Mehr wäre zuviel HOF8, Weikersheim

Architektur Mehr wäre zuviel
HOF8, Weikersheim
Alle wollen nachhaltig sein. Das ist manchmal ganz
schön anstrengend. Und aufwändig. Und am Ende
weniger als das, was schon da war. Aber das muss
man erst einmal sehen können: das Potential. Im
Tauberfränkischen gelang das, beispielhaft.
Foto: Büro Klärle
Prof. Dr. Martina Klärle
1989–1993 Studium des Vermessungswesens, FH Würzburg, Schwerpunkt Photogrammetrie, Bauleitplanung
1995–1997 Master an der Universität Osnabrück, Schwerpunkt Geographische Informationssysteme, Raumplanung
1997–2000 Promotion. Anschließend Lehrauftrag
2004–2007 Professur für Geoinformatik, FH Osnabrück
Seit 1996 Leitung/Gesellschafterin der Klärle Gesellschaft für Landmanagement und Umwelt mbH
Seit 2007 Professur für Landmanagement, Frankfurt a. M.
University, dort aktuell Dekanin Fachbereich 1 Archi
tektur, Bauingenieurwesen und Geomatik
Zahlreiche Auszeichungen
Foto: Büro Klärle
Rolf Klärle
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1980–1985 Ausbildung – Tätigkeit als Zimmermann
Studium der Architektur, HfT Stuttgart, Diplom 1989
1989–1992 Praxisjahre in Stuttgart
Seit 1993 Freischaffender Architekt
1996
Berufung in den BDA
Seit 1999 Architekturbüro in Bad Mergentheim
www.klaerle-architektur.de
1151–8
Foto: Fotografie Brigida González
DBZ 6 | 2015 DBZ.de
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Architektur | HOF8, Weikersheim
Lageplan, M 1 : 5 000
Schnitt
Büro, M 1 : 500
Nachhaltig bauen ist eine Haltung
Wir folgen viel zu viel so genannten Trends. Einer davon ist die neue
Lust auf die Stadt. In Deutschland jedenfalls ist das, was in weniger
durchkapitalisierten Ländern der Welt der Drang zur ökonomischen
Teilhabe ist und Voraussetzung dafür, zu überleben, eher ein Luxus.
Denn mit der Ballung von Menschen in Ballungsräumen steigen die
Volumen der Stoffströme, steigt der Aufwand von Erschließung und
vorbereitenden Verdichtung des spärlicher werdenden Vorhandenen.
Man muss aber gar nicht in die Stadt ziehen. Diesen neuen Trend, der
im Grunde eher ein Pragmatismus ist, hat beispielsweise die Stiftung
Baukultur aktuell aufgenommen: Mit der Baukulturwerkstatt „Vitale
Gemeinden“, im Untertitel „Das Land hat Zukunft!“ lenkt die Bundesinitiative den Blick auf den Bestand. Auf dem Land. Dass die Veranstaltung in Kassel das mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2014
ausgezeichnete Projekt HOF8 nicht auf dem Schirm hatte, spricht für
das Projekt der Umnutzung und des Umbaus der ehemaligen landwirtschaftlichen Hofanlage im Fränkischen (ein Interview dazu in DBZ
2 | 2015). Denn das Selbstverständliche und nachhaltig Geplante ist
meist erst auf dem zweiten Blick attraktiv genug für die auf Bilder kaprizierte Medien- und damit Multiplikatorenmaschinerie.
In Schäftersheim, einem Vorort von Weikersheim, entstanden im
Herzen einer über die Jahrhunderte gewachsenen dörflichen Struktur
ein Bürogebäude, eine Hebammenpraxis und zwei altersgerechte
(Senioren-)Wohnungen. Nicht einfach so, weil es der neue Trend
„Landlust“ fordert, sondern weil die Bauherrin ihre Kindheit nur wenige Meter von dem heute „HOF8“ genannten Ensemble entfernt erlebte und gleichsam mit der Hofanlage erwachsen geworden ist. Den
Hof zu kaufen und ihn nicht als Renditeprojekt monofunktional zu
entwickeln, das entspringt einer Haltung. Und sicherlich auch der Erfahrung und Expertise einer Professorin, die nicht bloß theoretisch
an der Hochschule, sondern ganz praktisch vor Ort seit mehr als 15
Jahren ein Planungsbüro mit den Schwerpunkten Kommunalentwicklung, Umweltplanung und Erneuerbare Energien betreibt.
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Ausgangssituation
In Schäftersheim war der HOF8 einer von zwei großen, ehemals
landwirtschaftlich genutzten Hofanlagen. Dieser sollte nach langem
Leerstand abgerissen werden, der Baugrund hätte Platz geboten für
drei Einfamilienhäuser. Martina Klärle, Geodätin, und ihr Bruder, Rolf
Klärle, Architekt, erkannten das Potential des Ortes. Frau Klärle und
ihr Ehemann kauften den teils schon maroden Bestand. Schnell kristallisierte sich das Nutzungskonzept für Haupt- und Nebengebäude
heraus und schnell war auch klar, dass mit Blick auf ökonomische
Ressourcen und dem Anspruch, Vorbildliches zu schaffen, der Umbau
bestandsorientiert und zweckmäßig zu betreiben und zu planen war.
Dabei sollte
– die ortsbildprägende Hofanlage bewahrt werden,
– der Ortskern durch die Umnutzung strukturell gestärkt werden,
– die Umnutzung größte Variabilität für spätere Nutzungsänderungen
vorhalten, und nicht zuletzt sollte
– das Projekt beispielhaft dafür stehen, dass es auch oder gerade in
Zeiten der Landflucht möglich ist, eine alte Hofanlage mitten im
Dorf zu bewahren und zu einem „Plusenergiehof“ mit hoher Gestaltqualität auszubauen. Und das durch eine private Initiative.
Nutzungskonzept
Die Grundidee war, Raum zu schaffen für möglichst viele Lebensbereiche. So wurde das ehemalige, zweigeschossige Bauernhaus und
das komplette Dachgeschoss zum Bürogebäude der Klärle GmbH für
ca. 15 MitarbeiterInnen umgebaut.
Im ehemaligen Stall gegenüber wurde eine Hebammenpraxis für
bis zu 10 freie MitarbeiterInnen untergebracht. Die Remise wurde zu
zwei Seniorenwohnungen ausgebaut. Die zwischen Stall und Remise
liegende Scheune, die unter einem Dach mit dem ehemaligen Stall
liegt, wurde soweit ausgebaut, dass hier ausreichend Platz ist für
Sonderveranstaltungen, Ausstellungen, Proben des Dorftheaters und
Ähnliches.
Foto: Fotografie Brigida González
Links die Hebammenpraxis, in der Mitte das Büro,
rechts im Hintergrund eine
der zwei altersgerechten
Wohnungen
1 Empfang Ingenieurbüro
2 Besprechung
3 Küche/ Aufenthalt
4 Seniorenwohnung 1
5 Seniorenwohnung 2
6 Empfang Hebammenpraxis
7 Gruppenraum
8 Praxisraum 1+2
9 Labor/ Büro
10 Küche
11 Ausstellungs-/ Veranstaltungsbereich
Foto: Büro Klärle
B
11
4
Erste Abrissarbeiten
klären den Bestand
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10
8
B
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A
3
A
Grundriss
Gesamtanlage,
1 : 500
Grundriss
Erdgeschoss,
M 1 :M
500
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Foto: Büro Klärle
1
Der alte Hof, hier das
Wohnhaus kurz vor den
Umbauarbeiten
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Längsschnitt
Wohnen, M 1 : 175
Foto: Fotografie Brigida González
Oberer Eingang zum L-förmigen Hof.
Die Außenanlagen wurden teils mit
alten Bruchsteinen aus dem Bestand
gefertigt. Im Hofwinkel der Brunnen
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1 Wandaufbau:
Fassadenschalung,
Lärchen-Lattung, sägerauh
Lattung/ Konter lattung, schwarz
Unterspannbahn, schwarz
Holzfaserplatten
Cellulose-Dämmung
KVH-Unterkonstruktion
best. Fachwerk Aus mauerung Ziegelstein
Oberfläche weiß lasiert
2 Laibung, Lärchen Brett, unbehandelt
3 Schiebeladen, Dreischicht platte hinter Fassade
4 3-fach Verglasung in
Holzrahmen
5 Titanzink-Fensterbank
6 Lüftungsgitter
7 Betonleistenstein
8 Kiesfüllung
9 Kompr. Band
10 best. Fachwerk, Eiche
11 Natursteinmauer
12 Perimeterdämmung
Fassadenschnitt
Büro, M 1 : 15
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
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Foto: Fotografie Brigida González
Blick aus den Praxisräumen
der Hebamme auf Hof und
Bürohaus
Gestaltungskonzept
Angestrebt wurde von Bauherrin und Architekt ein möglichst einheitlich wirkendes
Ensemble, das die alte Struktur des Hofes direkt widerspiegelt. Die Holzschalung
für die Fassaden – ursprünglich mit Holzpaneelen geplant, die allerdings aus
Spanien geliefert worden wären und dem Bürohaus eine zu sehr städtische Anmutung gegeben hätten – wurde mit Holz aus der Region realisiert. Und zum Teil
(Bürohaus) bis auf die (nördliche) Dachfläche hochgezogen (heimische Douglasie,
fein gesägt, unbehandelt). Das und beispielsweise auch die unbehandelten Holzschiebeläden vor den Fenstern binden die Umbauten in den Ortskern ein. Ohne
ihre Herkunft zu verschleiern sind sie als Weitergebautes sofort identifizierbar,
auch über die dunkel schimmernden Solarflächen, die bündig zu Ortgang und
Traufe einen homogenen Dachabschluss bilden. Weil die ursprüngliche Putzfassade
nun hinter einem vertikal ausgerichteten Holzlattenvorhang verschwunden ist,
wurde die Substanz der ursprünglichen Fachwerkkonstruktion innen sichtbar gelassen. Gesäubert und weiß lasiert zeigen die Außenwände innen ihre Machart
und damit ihr Herkommen. Auch die Grundrisse (des Bauernhauses) wurden in
ihrer Struktur erhalten, womit auch hier das Original gegenwärtig bleibt.
Altes Steinpflaster wurde aus- und wieder eingebaut. Natursteinmauern und
die zahlreichen Sockel und Außentreppen wurden aus Abbruchmaterial hergestellt, Holzreparaturen mit Bauholz aus alten Gebäuden der Umgebung ausgeführt. Die alten Rahmenfüllungs-Türen wurden neu auf- und wiedereingebaut.
Zur Gestaltung des Ensembles war es aus Planersicht ebenfalls wichtig, den
L-förmigen Hof zwischen Bürohaus und den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden als
öffentlichen Fußweg anzubieten. Der alte, für das Energiekonzept reaktivierte
Brunnen vor der zur öffentlichen Nutzung vorbereiteten Scheune ist dabei sichtbarer Anker- und Drehpunkt dieses neuen, sehr intimen Platzes mitten im Dorf.
Energiekonzept
Der Gebäudebestand wurde grundlegend saniert. Die Gebäudehüllen sind von
außen optimal wärmegedämmt, wobei darauf geachtet wurde, den Bestand zu
schonen, um das Potential der Lageenergie möglichst hoch zu belassen. Die
Grundversorgung mit Wärme erfolgt über eine zentrale Grundwasserwärmepumpe,
für die der ehemalige Brunnen des Hofes wieder aktiviert werden konnte. Über
ein Nahwärmenetz werden die einzelnen Gebäudeteile mit Wärme versorgt. Das
Bürogebäude ist mit einer Lüftungsanlage und einer intelligenten Regelungstechnik für die optimale Nutzung der Heizenergie ausgestattet. Zusätzlich wird die
Abwärme aus dem Rechner- und Technikraum genutzt. Auf den großen, der hochstehenden Sonne zugewandten Dachflächen sind vollflächig PV-Module ange31
Foto: Fotografie Brigida González
Foto: Fotografie Brigida González
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Eine der beiden altersgerechten Wohnungen. Die
Einbauten für zwei Ebenen sind total reversibel
Abgang vom Dachbüroraum mit sichtbarem
Trapezblech. Unten ein Stück offenes Fachwerk
1
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5
6
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8
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2
3
Traufdetail
Südseite,
M Büro,
1 : 20 M 1 : 20
Detail
Traufe
Südseite
32
Detail
Traufe Nordseite Büro, M 1 : 20
bracht. Erste Auswertungen des Solarstromertrags ergeben jetzt schon Pluswerte, die
deutlich über den errechneten liegen. Der
Überschuss wird ins Stromnetz eingespeist,
geplant ist auch eine Direktversorgung der
dem Grundstück anliegenden Nachbarhäuser. Zwei Ladestationen für Elektrofahrzeuge
stehen allen MitarbeiterInnen kostenfrei zur
Verfügung, aktuell wird überlegt, vorhandene Autos mit Verbrennungsmotoren durch
ein Carsharing mit E-Autos zu ersetzen. Gerade wird zudem evaluiert, ob eine zusätzliche Einbindung einer exemplarischen Kleinwindradanlage sinnvoll ist.
Heute ist der HOF8 selbstverständlicher
Teil des größeren Bestandes. Dass er eine
PlusEnergie-Architektur ist, sieht man ihm
nicht an. Dass er eine nachhaltige Architektur
ist, spürt man an vielen Stellen. Mehr wäre
zu viel geworden, zu viel Nachhaltigkeit kann
ein gut gemeintes Projekt eben ganz schnell
auch zu wenig nachhallen lassen. Be. K.
1 Dachaufbau Südseite:
PV Module, schwarz
Aluminium-Tragprofile
Trapezblech, dunkelgrau
Lattung/ Konterlattung
Holzfaserplatte
Cellulose-Dämmung
KVH Aufsparren
Dampfsperre
Trapezblech, weiß
Sparren, neu
2 Wandaufbau:
Fassadenschalung, Lärchen-Lattung, sägerauh
Lattung/Konterlattung, schwarz
Unterspannbahn, schwarz
Holzfaserplatten
Cellulose-Dämmung
Dampfsperre
KVH-Unterkonstruktion
best. Fachwerk Ausmauerung Ziegelstein, Naturstein
Oberfläche weiß lasiert
3 Schiebeladen, Dreischichtplatte hinter Fassade, unbehandelt
4 Zuluft, Obergeschoss
5 Zuluft, Dachgeschoss
6 Elektroverteilung
7 Deckenaufbau:
Dielenboden, Lärche
best. Deckenbalken
Perlite-Schüttung
best. Lehmwickel/ Stückscheiter-Deckenfüllung
Stroh-Putzträger-Matte
Gipsputz mit Gewebe
8 Dachaufbau Nordseite:
Lärchen-Leisten, sägerauh
Aluminium-Tragprofile, Z-Profil
Trapezblech, dunkelgrau
Lattung/Konterlattung
Holzfaserplatte
Cellulose-Dämmung
KVH Aufsparren
Dampfsperre
Trapezblech, weiß
Sparren, neu
9 Winkel
10 Z-Profil
11 Aluminium, gekantet
12 Abluft Dachgeschoss
Baudaten
Gebäudekenndaten
HOF8, Bachgasse 8, 97990 Weikersheim
Grundstücksgröße: ca. 2 000 m²
Bauherren:
Bauvolumen aller Gebäudeteile:
Martina Klärle und Andreas Fischer-Klärle,
Weikersheim
zusammen ca. 5 600 m³
Nutzflächen: insgesamt ca. 1 300 m²
Architekt: Dipl.-Ing. Rolf Klärle, Bad Mergentheim
Büroflächen: 300 m²
Mitarbeiter:
Dipl.-Ing. Architekt Christian Lange, Dipl.-Ing. Architektin Sabine Guttroff, Dipl.-Ing. Architektin Michaela
Menig-Mohr
Hebammenpraxis: 200 m²
Erster Entwurf: 8 2011,
Baubeginn: 1 2013, Fertigstellung: 6 2014
Sonstige Flächen: Scheune 575 m²
Seniorenwohnungen: zusammen 250 m²
Projektkosten: ca. 1,8 Mio. €
Fachplaner
Statik:
Energiebilanz (gesamt)
Dipl. Ing. R. Klump Beratender Ingenieur, Weikersheim
Produktion Solar: 68 850 kWh/a
Elektroplanung:
Produktion Wind: 5 000 kWh/a
Elektro-Herz GmbH, Bad Mergentheim
Verbrauch Strom: 28 000 kWh/a
Planung Heizung, Sanitär, Lüftung, Solarflächen:
Energiezentrum Elpersheim, Joachim Mönikheim
Verbrauch Heizung:
7 000 kWh/a (Wärmepumpe COP 4,5)
Bauphysik: Dipl.-Ing. Martin Schneider, Weikersheim
Verbrauch Kfz: 5 000 kWh/a
Überschuss gesamt: ca. 33 000 kWh/a
Foto: Fotografie Brigida González
Der vorhandene Gewölbekeller unter
der Remise dient heute als Küche
DBZ 6 | 2015 DBZ.de
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