Sigalit Landau Sigalit Landau Sorrow Grove »Gefangene Spieler

Sigalit Landau
Sorrow Grove
»Gefangene Spieler spielen innerhalb von Grenzen:
Freie Spieler spielen mit den Grenzen.«
James P. Carse, Endliche und unendlich Spiele
Grenzen sind ein zentrales Thema für die Künstlerin Sigalit Landau. Sie verändert sie, dehnt sie aus –
und überschreitet sie oft. Eine erste Retrospektive ihrer Videoarbeiten bei den Wiener Festwochen
2016 rückt diese Bewegungsprozesse in den Fokus, legt die einzigartige DNA ihrer Arbeiten in
bewegten Bildern offen. Sigalit Landau, die vor allem als Bildhauerin und Installationskünstlerin
bekannt ist, stellt erstmals eine verdichtete Auswahl ihrer eigenwilligen Filmarbeiten zusammen, von
denen keine einzige einer linearen Erzählung folgt, und trotzdem jede einzelne durchscheinen lässt,
dass Sigalit Landau hier wie in all ihren Arbeiten, eine Geschichte erzählt. Es ist ihre Geschichte und
die Geschichte des Ortes, von dem sie stammt, aus einem Land, das immer in Bewegung ist, das
scheinbar in ständiger Suche gefangen ist, dessen Identität und Grenzen immer wieder angefochten
werden: Israel.
In Sigalit Landaus Videoarbeiten gibt es fast keine Worte. Die Sprache, die gesprochen wird, ist nicht
verbal, sie ist bildlich. Und obwohl sie sich sehr lokaler Materialien ihrer Heimat wie Wassermelonen,
Oliven, Salz oder auch des Wassers des Mittelmeers bedient, kann sie leicht in eine universelle
Sprache übersetzt werden, denn genau diese Bildsprache enthüllt tiefste Ängste und Hoffnungen,
vermag durch die Schönheit eindrucksvoller Bilder sensibelste Bereiche der menschlichen Seele zu
berühren.
Sigalit Landaus Werk durchzieht eine besondere Vorstellung von Spiel: Zwei Frauen zeichnen Wellen
in den Sand, nur um zu beobachten, wie die Wellen des Wassers die im Sand wieder verschwinden
lassen; Drei Männer versuchen, Hula-Hoop-Reifen hoch in der Luft zu balancieren, gegenseitige
Beobachtung und Kontrolle synchronisiert ihre fast tänzerischen Bewegungen; Olivenbäume schütteln
sich wie kleine Kinder; Kleine Kinder spielen wie Schamanen; Ein Mensch versucht, auf einer
Wassermelone im Toten Meer zu balancieren. Keines dieser Spiele fordert Gewinner, oder schafft
Verlierer, noch gibt es einen bestimmten Anfang oder ein Ende. Die Endlosschleife der Videos erzeugt
so die Dauer einer ganz eigenen Wirklichkeit, lässt über den Zirkel des eigenen Lebens nachdenken
und erinnert an unendliche Spiele, wie wir sie alle spielen.
Unser Alltag ist voll von Spielen. Die meisten von ihnen sind endliche Spiele, mit genauen Regeln,
genauem Beginn und endgültigem Ende, die Spieler haben klare Rollen und es gibt Gewinner und
Verlierer. Wie im Fußball, wie ein Hochschulabschluss, wie die Ehe. Nur in sehr wenigen, bestimmten
Momenten sind wir offen, können eine Idee von einem möglichen Leben haben, nur dann fangen wir
selbst zu spielen an – unendliche Spiele. Das sind die Spiele, die keine Regeln haben – sie sind nur
Spiel. Sie werden nicht durch Zeit begrenzt, erlauben Überraschungen, sie sind offen für die Idee des
ständigen Wandels. Die Fortsetzung des Spiels ist ihr einziger Zweck.
Sigalit Landau fordert unsere Sichtweisen heraus, indem sie endliche Spiele unendlich macht. Sie
setzt ewig dauernde Schleifen in bekannte Lebensbereiche ein und schafft so völlig neue Situationen
(die, der Regel folgend, jeweils ein sehr klares Ende besäßen) – eine rotierende Maschine aus
Zuckerwatte in Arab Snow, einen sich kreisförmig bewegenden Pinsel in Day Done und Salame, eine
Kreisbewegung bei der Herstellung von Knafeh, einer traditionellen lokalen Süßigkeit, eine lange
Reihe von schwebenden Wassermelonen in Dead See. Wenn der Reifen in Three Men Hula nicht fällt,
kommen wir nicht umhin, über uns selbst nachzudenken. Zwischen der Angst, dass er fallen wird, und
der heimlichen Vorfreude, dass dieses Spiel endlich zu Ende geht, liegt eine Welt von Ängsten. Wer
sind wir, die wir abhängig sind von den Versuchen, einen Reifen hoch in der Luft zu halten – so wie
unsere Hoffnungen?
Eine ähnliche Spannung entsteht, wenn Wellen sich nähern und beginnen, eine Zeichnung auf dem
Strand zu verwischen, wie bei Dancing for Maya, in Azkelon und Meerjungfrauen (Das Löschen der
Grenze Azkelon). Haben wir auf die Wellen gewartet, damit sie kommen, um all die Narben im
verwundeten Land Israel zu löschen? Oder möchten wir, dass diese Markierungen in einem ewigen
Gedächtnis bleiben, nachdem wir selbst nicht mehr sind? Die Angst vor der Kraft des Meeres wird mit
dem Gefühl der Erleichterung kombiniert. »Der Sand erinnert«, heißt es in einem berühmten
hebräischen Gedicht über Soldaten, die im Krieg gestorben sind. Es ist nicht immer so – manchmal
vergisst sogar der Sand.
Es ist einfacher für uns, endliche Spiele zu verstehen. Wir sind gewohnt, solche zu spielen, daran
gewöhnt, auf sie einzuwirken. Die Beziehungen zwischen Gewinner und Verlierer sind ein wesentlicher
Bestandteil der Art und Weise, wie wir unsere Welt lesen. Die Spieltheorie lehrte uns,
Konfliktsituationen um uns herum in der Annahme zu analysieren, dass jeder um maximalen Gewinn
bemüht ist. Wenn Sigalit Landau endliche Spiele in unendliche verwandelt, untergräbt sie diese
Annahme. Wir sind so stark gewohnt, unser Leben als »Nullsummenspiel« zu denken, in dem jemand
etwas verlieren muss, damit ein anderer etwas gewinnt, dass diese Umkehrung uns überrascht. In
Sigalit Landaus Filmen werden nur Win-Win-Spiele gezeigt. Niemand verliert – für einen kleinen
Moment der Gnade gewinnt jeder.
The Endless solution war der Titel von Sigalit Landaus wichtiger Ausstellung im Tel Aviv Museum of Art
im Jahr 2004, und noch lange nach dem Betrachten der Videoarbeiten blieb die Idee des Unendlichen
für den Besucher präsent. Landaus Life cycle ist kein mystischer Kreis, der Leben, den Tod und das
Leben danach einschließt. Es ist ein rationaler und realistischer Kreislauf, der hier und jetzt geschieht.
Es ist ein endloser Kreislauf, der das Leben selbst einschließt.
Vardit Gross, Kurator und Direktor von Artport, Tel Aviv