16 Titelthema Mit dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (VSG) am 22. Juli diesen Jahres ging ein seit vielen Monaten heftig diskutiertes Reformgesetz an den Start, dessen mögliche Auswirkungen auf die vertrags ärztliche Berufssphäre das KV-Blatt bereits in der Dezemberausgabe 2014 beschäftigte. Unsere damalige Schlagzeile „2.180 Praxen in Berlin von Zwangsaufkauf bedroht“ sorgte kurz vor Weihnachten für Unruhe unter Berlins Niedergelassenen. Zu Unrecht? Das KV-Blatt wollte von dem für Zulassungs fragen zuständigen Hauptabteilungsleiter Wolfgang Pütz wissen, ob die Sorgen der Niedergelassenen im Hinblick auf die im GKV-VSG enthaltenen Neuerungen berechtigt seien. Die detaillierte Einschätzung des KV-Juristen ist gleichzeitig der Start einer mehrteiligen Serie, mit der das KV-Blatt seinen Leserinnen und Lesern in den kommenden Ausgaben noch mehr Informationen rund um das umstrittene Gesetz bieten wird. KV-Blatt 09.2015 Titelthema KV-Blatt 09.2015 GKV-VSG verabschiedet: Was ändert sich für die Niedergelassenen? Von Wolfgang Pütz Der Bundestag hat am 11. Juni dieses Jahres das sogenannte GKV-VSG beschlossen. Mit der Zustimmung des Bundesrates trat nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 22. Juli eines der umstrittensten Reformgesetze für die ambulante vertragsärztliche Versorgung in Kraft. Dieses Gesetz hat auf allen Ebenen und bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen hohe Wellen geschlagen, bis hin zu heftigen Auseinandersetzungen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Schon die Entstehung des Gesetzes zeigt, wie die Interessen von Politik und einzelnen Akteuren letztlich die Position der freien Vertragsärzte geschwächt haben. Wir haben es mit einem Gesetz zu tun, das eindeutig die Grundlage für die Schwächung der freiberuflichen Vertragsärzte mit dem Ziel der Verlagerung der Versorgung auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ) schafft. Der Vertragsarzt wird zur aussterbenden Spezies. Bereits im Dezember 2014 hatte das KV-Blatt umfassend über den Entwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes berichtet. Im Zentrum der Kritik standen damals die verschärften Aufkaufregelungen bei Nachbesetzungsverfah- ren und die Änderung beim Recht der Medizinischen Versorgungszentren. Über diesen Entwurf hinaus hat der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren noch einige weitere Änderungen vorgenommen. Nachdem der Bundesrat in seiner Stellungnahme Änderungen bei der Überprüfungspflicht der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und der Gründungsberechtigung der Kommunen für MVZ vorgeschlagen hatte, wurden letztendlich mehr als 60 Änderungsanträge durch den Gesundheitsausschuss im Bundestag berücksichtigt. Dabei wurde unmissverständlich klar, dass die bisher auf freiberuflich tätige Ärzte ausgerichtete Versorgungsstruktur einem fundamentalen Wandel unterzogen werden soll. Die ausdrückliche Besserstellung institutioneller Leistungserbringer zeigt, dass es das Ziel des Gesetzgebers ist, den Freiberufler zurückzudrängen. Diese eklatanten Besserstellungen zwingen freiberuflich tätige Ärzte nahezu zur Gründung Medizinischer Versorgungszentren. Ob dann überhaupt noch von einer Stärkung der Versorgung die Rede sein kann – dies ist schließlich die Überschrift des Gesetzes – kann dahinstehen; die bisherigen Erfahrungen mit dem Leistungsumfang von 17 18 Titelthema KV-Blatt 09.2015 Fortsetzung von Seite 17 MVZ zeigen jedoch, dass diese keinesfalls zu einer Verbesserung der Versorgung beitragen. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber frei in der Gestaltung des Rechtsrahmens in der ambulanten Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten. Eine verfassungsrechtliche Garantie, dass es Vertragsärzte geben muss, gibt es nicht. Der Gesetzgeber muss das Rechtsinstitut der Ehe schaffen, Vertragsärzte muss es aber nicht geben. Das soziale Rechtsstaatsprinzip zwingt ausschließlich dazu, in ausreichendem Maße Daseinsvorsorge zu treffen. Dass Vertragsärzte die wesentliche Stütze der ambulanten Versorgung waren und sind sowie erfolgreich hochqualitative Medizin erbringen, ist aber unbestritten. Sicher gab und gibt es immer Versorgungsdefizite. Dass diese Versorgungsdefizite aber nur dadurch geschlossen werden können, dass Freiberuflichkeit zurückgedrängt wird, ist fragwürdig. An einigen Stellen des Gesetzes drängt sich der Verdacht auf, dass die Hand des Gesetzgebers von kleinen Interessengruppen geführt wurde und nicht von Erfahrungen mit der vertragsärztlichen Versorgung. Nichtsdestotrotz müssen alle niedergelassenen Vertragsärzte und Kassenärztlichen Vereinigungen dieses Gesetz anwenden. Ob einige schwerwiegende Steuerungseingriffe des Gesetzgebers zielführend sein werden, wird die Zukunft zeigen. An einigen Stellen wird auch eine wohlbedachte Verfahrensführung Fehlsteuerungen kompensieren können. Im Folgenden werden wir Ihnen die wesentlichen Änderungen des Versorgungsstärkungsgesetzes im Bereich des vertragsärztlichen Zulassungsrechtes zeigen. Welche Änderungen bringt das GKV-VSG? Die wesentliche und am meisten diskutierte Änderung ist die Reform des sogenannten Nachbesetzungsverfahrens. Hier hat der Gesetzgeber nunmehr die Regelungen zur Aufkaufpflicht verschärft. Dies wird die weitrei- chendsten Auswirkungen für niedergelassene Vertragsärzte haben. Zugleich wurden die Regelungen für die MVZ umfassend überarbeitet. Neben der Möglichkeit, jetzt auch fachgleiche MVZ zu gründen, können nun auch Kommunen selbst MVZ betreiben. Ebenso wurde eine Regelung zur Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin im SGB V aufgenommen und zugleich eine völlig neue Struktur der Weiterbildungsförderung geschaffen. Für erhebliche Auseinandersetzungen in der KBV sorgte schließlich die grund- Dass Vertragsärzte die wesentliche Stütze der ambulanten Versorgung waren und sind sowie erfolg reich hochqualitative Medizin erbringen, ist aber unbestritten. sätzliche Änderung der Regelungen zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Das Kriterium der schweren Verlaufsforderungsformen wurde aufgegeben, somit kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jetzt für eine große Anzahl an Erkrankungen Konkretisierungen vornehmen und damit Leistungsanteile aus der allgemeinen vertragsärztlichen Versorgung in die ambulante spezialfachärztliche Versorgung verlagern. Darüber hinaus wurden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, zukünftig die Leistungserbringung aller zugelassenen Vertragsärzte und angestellten Ärzte bei Vertragsärzten und in Medizinischen Versorgungszentren regelmäßig zu überprüfen und das Ergebnis den Zulassungsgremien mitzuteilen. Neuerungen für Nachbesetzungsverfahren Die wohl umstrittensten Änderungen des Versorgungsstärkungsgesetzes finden sich beim Nachbesetzungsverfahren. Das sogenannte Nachbesetzungsverfahren dient dazu, in einem gesperrten Planungsbereich die Weitergabe von Vertragsarztpraxen an Nachfolger zu ermöglichen. Will ein zugelassener Vertragsarzt seine Praxis an einen Nachfolger abgeben, muss er dazu auf seine Zulassung verzichten und sogleich die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens beantragen. Die Zulassungsgremien prüfen dann zunächst, ob überhaupt eine nachbesetzungsfähige Praxis vorhanden ist und ob diese aus Versorgungsgründen benötigt wird. Wird dies positiv festgestellt, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) unverzüglich den Praxissitz aus. Auf diesen ausgeschriebenen Praxissitz können sich dann im Arztregister eingetragene Ärzte bewerben, unter den Bewerbern findet eine Auswahl durch den Zulassungsausschuss statt. Bis 2012 entschied die KV, ob eine Praxis aus Versorgungsgründen benötigt wird, seit 2013 fällt dies in die alleinige Zuständigkeit des Zulassungsausschusses. Bereits hier hat es eine grundlegende Änderung des Verfahrens gegeben. Bislang galt, dass der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung ablehnen konnte, wenn die Praxis aus Versorgungsgründen nicht mehr benötigt wurde. In diesem Fall musste die KV den sogenannten Verkehrswert der Praxis ersetzen. Ziel dieser Regelung war und ist es, Praxen in überversorgten Planungsbereichen abzubauen, um damit auch die Überversorgung zu senken. Diese Überversorgung wird angenommen ab einem Versorgungsgrad von 110 %, dann spricht der Landesausschuss Zulassungssperren aus. Die bereits vorgesehene Aufkaufregelung hatte offensichtlich nicht die vom Gesetzgeber gewünschten Konsequenzen. Deshalb wurde durch Titelthema KV-Blatt 09.2015 das Versorgungsstärkungsgesetz aus der Kann-Regelung eine Soll-Regelung. Nunmehr stellt der Landesausschuss fest, ob in einer Bedarfsplanungsgruppe ein Versorgungsgrad von 140 % besteht. Wird die 140-%-Grenze überschritten, soll jetzt der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung ablehnen. Von 23 der unter die Bedarfsplanung fallenden Arztgruppen sind dies derzeit in Berlin 15 Arztgruppen, so etwa Radiologen und Facharzt-Internisten. Demnach kann der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen bei einem Versorgungsgrad von 110 % bis 139 % versagen, ab 140 % gilt dann, dass er sie versagen soll. Damit beabsichtigt der Gesetz- geber offensichtlich, dass regelmäßig Nachbesetzungsverfahren bei einem Versorgungsgrad von mehr als 140 % abgelehnt werden und dann die Kassenärztliche Vereinigung den Verkehrswert ersetzt. Was aber unter Versorgungsgründen zu verstehen ist, wird weiterhin durch den Gesetzgeber nicht definiert, er überlässt die Definition den Zulassungsgremien und damit letztlich den Gerichten. Deshalb ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen diese Regelung haben wird, nicht einmal der Ablauf der Verwaltungsverfahren lässt sich jetzt vorhersagen. Versteht man diese Soll-Regelung so, dass dann aufgekauft werden soll, wenn man kann (intendiertes Ermessen), wäre immer dann eine Aufkaufentscheidung not- wendig, wenn keine Versorgungslücken entstehen. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass in hochversorgten Bereichen im Planungsbereich Berlin immer aufgekauft werden müsste; dies so lange, bis ein Aufkauf eine Versorgungslücke entstehen ließe. Dies widerspricht jedoch gänzlich den Erfahrungen aus der Praxis. Viele Praxen, auch in hochversorgten Bereichen (Bereiche auch mit deutlich mehr als 140 %), sind voll ausgelastet und können keine weiteren Patienten mehr aufnehmen. Die Schließung einer solchen Praxis und deren Aufkauf hätten zur Folge , dass die übrigen Praxen diese Patienten nicht aufnehmen können. Dies lässt das Gesetz jedoch vollkommen Anzeige Kongress für Nephrologie 7. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie 12. - 15. September 2015 Berlin, ESTREL Convention Center Foto: abhijith3747 - Fotolia Kongresspräsidenten Prof. Dr. Jürgen Floege Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Prof. Dr. Thomas Benzing Universität zu Köln, Universitätsklinikum Prof. Dr. Markus Ketteler Klinikum Coburg Kongress-Sekretäre Dr. Patrick Biggar, Coburg Prof. Dr. Christine Kurschat, Köln PD Dr. Georg Schlieper, Aachen Themen > Glomeruläre Erkrankungen: auf dem Weg zur individualisierten Therapie > Extrakorporale Verfahren in Praxis und auf Intensiv: etablierte und innovative Therapieansätze > Progression von Nierenerkrankungen: Genetik, Pathophysiologie, Klinik > Herz und Niere: die unzureichend verstandene Schicksalsgemeinschaft > Der alte Patient: Nephrologie als Schaltzentrale im Management komplexer Erkrankungen Workshops Kurse Anmeldung unter: dgfn.eu/aktuell.html Basics Poster nephrologie2015.aey-congresse.de 19 20 Titelthema KV-Blatt 09.2015 Fortsetzung von Seite 19 außer Acht. Die Gesetzeskonstruktion hat nämlich zur Folge, dass zwar auch jenseits der 140 %-Grenze Praxen nachbesetzt werden können, es muss jedoch im erheblichen Umfange begründet werden, dass diese Praxis versorgungsrelevant ist. Da der Gesetzgeber aber an keiner Stelle zu erkennen gegeben hat, wann dies der Fall ist, bewegen sich die Zulassungsgremien bis auf Weiteres in einem sehr unsicheren Rechtsraum. Letztlich wird es hier den Gerichten überlassen, festzulegen, auf welche Kriterien die Zulassungsgremien achten müssen. Diese Aufkaufpflicht soll nur dann nicht bestehen, wenn sogenannte privilegierte Nachfolger gegeben sind – das heißt Kinder, Ehegatten oder Angestellte des abgebenden Vertragsarztes – oder der Nachfolger bereit ist, die Praxis in einen Bereich im Planungsbereich zu verlegen, in dem aufgrund einer zu geringen Arztdichte nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung ein erhöhter Versorgungsbedarf besteht. Dabei wurde aber zugleich festgelegt, dass Anstellungen oder die gemeinsame Berufsausübung nur dann zu einer Privilegierung führen (bislang wurde dies vor allem durch JobSharing-Anstellungen erreicht), wenn die gemeinsame Tätigkeit mindestens drei Jahre angedauert hat. Damit kann die Nachbesetzung unter normalen Umständen nur noch über mehrere Jahre hinweg geplant werden, zumindest dann, wenn sicher die Abgabe ohne Aufkaufsrisiko erfolgen soll. Neu ist die Möglichkeit der Kassenärztlichen Vereinigung, hier Versorgungsdefizite auch in überversorgten Bereichen durch Sitzverlegung anlässlich der Nachbesetzung auszugleichen. Davon hat die Kassenärztliche Vereinigung Berlin – eine entsprechende Mitteilung gibt es bereits – Gebrauch gemacht. Damit wird aber ein Grundpfeiler der Nachbesetzungsverfahren unbemerkt aufgegeben. Bislang galt, dass Praxisfortführung immer Fortführung am Standort bedeutet. Sinn und Zweck der Nachbesetzung ist es ja, die Praxis für die dort behandelten Patienten zu erhalten, was insbe- sondere in patientennahen Fächern von Bedeutung ist. Dies führte sogar dazu, dass Nachbesetzungsverfahren alleine deshalb nicht durchgeführt werden durften, weil schlichtweg keine Praxisräume mehr vorhanden waren. Gerade bei langjährigen Mietverträgen führte das zu Problemen. Durch die Neuregelung wird dieser Grundsatz gänzlich aufgegeben, jetzt kann die Praxis auch an einem anderen Ort fortgeführt werden, allerdings nur dann, wenn dies die einzige Möglichkeit zum Erhalt der Praxis ist und andernfalls ein Aufkauf erfolgen müsste. Wie damit für niedergelassene Vertragsärzte umzugehen ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Zumindest wird dies zur Folge haben, dass von vornherein Interessenten gesucht werden müssen, die die Praxis in einen anderen Bezirk verlegen. Denn diese Interessenten müssen auch feststehen, bevor die Nachbesetzung der Praxis beantragt wird. Nur dann kann der Zulassungsausschuss prüfen, ob eine Verlegung erfolgen kann oder wird. Was dann mit Mietverträgen, Arbeitsverträgen und Leasingverträgen ist, die an Titelthema KV-Blatt 09.2015 über den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkassen bürgen. Solange das Verbot galt, dass bestimmte Arztgruppen miteinander keine Berufsausübungsgemeinschaft gründen durften, waren MVZ die einzige Möglichkeit, um gemeinsam ärztlich tätig zu sein. Neuerungen bei Medizinische Versorgungszentren Ebenfalls heftig diskutiert wurden die Änderungen des Versorgungsstärkungsgesetzes bei den Regelungen zu MVZ. So wie die Fachhochschulen häufig als Lieblingskinder der Bildungspolitik beschrieben werden, kann man das Medizinische Versorgungszentrum mittlerweile mit Fug und Recht als Lieblingskind der Gesundheitspolitiker bezeichnen. Es herrscht offenbar die Vorstellung, dass tendenziell größere Praxen mit mehreren angestellten Ärzten bessere ambulante Medizin erbringen können als freiberufliche Ärzte, diese gleichwohl auch mit eigenen Angestellten. Dementsprechend wird auch in der öffentlichen Debatte auf MVZ als Lösung für Versorgungslücken verwiesen. Bislang mussten MVZ fachübergreifend ärztlich geleitete Einrichtungen sein. Fachübergreifend bedeutete, dass es mindestens zwei unterschiedliche Facharztbezeichnungen in einem MVZ geben musste. Hintergrund war, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Sinn und Zweck eines MVZ darin besteht, die bestmögliche Versorgung über die Fachgebietsgrenzen hinweg interdisziplinär zu ermöglichen. Nachdem der Gesetzgeber zunächst einem unbegrenzt großen Kreis an Investoren die Gründung von MVZ ermöglichte, beschränkte er dies in der Vergangenheit auf Vertragsärzte, Krankenhäuser und nichtärztliche Dialyse-Erbringer. Diese mussten dann in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der GmbH ein MVZ errichten und – sofern sie eine GmbH als Rechtsform gewählt hatten – als Gesellschafter für persönliche Verbindlichkeiten gegen- Noch frag würdiger wirkt die Regelung, dass Arztsitze in Anstel lung ruhen können. Mit der Streichung dieses Verbotes im Bundesmantelvertrag sind die Unterschiede zwischen Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ nur noch marginal. Der Gesetzgeber hat jetzt aber zwei Grundsätze bei den Regelungen der MVZ aufgegeben. Der ursprüngliche Grund zur Einführung der MVZ, die interdisziplinäre Leistungserbringung, wurde fallengelassen. Es kann jetzt auch ausschließlich fachgleiche MVZ geben, etwa zwischen Hausärzten, Psychotherapeuten oder auch Dermatologen. Damit kann von interdisziplinärer Leistungserbringung keine Rede mehr sein. Des Weiteren wurde für Kommunen die Möglichkeit geschaffen, selbst MVZ zu gründen, und dies darüber hinaus auch noch in den nur für Kommunen möglichen Rechtsformen, wie etwa Anstalten des Öffentlichen Rechts, Eigen- oder Regiebetriebe etc. Damit soll nunmehr Kommunen ohne die bisherige Nachrangigkeitsregelung die Möglichkeit gegeben werden, in unterversorgten Bereichen eigene MVZ zu gründen und somit selbst ein Akteur im Gesundheitswesen zu werden. Damit wurde letztlich auch hier ein Grundpfeiler des Vertragsarztrechtes aufgegeben und eine Grundlinie des Gesetzgebers, die bislang als unantastbar galt, überschritten. Offenbar sollen hier klamme Kommunen Versorgungslücken in Bereichen schließen, in denen die Versorgung nicht optimal ist. Ob dies nun wirklich dazu beiträgt, dass massenhaft Ärzte, die sich bereits freiberuflich nicht in Regionen niederlassen, in denen dies ohne Weiteres möglich ist – weil keinerlei Zulassungssperren vorliegen – ist SPEZIALISTEN FÜR HEILBERUFE Schumannstraße 18 10117 Berlin Telefon 030 206298-6 Fax 030 206298-89 Anwaltstradition seit 1906 | www.meyer-koering.de RECHT RUND UM DIE MEDIZIN * * Dr. Reiner Schäfer-Gölz Fachanwalt für Medizinrecht * Torsten von der Embse Fachanwalt für Medizinrecht * Dr. Christopher Liebscher, LL.M. * Wolf Constantin Bartha Fachanwalt für Arbeitsrecht Fachanwalt für Medizinrecht Fachanwalt für Medizinrecht * Jörg Robbers Rechtsanwalt Anzeige der Praxis hängen und regelmäßig vom Nachfolger übernommen wurden, ist vollkommen unklar. Auch hier lässt uns der Gesetzgeber im sprichwörtlichen Regen stehen. Ebenso die Patienten, die mitunter viele Kilometer mit der Praxis „wandern“ müssen. Ob sie dies tun werden, bleibt abzuwarten. 21 22 Titelthema KV-Blatt 09.2015 Fortsetzung von Seite 21 eher nicht zu erwarten. Vielmehr kann es jetzt vorkommen, dass aufgrund hohen politischen Drucks Kommunen selbst MVZ betreiben, um vermeintliche Versorgungslücken zu schließen. Deren in der Regel unbegrenzte finanzielle Mittel können dann auch dauerhaft defizitäre MVZ am Leben erhalten und letztlich freiberuflich tätige Vertragsärzte benachteiligen. Bis zum Versorgungsstärkungsgesetz konnten Vertragsärzte nur freiberuflich oder als angestellte Ärzte an einem MVZ tätig sein. Doch der Referentenentwurf des vergangen Jahres und die Stellungnahme des Bundesrates zum Versorgungsstärkungsgesetz enthielten keinen Passus, der etwa an dieser Form der Organisation von MVZ rütteln sollte. Aber völlig überraschend und wenig nachvollziehbar hat dann der Gesundheitsausschuss des Bundestages in seiner Beschlussvorlage eine häufig übersehene, aber weitreichende Änderung eingefügt. Jetzt dürfen alle Vertragsärzte, die bislang ein MVZ gemeinsam betrieben haben, auf ihre eigene Zulassung verzichten, um sich in ihrem eigenen MVZ anstellen zu lassen. Dies kann zwar in der Praxis nur in der Rechtsform der GmbH erfolgen, zeigt aber eindeutig, dass unter allen Umständen MVZ als die Lösung für alle Versorgungsprobleme gesehen werden und letztliche Flexibilisierung und Liberalisierung der Regelung der MVZ gänzlich den Gedanken der Freiberuflichkeit aufgeben. Die wesentliche Folge dieser Konstruktion wird sein, dass dann alle Ärzte am MVZ gemeinsam dieses an große Leistungserbringer – vielleicht auch MVZKetten – veräußern können, ohne dass es umfangreicher Umstrukturierungen bedarf. Damit wird indirekt der Zugang Ab jetzt „schwarz auf weiß“: Das GKVVersorgungsstärkungsgesetz für große kapitalstarke Investoren zur breiten ambulanten Versorgung eröffnet, er wird geradezu bereitet und flankiert von steuer- und gesellschaftsrechtlichen Besserstellungen. Jetzt kann ein ursprünglicher Vertragsarzt (MVZ) unmittelbar durch einen Kettenbetreiber aufgekauft werden, ohne bislang schwierige Zwischenschritte und Umstrukturierungen des MVZ. Dieser Aspekt blieb bislang in der einschlägigen Fachpresse gänzlich unbeachtet. Eine weitere Neuerung wirkt geradezu verwunderlich. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz können genehmigte Anstellungen bei einem MVZ oder Vertragsarzt, bei denen der bisher angestellte Arzt gekündigt hat, vertreten werden. Grundsätzlich können nur Vertragsärzte und angestellte Ärzte vertreten werden, die tatsächlich tätig sind, hier wird ein nicht mehr tätiger Arzt vertreten. Wo ein nicht existie- Titelthema Obendrein bringt dies eine grundsätzliche Neuerung: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Arztstellen in MVZ, die über sechs Monate nicht besetzt waren, entfallen, soweit nicht nachgewiesen wird, dass ein MVZ nicht hinreichende Bemühungen unternommen hat, um einen neuen Arzt anzustellen. Dann kann die Frist bis auf ein Jahr verlängert werden. Dass nun aber ein Vertreter beschäftigt werden darf, ohne dass dieser formell mit Beschluss des Zulassungsausschusses angestellt wird, ist in sich widersprüchlich. Noch fragwürdiger wirkt die Regelung, dass Arztsitze in Anstellung ruhen können. Vertragsärzte konnten bisher ihre Zulassung ruhen lassen, wenn besondere Gründe vorlagen, wegen derer sie vorübergehend ihre Tätigkeit nicht ausüben, aber bald wieder aufnehmen konnten. Dies war regelmäßig der Fall bei schwerwiegenden dauerhaften Erkrankungen, nur so konnte der Vertragsarzt der Pflicht der persönlichen Leistungserbringung entgehen. Warum dies aber bei einer genehmigten Anstellung der Fall sein soll, ist nicht klar. Berücksichtigt man die oftmals großen Schwierigkeiten bei der Neubesetzung von genehmigten Anstellungen, wird dies zur Folge haben, dass im erheblichen Maße Sitze in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden müssen – die für das Ruhen der Zulassung genehmigte Anstellung –, auf denen keinerlei Leistung stattfindet. Ohne dass dann dieser Sitz entfällt, würde über einen längeren Zeitraum davon auszugehen sein, dass hier keinerlei Tätigkeit mehr besteht und trotz tatsächlich festgestellter Überversorgung keinerlei Leistungen in der Breite Über den Autor Wolfgang Pütz ist seit 2014 bei der KV Berlin als Hauptabteilungsleiter Bedarfsplanung und Zulassung zuständig für die Abteilungen Arztregister und Bedarfsplanung, Zulassungsgremien und die Geschäftsstelle des erweiterten Landesausschusses Berlin. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Trier und Bochum war er mehrere Jahre als Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Medizinrecht, Sozialrecht und Strafrecht in Bochum tätig. Bei der KV Berlin ist Wolfgang Pütz seit dem 1. Mai 2013 als Volljurist beschäftigt. red erbracht werden. Dies ist schwerlich zu verstehen und soll wohl dazu führen, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jetzt direkt vom Gesetzgeber ausgehebelt wird. Auch hier mag man sich fragen, wer die Hand des Gesetzgebers geführt hat. fŸ r en s e r t il it Š t p Ex sib en u g a n l P Ÿ fu -pr Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, welche Auswirkungen das GKVVSG unter ande rem auf die Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin hat und welche umfassenden Änderungen die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung durch das neue Gesetz erfährt. Anzeige render Mensch vertreten werden kann, erschließt sich allerdings nicht. Offenbar sollten hier Honorareinbußen wegen nicht genutzter RLV – die nicht übertragen wurden – vermieden werden. 23 Foto: Klotz KV-Blatt 09.2015 Ihre Spezialisten fŸ r alle Rechtsfragen im Gesundheitswesen! 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