Berufswahl und Geschlecht Ein gleiches Bildungsangebot für Mädchen und Jungen bietet beiden Geschlechtern formal die gleichen Möglichkeiten, das Berufsbildungsangebot nutzen zu können. Von einer Gleichstellung der Geschlechter auszugehen, liegt nahe. Tatsächlich aber ziehen sich Unterschiede und Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts durch die gesamten Bildungsbiographien von Mädchen und Jungen. Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern werden im späteren Erwerbsleben spürbar und erschweren die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie lebenslange Existenzsicherung. Bildung – Facts & Figures Traditionelle Geschlechterbilder und stereotype Begabungszuschreibungen in der Schule und im Elternhaus haben grossen Einfluss auf die Ausprägung individueller Interessen, auf die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, auf Vorstellungen von Beziehungs- und Familienstrukturen und der späteren Verwirklichung eines Lebensentwurfs. Insbesondere die Berufs- und Studienwahl von Mädchen und Jungen ist von Rollenvorbildern und gesellschaftlichen Strukturen geprägt: Junge Männer entscheiden sich häufiger für technische Berufe und Studiengänge wie zum Beispiel Ingenieurwesen, Architektur und Baugewerbe, Technik und IT. Männer fehlen dagegen in der Pflege oder der Primarschule (Stand 2013, BFS). Junge Frauen finden sich häufiger in Berufsausbildungen und Studiengängen des Gesundheitswesens, der Geistes- und Sozialwissenschaften, der sozialen Arbeit und der Lehrkräfteausbildung wieder (Stand 2013, BFS). Frauen sind in den Naturwissenschaften oder Ingenieurberufen unterrepräsentiert. Die Verteilung der Berufslernenden des Wohnorts Basel-Landschaft zeigt, dass Männer sich zwischen 161 Berufen, Frauen dagegen nur zwischen 123 Berufen entscheiden (Stand 2011, BFS). Junge Männer verfügen über eine deutlich vielfältigere Auswahl von Berufen und machen auch von dieser Wahlfreiheit Gebrauch. Frauen dagegen bewegen sich in einem sehr eingeschränkten Kreis von Wahlmöglichkeiten (Stand 2013, BFS; vgl. Grafik Statistik BL Nr. 01/2014, S. 2). Abb. 1: Statistik der Lernenden Basel-Landschaft 2011 1 Erwerbsleben – Facts & Figures Die Unterteilung des Arbeitsmarktes in Männer- und Frauenberufe ist in der Schweiz besonders ausgeprägt und erschwert die Realisierung der Chancengleichheit der Geschlechter. Besonders Frauen in den Bereichen „Soziales“, „Bildung“ und „Care-Arbeit“ sind von tiefen Löhnen und geringem Ansehen betroffen. Führungspositionen werden in allen Branchen weiterhin mehrheitlich von Männern besetzt. Doch in Zeiten, in denen Fach- und Führungskräfte gebraucht werden, verlangt die Wirtschaft geradezu nach einer gezielten Erwerbsintegration von Frauen, um deren Potenzial nutzen zu können: Frauen verfügen heute häufiger als früher über eine höhere Berufsbildung (Stand 2014, BFS). In der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen ist der Anteil der Frauen mit einem Abschluss einer Fachhochschule oder einer universitären Hochschule höher als jener der Männer. In der Nordwestschweiz ist die berufliche Stellung von Frauen im Allgemeinen tiefer als jene der Männer: 16% der Frauen haben eine Vorgesetztenfunktion (25% der Männer) und 4% eine leitende Funktion eines Unternehmens (8% der Männer) inne. Dagegen sind 63.9% der Frauen, aber nur 47.7% der Männer Arbeitnehmende ohne Vorgesetztenfunktion (Stand 2013, BFS; vgl. Grafik Statistik BL Nr. 01/2014, S. 2). Frauen verdienen in der Schweiz durchschnittlich 23.6% weniger als Männer. Doch auch bei gleichen Qualifikationen und identischem Jobprofil erhalten Frauen weniger Lohn als Männer (Stand 2010, BFS). Ein hoher Frauenanteil in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung erhöht den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens (vgl. McKinsey 2008 „Women Matter“). Abb. 2: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung 2013 Abb. 3: Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2010 2 Familie & Beruf – Facts & Figures Die Familie und den Beruf zu vereinbaren, stellt heute eine grosse Herausforderung für Frauen und Männer dar. Die traditionelle Rollenverteilung von der Frau als „Ehefrau“ und „Mutter“ und dem Mann als „Ernährer“ der Familie, ist weiterhin ein angestrebtes Ideal. Es zeichnet sich jedoch ab, dass sich das Verständnis von Familie, von Vaterschaft, Mutterschaft und somit auch von Männlichkeit und Weiblichkeit wandelt. Lebensentwürfe von jungen Männern und Frauen werden vielfältiger. Die Vereinbarkeit von Erwerbs-, Familien- und Hausarbeit wird zunehmend für Männer interessant. Das Bild des „abwesenden“ Vaters wird abgelöst durch das Modell einer aktiven, anwesenden Vaterschaft. Frauen messen ihrer Berufstätigkeit mehr Bedeutung bei und richten ihre Lebensgestaltung dahingehend aus, Familie und Beruf vereinen zu können. Der Wandel der Geschlechterverhältnisse bedingt folglich ein Austarieren der Pflichten und Chancen von Männern und Frauen: In der Nordwestschweiz bestehen weiterhin traditionelle Rollenerwartungen: Frauen leisten mit 62.1% mehr unbezahlte (Haus- und Familien-)Arbeit, Männer leisten mit 64% mehr bezahlte Arbeit (Stand 2010, BFS; vgl. Grafik Statistik BL Nr. 01/2014, S. 3). Haushalte mit Kindern, in denen beide Partner teilzeiterwerbstätig sind, sind mit knapp 5.5% eine Minderheit, obwohl sich ihr Anteil seit 1992 fast vervierfacht hat (Stand 2013, BFS). Zwischen 1997 und 2013 hat sich der Anteil an Paarhaushalten mit Kindern unter 15 Jahren verdoppelt, in denen Frauen und Männer gemeinsam die Verantwortung für die Hausarbeit wahrnehmen (von 7% auf 19%) (Stand 2013, BFS). Junge Väter kümmern sich intensiver um ihre Kinder als noch ihre Väter und Grossväter. Sie übernehmen heute einen wichtigen Teil der Haus- und Familienarbeit (vgl. Gerfin et al. 2009). Abb. 4: Schweizerische Arbeitskräfteerhebung 2010 3 Zusammenfassung Wie anhand dieses Kapitels deutlich wurde, sind die Berufswahl und die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen eng miteinander verknüpft. Speziell erwerbstätige Frauen erleben nach wie vor Diskriminierungen im Berufsleben. Trotz gleicher Qualifikationen und ihrer im Durchschnitt besseren Allgemeinbildung müssen sie sich mit weniger zufriedengeben als Männer. Die Aussichten auf einen geringeren Lohn und schlechtere Karrierechancen bestimmen die Lebensentwürfe von jungen Frauen und lenken damit auch die familiäre Arbeitsteilung in tradierte Bahnen. Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind die gesellschaftlichen Normen und Idealvorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die gerade junge Männer unter Druck setzen, erfolgreiche Alleinverdiener und Haupternährer einer Familie sein zu müssen. Hier zeigt sich der dringende Handlungsbedarf, eine offene Berufswahl in der Schule im Rahmen eines Gendertags zu thematisieren, um Kinder und Jugendliche dazu anzuregen, Bildungsangebote losgelöst von gesellschaftlichen Normvorstellungen zu nutzen. Die frühe Sensibilisierung für die Zusammenhänge zwischen Berufswahl und Geschlecht ist wichtig, um tradierte Berufs- und Geschlechterbilder bewusst zu hinterfragen und mit zeitgemässen, vielfältigen Lebenskonzepten und Erwartungen zu ergänzen. Ziel sollte es sein, junge Menschen in ihren Interessen und Wünschen zu ermutigen, in ihrem Selbstvertrauen und ihrer Selbstwirksamkeit zu bestärken und für neue Wege, jenseits stereotyper Berufsfelder und tradierter Lebensentwürfe – und damit auch für mehr Geschlechtergerechtigkeit – zu begeistern. Jana Lindner, wissenschaftliche Praktikantin Gleichstellung für Frauen und Männer Kanton Basel-Landschaft Literatur Gerfin, M. et al., 2009, Kinderkosten in der Schweiz. Bundesamt für Statistik BFS (Hrsg.), Neuchâtel. McKinsey Report, 2008, „Women Matter. Female leadership, a competitive edge for the future”, http://www.mckinsey.com/features/women_matter, [17.08.2015]. Statistik Baselland, 2014, Gleichstellung von Frau und Mann Nr. 01/2014, Statistisches Amt Kanton Basel-Landschaft, http://www.statistik.bl.ch/fileadmin/user_upload/Archiv/14_1_Stat_BL.pdf, [17.08.2015]. 4
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