Klare Regeln + Kontrolle + Sanktionen Disziplin und Gerechtigkeit

Gerechtigkeit in der Schule – 3 Statements dazu
Vielfalt anerkennen – Teilhabe und Gerechtigkeit
Tagungsreihe «Brennpunkt Heterogenität»
14. November 2015, Aarau
Workshop 8
Niklas (18 Jahre / Lehrling Elektroinstallateur EFZ)
• Was gerecht ist, kann ich nicht sagen. Es ist eher ein diffuses Gefühl.
Wirklich gerecht war nichts und niemand. – Schulgerechtigkeit halt.
• Einige LP waren gerechter als andere.
• Die Mädchen waren nie schuld. Sie wurden immer bevorzugt; die
Knaben wurden strenger behandelt.
Klare Regeln + Kontrolle + Sanktionen
• Besonders gerecht war Frau G., die Französischlehrerin in der
1. Bez. Sie hat niemanden bevorzugt. Sie war auch streng. Wenn
man nach ihrer Pfeife tanzte, war sie nett.
≠
• Herr H., der Mathelehrer, hat eher die Buben bevorzugt.
• Besonders ungerecht war Frau M. Bei ihr brauchte die Mädchen ihre
Handys im Unterricht ohne Bestrafung relativ offen. Die Buben wurden
viel stärker kontrolliert.
Disziplin und Gerechtigkeit
• Die Noten waren gerecht, mit Punkten und so. Ungerecht war, wenn
es für eine schlechte Schrift oder für Schreibfehler Abzug gab.
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Gerechtigkeit in der Schule – 3 Statements dazu
Gerechtigkeit in der Schule – 3 Statements dazu
Florin (17 / Lehrling Polymechaniker EFZ)
Hanja (10 Jahre / 4. Klasse Primarschule)
• Insgesamt war es gerecht in der Schule.
• Beide Lehrerinnen sind gerecht.
• Alle LP waren etwa gleich gerecht. Manchmal kam es vor, dass
Lehrerlieblinge nicht gleich behandelt (bestraft) wurden wie andere.
• Im Turnen werden die Buben strenger behandelt als die Mädchen
(befehlen vs. bitten).
• Wir hatten eben keine Ausländer. Ich habe in der Lehre gehört, dass
Ausländer anders benotet werden als Schweizer. Ich bin jetzt mit
ziemlich vielen Ausländern zusammen.
• Bei Streitereien gibt es manchmal Ungleichbehandlung.
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• Die beiden Lehrerinnen sind zu allen ähnlich nett.
• Den Mädchen wurde grosszügiger begegnet als den Knaben
(Aufgaben vergessen, Schwatzen etc.).
• Sehr ungerecht war Frau M.; sie behandelte Mädchen und Knaben
sehr unterschiedlich.
• Die Noten waren gerecht wegen der Punkte.
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Gerechtigkeit in der Schule – Assoziationen zu den Statements
Gerechtigkeit in der Schule – Assoziationen zu den Statements
• Das Schulleben wird als im Grossen und Ganzen als gerecht
empfunden (Stichwort Schulgerechtigkeit halt …).
• Binnenlogik / Binnengerechtigkeit / Schulgerechtigkeit
• Vonseiten der SuS besteht grundsätzlich ein grosses Vertrauen
gegenüber der Schule.
• Kontrolle / wahrgenommen werden / Feedback / Zuwendung / nett
• (Lehr)Personen werden als Trägerinnen und Träger der
Gerechtigkeitsbotschaft einer Schule wahrgenommen.
• Lehrerlieblinge / Bevorzugung / Benachteiligung / Grosszügigkeit
• Die Vergabe von Noten aufgrund von erzielten Punkten wird als
Ausdruck von Gerechtigkeit wahrgenommen.
• Soziale Herkunft
• Insgesamt gerecht / insgesamt ungerecht
• Erwartungssicherheit / Berechenbarkeit / Gleichbehandlung
• Geschlechterunterschiede
Gerechte-Welt-Glaube
-> Streben nach Sinn/Deutung
-> Bedürfnis nach Orientierung
• Umgang mit Konflikten / Parteilichkeit
• In Konfliktfällen stellen sich Fragen zur Gerechtigkeit (Zuwendung).
• Legitimationskraft des Beurteilungssystems
• Allenfalls institutionell generierte Ungerechtigkeit wird eher nicht als
solche thematisiert, allenfalls durch Betroffene (Stichwort Ausländer).
• Gerechtigkeitsbotschaft / Fairness / Lehrpersonen
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Ein Lehrer befragt seine Schülerinne und Schüler
• Diffuses Gefühl / Emotionen / subjektives Wohlbefinden
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Schulgerechtigkeit halt …
Herr Meier, Rosmarie und wir
Gerechtigkeit (Gerechte-Welt-Glaube)
Unter bestimmten Umständen können auch krass ungerechtfertigte,
moralisch verwerfliche Verhaltensweisen als Teil der Alltagsnormalität
eingeordnet werden. Es wird angenommen, dass es gerechte Gründe
für das gibt, was in der als geordnet erwarteten Welt geschieht.
„Die Fragen sind in dieser
Deutschen Umfrage danach
geordnet, wie wichtig deren Inhalt
für Schüler sind.
„Er/sie wird es wohl verdient haben…!“
Gerechtigkeit und Fairness
88% finden das wichtig
„Auf Ganze gesehen wird sich alles ausgleichen.“
Fachwissen
70% finden dass wichtig etc.“
(Anmerkung der LP)
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Schulgerechtigkeit halt …
Schulgerechtigkeit halt …
Herr Meier, Rosmarie und wir
Herr Meier, Rosmarie und wir
Geheimer Lehrplan
Dieser in die Alltagspraxis eingewobene implizite Lehrplan vermittelt
die Kompetenzen, die es braucht, um den Weg durch die Schule
machen zu können, ohne grossen Schaden zu nehmen (vgl. Philipp
W. Jackson: Hidden Curriculum, 1968).
Schulkultur
Der Begriff fokussiert auf die Alltagspraxis einer Schule, also auf die
Interaktionsformen, Verhaltensweisen und Symboliken etc. die für alle
Akteure im Handlungsfeld Schule bedeutsam sind.
- Menschenbilder, Rollenbilder
- Lehr-Lernverständnis
- Beziehungsgestaltung
- Unterrichtsgestaltung, Klassenführung
- Umgang mit Regeln, Disziplinfragen
- Kommunikation, Kooperation
- Schulentwicklung
- Partizipation
- etc.
z. B. Umgang mit Unterschieden …
- Lernen
Leistungsorientierung, Fehlerkultur
- Verhalten
Konformität, Abweichung
- Herkunft
Sozioökonomischer Hintergrund
- etc.
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Spannungsfeld zwischen Fördern und Selektionieren
Gesellschaftliche Funktionen der Schule
- Ausbildung, Qualifikation (Befähigung, Wissen, Können)
- Statuszuweisung, Auslese (Zugang zu gesellschaftlichen Positionen)
- Legitimation, Integration (Normen, Werte, Weltanschauung, Ideologie)
- Absorption (Aufbewahrung der Jugendlichen/Schutz der Wirtschaft)
- Enkulturation, Tradierung (Kulturüberlieferung)
Gerechtigkeit
in der Schule
Chancengleichheit
als Anspruch
Fördern, Befähigen
Frey Karin
(2010):
Disziplin
und
Schulkultur.
Bern,
schulverlag
plus.
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Bewerten, Auslesen
Die Widersprüchlichkeit des Anspruchs auf Gerechtigkeit als erster
Tugend sozialer Institutionen korrespondiert mit der Legitimationsund Ideologiefunktion der Institution Schule.
Herzog, Walter (2011): Schule und Schulklasse als soziale Systeme. In: R. Becker (Hrsg.), Lehrbuch der
Bildungssoziologie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Springer (S. 163-202).
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Schulen sind soziale Systeme
Schulen sind keine technischen Systeme
(nach Simon, Fritz B. 2006, S. 315ff.)
(nach Simon, Fritz B. 2006, S. 315ff.)
• Es lassen sich nicht alle Inputs
und Outputs beobachten.
• Die einzelnen Individuen
des Systems verhalten sich
nicht immer gleich.
• Das Verhalten der Individuen
ist nicht voraussagbar.
• Also ist das ‚Verhalten‘ des
Systems insgesamt nicht
berechenbar.
• Es ist wichtig, sich beim Nachdenken über soziale Systeme bewusst
dagegen zu wehren, ins ‘Maschinendenken’ zu verfallen.
• Die Wenn-Dann-Maschinenlogik wird der Komplexität sozialer Systeme
nicht gerecht und kann nicht zu angemessenen Lösungen führen.
Schulen als soziale Systeme konstituieren sich
durch das individuelle Verhalten und durch die
Interaktionen der Beteiligten.
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• Einmal gefundene Lösungen in sozialen Systemen können immer
nur vorläufige Lösungen sein.
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Zum Unterschied zwischen sozialen und technischen Systemen
Gerechtigkeit konstituiert sich im Zusammenleben
Aspekte der Maschinenlogik
Geschlossenheit
Stabilität
Berechenbarkeit
Wiederholung
Standardisierung
Objektivität
Rationalität
Subjektive Bedeutungszuschreibung
- Wahrnehmung
Die sehr hohe Komplexität des sozialen
- Reizverarbeitung
Systems Schule lässt sich nicht durch
- Interpretation
einfache Lösungen und nicht auf Dauer
bändigen. – Gerechtigkeit muss in der
Alltagspraxis erzeugt werden.
Doppelte Kontingenz
- Jemand handelt so, könnte aber auch ganz anders handeln.
- Gleiches gilt für sein Gegenüber.
Aspekte der Logik sozialer Systeme
Offenheit
Wandel
Unberechenbarkeit
Einmaligkeit
Evolution
Subjektivität
Irrationalität
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Thomas-Theorem
- Wenn Menschen etwas für wahr halten, dann handeln sie so, als
wenn es wahr wäre, auch wenn es objektiv nicht so ist, wie sie es für
wahr halten.
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Fünf Perspektiven als mögliche
Bezugspunkte beim Umgang mit
Fragen zur Gerechtigkeit
Kohärenzgefühl
Selbstbestimmungstheorie
Erziehungsstil
Präsenz / Wachsame Sorge
Resonanz / Kooperation
Kohärenzgefühl (Aaron Antonowsky, 1997)
„Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in
welchem Ausmass man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch
dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass ….
A. Antonowsky (1997)
E. L. Decy & R. M. Ryan (1993)
D. Baumrind (1991)
H. Omer (2010)
J. Bauer (2014)
Verstehbarkeit
Handhabbarkeit
Bedeutsamkeit
… (1) die Stimuli, die sich im Verlauf des
Lebens aus der inneren und äusseren
Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar
und erklärbar sind; …
… (2) einem die Ressourcen zur Verfügung
stehen, um den Anforderungen, die diese
Stimuli stellen, zu begegnen; …
… (3) diese Anforderungen Herausforderungen
sind, die Anstrengung und Engagement lohnen.“
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Selbstbestimmungstheorie (Deci/Ryan, 1993)
Zugehörigkeit
Autonomieerfahrungen
Kompetenzerleben
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Autoritativer Erziehungsstil (Diana Baumrind, 1991)
Gemäss der
Selbstbestimmungstheorie
von E. L. Deci / R. M. Ryan
(1993) gelingen
Lernprozesse mit erhöhter
Wahrscheinlichkeit gut,
wenn innerhalb eines
gesetzten Rahmens
Erfahrungen von
Zugehörigkeit,
Autonomie und
Kompetenz
gewährleistet sind.
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Erziehungsstile
(nach Diana Baumrind, 1991)
Zuwendung
hoch
tief
hoch
autoritativ
autoritär
tief
permissiv
indifferent
Herausforderung
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Joachim Bauer, Referat,
Didacta Basel, 25.10.2012
Kooperation als evolutionäres Erfolgsmodell (J. Bauer, 2012)
Neue Autorität / Präsenz und Vernetzung (Haim Omer, 2010)
Da die traditionalen gesellschaftlichen Konstruktionen nicht mehr
tragen, müssen die Erwachsenen/Lehrpersonen im Leben der Kinder
bewusst Raum und Zeit einnehmen, ihnen Orientierung geben und
zeigen, dass sie da sind und nicht weggehen, was auch immer passiert.
Wachsame Sorge üben
- die Kinder sorgfältig wahrnehmen
- ihnen rückmelden, was man sieht
- sie dadurch ernst nehmen und ihnen Orientierung geben
- Aufmerksamkeit leben, wach sein
- sich kümmern, verfügbar sein
Schmerz und Aggression
• Das Zufügung von Schmerz löst Aggression aus.
• Die gleichen Hirnareale wie bei Schmerzerfahrungen werden bei
der Erfahrung sozialer Ausgrenzung aktiviert.
• Eine Folge von sozialer Ausgrenzung ist somit Aggression.
• Weil das Gehirn Erfahrungen sozialer Ausgrenzung, Abwertung,
Demütigung, Desinteresse etc. in Wut und Aggression umsetzt,
müssen Schulen prioritär auf die Vermeidung von Demütigung und
sozialer Ausgrenzung eingestellt sein.
• Kooperation ist die Grundlage der Entwicklung der menschlichen
Spezies. Wer nicht mit der Horde kooperierte, war des Todes.
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Joachim Bauer, Referat,
Didacta Basel, 25.10.2012
Aus Psychologie wird Biologie (Joachim Bauer, 2012)
Botenstoffe
Erfahrungen von
Dopamin
Energie
Opionide
Oxytozin
Wohlbefinden
Vertrauen
Neuronales
Motivations- und
Belohnungszentrum
• Beziehungsqualität wird umgesetzt in biologische Realität.
• Beachtung, Zugehörigkeit, Sympathie, Liebe ebenso wie Bewegung
wirken sich positiv auf das Motivations- und Belohnungssystem aus.
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