„Heimatführung eines Schusterjungen durch das historische

„Heimatführung eines
Schusterjungen durch das
historische Montabaur“
Teilnehmende:
Deutschleistungskurs 1 der MSS11
des Mons-Tabor-Gymnasiums in
Montabaur
Betreuender Lehrer:
Martin Ehmer
Einführung
Wir möchten Ihnen in unserem Projekt „Heimatführung eines Schusterjungen durch
das historische Montabaur“ die literarische Bedeutung der Stadt Montabaur für unsere
Region, den Westerwald näherbringen. Hierbei gehen wir auch auf den einzigartigen
Dialekt unserer Region ein,
das Westerwälder Platt. Eine selbstverfasste
Rahmenhandlung um die Montabaurer Sage des Schusterjungen leitet, in einer Art
literarischer Stadtführung, die durch verschiedene Einschübe bereichert wird, durch
Montabaur. An den verschiedenen Stationen der Geschichte werden dem Leser diese
literarischen Höhepunkte Montabaurs in unterschiedlicher Art und Weise gezeigt.
Wir erarbeiteten das Projekt in kleinen Gruppen, welche sich auf je ein spezielles
Themengebiet unseres Projektes konzentrierten. Hierbei nutzten wir auch lokale
Quellen wie die Stadtbücherei Montabaur und das Stadtarchiv. Die einzelnen Gruppen
erarbeiteten das individuell gestaltete Material zu den jeweiligen Stationen des
Rundgangs durch das alte Humbach. Nach Beendigung der Recherchearbeit und der
Gestaltung der Stationen stellten die Expertengruppen ihre Ergebnisse abschließend
im Plenum vor, wo sie formal angeglichen und diskutiert wurden. Auch fertigten wir
Fotografien der handelnden Personen wie dem Schusterjungen an, welche unsere
schriftlich ausgearbeitete literarische Stadtführung visuell unterstützen und ein
lebendiges Bild der Stationen unseres Stadtrundgangs durch Montabaur vermitteln
sollen. Letztendlich wurden alle Ergebnisse des Projektes zusammengefasst und in
der von uns gewählten Ringbuchform fertig gestellt.
Unser Ziel ist es, die literarischen Besonderheiten des Westerwaldes und seiner
Kreisstadt Montabaur anschaulich darzustellen und die "Westerwälder Sprache" auch
über die Region bekannt zu machen.
(Moritz Wagner)
Heimatführung
Lautes Rattern, vibrierende Gleise, als ein mit
Laptoptasche und Koffer bepackter Geschäftsmann
den Zug aus Zürich am ICE-Bahnhof Montabaur
verließ. Eine Nacht musste er im verlassenen
Montabaur verbringen, um am nächsten Tag den
Anschlusszug nach Fulda zu erreichen. Nachdem er
mit der Rolltreppe den Innenraum des Bahnhofs
erreichte, sich im Kiosk einen Kaffee kaufte und die
Vitrinen
des
gegenüberliegenden Ausstellungs-
raums begutachtete, nahm er den Aufzug, um den
Bahnhof zu verlassen und sich auf den Weg ins
Schloss, sein Domizil für die Nacht, zu machen.
Gedanken eines Reisenden
Mal wieder steh’ ich an den Gleisen
Mantel über Schulter, Koffer in der Hand
Mein Kopf fixiert auf’s Reisen
„Arbeit!“, schreit mein Verstand.
Neue Menschen, neue Geschichten,
Neue Stadt, neue Welt.
Vieles zu berichten,
Der Zug verlässt mein Sichtfeld.
Job vor Freizeit,
Arbeit vor Vergnügen,
Eigentlich bin ich ‘s leid,
Doch die Neugier muss sich noch begnügen.
(Michelle Gilles, Anna Lena Born)
Arbeit – Präsentation – Arbeitskollegen – Erfolg. Dies waren die einzigen Gedanken,
die er sich in diesem Moment machte. Morgen war der große Tag, endlich sollte sein
jahrelanges Schuften mit Erfolg belohnt werden, wenn alles gut laufen würde. Die
Präsentation vor dem Geschäftsführer würde seinen weiteren Lebensweg bestimmen.
Erst jetzt fielen ihm die vielen Leute um ihn herum auf, die in einer ihm völlig
unbekannten Sprache, einem seltsam klingenden Dialekt, miteinander ausgelassen
plauderten. Der Gedanke „Hier verstehe ich nur Bahnhof“ zauberte ihm ein kleines
Lächeln ins Gesicht und er machte sich auf den Weg in Richtung Schloss. Als er, tief
versunken in seinen Gedanken, fast von einem Auto angefahren wurde und er seinen
Kaffee fallen ließ, schaute er sich erschrocken um.
Foarwe un Sprich
Et gebt vill ahle Sprich un Lieder
Vom weiße Schnie un weiße Flieder.
Die Sonn schein hell un de Himmel ess bloh,
un bloh ess en Zoustand un Wasser es klur.
Bloh wie de Himmel, vergähs mich net!
Gähl leit de Mond im Wolkebett.
Gähl stiehn vom reife Korn die Goarwe.
Die Rehebooche hot siwwe Foarwe.
Rosa ess ohmens de letzte Schei,
rosa de naue Doah in der Fräih.
Dei´m Schätzje sei Aache sei kornbloumenbloh,
un noachts sei alle Katze groh.
Schworz sei die Wolke im Sommergewärrer,
gräi ess de Klee un die Hoaselnussblährer.
Rut blähin in der Hecke die welle Ruse,
und lila stiehn in der Herbstzeit lose
die Bloume in de Wiese drän,
ja, lila ess mure, lila modern.
Huch hänke den Fuchs die sauer Trauwe,
Schworzweiss sein die Atzele un die Tauwe.
Weiß esse e oaberschriewe Babajier,
weiß wie e Leirich un fresche Ahjer.
Rut ess die Läib un die Hoffnung ess gräi,
un die Hoffnung lehst ämmer e Finksche noch säih.
(Gretel Köhler)
Als der Geschäftsmann mit
seinem hinter sich her ratterndem
Koffer eine kleine Brücke kurz
hinter dem Bahnhof überquerte,
hielt auf einmal ein kleiner Junge,
auf einem Hocker sitzend und in
Lumpen gekleidet sein Bein fest
und begann die Schuhe des
Mannes zu putzen. Dreckiges
Putzzeug
lag
überall. Alle
vorbeilaufenden Menschen, die
der Junge mit seiner Mütze
grüßte, während er die Schuhe des Mannes putzte, ignorierten ihn und nahmen ihn
nicht einmal wahr. Als der kleine Junge fertig war und auch den Mann mit seiner Mütze
zum Abschied grüßen wollte, nahm der Mann sein restliches Kleingeld und warf es
dem Jungen in die Mütze. Er hörte es auf dem Boden aufprallen, drehte sich jedoch
nicht mehr um. “Ich dachte, ich könnte besser zielen“, dachte der Mann noch im
Weitergehen. „Was ein Elend, ein kleiner Junge der sich sein Geld verdienen muss,
dass es so etwas heute noch gibt …“ Der Mann war müde, erschöpft, von der langen
Reise gestresst und wollte nun ohne Unterbrechungen seinen Weg zu seiner
Unterkunft, dem Schlosshotel, fortsetzen.
Als er um die Ecke bog, erblickte er den selben Jungen, welcher ihm zuvor auf der
Brücke schon die Schuhe geputzt hatte. Verblüfft ging er schnell an ihm vorbei. Hinter
sich vernahm er die schnellen Schritte des Jungen. Er versuchte das laute Rufen des
Jungen zu ignorieren. „Nicht noch eine unnötige Diskussion, eine Unterhaltung, dafür
habe ich jetzt keinen Nerv“, dachte er bei sich.
„Hallo, haaallloooo, hey Mann, wo wollen sie denn hin?“ Der Reisende versuchte den
Jungen ein weiteres Mal zu ignorieren, doch das war nun nicht länger möglich. „Was
willst du denn jetzt schon wieder, ich bin gestresst!“ Dies interessierte den Jungen
jedoch nicht und er bohrte weiter nach: „Woher kommst du?“ „Hast du nicht gehört? In
Ruhe lassen sollst du mich!“ Der Junge fragte weiter: „Also, woher kommst du denn?“
Der Mann merkte, dass es keinen Sinn machte, den Jungen weiter zu ignorieren und
so antwortete er: „Zürich.“ „Und wie heißt du? Was machst du hier? Und wo willst du
denn hin?“ Der Mann antwortete: „ Marvin Etmer. Ich bin auf Geschäftsreise. Ich bin
auf dem Weg nach Fulda. Sind damit all deine Fragen endlich beantwortet?“ „Und
wohin willst du jetzt?“, fragte der Junge verwirrt. „Ins Schloss, dort übernachte ich.“
Entsetzt blieb der Junge abrupt stehen. „NEIN! Geh nicht dorthin, die Räuber belagern
das Schloss, sie werden dich umbringen!“, rief er laut und aufgebracht. Verärgert
antwortete der Mann: „Das kann dir ja egal sein, du sollst ja nicht mitkommen!“ Er
drehte sich um und ließ den zitternden Jungen am Straßenrand zurück.
Als er am Fuße des Schlossberges ankam, wurde es bereits langsam warm, es
versprach ein sonniger und angenehmer Tag zu werden. Der Geschäftsmann ließ sich
Zeit und zog mit seinem Koffer gemütlich durch die noch leeren Straßen der Altstadt.
Obwohl das Schloss leicht zu erkennen war, dauerte es eine ganze Weile,
einschließlich diverser Sackgassen, bis er schließlich am Schlossgelände ankam. Vor
dem Tor hing ein großes Schild mit der Überschrift „Geschichte des Humbacher
Schlosses“. Neugierig trat er näher und las:
Geschichte Schloss Montabaur
Im 8. Jahrhundert wurde mit dem Bau der Anlage auf dem Schlossberg in Montabaur
angefangen. Der Name „Muntabur“ (Mons Tabor) wurde erstmals 1227 verwendet.
Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Schloss von unterschiedlichen Kriegsparteien
besetzt und geplündert. Mit den immer leistungsstärkeren Geschützen verloren die
befestigten Burgen nach und nach ihre Bedeutung und wurden immer stärker zu
repräsentativen Wohnsitzen umgebaut. Zwischen 1687 und 1709 erhielt das Schloss
seinen heitigen Grundriss und bis zum Jahr 1802 war Montabaur Residenz der
Erzbischöfe und Kurfürsten zu Trier. Das Schloss wurde 1969 zu einem AkademieZentrum umgebaut und 2001 mit vier Sternen ausgezeichnet. 2011 wurde auf dem
Gelände das neue Veranstaltungszentrum eröffnet.
Zufrieden schaute er hinab auf Montabaur und atmete die frische Luft ein. Kurz blitzte
vor seinem Auge das Bild einer älteren Stadt vor ihm auf, er sah den Rauch aus den
vielen Schornsteinen der Fachwerkhäuser aufsteigen, roch den Geruch vom frisch
gebackenen Brot und hörte Kirchenglocken läuten. Verwirrt schüttelte er den Kopf und
das Bild verschwand, das Tönen der Glocken jedoch blieb. Verwirrt blickte er auf seine
Uhr und stellte fest, dass er ganze zehn Minuten an seinem Aussichtsposten verharrt
hatte. Seufzend wandte er sich ab und betrat die Rezeption des Schlosshotels.
„Guten Morgen, ich bin auf
einer Geschäftsreise und
benötige
kurzfristig
bis
morgen früh ein Zimmer“. Die
Rezeptionistin begrüßte ihn
freundlich: „Eigentlich haben
wir kein freies Zimmer mehr
zur Verfügung, aber
sie
haben Glück, einer unserer
Gäste hat zufällig erst gestern
Abend storniert, wir hätten
also ein Zimmer frei. Das
Frühstück wird von 8 bis 10 Uhr im Speisesaal gleich gegenüber serviert.“
Zufrieden bezahlte der Geschäftsmann und mit den Worten „Viel Spaß in unserem
authentischen Schlosshotel“ erhielt er von der Frau seinen Schlüssel und verließ die
Rezeption.
Sein Zimmer befand sich im Hauptgebäude des Schlosses, nahe dem Rittersaal, und
als er sein Zimmer nach einem kurzen Rundgang gefunden hatte, ließ er sich erschöpft
auf sein weiches Himmelbett fallen, um sich etwas auszuruhen. Da bemerkte er einen
zusammengefalteten, gelblichen Brief auf seinem Kopfkissen. Verwundert schlug er
ihn auf und begann zu lesen.
(Edita Islami, Kira Metternich)
Verwirrt von der seltsamen Sprache des Briefes griff er nach seinem Smartphone und
googelte „Montabaur Dialekt“. Mit Hilfe eines nützlichen Übersetzerprogrammes,
welches die für ihn zum Teil kryptisch wirkenden Wörter und Ausdrücke des Briefes
entschlüsselte, gelang es ihm schließlich den Brief ins Hochdeutsche zu übersetzen.
Verwundert und auch leicht belustigt legte er den Brief beiseite. „Das Haus hält was es
verspricht“, dachte er und lachte in sich hinein. Da tauchte vor seinem inneren Auge
der seltsame kleine Junge am Bahnhof wieder auf. Leicht verunsichert und verwirrt
legte er sich kurz Schlafen.
Als er wieder aufwachte, war es bereits Nachmittag und in seinem Zimmer wurde es
langsam stickig und heiß. Durstig stand er auf und entschloss sich in die Stadt
hinabzugehen, um auf dem großen Platz, den er kurz während seines Aufstieges
erblickt hatte, etwas zu Trinken. Dort wird es ja wohl ein Café geben, dachte er
entschlossen. Der Geschäftsmann verließ das Schloss und stieg die gewundenen
Gassen herab in die Altstadt, immer in Richtung der großen Kirche, welche bereits von
weitem den Stadtkern markierte.
Nach wenigen Minuten gelangte er auf den zentralen Platz inmitten der Altstadt. Die
eine Seite des Platzes war gesäumt von Eisdielen, Cafés und Pizzerien, vor denen
sich viele Menschen an kleinen Tischen bei einem kalten Getränk oder einem Eis
sonnten. Auf der anderen Seite erhob sich das gewaltige Rathaus der Stadt, mit seinen
alten Türmen und Bögen. Direkt vor ihm jedoch stand ein wunderschön gearbeiteter
Brunnen, der seinen Blick fesselte. Mit Metall waren bedeutende Szenen aus der
Geschichte Montabaurs in den Brunnen eingelassen und auf seinem Grund glitzerten
Münzen. Der Geschäftsmann ließ sich auf dem Brunnenrand nieder und fuhr mit einer
Hand nachdenklich durch das kalte Wasser. “Sie müssen eine Münze in den Brunnen
werfen junger Mann “, sagte eine ältere Dame hinter ihm, „ das bringt Glück und Segen
für ihre Familie.“ Er warf eine Münze in den Brunnen, setze sich in ein Eiscafé und
bestellte sich einen großen Erdbeerbecher.
Seine Gedanken wanderten zu seiner Familie zurück, zu seiner Frau und seinen
Kindern, die er seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Kopfschüttelnd schlug er die
„Westerwälder Zeitung“ auf, welche er im Hotel erstanden hatte und begann zu lesen.
(Dominik Laux, Vivien Lehnhäuser, Elias Müller)
„Dieser Zwischenstopp in Montabaur ist doch interessanter als ich dachte“, sagte er
sich kopfschüttelnd. Nach ein paar Minuten empfand er das unangenehme Gefühl
beobachtet zu werden. Er senkte die Zeitung und blickte in das Gesicht des Jungen
vom Bahnhof, der ihn anlachte. „Da bist du ja wieder“, sagte er erschrocken. “Ich habe
dir doch gesagt, dass wir uns wiedersehen. Hast du mir etwa nicht geglaubt?“
antwortete der Junge vergnügt. “Was willst du von mir, macht es dir Spaß arme
Touristen zu verfolgen?“, fragte ihn der Mann verschmitzt. „Alles in Ordnung?“, fragte
ihn die Bedienung, welche sich besorgt neben ihn gestellt hatte. Der Geschäftsmann
drehte sich um und erst jetzt merkte er, dass alle anderen Besucher des Cafés ihn
verwundert anstarrten. „Ja, alles in Ordnung, was soll denn mit mir sein?“, fragte er
verwirrt. Die Bedienung blickte ihm noch einen Moment ins Gesicht und ging dann
kopfschüttelnd zum nächsten Tisch. Der Junge lachte. „Wo sind eigentlich deine
Eltern?“, fragte ihn der Mann leicht verärgert. Ein Schatten zog über das Gesicht des
Jungen und er blickte zu Boden. “Sie sind tot, schon seit langer Zeit“, antwortete er
traurig. „Das tut mir leid“, erwiderte
der Geschäftsmann zerknirscht und
etwas verwirrt. Vor langer Zeit,
dachte er sich, wie alt ist er Junge
wohl, er sieht nicht älter aus als
zehn. „Wie alt bist du eigentlich?“,
fragte er ihn schließlich. Der Junge
lachte kurz auf und erwiderte: „Älter
als du denkst.“
Der Mann stellte den Rest des Eises
beiseite, er war bereits mehr als nur satt. „Ich mache einen Verdauungsspaziergang
und da du sowieso nicht von meiner Seite weichen wirst, kannst du genauso
mitkommen und mir einen guten Platz zeigen, wo ich mich etwas ausruhen kann und
mir unterwegs etwas mehr von Montabaur zeigen“. Der schmutzig gekleidete Junge
zog ihn lachend an der Hand in eine enge Seitengasse direkt neben der Eisdiele.
„Dann komm, wir gehen zur Stadtmauer“.
Der kleine Junge hüpfte lachend und singend vor ihm auf der Gasse entlang. Plötzlich
öffnete sich die Gasse und den Mann blendete die helle Mittagsonne. Vor ihm lag die
Brüstung der hohen Stadtmauer des alten Humbachs, rechts von ihm ragte die
ehemalige Stadtmauer steil in den Himmel.
Die beiden gingen zur Mauer und schauten hinunter auf das außerhalb der Stadtmauer
liegende Montabaur. Der Junge wurde immer übermütiger und hüpfte schließlich mit
einem lauten Ausruf auf die Mauer. Bevor der erschrockene Geschäftsmann Anstalten
machen konnte ihn herunter zu zerren, trug der Junge ein altes Gedicht vor:
Altstadt
Auf der Wasserscheid zwischen Sieg und Lahn
Auf einer Kuppe obenan,
liegt Altstadt in dem schönsten Grün
als Dörfchen malerisch darin.
Die Handelsstraß nahm hier Verlauf,
der Rothenbach fließet hier auch.
Und vor weit mehr als hundert Jahr
Ein Rastplatz hier für Fuhrleut war.
Von Köln nach Leipzig wurd
maschiert,
mit Pferd und Wagen transportiert.
In dem rauhen Westerwald
Machte jeder Fuhrmann halt.
Altstadt´s Mühle mahlte fein,
viele Jahre lief der Stein.
Manch Aufenthalt am Wasserlauf
Brachte Dorfgeschichten auf.
Blaue Kittel aus Leinen weit
War des Landmann´s Arbeitskleid.
„Harte Köpfe“ wie Basalt,
bezwangen Jahr für Jahr den Wald.
Neu und in Altstadt´s weiter Flur
Sah man Kühe weiden nur,
mit dem Hirten weiterziehen,
zu der klaren Quelle hin.
Steh ich heut an Batholomä,
die alte Linde vor mir seh‘,
bete ich still, Gott erhalt,
was nun achthundert Jahre alt.
(Ursula I. Schrader)
“Komm sofort herunter!“, rief der Mann, als der Junge sich immer noch das Gedicht
aufsagend seinem Zugriff entzog. Als das Gedicht zu Ende war, verbeugte sich der
Junge tief und sprang wieder von der Mauer herunter. Der Geschäftsmann konnte nicht
anders, erst versuchte er sein Lachen zu verstecken, aber es gelang ihm nicht. Der
kleine Junge auf der Mauer und dazu noch das Gedicht war zu viel für ihn. So gut habe
ich mich schon lange nicht mehr amüsiert, dachte er schmunzelnd, und immer noch
lachend applaudierte er laut.
Es wurde bereits dunkel, als sie an der Schule ankamen. Der Mann spürte, wie es
langsam kühler wurde und ein lauer Wind aufkam. Er sah auf den Jungen herunter,
der, trotz seiner spärlichen Kleidung, keine Kälte zu verspüren schien.
Die Schule schien wirklich nichts Besonderes zu sein und doch fühlte der
Geschäftsmann einen Hauch von Stolz bei dem Gedanken, dass dieses Gebäude
nach seinem Vorfahren benannt war.
„Joseph Kehrein war dein Vorfahr‘? Das ist ja vorzüglich, auch ich hab Verwandtschaft
in den Kehrein’schen Kreisen!“, hörte der überraschte Mann den Jungen fröhlich
erzählen. Ihm war nicht klar, dass er laut gesprochen hatte „Tatsächlich?“, fragte er
ihn und sah sein enthusiastisches Nicken. Dem Mann schlich ein Lächeln auf das
Gesicht. Er hätte niemals gedacht, dass es so einfach sein kann, einen Menschen
glücklich zu machen und doch bemerkte er am heutigen Tag immer wieder aufs Neue,
dass besonders kleine Dinge diesem Jungen wichtig zu sein schienen und das konnte
er ihm zumindest für einen Abend bieten.
Die Schule war geschlossen, das sah man
bereits von Weitem und doch überredete der
Junge ihn dazu, noch näher heranzutreten
und zu gucken, ob die Tür offen ist. „Wer weiß,
vielleicht
hat
jemand
vergessen,
zuzuschließen?!“, sagte er mit einem
verschmitzten Lächeln.
Auf der letzten Treppenstufe drehte sich der
Geschäftsmann nochmal um, um sich die
Umgebung anzusehen und als er sich wieder
zurückdrehte, stand der Junge im Türrahmen
und hielt die Tür mit einem breiten Grinsen für
ihn auf. Er konnte nichts anderes machen als
den Kopf amüsiert schütteln und sich zu
fragen, ob es nicht Einbruch sei, eine
geschlossene Schule zu betreten. Bevor er es
sich jedoch anders überlegen und umdrehen
konnte, waren sie schon an der Bibliothek
angelangt und der Junge rief ihn von seinem
Platz zwischen den Regalen zu sich.
Als er zu ihm trat, sah er sich das Buch an, auf welches der Junge so angeregt zeigte.
„Kurze Geschichte der Stadt und Burg Montabaur“ stand darauf. „Liest du mir ein
Kapitel daraus vor? Joseph es hat geschrieben “, sagte der Junge und der Mann
nickte. Sie setzten sich in eine Leseecke, die mit bunten Sitzkissen und Bilderbüchern
übersät war. Nur wenige Sekunden später ertönte die Tiefe Stimme des
Geschäftsmannes und die ganze Bibliothek wurde gefüllt mit den Worten Joseph
Kehreins.
"Vor dem ersten unglücklichen
Brand (1491) war die Stadt
Montabaur 1800 Bürger stark.
[...] Durch solchen ersten Brand
wurden in drei Stunden Zeit alle
Häuser nebst der Kirch und
sogar die Thürme der StadtMauern eingeeschert [...]“
„Seitdem schwindet der Name Humbach;
zum letzten Male finde ich ihn erwähnt in
einer Urkunde aus den Jahren 1319-1323:
Himbach, quae nunc Munthabur appellatur
(Humbach, das nun Montabaur genannt
wird)“
„Plagen dich drückende
Sorgen, so darfst du nicht
immer dich grämen, lache
zuweilen, es fliehn viele der
Wolken hinweg.“
„Wahrlich, es schläft sich so
gut, wenn der hochgelehrte
Professor breit sich brüstend
doziert, was er oft selbst nicht
versteht.“
Trachte nach dem, was wahr
und sich ziemt, und du lebest
beglücket, hält für töricht dich
auch mancher erbärmliche
Wicht.
Auf dem Rückweg zum Schloss schlugen die beiden einen anderen Weg ein als zuvor.
Sie gingen an einem kleinen, parkähnlichen Gelände vorbei, welches fast nostalgisch
wirkte. Dahinter war ein schmaler Weg, der kleine, heruntergekommene Häuser
beherbergte, welche mit Graffiti verunstaltet waren. „Sieh mal, hier in der Biergasse
wohne ich!“ riss der Junge den Mann aus
seinen Gedanken.
Wie der Mann erfuhr lebte der Junge dort
mit seiner Familie, bevor er diese verlor.
„Du lebst alleine? Das ist doch nicht
erlaubt …!“, meinte der Mann. Doch der
Junge winkte nur ab und sie gingen
weiter. Der Verlust der Eltern des Jungen
gab dem Geschäftsmann zu denken. Das
Verhältnis zu seiner Frau und seinen
Kindern war schon seit Monaten getrübt,
seit Wochen hatten sie kein Wort mehr
miteinander gewechselt. Als er sich auf
den Weg machen wollte, um endlich zum
Schloss zu gelangen, bemerkte er das
Zögern des Jungen. „Was ist denn los?“,
fragte der Mann. „Was los ist, fragst du
mich? Wie kannst du so etwas fragen,
wenn doch Räuber das Schloss
ausrauben und Humbach belagert wird?
Und du erwartest, dass ich da einfach
mitkomme?“ „Schon wieder diese
Geschichten“, dachte sich der Mann, schlug sich seine Sorgen schnell aus dem Kopf
und ging weiter, den kleinen Jungen mit ängstlichem Gesichtsausdruck im Schlepptau.
Als die hölzernen Tore in Sicht kamen und sie das Schloss endlich erreichten, drehte
sich der Geschäftsmann zu seinem treuen Begleiter um, um sich zu verabschieden.
„Danke für alles, Kleiner. Du warst mir eine riesige Hilfe und ich hatte schon lange nicht
mehr so viel Spaß“, sagte der Geschäftsmann. Der Junge lächelte nur und sagte, er
würde ihn morgen am Bahnhof wiedersehen. Auf dem Weg zu seinem Zimmer
beschlich ihn das Gefühl, als würde ihn jemand beobachten, doch jedes Mal, wenn er
sich umdrehte, war keine Menschenseele auf dem Flur zu entdecken. Er dachte sich,
es sei nur Einbildung gewesen, da er einen langen Tag hinter sich hatte und in den
letzten Wochen nur sehr wenig Schlaf bekommen hatte. Endlich in seinem Bett
angekommen, schlief er schnell ein und wurde erst durch das Klingeln seines Weckers
wieder wach. Als er jedoch auf die Zeiger sah, wurde ihm klar, dass er verschlafen
hatte und sein Zug in nur wenigen Minuten den Bahnhof verlassen würde. Schnell zog
er sich um und rief ein Taxi, um die kurze Strecke zum Bahnhof schnellstmöglich zu
überbrücken.
Er kam auf die Minute genau am Bahnhof an und konnte noch vor dem Schließen der
Türen in den ICE steigen. Nachdem er seinen Platz gefunden hatte, schaute er aus
dem Fenster und sah den Jungen traurig winken. Er winkte zurück, doch die Blicke
des Jungen lockerten nicht auf.
Der Zug setzte sich in Bewegung und der Mann drehte sich für einen kurzen Moment
in Fahrtrichtung um, um den Zugbegleitern seine Fahrkarte zu zeigen. Als er sich
wieder zu dem Jungen drehte, sah er nur noch einen schimmernden Umriss an der
Stelle, an der der Junge eben noch gestanden hatte. Er rieb sich die Augen, doch der
Junge war weg und nun war auch der Schimmer verschwunden.
Nach kurzer Zeit entschied er sich dazu, weiter an seiner Präsentation zu arbeiten.
Während er sich angestrengt mit seiner Arbeit beschäftigte, öffnete sich wie aus dem
Nichts der Internet Browser, der über das Jubiläum des Todes eines Schusterjungen
berichtete. Mit dabei war ein Foto, ein Foto des Jungen, der ihn den ganzen letzten
Tag über begleitet hatte. Er las sich den Artikel genau durch und sah sich das Foto
näher an. Der Junge sah auch bei näherer Betrachtung genauso aus, wie sein
gestriger Begleiter und der Mann fiel verblüfft in seinen Sitz zurück. Er fand einfach
keine Erklärung für die Geschichte. Überfordert fuhr er mit einer Hand über das Gesicht
und musste feststellen, dass die Seite wieder verschwunden war. Da hörte er plötzlich
nicht nur die lauten Geräusche des Zuges, sondern auch ein leises Flüstern. Er hörte
angestrengt auf die Worte, welche ihm eine Gänsehaut verpassten und gleichzeitig
auch ein Lächeln auf sein Gesicht zauberten. Ein letztes Mal hörte er die Stimme des
Jungen, die vor sich hin zu singen schien:
Denk daran, Denk daran
Der Schusterjunge war arm dran
Doch nun kennt er `nen großen Mann
Den er nicht vergessen kann
Der Geisterjunge mag dich sehr
Komm doch bitte wieder her!
(Luisa Meurer, Jenni Ilcenko, Moritz Wagner)
Quellenverzeichnis
Texte und Gedichte
-Ursula I. Schrader: „Stadtmauer“: Altstadt, Wäller Heimat (2003), Seite 144
-Gretel Köhler: Foarwe un sprich, Wäller Heimat (2009), Seite 61
-Joseph Kehrein: Kreisblatt für den Unter-Westerwald-Kreis, Nr.26
(29.03.1876) und Nr.27 (01.04.1876), Beilage, Lokales
-Biographie von seinem Sohn Dr. Valentin Kehrein
-Geschichte Schloss Montabaur
-Homepage des Schlosshotels:
http://www.hotelschlossmontabaur.de/adg_schloss_montabaur/de/%C3%9C
ber%20uns/Geschichte/ (29.4.2015)
- Joseph Kehrein: Geschichte der Stadt und Burg Montabaur, aus: „Joseph
Kehrein- vom Bauerbub zum Professor“, Wäller Heimat 1991, Seite 89
Bilder / Layout / Druck
-Birka Kallenbach
MTG Deutsch- LK 1, 2015
Elisa Becher
Vivien Lehnhäuser
Anna Lena Born
Kira Metternich
Martin Ehmer
Luisa Meurer
Malte Fichtner
Elias Müller
Michelle Gilles
Konstantin Neyer
Marvin Höber
Luisa Normann
Jennifer Ilcenko
Ajshe Ramaj
Edita Islami
Alina Schöpfe
Birka Kallenbach
Moritz Wagner
Anika Knopp
Philipp Weissenbach
Dominik Laux
Fatih Yilmaz