„NIXE“ hilft. - Musikprotokoll

„NIXE“ hilft.
Die Klangkunst-Ausstellung „NIXE“ des musikprotokoll
im steirischen herbst 2015 ist nach dem Schiff des Mittelmeerforschers Erzherzog Ludwig Salvator benannt.
ensemble recherche
Sa 10.10.2015, 19:30 Uhr
Helmut-List-Halle
Kreuz und quer durch das Mittelmeer war er auf der Suche nach
Dokumentierbarem, Schützenswertem, Erzählbarem.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges setzte seinem Forschen ein jähes Ende.
100 Jahre später kreuzen tausende Flüchtlinge das Mittelmeer auf der Flucht vor Krieg.
Scelsi Projekt
Das ORF musikprotokoll im steirischen herbst 2015 bittet Sie, sich mit einer Spende
an der ORF Hilfsaktion „Helfen. WIE WIR“ zu beteiligen.
Sa 10.10.2015, 21:00 Uhr
http://musikprotokoll.orf.at/nixe-hilft
Helmut-List-Halle
Dolomite Dub
Sa 10.10.2015, 22:30 Uhr
Helmut-List-Halle
musikprotokoll.ORF.at
infos/programm/biografien/archiv
musikprotokoll 2015
Das musikprotokoll 2015 wurde kuratiert von
Elke Tschaikner, Susanna Niedermayr, Christian Scheib und Fränk Zimmer.
Sa 10.10.2015
Helmut-List-Halle
Tagespass 18,– €
Veranstalter
Koproduktion
19.30 Uhr
Koproduktion: Nigredo
Kooperation: NIXE
Wen Liu Imprint
Brian Ferneyhough Liber Scintillarum
4
Pause
Milica Djordjevic´ Rdja
Johannes Maria Staud Wheat, not oats, dear. I’m afraid.
Koproduktion: Pure Elektronik
ensemble recherche
21.00 Uhr
Förderer
Scelsi Projekt
Uli Fussenegger San Teodoro 8 (un omaggio)
Mindestgröße Schriftzug:
12,2 x 3,5 mm
Grad Bakar
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Uli Fussenegger, Kontrabass, Komposition, Tonband
Andreas Lindenbaum, Violoncello
Ernesto Molinari, Kontrabassklarinette
Martin Siewert, Gitarren, Devices
Medienpartner
www.skug.at
22.30 Uhr
Dolomite Dub
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Ulrich Troyer, Elektronik, Komposition
Susanna Gartmayer, Bassklarinette
Jürgen Berlakovich, E-Bass
3
Pure Neugier ist das
Markenzeichen des Freiburger
ensemble recherche.
ensemble recherche
Sa 10.10.2015, 19.30 Uhr
Helmut-List-Halle
Pure Neugier ist das Markenzeichen des Freiburger
ensemble recherche. Es kommt mit einem Sextett des
britischen Grandseigneurs Brian Ferneyhough und mit
drei Uraufführungsstücken.
Wen Liu Imprint
Brian Ferneyhough Liber Scintillarum
Pause
Seit mittlerweile 30 Jahren ist die zielgerichtete Klangrecherche, das stete, konzentrierte Erforschen immer
wieder neuer kompositorischer Denkweisen und Strukturen, das Aufspüren von Spannendem, ist also pure
Neugier das Markenzeichen des Freiburger ensemble
recherche. Heuer besuchen die neun Instrumental-Forscher Graz mit einer reichhaltigen Mischung aus verschiedenen Himmels- und Klangrichtungen: mit einem
kraftvollen Sextett des britischen Grandseigneurs Brian
Ferneyhough und mit gleich drei Uraufführungsstücken.
Neben einem druckfrischen Ensemblestück von Johannes Maria Staud, der auch für die musikalische Eröffnung
des heurigen herbst verantwortlich zeichnet, werden
Stücke zweier junger Komponistinnen uraufgeführt – der
in Wien lebenden Chinesin Wen Liu sowie der in Berlin
lebenden Serbin Milica Djordjević.
Milica Djordjevic´ Rdja
Johannes Maria Staud Wheat, not oats, dear. I’m afraid.
ensemble recherche
4
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Imprint
Liber Scintillarum (2012)
für Oboe, Klarinette, Schlagzeug, Viola und Violoncello
Brian Ferneyhough
Wen Liu
Es lässt sich nicht festhalten, nicht fassen, es kommt und
geht. Ob ich es empfinden, ob ich es fühlen kann?
Manchmal ist es eine Idee, die in mir aufblitzt, eine
Stimme, die ich höre.
Es fließt dahin, erinnert mich an etwas. Die Stimme ist
geblieben, auch wenn sie jetzt anders klingt. Ist es wahrnehmbar? Überschreitet das, was ich wahrnehmen kann,
die Dimensionen von Zeit und Raum? Wenn ich es auch
nicht bewusst wahrnehmen kann, vielleicht sollte ich
einfach darauf vertrauen …
ensemble recherche
Jaime González, Oboe
Shizuyo Oka, Klarinette
Christian Dierstein, Schlagzeug
Barbara Maurer, Viola
Åsa Åkerberg, Violoncello
Komposition: Wen Liu
Das Werk von Wen Liu entstand im Rahmen des Emil-Breisach-Kompositionsauftrags, der vom musikprotokoll
vergeben wird.
Wen Liu (geb. 1988 in China) ist Komponistin und Medienkünstlerin. Sie
absolvierte einen Master in Komposition am Konservatorium Wien und
studiert seit 2009 bei Clemens
Gadenstätter und Winfried Ritsch an
der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz. Ihre Stücke
waren bislang u. a. beim Festival
Wien Modern, beim Stockholm Fringe
Fest, bei Dimanche Rouge Paris oder
beim Mani-Feste am IRCAM zu hören.
Für ihre Arbeit, in der sie sich von der
chinesischen Philosophie und vom
Klang ihrer chinesischen Mutter­
sprache inspirieren lässt, wurde sie
bereits mehrfach ausgezeichnet.
2012 erhielt sie den Ö1-Talente­börseKompositionspreis, wurde beim
5. Internationalen Composition
­Competition Francisco Escudero mit
dem ersten Preis ausgezeichnet und
erhielt für ihre Multimedia-Performance Monster den Fidelio-Preis
(2012). Beim musikprotokoll war ihre
Arbeit erstmals 2013 zu hören.
Jahrelang wurde die Uraufführung des Sextetts von Brian
Ferneyhough erwartet – am 22. Juli 2012 war es soweit.
Bei sommerlicher Hitze, an einem Sonntagvormittag, war
Liber Scintillarum in einem besonderen Format erstmals
zu hören: Die Musiker spielten das Werk zweimal, da­z wischen stellte sich Ferneyhough den ­Fragen dreier junger
Komponisten (Schüttler, Barden, Kreidler). Und die
­Teilnehmer der 46. Internationalen Ferienkurse für Neue
Musik in Darmstadt hatten jede Menge Diskussions­stoff!
Das Liber Scintillarum ist ein Buch aus dem frühen 8.
Jahrhundert. Defensor, ein Mönch aus der Abtei St. Martin in Ligugé, hat darin Reden und Weisheiten früh­
christlicher Kirchenmänner gesammelt und sie nach
Themen wie Weisheit, Glaube, Fasten etc. in 81 Kapitel
geordnet. Dieses „Buch der Funken“ diente nicht als
Vorlage für die Komposition, faszinierend fand Brian
Ferneyhough die Idee, nur das Wichtigste, Kernaussagen
zu doku­mentieren.
Text: Sabine Franz
ensemble recherche
Martin Fahlenbock, Flöte
Jaime González, Oboe
Shizuyo Oka, Klarinette
Melise Mellinger, Violine
Barbara Maurer, Viola
Åsa Åkerberg, Violoncello
Komposition: Brian Ferneyhough
„Mein Interesse galt einer Musik, die
vermittelt: zwischen verschriftlichter
Notation und auditiver Erfahrung,
zwischen unserer Wahrnehmung von
Zeit und einem gefühlten Pulsieren,
zwischen unserem inneren Selbst und
der äußeren Welt.“ Nur wenige Komponisten haben die Ansätze, die von
der Avantgarde in den 1950er- und
1960er-Jahre entwickelt wurde, so
konsequent vertieft, ausgelotet und
vorangetrieben, wie es Brian Ferneyhough in seiner Musik und seinen
theoretischen Schriften getan hat.
Brian Ferneyhough wurde 1943 in
Coventry geboren, studierte bei Lennox Berkeley, Ton de Leeuw und Klaus
Huber und erhielt bereits sehr früh
für seine Kompositionen Anerkennung. In spiel- und notationstechnischer Hinsicht hat er die Gestaltungsmöglichkeiten stark ausgeweitet.
Seine Streichquartette, die fast alle
vom Arditti Quartet uraufgeführt wurden, gehören zu den schwierigsten
Stücken dieser Gattung. Ferneyhough
koordinierte von 1984 bis 1996 die
Darmstädter Kompositionskurse und
lehrt seit 2000 an der Stanford University. Im Jahr 2007 erhielt er den
Ernst von Siemens Musikpreis für
sein Lebenswerk.
Das Liber Scintillarum entstand als Kompositionsauftrag
des ensemble recherche mit freundlicher Unterstützung
der Alexander Bürkle Gruppe/Paul Ege.
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Rdja
Wheat, not oats, dear. I’m afraid.
für Ensemble
Johannes Maria Staud
Milica Djordjević
Wie viele meiner Kompositionen spielt auch Rdja mit den
Phäno­menen Zeit, Prozess, Veränderung und Kör­per­lich­keit.
Ins Deutsche übersetzt lautet der Titel Rost – Rost, wie
er durch den natürlichen Prozess der Oxidation aus
Metall entsteht: Als Ergebnis einer sich langsam vollziehenden Metamorphose ist er auch ein Beweis dafür, dass
die Zeit verstreicht. Rost als Farbe in allen ihren warmen
Schattierungen, von Orange und Rot bis Braun, im
Gegensatz zu der kalten, grauen „Ausgangsfarbe“ von
Metall. Ein fester Stoff, der brüchig, porös wird …
Das Stück setzt sich mit der Verschmelzung von Gesten
und Bewegung auseinander, die als untrennbar miteinander verbundene Elemente in der Körperlichkeit meiner
Klänge zum Ausdruck kommen, wie auch in meinen
Bemühungen, die künstlerisch erweiterten Paradigmen
zu einer dynamischen, höchst dramatischen und sich
allmählich verändernden Form zu vereinen.
Die langsame, aber stete Intensivierung und Steigerung
der Spannung, die zunehmende emotionale Aufladung
sowohl im musikalischen wie auch im psychologischen
Sinne, das Spiel mit der Wahrnehmung von Zeit, die
gedehnt und verdichtet wird, das Erzeugen von Bewegung oder Stasis, die Synergien von Klangfarben und
Rhythmen, die noch weiter „unterteilten Tempi“ – all das
ergibt eine intensive, „rohe“, spannungsgeladene Musik.
ensemble recherche
Martin Fahlenbock, Flöte
Jaime González, Oboe
Shizuyo Oka, Klarinette
Christian Dierstein, Schlagzeug
Melise Mellinger, Violine
Barbara Maurer, Viola
Åsa Åkerberg, Violoncello
Milica Djordjević, geboren 1984 in
Belgrad, erhielt ihre Ausbildung in
Komposition und elektronischer
Musik bis 2007 an der Universität der
Künste in ihrer Heimatstadt, anschließend bei Ivan Fedele am Conservatoire de Strasbourg. Nach einem Aufenthalt am IRCAM in Paris setzte sie
ab 2011 ihre Studien bei Hans-­Peter
Kyburz an der Hochschule für Musik
Hanns Eisler in Berlin fort. Sie wurde
u.a. mit dem Belmont Preis der
­Forberg-Schneider Stiftung 2015, dem
Musica Femina München 2013, Berlin-Rheinsberger Preis 2013, Kompositionspreis des Festival Luzern 2013,
Preis des Thailand International Composition Festival 2012, Tesla Preis für
Jugendkreativität 2011 ausgezeichnet.
Die Werke Djordjevićs, unter denen
kammermusikalische Besetzungen
den Schwerpunkt bilden, wurden von
Ensembles wie dem Arditti Quartet,
dem Münchener Kammerorchester,
den Neue Vokalsolisten Stuttgart,
dem Ensemble Musikfabrik aufgeführt. Milica Djordjević lebt und
arbeitet in Berlin.
... and coming out of the brownstone house
to the gray sidewalk, the watered street,
one side of the buildings rises with the sun
like a glistening field of wheat.
– Wheat, not oats, dear. I’m afraid
if it’s wheat it’s none of your sowing,
nevertheless I’d like to know
what you are doing and where you are going.
Text: Elizabeth Bishop, Letter to N.Y.
(aus: A Cold Spring, 1955)
ensemble recherche
Martin Fahlenbock, Flöte
Jaime González, Oboe
Shizuyo Oka, Klarinette
Christian Dierstein, Schlagzeug
Melise Mellinger, Violine
Barbara Maurer, Viola
Åsa Åkerberg, Violoncello
Komposition: Johannes Maria Staud
Das Werk von Johannes Maria Staud ist ein Kompositionsauftrag des ensemble recherche und des ORF musikprotokoll, gefördert durch die Ernst von Siemens
Musikstiftung.
Der 1974 in Innsbruck geborene Komponist Johannes Maria Staud bezieht
für seine Musik immer wieder Inspi­
ration aus anderen Künsten wie Literatur, Film und bildender Kunst. Auch
Reflexionen über philosophische Fragen, gesellschaftliche Prozesse oder
politische Ereignisse sind Anlass für
seine kompositorische Arbeit. Dabei
folgen seine kunstvoll konstruierten
Werke einer konsequenten Dramaturgie. Staud schrieb Orchesterwerke
u. a. für die Berliner und Wiener Philharmoniker sowie das Symphonie­
orchester des Bayerischen Rundfunks. Ensemblewerke entstanden
u. a. für Trio Catch, Klangforum Wien,
Ensemble Modern, Ensemble Intercontemporain und ensemble recherche. Das Lucerne Festival, welches
Johannes Maria Staud 2014 zum
­Composer in residence ernannte,
­präsentierte die Uraufführungen
­seines Violinkonzerts Oskar
(Towards a Brighter Hue II) und
der Oper Die Antilope (Text: Durs
Grünbein).
Ein Auftragswerk des ensemble
recherche mit der freundlichlichen
Unterstützung von Herrn Paul Ege.
Komposition: Milica Djordjević
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Das ensemble recherche ist eines der profiliertesten
Ensembles für neue Musik. Mit über fünfhundert Uraufführungen seit der Gründung 1985 hat das Ensemble die
Entwicklung der zeitgenössischen Kammer- und Ensemblemusik maßgeblich mitgestaltet. Das neunköpfige Solistenensemble hat mit seiner eigenen dramaturgischen Linie
einen festen Platz im internationalen Musikleben gefunden. Neben seiner ausgedehnten Konzerttätigkeit wirkt
das ensemble recherche bei Musiktheaterprojekten mit,
produziert für Hörfunk und Film, gibt Kurse für Instrumentalist/innen und Komponist/innen und bietet dem Nachwuchs Einblick in seine Probenarbeit. Das Repertoire
beginnt bei den Klassikern des ausgehenden 19. Jahrhunderts, reicht u.a. vom französischen Impressionismus über
die Zweite Wiener Schule und die Expressionisten bis zur
Darmstädter Schule, dem französischen Spektralismus bis
zu avantgardistischen Experimenten der Gegenwartskunst. Ein weiteres Interesse des ensemble recherche gilt
der zeitgenössischen Sicht auf die Musik vor 1700. Von der
enormen Bandbreite des Repertoires zeugen etwa 50 CDs.
Das ensemble recherche veranstaltet zusammen mit dem
Freiburger Barockorchester die jährlich stattfindende
Ensemble-Akademie Freiburg, die ein Forum für die Weiterbildung professioneller Musiker im Ensemblespiel in
Alter und neuer Musik und für die Begegnung beider
Musikbereiche bildet. Die Musiker des ensemble recherche geben Kurse an Musikhochschulen und unterrichten
bei den renommierten Internationalen Ferienkursen in
Darmstadt.
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„Scelsi, c’est moi“
Scelsi Projekt
Sa 10.10.2015, 21.00 Uhr
Auf Basis der sogenannten „Improvisationen“ von Giacinto Scelsi nähert sich der Musiker Uli Fussenegger der
Welt des italienischen Komponisten an. „Scelsi, c’est
moi“, so lautete 1989, ein Jahr nach dem Tod von Giacinto
Scelsi, eine Schlagzeile der italienischen Musikzeitschrift Il Giornale della Musica. Der Komponist Viero
Tossati, der in den letzten Lebensjahren von Scelsi Notationen für ihn anfertigte, behauptete, die Kompositionen
von Scelsi seien eigentlich die seinen. Daraufhin entbrannte ein Streit über Original und Autorenschaft, der
die Musikwelt beschäftigte.
Helmut-List-Halle
Scelsi Projekt
Uli Fussenegger San Teodoro 8 (un omaggio)
Uli Fussenegger, Kontrabass, Komposition, Tonband
Andreas Lindenbaum, Violoncello
Ernesto Molinari, Kontrabassklarinette
Martin Siewert, Gitarren, Devices
Scelsi, lange einer größeren Öffentlichkeit kaum
bekannt, wurde in Insiderkreisen schnell zum Idol.
Bereits in den 1970er-Jahren gab das italienische Ensemble von Ennio Morricone, Gruppo di Improvvisazione
Nuova Consonanza, ein Ommagio a Scelsi heraus. Die
Ensemblemitglieder hingen der Utopie einer spontanen
Komposition während experimentellen Musizierens
nach, mit der Hommage huldigten sie dem Eigenbrötler
Scelsi und seiner musikalischen Vorgabe. Diese beiden
historischen Ereignisse beruhen auf der von Giacinto
Scelsi gepflegten sehr speziellen Art, sich in und innerhalb eines Klangs, eines Tons zu bewegen und diesen zu
phrasieren, zu gestalten. Auch heute noch üben die
Mitschnitte der sogenannten „Improvisationen“, die
Scelsi auf der Ondiola eingespielt hat, eine hypnotische
Faszination aus. Uli Fussenegger hörte im Archiv der
Fondazione Isabella Scelsi in Rom diese alten Tonbänder,
näherte sich danach behutsam wie respektvoll dieser
Scelsi-Welt und findet nun gemeinsam mit seinen Mitmusikern zeitgemäße Wege durch diesen Zauberwald an
eintönig Vielklanglichem und vieltönig Einklanglichem.
Text: Christian Scheib
Koproduktion von ORF musikprotokoll und ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe mit
finanzieller Unterstützung der Ruhrtriennale (UA, Graz
2003).
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San Teodoro 8 (un omaggio) (2013)
formal-musikalischen Matrix zu etwas ungewollt Fremdartigen zu mutieren. Man könnte von einem Remix sprechen, nicht eines spezifischen Stückes, sondern von
Klangmaterial, das in einem Zeitraum von 25 Jahren
entstanden ist.
Uli Fussenegger
Im Zuge meiner Recherchen in der Fondazione Isabella
Scelsi in Rom für das Projekt Giacinto Scelsi Revisited im
Jahr 2011 hatte ich die Möglichkeit, den kompletten zu
dem damaligen Zeitpunkt digitalisierten akustischen
Nachlass von Giacinto Scelsi zu hören, das waren so an
die 600 Stunden Klangmaterial. Neben meiner konzeptionellen Arbeit für das Projekt eröffnete sich mir auch die
Möglichkeit, ein neues Stück auf Basis der Scelsischen
Klangdokumente zu machen.
Der Umgang mit historischem Klangmaterial wirft unausweichlich die Frage auf, wie man sich ihm nähert. Die
Qualität dieser Aufnahmen ist bestenfalls auf Homerecording-Niveau; was mir aber bedeutend erscheint, ist
der spezifische Ondiolaklang, der etwas eigentümlich
Trashiges an sich hat. Besonders angesprochen hat mich
die unglaublich individuelle und manchmal auch komplexe Art, wie Scelsi es verstand, dem Ondiolaklang eine
Unverwechselbarkeit einzuhauchen.
Seine Raffinesse der Phrasierung, Artikulation und des
Vibrato, die spektakulär fein gerasterte Mikrotonalität,
die oft elegante Art, die genannten Parameter zu variieren – und eben die „herausgelöste“ Zeitlichkeit mit
einem weitgehenden Verzicht auf ein Metrum: All das
macht dieses Material zu etwas Eigentümlichem und
Autonomem. Auch deswegen, und mehr noch der Liebe
und des Respekts wegen – un omaggio!
Der Kontrabassist Uli Fussenegger
arbeitet als Solist, Ensemblemusiker
und Komponist. Zudem konzertiert er
im Bereich der freien Improvisation
und Elektronik. Geboren 1966, studierte er bei Franz Dunkler in Feldkirch und Ludwig Streicher in Wien,
spezialisierte sich auf zeitgenössische Musik und ist seit 1987 Mitglied
des Klangforum Wien, für das er auch
als Projektentwickler tätig ist. Fussengger ist Gründer und Betreiber
des CD Labels DURIAN Records, hat
an zahlreichen CD-/DVD-/Film-/
TV-Produktionen mitgewirkt und
unterrichtet an der Hochschule für
Musik in Luzern, an der Kunstuniversität Graz und bei den Internationalen
Ferienkursen für Neue Musik in
Darmstadt.
Die Aufführung, der Auftritt beginnt mit dem Hören dieses Tonbandstückes. Nach 24 Minuten steigen nacheinander die Musiker ein, es beginnt ein Auflösungsprozess
und der Gestus wird individuell.
Die Idee ist eine Mehrfachperspektive: Die Tonbandkomposition ist meine persönliche Scelsi-Betrachtung und
Weiterführung, diese Betrachtung wird abermals durch
die vier Musiker relativiert, die sich von einem gemeinsamen, organisierten Prozess mit Fortdauer des Stücks
immer mehr in Richtung Individualität bewegen. Die
auskomponierten Teile beziehen sich explizit auf das
Tonband, der Weg der Improvisation lässt die Intensität,
den Betrachtungswinkel und das Wegdriften offen.
Man könnte das Stück als Teil einer Serie von Projekten
sehen, die eigentlich mit unserem Projekt Black Friday
– eine 2002 von Christian Scheib ins Leben gerufene,
dreiteilige, konzeptionelle Konzertserie – begannen, also
der mehr oder weniger expliziten Durchdringung eines
sehr genau definierten, musikalischen Ausgangspunktes, der vornehmlich durch die Art der Organisation und
die Individualität der Protagonisten gesteuert wird.
Text: Uli Fussenegger
Das klanglich Spezifische der Ondiolen bleibt ebenso wie
Scelsis unverkennbarer Spielgestus in meinem Tonbandstück, mit dessen Hören dieser Auftritt beginnt, unangetastet. Weder die Zeitstrukturen noch die Tonhöhen
wurden verändert. Die einzigen klanglichen Manipulationen, die ich vorgenommen habe, sind Entrauschungen,
Filterungen und dynamische Kompression, um die spezielle Patina der Originale nicht in Frage zu stellen. Zusammenhängende ein- und zweistimmige Passagen, die ich
nach charakteristischen harmonischen und zeitlichen
Aspekten ausgewählt und angeordnet habe, bestimmen
den formalen Verlauf von San Teodoro 8. Scelsis Klänge
sollten ihr Eigenleben behalten, ohne in einer abstrakten
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Der Schweizer Klarinettist Ernesto Molinari wurde 1956 in
Lugano geboren. Er studierte Klarinette in Basel und Bassklarinette in Amsterdam und ist ein herausragender und
vielseitiger Solist auf jedem Instrument der Klarinettenfamilie. Zahlreiche Kompositionen wurden speziell für ihn
geschrieben, und seine wagemutigen Interpretationen hat
eine neue Generation von Klarinettisten inspiriert. Seine
rege Konzerttätigkeit als Solist und Kammermusiker führten ihn zu den wichtigsten Festivals in Europa und auf der
ganzen Welt. Neben der Interpretation klassischer, romantischer und zeitgenössischer Werke beschäftigt sich
Ernesto Molinari auch mit Jazz und Improvisation. Von
1994 bis 2005 war er Klarinettist des Klangforum Wien.
Heute ist er Professor für Klarinette und Bassklarinette,
Kammermusik, zeitgenössische Musik und Improvisation
an der Hochschule der Künste in Bern. Seit 2000 unterrichtet Molinari auch bei den Internationalen Ferienkursen
für Neue Musik Darmstadt, ebenso bei der Impuls Ensemble- und Komponistenakademie für zeitgenössische Musik
in Graz.
Andreas Lindenbaum wurde 1963 in
Detmold geboren. Er studierte Violoncello und Komposition an der Musikhochschule Detmold. 1986 ermöglichte ein Stipendium der Rotary
Foundation International Studien an
der School of Music in Bloomington,
USA, in der Klasse von Janos Starker.
Ein Jahr Schauspielunterricht und Mitarbeit in einer freien Schauspielgruppe in Deutschland. Von 1990 bis
1999 Professor für Violoncello am
Konservatorium der Stadt Wien. Auftritte als Solist und Kammermusiker
unter anderem bei den Salzburger
Festspielen, den Bregenzer Festspielen, dem Warschauer Herbst und dem
Akiyoshidai Festival. Rundfunk- und
CD-Aufnahmen als Solist und Mitglied
des Tetras-Quartetts. Seit 1989, dem
Jahr seiner Übersiedlung nach Wien,
ist Andreas Lindenbaum Mitglied des
Klangforum Wien.
Martin Siewert, geboren 1972 in Saarbrücken, ist ein
Virtuose im Umgang mit der Gitarre, insbesondere der
Lap- & Pedal-Steel Gitarre. Siewert bricht früh mit den
akademischen Konventionen des klassischen Jazzgitarrenspiels und ist seit langem als erfolgreicher Solist wie auch
in Kollektiv- und Bandkontexten (u.a. Trapist, Heaven And,
Radian) zu hören – mit improvisierter, komponierter, akustischer und elektronischer Musik. Er lebt und arbeitet
heute in Wien.
Der Eingang zu Giacinto Scelsis Haus,
Via di San Teodoro 8
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Die große Wirkung
der kleinen Irritation
Dolomite Dub
Sa 10.10.2015, 22.30 Uhr
Helmut-List-Halle
Die große Wirkung der kleinen Irritation: Diesem Prinzip
folgend hat Ulrich Troyer stets unterschiedlichste Wege
gefunden, um auf neue akustische Formulierungen zu
stoßen. Seien es nun skulptural gedachte Klangschichtungen, Optisches zum Hören, Tanzrhythmen fürs Hirn
oder Raumvermessungen mit klanglichem Instrumentarium – Troyer versetzt seine Hörer gerne in eine leichte
Schräglage, ohne sie dabei das Gleichgewicht verlieren
zu lassen.
Ulrich Troyer, Elektronik
Susanna Gartmayer, Bassklarinette
Jürgen Berlakovich, E-Bass
Das gelingt ihm, so heißt es in einer Kritik, „with a nimble
hand and a light heart“, also fingerfertig und mit leichtem
Herzen. Gerade unlängst wurde festgestellt, sein „Zuhörkino“ und seine Abstraktion von Dance-Patterns hätten
sich noch weiter ineinander verzahnt. Allerdings könnte
man sich noch viel schlichter über seine Arbeit freuen,
erinnert seine Musik doch stark an das legendäre Album
Iaora Thahiti der Elektroniker Mouse on Mars. Und das
mache einfach gute Laune oder eben „ça nous fait plaisir“, wie ein französischer Kritiker über Troyer begeistert
festhält. Für das musikprotokoll 2015 wird Ulrich Troyer
an weiteren Überlagerungen und Schichtungen von
Bass-Linien und Bass-Frequenzen arbeiten, der Arbeitstitel seines neuen Stücks hält geomorphologische
Anklänge bereit: Dolomite Dub.
Text: Christian Scheib
Auftragskomposition ORF musikprotokoll. In Kooperation mit SHAPE – Sound, Heterogeneous Art and Per­
formance in Europe. Ulrich Troyer ist SHAPE Künstler.
Gefördert durch das Programm „Creative Europe“ der
Europäischen Union.
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Ulrich Troyer lebt als freischaffender Musiker, Sound
­Designer, Künstler und DJ in Wien. Geboren 1973 in Innsbruck, lernte Troyer klassische Gitarre und studierte Architektur in Wien. Sein künstlerisches Prinzip wird durch ein
Crossover und die Interaktion von Architektur, Musik und
bildender Kunst bestimmt. Im Hörspiel Sehen mit Ohren
(2007) setzt er sich mit den Raumerfahrungen blinder
Menschen auseinander. Der akustische Raum und der
Nachhall von Klangereignissen bilden insgesamt ein zen­
trales Thema in Troyers Schaffen. Troyers Hingabe für die
Produktionsmethoden des Dub bieten die perfekte Spielwiese für seine Klangexperimente. Seine Beschäftigung
mit Sound System Musik (Bass, Dub, Techno und deren
Abstraktionen) führte zur Trilogie SONGS FOR WILLIAM.
Das Projekt vereint Musik, animierte Tuschzeichnungen
für die Live-Performance und eine Graphic Novel, welche
die Geschichte eines Gitarren-Effekt-Gerätes mit dem
Namen WILLIAM erzählt.
Jürgen Berlakovich (*9.12.1970). Autor und Musiker. Texte,
Hörspiele, Soundessays, Audiokarikaturen, Speechsound­
scapes, Palindromsongs, Filmmusik und DNA-Sonifikationen. Verwendet sprachliche Mikropartikel in Kombination
mit Bass, Gitarre und Elektronik für Kompositionen und
Improvisationen. Er betreibt das Solo-Musik-Projekt
­Takamovsky, ist Co-Initiator des Literatur- und Musik­
performance-Duos Sergej Mohntau und Ensemblemitglied
von The Vegetable Orchestra. Studium der Deutschen
­Philologie und der Philosophie. Lebt in Wien.
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Ö1 Sendungen
18.09.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON EXTENDED, Neugier, Kompetenz & Kreativität.
50 Jahre Institut für Elektronische Musik
26.09.2015
17.05 Uhr
DIAGONAL, Zur Person Erzherzog Ludwig Salvator. Der König des Mittelmeers
04.10.2015
23.03 Uhr
KUNSTRADIO-RADIOKUNST, In the Darkness of the World von Sol Rezza
(CTM RadioLab 2015)
07.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON MAGAZIN, Vorschau auf das Programm des musikprotokoll im
steirischen herbst 2015
09.10.2015
17.10 Uhr
Ö1 KULTURJOURNAL, Live-Übertragung aus dem Universalmuseum Joanneum in Graz
09.10.2015
17.30 Uhr
SPIELRÄUME, Live-Übertragung aus dem Universalmuseum Joanneum in Graz
09.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON EXTENDED, Live aus der Helmut-List-Halle in Graz
10.10.2015
10.05 Uhr
Ö1 KLASSIKTREFFPUNKT, Live von der Grazer Murinsel
11.10.2015
23.03 Uhr
KUNSTRADIO-RADIOKUNST, Always here for you von Claire Tolan (CTM RadioLab 2015)
und NIXE/Schiffssignale
13.10.2015
17.30 Uhr
SPIELRÄUME, Omar Niang – Palma de Mallorca als musikalische
Multikulti-Welthauptstadt
15.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, NIXE. Mediterranean Measures, ein Projekt im öffentlichen Raum
19.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Christian Fennesz mit dem RSO Wien
20.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Das RSO Wien spielt die Symphonie fleuve op.20 von Jorge E. López
22.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Ulrich Troyer. Dub-Gebirge in Graz
27.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Am Puls der Zeit. 30 Jahre ensemble recherche
29.10.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Noise Me Tender: Petra Ackermann, Philipp Meier und
Jorge Sánchez-Chiong
02.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, San Teodoro 8, un omaggio a Giacinto Scelsi
03.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, The International Nothing
Bildernachweis: S. 6: Wen Liu © Wen Liu / S. 7: Brian Ferneyhough © Agathe Poupeney / S. 8: Milica Djordjević © Pedja
Vuc̆ković / S. 9: Johannes Maria Staud © Jonathan Irons / S. 10, 11: ensemble recherche © M. Korbel / S. 14: Uli Fussenegger
© Witten / S. 16: Ernesto Molinari © Ernesto Molinari / S. 16: Martin Siewert © Magdalena Blaszczuk / S. 16: Andreas
Lindenbaum © Lukas Beck / S. 17: Scelsi Haus © Elfriede Reissig / S. 20, 21: Ulrich Troyer © Eva Kelety / S. 20: Jürgen
Berlakovich © Jürgen Berlakovich / S. 22: Susanna Gartmayer © Lisbeth Kovacic
05.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Hildur Guðnadóttir & Omár. Der Beginn eines Lebensprojektes.
12.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Reshaping Club Music mit Assimilation Process und Pasajera Oscura
19.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, Reshaping Club Music mit Ketev und Lorenzo Senni
Produktionsteam: Redaktion: Gregor Kokorz, Christian Scheib, Fränk Zimmer / Übersetzungen: Friederike Kulcsar /
Herausgeber: ORF musikprotokoll / OMC Creation: Karl Markus Maier / Grafische Gestaltung: studio bleifrei /
Druck: ORF Hausdruckerei / © ORF 2015
20.11.2015
23.03 Uhr
DIE LANGE NACHT DER NEUEN MUSIK, Pure Elektronik. Vintage Concerts
26.11.2015
23.03 Uhr
ZEIT-TON, técnicas recuperadas von Vinzenz Schwab
Die Klarinettistin Susanna Gartmayer arbeitet in den
Bereichen Improvisation, experimentelle Rockmusik, zeitgenössische Musik und Multimedia Soundperformance.
Geboren 1975, studierte Susanna Gartmayer zunächst
Druckgrafik an der Akademie der Bildenden Künste in
Wien. Ihr besonderes Interesse gilt den erweiterten Klangmöglichkeiten der tiefen Klarinetten sowie der Theorie
und Praxis gemeinschaftlicher Arbeitsprozesse in Bands
und Kollektiven. Sie ist Mitglied zahlreicher Ensembles
(broken.heart.collector, The Vegetable Orchestra,
möström, chaosometer). Mit Aouie – Solos für Bassklarinette präsentiert sie 2015 ihre erste Solo-CD.
Impressum: Österreichischer Rundfunk, Landesstudio Steiermark / musikprotokoll, Marburger Straße 20, 8042 Graz
Tel. (0316) 470-28227, http://musikprotokoll.ORF.at
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Hier finden Sie Informationen, auf welchen Frequenzen Sie Radio Österreich 1 empfangen können: http://oe1.orf.at/frequenzen
Webstream: http://oe1.orf.at