„Für Herrgott, Führer, Vaterland“ Vor 80 Jahren wurden an den evangelischen Kirchen Haßlinghausen und Sprockhövel Kriegerdenkmäler eingeweiht. Der letzte organisierte Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft war gebrochen: In den Tagen des Herbstes 1935 traten 41 geschundene Männer und Frauen aus dem Amt Haßlinghausen ihre Zuchthausstrafen wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ an. Trotz Gefahr für Leib und Leben hatten sie in illegal gedruckten und heimlich verteilten Flugblättern und Zeitschriften immer wieder zum Widerstand gegen das Hitler-Regime aufgerufen. Für alle sichtbar und unwidersprochen wurden in dieser Zeit vor 80 Jahren an den evangelischen Kirchen in Haßlinghausen und Niedersprockhövel pompöse Kriegerdenkmäler eingeweiht, deren wohldurchdachter propagandistischer Wirkung sich die Betrachter kaum entziehen konnten. Wie in zahllosen deutschen Städten und Gemeinden wurde auch hier das Bedürfnis der Menschen nach einem ehrenvollen Erinnerungsort für ihre im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne, Väter und Brüder für eine umfassende Kriegspropaganda missbraucht. Am Ende standen die Zerstörung weiter Teile Europas und der Welt und der Tod von mehr als 60 Millionen Menschen. Zunächst nach Haßlinghausen: Das Kriegerdenkmal an der Westfassade der evangelischen Kirche besteht aus fünf großen bronzenen Schwertern, darunter befinden sich Tafeln mit den Namen der 163 im Ersten Weltkrieg gefallenen Haßlinghauser Soldaten. Die markigen Sprüche „Blank die Wehr, rein die Ehr’ “ und „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“ – ein Zitat aus dem Vaterlandslied von Ernst Moritz Arndt von 1812 - sind noch heute auf diesem Kriegerdenkmal zu lesen, das der renommierte Berliner Bildhauer Hermann Hosaeus schuf. Schon 1929 hatte Hosaeus der Denkmalkommission seinen Entwurf eingereicht, der erst unter dem NS-Regime realisiert wurde. Das Kriegerdenkmal an der evangelischen Kirche Haßlinghausen. Aufnahme 1999 (Stadtarchiv Sprockhövel) 1 Der Familien- und Heimatforscher Peter Kuhweide beschreibt dieses Werk: „ … Ich glaube, man kann erkennen, was beabsichtigt war. Die Schwerter nehmen mit den Klingen und den Parierstangen die vertikalen und horizontalen Elemente der neogotischen Fenster auf. Sie wirken wie zusammengeschobene Fenstersegmente. Die Bündelung kann ein Zitat der römischen ‚fasces‘, des Rutenbündels der Liktoren, als Machtsymbol sein, wie es ja auch von den italienischen Faschisten verwendet wurde. Der Wechsel vom Relief der Fenster zur Vollplastik der Schwerter, auch vom Stein zur Bronze, unterstreicht die zentrale Bedeutung der Schwerter. Die Fenster werden zu Begleitelementen, die Gruppierung erinnert an gotische Flügelaltäre. Damit ist nicht nur der stilgeschichtliche Bezug hergestellt, sondern auch die Hierarchie. Der Mittelteil des Altars ist immer der wichtigste. Die Gruppe FensterSchwerter-Fenster erweckt den Anschein, als habe der Künstler… mit seiner Hinzufügung nicht schlichte Applikation betrieben, sondern eine Botschaft, und zwar die zentrale Botschaft, erst sichtbar gemacht. Religion und Pseudo-Religion werden perfekt verquickt. Das ist gestalterisch gelungen, in Absicht und Methode perfide.“ Mit einem Gedenkgottesdienst am 22. September 1935 und einem anschließenden „Weiheakt“ mit pathetischen Ansprachen und Musik, entsprach diese Veranstaltung der Propaganda-Strategie der Nazis, die die Gefallenen des Ersten Weltkriegs für ihre aggressiven Zwecke instrumentalisierte. Unter Beteiligung der Bevölkerung waren nicht nur die NSDAP und die Kriegervereine angetreten, auch die Feuerwehr, die Feuerwehrkapelle und die Insassen der Motorsportschule. Die örtlichen Honoratioren, darunter Pfarrer Wilhelm Weirich, Amtsbürgermeister Artur Dippe und der Vorsitzende der Denkmalkommission, Fritz Selle, beschworen mit großen Worten „Heldentum“, „Opferung und Treue“ der Gefallenen, um die große Zuhörerschaft auf das NS-Regime einzu2 schwören, das längst den nächsten Krieg vorbereitete. Gewehrsalven des Kriegervereins verstärkten die Wirkung der Veranstaltung. Amtmann Dippe: „ … Der Führer Adolf Hitler hat das Volk emporgerissen. Es ist unsere heilige und dankbare Pflicht den Gefallenen gegenüber, dieses Deutschland, das ihnen vorgeschwebt hat, hochzuhalten. Wir geloben Treue, den toten Kameraden, dem Herrgott, dem Führer, dem Vaterland!“ Ein ähnliches Schauspiel ereignete sich am 17. November 1935 auch an der evangelischen Kirche in Niedersprockhövel. Hier hatte man den Entwurf des Bildhauers Hans Dammann realisiert und ein Kriegerdenkmal der besonders groben Art eingeweiht: Auf hohem Sockel überragte eine 2,60 Meter hohe bronzene Statue die staunenden Zuschauer. Vor der Enthüllung. Einweihung des Kriegerdenkmals an der evangelischen Kirche Sprockhövel am 17. November 1935 (Stadtarchiv Sprockhövel) Dargestellt war ein „Feldgrauer“, also ein einfacher Soldaten des Ersten Weltkriegs, der eine Handgranate gen Osten wirft. Auch hier das volle Programm: ein Festgottesdienst mit anschließender Einweihungsfeier, - diesmal mit Pfarrer Paul Möller - bei dem alle lokalen Repräsentanten von Kirche, Partei, SA und Kriegervereinen geschlossen und in Uniform angetreten waren. Das Largo von Händel leitete die Feier ein, die von mehr als 1000 Menschen besucht gewesen sein soll. Die Heimatdichterin Luise Gräfer hatte extra zu diesem Ereignis ein anrührendes Gedicht mit dem Titel „Unseren gefallenen Brüdern“ verfasst, das von Erika Hausherr vorgetragen wurde. Und immer waren willfährige Zeitungsredakteure mit dabei, die den Festakt in wortreichen, mit schwülstigem Nazi-Vokabular gespickten Artikeln auch an diejenigen vermittelten, die nicht dabei sein konnten oder wollten. So berichtete die Sprockhöveler Zeitung, Pastor Möller habe seine Predigt unter das 3 Motto des Johannes-Evangeliums gestellt: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben.“ Elegant schlug der Pfarrer den Bogen zur Kriegsrhetorik der Nazis: „… Diese Treue, die uns Christus vorlebte, hat dadurch ihre Gestalt gefunden, dass das Ehrenmal mit der Kirche verbunden ist. Die Kirche stützt den, der die Liebe zu Volk und Vaterland mit dem Tod bezahlt und der Feldgraue schützt die Kirche vor bolschewistischem Verrat. … “ (Sprockhövel-Haßlinghauser Zeitung 19.11.1935). Ziel dieser Aktion war auch hier die Integration der christlichen Botschaft in die Verherrlichung von Krieg und Gewalt, Opfertum und Heldentum. Diese Botschaften schienen nun kompatibel zu sein. Das Kriegerdenkmal in Niedersprockhövel. Pastor Paul Möller als Redner auf einer Gedenkfeier im Juni 1936 (Stadtarchiv Sprockhövel) Mehr noch als die katholische Kirche nahm die evangelische Kirche gegenüber dem NS-Regime „eine freudig-bejahende Grundhaltung“ ein, wie der Kirchenhistoriker Christoph Strohm schreibt. Das Führungspersonal selbst war schon weit vor 1933 von antiliberalen Affekten und völkischem Gedankengut beeinflusst und unfähig zu selbständigem politischem Urteil. Der überwältigende Erfolg der NS-hörigen „Deutschen Christen“ bei den Kirchenwahlen im Juli 1933 besiegelte eindeutig diese Allianz von Kirche und NS-Staat. Die Kritik an der Politik der Deutschen Christen durch den Pfarrernotbund und die Bekennende Kirche änderte daran nichts. Ob mit Begeisterung oder mit der Faust in der Tasche – fast ausnahmslos machten sich die Pfarrer zu Erfüllungsgehilfen des Unrechtsstaates und trugen mit ihrer Autorität dazu bei, dass auch gläubige Christen mit reinem Gewissen größtes Unrecht begehen konnten und schließlich halb Europa in Schutt und Asche legten. 4 Das Denkmal in Niedersprockhövel wurde beim Einmarsch der Alliierten am 15. April 1945 zunächst von einem amerikanischen Panzer umgestoßen und im Sommer des Jahres von den britischen Besatzern gesprengt. Sieben Jahre später und „auf Veranlassung privater Kreise“, wie in der Hattinger Zeitung zu lesen war, ließ 1952 der damalige Gemeindevertreter und spätere Bürgermeister Reinhard Bosselmann (FDP) auf dem Platz (er hieß nun Friedrich-EbertPlatz) provisorisch ein einfaches Holzkreuz mit der Inschrift „Unseren toten Kameraden“ errichten. Bosselmann selbst, an Leib und Seele schwer geschädigt, hatte den Krieg als Soldat an der Ostfront überlebt. In seiner Ansprache führte er aus: „Dieses schlichte Mal soll uns Mahnung sein. Es soll uns ein Friedensmal bedeuten, uns, unseren Kindern und Kindeskindern, die nichts nötiger brauchen als einen ewigen Frieden.“ (zitiert nach Hattinger Zeitung 4.11.1952). Es blieb bei diesem Provisorium, bis auf dem Kommunalfriedhof 1959 ein „Ehrenhof“ für all diejenigen Toten eingeweiht wurde, „die nicht in heimatlicher Erde gebettet werden konnten.“ (Hattinger Zeitung 12.11.1959) Auf der Wand befindet sich die Inschrift „Den Toten und Opfern“, dazu eine Arbeit in Eisenguss von Karl Hellwig „Die Trauernden“, fein und schlicht geformte Figuren. Hier finden seitdem die Veranstaltungen zum Volkstrauertag statt. Das Mahnmal auf dem Kommunalfriedhof Sprockhövel. Aufnahme 2015 (Stadtarchiv Sprockhövel) Das Kriegerdenkmal an der evangelischen Kirche Haßlinghausen war nicht von einer so plumpen Symbolik wie sein Pendant in Niedersprockhövel. Es überstand den Einmarsch der Alliierten 1945 etwas blessiert mit Einschusslöchern und verlor in der Nachkriegszeit schlicht seine Brisanz. Wie wohl die meisten Betrachter nahm der 5 oben zitierte Peter Kuhweide als Konfirmand 1953/54 diese Schwerter als „grob unpassend, …..aber auch als mittlerweile nicht mehr allgemein gefährlich“ wahr. Ob und wie intensiv in der Gemeinde nun über Beibehaltung oder Entfernung der Schwerter diskutiert wurde, entzieht sich der Kenntnis der Verfasserin. Öffentlich forderten erstmal 1973 junge Leute lautstark die Verschrottung: Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Ennepe-Ruhr bezeichnete das Kriegerdenkmal in einem Flugblatt als „nationalsozialistische Provokation“, als „Ausdruck des Militarismus, der Reaktion und der Völkerhetze“. In der Presse wurde diese Aktion als „Bilderstürmerei“ abgetan und lächerlich gemacht (General-Anzeiger 19.06.1973). Zehn Jahre später, auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung 1983, brachten spontan mehrere Gemeindemitglieder ein großes Kirchentagstuch, ein „Friedenstuch“ mit der Inschrift „Wir haben dazugelernt“ auf den Schwertern an, um so ihren Willen zum Frieden zu bekunden. Die Gruppe war gerade von Kirchentag in Hannover zurückgekommen und wollte ein deutliches Zeichen zum Frieden und aktuell gegen den NATO-Doppelbeschluss setzten. Das Tuch verschwand schon wieder in der darauffolgenden Nacht. 1988, aus Anlass der 50-jährigen Wiederkehr der Reichspogromnacht, ließ die Kirchengemeinde als Kontrapunkt unter das Kriegerdenkmal einen Gedenkstein mit der Inschrift „Christus ist unser Friede“ aufstellen. Es war die Absicht, mit diesem Spruch die aggressive Wirkung der Schwerter zu brechen, ohne das Denkmal beseitigen zu müssen. Westdeutsche Zeitung 10.11.1988 6 Das Haßlinghauser Kriegerdenkmal blieb Stein des Anstoßes und damit auch im Gespräch. Während der Stadtrundfahrten und der historischen Ortsrundgänge weisen das örtliche Stadtarchiv und der Verkehrsverein Sprockhövel seit 1994 immer wieder auf die Schwerter und ihre Bedeutung hin. Der mittlerweile verstorbene Pfarrer Manfred Hafer initiierte 2007 eine gemeinsame Veranstaltung der evangelischen Kirchengemeinde mit dem Stadtarchiv zu diesem Thema. „Bilderstürmer“ gab es diesmal nicht. Die Referentin Dr. Ulrike Schrader schlug damals jedoch gemeinsam mit der Leiterin des Stadtarchivs Sprockhövel vor, das Denkmal zu erhalten und zum Verständnis eine Tafel mit Informationen zu den Schwertern anzubringen. Nun hat sich eine Initiative für eine solche Info-Tafel aus der Kirchengemeinde gebildet: Die Frauen und Männer des „Kirchengeldladens“ möchten mit ihren Einnahmen dafür sorgen, dass das Kriegerdenkmal zu einem verständlichen Lernort für den Frieden wird, gegen Verführung, Gewalt und Krieg. Karin Hockamp, Stadtarchiv Sprockhövel 25. September 2015 7
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