Von null auf hundert zum Europameister

Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung vom 04.02.2016
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Volker Himmelberg
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Von null auf hundert zum Europameister
Handball Julius Kühn aus dem Kerkener Ortsteil Stenden hat eine unglaubliche Woche hinter
sich
Von Autor: Volker Himmelberg
schlimmsten Momente waren allerdings
im Hotel. Dort hat man noch die Zeit,
Kreis Kleve.
sich Gedanken darüber zu machen, was
jetzt alles auf einen zukommt. Als der
Sonntag: Gewinn der Europameister- Mannschaftsbus endlich in Richtung
schaft mit einem überraschend souve- Halle abgefahren ist, fiel die größte
rän herausgespielten 24:17 im Finale Anspannung von mir ab.
gegen Spanien. Montag: Empfang in der
Berliner Max-Schmeling-Halle vor Frage: Wenig später ereignete sich der
9.000 begeisterten Anhängern. Diens- bis dahin größte Augenblick in Ihrer
tag: Abendessen mit der Familie im hei- sportlichen Laufbahn. Sie kommen beim
mischen Stenden. Typisch für Julius Stand von 21:23 ins Spiel, werfen den
Kühn, der eine Woche vor dem Finale Anschlusstreffer und leisten ganze
nachnominiert wurde und gewisserma- Arbeit in der Abwehr. Das Ende ist
ßen über Nacht zum Handball-Helden bekannt: Deutschland erreichte das
geworden ist, aber ohne Allüren durchs Halbfinale.
Leben geht.
Antwort: Dieses Spiel werde ich nie verF r a g e : S i e h a b e n d a s v o r l e t z t e gessen. Es ist in der Tat so etwas wie ein
Hauptrundenspiel gegen Russland noch kleiner Knackpunkt in meiner Laufbahn.
zu Hause am Fernseher verfolgt. Eine Das ging schon damit los, dass der TraiWoche später gehören Sie zu den Hand- ner mich nach sieben Minuten aufgeforball-Helden, die von der ganzen Nation derte, die Trainingsjacke auszuziehen.
gefeiert werden. Wissen Sie schon, dass Als ich dann in der Schlussphase das
es sich nicht um einen Traum handelt ? Tor gemacht habe, war sämtlicher Ballast weg.
Antwort: Julius Kühn: Manchmal
kommt mir das tatsächlich noch so vor. Frage: Ihnen bleibt kaum Zeit, den TriEs ging alles ganz schnell. Nach dem umph zu verarbeiten und sich von den
Russland-Spiel hat sich Teammanager Strapazen zu erholen. Schon am komOliver Roggisch bei mir gemeldet und menden Mittwoch müssen Sie in der
mir mitgeteilt, dass ich mich auf den Bundesliga mit dem VfL Gummersbach
Weg nach Breslau machen soll. Wenig- beim THW Kiel ran.
stens hatte ich meine Sporttasche vom
Berlin-Lehrgang vor der EM noch nicht Antwort: Die Zeit ist schon etwas kurz.
ausgepackt.
Auf der anderen Seite bin ich auch froh,
dass jetzt wieder der Bundesliga-Alltag
Frage: Am Mittwoch folgte das ent- beginnt. Dann kehrt schließlich auch
scheidende Spiel um den Einzug ins schnell Normalität ein.
Halbfinale gegen Dänemark. Mutter
Ulrike und Opa Hermann waren sich vor Frage: Sie sind 22 Jahre alt und gehören
dem Anwurf einig: Der Junge ist jetzt zu jener Generation von Handballern,
ganz schön nervös. Stimmt das ?
denen viele Experten schon eine goldene Zukunft prophezeien. Deutschland
Antwort: Das ist schon richtig. Die hat sich mit dem EM-Titel für die
Olympischen Spiele qualifiziert. Sind
Sie im Sommer in Rio dabei ?
Antwort: Es ist wohl der Traum eines
jeden Sportlers, irgendwann bei Olympia mitzumachen. Mir geht es da nicht
anders. Es ist sicherlich mein Ziel, dort
erneut Teil der Nationalmannschaft zu
sein. Doch die Entscheidung trifft Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Ich kann
mich nur in den nächsten Monaten mit
guten Leistungen in der Bundesliga
empfehlen.
Frage: Als Europameister rückt ein
Sportler automatisch in den Fokus der
Spitzenclubs. Haben sich mittlerweile
die ersten Interessenten bei Ihnen
gemeldet ?
Antwort: So etwas habe ich während der
Titelkämpfe und auch jetzt völlig ausgeblendet. Ich fühle mich beim VfL Gummersbach sehr wohl und habe dort noch
einen Vertrag bis 2018.
Frage: Konzentrieren Sie sich denn ab
sofort voll auf das Dasein als HandballProfi ?
Antwort: Der Sport steht zwar im Vordergrund. Doch es war mir von Anfang
an sehr wichtig, mir ein zweites Standbein aufzubauen. Deshalb studiere ich
Wirtschaftswissenschaften an der FernUni in Hagen. Schon im März stehen
wichtige Klausuren an. Und weil die
EM dazwischen gekommen ist, muss
ich mich in den nächsten Wochen
ordentlich vorbereiten und noch einiges
an Stoff nachholen.
Frage: Sie haben beim TV Aldekerk das
Handballspielen gelernt und waren dort
bis zur B-Jugend im Einsatz. Verfolgen
Sie noch das sportliche Geschehen bei
den Grün-Weißen ?
Frage: Noch eine Frage zum Abschluss:
Wie war das eigentlich mit dem Anruf
von Angela Merkel ? Hat sich die KanzAntwort: Selbstverständlich. Mein Cou- lerin tatsächlich gemeldet und zum
sin Jonas Mumme und einige Freunde Gewinn der Europameisterschaft gratuvon mir spielen schließlich in der ersten liert ?
Mannschaft. Ich bin am Sonntag Europameister geworden. Doch einige Stun- Antwort: Das stimmt. Sie hatte sich
den später habe ich im Internet nachge- wohl die Nummer von Oliver Roggisch
guckt und mich darüber gefreut, dass besorgt. Als wir nach dem Finale auf der
der ATV mit drei Toren Unterschied in Rückfahrt zum Hotel waren, hat Frau
Rheinhausen gewonnen hat.
Merkel ihn angerufen. Er hat sein
Handy mit den Lautsprechern im Bus
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verbunden, so dass wir alle die Glückwünsche hören konnten. Sie hat uns
auch ins Kanzleramt nach Berlin eingeladen. Der Termin steht noch aus.
Bild 1:
Ein Handball-Held zum Anfassen: Der
Gelderländer Julius Kühn bleibt auch im
Moment des sportlichen Triumphs auf
dem Teppich.
Foto: Jens Wolf