10 Panorama Der Landbote Donnerstag, 25. Februar 2016 Ältere müssen sich stärker vernetzen nochmals durchstarten Die klassische Bewerbung führt bei erfahrenen Stellensuchenden oft nicht zum Ziel. Mit anderen Strategien können sie auf sich aufmerksam machen. Sie definieren die berufliche Le bensmitte zwischen 40 und 60 Jahren. Ich dachte immer, spä testens ab 60 könnte man sich auf den Ruhestand einrichten? Regula Zellweger: Klugerweise befasst man sich schon viel früher damit, wie man sein Leben über die Pensionierung hinaus gestal ten will. Denn Berufstätigkeit, die man mit Herzblut und Begeis terung ausüben kann, bringt viel: Selbstvertrauen, persönliche Weiterentwicklung und interes sante Kontakte. Aber bereits ab 50 wird einem suggeriert, man sei nicht mehr so leistungsfähig wie früher, indem man eine Extrawoche Ferien bekommt. Diese Ferienwoche nehmen wir gern! Doch heute bleiben die Menschen länger leistungsfähig, lange gute Lebensqualität ohne gesundheitliche Einschränkung ist für die meisten Realität. Die Hirnforschung belegt ausser dem die gute Plastizität des Hirns und die Fähigkeit, allfäl lige Defizite auszugleichen – bis ins hohe Alter. Treffen Sie bei Ihren Beratun gen häufig auf Menschen, die sich auflehnen, die nicht aus dem Arbeitsprozess ausge sondert werden wollen? Ich habe eher andere Frage stellungen in der Beratung. Ältere Erwerbstätige, die Mühe haben, sich nach einer Entlassung wie der neu zu positionieren – eben weil die Diskriminierung von älteren Mitarbeitenden Tatsache ist. Wir erarbeiten dann eine Stra tegie, wie sie trotzdem zu einer Stelle kommen können. Die persönliche Standort bestimmung kann unterschied liche Auslöser haben: Entlas sung, Krankheit, Scheidung – oder eine kritische Betrachtung des bisher gelebten Lebens. Sie haben was vergessen: Auslöser kann auch ganz einfach die Freude daran sein, betreffend Laufbahn das Steuer selbst in die Hand zu nehmen. Immer mehr Menschen, vor allem solche, die in ein Burn out geraten sind, überdenken ihre Werte und wollen deshalb Verän derungen herbeiführen. Problematisch ist heute, dass Unternehmen von den Mitarbei tenden Loyalität verlangen und im selben Atemzug vermitteln, dass Arbeitnehmende manchmal zu einem Angebot auf dem Arbeitsmarkt degradiert sind. Zu schaffen macht auch der äussere Druck, sich selbst laufend opti mieren zu müssen. Dies impli ziert, dass man nicht genügt, so wie man ist. Beides erzeugt Stress. Als Reaktion darauf können berufliche Selbstständigkeit oder PortfolioWorking eine Lösung sein. Auch dies verlangt vom Ein zelnen sehr viel, aber es geschieht dann durch eigenen Willen, man macht es für sich selbst. Sie propagieren, sich beizeiten weiterzubilden und mental fit für den Arbeitsmarkt zu blei ben, ist das nicht ein wenig akademisch gedacht? Was sol len der Handwerker, die Kassie rerin Ihrer Meinung nach tun? Ich wehre mich sehr dagegen, dass Handwerker und Kassiere rinnen so abgestempelt werden. Es stimmt, dass eine gute Grund bildung und stete Weiterbildung arbeitsattraktiv machen. Wer überdurchschnittliche Bildung und Erfahrung vorweisen kann, hat es wahrscheinlich einfacher. «Überqualifiziert» kann aber auch ein Handicap sein. Eine Kas siererin kann sich durchaus neu positionieren, beispielsweise im Betreuungsbereich. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Neu positionierung ab der Lebens mitte. Ich denke da beispielsweise an eine Frau, die zusammen mit ihrem Mann, einem Handwerker, einen Altbau in ein attraktives B & B umgebaut hat. Warum reüssieren manche bei der Jobsuche 50+ – und andere nicht? Das hat viele Gründe. Viele lie gen ganz einfach in der Persön Wer die berufliche Lebensmitte überschritten hat, kommt mit der konventionellen Stellensuche oft nicht mehr weiter. Marc Dahinden lichkeit. Es braucht eine Portion Resilienz, den Willen zu lernen, Offenheit für verschiedene gute Lösungen, Kreativität, um Lö sungen ausserhalb der Denk trampelpfade zu finden, ein gu tes Netzwerk – und eine Portion Frechmut, um durchzustarten, auch wenn es keine Garantie für Erfolg gibt. Nehmen wir an, jemand hat sich regelmässig fortgebildet, hat sich körperlich fit gehalten und wird bei der schriftlichen Bewerbung doch von vornher ein aussortiert – sogar ohne dass man ihm das als Personal verantwortlicher sagen darf. Ist das nicht Schweizer Realität? Doch, das ist leider Realität. Und ich behaupte auch nicht, dass es einfach ist, mit einer «Fünf am Rücken» eine neue Stelle zu bekommen. Das Re cruiting ist in einem interessan ten Veränderungsprozess. Die Tendenz geht vom «Suchen» zum «Gefundenwerden». Social Media, das heisst Xing, LinkedIn, Twitter, gewinnen an Bedeutung. Immer mehr Stellen werden unter der Hand verge ben. Mitarbeitende werden als Botschafter des Unternehmens eingesetzt. Erfolg erreicht man durch die Strategie «Struktu riertes Vernetzen». Sich bewer ben ist ein Vollzeitjob, wenn man verschiedene Strategien nutzen will. Sie nennen als Option für ein passendes Arbeitszeitmodell das «Cappuccinoworking». Was ist das? Cappuccinoworking ist eine Art des Portfolioworkings. Portfo lioworker mixen verschiedene Tätigkeiten, haben Teilzeitstel len und arbeiten auch auf Man datsbasis. Cappuccinoworking heisst: eine Teilzeitstelle, die reicht, um davon zu leben, wenn man sich etwas einschränkt. Das ist der schwarze Kaffee, der durchaus aromatisch sein kann. Die restliche Zeit ist Schäum chen und Schokolade, das heisst eigene Projekte, der Aufbau eines eigenen Unternehmens, Beratertätigkeit – einfach was Freude macht und man noch nicht sicher ist, ob man es zum Fliegen bringt. Ich erlebe, dass immer mehr Leute Zufrieden heit und mehr Selbstbestim mung im Berufsleben anstreben und dafür bereit sind, weniger zu verdienen. Interview: Gabriele Spiller Der persönliche Kompetenzen-Mix zählt Jobsuche 50+ Seine Stärken kennen: Die Laufbahn beraterin Regula Zellweger aus Obfelden im Kanton Zürich gibt Tipps, damit man sich erfolgreich bewirbt. Regula Zellweger hat ein Arbeits buch für Menschen ab der Le bensmitte geschrieben: «Beruf lich nochmals durchstarten». Bevor sie Anweisungen zur Neu positionierung gibt, baut sie den Leser aber erst mal kräftig auf. Wer heute 50 bis 54 Jahre alt ist, hat statistisch noch 32,1 Jahre zu leben (als Mann) beziehungs weise 35,7 Jahre (als Frau). Die Lebensphasen «Aufbau» und «Rushhour» sollten abgeschlos sen sein. Nun heisst es, die «Erfül lung» auszukosten. Ganz wichtig ist wie bei jedem beruflichen Orientierungspro zess die Bestandsaufnahme; was kann ich und was hätte ich noch gerne gemacht? Losgelöst von Status und idealerweise auch fi nanziellen Zielen, kann man den bisherigen Weg Revue passieren lassen. Natürlich ging da nicht immer alles rund, aber nun kennt man ja seine Stärken und Schwä chen besser als ein 30Jähriger. Die Leitfragen zielen darauf ab, worauf man stolz ist, was einem Mut machte und woraus man bis her Energie zog. Denn Kraft wird man brauchen, wenn man im fort geschritteneren Alter nochmals neu anfangen möchte oder muss. Individuelle Visitenkarte Um sich von jüngeren Mitbewer bern abzuheben, sollte man einen möglichst attraktiven Mix an Kompetenzen präsentieren. Viel leicht lässt sich daraus eine indivi duelle Visitenkarte zum Abgeben drucken? Jetzt zählt, was die Per son einzigartig macht; zum Bei spiel sowohl kaufmännisches als auch medizinisches Wissen sowie Reife im Umgang mit Menschen, um prädestiniert für die Leitung einer PatientenSelbsthilfeorga nisation zu sein. Oder ein Natur wissenschaftler hat ein Flair fürs Schreiben und bildet sich als Au tor für technische Dokumentatio nen und Gebrauchsanweisungen aus. Manche dieser massgeschnei derten Tätigkeiten bieten die Möglichkeit, noch im Pensions alter weitergeführt zu werden. Immer weiter ausprobieren Den grössten Druck legen sich viele bei der Entscheidung für einen Weg auf. «Jetzt bloss nichts falsch machen – so viele Möglich keiten zum Korrigieren gibt es nicht mehr», sagt die biologische Uhr. Doch in Sackgassen konnte man immer schon geraten — und sich in der Regel auch wieder hin ausmanövrieren. Wer weiss schon, welche Entscheidung im Leben «richtig» war? Regula Zellweger plädiert fürs Ausprobieren. Allerdings sollte man realistisch bleiben. Welche Jobchancen bietet eine weitere Ausbildung eigentlich – egal, ob für einen Jungen oder einen Älte ren? Denn nicht alles, was an (kostspieliger) Weiterbildung an geboten wird, hat auch Arbeits marktpotenzial. Der wichtigste Part für einen Bewerber 50+ ist die Vorberei tung auf das «strukturierte Ver netzen». Da man bei der klassi schen schriftlichen Bewerbung wenig Chancen hat, sollte man das persönliche Netzwerk stär ken, das auch von Personalver antwortlichen immer häufiger ZuR PeRSOn Regula Zellweger Neben ihrer Praxis als dipl. Psychologin und dipl. Berufsberaterin in Obfelden arbeitet sie als freie Journalistin, Chefredaktorin von «Active Life» und Seminarleiterin. Die ehemalige Primarlehrerin und Bibliothekarin ist Mutter von drei Kindern. gsp konsultiert wird. Sinnvoll ist es, über das Internet selbst aktiv zu werden und sich in den sozialen Medien oder auf einer eigenen Webseite vorzustellen. Für jeden neuen Kontakt, egal, ob online oder offline, sollte man «seinen 20SekundenSpot» parat haben: Was kann ich und was will ich? So kann man auch bei einem (über raschenden) Erstkontakt den gewünschten Eindruck hinterlas sen – und vielleicht eine Aufgabe übernehmen, bevor sie öffentlich ausgeschrieben wird. Im angestrebten neuen Berufs feld muss man die Foren und Ver netzungspartner kennen, um sich dort einzubringen und aufzufal len. Das ist der «verborgene Stel lenmarkt». Dabei sollte man die effizientesten Personen anpeilen: Wer ist leicht zu kontaktieren und hat eine hohe Bedeutung in der Gruppe? Regula Zellweger hat in ihrem Buch (inklusive 44 Arbeits mitteln zum Downloaden) noch einige psychologische Tricks pa rat, um sich selbst immer wieder zu motivieren. Sie sagt aber auch: «Noch immer gibt es vielerorts die Altersguillotine. Wer sich ab der Lebensmitte neu positioniert, braucht eine gut ausgebildete Frustrationstoleranz.» Deshalb empfiehlt sie in dieser Phase eine Dreierregel. Ein Drit tel der Zeit sollte der Information dienen, ein Drittel den eigentli chen Bewerbungsaktivitäten und zu einem Drittel sollte man dafür sorgen, dass es einem gut geht – damit man seinen Kontakten mit einer positiven Ausstrahlung, engagiert und begeisterungsfähig entgegentritt. Gabriele Spiller Beruflich nochmals durchstarten Regula Zellweger. Herausgeber/ Vertrieb: Ask! − Beratungsdienste für Ausbildung und Beruf Aargau. Tel. 062 832 64 10. 25 Franken. www.bdag.ch
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