Bund will Sportmuffel-Trend stoppen

Dienstag, 12. Mai 2015 / Nr. 109
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Bund will Sportmuffel-Trend stoppen
FREIZEIT Rund ein Fünftel der
Jugendlichen treibt gar keinen
Sport. Vor allem Migrantinnen
aus Süd- und Südosteuropa
bewegen sich wenig. Jetzt soll
Gegensteuer gegeben werden.
KARI KÄLIN
[email protected]
Sie lieben Fussball, fahren gerne Ski,
schwimmen, turnen, tanzen, setzen sich
aufs Velo, joggen und – ja, sie wandern
sogar. Die Teenager in der Schweiz sind
sportbegeistert. Zu diesem Fazit kommen Sportsoziologe Markus Lamprecht
und seine Mitautoren, die im Auftrag
des Bundesamtes für Sport (Baspo) das
Bewegungsverhalten der 10- bis 19-jährigen Kinder und Jugendlichen in der
Schweiz für das Jahr 2014 analysiert
haben (siehe Grafik). Dafür haben sie
mehr als 3000 Teenager zu ihrem Sportverhalten ausserhalb des Turnunterrichts befragt.
Weniger Intensivsportler
Also alles bestens? In den Augen des
Baspo nicht ganz. Zum einen sank
gegenüber 2008 der Anteil der Intensivsportler (mehr als 10 Stunden pro Woche). Umgekehrt gibt es immer mehr
Bewegungsmuffel. Trieben 2008 bei den
10- bis 14-Jährigen noch 12 Prozent gar
keinen Sport, so stieg dieser Anteil bis
2014 auf 14 Prozent. Bei den 15- bis
19-Jährigen kamen letztes Jahr 20 Prozent gar nie wegen sportlicher Aktivitäten ins Schwitzen – 3 Prozent mehr
als noch 2008. Die Gründe für diese
Entwicklung sind vielfältig. Notendruck,
allgemeiner Freizeitstress oder Computerspiele rauben den Jugendlichen Zeit.
«Häufig heisst es aber auch ‹Rasen betreten verboten›, und auf der Strasse
kann man auch nicht mehr gleich un- ches das Baspo derzeit erarbeitet, will
beschwert Velo oder Rollbrett fahren Remund eine Fachstelle schaffen, die
wie früher», sagt Baspo-Direktor Mat- sich unter anderem Gedanken zur
thias Remund. Der Trend zu immer Förderung der jungen Migrantinnen
mehr unsportlichen
machen soll.
Jugendlichen stimmt
Grosse Hoffnung
ihn nachdenklich.
setzt Matthias ReDie Gründe für
«Wir müssen versumund auf den freichen, ihn zu stopwilligen Schulsport.
diese Entwicklung
pen», sagt er.
Diese Angebote stelsind vielfältig.
Sorgen bereiten Relen Turnlehrer oder
Notendruck,
mund insbesondere
Leiter aus Vereinen
allgemeiner
die Mädchen, die aus
zur Verfügung, zum
Süd- und SüdosteuroBeispiel über den
Freizeitstress oder
pa stammen. Sie beMittag oder nach
Computerspiele
dem Unterricht.
treiben eindeutig werauben den
Mehr als 55 Proniger Sport als ihre
zent der befragten
Alterskolleginnen
Jugendlichen Zeit.
10- bis 14-jährigen
ohne Migrationshintergrund. Laut der
Kinder berichten,
Baspo-Studie verbinden die jungen dass es an ihrer Schule ein entspreFrauen aus Süd- und Südosteuropa chendes Angebot gibt.
Sport praktisch nie mit Entspannung.
Im Vergleich zu den sportlich aktiven, Sportbild bleibt positiv
Das Interessante: Es existieren prakaber auch inaktiven jungen Schweizerinnen assoziieren sie sportliche Aktivi- tisch keine Nationalitätenunterschiede.
täten viel seltener mit positiven Werten Kinder mit ausländischen Wurzeln nehwie Freude und Spass, Kameradschaft men diese Angebote sogar etwas häuoder Naturerlebnis. Dafür bringen sie figer wahr als Schweizer Teenager. Und
Sport häufiger mit Verletzungen in Ver- auch die Mädchen mit Migrationsbindung. Als Hauptgrund für die Be- hintergrund beteiligen sich rege am
wegungsarmut nennen sie Zeitmangel freiwilligen Schulsport. Dieser spricht
(60 Prozent), häufig werden auch feh- vermehrt auch sonst unsportliche Julende Lust (26 Prozent) oder andere gendliche an, die in keinem Verein
Interessen (11 Prozent) ins Feld geführt. mittun. Und genau darin liegt für Remund der Schlüssel, um auch MigranSchulsport als Schlüssel
tinnen nachhaltig Freude an Bewegung
Wie will das Baspo Gegensteuer ge- zu vermitteln. «Wir müssen den freiben? Im Rahmen eines neuen Konzepts willigen Schulsport fördern, weil wir
zur Förderung des Breitensports, wel- dort etwas bewirken können», sagt
Die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich nie sportlich betätigen, ist gestiegen.
Im Bild: 80-m-Rennen der Damen am Schweizerischen Schulsporttag 2014 in Sarnen.
Keystone/Urs Flüeler
Sportaktivität der Jugendlichen 2014
pro Woche (Veränderung zu 2008)
Nie
14%
(+2%)
12%
(–2%)
Über 7–10 Stunden
16%
(–2%)
Über 3–7 Stunden
36%
(+5%)
Remund. Übrigens: Hopfen und Malz
ist bei den Jugendlichen Sportmuffeln
mitnichten verloren. Die meisten haben
ein positives Sportbild und würden
gerne mehr tun.
Die Freude wird vererbt
Freude am Sport ist für Remund
umso wichtiger, als die Begeisterung
quasi vererbt wird. Machen Eltern in
einem Verein mit, sind fast immer auch
die Kinder sportlich.
Eine wichtige Rolle spielt auch das
soziale Milieu. Je mehr Einkommen die
Eltern haben und je besser sie ausge-
(–3%)
(+3%)
(–3%)
10- bis
14-Jährige
16%
20%
22%
Bis 3 Stunden
Über 10 Stunden
Nie
Über 10 Stunden
Bis 3 Stunden
15%
15- bis
19-Jährige
Über 7–10 Stunden
16%
(+1%)
(unverändert
Ausserhalb des
obligatorischen Sportunterrichts
Quelle: Baspo / Grafik: Martin Ludwig
bildet sind, desto bewegungsfreudiger
sind ihre Kinder. Remund will den
Hebel auch bei Jugend + Sport, dem
grössten Sportförderungsinstrument
des Bundes, ansetzen. Heute würden
sich Leiter häufig scheuen, zum Beispiel
in die Badi zu gehen oder ein Skilager
zu organisieren, aus Angst, für allfällige Unfälle von den Eltern verantwortlich gemacht und vielleicht sogar vor
Gericht gezerrt zu werden.
Mit Merkblättern gegen die Angst
«Ich begreife, dass Leiter einen hohen
Respekt haben und sagen: ‹Das tue ich
Über 3–7 Stunden
33%
(–1%)
mir nicht mehr an›», sagt Remund. Der
Baspo-Direktor will den Leitern nun die
Angst nehmen. Bereits hat das Baspo
in Kooperation mit der Beratungsstelle
für Unfallverhütung (BfU) für einige
Sportarten wie Fussball oder Tennis
Merkblätter mit Präventionsmassnahmen verfasst.
So müssen J + S-Leiter etwa prüfen,
dass die mobilen Tore verankert sind
und nicht gleich den Goalie unter sich
begraben, wenn sie nach einem Scharfschuss umkippen. Bis Ende Jahr will das
Baspo pro Sportart ein Merkblatt erstellen, um Unfällen vorzubeugen.
Die Freiwilligenarbeit macht die Jugendlichen glücklich
STUDIE kä/sda. Der Befund erstaunt
nicht: Bei den 10- bis 14-Jährigen führt
Fussball die Liste der beliebtesten
Sportarten an. Bei den 15- bis 19-Jährigen steht Skifahren zuoberst, wobei
diese Sportart nur während weniger
Tage pro Jahr ausgeübt wird.
Unsportlicher, aber polysportiver
Zählt man die Sportstunden zusammen, schwingt auch bei den älteren
Jugendlichen der Fussball obenaus, wie
die neue Baspo-Studie zum Sportverhalten der Jugendlichen in der Schweiz
zeigt (siehe oben).
Die Jugendlichen betreiben zunehmend mehrere Sportarten nebeneinan-
der. Sie werden unter dem Strich zwar
immer unsportlicher, dafür aber polysportiver.
Stadtkinder machen weniger Sport
Die Knaben treiben deutlich mehr
Sport als die Mädchen. Neben dem
Geschlecht hat auch der Wohnort Auswirkungen auf die Sportaktivität. Kinder
und Jugendliche, die in ländlichen
Gemeinden aufwachsen, sind sportlicher als ihre Altersgenossen in der
Stadt. Noch ausgeprägter sind die
Unterschiede zwischen den Sprachregionen: In der Deutschschweiz treiben
die Jugendlichen mehr Sport als in der
Romandie und im Tessin. Der Sport
fördert nicht nur die Gesundheit, sondern hat auch Schattenseiten. Fast jeder
fünfte Jugendliche zog sich innert der
letzten 12 Monate (beim Zeitpunkt der
Befragung) eine Verletzung zu, die von
einem Arzt behandelt werden musste.
Immerhin: Bei den meisten Blessuren
konnte der Heilungsprozess ambulant
eingeleitet werden, nur die wenigsten
mussten sich in Spitalpflege begeben.
Mit Abstand am meisten Verletzungen
passieren beim Fussball, was auch mit
der Beliebtheit dieser Sportart zu tun
hat. Am zweitmeisten Unfälle wurden
beim Turnen registriert.
Viele Jugendliche nehmen nicht nur
Sportangebote in Vereinen wahr, son-
dern engagieren sich gleich auch selber
ehrenamtlich. Rund ein Viertel aller
15- bis 19-Jährigen leistet im Durchschnitt pro Woche während zweier
Stunden Helferdienste, vor allem als
Trainer, Übungsleiter oder Schiedsrichter. Rund 60 Prozent kriegen für
ihren Einsatz für den Verein keinen
Rappen, der Rest wird mit bis zu mehreren 100 Franken pro Jahr entschädigt.
In Einzelfällen übersteigt diese Summe
sogar 1000 Franken.
Die Motive für das Engagement sind
natürlich nicht finanzieller Natur. Die
Freude am Amt und der Einsatz für
den Verein stehen im Vordergrund. Die
Freiwilligenarbeit lohnt sich auf persön-
licher Ebene: 96 Prozent der Befragten
sind mit ihrer Tätigkeit sehr zufrieden
oder zufrieden.
Gute Noten für Turnlehrer
Frohe Nachrichten enthält der BaspoBericht auch für die Turnlehrer. Die
10- bis 14-Jährigen erteilen dem Sportunterricht die Note 5. Die Kids finden
die Aktivitäten spannend und lehrreich – egal ob Mädchen oder Knabe.
www...
Studie: Die komplette Sportstudie finden Sie auf
www.luzernerzeitung.ch/bonus