3.3_Gebrauchsoeko_I_neu 18.03.2003 10:55 Uhr Seite 60 ÜBER KULT UND KLUFT EXKURS: KLEIDUNG UND MODE Was ist Mode, was ist Kleidung? Mode umfasst alle Lebensbereiche - den Beruf und die Hobbies, die Wohnung, das Auto und das Essen, die Sprache und das Outfit. Mal ist fernöstliche Küche in, dann lebt man wieder vegetarisch. War es ehedem schick, eine Schreinerlehre zu absolvieren, so sind jetzt die Gesundheitsberufe überlaufen. Das Skateboard und die Inlineskates, die dereinst die guten alten Rollschuhe ablösten, haben auch schon wieder ausgedient - ein Kickboard muss es nun sein. Mode ist alles, was neu ist, sich vom Althergebrachten abhebt, ein Lebensgefühl widerspiegelt, das man Lifestyle nennt. Modische Kleidung unterliegt besonders schnellen Änderungszyklen, heute noch in und morgen bereits mega-out. Woher kommt dieser Drang, ständig in eine neue Haut schlüpfen zu wollen? ZWISCHEN UNIFORM UND INDIVIDUALITÄT Psychologen und Soziologen leiten das Verlangen, sich ständig anders kleiden zu wollen, aus dem Urtrieb des Menschen nach stetiger Veränderung ab. Einerseits will man seine Individualität unterstreichen, andererseits seine Gruppenzugehörigkeit demonstrieren. Mit der Kleidung kann man Rebellion oder Konformität ausdrücken - der Punk, der mit zerrissener Hose und Stecknadel im Ohr als Bürgerschreck gelten will, oder der Bundestagsabgeordnete, der sich der (ungeschriebenen) Krawattenpflicht beugt. Polizisten und Soldaten, aber auch Luftfahrtbegleiter, Richter oder Kaminfeger heben sich durch ihre Uniform von der übrigen Bevölkerung ab und signalisieren so ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe. Die Uniform hat darüber hinaus auch die Funktion, ihnen einen gewissen Status und Respekt zu verleihen. Auch die Kultur, in der man lebt, spielt eine Rolle. Bei 30 Grad im Schatten greift Frau in Deutschland bedenkenlos zum ärmellosen T-Shirt - in den meisten islamischen Kulturen würden ihre nackten Oberarme Entrüstung auslösen. 60 Bis zur Französischen Revolution wandelte sich die Mode sehr langsam. Tonangebend waren der Adel und die oberen Gesellschaftsschichten. Nach 1789 war modische Kleidung vor allem eine Frage des Geldes. Die Erfindung der Chemiefasern und die Entwicklung besserer Verarbeitungsund Veredlungsverfahren verbunden mit steigender Kaufkraft nach dem 2. Weltkrieg führte zu einer Demokratisierung der Mode, die im heutigen Massenkonsum gipfelt. 3.3_Gebrauchsoeko_I_neu 18.03.2003 10:55 Uhr Seite 61 WER MACHT MODE, WER MACHT KLEIDUNG? CYBERCHIC UND ÖKOLOOK Modeschöpfer suchen um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie Mode kreieren, die sich von dem bisher Getragenen unterscheidet. Diese Mode fragt nicht nach Bequemlichkeit, Logik oder Vernunft. Auffallen um jeden Preis ist die Devise. Wer bitte hängt sich versilberte Duschköpfe um den Hals und geht in durchsichtiges Cellophan gehüllt zur Arbeit? Und nach ökologischen Aspekten fragt sie schon gar nicht. Hauptsache neu - wie und nach welchen Verfahren der Stoff hergestellt wird, spielt bei der Kreation neuer Kleidungsstücke kaum eine Rolle. Die Modemacher und mit ihnen die Bekleidungshersteller haben die Aufgabe, aus den Anregungen aus Düsseldorf, Mailand, New York oder Paris tragbare Kollektionen zu fertigen. SPÜRNASEN IM SZENELOOK Was machen Trendscouts? Trendscouts sind überall unterwegs, in den Clubs und Undergroundszenen der Metropolen, in Bazaren und Shopping Malls fremder Kulturen, in den Bahnhöfen und Hinterhöfen dieser Welt. Sie halten die Nase immer im Wind und nehmen jede Verrücktheit auf - sei es die Mode, das Essen, die Fortbewegung oder die Wohnkultur und geben diese an die Industrie weiter. Diese entscheidet, ob der Trend großflächig vermarktet werden soll. Hersteller von Jugendmode und Accessoires setzen darüber hinaus Trendscouts ein, Beobachter, die in der Szene die neuen Trends outen und herauszufinden versuchen, welche Art von Outfit morgen der große Renner sein könnte. Trendsetter können auch Popgruppen, Sportler oder Schauspieler sein. Je schriller, desto besser. Banker oder Politiker in seriöser Kleidung sind für Jugendliche keine modischen Vorbilder. Jede Saison ein neues Outfit - das ist Mode. Kleidung wird nicht ausrangiert, weil sie zerrissen oder abgenutzt, sondern weil sie „aus der Mode“ gekommen ist und ihr Träger signalisiert, dass er „von gestern“ ist. QUANTITÄT VOR QUALITÄT? Wandte ein Bundesbürger aus einem Vier-PersonenHaushalt mit mittlerem Einkommen 1970 noch etwa ein Zehntel seiner Ausgaben für die Anschaffung von Textilien auf, so sind es heute kaum mehr als sechs Prozent. Dennoch sind die Bundesbürger mit 28 Kilo pro Kopf und Jahr Weltmeister im Textilverbrauch. Etwa zwei Drittel davon ist Bekleidung. 61 GEBRAUCHSÖKOLOGIE EXKURS: KLEIDUNG UND MODE
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