Predigt, Sonntag, 17. Mai 2015, 9.30 Uhr - EGW Bern

Predigt, Sonntag, 17. Mai 2015, 9.30 Uhr
Stadtmission Bern-Zentrum des EGW
Kapelle Nägeligasse 9/11, 3011 Bern
Sr. Lydia Schranz, Bern
Predigt zum Thema:
Heilung eines Taubstummen, „ Effata“
Markus 7, 31 – 37
31 Und als Jesus wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische
Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte.
32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn
lege.
33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine
Zunge mit Speichel und
34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Effata!, das heißt: Tu dich auf!
35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.
36 Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten
sie es aus.
37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben
macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Liebe Gemeinde
Mitten in der Menge sieht Jesus den einen Menschen, diesen Taubstummen, welcher zu ihm gebracht wird. Nicht lange zuvor stand Jesus mitten in einer Gruppe Pharisäer, die ihn prüfen wollten. Und etwas später ist Jesus wieder von einer Menge Menschen umgeben. Er spürt ihren Hunger nach dem Brot des Lebens und ihren leiblichen Hunger. Den stillt er durch das Wunder der
Speisung mit sieben Brote und einigen Fische - für 4000 Menschen!
Zwischen diesen Grossansammlungen, diesen Events von Menschen rund um Jesus von Nazareth
lesen wir von einzelnen Menschen, denen er sich besonders zuwendet: eine Frau aus Syrophönizien, eine Griechin, deren Tochter geplagt wurde durch eine Besessenheit. Er hat die Tochter befreit und geheilt.
Nun steht ein Taubstummer vor ihm. Jesus soll ihm die Hände auflegen. Die Menschen erwarten
ein Zeichen, die Heilung dieses Menschen.
Taub sein, nichts hören! Wie das ist, können wir uns nur vage vorstellen. Wer schwerhörig ist,
nimmt doch akustisch vieles wahr, Stimmen, Töne und Geräusche.
Im 13. Jahrhundert wollten König Friedrich II. und seine Hofwissenschaftler herausfinden, in welcher
Sprache wann und wie Kleinkinder einmal ganz von alleine zu sprechen beginnen würden. Sie wurden
den Eltern weggenommen und von Ammen betreut. Diese durften sie wohl ernähren, aber nicht mit
ihnen sprechen. Wie ging es aus? Das Experiment zeigte ein klares Resultat – allerdings keines, das
Friedrich erwartet hätte. Sie können es sich vielleicht vorstellen, was mit diesen Neugeborenen passiert
ist: Sie sind alle relativ bald schon schlicht und einfach gestorben. Ihre rein körperlichen Grundbedürfnisse waren alle gedeckt und trotzdem hatte ihnen offenbar etwas Lebenswichtiges gefehlt. Die Zuwendung, das Berührt- und Angesprochen werden. Angefangen zu sprechen, zu reden haben diese Babys
jedenfalls nie: Wo das nicht passiert, da ist auch kein Leben möglich.
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Ganz anders haben wir es erlebt, als eine gehörlose junge Frau einige Zeit mit uns lebte. Sie brachte
zum Essen einen Notizblock mit. Wir konnten uns schriftlich unterhalten, Das ging recht gut. Miteinander reden, führte gerne zu Missverständnissen. Mirjam war von Klein an gefördert worden. Sie
lernte lesen und schreiben. Später hatte sie die Möglichkeit, in Amerika zu studieren und jetzt arbeitet sie als Sozialarbeiterin für Hör- und Sprachbehinderte in Bern.
Kehren wir zurück an den See Genezareth, zu Jesus und dem Taubstummen. Dieser war stumm
und konnte nur mit grosser Mühe reden. Darum brachten Menschen ihn zu Jesus. Wenn einer helfen konnte, dann war es dieser Mann von Nazareth. Alle hoffen auf seine Heilungskraft.
Jesus nimmt den Taubstummen auf die Seite. Er handelt ganz anders, als die Menge es erwartet.
Weg vom Gedränge tastet er sich an den Mann heran, als will er ihm sagen: du bist mir wichtig.
Jetzt bin ich nur für dich da. Er berührt ihn, das heisst, er lässt ihn spüren: du bist angenommen,
so wie du bist, mit deiner Behinderung, mit deiner Begrenzung. Der Taubstumme erlebt die wahre
Liebe Gottes. Dann legt ihm Jesus die Finger in seine Ohren, damit er seine Ohren spürt und benetzt ihm die Zunge mit seinem Speichel. Mit einer trockenen Zunge kann man nicht sprechen.
Betend blickt Jesus zum Himmel auf, denn die Heilungskraft liegt nicht allein in ihm. Er verbindet
sich bewusst mit seinem Vater im Himmel. Dann seufzt er. Ein hörbarer Seufzer dringt zum Himmel, Ausdruck für das Irdische, für die Schöpfung, die sich von Gott gelöst hat. Jesus nimmt hier
das ganze Elend der Menschheit auf sich und legt es in diesem Seufzer vor den Thron Gottes nieder. Heilung geschieht in dieser Gottesbeziehung, von oben her. Sie muss erbeten werden. Darum
blickt Jesus zum Himmel auf. Nicht er ist der grosse Wundertäter, sondern in dieser göttlichen
Verbindung geschieht die Heilung.
Der Taubstumme, welcher Zu-wendung erfährt, hört nun dieses „Effata“, das heisst: Tu dich auf!
Werde heil, im Innersten heil! Nach dieser Aufforderung gehen tatsächlich seine Ohren auf und
seine Zunge löst sich. Der Geheilte kann hören und sprechen, ganz normal sprechen.
Hier geschieht Heilsgeschichte. Was der Prophet Jesaja vorausgesagt hat, erfüllt sich: Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet! (Jesaja 35, 5).
Es ist verständlich, dass die Zuschauer staunten und überwältigt waren. Es ist auch verständlich,
dass sie nicht schweigen konnten, obwohl Jesus sie zum Schweigen aufforderte. Sie erzählten
weiter, was geschehen ist und welche Macht dieser Jesus von Nazareth hat.
Effata, sagt Jesus zu dem Mann. Tu dich auf! Er meint nicht nur den Hörgang dieses Menschen.
Er meint den ganzen Menschen. Effata, mach dich auf, öffne dich für diesen Gott, der an dir handelt, dich berühren will.
Mach dich auf für den Gott, welcher dich aus der Sprachlosigkeit befreien will. Öffne dich für Jesus
Christus, der dein Heil will.
Da ist nicht mehr der Taubstumme, da sind wir, Sie und ich angesprochen.
Wir sind mitten im Geschehen. Jesus sieht uns, Dich und mich. Manchmal werden wir auf die Seite
genommen, durch eine Krankheit, ein Unfall oder in speziellen Zeiten unseres Lebens, weg aus
der Menge. Mir ging es letztes Jahr vor der Adventszeit so. Für mich unerwartet erkrankte eine
meiner Nieren. Das Fieber ging auf und ab. Da lag ich im Spitalbett und das vor Weihnachten.
Nach dem Spital wurde mir eine Erholungszeit verordnet, so dass ich gerade auf Heilig Abend
wieder in die Schwesterngemeinschaft zurückkehren konnte. Ich durfte Heilung erfahren und die
Kräfte kehrte zurück!, welch ein Geschenk von Gott!
Für uns gilt, was Jesus verheissen hat: ich bin da, bei dir. Ich lasse dich nicht fallen. Was wir in
einer solchen Situation erfahren, ist sehr verschieden und persönlich.
Beim Taubstummen sehen wir, dass Heilung nicht auf Knopfdruck geschieht! Jesus nimmt den
Betroffenen von der Menge weg an einen stillen Ort. Er ist nur für ihn da, schenkt ihm seine ganze
Zuwendung. Ob Heilung geschieht, oder ob wir Kraft erhalten, das Leiden zu tragen, liegt in der
Hand des Heilenden, Jesus Christus. Ein Heilungsprozess braucht Zeit. Auch ein Sterbeprozess
braucht seine Zeit. In unserem Inneren verwandelt sich etwas, spüren wir Kraft, Trost, Berührung
und das Durchgetragen-Werden.
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Doch wir wünschen uns möglichst schnelle Besserung, Veränderung. Beim Taubstummen wird uns
gezeigt, wie Gott spricht, handelt, mitgeht, durch Jesus
mitleidet und für uns ist.
In einem Gottesdienst oder beim Bibellesen spricht uns ein Bibelwort neu an, berührt uns. Es
klingt wie dieses „Effata“, tu dich auf, öffne dich für mich, deinen Heiland und Erlöser.
Dieses Schlüsselwort vermag in uns Verhärtungen und Abgrenzungen zu lösen. Es kann befreien,
lösen, weil er, Jesus löst, was gefangen ist in uns.
Hier in seiner Gegenwart, in der Gemeinschaft, geht uns das Herz auf. Hier ist jeder ganz persönlich gemeint, von Jesus angeschaut, auch von den Menschen wohlwollend wahrgenommen.
in dieser Geschichte werden wir auf zwei Ebenen angesprochen.
Die eine Ebene weist zu den Mitmenschen hin.
Wie gehen wir miteinander um? Gibt es Menschen, wo wir merken, dass sie sprachlos geworden
sind oder taub? Niemand sagt ihnen: du bist wertvoll, von Gott geliebt. Oder: schön, dass es dich
gibt. Wo begegnen wir solchen Menschen, in unserer Nachbarschaft, in unserer Stadt, welche
„dicht“ gemacht haben? Gute Worte fallen bei ihnen statt ins Herz ins Leere. Wie verhalten wir uns
dem Menschen gegenüber, welcher durch ungute Erfahrungen stumm geworden ist? Wie können
wir solchen Menschen Freundschaft erweisen?
Bringen wir sie im Gebet vor Gottes Thron, vor Jesus Christus, dass er sie berührt. Schenken wir
ihnen einfach ein gutes Wort, einen freundlichen Blick. Da ist die Migrantin mit dem Kinderwagen,
welche in den Bus steigt. Dort begegnen wir dem Nachbarn, der bedrückt wirkt. Denken wir an
jene Bewohnerin, die sich im Pflegeheim nicht zuhause fühlt oder an den Jugendlichen, in dessen
Ohren immer Stöpsel stecken, damit er nur seine Musik hört. Sie alle brauchen Zu-Wendung und
gute Worte.
Die zweite Ebene meint uns persönlich.
Wo gleiche ich dem Taubstummen? Was verschlägt mir die Stimme? Was macht mich taub? Spüre
ich trotzdem, dass Gott sich mir zuwendet? Wie Jesus mich meint, mich sucht? Wie er mich spüren lässt: ich bin an deiner Seite? Du bist geliebt!
Hören wir dieses Effata, tu dich auf? Öffnen wir uns tatsächlich für diesen Gott, der Ihr und mein
Heil will?
Lassen wir es zu, lassen wir ihn an uns handeln:
Jesus tritt zu uns. Jesus sagt zu uns: Öffne dich! Öffne dein Herz, atme erst einmal stumpf dein
Schweigen aus, damit du wieder hören kannst, was Gottes Wort und die Lieder, die wir miteinander singen, dir sagen können.
Öffne dich, hier in der Gemeinde, wo Menschen rechts und links von dir sitzen, die genau wie du,
nach Jesus suchen, nach ihm fragen, nicht alles verstehen, und doch ihm vertrauen.
Wir müssen unser Leben vorwärts leben. Nur rückwärts geschaut, verstehen wir so manches, auch
Sein Handeln an uns und in unserem Leben nicht.
Einmal werden wir sagen können: "Siehe, er, Gott in seinem Sohn Jesus hat alles gut gemacht!" –
Vielleicht sagen wir dies schon ab und zu in der kommenden Woche, weil wir offen geworden sind
für die kleinen wundersamen Dinge unseres Alltages.
Hören wir es: Effata, öffne dich, dein Herz, heute, dass Jesus dir begegnen, dich ansprechen und
segnen kann, Amen
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