„Ich schreie noch immer viel“ Cheftrainer Andrea Trinchieri hat Bamberg zum deutschen Titel und in die Top 16 der Euroleague gebracht. Ein Gespräch mit Matthias Schmid und Philipp Schneider von der Süddeutschen Zeitung (30.12.15). Andrea Trinchieri betritt bestens gelaunt das Konferenzzimmer der Brose Baskets Bamberg in Strullendorf. In dem kleinen Ort südlich von Bamberg hat der deutsche Basketballmeister seine Trainingsstätte. Wie lange der Cheftrainer des Tabellenführers für das Gespräch Zeit hat? „Wenn Sie mich stimulieren, reden wir eine halbe Stunde. Aber nur mentale Stimulation“, entgegnet der 47-jährige Italiener. Am Ende werden es fast eineinhalb Stunden. Vor dem Start in die Zwischenrunde der Euroleague an diesem Mittwoch (20.45Uhr) bei Titelverteidiger Real Madrid spricht Trinchieri darüber, warum deutsche Mannschaften das europäische Final Four nicht erreichen können, sein Verhältnis zu Mäzen Michael Stoschek und warum er nicht über Ligakonkurrent FCBayern redet. SZ: Herr Trinchieri, wir führen das Interview auf Deutsch, okay? Andrea Trinchieri (spricht deutsch): Nee... Sie wollten doch so schnell wie möglich Deutsch lernen?Warum nicht? Ich. Bin. Perfektionist. (wechselt ins Englische) Also spreche ich Sprachen erst, wenn ich sie zu 120 Prozent beherrsche. Deutsch ist eine schwierige Sprache. Wir können aber Russisch reden, falls Sie mögen, oder Spanisch, oder Serbisch, oder Kroatisch... Ist bei uns teilweise etwas eingerostet. Ich denke, ich habe mit Deutsch ein mentales Problem: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. In diesen riesigen Sätzen, die so lang sind wie ein Highway von Berlin nach München, springe ich auf jedes Wort. Und ich habe einfach nicht die Geduld, auf das Verb zu warten: Das Verb kommt erst nach 22 Minuten! Also vergesse ich alles, was vorher gesagt wurde in dem Satz. In welcher Sprache sprechen Sie mit Ihrer Familie? Das ist ein großer Mix. Mit meiner Mutter: Kroatisch. Mit meiner Schwester: halb Italienisch, halb Kroatisch. Das hängt davon ab, wie intensiv das Gespräch ist. Je intensiver, desto kroatischer reden wir. Mein Vater versucht immer Deutsch mit mir zu reden, das spricht er perfekt. Er hat seinen Abschluss in Harvard gemacht, in Recht und Sprachwissenschaften. Und er hat danach viel mit Deutschen gearbeitet. Aber er ist Amerikaner? Nein, mein Urgroßvater war Konsul Italiens in den USA. Er hat eine Frau aus Kentucky geheiratet. Mein Vater ist aufgewachsen in Boston, geboren aber in Panama. Weil mein Ur-Ur-Ur-Großvater einer der sechs Investoren des Panama-Kanals war. Da kommt also noch heute viel Geld rein in die Familienkasse? Nein. Weil er danach viel Besitz in Kuba erworben hat, und während der Revolution von Fidel Castro hat er alles verloren. Aber wir besitzen noch immer einen kleinen Anteil am Kanal. Wie wurden Sie zum Basketballtrainer, ohne zuvor Profi gewesen zu sein? Es war so, als wäre ich eines Tages durch die Straßen einer großen Stadt gelaufen, in der ich die tollste Frau meines Lebens entdecke. Und mich einfach verliebe. Mit elf Jahren habe ich auf der Schule erstmals Basketball gespielt. Aber ich war fürchterlich schlecht. Was hat Ihnen gefehlt? Der Mensch wird immer genervt von Erwartungen. Ich war so verliebt in Basketball, dass meine Erwartungshaltung einfach zu riesig war. Ich habe schnell begriffen, dass ich nie auf dem Level würde spielen können. Also habe ich mit 18 angefangen, meine Teamkollegen zu coachen. Haben ehemalige Profis wie Bayern-Trainer Svetislav Pesic Vorteile als Trainer? Es könnte ihnen helfen, aber erforderlich ist es nicht. Große Spieler haben in ihrer Karriere viele brenzlige Situationen erlebt, die ihnen helfen können als Trainer. Er weiß, wie er sich auf wichtige Spiele, auf ein Finale, auf große Gegenspieler vorbereiten muss. Aber: Ich habe eine andere Karriere erlebt! Ich habe in der achten Division als Trainer angefangen und musste sehr, sehr viele Stufen hochsteigen bis zu dem Level, auf dem ich jetzt bin. Das ist auch eine wichtige Erfahrung. Außerdem: Weil ich weiß, dass ich nie ein guter Spieler war, habe ich alle Tricks gelernt, wie sich dieser Qualitätsunterschied verkleinern lässt. Als Sie vor eineinhalb Jahren nach Bamberg kamen, haben Sie angekündigt Zeit zu benötigen, um eine neue Ära zu prägen. Ist Ihnen das bereits gelungen mit dem Gewinn der Meisterschaft und dem Einzug in die Top 16 der Euroleague? Ich messe meinen Job nicht am Erfolg. Mich interessiert nur die Performance. Das ist das, was ich beeinflussen kann. Die Performance meines Teams kann ich beeinflussen, ihren Erfolg kann ich nicht garantieren. Im Basketball kann es passieren, dass du großartig trainierst, großartig spielst, eine Wahnsinnspartie ablieferst. Und trotzdem verlierst du wegen eines Wurfs über das halbe Feld. Oder aber du gewinnst unverdient ein Spiel, nur, weil du einen Big Shot triffst in den letzten 25 Sekunden. Für die Fans geht es nur um Titel, das verstehe ich auch. Aber in meinem Job musst du erst an der Performance arbeiten, der Erfolg ist nur die Konsequenz. Als Sie in Bamberg begannen, formten Sie ein völlig neues Team: Nur zwei Spieler aus dem Profikader blieben, Elias Harris und Karsten Tadda. Sie haben etwas aus dem Nichts geschaffen. Herr Stoschek (Aufsichtsratschef von Hauptsponsor Brose; Anm. d. Red.) hat mir damals ein leeres Blatt Papier überreicht. Ich durfte alles darauf schreiben, was mir in den Sinn kam. In meiner Sprache. Jeder Klub-Besitzer hat hohe Erwartungen. Jeder Besitzer möchte seine Schöpfung wachsen sehen. Ich habe noch nie einen glücklichen Besitzer nach einer Niederlage gesehen. Nicht in Russland, nicht in Griechenland, nicht in Italien, nicht in Deutschland, nicht in Botswana. In Botswana waren Sie aber noch nicht... Nein (lacht). Aber ich will irgendwann dahin. Weil ich Botswana sehr oft als Beispiel benutze in meinen Reden. Jedenfalls: Ich habe bei der Kaderplanung viel Unterstützung von Geschäftsführer Rolf Beyer bekommen. Weil er genau wie ich ein Rookie war. Wir sind gemeinsam durch die raue See geschwommen. Im Januar kam dann ein neuer Sportdirektor (Daniele Baiesi; Anm. d. Red.), und der ist, kurz gesagt: ein Genie. So wie jedes Genie auf der Welt ist er aber Borderliner. Und diese zwei Personen haben mir erlaubt, der zu sein, der ich bin. Ohne Kompromisse, ohne Abkürzungen. Wenn Sie über die deutsche Meisterschaft sprechen, dann reden Sie über die letzten zehn Sekunden der Saison. Aber vorher sind so viele kleine, große, auch dramatische Dinge geschehen, auch glückliche, die geholfen haben, den Erfolg zu erbauen. Auch nach dem Titelgewinn, der unerwartet daher kam gegen die größte Sportorganisation Deutschlands. Den FC Bayern München... Exakt. Sie sind wie Aliens. Weil sie aus dem Nichts erschienen sind. Bayern-Basketball hat vorher nicht existiert. Doch, in der zweiten Liga. Echt? Jedenfalls hatten sie ein Raumschiff, und damit sind sie in München gelandet. Und über Aliens spreche ich nicht. Haben Sie in Bamberg alle Spieler bekommen, die Sie haben wollten? Alle bekommt man nie. Ich habe letztes Jahr ein wenig meine Art zu coachen geändert. Weil ich sieben Spieler hatte, die amerikanischen Basketball gespielt haben. Daniele Baiesi war da eine große Hilfe, weil er sechs Jahre lang in der NBA (US-Profiliga; Anm. d. Red.) gearbeitet hatte. Wir mussten ganz anders spielen. Auf welche Weise? Quizfrage: So habe ich es auch meinen Spielern versucht zu erklären: Worin unterscheiden sich die Statistikbögen eines Euroleague-Spiels von dem eines in der NBA? In Europa verteilen sich die Punkte auf mehrere Spieler? Exakt. Verletzungen einmal ausgenommen, ändert sich in der NBA in 82 Spielen die Starting Five nicht. Wer ein Starter ist, der lebt und verhält sich in vollem Bewusstsein, dass er ein Starter ist. Und wer ein Ergänzungsspieler ist, der lebt und verhält sich in vollem Bewusstsein, dass er ein Ergänzungsspieler ist. Also gibt es zwei Teams in einem, und es gibt Profis, die auf 25 Würfe kommen. In der Euroleague verändern große Klubs ihre Starting Five in jedem Spiel, je nach Moment, dem jeweiligen Gegner, und den besonderen Bedürfnissen des Teams. In einem guten Spiel hat keiner der Profis mehr als zehn, elf Shots. Sie haben aber einige Amerikaner geholt. Und das erste, was sie mir erzählt haben, war: Coach, ich bin ein Starter! Ich habe geantwortet: Bei uns gibt es keine Starter. Im letzten Jahr hat Janis Strelnieks bei uns in zwei von sechs Partien in der Starting Five gestanden. Glauben Sie also, er wäre von der Qualität her kein Starter? Also können Sie jetzt überlegen: Entweder ich bin verrückt. Oder ich habe einen Plan. Wie reagieren auf Ihre Philosophie Profis, die sich mit vielen Einsätzen für den nächsten Karrieresprung empfehlen wollen? Ich versuche immer Spieler zu holen, die denken, dass Bamberg der nächste Karriereschritt für sie ist. Ein Upgrade. Wie passt da Nikolaos Zisis hinein? Er ist 32 und hat bereits die Europameisterschaft und die Euroleague gewonnen. uch für ihn ist das eine Aufwertung seiner Karriere – nur von einem anderen Blickwinkel aus. Er ist ein intelligenter und einzigartiger Mensch. Er wollte zu uns kommen, obwohl wir ihm keinerlei Zusicherung machten, wann er ausgewechselt oder eingewechselt wird. Er hat hier eine neue Rolle, er kann die jüngeren Spieler anleiten, sie lehren. Er ist ein Veteran. Und wenn er in der Kabine spricht, starren 24 Augen oder noch mehr auf ihn. Alle sind still. Das ist ziemlich beeindruckend. Es ist auffällig, dass Sie wesentlich mehr rotieren lassen als etwa der FCBayern. Ich habe einen breiten Kader. Und den möchte ich nutzen. Wenn du es in der Euroleague weit bringen möchtest, dann brauchst du einen breiten Kader. Sie lassen ein interessantes System spielen: Sie haben drei eher klein gewachsene Guards, keinen richtigen Center. In der Bundesliga wird selten so gespielt, in der NBA pflegen die Golden State Warriors diesen Stil. Haben Sie sich inspirieren lassen? Ich habe schon in der Vergangenheit so spielen lassen. Aber die Golden State Warriors sind der maximale Ausdruck dieser neuen Ära im Basketball. Ich weiß nicht, wie lang sie andauern wird. Aber wir sind überzeugt davon, dass wir Teams anders konzipieren müssen. Nicht länger nur: Point Guard, Point-Guard-Backup, Guard, Backup vom Guard. Wir arbeiten nicht länger horizontal, sondern triangular. Der Point Guard kann die zwei schützen, die drei kann den Point Guard schützen. Klingt, als ob Sie gern an taktischen Feinheiten tüfteln. Ich mag das System sehr! Weil es die Kreativität steigert und ganz andere Szenarien ermöglicht. Und wenn deine Spieler drei oder vier Positionen spielen können, dann hast du einen riesen Vorteil: Dein Spiel ist dann weniger vorhersehbar. Und Verletzungen lassen sich besser kompensieren. Weil andere Spieler auf die Position des Verletzten wechseln können. Dürfen Ihre Spieler bei Ihren taktischen Überlegungen mitreden? Ich mag keine Fehler. Und ein Basketballteam ist keine Demokratie. Das steht mal fest. Es gibt dort eine Person, die trägt die ganze Verantwortung. Die bin ich. Ich habe auch das letzte Wort. Aber: Niemand, nicht einmal ich, steht über dem Team. Niemand ist wichtiger. Einer vielleicht: Brose-Gesellschafter und Aufsichtsratschef Michael Stoschek. Wie ist Ihre Beziehung zu ihm? Er ist ein sehr starker Mann mit einer einnehmenden Persönlichkeit. Wir pflegen eine faire Beziehung. Ich habe meinen Raum mit meiner Verantwortung, in dem ich auch nicht schüchtern gegenüber ihm auftrete. Sie diskutieren also häufiger? Er möchte alles wissen, er ist neugierig. Er mag den Wettbewerb, er liebt es zu gewinnen. Er ist ein Gewinner. Empfiehlt er Ihnen hin und wieder auch mal einen Spieler? Nein, dafür hat er keine Zeit. Er ist für das große Bild zuständig. Er will die höchste Ebene erreichen. Als sie mich vor eineinhalb Jahren wollten, habe ich ihn zuerst gefragt, wohin sie mit dem Klub wollen. Denn ich wollte wissen, worauf ich mich hier einlasse und ob ich das auch erreichen kann. Er sagte mir, dass er von der Mannschaft vor allem einen hochwertigen Qualitätsbasketball sehen möchte, der auch die Menschen begeistern kann. Aber Stoschek verfolgt auch große Ziele, Bamberg soll eines Tages an der Endrunde der besten vier Mannschaften in der Euroleague mitspielen. Kann es eine deutsche Mannschaft überhaupt einmal ins Final Four schaffen? Gegenfrage: Kann eine deutsche Mannschaft Ausnahmespieler wie Spanoulis, Llull, Tomic oder Fernandez verpflichten? Nein, wir haben hier Limits. Das schmerzt, aber es ist so. Wir müssen uns deshalb Zwischenziele setzen. Wenn wir nach dem maximalen Ziel streben, werden wir schnell frustriert und unglücklich. Wir können es nicht in das Final Four schaffen. Warum? Weil einige Mannschaften wie ZSKA Moskau oder Real Madrid Spieleretats haben, die bei 20 Millionen Euro liegen. Das ist fünfmal so viel wie unser Budget. Fünfmal so viel? Stehen Ihnen als deutschem Meister nur vier Millionen Euro zur Verfügung? Ja, für unsere Spieler haben wir nicht mehr. Aber es ist nicht allein das Budget. Wenn du zum Beispiel zehn Millionen Euro ausgeben darfst, aber schlecht damit haushaltest, hast du auch keinen Erfolg. Andererseits kannst du auch mit weniger Geld erfolgreich arbeiten. Aber etwas ganz anderes: Wie viele deutsche Spieler haben bisher die Euroleague gewonnen? Der bisher einzige war Patrick Femerling 2003 mit Barcelona. Und wir haben sechs deutsche Spieler bei uns im Kader. Aber wir können nur konkurrenzfähig in Europa sein, wenn wir mehr deutsche Spieler auf dem höchsten Niveau wie Femerling haben. Ich arbeite sehr viel mit Daniel Theis, er hatte in der vergangenen Saison sehr viele Probleme. Das Training war ein großer Schock für ihn. Ich bin mir sicher, dass er abends oft nach Hause kam und sich gedacht hat: Wer ist dieser verrückte Italiener, der mir mein Leben zum Albtraum macht? Sind Sie ein Albtraum für Ihre Spieler? Ja. Ich sitze auf ihrem Rücken. Aber ich springe nicht auf ihrem Rücken herum, andernfalls würde mich unser Konditionstrainer umbringen, weil ich die Spieler verletzen würde. Dabei wirkt es, als ob Sie ruhiger, gelassener geworden sind. Es ist das zweite Jahr. Ich kenne die Spieler jetzt besser, sie kennen mich besser. Vielleicht fällt es mir inzwischen auch leichter, auf den Punkt zu kommen, ohne groß rumzuschreien. Aber glauben Sie mir: Ich schreie noch immer viel. Als Sie hier antraten, erzählten Sie, dass sich ein Trainer nach vier, fünf Jahren abgenützt hat. Heißt das, Ihre Mission in Bamberg ist in zwei Jahren beendet? Ich weiß es nicht. Wir müssen ja fast jede Saison eine neue Mannschaft aufbauen, das könnte meine Halbwertzeit in Bamberg verlängern. Wenn ich Jahre lang mit den gleichen Spielern zusammenarbeiten würde, wäre das sehr schwer, weil ich meine Spieler wie einen Schwamm auswringe. Ich bin sehr glücklich in Bamberg, aber letztlich hängt es nicht allein an mir, der Verein muss auch mit mir arbeiten wollen. Aber Ihnen könnte auch langweilig werden, Meister sind Sie ja schon geworden. In Italien gibt es eine schöne Redensart, die das gut auf den Punkt bringt. Für den Titel habe ich bisher nur eine kleine Scheibe aus meinem Hintern schneiden müssen. Ich kann Bamberg also noch sehr viel mehr von meinem Körper geben. „Auch für ihn ist das eine Aufwertung seiner Karriere – nur von einem anderen Blickwinkel aus. (...) Er hat hier eine neue Rolle, er kann die jüngeren Spieler anleiten, sie lehren. Wenn er in der Kabine spricht, starren 24 Augen oder mehr auf ihn. Das ist ziemlich beeindruckend.“ – Bambergs Trainer Andrea Trinchieri (li.) über Nikolaos Zisis. Foto:Zink/imago Quelle: Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 30. Dezember 2015; Seite 30 WeBZet-Bamberg
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