Eine ganz normale Burnout-Geschichte Stefan Stark ist sehr erfreut

Eine ganz normale Burnout-Geschichte
Stefan Stark ist sehr erfreut. Heute hat sein Chef ihm erstmals die Leitung eines Projekts in der
Firma übertragen, zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben. „Sie sind der richtige Mann für
den Job“ hat er dabei gesagt. Das hat Stefan Stark sehr geschmeichelt.
„Jetzt kann ich endlich mal allen zeigen, was ich drauf habe! Vielleicht gibt es nach
Projektabschluss sogar die lang ersehnte Gehaltserhöhung. Es ist zwar meine erste
Projektleitung und auch der Inhalt ist teilweise neu für mich, aber da werde ich mich schon
durchkämpfen!“ denkt sich Stefan Stark.
Einige Wochen später. St. hat inzwischen die Mitglieder der Projektgruppe zusammen geholt,
die erste Veranstaltung geleitet und dabei die Aufgaben an alle verteilt. Richtig super hat er
sich danach gefühlt.
Leider muss er inzwischen öfter Überstunden machen oder die Mittagspause ausfallen lassen,
damit seine übrige Arbeit nicht liegen bleibt. „Aber ein paar Monate geht das schon mal“
denkt er.
Einige seiner Projektgruppenmitglieder arbeiten nicht so gründlich und engagiert wie er,
muss er schon bald feststellen. „Die sind halt nicht so gut wie ich“ denkt er und nimmt sich
vor, künftig weniger zu delegieren und mehr selbst zu erledigen. „ Lieber mache ich es gleich
selbst, bevor ich denen lang erkläre, und danach dann doch alles korrigieren und verbessern
muss.“
Je mehr Aufgaben er lieber gleich selbst erledigt, um so weniger Zeit hat er natürlich für
privates. Joggen war er schon länger nicht mehr, das geht ihm richtig ab. Aber abends legt er
meist noch eine Extra-Schicht ein. Die Mittagspause verbringt er am Schreibtisch, mit der 5.
Tasse Kaffee und einer Wurstsemmel.
Sein Kühlschrank ist immer öfter leer – er hat keine Zeit mehr zum Einkaufen und erst recht
nicht zum Kochen. Und auch seine Freundin sieht ihn nur noch am Wochenende, meist
sonntags, da er auch samstags noch oft ins Büro fährt. Gelegentlich streiten sie deswegen.
Zwei Monate geht das so weiter. Langsam fühlt S. Sich öfter mal müde, verspannt. Die
Euphorie der Anfangsphase ist verflogen. Sein Projektteam liefert oft nicht fristgerecht oder
schlecht. Er ist frustriert, der Chef macht Druck. Einmal hat er versucht, ihm zu sagen, dass
Copyright: Birgit Graf Beratung & Coaching
www.birgitgraf.de
[email protected]
ihm alles zu viel wird. Da meinte der Chef:“ Ich verlasse mich auf Sie! Das schaffen Sie
schon. Ich habe niemand anders für den Job. Dann müssen Sie halt die Kollegen härter ran
nehmen.“
Morgens fühlt er sich schon lange nicht mehr erholt, gelegentlich hat er starke
Magenschmerzen und ihm wird schwindlig. „Keine Schwäche zeigen“ sagt er sich dann,
„durchhalten“.
Seine Kollegen nerven ihn immer öfters, sie sind so langsam und so faul! Er wird immer öfter
ungeduldig, schnauzt sogar seine Freundin an, wenn sie ihm sagt, dass sie sich Sorgen um
ihn macht. „Was versteht die denn schon, die hat keine Ahnung, wie wichtig das ist, was ich
mache!“
Gelegentlich graust ihm schon abends davor, wer ihn morgen wieder alles anrufen wird.
Seinen privaten Anrufbeantworter, der schon seit Wochen voll ist, hört er gar nicht mehr ab.
Er mag niemanden hören und sehen.
Seine Bürotür, die früher meist für alle offen stand, ist jetzt stets geschlossen. Klopft es, so
zuckt er zusammen und sein Puls geht hoch. „Was wollen die jetzt schon wieder von mir?“
denkt er dann.
Alle Menschen gehen ihm eigentlich nur noch auf die Nerven. Alle wollen etwas von ihm!
Immer öfter kann er sich zynische Bemerkungen nicht verkneifen. „Alles wird besser, wenn
das Projekt abgeschlossen ist. Dann kann ich wieder joggen, Freunde treffen, schlafen...“
macht er sich selbst Mut, wenn er nachts mal wieder hoch schreckt, weil ihm noch was fürs
Büro eingefallen ist. Längst liegen neben seinem Bett Block und Stift, damit er auch nachts
arbeiten kann, wenn ihm etwas einfällt. Überhaupt ist er in letzter Zeit immer öfter
vergesslich und unkonzentriert.
Ob das an der Flasche Wein liegt, die er inzwischen abends leert, um vom Stress runter zu
kommen?
Denn dann spürt er das Herzrasen nicht mehr so.
Seine Freundin hat die Beziehung inzwischen beendet. Sie hatte sehr geweint dabei. Ihn hat
das ganze seltsam unberührt gelassen. Fast war ihm das Ende ganz recht, sie hatte eh immer
nur seine Zeit gewollt. „Sieht sie denn nicht, wie wichtig mein Projekt ist?“ „Du bist nicht
mehr der Mann, mit dem ich alt werden möchte. Du hast Dich sehr verändert im letzten
Jahr“ hat sie gesagt. Ans Altwerden mag er grad eh nicht denken, er schleppt sich inzwischen
von Tag zu Tag, sein Leben besteht nur noch aus Essen und Schlafen. Hobbies, Freunde, dafür
hat er schon sehr lang keine Zeit mehr.
Im Büro kann er meist keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer öfter trägt er erfundene
Termine in seinen öffentlich für die Kollegen sichtbaren Kalender ein, nur um Ruhe zu
haben. Dann versteckt er sich in seinem Büro, sperrt die Tür ab. Er war ein paar Mal bei
verschiedenen Ärzten, beim Orthopäden wegen der Rückenschmerzen, beim
Gastroenterologen wegen des Magens und beim Neurologen wegen der Kopfschmerzen.
Aber keiner hat etwas gefunden. Also muss er doch gesund sein! Einmal hat ihn eine Kollegin
angesprochen, ob sie ihm irgendwie helfen könnte. Die hat er mit einer zynischen
Bemerkung weggescheucht. Als ob DIE ihm helfen könnte.
Trotzdem ist es für ihn inzwischen schon Kraft raubend, bloß irgendwie die Fassade zu
wahren. Wenn niemand ihn sieht muss er sich gelegentlich an der Wand abstützen beim
Copyright: Birgit Graf Beratung & Coaching
www.birgitgraf.de
[email protected]
Gehen. Manchmal fallen ihm die Namen langjähriger Kollegen nicht mehr ein.
Immer öfter fühlt er Verzweiflung. Dann sagt er sich wieder, dass bald alles besser wird.
Wenn nur die anderen nicht so faul wären. Wenn dann das Projekt endlich abgeschlossen ist.
Wenn wenn wenn...
Ein paar Wochen später baut er fast einen Unfall auf der Fahrt ins Büro. Er kann sich auf
nichts mehr konzentrieren, hat Blackouts und ist fahrig und nervös, fast panisch. Inzwischen
hört er permanent ein Klingeln im Ohr. Beim geringsten Geräusch zuckt er zusammen und
sein Herz rast. Dazu diese starken Rückenschmerzen, selbst die tägliche Ration
Schmerzmittel morgens und abends hilft da nicht mehr. Er fühlt sich immer öfter wie eine
leere Hülle. Wann hat er eigentlich zuletzt gelacht?
Seinem Chef traut er sich nichts zu sagen, er hat Angst, als Versager da zu stehen. Lieber
bestellt er sich im Internet was zum Aufputschen. Leider bringt das auch nicht wirklich was.
Schlafen kann er inzwischen fast gar nicht mehr. Alle paar Minuten schreckt er hoch, nass
geschwitzt und mit einem Engegefühl in der Brust. Körperlich ist er zutiefst erschöpft, jede
Bewegung kostet Kraft, er will nur noch schlafen. Die einzigen Gefühle, die er noch kennt,
sind Angst und Verzweiflung.
Irgendwann gibt er auf, er hat keine Kraft mehr für sein Projekt. Das wird ja eh nie fertig. Was
für einen Sinn hat sein Leben dann noch? Er hat nichts mehr im Leben, will nur noch
schlafen. Schlafen für immer, denkt er irgendwann. Eines Morgens fasst er mit dem letzten
Rest an Energie einen Entschluss....
Statt Stefan Stark könnte dies auch Ernst Eilig, Petra Perfekt, Nina Nett oder Karl Kämpfer
passieren.
Copyright: Birgit Graf Beratung & Coaching
www.birgitgraf.de
[email protected]