Oberösterreich fehlen Jobs und keine Fachkräfte

Ihre Gesprächspartner:
Dr. Johann Kalliauer
Präsident der AK Oberösterreich
Mag. Johannes Pointner
Leiter der Abteilung Wirtschafts-,
Sozial- und Gesellschaftspolitik
Oberösterreich fehlen Jobs
und keine Fachkräfte
Pressekonferenz am
am Dienstag, 26. Mai 2015, um 10 Uhr
Arbeiterkammer Linz
Es fehlen Arbeitsplätze, nicht Fachkräfte
Je höher die Arbeitslosigkeit ansteigt, um so lauter werden die Klagen der Unternehmen und ihrer Vertretungen über den angeblichen Mangel an Fachkräften.
Dieses Klagen hat sich in den letzten Jahren als Modetrend etabliert und gehört
zum Standardrepertoire von Unternehmern/-innen, Politikern/-innen sowie einzelnen Arbeitsmarktexperten/-innen.
Bei der vom Wirtschaftsressort des Landes in Auftrag gegebenen Erarbeitung einer
Arbeitsmarktstrategie „Arbeitsplatz OÖ 2020“ wurde der angebliche Fachkräftemangel thematisiert. Der daraus resultierende Fachkräftemonitor liefert aber keine
Bestätigung für einen Mangel an Fachkräften in Oberösterreich. Für den Zeitraum
2014-2015 weist er in den meisten Fällen einen Überhang an Arbeitskräften aus
und nur für wenige Branchen- und Berufskonstellationen zeigt sich ein nennenswerter Nachfrageüberhang.
Stellenandrang
Bei der Bewertung des Fachkräftemangels kommt man am Stellenandrang nicht
vorbei. Messbar sind die beim AMS vorgemerkten Arbeitslosen und die offenen
Stellen. Der Quotient dieser beiden Größen liefert die Stellenandrangszahl, die
angibt, wieviele Arbeitslose im Durchschnitt auf eine offene Stelle kommen.
In der Phase der letzten Hochkonjunktur 2007/2008 lag der Stellenandrang in
Oberösterreich bei etwas mehr als zwei Arbeitslosen je offener Stelle. Österreichweit war er mehr als zweieinhalbmal so hoch. Das heißt, selbst bei günstiger wirtschaftlicher Entwicklung betrug die Anzahl der Arbeitsuchenden ein Vielfaches
der gemeldeten offenen Stellen.
In einzelnen Regionen wie etwa Oberösterreich und differenziert nach Branchen
bzw. Berufen gab es zeitweise zu wenig verfügbare Arbeitskräfte. Seither ist die
Zahl der Arbeitslosen jedoch massiv angestiegen, während die Zahl der offenen
Stellen merklich gesunken ist. Somit kamen im Jahresdurchschnitt 2013 in
Oberösterreich fünf Arbeitslose auf eine offene Stelle, österreichweit waren es
knapp elf Arbeitslose. Und auch im Jahr 2014 hat sich der Stellenandrang weiter
erhöht und erreichte im Jahresdurchschnitt österreichweit in allen (!) 33 vom AMS
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standardmäßig publizierten Berufsobergruppen mindestens 4,9 Arbeitslose je offener Stelle. Von einem allgemeinen Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel kann
man angesichts solcher Relationen sicher nicht sprechen.
Entwicklung des Stellenandrangs
Quelle: AMS; AK-Berechnungen
Dieser enorme Wettbewerb um die verfügbaren Jobs führt die Debatte um den
Fachkräftemangel ad absurdum und verweist auf die zentrale gesellschaftliche
Herausforderung: die Knappheit an Arbeitsplätzen sowie die gegenwärtige Rekordarbeitslosigkeit. Insbesondere Arbeitslose, die älter, wenig qualifiziert, gesundheitlich eingeschränkt usw. sind, haben immer weniger Chancen auf einen
neuen Job und werden häufig langzeitarbeitslos.
Sinkende Lohnquote
Nach den üblichen Wirkungsmechanismen der Marktwirtschaft führen Ungleichgewichte zwischen Nachfrage und Angebot zu Preisreaktionen, die den Markt
wieder ins Gleichgewicht bringen. Gäbe es tatsächlich einen Fachkräftemangel,
müssten die Betriebe aufgrund der Konkurrenz um die raren Fachkräfte die Entlohnung für diese gefragten qualifizierten Arbeitskräfte anheben.
Tatsächlich aber zeigt sich seit Jahren, dass sich die Machtverhältnisse klar zugunsten der Arbeitgeber entwickeln. Das beweist der Trend der permanent sinkenden
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Lohnquote. Zudem müsste bei einem Fachkräftemangel die KV-Überzahlung für
die angeblich so begehrten Fachkräfte zumindest in typischen FacharbeiterLohngruppen bestimmter Branchen stärker steigen als die KV-Löhne selbst. Das ist
sowohl bei Arbeitern/-innen als auch bei Angestellten nicht der Fall. Daraus ergibt
sich der logische Schluss, dass es keinen allgemeinen Mangel an Fachkräften gibt,
der die Betriebe veranlasst, durch attraktivere Einkommen geeignete Mitarbeiter/innen zu finden bzw. zu halten.
Verschärft wird die Situation noch dahingehend, dass immer mehr Unternehmen
versuchen, aus den für sie gültigen Kollektivverträgen zu flüchten. Jüngstes trauriges Beispiel ist ein Unternehmen aus der MIBA Gruppe, das versucht, sich aus dem
Industriekollektivvertrag in den für das Unternehmen günstigeren Gewerbekollektivvertrag abzusetzen.
Mix aus monetären und nicht-monetären Rahmenbedingungen
Neben dem Einkommen spielen weitere Faktoren eine Rolle, ob ein Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber gilt. Dieser Mix aus monetären und nichtmonetären Rahmenbedingungen erklärt auch, warum manche Unternehmen Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung bzw. eine hohe Fluktuation haben.
Anstatt jedoch die eigene individuelle Verantwortung zu erkennen und durch eine
Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen gegenzusteuern, neigen diese
Betriebe dazu, die Schuld für ihr Versagen bei der Personalrekrutierung abzuwälzen. Dass andere Firmen durchaus Mitarbeiter/-innen finden, weil sie als Arbeitgeber attraktiver sind, wird dabei ignoriert.
Ein bekanntes Beispiel dafür, dass eine Branche schon viele Jahre einen Arbeitskräftemangel beklagt, ist der Tourismus. Allerdings liegt es nicht daran, dass sich
kaum Arbeitsuchende für eine Beschäftigung im Tourismus interessieren. Viele
wandern bereits nach kurzer Zeit in andere Branchen und Berufe ab, weil die
Lohn- und Arbeitsbedingungen in vielen Tourismusbetrieben im Vergleich zu
anderen Branchen nicht „konkurrenzfähig“ sind.
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Anwerbung ausländischer Fachkräfte
Wenn Betriebe dringend benötigte Arbeitskräfte vor Ort in der Region nicht finden, ist es naheliegend, dass sie neue Mitarbeiter/-innen in weiter entfernten Regionen bzw. im Ausland rekrutieren.
Mitte 2011 wurde mit der Rot-Weiß-Rot-Karte ein Instrument zur Anwerbung
qualifizierter Arbeitskräfte aus „Drittstaaten“ (Nicht-EU-Länder) geschaffen. In
den gut dreieinhalb Jahren seit dem Inkraftreten blieb die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit weit hinter den Erwartungen von bis zu 8000 Rot-Weiß-RotKarten pro Jahr zurück. Zum einen, weil der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften in der heimischen Wirtschaft doch nicht so groß ist, wie die mediale Berichterstattung suggeriert. Zum anderen sind die von den heimischen Betrieben
gebotenen Lohn- und Arbeitsbedingungen für qualifizierte Arbeitskräfte in Drittstaaten nicht attraktiv genug. Das zeigt sich auch an der Tatsache, dass nur etwas
mehr als fünf Prozent aller Rot-Weiß-Rot-Karten an besonders hoch qualifizierte
Personen ausgestellt wurden. Auch bei den Fachkräften in Mangelberufen dürfte
das Erfordernis einer ausbildungsadäquaten Entlohnung ein wesentlicher Grund
dafür sein, dass die tatsächlichen Zahlen deutlich hinter den von Wirtschaftsvertretern vorausgesagten Größenordnungen zurückblieben.
AMS-geförderte Qualifizierung
Das AMS bietet Kurse an, in denen die von den Unternehmen artikulierten Qualifikationsbedarfe berücksichtigt werden. Mit diesen gefragten Kompetenzen sollte
es gelingen, die Hoffnungen und Erwartungen der Arbeitsuchenden und der Betriebe zu erfüllen.
Darüber hinaus gibt es individuelle, maßgeschneiderte Ausbildungen, in denen
Arbeitsuchenden die von den Betrieben gewünschten fehlenden Qualifikationen
vermittelt werden. Bei einem größeren Personalbedarf bietet sich dafür die Imlacement-Stiftung an, bei einzelnen zu besetzenden Stellen ist in Oberösterreich
AQUA (arbeitsplatznahe Qualifizierung) das geeignete Instrument. Das Unternehmen entscheidet sich für eine arbeitslose, lernwillige Person, bei der die „persönliche Chemie“ passt und der man die offene Stelle zutraut. Mit einer vergleichsweise geringen Beteiligung an den Ausbildungskosten erhält das Unternehmen in möglichst kurzer Zeit eine auf die individuellen Erfordernisse hin aus-
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gebildete Fachkraft, die nach Abschluss der Ausbildung vom Unternehmen als
Mitarbeiter/-in eingestellt wird. In Oberösterreich wird dieses Angebot von den
Betrieben viel zu wenig genutzt: Pro Jahr erlangen nicht einmal 2000 Personen
eine Höherqualifizierung – angesichts der permanenten Klagen über den Fachkräftemangel eine erstaunlich geringe Zahl.
Jene Qualifizierungsmodelle, bei denen die Initiative von den Beschäftigten ausgeht, weisen hingegen auf die hohe Lernbereitschaft der Arbeitnehmer/-innen hin.
Bei der Bildungskarenz erweist sich die notwendige Zustimmung des Dienstgebers
als größte Hürde. Dafür gewinnt die mit Juli 2013 eingeführte Teilzeitbildungskarenz an Bedeutung: Die Kombination von Weiterbildung mit gleichzeitiger Fortsetzung der Beschäftigung trifft die Interessen und Möglichkeiten der Arbeitnehmer/-innen sehr gut und wird auch von Betrieben eher akzeptiert. Beim Fachkräftestipendium, das auch Arbeitslose in Anspruch nehmen können, wurde mit Jahresbeginn 2015 mangels ausreichendem AMS-Budget die Liste der förderbaren
Ausbildungen massiv zusammengekürzt. Neueinstiege sind nur mehr sehr eingeschränkt und ab 2016 gar nicht mehr möglich.
Lehrlingsausbildung
Die Lehrlingsausbildung ist in Österreich traditionell eine zentrale Säule der
Fachkräfteausbildung. Seit knapp zwei Jahrzehnten bedarf es massiver Interventionen der öffentlichen Hand (vor allem auch über das AMS), um allen an einer
Lehre interessierten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können.
Das duale Ausbildungssystem hat viele Vorteile und Stärken. Angesichts der hohen Drop-out-Quoten während der Lehrzeit, der selektiven Zugangsmöglichkeiten
(Migranten/-innen sind deutlich unterrepräsentiert) und der erheblichen Durchfallquoten bei der Lehrabschlussprüfung drängt sich aber die Frage nach notwendigen Reformen und Maßnahmen auf.
Seit Beginn des Jahrtausends ist die Zahl der Lehrbetriebe österreichweit um 22,5
Prozent von mehr als 41.000 auf weniger als 32.000 gesunken. In Oberösterreich
beträgt der Rückgang etwas mehr als 2000 – beinahe jeder vierte der ehemals 8300
Lehrbetriebe hat sich aus der Ausbildung von Lehrlingen zurückgezogen.
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Wenn Unternehmen wieder vermehrt Jugendliche, die weiterführende Schulen
besuchen, für die Lehre gewinnen wollen, muss das Package aus Lehrausbildung
und anschließender Berufskarriere insgesamt attraktiver gestaltet werden.
Schlussfolgerungen und Forderungen
Es sollte jenen, die einen Fachkräftemangel beklagen, zu denken geben, dass Unternehmen und Branchen mit attraktiven Lohn- und Arbeitsbedingungen problemlos geeignete neue Beschäftigte finden. Offensichtlich wird der Verweis auf
den Fachkräftemangel als Ausrede benutzt, um von eigenen Versäumnissen und
eigener Verantwortung abzulenken.
Die vorliegenden Arbeitsmarktdaten verdeutlichen, dass der Fachkräftemangel
hauptsächlich ein subjektiv empfundenes Gefühl von Unternehmern ist, das sich
mit der messbaren Realität nicht deckt. Vielmehr stellt die Knappheit an Arbeitsplätzen generell, aber speziell für gering Qualifizierte, die zentrale gesellschaftliche
Herausforderung dar.
• Zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Senkung der Rekordarbeitslosigkeit
sind höhere öffentliche Investitionen in den Bereichen sozialer Wohnbau, öffentlicher Verkehr, soziale Dienstleistungen (Bildung, Pflege und Sozialarbeit),
Breitband- und Energienetze und ökologischer Umbau der Wirtschaft dringend
notwendig. In allen Bereichen ist der Bedarf aufgrund der lange anhaltenden
Investitionszurückhaltung und demografischer Entwicklungen hoch.
•
Ein wesentlicher Hebel zur nachhaltigen Verbesserung der Arbeitsmarktchancen von Arbeitslosen ist die Qualifikation. Die Höherqualifizierung, insbesondere der Erwerb von zertifizierten Ausbildungsabschlüssen, muss daher einen
höheren Stellenwert in der Arbeitsmarktpolitik erhalten. Erfolgreiche Instrumente wie die Ausbildung über Arbeitsstiftungen und die Metallausbildungszentren müssen optimiert und forciert werden. Das AMS braucht mehr Geld
für die Verbesserung der Qualifikation der Arbeitslosen, aber auch für eine
qualitative, nachhaltige Betreuung von speziellen Zielgruppen.
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•
Jugendliche brauchen für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben eine solide
Erstausbildung. Die Unternehmen müssen ihre Verantwortung im Rahmen
der Lehrausbildung und der (Pflicht-)Praktika für Schüler/-innen wahrnehmen. Vor allem Jugendliche mit geringer Bildung oder mit gesundheitlichen
Einschränkungen müssen eine Chance erhalten und unterstützt werden.
Wir brauchen mehr und attraktivere Angebote, um bildungswilligen Erwachsenen das Nachholen einer Berufsausbildung zu ermöglichen bzw. sie bei der
Weiterbildung und beruflichen Neuorientierung zu unterstützen. Die (Teilzeit)-Bildungskarenz sollte weiter verbessert werden. Für die Fortführung und
Ausweitung des Fachkräftestipendiums müssen mehr finanzielle Mittel für das
AMS bereitgestellt werden.
•
Die Angebote zur beruflichen Weiterbildung müssen auf das gesamte Bundesland verteilt und leicht erreichbar sein. Um eine flächendeckende attraktive
Weiterbildungsinfrastruktur aufzubauen, sind öffentliche Förderungen bzw.
Unterstützung der Bildungsträger nötig.
•
Durch die zunehmende Spezialisierung ergeben sich in vielen Unternehmen
zweifellos besondere Anforderungen an die Kenntnisse und Kompetenzen. Je
spezifischer diese geforderten Qualifikationen sind, um so größer muss die Bereitschaft der Unternehmen zu entsprechenden Einschulungsphasen für neue
Mitarbeiter/-innen sein.
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