunde zu legen. Freilich erfordert eine solche Umorientierung auch eine Relativierung des Grammatikmodells des Standard English, das dem Englischunterricht traditionell zugrunde liegt (Quirk et al. 1985, S. 7). Die praktischen und konzeptuellen Probleme, die mit dieser Relativierung einhergehen, sind mit Sicherheit nicht gering (s. Timmis 2005). Die Aussicht jedoch, dass korpus-basierter kommunikativer Unterricht Sprecher/innen produziert, die nicht wie Bücher klingen, sondern mit der wirklichen gesprochenen Sprache vertraut sind, scheint die Mühe zu lohnen, diese Probleme anzugehen. Die oben skizzierten Verwendungsmöglichkeiten lassen den Schluss zu, dass das BNC Lehrkräften bei der Vorbereitung und Durchführung von Unterricht wertvolle Dienste leisten kann. Das BNC ist jedoch nicht nur Lehrkräften von Nutzen, auch Lerner können von ihm profi- PRAXIS Fremdsprachenunterricht | 2·2008 Englisch tieren. Dies darzustellen ist dem zweiten Teil vorbehalten, der in der nächsten Ausgabe von PRAXIS des Fremdsprachlichen Unterrichts folgt. References Aston, G. and L. Burnard (1998). The BNC Handbook. Exploring the British National Corpus with SARA. Edinburgh: Edinburgh University Press Biber, D., S. Johansson, G. Leech, S. Conrad and E. Finegan. (1999). Longman Grammar of Spoken and Written English. Harlow: Pearson Education Limited Cambridge Advanced Learner’s Dictionary (2003). Cambridge: Cambridge University Press Carter, R. A. and M. J. McCarthy. (1995). Grammar and the Spoken Language. Applied Linguistics 16(2): 141–158 Carter, R. A., and M. J. McCarthy. (2006). Cambridge Grammar of English. Cambridge: Cambridge University Press Conrad. S. (2004). ‘Corpus linguistics, language variation, and language teaching.’ In: J. M. Sinclair (ed.). How to Use Corpora in Language Teaching. Amsterdam: John Benjamins, pp. 67–85 Crystal, D. (2nd edition 2003): The Cambridge Encyclopedia of the English Language. Cambridge: Cambridge University Press McCarthy, M. J. (1998): Spoken Language and Applied Linguistics. Cambridge: Cambridge University Press McCarthy, M. J. and R. A. Carter. (1995): Spoken grammar: what is it and how can we teach it? ELT Journal 49/3, pp. 207–218 Mukherjee, Joybrato (2002). Korpuslinguistik und Englischunterricht: Eine Einführung (Sprache im Kontext series 14). Frankfurt: Peter Lang Rühlemann, C. (im Druck). Conversation in Context: A Corpus-driven Approach. London: Continuum Sinclair, J. M. (ed.). (2004a). How to Use Corpora in Language Teaching. Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins Sinclair, J. M. (2004b). ‘New evidence, new priorities, new attitudes.’. In: Sinclair, J. M. (ed.). How to Use Corpora in Language Teaching. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, pp. 271–299 Timmis, I. (2005). ‘Towards a framework for teaching spoken grammar.’ ELT Journal: 59/2, pp. 117–125 Tsui, A. B. (2004). ‘What teachers have always wanted to know – and how corpora can help.’ In: J. M. Sinclair (ed.). How to Use Corpora in Language Teaching. Amsterdam: John Benjamins, pp. 39–61 47
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