Artikel Die Mäulesmühle in der Kirch

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Unterwegs im Land
Die Mäulesmühle in der Kireh'
ROTTENBURG (Dekanat Tübingen) - Schwäbische Mundart wird heutzutage vor allem von Komikern
gepflegt. Dass der schwäbische Dialekt aber auch zur Verkündigung taugt, beweist Pfarrer Rudolf Paul.
Zu Besuch bei der "Schw äbischa Kirch" in Rottenburg-Oberndorf. Von Martin Janotta
Rottenburg
Evangelisch
in Rottenburg?
Ja, gibt es die
überhaupt?
Ja. In der Kernstadt sind es
runde 4000 .
Weitere 2000
verteilen sich
auf die Ortschaften.
Schwäbisch
ist öku menisch :
Die Jungen und
Mädchen aus
einem kat holischen Internat
in Rottenburg
singen zum
Einst ieg.
Foto: Kla us Fran ke
Es gibt einen Witz, den Rudolf Paul
gerne erzählt: Am achten Tage schuf
Gott die Dialekte und verteil te sie an
alle Volksstämme. Als er fertig war ,
saß in der Ecke nur noch der einsame
Schwabe, der weinte, weil er keinen
Dialekt abbekommen hatte. Als Gott
das sah, ging er zum Schwaben und
sagte: "Kerle, no schwätzseht halt so
wie i."
Keiner weiß, ob .rlr Herrgott" wirklich
schwäbisch schwätzt. Aber dass man
sein Wort auch auf Schwäbisch ver-
Die Idee eines Mundart-Gottesdienstes
nahm er mit in den Süden. An Heiligabend 1972 predigte er das erste Mal
auf Schwäbisch. Und heute tut er es
immer noch . Regelmäßig, einmal im
Monat.
Das .Sonnenzentrum" am Rande des
Rottenburger Ortsteils Oberndorf macht
seinem Namen an diesem Morgen Ende
Aprilalle Ehre. Die Sonne scheint leuchtend vom blauen Himmel herab durch
die großen Fenster des Gebäudes, in
dem eine ört liche Firma Solartechnik
künden kann, das beweist Rudolf fertigt und verkauft. Im Innenraum, der
Paul. Seit über 40 Jahren predigt er in zum firmeneigene n Restaurant "Sonne"
schwäbischer Mundart, seit seinem gehör t, sind bereits die meisten Plätze
belegt. Viele ältere Leute, einige mittRuhestand 1996 ausschließlich.
Dabei begann diese Geschichte für ihn leren Alters, aber auc h ein paar junge
weit weg von Alb und
Gesichter sind dabei.
Der Ort erscheint ungeNeckar: im Urlaub an
Die Geschichte wöhnlich für einen Gotder Ostsee. Und in eitesdienst. Für zwölf
ner Sprache, die dem
begann mit
Jahre war die Kirche des
Schwäbischen
nicht
Plattdeutsch
Hofguts Mauren bei Ehnur geografisch fern
ningen die Heimat der
liegt: Plattdeutsch. Eine
Mundartpredigt, vorgetragen von ei- .Schwäbischa Kirch". Doch irgendnem örtlic hen Pfarrer. Rudolf Paul wan n wollte man Rudolf Paul dort
war inspiriert. "Da hab i gspürt: die nicht mehr haben. Pau\, zu dem ZeitPredigt erreicht die Leute ganz anders punkt schon weit über 70, dachte ans
als sonst", sagt er.
Aufhören. Als er dann einmal im Son-
Evangelisches Gemeindeblatt für Württ emberg 25/2015
nenzentrum zu einer Lesung zu Gast
war und mit dem Eigentümer Thomas
Hartmann ins Gespräch kam, war der
aber begeistert von der Idee. "Na, dann
mach 's doch bei uns", sagte Hartmann
und für Rudolf Paul war klar: "Des war
ein Wink mit dem Zaunpfahl von
meim oberste Chef, dass ich weitermachen soll. "
Und so steht Rudolf Pau l nun einmal
mehr im Raum des Sonnenzentrums
und begrüßt seine Gemeinde: .Cuada
Morga alle mideinander." Dann übe rgibt er an die jungen Sänger des Martinihaus-Chors . Die Jungen und Mädchen aus einem katholischen Internat
in Rottenburg singen zum Einstieg,
anschließend singt auch die Gemeinde
ein Lied.
Die Lieder im Gottesd iens t sind nicht
auf Schwäbisch, auch die Liturgie ist
nich t anders als irgendwo sonst in der
Landeskirche, auch wenn die Gottesdienste - wie in Rottenburg zu erwarten - auch von vielen Katholiken gerne
besucht werden. Was die .Sc hwäbischa Kirch" besonders macht, sind die
Gebete und die Predig t in Mundart sowie die Bibelstellen aus der von Rudolf
Pau l aus den Urtexten eigenhändig
übersetzten "Bibel für Schwoba".
Und die hat einen ganz eigenen Klang:
"I brauch et sterba, i därf leba ond vrzäh la, was dr Herrgott dao hat ", heißt
es in Psalm 118, den die Gemeinde im
Wechsel mit dem Pfarrer spricht. Aber
es ist auch hörbar, was Rudolf Pau l
meint, wenn er sagt, die Mundartpredigt sei "näher" an den Menschen.
Wo es im Schr iftde utsch heißt: "Der
Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden",
klingt es auf Schwäbisch nach Problemen, die Handwerker kennen dürften:
"Der Stoe, den mo d Bauleut weggeschmissa hent, aus dem ischd a Eckstoe wora ." Der Text auf dem Liedblatt
folgt der schwäbischen Rechtschreibu ng, in der Paul seine .Schwoba-Bibel" verfasst hat. Manche aus der Gemeinde haben mit der ein wenig ihre
Prob leme und stocken etwas bei m
Sprechen des Psalms.
Dann folgt wieder "ebbes vom Chor".
Unterwegs im Land
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Information
Die Gottesdienste der .Schwäbischa Kirch " im Sonnenzentrum in
Rottenburg-Oberndorf, Im Leimesgrü ble 14, finden in der Regel am
vierten Sonntag im Mona t statt. Die
nächsten Term ine sind der 28. Juni ,
der 26. Juli und de r 23. Augus t, jeweils um 10.30 Uhr. Rud olf Paul
und sein Kollege Wilh elm Kern bieten auc h schwäbi sch e Gottesd ienste od er Konzertlesungen für
Gem einden an , etwa die Joh annespas sion ode r die Bergpredi gt auf
Schw äbisch . Information en im Internet unter www.schwaeb ischakirch. de oder bei Pfarrer Rud olf
Pau l, Telefon 07457-3426.
Und de r bringt mit sein en Liedern eine gegen Fundame ntalisten, die mein en ,
dritt e Sprache ins Spiel: Englisch . "Let im Namen Gotte s Ungläubige töten zu
it shine - Lass es scheine n" singen die dü rfen. Dem gegenüber stellt er Jes us,
jun gen Sän ger, passend zur Sonne , die der "die Spirale von dr Cwalt " durchdraußen die gelb en Rapsfelder be- bri cht. Sich auf Gott zu verlas sen , sei
das Wichtig ste . Denn für die Ernte der
strahlt.
Der Gemeinde gefällt' s, manche wip- Reb en sei .dr Wengerter" da.
pen mit, am Ende des Lied s wird ge- In der Gemeinde nicken viele zustimklat scht. Schwäb ische Texte und eng- mend . Die schwäbische Mundart
lisch e Son gs sind für die Besu ch er kommt bei ihnen gut an . "Das ist mal
offens ichtlich kein Wider spruch. .S in- was andere s", sagt eine ältere Frau . Ein
ged ihr no ois oder wollt ihr noas itze?", alter Mann hebt noch eine n weitere n
fragt Rudolf Paul die Chorle iterin. Man Vorteil hervor: "Ich fühl mich hier in
einigt sich darauf, dass der Chor nach- meiner eigenen Sprache an gesproher weitersingt und erstmal die .Lä- chen ." Viele der Besu cher sind scho n
sung" folgt.
mehrmals dagewe sen.
Der Pred igttext kommt dann aus dem Am Schluss de s Gottesdienstes geht
Joh annes-Evangelium, wieder in der das Opfer immer an die Aktion "Stra schwäbischen Übersetzung von Rudolf ßenkinder" der Evangelische n GesellPaul. Und Christus spricht
schaft in Stuttgart. Eine
dort üb er ein Thema, das
Sache, die Rudolf Paul
DrVadr is dr
auch den Schwaben nahewichtig ist. Und er kann
sich eine klein e Spitze geWengerter
liegen dürfte: Wein . "I bin
dr wahre Weistock und
gen die Hauptstädt er nicht
mei Vad r is dr Wengerter", lautet die verkneifen, die bei der Gem einde ZuÜbersetzung. Pfarre r Paul pred igt über stimmung find et: "Die Stue garter sa n
die Lebensfreude. Und erlaubt sich an e bissIe knickrig gword e, seit se ihrn
der Stelle auch mal ein e Formulierung, neue Bahnhof kriege. "
die die Leute zum Schmunzeln bringt: Nach dem letzten Stück des Chors geht
"Wan n hab i oigetlich s' letzte Moal der Gottesdi enst für viele der Besu cher
so a Lache im Gsicht ghet, das d' Ohr- nahtlos ins Mittagessen über - schließlapp e Bsuch gkriegt hent? ".
lich sitz t man ja bereits im Restauran t.
Schmunzeln ist erlaubt und gewollt, Maultaschen und Wurstsalat werden
aber "bauernschlaue Plattheiten", die aufgetischt, da zu ein e Apfelsch orle.
schwäbischen Predigern oft vorgewor- Alles typi sch schwäb isch , passen d
fen werde n, sucht man hie r vergebe ns . zum Gottesdienst.
Im Gegenteil: Rudolf Paul bleibt nicht Rudolf Paul sitzt noch ein paar Minubei der bibli schen Stelle, seine Predi gt ten auf seine m Stuhl und ruht sich etist politisch. Er klagt Politiker und Ban- was au s. Immerhin ist er bereits 81
ker an, die die Menschen in Griech en- Jahre alt. Herum kommt er immer
land "d' Zech zohle lasse" und wettert noch viel im Ländle und hält auc h in
ande ren Gem einden schwäbisc he Gottesdien ste. Immer im Kampf gege n
Vorurteile. "Ja , kriegen wir jetz t die
Mäulesmühle in der Kirche?", hätt en
Kirchengemeinderäte einmal gefragt,
bevor Rudolf Paul das ers te Mal in ihrer Gem einde predigte. Inzwischen ist
er fün fzehnmal dort gewese n.
Als der Mar tinihauschor im Gottesdien st ein indianisches Lied gesung en
hat , gab es eine kleine Rezitation dazwische n. "Wichtig sind nicht nur die
Worte cLes Liedes , sondern auch die
Art, wie sie ges prochen werd en. " Diese r Sat z passt auch auf Rudol f Paul
und seine .Schwäbischa Kirch".
Ob der Herrg ott
schw äbisch
schwä t zt w eiß
man nicht,
aber Rudolj Paul
tut es. Gerne.
Fotos: Klaus Franke
Evan gelisches Gemeind eblatt für Württember g 25/2015