GKV-VSG verabschiedet: Was ändert sich für die Niedergelassenen?

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Mit dem Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (VSG) am 22. Juli diesen
­Jahres ging ein seit vielen ­Monaten heftig
diskutiertes Reformgesetz an den Start, dessen mögliche Auswirkungen auf die vertrags­
ärztliche Berufssphäre das KV-Blatt bereits
in der Dezemberausgabe 2014 beschäftigte.
Unsere damalige Schlagzeile „2.180 Praxen
in Berlin von Zwangsaufkauf bedroht“ sorgte
kurz vor Weihnachten für Unruhe unter
­Berlins Niedergelassenen. Zu Unrecht? Das
KV-Blatt wollte von dem für Zulassungs­
fragen zuständigen Hauptabteilungsleiter
Wolfgang Pütz wissen, ob die Sorgen der
Niedergelassenen im Hinblick auf die im
GKV-VSG enthaltenen Neuerungen berechtigt seien. Die detaillierte Einschätzung des
KV-Juristen ist gleichzeitig der Start einer
mehrteiligen Serie, mit der das KV-Blatt seinen Leserinnen und Lesern in den kommenden Ausgaben noch mehr Informationen
rund um das umstrittene Gesetz bieten wird.
KV-Blatt 09.2015
Titelthema
KV-Blatt 09.2015
GKV-VSG verabschiedet:
Was ändert sich für die
Niedergelassenen?
Von Wolfgang Pütz
Der Bundestag hat am 11. Juni dieses
Jahres das sogenannte GKV-VSG
beschlossen. Mit der Zustimmung des
Bundesrates trat nach Veröffentlichung
im Bundesgesetzblatt am 22. Juli eines
der umstrittensten Reformgesetze für
die ambulante vertragsärztliche Versorgung in Kraft. Dieses Gesetz hat auf
allen Ebenen und bei allen Beteiligten
im Gesundheitswesen hohe Wellen
geschlagen, bis hin zu heftigen Auseinandersetzungen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Schon die Entstehung des Gesetzes
zeigt, wie die Interessen von Politik und einzelnen Akteuren letztlich
die Position der freien Vertragsärzte
geschwächt haben. Wir haben es mit
einem Gesetz zu tun, das eindeutig
die Grundlage für die Schwächung
der freiberuflichen Vertragsärzte mit
dem Ziel der Verlagerung der Versorgung auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ) schafft. Der Vertragsarzt wird zur aussterbenden Spezies.
Bereits im Dezember 2014 hatte das
KV-Blatt umfassend über den Entwurf
des Versorgungsstärkungsgesetzes
berichtet. Im Zentrum der Kritik standen damals die verschärften Aufkaufregelungen bei Nachbesetzungsverfah-
ren und die Änderung beim Recht der
Medizinischen Versorgungszentren.
Über diesen Entwurf hinaus hat der
Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren noch einige weitere Änderungen
vorgenommen. Nachdem der Bundesrat in seiner Stellungnahme Änderungen bei der Überprüfungspflicht der
Kassenärztlichen Vereinigungen (KV)
und der Gründungsberechtigung der
Kommunen für MVZ vorgeschlagen
hatte, wurden letztendlich mehr als
60 Änderungsanträge durch den
Gesundheitsausschuss im Bundestag
berücksichtigt. Dabei wurde unmissverständlich klar, dass die bisher auf freiberuflich tätige Ärzte ausgerichtete Versorgungsstruktur einem fundamentalen
Wandel unterzogen werden soll. Die
ausdrückliche Besserstellung institutioneller Leistungserbringer zeigt, dass
es das Ziel des Gesetzgebers ist, den
Freiberufler zurückzudrängen. Diese
eklatanten Besserstellungen zwingen
freiberuflich tätige Ärzte nahezu zur
Gründung Medizinischer Versorgungszentren. Ob dann überhaupt noch von
einer Stärkung der Versorgung die
Rede sein kann – dies ist schließlich
die Überschrift des Gesetzes – kann
dahinstehen; die bisherigen Erfahrungen mit dem Leistungsumfang von
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Fortsetzung von Seite 17
MVZ zeigen jedoch, dass diese keinesfalls zu einer Verbesserung der Versorgung beitragen. Selbstverständlich ist
der Gesetzgeber frei in der Gestaltung
des Rechtsrahmens in der ambulanten
Versorgung von gesetzlich versicherten
Patienten. Eine verfassungsrechtliche
Garantie, dass es Vertragsärzte geben
muss, gibt es nicht.
Der Gesetzgeber muss das Rechtsinstitut der Ehe schaffen, Vertragsärzte
muss es aber nicht geben. Das soziale
Rechtsstaatsprinzip zwingt ausschließlich dazu, in ausreichendem Maße
Daseinsvorsorge zu treffen. Dass Vertragsärzte die wesentliche Stütze der
ambulanten Versorgung waren und
sind sowie erfolgreich hochqualitative
Medizin erbringen, ist aber unbestritten.
Sicher gab und gibt es immer Versorgungsdefizite. Dass diese Versorgungsdefizite aber nur dadurch geschlossen
werden können, dass Freiberuflichkeit
zurückgedrängt wird, ist fragwürdig.
An einigen Stellen des Gesetzes
drängt sich der Verdacht auf, dass die
Hand des Gesetzgebers von kleinen
Interessengruppen geführt wurde und
nicht von Erfahrungen mit der vertragsärztlichen Versorgung. Nichtsdestotrotz müssen alle niedergelassenen
Vertragsärzte und Kassenärztlichen
Vereinigungen dieses Gesetz anwenden. Ob einige schwerwiegende Steuerungseingriffe des Gesetzgebers zielführend sein werden, wird die Zukunft
zeigen. An einigen Stellen wird auch
eine wohlbedachte Verfahrensführung
Fehlsteuerungen kompensieren können.
Im Folgenden werden wir Ihnen die
wesentlichen Änderungen des Versorgungsstärkungsgesetzes im Bereich des
vertragsärztlichen Zulassungsrechtes
zeigen.
Welche Änderungen bringt das GKV-VSG?
Die wesentliche und am meisten diskutierte Änderung ist die Reform des
sogenannten Nachbesetzungsverfahrens. Hier hat der Gesetzgeber nunmehr die Regelungen zur Aufkaufpflicht
verschärft. Dies wird die weitrei-
chendsten Auswirkungen für niedergelassene Vertragsärzte haben. Zugleich
wurden die Regelungen für die MVZ
umfassend überarbeitet. Neben der
Möglichkeit, jetzt auch fachgleiche MVZ
zu gründen, können nun auch Kommunen selbst MVZ betreiben. Ebenso
wurde eine Regelung zur Förderung
der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin im SGB V aufgenommen und
zugleich eine völlig neue Struktur der
Weiterbildungsförderung geschaffen.
Für erhebliche Auseinandersetzungen
in der KBV sorgte schließlich die grund-
Dass Vertragsärzte
die wesentliche Stütze
der ambulanten
Versorgung waren
und sind sowie erfolg­
reich hochqualitative
Medizin erbringen, ist
aber unbestritten.
sätzliche Änderung der Regelungen zur
ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Das Kriterium der schweren
Verlaufsforderungsformen wurde aufgegeben, somit kann der Gemeinsame
Bundesausschuss (G-BA) jetzt für eine
große Anzahl an Erkrankungen Konkretisierungen vornehmen und damit
Leistungsanteile aus der allgemeinen
vertragsärztlichen Versorgung in die
ambulante spezialfachärztliche Versorgung verlagern. Darüber hinaus
wurden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, zukünftig die Leistungserbringung aller zugelassenen
Vertragsärzte und angestellten Ärzte bei
Vertragsärzten und in Medizinischen
Versorgungszentren regelmäßig zu
überprüfen und das Ergebnis den Zulassungsgremien mitzuteilen.
Neuerungen für Nachbesetzungsverfahren
Die wohl umstrittensten Änderungen
des Versorgungsstärkungsgesetzes
finden sich beim Nachbesetzungsverfahren. Das sogenannte Nachbesetzungsverfahren dient dazu, in einem
gesperrten Planungsbereich die Weitergabe von Vertragsarztpraxen an Nachfolger zu ermöglichen. Will ein zugelassener Vertragsarzt seine Praxis an
einen Nachfolger abgeben, muss er
dazu auf seine Zulassung verzichten
und sogleich die Durchführung des
Nachbesetzungsverfahrens beantragen.
Die Zulassungsgremien prüfen dann
zunächst, ob überhaupt eine nachbesetzungsfähige Praxis vorhanden ist
und ob diese aus Versorgungsgründen
benötigt wird. Wird dies positiv festgestellt, schreibt die Kassenärztliche
Vereinigung (KV) unverzüglich den
Praxissitz aus. Auf diesen ausgeschriebenen Praxissitz können sich dann im
Arztregister eingetragene Ärzte bewerben, unter den Bewerbern findet eine
Auswahl durch den Zulassungsausschuss statt.
Bis 2012 entschied die KV, ob eine
Praxis aus Versorgungsgründen benötigt wird, seit 2013 fällt dies in die alleinige Zuständigkeit des Zulassungsausschusses. Bereits hier hat es eine
grundlegende Änderung des Verfahrens
gegeben. Bislang galt, dass der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung ablehnen konnte, wenn die
Praxis aus Versorgungsgründen nicht
mehr benötigt wurde. In diesem Fall
musste die KV den sogenannten Verkehrswert der Praxis ersetzen. Ziel
dieser Regelung war und ist es, Praxen
in überversorgten Planungsbereichen
abzubauen, um damit auch die Überversorgung zu senken. Diese Überversorgung wird angenommen ab einem Versorgungsgrad von 110 %, dann spricht
der Landesausschuss Zulassungssperren aus. Die bereits vorgesehene
Aufkaufregelung hatte offensichtlich
nicht die vom Gesetzgeber gewünschten
Konsequenzen. Deshalb wurde durch
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KV-Blatt 09.2015
das Versorgungsstärkungsgesetz aus
der Kann-Regelung eine Soll-Regelung.
Nunmehr stellt der Landesausschuss
fest, ob in einer Bedarfsplanungsgruppe
ein Versorgungsgrad von 140 % besteht.
Wird die 140-%-Grenze überschritten,
soll jetzt der Zulassungsausschuss die
Nachbesetzung ablehnen. Von 23 der
unter die Bedarfsplanung fallenden
Arztgruppen sind dies derzeit in Berlin
15 Arztgruppen, so etwa Radiologen und
Facharzt-Internisten.
Demnach kann der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung aus Versorgungsgründen bei einem Versorgungsgrad von 110 % bis 139 % versagen, ab
140 % gilt dann, dass er sie versagen
soll. Damit beabsichtigt der Gesetz-
geber offensichtlich, dass regelmäßig
Nachbesetzungsverfahren bei einem
Versorgungsgrad von mehr als 140 %
abgelehnt werden und dann die Kassenärztliche Vereinigung den Verkehrswert ersetzt. Was aber unter Versorgungsgründen zu verstehen ist, wird
weiterhin durch den Gesetzgeber nicht
definiert, er überlässt die Definition den
Zulassungsgremien und damit letztlich den Gerichten. Deshalb ist nicht
abzusehen, welche Auswirkungen diese
Regelung haben wird, nicht einmal der
Ablauf der Verwaltungsverfahren lässt
sich jetzt vorhersagen. Versteht man
diese Soll-Regelung so, dass dann aufgekauft werden soll, wenn man kann
(intendiertes Ermessen), wäre immer
dann eine Aufkaufentscheidung not-
wendig, wenn keine Versorgungslücken entstehen. Dies würde im Ergebnis bedeuten, dass in hochversorgten
Bereichen im Planungsbereich Berlin
immer aufgekauft werden müsste; dies
so lange, bis ein Aufkauf eine Versorgungslücke entstehen ließe.
Dies widerspricht jedoch gänzlich den
Erfahrungen aus der Praxis. Viele Praxen,
auch in hochversorgten Bereichen
(Bereiche auch mit deutlich mehr
als 140 %), sind voll ausgelastet und
können keine weiteren Patienten mehr
aufnehmen. Die Schließung einer solchen Praxis und deren Aufkauf hätten
zur Folge , dass die übrigen Praxen diese
Patienten nicht aufnehmen können. Dies
lässt das Gesetz jedoch vollkommen
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außer Acht. Die Gesetzeskonstruktion
hat nämlich zur Folge, dass zwar auch
jenseits der 140 %-Grenze Praxen nachbesetzt werden können, es muss jedoch
im erheblichen Umfange begründet
werden, dass diese Praxis versorgungsrelevant ist. Da der Gesetzgeber aber
an keiner Stelle zu erkennen gegeben
hat, wann dies der Fall ist, bewegen sich
die Zulassungsgremien bis auf Weiteres
in einem sehr unsicheren Rechtsraum.
Letztlich wird es hier den Gerichten überlassen, festzulegen, auf welche Kriterien
die Zulassungsgremien achten müssen.
Diese Aufkaufpflicht soll nur dann nicht
bestehen, wenn sogenannte privilegierte Nachfolger gegeben sind – das
heißt Kinder, Ehegatten oder Angestellte des abgebenden Vertragsarztes –
oder der Nachfolger bereit ist, die
Praxis in einen Bereich im Planungsbereich zu verlegen, in dem aufgrund
einer zu geringen Arztdichte nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung ein erhöhter Versorgungsbedarf
besteht. Dabei wurde aber zugleich
festgelegt, dass Anstellungen oder
die gemeinsame Berufsausübung nur
dann zu einer Privilegierung führen
(bislang wurde dies vor allem durch JobSharing-Anstellungen erreicht), wenn
die gemeinsame Tätigkeit mindestens
drei Jahre angedauert hat. Damit kann
die Nachbesetzung unter normalen
Umständen nur noch über mehrere
Jahre hinweg geplant werden, zumindest dann, wenn sicher die Abgabe
ohne Aufkaufsrisiko erfolgen soll. Neu
ist die Möglichkeit der Kassenärztlichen
Vereinigung, hier Versorgungsdefizite
auch in überversorgten Bereichen durch
Sitzverlegung anlässlich der Nachbesetzung auszugleichen. Davon hat die
Kassenärztliche Vereinigung Berlin –
eine entsprechende Mitteilung gibt es
bereits – Gebrauch gemacht. Damit
wird aber ein Grundpfeiler der Nachbesetzungsverfahren unbemerkt aufgegeben.
Bislang galt, dass Praxisfortführung
immer Fortführung am Standort bedeutet. Sinn und Zweck der Nachbesetzung
ist es ja, die Praxis für die dort behandelten Patienten zu erhalten, was insbe-
sondere in patientennahen Fächern von
Bedeutung ist. Dies führte sogar dazu,
dass Nachbesetzungsverfahren alleine
deshalb nicht durchgeführt werden
durften, weil schlichtweg keine Praxisräume mehr vorhanden waren. Gerade
bei langjährigen Mietverträgen führte
das zu Problemen. Durch die Neuregelung wird dieser Grundsatz gänzlich aufgegeben, jetzt kann die Praxis
auch an einem anderen Ort fortgeführt
werden, allerdings nur dann, wenn dies
die einzige Möglichkeit zum Erhalt der
Praxis ist und andernfalls ein Aufkauf
erfolgen müsste. Wie damit für niedergelassene Vertragsärzte umzugehen
ist, lässt sich noch nicht abschätzen.
Zumindest wird dies zur Folge haben,
dass von vornherein Interessenten
gesucht werden müssen, die die Praxis
in einen anderen Bezirk verlegen. Denn
diese Interessenten müssen auch feststehen, bevor die Nachbesetzung der
Praxis beantragt wird. Nur dann kann
der Zulassungsausschuss prüfen, ob
eine Verlegung erfolgen kann oder wird.
Was dann mit Mietverträgen, Arbeitsverträgen und Leasingverträgen ist, die an
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über den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der
Krankenkassen bürgen.
Solange das Verbot galt, dass bestimmte
Arztgruppen miteinander keine Berufsausübungsgemeinschaft gründen durften, waren MVZ die einzige Möglichkeit,
um gemeinsam ärztlich tätig zu sein.
Neuerungen bei Medizinische Versorgungszentren
Ebenfalls heftig diskutiert wurden die
Änderungen des Versorgungsstärkungsgesetzes bei den Regelungen zu MVZ.
So wie die Fachhochschulen häufig
als Lieblingskinder der Bildungspolitik
beschrieben werden, kann man das
Medizinische Versorgungszentrum
mittlerweile mit Fug und Recht als
Lieblingskind der Gesundheitspolitiker
bezeichnen. Es herrscht offenbar die
Vorstellung, dass tendenziell größere
Praxen mit mehreren angestellten
Ärzten bessere ambulante Medizin
erbringen können als freiberufliche
Ärzte, diese gleichwohl auch mit eigenen Angestellten. Dementsprechend
wird auch in der öffentlichen Debatte
auf MVZ als Lösung für Versorgungslücken verwiesen. Bislang mussten
MVZ fachübergreifend ärztlich geleitete Einrichtungen sein. Fachübergreifend bedeutete, dass es mindestens
zwei unterschiedliche Facharztbezeichnungen in einem MVZ geben musste.
Hintergrund war, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Sinn und
Zweck eines MVZ darin besteht, die
bestmögliche Versorgung über die
Fachgebietsgrenzen hinweg interdisziplinär zu ermöglichen. Nachdem der
Gesetzgeber zunächst einem unbegrenzt großen Kreis an Investoren
die Gründung von MVZ ermöglichte,
beschränkte er dies in der Vergangenheit auf Vertragsärzte, Krankenhäuser
und nichtärztliche Dialyse-Erbringer.
Diese mussten dann in der Rechtsform
der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
oder der GmbH ein MVZ errichten
und – sofern sie eine GmbH als Rechtsform gewählt hatten – als Gesellschafter
für persönliche Verbindlichkeiten gegen-
Noch frag­
würdiger wirkt die
Regelung, dass
Arztsitze in Anstel­
lung ruhen können.
Mit der Streichung dieses Verbotes im
Bundesmantelvertrag sind die Unterschiede zwischen Berufsausübungsgemeinschaften und MVZ nur noch
marginal.
Der Gesetzgeber hat jetzt aber zwei
Grundsätze bei den Regelungen der
MVZ aufgegeben. Der ursprüngliche
Grund zur Einführung der MVZ, die
interdisziplinäre Leistungserbringung,
wurde fallengelassen. Es kann jetzt
auch ausschließlich fachgleiche MVZ
geben, etwa zwischen Hausärzten, Psychotherapeuten oder auch Dermatologen. Damit kann von interdisziplinärer
Leistungserbringung keine Rede mehr
sein. Des Weiteren wurde für Kommunen die Möglichkeit geschaffen, selbst
MVZ zu gründen, und dies darüber
hinaus auch noch in den nur für Kommunen möglichen Rechtsformen, wie
etwa Anstalten des Öffentlichen Rechts,
Eigen- oder Regiebetriebe etc. Damit
soll nunmehr Kommunen ohne die
bisherige Nachrangigkeitsregelung die
Möglichkeit gegeben werden, in unterversorgten Bereichen eigene MVZ zu
gründen und somit selbst ein Akteur
im Gesundheitswesen zu werden.
Damit wurde letztlich auch hier ein
Grundpfeiler des Vertragsarztrechtes
aufgegeben und eine Grundlinie des
Gesetzgebers, die bislang als unantastbar galt, überschritten. Offenbar sollen hier klamme Kommunen Versorgungslücken in Bereichen schließen, in
denen die Versorgung nicht optimal ist.
Ob dies nun wirklich dazu beiträgt,
dass massenhaft Ärzte, die sich
bereits freiberuflich nicht in Regionen niederlassen, in denen dies ohne
Weiteres möglich ist – weil keinerlei Zulassungssperren vorliegen – ist
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der Praxis hängen und regelmäßig vom
Nachfolger übernommen wurden, ist
vollkommen unklar. Auch hier lässt uns
der Gesetzgeber im sprichwörtlichen
Regen stehen. Ebenso die Patienten, die
mitunter viele Kilometer mit der Praxis
„wandern“ müssen. Ob sie dies tun werden, bleibt abzuwarten.
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eher nicht zu erwarten. Vielmehr kann
es jetzt vorkommen, dass aufgrund
hohen politischen Drucks Kommunen
selbst MVZ betreiben, um vermeintliche Versorgungslücken zu schließen.
Deren in der Regel unbegrenzte finanzielle Mittel können dann auch dauerhaft defizitäre MVZ am Leben erhalten und letztlich freiberuflich tätige
Vertragsärzte benachteiligen. Bis zum
Versorgungsstärkungsgesetz konnten
Vertragsärzte nur freiberuflich oder als
angestellte Ärzte an einem MVZ tätig
sein.
Doch der Referentenentwurf des vergangen Jahres und die Stellungnahme
des Bundesrates zum Versorgungsstärkungsgesetz enthielten keinen Passus,
der etwa an dieser Form der Organisation von MVZ rütteln sollte. Aber
völlig überraschend und wenig nachvollziehbar hat dann der Gesundheitsausschuss des Bundestages in seiner
Beschlussvorlage eine häufig übersehene, aber weitreichende Änderung
eingefügt. Jetzt dürfen alle Vertragsärzte, die bislang ein MVZ gemeinsam betrieben haben, auf ihre eigene
Zulassung verzichten, um sich in
ihrem eigenen MVZ anstellen zu lassen. Dies kann zwar in der Praxis nur
in der Rechtsform der GmbH erfolgen, zeigt aber eindeutig, dass unter
allen Umständen MVZ als die Lösung
für alle Versorgungsprobleme gesehen
werden und letztliche Flexibilisierung
und Liberalisierung der Regelung der
MVZ gänzlich den Gedanken der Freiberuflichkeit aufgeben.
Die wesentliche Folge dieser Konstruktion wird sein, dass dann alle Ärzte am
MVZ gemeinsam dieses an große Leistungserbringer – vielleicht auch MVZKetten – veräußern können, ohne dass
es umfangreicher Umstrukturierungen
bedarf. Damit wird indirekt der Zugang
Ab jetzt „schwarz auf weiß“: Das GKV­Versorgungsstärkungsgesetz
für große kapitalstarke Investoren
zur breiten ambulanten Versorgung
eröffnet, er wird geradezu bereitet und
flankiert von steuer- und gesellschaftsrechtlichen Besserstellungen. Jetzt
kann ein ursprünglicher Vertragsarzt
(MVZ) unmittelbar durch einen Kettenbetreiber aufgekauft werden, ohne bislang schwierige Zwischenschritte und
Umstrukturierungen des MVZ. Dieser
Aspekt blieb bislang in der einschlägigen Fachpresse gänzlich unbeachtet.
Eine weitere Neuerung wirkt geradezu
verwunderlich. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz können genehmigte
Anstellungen bei einem MVZ oder Vertragsarzt, bei denen der bisher angestellte Arzt gekündigt hat, vertreten
werden. Grundsätzlich können nur
Vertragsärzte und angestellte Ärzte
vertreten werden, die tatsächlich tätig
sind, hier wird ein nicht mehr tätiger
Arzt vertreten. Wo ein nicht existie-
Titelthema
Obendrein bringt dies eine grundsätzliche Neuerung: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Arztstellen in MVZ, die über sechs Monate
nicht besetzt waren, entfallen, soweit
nicht nachgewiesen wird, dass ein
MVZ nicht hinreichende Bemühungen
unternommen hat, um einen neuen
Arzt anzustellen. Dann kann die Frist
bis auf ein Jahr verlängert werden.
Dass nun aber ein Vertreter beschäftigt werden darf, ohne dass dieser formell mit Beschluss des Zulassungsausschusses angestellt wird, ist in sich
widersprüchlich.
Noch fragwürdiger wirkt die Regelung,
dass Arztsitze in Anstellung ruhen
können. Vertragsärzte konnten bisher ihre Zulassung ruhen lassen, wenn
besondere Gründe vorlagen, wegen
derer sie vorübergehend ihre Tätigkeit
nicht ausüben, aber bald wieder aufnehmen konnten. Dies war regelmäßig der Fall bei schwerwiegenden dauerhaften Erkrankungen, nur so konnte
der Vertragsarzt der Pflicht der persönlichen Leistungserbringung entgehen.
Warum dies aber bei einer genehmigten Anstellung der Fall sein soll, ist
nicht klar.
Berücksichtigt man die oftmals großen
Schwierigkeiten bei der Neubesetzung
von genehmigten Anstellungen, wird
dies zur Folge haben, dass im erheblichen Maße Sitze in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden müssen –
die für das Ruhen der Zulassung
genehmigte Anstellung –, auf denen
keinerlei Leistung stattfindet. Ohne
dass dann dieser Sitz entfällt, würde
über einen längeren Zeitraum davon
auszugehen sein, dass hier keinerlei
Tätigkeit mehr besteht und trotz tatsächlich festgestellter Überversorgung keinerlei Leistungen in der Breite
Über den Autor
Wolfgang Pütz ist seit 2014 bei der
KV Berlin als Hauptabteilungsleiter
Bedarfsplanung und Zulassung zuständig für die Abteilungen Arztregister und
Bedarfsplanung, Zulassungsgremien
und die Geschäftsstelle des erweiterten
Landesausschusses Berlin.
Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Trier und Bochum war er
mehrere Jahre als Rechtsanwalt mit den
Schwerpunkten Medizinrecht, Sozialrecht und Strafrecht in Bochum tätig. Bei
der KV Berlin ist Wolfgang Pütz seit dem
1. Mai 2013 als Volljurist beschäftigt.
red
erbracht werden. Dies ist schwerlich zu
verstehen und soll wohl dazu führen,
dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jetzt direkt vom Gesetzgeber ausgehebelt wird. Auch hier mag
man sich fragen, wer die Hand des
Gesetzgebers geführt hat.
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Lesen Sie in der nächsten Ausgabe, welche
Auswirkungen das GKV­VSG unter ande­
rem auf die Förderung der Weiterbildung
in der Allgemeinmedizin hat und welche
umfassenden Änderungen die Ambulante
Spezialfachärztliche Versorgung durch das
neue Gesetz erfährt.
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render Mensch vertreten werden kann,
erschließt sich allerdings nicht. Offenbar sollten hier Honorareinbußen
wegen nicht genutzter RLV – die nicht
übertragen wurden – vermieden werden.
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Foto: Klotz
KV-Blatt 09.2015
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